Dem extrastriären Teil des visuellen Systems kommt eine gewichtige Funktion zu Die rezeptiven Felder des striären Cortex nehmen eine erste grobe Analyse der aufgenommenen visuellen Informationen vor Verarbeitungsmechanismen des striären Cortex = mehrere Stufen des Gesamtprozesses der visuellen Verarbeitung Visuelle Verarbeitung erstreckt sich auf große Teile des parietalen temporalen frontalen Cortex mehr als die Hälfte des Cortex kann durch visuelle Reizmuster stimuliert werden Komplexe Verarbeitung im primären visuellen Cortex primärer visueller Cortex enthält Neurone, die für die Merkmale Orientierung, Richtung, Ortsfrequenz und Länge visueller Reizmuster selektiv empfindlich sind geben den retinalen Ort der Reizung an es gibt auch Neurone, deren Antwort durch den Kontext moduliert wird, in dem die Reizmuster eingebettet sind es kann Interaktionen zwischen den rezeptiven Feldern mit Zentrum-UmfeldStruktur und der „erweiterten“ Umgebung geben Vermutung, dass Reaktion dieser Neurone mit Auffälligkeit (salience) zusammenhängt Auffälligkeit gering Antwortrate niedriger Art des Kontexts hängt mit der Auffälligkeit des Liniensegments zusammen und diese wiederum mit der Antwortrate Modulation der Antwort durch den Kontext benötigt gewisse Zeit Ergebnisse der Verarbeitung sind als Feedback-Signale im striären Cortex wieder verfügbar Annahme, dass das visuelle System =komplexe Struktur mit - Verarbeitung - Signalweiterleitung - Feedback-Bahnen Spätere Antworten auf Reizdarbietung werden durch Kontextinformationen mitbestimmt und hängen mit Auswertungen auf höheren Ebenen zusammen Ohne Feedback-Schleifen lassen sich Prozesse der Figur-Grund-Trennung und des Objekterkennens nicht erklären Zwei verschiedene Bahnen der visuellen Verarbeitung im extrastriären Cortex Es existieren zwei Bahnen der Verarbeitung im extrastriären Cortex: Getrennter Verlauf Unterschiedliche Funktionen Neuronen in verschiedenen Arealen sprechen auf unterschiedliche Umweltmerkmale oder –eigenschaften an Zwei Organisationsprinzipien: Parallele Pfade Information wird in zwei unterschiedlichen Bahnen verarbeitet sie führen die magno- und parvozellulären Schichten aus dem CGL weiter Modularität bestimmte Strukturen des ESC haben spezifische visuelle Aufgaben 1. Organisation der extrastriären cortikalen Bahnen Ausgangspunkt: Zerstörung von Magnoneuronen beeinträchtigt die Bewegungswahrnehmung Zerstörung von Parvoneuronen beeinträchtigt die Wahrnehmung von Farbe, Form und räumlicher Tiefe Area striata Bahn 1 Parietallappen Bahn 2 Temporallappen Bahnen für unterschiedliche Funktionen spezialisiert Bahn 1: Objekterkennung = ventrale Bahn Bahn 2: Objektlokalisierung = dorsale Bahn Um diese Bahnen zu finden, verwenden Forscher zwei Aufgaben: a) Objektunterscheidung Vertrautmachen mit Gegenstand Wahlaufgabe mit zwei Alternativen Wahl des vertrauten Objekts: Belohnung Diese Aufgabe ist sehr schwierig, wenn man den Temporallappen entfernt b) Ortsunterscheidung Wahl eines dicht bei einem Zylinder liegenden Futters Diese Aufgabe ist sehr schwierig, wenn man den Parietallappen entfernt Verarbeitung im Temporallappen kann Informationen über physische Eigenschaften eines Objekts liefern Erkennen des Objekts aus verschiedenen Blickwinkeln und an verschiedenen Stellen im Raum Verarbeitung im Parietallappen liefert Informationen über Ort des Gegenstandes Parietale Bahn = „Wo“-Bahn, beginnt bei retinalen M-Ganglienzellen und den magnozellulären Schichten des CGL Temporale Bahn = „Was“-Bahn, beginnt bei retinalen P-Ganglienzellen und den parvozellulären Schichten des CGL Bahnen unterschiedliche Funktion, aber keine strikte Trennung anatomische Verbindungen zwischen den Bereichen Areal V1: erhält große Zahl an Signalen aus höheren Ebenen Teil der Information fließt vom striären Cortex in Richtung temporalem und parietalem Cortex Anderer Teil fließt umgekehrt 2. Zwei cortikale Sehsysteme: für das „Was“ und für das „Wo“ bzw. das „Wie“ ventraler Pfad zum temporalen Cortex Wahrnehmung von Objekten dorsaler Pfad zum parietalen Cortex Wahrnehmung von Ort der Gegenstände Eigenen Aktionen, welche auf Gegenstände gerichtet sind Verbindung der beiden gibt die richtige Steuerung der motorischen Aktion Beweis: Neuronen, die feuern, wenn: Affe dargebotenes Objekt erblickt Affe dieses ergreift Einführung in Neuropsychologie Verhalten von Patienten mit Hirnläsionen wird analysiert Modularitätshypothese: Gehirn besteht aus Teilsystemen oder Modulen, die unabhängig voneinander arbeiten = Basis der psychischen Leistungen Ziel der Neuropsychologie „Welche Teilsysteme könne als unabhängig angenommen werden?“ Auf Unabhängigkeit oder Dissoziation der Teilsysteme kann geschlossen werden, wenn ein bestimmtes Muster der Leistungsunterschiede gefunden werden kann Doppelte Dissoziation = unterschiedliches und „konträres“ Auseinanderfallen von Leistungen im Vergleich zu einer normalen Kontrollbedingung Fallbeschreibung Patienten D.F. Ausfall des ventralen Pfades gute Farbwahrnehmung und gutes Detailwahrnehmen kein Erkennen von einfachen geometrischen Formen oder Umrisszeichnungen von Objekten Visuelle Formagnosie = Unfähigkeit, gewöhnliche Objekte wieder zu erkennen Defizit im Erkennen geht nicht auf ein Wissensdefizit zurück Läsion des ventralen Pfades visuell motorische Orientierung intakt Wahrnehmung und Vergleich visueller Orientierungen nicht mehr möglich 3. Modularität im extrastriären Cortex Spezialisierung verschiedener Areale auf unterschiedliche Aufgaben = Modularität Modul = alle Strukturen, die eine spezifische visuelle Qualität verarbeiten 4. Mediotemporales Areal (MT): ein Modul für Bewegungsanalyse Zerstörung des MT-Areals Bewegungsrichtung wird nur noch dann erkannt, wenn eine Korrelation (Versuch mit Zufallsmuster der Bewegung) von mindestens 10-20% bestand MT-Läsionen heben also die Entdeckungsschwelle für die Bewegungsrichtung deutlich an 5. Inferotemporales Areal (IT): ein Modul für Formanalyse a) Neurone, die auf komplexe Formen antworten Primäre Zellen: antworten am stärksten auf eher einfache Formen Elaborierte Zellen: antworten bevorzugt auf komplexe Reize b) Neurone, die auf Gesichter und auf Teile des Körpers antworten Gyrus fusiformis (im IT) auf Analyse von Gesichtern spezialisiert fusiformes Gesichter-Areal Neurone, die für Gesichter selektiv empfindlich sind Läsion im inferotemporalen Cortex Prosopagnosie = Schwierigkeit, vertraute Gesichter zu erkennen Der sensorische Code: Wie Objekte im visuellen System repräsentiert sind Sensorischer Code enthält jene Informationsaspekte der neuronalen Signale, welche die Wahrnehmung repräsentieren 1. Einzelzellencodierung Annahme, dass spezifische Reizmuster durch das Feuern bestimmter Neurone, die dafür selektiv empfindlich sind, signalisiert werden Extrem unwahrscheinlich, dass die neuronale Codierung einem extremen Muster der Einzelzellencodierung folgt 2. Populations – oder Ensemblecodierung Darunter versteht man, dass die Codierung auf ein Netzwerk von Neuronen verteilt ist Vorteil: mit sehr wenigen Neuronen können sehr viele verschiedene Objekte signalisiert werden Drei Arten von Neuronen, die daran beteiligt sind, Gegenstände in verschiedenen Entfernungen, an verschiedenen Orten des visuellen Feldes oder aus verschiedenen Blickrichtungen zu erkennen Größen-invariante Neuronen = Neuronen, die unabhängig von der Größe der retinalen Abbildung eines Gegenstandes feuern Orts-invariante Neuronen = Neuronen, die unabhängig von der Position der Abbildung auf der Retina feuern Sichten-invariante Neuronen = Neuronen, die unabhängig vom Blickwinkel feuern Fazit: IT – Areal enthält größenspezifische/ -invariante ortsspezifische/ -invariante sichtenspezifische/ -invariante Neuronen Unsere Fähigkeit, Gegenstände zu erkennen, basiert auf der Kooperation einer großen Zahl an verschiedenen Neuronen Wie erhalten Neuronen ihre Spezialisierung? Woher kommt es, dass für Gesichter spezielle Neurone zuständig sind, die im Gehirn ein eigenes Modul bilden? Evolution, Anpassung Individuelles Lernen 1. Ist neuronale Aktivität durch Evolution geformt worden? Prozess der Evolution formte visuelles System so, dass es Neurone enthielt, die auf wichtige Umweltinformationen optimal reagieren konnten Neuronale Grundausstattung und Funktion der Sinne durch Evolution geprägt Evolutionäre Anpassung richtet sich auch auf Bandbreite, mit der individuelles Lernen möglich ist Fazit: Evolutionäre Anpassung und individuelles Lernen ergänzen einander 2. Neuronale Selektivität kann individuell gelernt werden Experiment: Affen wurden trainiert, nicht vertraute Figuren in einer spezifischen Sicht wieder zu erkennen – andere Figuren bzw. andere Sichten der gelernten Figuren sollten anschließend wieder erkannt werden Ergebnis: Dies gelingt umso schlechter, je stärker die präsentierte Sicht von der trainierten abweicht Neurone wurden im Verlauf des Wahrnehmungstrainings auf die spezifische Form besser abgestimmt („tuned“) Zellen im inferotemporalen Cortex sind in der Lage, aufgrund der Erfahrung zu lernen Fusiformes Gesichterareal = Gebiet des Gehirns, das nicht nur auf Gesichter, sondern auch auf andere komplexe Objekte reagiert Objekte durch Lernen erworben Neuronale Selektivität = z.T. Folge der neuronalen Plastizität, d.h. durch sie werden Neurone auf Informationsaspekte aus der Umwelt abgestimmt Verbindung von Neurophysiologie und Wahrnehmung Verbindung von neuronaler Aktivität und Wahrnehmung lässt sich durch Läsionen nachweisen Anderer beweis: gleichzeitige Erfassung der neuronalen Antworten und der Wahrnehmung Vermutung, dass Aktivität der IT-Neuronen mit der Wahrnehmung verbunden ist Visuelle Aufmerksamkeit: Visuelle und neuronale Selektivität Beobachter erwartet nicht einfach passiv ein Reizmuster – er sucht vielmehr aktiv die Informationen der Umwelt Aufmerksamkeit = Prozess der Auswahl und der aktiven Zuwendung 1. Auswahl durch Aufmerksamkeit Perzeptuelle und kognitive Effekte spiegeln sich in speziellen neuronalen Prozesse im Gehirn wider Ausrichtung der Aufmerksamkeit beeinflusst die Aktivität bestimmter Gehirnregionen „Mein bewusstes erleben ist das, was ich zu beachten beschließe“ Inhalte, denen wir Aufmerksamkeit schenken, werden klarer und prägnanter wahrgenommen als solche, auf die wir unsere Aufmerksamkeit nicht richten 2. Können wir ohne Aufmerksamkeit sehen? a) Blindheit durch Nichtaufmerksamkeit Reizmuster wird nicht gesehen, weil ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt wird b) Moment der unterdrückten Aufmerksamkeit Zeitdauer von ~500ms, während der ein zweites Reizmuster in einer Reihe von kurzzeitig dargebotenen Reizmustern nicht entdeckt werden kann wurde mittels des Verfahrens der schnellen seriellen visuellen Darbietung demonstriert Wechsel der Aufmerksamkeit kann offenbar erst wieder nach ~500ms erfolgen = „Aufmerksamkeitsloch“ c) Blindheit für Veränderungen Unfähigkeit, Veränderungen in einer Szene zu sehen, die nicht mit Aufmerksamkeit verfolgt werden Fazit: offenbar haben wir im Erleben ein allgemeines Bild unserer Umgebung und der Objekte in ihr, wir haben aber weniger Details daraus verfügbar, als wir annehmen 3. Visuelle Aufmerksamkeit und neuronale Verarbeitungen Aufmerksamkeitslenkung wirkt sich deutlich auf Reizantwort des Neurons aus: Aufmerksamkeit für bevorzugten Reiz gute Reaktion Aufmerksamkeit für nicht bevorzugten Reiz geringere Reaktion Auch Antworten von Neuronen in der dorsalen visuellen Bahn werden von der Aufmerksamkeit beeinflusst Aufmerksamkeit verändert die Informationsverarbeitung auf den verschiedenen Stufen des visuellen Systems Das Bindungsproblem: Die Verknüpfung cortikaler Signale Wie werden Bewegung, Farbe, Form...so miteinander verbunden, dass wir ein einheitliches Objekt, Geschehen...statt getrennter, unabhängiger Merkmale wahrnehmen? Bindungsproblem = Wie werden getrennte Informationen zu einem perzeptuellen Ganzen verknüpft? Getrennte Orientierungssäulen kommunizieren miteinander und erreichen somit die Verknüpfung Hinweise, dass Säulen durch ein Neuronennetzwerk verbunden sind Vorschlag, wie Kopplung der Information erfolgen könnte: Objekte werden im visuellen System durch Neuronengruppen repräsentiert Diese Neuronen-Ensembles werden gemeinsam aktiviert Feuern der Neuronen erzeugt dabei oszillatorische Antworten untereinander synchronisieren Synchronizität der Reizantworten = „Leim“ für neuronale Antworten ganzes Objekt vorhanden Synchronizität tritt zwischen unterschiedlichen Feldern der visuellen Verarbeitung auf Striär/ extrastriär Zwischen verschiedenen rezeptiven Feldern