Du bist wie eine Blume

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Федеральное агентство по образованию Российской Федерации
Государственное образовательное учреждение
высшего профессионального образования
«РОСТОВСКИЙ ГОСУДАРСТВЕННЫЙ УНИВЕРСИТЕТ»
Факультет филологии и журналистики
Кафедра романо-германской филологии
Методические указания
для чтения и анализа художественных произведений
современных немецкоязычных авторов по теме
«Женщины в современном обществе»
для студентов 4 курса отделения немецкого языка
факультета филологии и журналистики
(специальность – романо-германская филология)
(часть 2)
Ростов-на-Дону
2006 г.
Методические указания обсуждены и утверждены на заседании кафедры
романо-германской филологии факультета филологии и журналистики
Ростовского государственного университета
Протокол № 7 от 27 апреля 2006 г.
Составители: доц. Шапошникова Н.М., магистрант Глушко О.Б.
Компьютерный набор и вёрстка авторов
Ответственный редактор: проф. Норанович А.И.
Настоящие методические указания предназначены для студентов 4 курса
романо-германского отделения, отвечают основным целям обучения немецкому
языку, составлены в соответствии с программой по практике устной и
письменной речи для высшей школы.
Данные
методические
указания
направлены
на
развитие
и
совершенствование профессиональных навыков – анализа и пересказа текста с
элементами стилистического анализа. Они являются продолжением работы по
теме (см. часть 1). В данных методических указаниях помещены отрывки из
романа Марии Луизы Фишер «Elbchaussee», в котором в центре внимания
находится молодая успешная женщина и отрывки из коротких рассказов Тины
Юбель «Frau Schrödinger bewältigt die Welt».
В методических указаниях содержится небольшая информация о биографии
писательниц, задания и вопросы к анализируемым отрывкам из выше указанных
произведений. Работа над данными фрагментами позволит развить навыки устной
речи на базе различных форм и видов работы: чтения, перевода, составления
диалогов, подготовки инсценирования нескольких мест из романов и углубить
практические навыки владения современным немецким языком.
В заключении даётся «Приложение», иллюстрирующее пример проведения
внеаудиторного мероприятия.
Методические указания могут быть использованы как для аудиторной, так и
самостоятельной работы студентов.
Marie Louise Fischer
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Marie Louise Fischer, 1922 in Düsseldorf geboren, studierte nach dem Abitur
Theaterwissenschaften, Philologie, Psychologie und Kunstgeschichte. 1951 schrieb sie
ihr erstes Buch, dem viele andere folgten. Mit ihren großen Romanen hat sie Millionen
Leserinnen und Leser in aller Welt begeistert. Sie zählt zu den erfolgreichsten deutschen
Schriftstellerinnen.
Marie Louise Fischer. „Elbchaussee“
(Roman)
*Claudia Wolff-Kröger ist erst dreißig, aber glückliche Umstände haben ihr fast schon alle
Wünsche erfüllt: Sie hat Karriere gemacht, einen fürsorglichen, wohlhabenden Ehemann und Zutritt
zu den besten Kreisen Hamburgs. Sie hat ihr Leben zwischen der Villa in Blankenese und ihren
Aufgaben als Cheftexterin eines großen Versandhauses genauso gut im Griff wie ihre Gefühle: Denn
ihre Liebe gilt ihrem Mann, einem bedeutenden Kinderarzt, und Imogen, der neunjährigen Tochter aus
erster Ehe. Doch ist Claudia wirklich glücklich?
«…»
Das große alte Gebäude der Firma Cosmos stand nahe dem Nobistor, einem
ehemaligen Kontorhaus. Häufige Renovierungen hatten ihm nichts von einer gewissen
Düsternis, aber auch Würde nehmen können. Es gab keine Reklame an den
Außenwänden oder dem hohen Giebel. Nur eine schwarze Inschrift auf einer
Messingtafel neben der Tür verriet, dass es sich um das Versandhaus Cosmos handelte.
Ein alter Pförtner, der durch ein Fenster Aussicht auf die Straße hatte, ließ Claudia
ein, ohne dass sie erst klingeln musste.
»Tag, Frau Wolff«, begrüßte er sie freundlich.
»Tag, Herr Stielicke.«
»Wieder einmal fleißig?«
»Muss ja wohl sein.«
Es war nicht ungewöhnlich, dass Claudia Freitag nachmittags noch einmal in die
Firma kam. Wenn auch die Katalogredaktion mittags Schluss zu machen pflegte, gab es
andere Abteilungen, die weiter tätig blieben, die Packerei etwa und der Versand, der
Einkauf und die Buchhaltung. Dennoch wirkte das Innere des Gebäudes spürbar verlassener als sonst.
Claudia ging, mit einer raschen Handbewegung grüßend, an der Pförtnerloge
vorbei, um nicht vom alten Stielicke in ein zeitraubendes Gespräch über das Wetter oder
ihren Urlaub verwickelt zu werden. Mit einem alten, quietschenden und ratternden
Aufzug fuhr sie in den sechsten Stock hinauf, eilte den Gang entlang, der durch ein
einziges Fenster an einem Ende nur unzureichend beleuchtet war. Alle Türen, linker
Hand zur Abteilung Einkauf, hinter der sich ein sehr großer verwinkelter Raum mit den
Apparaten für Telex und Telefax verbarg, wie auch die nebeneinanderliegenden Büros
von Personalabteilung, Chefsekretariat und Sekretariat, Buchhaltung und Direktion
rechter Hand waren geschlossen. Ganz hinten links die Tür führte in ihr Reich, die
Textredaktion. Sie wirkte jetzt, da Claudia sie allein betrat, angenehm groß. Das
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Zimmer hatte eine hohe Decke und schmale Fenster, durch die das helle Licht des
Sommertages, durch die verschmutzten Scheiben gefiltert, in Streifen einfiel.
An gewöhnlichen Tagen herrschte hier drangvolle Enge. Claudia teilte sich den
Raum mit Mitarbeitern beziehungsweise Mitarbeiterinnen, die ihr unterstellt waren. Ihr
Schreibtisch stand auf einem kleinen Podest, so dass sie alles, was geschah, ständig
übersehen und kontrollieren konnte. Claudia hätte liebend gern ein eigenes Büro gehabt,
und die anderen wünschten sich wenigstens eine Unterteilung durch halbhohe
Trennwände oder Blumenkübel. Aber die Herren von der Chefetage hatten es anders
bestimmt. Sie bestanden darauf, dass nur in dieser Anordnung eine effiziente
redaktionelle Arbeit möglich sei.
Tatsächlich wurden Claudia und ihr Stab in der Firma als »die glücklichen Sieben«
bezeichnet, und sie war stolz darauf, dass dies nur ihrer freundlichen und bestimmten
Art der Menschenführung zu verdanken war. Sie achtete darauf, dass jeder Mitarbeiter
die Aufgaben bekam, die ihm am meisten lagen, verstand es, Intrigen im Keim zu
ersticken, und war immer bereit, auf einen Scherz einzugehen, wenn er nicht gerade das
Arbeitsklima störte. So kam es, dass alle sich wohl fühlten und in dem nüchtern
eingerichteten Raum oft genug Gelächter ausbrach.
Obwohl sie an alle nur möglichen Stellen der Wände bunte Poster geklebt hatten,
wirkte das große Zimmer kahl und unfreundlich. Der Fußboden war mit dunklem, seit
undenklichen Zeiten zerschrammtem Holz belegt, und von der Decke löste sich der
Verputz. In einem mächtigen Regal waren die Artikel für den neuen Katalog gelagert.
Insgesamt sieben graue Stahlschreibtische standen in dem Raum Claudias war ein
wenig imposanter als die anderen - und ein breiter, geschlossener Schrank, in dem
Kataloge aufbewahrt wurden, die der eigenen Firma wie auch der Konkurrenz. Nur
Claudia hatte einen Computer mit Drucker zur Verfügung, die beiden Herren im Team
und Liselotte Klein arbeiteten an Computern ohne Zubehör, die anderen benutzten
Schreibmaschinen. Es wurde zwar immer wieder von der Firmenleitung versprochen,
die ganze Belegschaft der Redaktion mit Computern und Druckern auszustatten, aber
dazu würde es wohl nie kommen, und Claudia war es ganz recht so. Sie wusste, dass die
älteren Frauen vor der Einführung der neuen Technik zitterten und die eine oder andere,
wenn es dazu käme, wohl gar das Handtuch werfen würde. Aber gerade sie waren gute
und einfallsreiche Texterinnen, auf die Claudia nicht verzichten wollte, einmal ganz
davon abgesehen, dass eine neue Stellung für sie wohl nur schwer zu finden sein würde.
Claudia durchquerte den Raum, stieß die Tür zur anschließenden Grafikabteilung
auf, ging weiter und lugte in die Fotografie hinein; wie sie nicht anders erwartet hatte,
lagen sie verlassen. Sowohl die Grafiker als die Fotografen hatten keine eigene
Verbindung zum Gang, sondern mussten, wenn sie hinaus wollten, die Textredaktion
durchqueren. Das förderte zwar die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen
Abteilungen, brachte aber auch sehr viel Unruhe mit sich.
Erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie tatsächlich allein war, streifte sie
die Pumps ab. Ihre Füße schmerzten. Es war wohl doch keine so gute Idee gewesen,
beim raschen Ankleiden in Ralf Hayds Wohnung auf Strümpfe und Straps zu verzichten
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und sie statt dessen in die Handtasche zu stopfen. Zum Glück hatte sie keine Blasen
bekommen, sondern nur rote Druckstellen.
Claudia legte ihre Handtasche in das dafür bestimmte Seitenfach ihres
Schreibtisches. Obwohl das alte Gemäuer die größte Hitze abhielt, zog sie die Jacke aus
und hängte sie über die Stuhllehne, was sie sich in der normalen Bürozeit nie erlaubt
hätte. Das maisgelbe Kleid, das sie trug, gab ihre schönen braunen Arme frei, war leicht
tailliert, lang genug, die Knie gut zu bedecken, sie aber bei Bewegungen durch einen
kurzen Schlitz seitlich am Rock freizugeben. Claudia besaß einige dieser
Kombinationen, Kleid mit gleichfarbiger Jacke, die zwar nicht gerade modisch, aber
zeitlos bequem waren. Da sie keinen Büstenhalter trug, ihn nicht zu tragen brauchte,
bestand auch nie die Gefahr, dass ein Träger sichtbar wurde oder gar über die Schulter
hinabrutschen konnte.
Kurz massierte sie ihre schmalen kräftigen Füße mit den rot lackierten Zehen.
Barfuss trat sie an das riesige Regal, in dessen Fächern die neuen Artikel ausgestellt
waren, so dass sich alle ihrer bedienen konnten. Jedem Artikel war ein Produktblatt
beigefügt mit Code, Preis und den wichtigsten Angaben. Bei einigen steckten auch
schon die sogenannten »Mäppchen«, braune Umschläge, in die Texte oder Fotos
geschoben worden waren, Zeichen dafür, dass die Produktion des Katalogs begonnen
hatte.
Claudia kümmerte sich nicht darum, sowenig wie um die abgegriffenen Mäppchen,
die Fotos, Texte und Grafiken von alten Artikeln enthielten, die wieder in den
Weihnachtskatalog hineingenommen werden sollten. Heute prüfte sie nur die
Warenpalette - es gab fast nichts, was es nicht gab, angefangen von billigen
Plastikweihnachtsbäumchen fürs Auto über Küchengeräte, Pantoffeln, Winterstiefel und
Anoraks bis zu echten Pelzen - und studierte die beigefügten Formblätter, zuweilen sehr
angetan, manchmal aber auch kopfschüttelnd. Sie musste sich zumindest einen
allgemeinen Überblick verschaffen.
Danach wischte sie sich die Füße - sie schmerzten immer noch mit einem
Papiertaschentuch ab, schlüpfte in ihre Pumps und nahm ihre Handtasche. Dann zog sie
ihre Jacke über und verließ den Raum.
Knatternd und quietschend kam der alte Aufzug zur Chefetage hinauf; er hielt mit
dem üblichen harten Ruck im sechsten Stock. Claudia wartete darauf, dass die Türen
sich öffnen würden, als sie von hinten angesprochen wurde.
»Hallo, schöne Frau!« begrüßte sie Georg Hacker, der Chefeinkäufer von Cosmos.
Sie fuhr herum.
Lächelnd stand er vor ihr in einem eleganten, hellen Leinenanzug mit Krawatte als einzigen Tribut an die Hitze hatte er den oberen Kragenknopf geöffnet - und lüftete
seinen Panamahut.
Claudia, in Gedanken versunken, war weder auf diese noch eine andere Begegnung
gefasst gewesen und starrte ihn erst einmal sprachlos an. Er war ein schwerer Mann
Mitte vierzig mit ausgeprägten Gesichtszügen, vollen Lippen, fleischiger Nase und
kleinen, sehr lebendig funkelnden schwarzen Augen; sein dunkles Haar begann schütter
zu werden.
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Claudia gewann ihre Fassung zurück und lächelte ihn an. »Einen schönen guten
Tag, Herr Hacker!«
Er trat mit einer chevaleresken Bewegung zurück, um sie als erste einsteigen zu
lassen. »Es ist mir, wie immer, eine besondere Freude, Sie zu sehen, Frau WolffKröger.«
»Das Vergnügen«, behauptete Claudia, »liegt ganz auf meiner Seite.«
Die Türen schlossen sich hinter ihnen, und der Aufzug rumpelte in die Tiefe.
Die Kabine war geräumig, Claudia stellte sich so weit entfernt von Georg Hacker
hin, wie es die Höflichkeit gerade noch erlaubte. Er drängte sich nicht an sie heran,
dennoch fühlte sie sich durch seine Gegenwart beengt. Der scharfe Geruch, den er
ausströmte, ein Gemisch aus warmem Schweiß und einem allzu reichlich benutzten
Herrenparfum, setzte ihr zu.
»Ich brauche nicht zu fragen, wie es Ihnen geht, verehrte Frau Wolff-Kröger«,
sagte er schmeichelnd, »man sieht es Ihnen an. Es könnte nicht besser sein.« Seine
glitzernden Augen musterten sie - unverschämt, wie es ihr schien - und saugten sich an
ihren nackten Beinen fest.
Claudia war froh, dass sie nicht dazu neigte, rot zu werden; sie setzte eine
gelassene Miene auf und bemerkte so unpersönlich wie nur möglich: »Ich war in
Urlaub.«
»Ich weiß, ich weiß. Man hat Sie im Haus vermisst.«
»Nett, das zu hören«, erwiderte Claudia lächelnd und dachte bei sich: >Du alter
Heuchler wärst mich doch am liebsten für immer los !<
Sie hatte nichts gegen Georg Hacker persönlich, jedenfalls versuchte sie sich das
einzureden. Er war ein mächtiger Mann in der Firma, und niemand konnte wagen, es
sich mit ihm zu verscherzen. Aber seit eh und je hatte es zwischen ihm und Claudia
gewisse Spannungen gegeben. Sie wagte zwar nicht, offen Kritik an der Auswahl der
Waren zu üben, die er für das Versandhaus erstand, aber sie war auch nicht falsch
genug, Begeisterung zu heucheln, wenn sie ihr nicht gefielen. Besonders die billigen
Importe aus dem Fernen Osten waren ihr ein Greuel, die sie dann im Katalog
hochpreisen musste, obwohl sie wusste, dass das meiste den Kunden schon nach dem
ersten Gebrauch zwischen den Fingern zerfallen würde.
»Wann nehmen Sie Ihren Urlaub?« fragte sie in der Hoffnung, damit seinen Blick
umlenken zu können.
Aber es gelang ihr nicht.
»Irgendwann«, erklärte er beiläufig. »Sie wissen ja, wir Junggesellen müssen
immer zurückstehen.«
Claudia fand es zwar lächerlich, dass er sich als Junggeselle bezeichnete - er war
erst seit wenigen Jahren geschieden - , dennoch sagte sie teilnahmsvoll: »Sie Ärmster!«
Plötzlich hob er den Blick und sah ihr direkt in die Augen, und das war ihr, zu
ihrer eigenen Überraschung, noch unangenehmer, als wenn er unverfroren auf ihre
Beine starrte.
»Übrigens bin ich überrascht, Sie hier und jetzt zu sehen.« »Das kann Ihnen öfter
passieren. Ich arbeite Freitag nachmittags gerne noch eine oder zwei Stunden.«
7
»Wie emsig«, erklärte er spöttisch.
Sie zuckte die Achseln. »Der Katalog muss ja fertig werden.«
Laut krachend landete der Aufzug im Keller, und die Tür öffnete sich. Mit einer
übertriebenen Geste der Höflichkeit überließ Georg Hacker ihr den Vortritt, war aber
dann, auf dem Weg zur Tiefgarage, schon wieder an ihrer Seite.
»Wie weit sind Sie denn damit?«
»Noch ganz am Anfang.«
»Ich glaube, wir sollten uns bei einem Glas Bier darüber unterhalten. Wie wär's?«
»Bei der Hitze trinke ich prinzipiell kein Bier.«
Er lachte, um zu beweisen, dass er sich nicht kränken ließ.
»Dann also - bei einem Glas Tee mit Rum?«
Claudia blieb stehen. »Ein andermal gerne, Herr Hacker, aber heute habe ich es
eilig. Ich muss meine Tochter abholen. Sie wartet schon auf mich.« Sie reichte ihm die
Hand.
Er hielt sie länger fest, als es angebracht war. »Nächste Woche?«
»Ich fürchte, dann ergibt sich die gleiche Situation«, sagte sie und blickte ihm
lächelnd in die Augen.
»Ich gebe die Hoffnung nicht auf.«
»Wer könnte Ihnen das verbieten?«
Jetzt, endlich, gab er ihre Hand frei. »Dann bis Montag, Frau Wolff-Kröger!« Er
drückte sich seinen Panamahut auf den Kopf.
»Auf Wiedersehen, Herr Hacker!«
Sie trennten sich, und jeder ging zu seinem Auto.
Claudia ärgerte sich über sich selber. Sie hatte wirklich keine Zeit gehabt, sich mit
Georg Hacker zusammenzusetzen. Aber sie hätte sich liebenswürdiger aus der Affäre
ziehen können. Aus ihrem Benehmen musste er den Schluss ziehen, dass sie ihm
absichtlich auswich. Dabei wäre ein Gespräch mit ihm für sie mindestens so nützlich
gewesen wie für ihn. Doch seine unverschämte Art ärgerte sie unsäglich. Claudia hielt
sich viel zugute auf ihre Selbstbeherrschung. Aber mit ihm allein war sie oft nahe daran,
die Fassung zu verlieren.
Schon dass er sie, mit leicht süffisanter Betonung, wie ihr schien, Wolff-Kröger
nannte, irritierte sie. Nach ihrer ersten, so kläglich gescheiterten Ehe hatte sie ihren
Mädchennamen wiederangenommen und hatte ihn, als sie Knut Kröger heiratete, nicht
noch einmal aufgeben wollen. Freunde hatten Bedenken gehabt, auch Knut war es nicht
ganz recht gewesen, aber die angemeldeten Schwierigkeiten waren ausgeblieben, im
Betrieb war sie Frau Wolff geblieben, im gesellschaftlichen Leben Frau Kröger
geworden. Georg Hacker war der einzige, der beharrlich ihren Doppelnamen anwandte.
Claudia wusste selber nicht, warum sie das so aufbrachte. Vielleicht meinte er es ja
gar nicht spöttisch, vielleicht wollte er ja damit nur seiner Achtung ihr gegenüber
Ausdruck geben. Wie dem auch war, sie nahm sich vor, in Zukunft freundlicher,
zumindest aber gelassener zu sein. Zum Glück hatte er ja auch nur selten Gelegenheit,
sie so zu überrumpeln wie heute.
8
Die Tiefgarage unter dem alten Kontorhaus war nicht sehr groß. Nur leitende
Angestellte hatten hier Stellplätze. Alle anderen mussten mit der S-Bahn von und zum
Nobistor fahren. Gerade deshalb hatte Claudia Freude an ihrem Privileg und nutzte es
weidlich aus.
Sie war gerade dabei, ihr kleines gelbes Cabriolet aufzuschließen, als sie einen
anderen Wagen hinter sich vorbeifahren hörte. Sie drehte sich um und erkannte Hackers
silbergraue Limousine.
Er kurbelte das Seitenfenster herunter und rief ihr zu: »Schönes Wochenende, Frau
Wolff-Kröger!«
Glücklicherweise war er also nicht beleidigt.
Claudia winkte ihm zu. »Ihnen auch, Herr Hacker!«
Sie stieg ein, warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett und stellte fest, dass
sie nicht mehr ganz in der Zeit war. Das passte ihr nicht, war aber kein Grund, nervös
zu werden. Imogen war nach der Ballettschule bei Claudias Schwester, Sandra
Hagedorn, in bester Obhut.
Imogen saß mit ihrer Cousine Kersten auf dem Küchenbalkon bei Hagedorns. Die
beiden Mädchen spielten mit großem Eifer »Sechsundsechzig«. Imogen war dünn, hatte
hellblaue Augen und langes blondes Haar. Die gleichaltrige Kersten wirkte neben ihr
pummelig. Sie hatte ein rundes Gesicht, Grübchen in den vollen Wangen, braune Augen
und einen braunen Wuschelkopf. Die Karten, die sie auf den wackligen Gartentisch
klopften, waren reichlich abgedroschen.
Sandra Hagedorn, die in der offenen Küche hantierte, kümmerte sich nicht weiter
um die Kinder. Sie war zufrieden, dass sie sich selbst beschäftigten.
»Ich melde vierzig!« rief Imogen triumphierend und legte die offenen Karten auf
den Stapel. »Buch zu! Gewonnen!«
»So ein Schiet!« rief Kersten. Leise fügte sie hinzu: »Jetzt schulde ich dir schon
acht Mark.« Sie begann die Karten erneut zu mischen.
»Mach dir nichts draus«, sagte Imogen tröstend, »ich werde sie dir stunden.«
»Nein, ich hol's mir zurück! Revanche!«
»Tut mir leid. Ich muss jetzt aufhören.«
»Das könnte dir so passen!«
»Nimm Vernunft an, Kersten! Meine Mutter kann jeden Augenblick kommen.«
Kersten wurde einen Moment nachdenklich; sie wusste so gut wie Imogen, dass
deren Mutter ihr Kartenspielen streng verboten hatte. Ihre eigene Mutter hielt es für eine
harmlose Unterhaltung, ahnte allerdings nicht, dass die beiden Mädchen versuchten,
sich gegenseitig das Taschengeld abzuluchsen.
»Wir können sofort aufhören, wenn sie erst da ist!« schlug sie vor. Tatsächlich
hatten die beiden Übung darin, die Karten blitzschnell verschwinden zu lassen.
Trotzdem widersprach Imogen. »Nein. Das ist mir zu riskant.«
»Du bist gemein!« schrie Kersten.
Sandra Hagedorn erschien in der offenen Küchentür. »Was gibt's denn, ihr
beiden?«
9
»Immy will schon aufhören!« beklagte sich Kersten.
»Claudia holt mich gleich ab«, sagte Imogen.
»Aber sie bleibt doch bestimmt ein Weilchen.«
»Heute nicht. Wir bekommen Besuch.«
Sandra Hagedorns Gesicht verdüsterte sich. »Besuch?« wiederholte sie betroffen.
Imogen begriff, dass sie das nicht hätte sagen sollen. Tante Sandra kränkte es, weil
sie und ihr Mann, Onkel Albert, nicht mit eingeladen waren. Rasch versuchte Imogen
ihren Fehler wiedergutzumachen. »Nur Onkel Jens und Tante Sylvia und noch so ein
langweiliges Ehepaar«, versicherte sie.
Sandra hatte sich wieder gefasst. »Dann ist es wohl besser, wenn ihr die Karten
jetzt wegräumt«, sagte sie.
Kersten stiegen Tränen in die Augen. »Ach Mutti«, wollte sie anfangen zu betteln.
Da klingelte es auch schon an der Wohnungstür.»Siehst du!« rief Imogen. »Habe
ich dir doch gesagt!«
»Noch ein ganz, ganz kleines Spielchen!« drängte Kersten. »Die beiden quatschen
bestimmt erst.«
Imogen ließ sich überreden. »Von mir aus. Aber äußerste Vorsicht, ja?«
»Caution!« bestätigte Kersten, die von ihrem großen Bruder ein paar englische
Ausdrücke aufgeschnappt hatte. »Versteht sich. Ich habe die Küche im Auge.« Sie
mischte die Karten und verteilte erneut. «…»
Fragen und Aufgaben
1. Machen Sie eine schriftliche Übersetzung irgendeines Auszuges.
2. Charakterisieren Sie die Frauengestalten des ganzen Auszuges, besonders
die Hauptgestalt (Frau Wolff-Kröger), ihre Beziehung zu den anderen
Personen, ihre Lebensposition u.a. (im Plenum).
3. Kommentieren Sie den Auszug, indem Sie die Wirkung der Erzählung, die
stilistischen Mittel und das Ziel der Autorin betrachten. Machen Sie eine
stilistische Analyse.
4. Geben Sie den Inhalt der Erzählung in der Ich-Form wieder.
5. Definieren Sie die folgenden Begriffe: die Inschrift, das Versandhaus, ein
zeitraubendes Gespräch, eine drangvolle Enge, die Menschenführung, ein
zerschrammtes Holz, die Warenpalette, die Fassung zurück gewinnen, eine
chevalereske Bewegung, der Junggeselle, emsig, spöttisch, unsäglich, eine
leicht süffisante Betonung, das Armaturenbrett, pummelig wirken,
hantieren, aufschnappen.
Tina Uebel
Geb.1969 in Hamburg, lebt und arbeitet in Hamburg.
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Stationen u.a.: Verlegerin. Journalistin. Grafik-Designerin. 1993 Gründung des NoBudget-Verlages „Edition 406“.
Arbeitsgebiete: Gedicht, Erzählung, Roman.
Seit 2000 Mitglied der "Macht-Autoren".
Veröffentlichungen (Auswahl): Frau Schrödinger bewältigt die Welt (2002, Knaur). Ich
bin Duke (2002, BTV). Horror Vacui, Roman (2005, Kiepenheuer & Witsch).
Tina Uebel „Frau Schrödinger bewältigt die Welt.
Kurze Geschichten“
FRAU SCHRÖDINGER SUCHT ZERSTREUUNG
Frau Schrödinger, die sich - trotz einer gewissen allgemeinen Verwirrung, die sie
dem Leben gegenüber fühlte, und ungeachtet verschiedenster Lieblingssorgen, die sie
sich immer mal wieder hingebungsvoll machte - als ein grundlegend heiteres Gemüt zu
betrachten pflegte, sah die Suche nach angemessener Zerstreuung als eine ebenso
ehrenhafte wie sinnstiftende Angelegenheit an, derer sie sich gern und ausgiebig widmete. Ereignislose Perioden ihres Lebens erachtete Frau Schrödinger als unschön, und
es befriedigte sie stets aufs außerordentlichste, fand sie eine Beschäftigung, die ihr
zuvor noch nicht untergekommen war.
Wenngleich sportliche Betätigungen ihr von Geburt an wesensfremd waren;
Handarbeiten und langwierige Lernprozesse an Frau Schrödingers größter Untugend,
der Ungeduld, scheiterten; sie Vereine, Männer und ehrliche Arbeit als leicht
beklemmend empfand; ihre musikalischen Ambitionen gottlob bereits in zartem Alter
mit dem Austritt aus ihrer Blockflötengruppe begraben worden waren (zeitgleich mit
der unerfreulichen Episode des Ballettunterrichts, in dem sich Frau Schrödinger als
Tanzmaus nicht qualifizieren konnte); und sie eine generelle Abneigung gegen
modische Aktivitäten hegte, die Anglizismen wie -clubbing oder -climbing im Namen
führen (und bei denen sie, wie Frau Schrödinger fand, eher komisch anmutete) - so fand
sie doch trotz allem noch ausreichend Dinge, die sie erfreuten und auf Trab hielten.
Frau Schrödinger wusste die stillen und schönen Momente des Lebens zu schätzen
- das schmeichelnde Geräusch, das Dackel und andere kurzbeinige Hunde auf Linoleum
machen, der Anblick majestätischer Frachtschiffe auf majestätischen Flüssen, der
Geruch von Basilikum, das Gefühl von Geld auf der Haut sowie die Wirkung von
Alkohol - und die eher spektakulären Augenblicke wie Erfolge, Exzesse und Fernreisen
- zu genießen. Im Laufe der Jahre hatte Frau Schrödinger eine beachtliche Findigkeit im
Aufspüren mehr oder weniger abwegiger Aktivitäten entwickelt, und so war ihr, wie sie
zufrieden behauptete, selten langweilig; und wenn, so Frau Schrödinger, ihr eines Tages
nichts mehr einfallen sollte, dann könne sie ja immer noch etwas Vernünftiges machen,
was sie schließlich auch noch nie getan hatte, und was insofern vielleicht durchaus ganz
amüsant sein könnte.
FRAU SCHRÖDINGER OHNE KATZE
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Frau Schrödinger, die ihren Namen aus keinem anderen Grunde trug, als dass ihr
Vater schon so geheißen hatte und dessen Vater und dass ihre Mutter so einsichtig
gewesen war, darauf zu verzichten, nach ihrer Hochzeit auf dem Namen SchrödingerWieselhütter zu bestehen (was ihre Tochter mit tiefer Dankbarkeit erfüllte, allein schon
deshalb, weil sie sich durch einen derartigen Doppelnamen eventuell genötigt gefühlt
hätte, ein politisches Amt zu ergreifen), wurde recht häufig von neuen Bekanntschaften
- sofern diese der intellektuelleren Szene zuzurechnen waren - auf ihre Katze
angesprochen (man beachte »Jenseits von Frau Schrödinger« am Ende dieses Buchs).
Natürlich hatte Frau Schrödinger keine Katze, hatte auch nie eine besessen und
wäre auch kaum auf die Idee gekommen, sich je eine anzuschaffen, teils, weil es ihr der
Zeit ermangelte, sich gewissenhaft einem Haustier zu widmen, teils, weil sie unter einer
heftigen Katzenallergie zu leiden hatte. Nichtsdestotrotz wurde sie regelmäßig von
Leuten, denen sie sich vorstellte, mit immer neuen, originellen Bemerkungen über ihre
Katze bedacht.
Dies hatte zur Folge, dass Frau Schrödinger tatsächlich mit dem Gedanken zu
spielen begann, sich eine Katze zuzulegen, was sie sicherlich mit einiger Genugtuung
erfüllt hätte. Andererseits widerstrebte es ihr, auch wenn sie sich nicht unbedingt als
ausgesprochene Tiernärrin bezeichnete, eine wehrlose Kreatur einfach so in einen
kleinen Kasten zu sperren. Auch wenn es wohl höchst originell wäre, konnte man das
doch einfach nicht als artgerechte Haltung bezeichnen.
FRAU SCHRÖDINGER FRÜHSTÜCKT NICHT
Eines Morgens erhob sich Frau Schrödinger erst recht spät und in ziemlich
schlechter Verfassung. Mit Mühe begab sie sich, lauthals auf ewig dem Alkohol
abschwörend, in die Küche, wo sich schon einige andere junge Menschen eingefunden
hatten, die teils mit Frau Schrödinger die Wohnung teilten, teils nicht, und die teils
ebenfalls in ziemlich schlechter Verfassung waren. Frau Schrödinger gesellte sich dazu,
zündete sich ihre erste Schachtel Zigaretten an, und alsbald entspann sich ein lebhaftes
Gespräch über verschiedenste Operationen - vorzugsweise solche, die nur unter lokaler
Betäubung durchgeführt werden, so dass man sich auch als Betroffener, wenngleich
eher passiv Teilnehmender ein unmittelbares Bild von der Sache machen kann. Einer
der Anwesenden hatte erst neulich mehrere langwierige Knieoperationen hinter sich gebracht, und auch Frau Schrödinger konnte durchaus mithalten, immerhin war bei einer
ihrer ambulanten Operationen sogar die Sprechstundenhilfe bewusstlos geworden. Zum
Schluss gab eine junge Frau noch eine farbenfrohe Schilderung der Sterilisation ihres
Ex-Freundes zum besten, der beizuwohnen sie das Vergnügen gehabt hatte, und die so
schmerzlos wohl doch nicht gewesen war.
Später ergab es sich, dass eigentlich keiner aus der Runde so rechten
Frühstückshunger verspürte, was auch sehr günstig war, da sich schon seit Tagen nichts
Essbares mehr im Hause befand, und auch der Kaffee war am Vortage ausgegangen, so
dass man sich damit begnügen musste, einen Nieren-und-Blasen-Tee aufzubrühen, den
eine vormalige Hausgenossin Frau Schrödingers bei ihrem Auszug zurückgelassen
hatte.
12
FRAU SCHRODINGER MIT KATZE
Eines Tages, auf einer kleinen Feier, die bei ihr gegeben wurde, bekam Frau
Schrödinger tatsächlich von Herrn O., einem guten Freund, eine Katze geschenkt, eine
Tat, die nicht ganz so selbstlos war, wie sie scheinen mochte, da des Freundes eigene
Katze - ein etwas schäbiges Tier, das auf den Namen Karstadt hörte und seinem
Besitzer allenfalls reservierte Missbilligung entgegenbrachte - vor kurzem mit neun
etwas schäbigen Jungen niedergekommen war, was ebenjenen Herrn zunächst etwas in
Bedrängnis brachte. Das erste der Kleinen wurde allerdings, kaum dass es die ersten
tapsigen Schritte in die Welt getan hatte, von einem spätnachts trunken nach Hause
kommenden Mitbewohner Herrn O.s versehentlich zertreten, und die übrigen
Geschwister konnte Herr O. gewinnbringend für 50,- DM das Stück an den
Pharmakonzern verkaufen, bei dem er vorletzte Semesterferien gejobbt hatte. Bis auf
die eine, die er nun mit einem gewitzten Lächeln Frau Schrödinger überreichte, ein
hintergründiger kleiner Scherz, der von denen, die die Anspielung verstanden, mit
wohlwollendem Gelächter quittiert wurde, und von denen, die es nicht begriffen,
natürlich erst recht.
Frau Schrödinger, nur mäßig erheitert, fügte sich dem Unvermeidlichen und tat,
was von ihr erwartet wurde, packte die Katze in einen Kasten, genauer gesagt, in einen
leeren Birkenstock-Schuhkarton, und stellte ihn in ihr Bücherregal. Nach etwa fünf
Tagen machte sich jedoch in ihrem Zimmer ein eigentümlicher Geruch bemerkbar, der
nach weiteren drei Tagen so aufdringlich wurde, dass Frau Schrödinger nach Einbruch
der Dunkelheit kurzerhand Kasten samt Inhalt vom Balkon warf.
Ihr schien, als wäre damit irgendwas bewiesen, aber was, war ihr auch nicht so
ganz klar.
FRAU SCHRÖDINGER STEHT ZWISCHEN ZWEI MÄNNERN
Frau Schrödinger stand zwischen zwei Männern. Das war ihr auch früher schon
passiert, aber dieses Mal war es gottlob nur in der S-Bahn, zwischen Sülldorf und
Iserbrook, und die beiden sahen noch nicht einmal besonders gut aus.
FRAU SCHRÖDINGER RETTET DIE WELT NICHT
Eines Tages befand Frau Schrödinger, dass es höchste Zeit sei, die Welt, mit der
ihrer Meinung nach einiges im argen lag, zu retten. Sie hatte das eigentlich schon länger
vorgehabt, aber bisher war ihr immer etwas dazwischengekommen. Nun aber gab es
keinen Aufschub mehr, es galt, die Dinge in Angriff zu nehmen. Anfangen würde sie,
so beschloss Frau Schrödinger, mit einer Mahnwache vor einem Asylantenheim, das,
wie man in der lokalen politischen Subkultur wusste, am nächsten Samstage von einer
marodierenden Bande Unholde dem Erdboden gleichgemacht werden sollte - ein
Vorhaben, das Frau Schrödinger zutiefst missbilligte. Also erhob sie sich, als der Tag
gekommen war, zu früher Stunde, ein Opfer, das sie im Dienste der Sache gern
erbrachte, und zog aus, die Welt zu retten. Außer ihr, so konnte sie gerührt feststellen,
hatten sich schon Heerscharen anderer mahnender Wächter und wachender Mahner
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eingefunden, vielerlei verschiedenste Gruppierungen junger und älterer Menschen, die
sich, gleich Frau Schrödinger, die Rettung der Welt zum Ziele gesetzt hatten. Frau
Schrödinger war hoch erfreut und zutiefst erleichtert, hatte sie doch bisweilen
befürchtet, dieser Aufgabe ganz allein vielleicht nicht gewachsen zu sein. So gesellte sie
sich frohen Herzens dazu. Als aber nach drei Stunden noch keine Anzeichen des
nahenden Feindes zu erkennen waren, breitete sich in der Versammlung eine gewisse
Unruhe aus, und nach einer weiteren Stunde fing eine Grün-Ökologische Gruppierung
an, sich lauthals über die Trotzkisten zu mokieren, deren mitgeführte Sperrholzschilder
diverse Slogans trugen, die so offensichtlich nicht konsensfähig waren. Die Trotzkisten
reagierten spontan, indem sie die inkriminierten Schilder den Marxisten über die Köpfe
hauten, was die Marxisten wiederum veranlasste, auf die Leninisten einzudreschen, die
ihrerseits dazu übergingen, endlich ihre strategischen Differenzen mit den Jusos zu
klären, indem sie ihnen gehörig aufs Maul gaben. Die Maoisten schlugen sich mit den
Taoisten, die Spartakisten mit den Anarchisten, und die Stalinisten trampelten auf der
Autonomen Krabbelgruppe herum, die sich dafür rächte, indem sie jeden wahllos in die
Waden biss.
Frau Schrödinger betrachtete die Szenerie mit Erstaunen. Dann entschied sie, auf
dieser Welt sei nichts mehr zu retten und sie würde sich statt dessen ernsthaft der
Trunksucht ergeben (das war auch etwas, was sie schon länger vorgehabt hatte), und
dann musste sie noch ziemlich lange suchen, bis sie eine Kneipe fand, die um diese
Tagezeit schon geöffnet hatte.
FRAU SCHRÖDINGER BESTATTET AUF SEE
Frau Schrödinger, die darauf bedacht war, sich nur selten Sentimentalitäten zu
gestatten, hegte kein besonders inniges Verhältnis zu leiblicher Verwandtschaft.
Nichtsdestotrotz besaß sie eine. Darunter auch, wie gemeinhin üblich, zwei Großmütter,
von denen eine sich bester Gesundheit und fortgeschrittener geistiger Senilität erfreute
und die andere vor vier Monaten gestorben war. Dieses Ereignis hatte Frau Schrödinger
nicht in besonders tiefe emotionale Krisen gestürzt, war besagte Großmutter doch schon
hochbetagt gewesen und hatte Frau Schrödinger zeitlebens nicht überaus nahe
gestanden (weit härter hatte es sie getroffen, im großmütterlichen Testament keine
Erwähnung zu finden). Streng genommen besäße Frau Schrödinger nunmehr also nur
noch eine Großmutter, wenn, ja, wenn nicht die Verblichene immer noch auf ihre
Beisetzung gewartet hätte. Das mag sich ekelhafter anhören, als es tatsächlich war, denn
Großmutter hatte verfügt, nach ihrem Tode erst eingeäschert und dann auf See versenkt
zu werden. Teil 1, die Einäscherung, war bereits plangemäß vonstatten gegangen; und
die letzten Monate hatte Frau Schrödingers Großmutter geruchsneutral und platzsparend
in einer Urne verbracht und geduldig auf Teil 2, die letzte Ruhe, gewartet. Das
allerdings gestaltete sich weitaus schwieriger, bereits elfmal hatte man einen Termin
angesetzt und ihn ein jedes Mal wieder verwerfen müssen, sei es aus technischen
Gründen wie Hochwasser oder Sturmwarnung, oder aus persönlichen, wie
Geschäftsreisen, Grippeerkrankungen oder Friseurterminen der Schrödingerschen
Verwandtschaft. Schließlich neigte das Jahr sich dem Ende zu, und auch wenn es
14
eigentlich keinerlei Eile bedurfte, befand man bei Schrödingers, Oma müsse nun
wirklich mal versenkt werden, jedenfalls noch vor Weihnachten, Sturm hin, Termine
her, wer nicht wolle, solle halt zu Hause bleiben. So fand sich nur eine sehr reduzierte
Trauergemeinde zusammen, bestehend aus Schrödinger sen., dem Vater Frau
Schrödingers, ihr selbst, ihrer Tante und einem Herrn, dessen Verwandtschaftsgrad
ungeklärt blieb, der aber Heinz hieß. Man kam überein, Frau Schrödinger am Morgen
des Stichtages abzuholen, günstigerweise passten ja alle Beteiligten in ein Auto. Omas
letzte Station vor dem Seemannsgrab würde Büsum sein.
Frau Schrödinger, die - falls sie es nicht zum Musketier bringen sollte - von
Kindesbeinen an hatte Pirat werden wollen, rühmte sich eigentlich einer
bemerkenswerten Seefestigkeit. Als sie sich jedoch am besagten Morgen nach 1 3/4
Stunden sehr mittelmäßigen Schlafes und vorausgegangenem ungeheuerlichen
Saufgelage mit einem ihrer Volkshochschulkurse erhob, wurde sie schon beim Betreten
des Badezimmers seekrank. In größter Hast - Schrödinger sen., vor ihrer Türe mit
laufendem Motor wartend, rief im Fünf-Minuten-Takt bei ihr an, um sie zur Eile zu
gemahnen - und nur bedingt bei Bewusstsein, bekleidete Frau Schrödinger sich
wärmstmöglich, nahm fünf Aspirin, fluchte lauthals auf Autotelefone, Alkohol,
Großmütter und Volkshochschulkurse, überlegte, sich zu erbrechen, verwarf es wieder,
nachdem ihr Vater sie telefonisch belehrt hatte, dazu sei keine Zeit, man würde die Tide
verpassen, zerrte minutenlang an der Wohnungstür, bevor ihr der Gedanke kam,
aufzuschließen, und erreichte schließlich mit letzter Kraft den väterlichen Wagen. Dort
wurde sie ob ihres jämmerlichen Allgemeinzustandes mit unverhohlenem Hohn und
Spott empfangen, nur ihre Tante drückte ihr mitfühlend eine große Wurstsemmel in die
zittrigen Hände. Frau Schrödinger fand das gar nicht komisch. Die nächsten zwei
Stunden verbrachte sie damit zu verdursten. Dann war man in Büsum. Frau Schrödinger
versorgte sich mit drei Flaschen Mineralwasser und einigen Erfrischungstüchern, für
alle Fälle, und ging an Bord. Auf dem Schiff, einem schmucken kleinen Seelenverkäufer mit Namen »Pythagoras« oder »Polyester« oder so, der sogar über einen
kleinen Salon verfügte - mit zwei Sitzbänken, drei Tischen, auf denen geschmackvolle
Blumengestecke in Steinguttöpfchen standen, farblich abgestimmt auf ein größeres
Gesteck in einer Bodenvase, und einem schwarzen Lappen oder Wappen mit
eingesticktem Goldkreuz an der Wand -, wurden die Schrödingers von Kapitän Hein
und seiner rechten Hand Fiete (die natürlich nicht wirklich Hein und Fiete hießen, aber
haargenau so aussahen und vor allem so redeten -Frau Schrödinger verstand nämlich
kein Wort-, und deren Nachnamen tatsächlich beide auf »-sen« endeten) aufs herzlichste
begrüßt. Frau Schrödinger entzog sich diesen gesellschaftlichen Verpflichtungen
schnellstmöglich, beschloss, sich, wenn auch nicht die letzte, so doch wenigstens eine
kleine Ruhe zu gönnen, legte sich auf eine der Bänke und war noch vor dem
Ankerlichten in einen tiefen Schlaf gesunken, der allerdings nur knapp 20 Minuten
währen sollte, dann hatte das Schiff mit seiner sechsköpfigen Besatzung Hafenbecken
und Schleusen hinter sich gelassen und die offene See erreicht. Die Temperaturen waren
eisig, die Sturmböen peitschten mit 7 bis 8 Windstärken die Gischt über das Deck, und
das kleine Boot kämpfte sich tapfer durch die, wenn auch nicht haus-, so doch immerhin
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bungalowhohen Wogen. Eine Situation, bei der Frau Schrödinger normalerweise die
Seefahrerromantik gepackt hätte. Nun aber fiel ihr erst mal der
Tischdekorationsblumenkübel ins Kreuz, was ihr das Schlafen etwas erschwerte, da er,
der Kübel, dies mit einer ziemlich penetranten Regelmäßigkeit tat, und zwar ungefähr
bei jeder siebten Welle. Frau Schrödinger stellte ihn jedes Mal im Halbschlaf wieder
zurück, das erschien ihr wesentlich weniger anstrengend, als aufzustehen und ihn über
Bord zu werfen; außerdem hätte der Kapitän dies vielleicht nicht so gerne gesehen. Im
Übrigen, so fand Frau Schrödinger, gewöhne man sich mit der Zeit an alles. Nur einmal
erwachte Frau Schrödinger richtig, als Schrödinger sen. von draußen die Kajüte betrat,
einen Schwall Wasser und einen kalten Luftzug im Gefolge. Trotz Schlaftrunkenheit arg
verwundert, was jemand auf dem Achterdeck zu suchen hätte, wo es inzwischen ob der
einsetzenden sintflutartigen Regenfälle reichlich unwirtlich geworden war, hob sie den
Kopf und fragte, was zum Teufel er da draußen getrieben habe. »Heinz festgebunden«,
konstatierte Schrödinger sen. »Ach«, sagte Frau Schrödinger, entfernte den Blumentopf
von ihrer Bauchdecke, stellte ihn wieder auf den Tisch und schlief weiter. Nach etwa
drei Stunden, man hatte gerade die Drei-Meilen-Zone hinter sich gelassen und somit das
Ziel erreicht, wurde Frau Schrödinger von Ihrer Tante, die mittlerweile in etwas
gekleidet war, das entfernt an einen Eisbären erinnerte, mit den Worten »Los, aufstehen,
du verpasst ja das Beste!« geweckt. Verwirrt umherblinzelnd, fielen Frau Schrödinger
drei Dinge ins Auge, 1. die Tatsache, dass ihr Vater sich auch dieses Jahr keine neue
Jacke gekauft hatte und somit den Mantel, den schon sein Vater damals vor Stalingrad
trug, genau 25 Jahre besaß; 2. Käpt'n Hein, der sich umgezogen hatte und jetzt in der
Uniform eines napoleonischen Konteradmirals auftrat; 3. die Abwesenheit von Heinz.
»Heinz ist weg«, merkte Frau Schrödinger weise an. Nein, der sei nur draußen, wurde
sie aufgeklärt. In der Tat, durchs Bullauge konnte man am Heck eine Gestalt erkennen,
wenn auch nur schemenhaft, da jede Minute riesige Brecher auf das Deck niedergingen.
Und stehe, die Gestalt war tatsächlich angebunden, mit einem grünen Ankertau, das ihm
um die Hüften geschlungen und am anderen Ende mittschiffs befestigt war. »Was tut er
denn da?« begehrte Frau Schrödinger, ernstlich verwundert, zu wissen. »Er kotzt«, sagte
Schrödinger sen., »und nun lasst uns endlich anfangen.«
In diesem Moment geschahen drei (wieder mal) Dinge gleichzeitig. 1. brachte Frau
Schrödinger ihren Körper in eine senkrechte Position, 2. stoppte das Schiff seine
Maschinen und verfiel von einer gleichmäßig stampfenden Bewegung in eine
erbärmlich schlingernde und 3. läutete der Admiral eine kleine Glocke und begann, eine
Rede zu halten. Peinlicherweise bildeten Punkt 1 und 2, was Frau Schrödinger betraf,
eine äußerst unheilvolle Allianz. Ihr wurde nämlich unglaublich schlecht.
Inzwischen hatte sich eine gewisse, weihevolle Atmosphäre eingestellt, Frau
Schrödingers Tante standen die Tränen in den Augen, Schrödinger sen. verkniff sich
aus unerfindlichen Gründen ein breites Grinsen, was ihm nicht besonders überzeugend
gelang, und Käpt'n Hein entquoll ein Sermon, der sich für Frau Schrödinger anhörte wie
die Zeitansage auf Portugiesisch, außer, dass des öfteren der Name »Theodor Storm«
herauszuhören war, aus welchem Grund auch immer. Aber das war Frau Schrödingers
kleinstes Problem. Wie, wie nur sollte man in einer solchen Situation unter Wahrung
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von Anstand und Pietät kotzen, und vor allem, wohin? Blitzschnell ging sie gedanklich
alle nur denkbaren Möglichkeiten durch, was aber nur zur Folge hatte, dass sie nebst
Wurstsemmel und Resten des vergangenen Abends nun auch noch ein unbändiges
Gelächter niederzuringen hatte. Eisern die Zähne zusammenbeißend konzentrierte sie
sich darauf, im Geiste sämtliche ihr bekannten Zubereitungsarten für Kartoffeln zu
memorieren, und kotzte nicht.
Endlich bedeutete der Käpt'n den versammelten Schrödingers, an Deck zu gehen.
Er selbst folgte ihnen stehenden Fußes, und er brachte, zum Erstaunen aller, die
Bodenvase mit, die, wie ziemlich schnell klar wurde, gar keine Bodenvase war, sondern
Oma.
Man schmiss sie über Bord und ging zurück in die Kajüte.
Heinz, wie Frau Schrödinger draußen aus der Nähe hatte feststellen können, kotzte
tatsächlich. Als man es sich bei einem Kaffee mit Rum gemütlich gemacht, auf Oma
angestoßen und Frau Schrödingers Tante die abschließenden Worte »Mami hasste
kaltes Wasser« gesprochen hatte, das Schiff Kurs auf den heimatlichen Hafen nahm und
die Dämmerung hereinbrach, erinnerte man sich plötzlich Heinzens wieder. Frau
Schrödingers Tante bestand darauf, man solle ihn reinholen, schließlich sei er nicht
mehr der Jüngste, und außerdem, wovon man sich während der Beisetzung hatte
überzeugen können, völlig durchnässt, und das schon seit vier Stunden. Und da die
Tante eine sehr energische Person war, setzte sie entgegen der Proteste seitens
Schrödinger sen. (»Da muss er durch«), Frau Schrödingers (»Nicht, dass er hier alles
vollreihert«) und des Käpt'ns (»Also, das müssten Sie dann schon selbst aufwischen«)
ihr Ansinnen durch. Ein nicht ganz einfaches Vorhaben übrigens, war Heinz doch, wie
sich herausstellte, in eine Art prämortale Leichenstarre verfallen; man musste ihm die
Finger, mit denen er die Reling umklammert hielt, gewaltsam aufbiegen (insofern wäre
das Seil kaum nötig gewesen, ihn vor dem Fortgespültwerden zu bewahren), und es war
ziemlich haarig, ihn durch die enge Kajütentür zu bugsieren. Eigentlich wäre es am
praktischsten gewesen, ihn gleich mit zu bestatten, fand Frau Schrödinger, man würde
sich ersparen, den ganzen Aufwand zu wiederholen, und kostengünstiger wäre es auch.
Am meisten frappierte sie seine Gesichtsfarbe, ein matt glänzendes Anthrazit mit
asymmetrischen, purpurnen Flecken. Sie würde sich in diesem Ton einen Pullover
stricken, beschloss Frau Schrödinger, tat sich eine Prise Kaffee in ihren Rum und
verbrachte den Rest der Fahrt damit, in Ermangelung eines Fernsehers auf den
Radarschirm zu starren. Nach Büsum zurückgekehrt, gingen die Schrödingers ausgiebig
Fisch essen. Heinz hatte man auf dem Rückweg in der Wärme des Maschinenraums
gelagert, so war er halbwegs getrocknet, bis auf die Schuhe, die musste er in der Hand
tragen, damit wenigstens seine Socken nicht wieder nass wurden, aber es war auch gar
kein allzu weiter Weg bis zum Restaurant. Die Schrödinger-Sippe befand sich in
gehobener Stimmung, selbst Heinz taute langsam auf, und man war sich einig, wie
schön es gewesen sei, wie schade es sei, dass man sich so selten sehe, wieviel Spaß man
gehabt habe, und dass man so was in Zukunft öfter mal machen müsse.
Auf der Heimfahrt musste man dann in Süderbüll noch mal umkehren, weil Heinz
seine Schuhe im Restaurant vergessen hatte.
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FRAU SCHRÖDINGER BESTATTET AUF SEE - EPILOG
Frau Schrödinger, die (wie sich der eine oder andere erinnern mag) unlängst die
sterblichen Überreste ihrer Großmutter in der Nordsee versenkt hatte, erhielt kurz darauf
mit der Post, in einem geschmackvollen Kuvert, eine Urkunde, in der ihr, auf
geschmackvoll imitiertem Büttenpapier, die Teilnahme an der »erfolgreichen Seebestattung von Frau Ilse Gertrude Schrödinger« bestätigt wurde. Frau Schrödinger fand
dies zwar etwas seltsam, aber wirklich hübsch gemacht, die Urkunde umfasste
immerhin vier Seiten, und wenn man sie aufklappte, fand man innen ein
Hochglanzfarbfoto der stolzen »MS Prostata« (oder »Paläontologe« oder so) sowie die
derzeitige exakte geographische Länge und Breite von Frau Schrödingers Oma. Auf der
Vorderseite war ein blauer Anker gedruckt, und darüber stand in anmutig
verschnörkelter Schrift das Wort »Urkunde«. Es sah fast genauso aus wie auf den
Urkunden, die man früher bei den Bundesjugendspielen erhielt. Nur dass Frau
Schrödinger, wie sie sich schmerzlich erinnern musste, niemals eine solche erkämpfen
konnte, da ihre Begabungen definitiv auf sportlichem Gebiet nicht gelegen hatten - die
Zeiten, die sie auf 50 Meter lief, liefen ihre Klassenkameraden recht mühelos auf 100 und Frau Schrödinger hatte dies nie wirklich verwunden, hatten doch nur zwei Mädchen
aus ihrem Jahrgang nie die begehrte Urkunde erlangt, und die andere war immerhin
zuckerkrank gewesen und hatte ein steifes Bein gehabt. Nun aber durchfuhr es Frau
Schrödinger freudig, umgehend rahmte sie das Dokument in einem rahmenlosen
Bilderhalter, in dem zuvor ein Rontgenbild ihres Kiefers mit 14 Jahren und zwei ihrer
markerschütterndsten Kontoauszüge einen Ehrenplatz gehabt hatten, hängte es, mit dem
Anker nach vorn, über ihr Bett und fühlte sich irgendwie ziemlich stolz und zufrieden.
Fragen und Aufgaben
1. Machen Sie eine schriftliche Übersetzung irgendeines Auszuges.
2. Charakterisieren Sie die Hauptgestalt (Frau Schrödinger) dieser
Erzählungen, ihre Beziehung zu den anderen Personen, ihre Lebensposition
u.a.
3. Diskutieren Sie über den Stil der Erzählungen von Tina Uebel.
(Partnerarbeit)
4. Erzählen Sie eine der Erzählungen in der Ich-Form nach.
5. Verfassen Sie einige Dialoge zwischen den handelnden Personen.
6. Sagen Sie es anders (grammatisch oder lexikalisch):
a) „Frau Schrödinger, die sich - trotz einer gewissen allgemeinen
Verwirrung, die sie dem Leben gegenüber fühlte, und ungeachtet
verschiedenster Lieblingssorgen, die sie sich immer mal wieder
hingebungsvoll machte - als ein grundlegend heiteres Gemüt zu
betrachten pflegte, sah die Suche nach angemessener Zerstreuung als
eine ebenso ehrenhafte wie sinnstiftende Angelegenheit an, derer sie
sich gern und ausgiebig widmete...“
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b) „...Andererseits widerstrebte es ihr, auch wenn sie sich nicht unbedingt
als ausgesprochene Tiernärrin bezeichnete, eine wehrlose Kreatur
einfach so in einen kleinen Kasten zu sperren...“
c) „...Nun aber gab es keinen Aufschub mehr, es galt, die Dinge in Angriff
zu nehmen...“
d) „...Außer ihr, so konnte sie gerührt feststellen, hatten sich schon
Heerscharen anderer mahnender Wächter und wachender Mahner
eingefunden...“
e) „...sich lauthals über die Trotzkisten zu mokieren...“
7. Definieren Sie die folgenden Begriffe: hochbetagt, das Testament, die
Einäscherung, das Hochwasser, der Musketier, die Besatzung, das Bullauge,
der Tischdekorationsblumenkübel, die Reling, die Sippe, der Kontoauszug,
die Subkultur, das Sperrholzschild.
***
Feministische
Literaturwissenschaft,
Bezeichnung
für
literaturwissenschaftliches Arbeiten im Kontext der emanzipatorischen Frauenbewegung.
Angeregt durch die Frauenbewegung in den USA und die (späte) Rezeption von Simone
de Beauvoirs Le deuxiėme sexe (1949) entwickelten sich Ansätze einer feministische
Literaturwissenschaft um 1975 auch im deutschsprachigen Raum, die dann seit Ende
der 80-er Jahre zu einer Institutionalisierung des Fachgebiets an den Universitäten
führte. Zu den wichtigsten Forschungsrichtungen gehören die Neuinterpretation des
„männlichen“ Literaturkanons und der Frauenbilder in der Literatur sowie die
Rekonstruktion einer weiblichen Schreibtradition. Die theoretischen Diskussionen
kreisen u. a. um Fragen einer geschlechtsspezifischen weiblichen → Ästhetik und um
die in Frankreich und im dt. akademischen Umfeld dominierenden feministischen
poststrukturalistischen Konzeptionen (→ Dekonstruktion, → Intertextualität). Die
Dekonstruktion des (in der abendländischen Denktradition bisher stets männlichen)
Subjekts kommt dabei den feministischen Intentionen entgegen. Einwände betreffen die
mögliche Gefahr der Unverbindlichkeit und damit die Eliminierung des Feminismus.
Fragen und Aufgaben
1. Lesen Sie den Lexikonartikel „Feministische Literaturwissenschaft“ und
informieren Sie sich über diesen Begriff.
2. Was versteht man unter dem Bergriff „Frauenliteratur“? Informieren Sie
sich zu diesem Thema!
3. Vergleichen Sie einige Werke anderer deutschsprachigen
Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die dem Thema „Frauen in der
modernen Gesellschaft“ gewidmet sind. Besprechen Sie die
Frauengestalten.
4. Diskutieren Sie in den Arbeitsgruppen zum Thema: Unterschiede und
19
Gemeinsamkeiten bei der Beschreibung einer Frau, ihrer Handlungsweise,
ihres Verhaltens zur Familie, Arbeit, zu den Freunden und zur
Gesellschaft.
5. Erzählen Sie im Plenum über die Ergebnisse des Recherchierens.
6. Schreiben Sie den Aufsatz zum Thema „Frauengestalten in der
deutschsprachigen Literatur“.
Приложение
Пример проведения внеаудиторного мероприятия
Тема: Женские образы в немецкой литературе (лирика + проза) разных
эпох
Цель: Коллективно рассмотреть женские образы в прозаических и
лирических произведениях немецкой литературы разных эпох,
проанализировать их, выявить сходства и различия, а также
углубить умения ведения полилога
Задачи: 1. чтение отрывков из прозаических и лирических
произведений немецкой литературы разных эпох
2. характеристика образов женщин, представленных в данных
произведениях
3. анализ стилистических средств, используемых для создания
женских образов
4. коллективное обсуждение эволюции женских образов в
немецких произведениях разных эпох
Формы работы: коллективно-групповые и фронтальные
Оснащение: 1. аудиторная доска
2. раздаточный материал:
а) лирика:
 „Das Mädchen aus der Fremde“ – Friedrich Schiller
 „Die alte Waschfrau“ – Adelbert von Chamisso
 „Gefunden“, „Mädchenwünsche“, „Nähe des Geliebten“ – J.W.v.
Goethe
 „Clarisse“, „Das Fräulein stand am Meere“, „Du bist wie eine Blume“,
„Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ – Heinrich Heine
 „Liebe“ – Hermann Hesse
б) проза:
 „Pfauenfedern “ – Anais Nin
3. прочие, самостоятельно подготовленные студентами
лирические и прозаические произведения
Языковой материал: die Frau, das Fräulein, das Mädchen, der Jüngling,
die Liebe, die Geliebte, der Wunsch, das Schicksal, das Benehmen,
20
die Hoffnung, die Würde, die Ehre, die Hochzeit, die Ehe, lieben,
küssen, schön, wunderbar, rein, hold, die Blume, die Gabe, der Abschied, das Herz, das Vertrauen, das Paar, die Äuglein, hübsch, der
Bräutigam, die Braut, der Mund, die Lippen, die Haare, der Liebesfeuer, die Schönheit, die Tränen, die Dirne, sich verlieben, sich vermählen, die Keuschheit, die Frauengestalten, die Antithese, der Vergleich, die Charakterzüge, die Alliteration, die Anapher, die Epipher,
die Wiederholung, der Dichter, darstellen, beschreiben, die Epoche…
Этапы: 1. Организационный момент (2 мин.)
2. Центральная часть (45 мин.)
а) чтение отрывков из лирических произведений немецкой
литературы разных эпох
б) характеристика образов женщин, представленных в данных
произведениях
в) анализ стилистических средств, используемых для создания
женских образов
г) обсуждение эволюции женских образов в немецкой лирике
разных эпох
д) характеристика образов женщин, представленных в
прозаических произведениях ( + цитирование)
е) анализ стилистических средств, используемых для создания
женских образов в прозаических произведениях
ж) обсуждение эволюции женских образов в немецких
прозаических произведениях разных эпох
з) сравнение образов женщин лирических и прозаических
произведений
3. Итоговая часть (3 мин.)
 подведение итогов внеклассного мероприятия
 оценка работы студентов
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Das Mädchen aus der Fremde
In einem Tal bei armen Hirten
Erschien mit jedem jungen Jahr,
Sobald die ersten Lerchen schwirrten,
Ein Mädchen, schön und wunderbar.
Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam,
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.
Die alte Waschfrau
Du siehst geschäftig bei den Linnen
Die Alte dort im weißen Haar,
Die rüstigste der Wäscherinnen,
Im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit saurem Schweiß
Ihr Brot in Ehr' und Zucht gegessen
Und ausgefüllt mit treuem Fleiß
Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.
Beseligend war ihre Nähe
Und alle Herzen wurden weit;
Doch eine Würde, eine Höhe
Entfernte die Vertraulichkeit.
Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur,
In einem andern Sonnenlichte,
In einer glücklichern Natur,
Sie hat in ihren jungen Tagen
Geliebt, gehofft und sich vermählt;
Sie hat des Weibes Los getragen,
Die Sorgen haben nicht gefehlt;
Sie hat den kranken Mann gepflegt;
Sie hat drei Kinder ihm geboren;
Sie hat ihn in das Grab gelegt
Und Glaub' und Hoffnung nicht
verloren.
Und teilte jedem eine Gabe,
Dem Früchte, jenem Blumen aus;
Der Jüngling und der Greis am Stabe,
Ein jeder ging beschenkt nach Haus.
Willkommen waren alle Gäste,
Doch nahte sich ein liebend Paar,
Dem reichte sie der Gaben beste,
Der Blumen allerschönste dar.
Da galt's die Kinder zu ernähren;
Sie griff es an mit heiterm Mut;
Sie zog sie auf in Zucht und Ehren,
von Friedrich Schiller
(1759-1805)
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Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Zu suchen ihren Unterhalt,
Entließ sie segnend ihre Lieben;
So stand sie nun allein und alt,
Ihr war ihr heitrer Mut geblieben.
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.
Sie hat gespart und hat gesonnen
Und Flachs gekauft und Nachts gewacht,
Den Flachs zu feinem Garn gesponnen,
Das Garn dem Weber hingebracht;
Der hat's gewebt zu Leinewand;
Die Schere brauchte sie, die Nadel,
Und nähte sich mit eigner Hand
Ihr Sterbehemde sonder Tadel.
Ich wollt' es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?
Ich grub' s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich's
Am hübschen Haus.
Und pflanzt' es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es,
Verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz;
Es ist ihr Erstes und ihr Letztes,
Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort
Am Sonntag früh sich einzuprägen,
Dann legt sie's wohlgefällig fort,
Bis sie darin zur Ruh' sie legen.
von Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)
Und ich, an meinem Abend, wollte,
Ich hätte, diesem Weibe gleich,
Erfüllt, was ich erfüllen sollte
In meinen Grenzen und Bereich;
Ich wollt', ich hätte so gewußt
Am Kelch des Lebens mich zu laben
Und könnt' am Ende gleiche Lust
An meinem Sterbehemde haben.
Nähe des Geliebten
Ich denke dein, wenn mir der Sonne
Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des
Mondes Flimmer
In Quellen malt.
von Adelbert von Chamisso
(1781-1838)
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen
Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem
schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Gefunden
Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
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Selten bet ich, drum erhör mich,
lieber Gott! Hilf dieser Dirne,
trockne ihre süßen Tränen
und erleuchte ihr Gehirne.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem
Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Hain da geh ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Überall wo du auch wandelst,
schaust du mich zu allen Stunden,
und je mehr du mich misshandelst,
treuer bleib ich dir verbunden.
von Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)
Denn mich fesselt holde Bosheit,
wie mich Güte stets vertrieben,
willst du sicher meiner los sein,
mußt du dich in mich verlieben.
Mädchenwünsche
O fände für mich
Ein Bräutigam sich!
Wie schön ist's nicht da!
Man nennt uns Mama;
Da braucht man zum Nähen,
Zur Schul' nicht zu gehen;
Da kann man befehlen,
hat Mägde, darf schmälen;
Man wählt sich die Kleider;
Nach Gusto den Schneider;
Da läßt man spazieren,
Auf Bälle sich führen,
Und fragt nicht erst lange
Papa und Mama.
von Heinrich Heine (1797-1856)
Du bist wie eine Blume
Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein;
Ich schau dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen sollt,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.
von Heinrich Heine (1797-1856)
von Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)
Das Fräulein stand am Meere
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Clarisse
Meinen schönsten Liebesantrag
suchst du ängstlich zu verneinen;
frag ich dann: ob das ein Korb sei?
fängst du plötzlich an zu weinen.
"Mein Fräulein! Sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück."
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Bis wir über allem Tun und Handeln
Als Verklärte ganz im Frieden
wandeln.
von Heinrich Heine (1797-1856)
von Hermann Hesse (1877-1962)
Ein Jüngling liebt ein Mädchen
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.
Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei
von Heinrich Heine (1797-1856)
Liebe
Wieder will mein froher Mund begegnen
Deinen Lippen, die mich küssend segnen,
Deine lieben Finger will ich halten
Und in meine Finger spielend falten,
Meinen Blick an deinem dürstend füllen,
Tief mein Haupt in deine Haare hüllen,
Will mit immerwachen jungen Gliedern
Deiner Glieder Regung treu erwidern
Und aus immer neuen Liebesfeuern
Deine Schönheit tausendmal erneuern,
Bis wir ganz gestillt und dankbar beide
Selig wohnen über allem Leide,
Bis wir Tag und Nacht und Heut und
Gestern
Wunschlos grüßen als geliebte Schwestern,
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Pfauenfedern
(von Anais Nin)
Da war ein weißes Haus mit riesigen Fenstern, die immer offen standen und über
die Köpfe der Palmen hinweg aufs Meer blickten. In einem solchen Haus war sie zur
Welt gekommen.
Der weiße Pfad entsprang im Herzen des Hauses und führte hinunter zum Meer. Er
war von stacheligen Kakteen gesäumt, die lange Finger hatten, krumm, dick und pelzig,
unempfänglich für die Seebrise. Über den zeitlosen Kakteen zitterten nah beieinander
die Bambusschößlinge, unentwegt vom Wind erregt.
In dem weißen Haus lebte eine Dame, die Vögel aus allen Gegenden der Welt
gesammelt hatte, Vögel mit schillerndem Gefieder, gläsernem Schrei und samtenem
Benehmen, die während des Tages durch die schmalen Flure schritten und während der
Nacht ganz still waren. Jede Nacht übertönte Musik das Meeresrauschen.
In jener Nacht schlief das Meer beinahe, und die Vögel und der Wind schwiegen.
Die helle Stimme einer Frau schwebte hinaus in den Garten, kreiste über dem Pfad und
vibrierte in der Luft. Das weiße Haus war voller Menschen, die sich an den Fenstern
versammelten, um eine elektrisierte Luft zu atmen, in der die nahen tropischen Sterne
blitzten.
Die Frauen in ihren sehr engen seidenen Kleidern seufzten, als die Stimme der
Sängerin über ihre Brüste strich. Aufmerksam beugten sich die Männer ein wenig vor.
Der Mann der Sängerin stand an der weitgeöffneten Tür, einen Fuß auf dem
Kiespfad. Nur er blickte nicht zu der Sängerin hin. Aus dem Dunkel des Gartens kam
ein Pfau, der langsam in die lange Lichtsäule hineinwatschelte, mit geöffnetem
Fächerschweif.
Nachdenklich näherte er sich der geöffneten Tür. Der Mann betrachtete ihn; der
Pfau bewegte sich auf die Stimme zu und lauschte. Er rührte sich nicht von der Stelle,
bis die Stimme verklang. Erst als applaudiert wurde, schloß er seinen Fächer und ging
in die Dunkelheit zurück.
Am nächsten Tag war der Pfau tot.
Die Dame des Hauses ließ sich die Pfauenfedern bringen und sandte sie mit einer
Karte an die Sängerin.
Die Sängerin empfing sie mit einem Aufschrei: „Oh, sie bringen Unglück, das
weiß ich! Und doch sie sind zu schön, als dass ich sie fortwerfen könnte. Und
außerdem“, sagte sie zu ihrem Mann, „fand ich es gestern abend sehr berührend, dass
der Pfau mir beim Singen zuhörte.“
Und sie sandte der Dame des Hauses ihren Dank.
Die Pfauenfedern wurden in eine Blumenvase vor die orangefarbenen Wände des
Zimmers gestellt.
Ihr Mann nahm keine Notiz von ihnen. Er versuchte überhaupt nichts mehr
wahrzunehmen, was mit ihr zusammenhing. Einst hatte er sie wegen ihrer Stimme
geliebt und hatte einen Konzertsaal mit der gleichen stillen Verzauberung betreten wie
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der Pfau. Er war in die Garderobe der Künstlerin gegangen, wo sie die Huldigungen
unzähliger Menschen entgegennahm. Er hatte sie gebeten, sie allein an einen ruhigen
Ort begleiten zu dürfen, wo sie ungestört über Musik sprechen konnten. Auf seinen
Reisen hatte er einige sehr alte italienische Leider entdeckt, die völlig unbekannt waren.
Sie lachte und sagte: „Aber heute abend gibt eine Gruppe von Frauen ein großes Souper
für mich. Warum kommen Sie nicht mit?“
Er war genauso langsam davongegangen wie der Pfau, als er den Applaus
vernahm. Irgendwo in Italien begegneten sie sich wieder, und nach ihrem Auftritt ging
er zu ihr und sagte ihr, dass er sie liebte.
Jetzt waren sie schon viele Jahre verheiratet, und er hörte nicht mehr zu, wenn sie
sang, weil danach immer sehr viele Leute um sie herum waren, und sie fand alles
wunderbar, was sie ihr sagten, und glaubte es. Sie sang vor ihnen und sang für sie, für
das, was man ihr nachher sagen würde, wenn man sie umringte und auf ihren Triumph
anstieß.
An jenem Tag, als die Pfauenfedern erst seit wenigen Stunden in der Vase standen,
setzte er sich hin und schrieb einen Abschiedsbrief, dann ging er in den dunklen Garten
und in das Schweigen hinaus.
Sie betrachtete die Federn und sagte: „Sie sind der Grund für mein Unglück“.
Aber sie sang weiter. In Ägypten lernte sie einen jungen Musiker kennen und sang
seine Kompositionen, damit er sie liebe. Er stand am Beginn seiner Karriere. Sie ließ
ihm keine Zeit mehr für seine Arbeit, sondern forderte all seine Zeit für sich, und bald
komponierte er nicht mehr und begleitete sie nur noch auf ihren Konzertreisen. Sie
wurde seiner Bewunderung überdrüssig und begann die Lieder der anderen jungen
Komponisten zu singen. Bei einem besonders großartigen Konzert brachte er sich dann
vor aller Augen um, während sie sang, und verdarb ihr den Triumph.
„Daran sind die Pfauenfedern schuld“, dachte sie.
Sie hätte sie fortgeworfen, hätte nicht ein junger Dichter zu ihr gesagt: „Sie können
es wagen, das Schicksal herauszufordern, denn Sie sind schön und begabt.“ Und so
forderte sie die Pfauenfedern heraus, ihr Unglück zu bringen.
Sie schrieb ihre Memorien, denn sie war sicher, man werde sie dafür bewundern.
Sie hatte so viele Jahre im Glanz gelebt und war immer von berühmten Leuten umgeben
gewesen. In ihren Memorien versuchte sie, sich als empfindsam und gefühlvoll
darzustellen. Sie schrieb beschönigend und sehr auf Wirkung bedacht. Als man die
Memorien jedoch las, wirkten sie berechnend, und viele Leute machten sich darüber
lüstig.
Da sie mit einer der Pfauenfedern geschrieben hatte, dachte sie: „Daran sind die
Pfauenfedern schuld“.
Eines Tages bot man ihr in einem hinduistischen Haus eine lange Pfeife an. Sie
rauchte sie und hatte wundervolle Träume. Sie sah Schiffe aus Saphir auf
Korallenmeeren und sah sich auf dem Bug stehen und singen. Sie hatte das Gefühl, auf
einer leichten Wattewolke in Sphären getragen zu werden, in denen ihre Stimme
dahinströmte wie flüssiges Licht. Scharen sonderbarer Gestalten lauschten ihr mit
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Bewunderung. Dann stieg sie in dunkle Höhlen hinab, wo sie sich in Wärme und
Wohlgeruch auflöste, und wurde von strahlenden Männern geliebt, deren Liebe auf
tausendundeine Weise in sie eindrang. Doch als sie zu rauchen aufhörte, war sie von
aller Energie verlassen und sah verhärmt aus. Auch ihre Stimme veränderte sich, und sie
verlor die Macht über ihr Publikum, das ihr einst so fasziniert gelauscht hatte wie der
Pfau. Dennoch konnte sie das Rauchen nicht lassen, weil es ihr Trost und Geborgenheit
schenkte, und sie sagte: „Die Pfauenfedern sind schuld daran“.
Nun war ihr Leben zerstört, aber sie bewahrte die Federn sorgsamer auf denn je
zuvor, als wollte sie jenen, die ihren Untergang beobachteten, sagen können: „Es war
die Schuld der Pfauenfedern“.
Literatur
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1. Marie Louise Fischer. Elbchaussee.-Berlin 2001.- 320 S.
2. Tina Uebel. Frau Schrödinger bewältigt die Welt. Kurze Geschichten.München Knaur 1999.- 96 S.
3. Metzler – Autoren – Lexikon: deutschsprachige Dichter und Schriftsteller
vom Mittelalter bis zu Gegenwart/ hrsg. von Bernd Lutz.- Ungekürzte
Sonderausgabe, 2., überarb. und erw. Aufl.- Stuttgart; Weimar 1997.- 905
S.
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