Italiano - Wachtler

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Dinosaurier in den Dolomiten
Aus Marco Avanzini – Michael Wachtler Reisen in die Urzeit
Im Sommer des Jahres 1931 fand Gualtiero Adami, Ingenieur des
Königlichen Bauamtes von Trient und Mitarbeiter des
Naturwissenschaftlichen Museums bei einem technischen Augenschein
auf der Hochebene von Pinè einen Stein, in dem die Form eines
echsenähnlichen Tiers deutlich erkennbar war. Zuerst wurden über
die Bedeutung dieses Fundes nur Vermutungen angestellt, es hatte
sogar den Augenschein als würde die Platte wieder als Bordstein
für den Straßenbau weiterverwendet werden.
Der Tridentinosaurus, das älteste Reptil der Dolomiten
Der Fund gelangt an das Naturmuseum von Trient, das die
Bedeutung der Entdeckung erkennt und die Mitteilung
veröffentlicht, daß Professor Giorgio Dal Piaz der Universität von
Padua, damals ehrenamtlicher Konservator dieser Einrichtung, mit
der Untersuchung beauftragt werde. In einer Versammlung der
„Italienischen Gesellschaft für den Wissenschaftlichen
Fortschritt“, die in Mailand im September desselben Jahres
abgehalten wird, hebt Dal Piaz die Bedeutung des Fundes öffentlich
hervor und kündigt an, daß "vermutlich eine neue urzeitliche
Echsenart in der Nähe von Pinè in einem dünnen Tuffbett inmitten
von Porphyr aus der Permzeit” entdeckt worden war. Dal Piaz fügt
hinzu, daß das noch in Untersuchung befindliche Fossil von großer
paläontologischer Bedeutung sei. Die Jahre vergehen und allmählich
wird es still um den großartigen Fund. Man weiß nur, daß das
wertvolle Fossil am 18. Mai 1938 vom Naturmuseum von Trient an
das „Geologische Institut der Universität von Padua gelangt und
dabei mit dem Skelett eines Höhlenbären aus der istrischen Grotte
von Pocala getauscht wird. Im Jahr 1942 erwähnt Giambattista Dal
Piaz in einer kurzen Mitteilung das Fossil und spricht von einem
schönen echsenförmigen Reptil, das mit Gewißheit ein Erdbewohner
war und einen Beweis über die vulkanischen Tätigkeiten dieser Zone
liefert. Das Fossil wurde mittlerweile in einem der Wandschränke
des Museums untergebracht, der Öffentlichkeit unzugänglich, mit
einem dürftigen Schild versehen, auf dem es als Tridentinosaurus
antiquus (neue Gattung und neue Art benannt nach Dal Piaz)
bezeichnet ist. Niemand macht sich mehr eine besondere Mühe das
Fundstück genauer zu untersuchen. Erst im Jahr 1959, nach
mehrmaliger verzweifelter Aufforderung von Giambattista Dal Piaz,
führt endlich der berühmte Piero Leonardi eine paläontologische
Studie durch.
Nun geht es Schlag auf Schlag: Der Tridentinosaurus wird zum
berühmtesten fossilen Wirbeltier der Dolomiten und gleichzeitig
auch zum ältesten bisher bekannten der Südalpen. Da nicht nur das
Skelett, sondern auch die Körperteile in Form eines dunklen
Profils erhalten geblieben sind, ist der Fund von ganz besonderer
Bedeutung. Das Reptil selbst ist klein, nur 25 Zentimeter lang.
Seine Form ist ähnlich der einer Eidechse mit langem, zartem Hals,
länglichem Körper und Vorder- und Hinterbeinen mit fünf langen,
dünnen Zehen. Der Erhaltungszustand erlaubte bisher noch keine
eingehendere Analyse des Fossils. Die von Leonardi gesammelten
Daten waren jedoch ausreichend, um bestimmen zu können, daß es
sich mit Sicherheit um ein Reptil und wahrscheinlich um einen
Protosaurier handelte. Die Einteilung wurde durch den Vergleich
bisher an anderen Orten gefundenen Landwirbeltieren aus dem Perm
und der Steinkohlenzeit mit ähnlichem Körperbau getroffen. Unter
den bekannten Gattungen der Familie der Areoscelidae entsprach
nach den Proportionen und des allgemeinen Körperaufbaues keines
nur annähernd dem Fossil von Pinè. Deshalb stimmte Leonardi mit
Dal Piaz in der Überzeugung überein, daß es sich um eine neue
Gattung handelte. Auch heute noch, fast 70 Jahre nach seiner
Entdeckung, befindet sich das kleine Fossil in einem versteckten
Schrank im Museum von Padua, für das Publikum nicht zugänglich und
bewahrt dort unverändert seine magische Anziehungskraft.
Heiße Wüsten voller Leben
Der Tridentinosaurus ist nicht das einzige Beweisstück dafür, daß
in der Dolomitengegend Landwirbeltiere lebten. Gegen Ende 19.
Jahrhunderts sammelt F. Glassner in einem Sandsteinbruch in der
Nähe von Neumarkt, einige Fragmente, die seltsame Spuren
aufweisen. Er sendet die Funde an Ernst Kittl, Assistent des
Kabinetts für Geologie und Paläontologie des Museums in Wien.
Kittl untersucht sie und stellt fest, daß darunter ein zwar nicht
sehr deutlicher, aber sicher von einem Reptil stammender Abdruck
war, das den einige Jahre vorher in Thüringen entdeckten Reptilien
auffallend ähnelte. Er verfaßt eine kurze Beschreibung für das
1891 erscheinende Mitteilungsblatt des „Österreichischen Tourist
Clubs“ mit der Aufforderung an alle, sich mit ihm in Verbindung zu
setzen, falls weitere Funde in dieser Gegend gemacht würden. Diese
Aufforderung findet jedoch keine Erwiderung. Erst dreißig Jahre
später gelingt es dem österreichischen Paläontologen Othenio Abel
weitere wissenschaftliche Daten über diese Saurierfährten zu
erhalten. Die Jahre vergingen und obwohl die Forschungstätigkeit
in den Dolomiten immer intensiver betrieben wurde, gelang es
aufgrund ihrer Seltenheit nicht, weitere Reptilienspuren zu
entdecken, bis Piero Leonardi 1946 zufällig nach jenen
Pflanzenresten aus dem Perm zu suchen begann, die 1877 von Karl
Wilhelm von Gümbel im Grödner Sandstein entdeckt worden waren.
Dabei stieß Leonardi auch auf einen interessanten, bisher
unbeachteten Artikel von Leo Perwanger über die Geologie in der
Umgebung von Radein, einem kleinen Ort am Fuße des Weißhorns. Aus
diesem erfuhr er, daß Pflanzenreste in der Bletterbachschlucht in
den Schichten der im Perm entstandenen Ablagerungen in großer Zahl
erhalten sind. Während der geologischen Expedition jenes Sommers
stieß er schon auf einen großen fossilen Baumstamm. Er entschied,
im darauffolgenden Jahr wiederzukehren und begann, die von
Perwanger in seinem Artikel beschriebenen Pflanzenfunde zu
studieren, welche im nahegelegenen Gasthof Zirmerhof aufbewahrt
worden waren. Im April des Jahres 1948 begab er sich sofort nach
der Schneeschmelze wieder in die Schlucht. Und eben bei dieser
Gelegenheit bemerkte er zufällig, daß in der Nähe der
Pflanzenfundstelle auch zahlreiche versteinerte Fährten vorhanden
waren. Eine Sensation, weil Saurierfährten aus der Permzeit
weltweit eine große Rarität darstellen.
Schon im Jahre 1951 veröffentlichte er dank der zahlreichen Funde
eine erste aufsehenerregende Studie über die Lebensbedingungen
dieser vor über 250 Millionen Jahren stattgefundenen Epoche. Das
von der Schlucht im jeden Frühjahr freigelegte Material war
überaus umfangreich und äußerst interessant. Piero Leonardi kam zu
der Überzeugung, daß an dieser Stelle wahrscheinlich Spuren sehr
vieler der damals lebenden Tiere der Permzeit vorhanden waren und
sogar noch einiges mehr. In der Gewißheit, daß es sich lohnte, die
Forschungsarbeit weiterzuführen, kehrte er in den folgenden Jahren
immer wieder zur Bletterbachschlucht oft in Begleitung seines
getreuen Kameraden, Professor Accordi zurück und setzte so seine
Arbeit Jahr für Jahr fort. Er band darin auch seine Studenten ein,
aus denen dann in späteren Jahren viele bekannte Forscher
herauswachsen sollten. Es war ein erster Schritt zur gründlichen
Erforschung der Saurierspuren im gesamten Dolomitengebiet. Im
Sommer 1951 begab sich Piero Leonardi, gemeinsam mit Heinrich
Moroder aus St. Ulrich in die Nähe von Cuecenes, östlich der
Seceda in Gröden. In kurzer Zeit sammelten sie dort eine Unzahl
von fossilen Pflanzenresten und zum ersten Mal fanden sie auch
dort einige Spuren von Landwirbeltieren, welche genau jenen aus
der Bletterbachschlucht von Radein entsprachen. Doch dies sollte
noch nicht alles sein. Auch 1955 entdeckte er gemeinsam mit seinem
unermüdlichen Kollegen Prof. Accordi an einem neuen Ort Spuren der
Permzeit an der Straße zwischen Pausa und Doladizza, an der linken
Seite des Etschtals.
Aber trotz Funden aus anderen Orten der Dolomiten erwies sich die
Bletterbachschlucht als einzigartige und unerschöpfliche Fundgrube
von Saurierspuren aus der Zeit vor 250 Millionen Jahren, als eine
Wüste das Gebiet beherrschte und nur an einige wenigen Oasen reges
Leben herrschte. Eine Gruppe junger Forscher startete 1973 zum
ersten Mal eine richtige Expedition in die Bletterbachschlucht mit
dem einzigen Ziel die dortigen Saurierspuren genauer zu
untersuchen. Wichtige Veröffentlichungen sollten folgen. Und
innerhalb kürzester Zeit wurde diese enge, düstere und
menschenfeindliche Schlucht weltbekannt. Unter den jungen
Forschern befand sich auch Umberto Nicosia, heute Direktor des
Museums für Paläontologie der römischen Università La Sapienza,
sowie Giuseppe Leonardi, der später zu einem der Begründer der
modernen Ichnologie, jener Wissenschaft welche sich auf das
Studium von Saurierfährten spezialisiert, werden sollte. Giuseppe
Leonardi, Verwandter von Piero Leonardi, dem Vater der
Dolomitenforschung, sollte einen eigenartigen Lebensweg
beschreiten. Er wurde Geistlicher und darüber hinaus einer der
führenden Paläontologen weltweit zugleich. Von den Dolomiten
verschlug es ihn in den brasilianischen Dschungel, wo er alsbald
bisher unbekannte aufsehenerregende Entdeckungen machen sollte: Er
fand einzigartige Reste von Sauriern. Über Jahrzehnte setzte er
all seine Energie neben der religiösen Betreuung der Mitmenschen
darin, Abdrücke und Saurierspuren der verschiedensten geologischen
Zeitalter zu beschreiben. Ihm gelang es, weltweite Korrelationen
und Vergleiche zwischen den Funden herzustellen. Sein großes
Verdienst war aber aufgrund seiner Sprachgewandtheit, er allein
spricht acht Sprachen fließend, das Interesse für die Saurier und
hier vor allen Dingen deren Fährten durch packende Beschreibungen
großen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen.
Heute wissen wir, daß die Welt der Landwirbeltiere im Grödner
Sandstein ausschließlich aus Reptilien bestand, welche sich
zwanzig verschiedene Formen zuordnen lassen. Noch gab es keine
Dinosaurier, erst viel später sollten diese Echsen die Welt
beherrschen. Aber in der Bletterbachschlucht gab es schon deren
primitive Vorfahren. Die größten Tiere waren die Pareiasaurier,
die jene Spuren hinterließen, welche als Pachypes dolomiticus
bezeichnet werden. Es dürfte sich um ungefähr 3 Meter lange und
mehr als eine Tonne schwere Monster gehandelt haben, die sich in
Herden auf der Suche nach Nahrung fortbewegten. Ein massiver
Körper mit breiter Brust war mit lederner Haut bedeckt. Der plumpe
Schädel trug seitlich angeordnete eigenartige knöcherne
Verbreiterungen, im Maul befand sich eine Reihe von gedrungenen
Zähnen, welche sie als Pflanzenfresser auswiesen. Spuren dieser
Art wurden an verschiedenen Orten im Nordosten Italiens gefunden.
Diese Tiere dürften daher zahlreich in den großen Ebenen des
Oberperms verbreitet gewesen sein. Andere Pflanzenfresser, etwa 2
Meter lang und bis zu 300 Kilo schwer, waren die Caseiden,
langsame Tiere mit dicht oberhalb des Bodens schleifendem Körper.
Sie waren leichter und schwächer als die Pareiasaurier gebaut.
Die gegen Ende der Permzeit dominierenden Fleischfresser waren die
Gorgonopsiden, welche zur Ordnung der Terapsiden gestellt werden.
Wenige isolierte Versteinerungen zeugen von der Existenz dieser
Raubtiere mit elegantem Körper und Gliedmaßen, mit denen sie sich
ziemlich schnell bei vom Boden abgehobenem Körper fortbewegen
konnten. In ähnlicher Umgebung lebten, wenngleich in geringerer
Zahl, die primitiven Tecodonten, auf die zwei der Familie der
Chirotheriden zugeordnete Spuren zurückgehen. Es sind dies die
beiden ältesten Spuren eines Chirotheriums, welche weltweit
bekannt geworden sind. Es dürfte sich um ein flinkes, bis 3 Meter
langes Reptil gehandelt haben. Einige, im Grödner Sandstein
vorhandene Spuren können den primitiven Cinodonten (ichnologische
Gattung Dicynodontipus) zugeordnet werden. Diese Tiere ähnelten in
einigen Belangen schon den Säugetieren, waren einen halben bis
einen Meter lang, gute Läufer mit kurzen Beinen in fast
senkrechter Haltung. Die gut ausgebildeten Zähne und die starke
Muskulatur des Kiefers läßt darauf schließen, daß sie gefürchtete
Fleischfresser waren. Hyloidichnus tirolensis, Paradoxichnium,
Rhynchosauroides, Janusichnus und Spuren, die sich den
Procolophonomorpha zuordnen lassen, sind kleine, eidechsenartige
Tiere, deren Nahrung nicht genau bestimmt werden kann, aber gewiß
vielfältig war. Es waren meist kleinere Tiere (Rhynchosauroides
war zum Beispiel 70 cm groß), echsenähnlich im Körperbau, in der
Ausbildung der Beine und den Zähnen und wahrscheinlich
Allesfresser.
Eine Sensation unter den im Butterloch geborgenen Fundstücken
stellt sicherlich jene große Platte dar, auf welcher kleine,
längliche, mit rautenförmigen Schuppen bedeckte Fische in großer
Zahl versteinert sind. Es handelt sich wahrscheinlich um höher
entwickelte Formen von Palaeonisciformes. Es war ein grausamer
Tod: die große Anzahl der auf einer Fläche von zwei mal einen
Meter versteinerten Fische läßt auf die Austrocknung eines
Wassertümpels schließen in denen dieser Fischschwarm
eingeschlossen war, ohne eine Möglichkeit zur Flucht in ein
benachbartes Gewässer zu haben. Auf der gleichen Platte befinden
sich auch zahlreiche versteinerte Fährten, die auf kleine
echsenartige Reptilien hinweisen, welche dort den Tümpel
durchquerten und in einer Momentaufnahme dieses Geschehens ihr
Spuren hinterlassen haben.
Der größte Teil der Reptilien in der Bletterbachschlucht, von
denen einige schon säugetierähnliche Merkmale aufwiesen,
überlebten die Klima- und Umweltveränderungen nicht, die am Ende
des Perms eintraten. Einige der überlebenden Tiere entwickelten
sich sehr langsam zu den Vorfahren der heutigen Säugetiere weiter.
Die meisten wurden hingegen durch die Tecodontier verdrängt, aus
denen sich später die Dinosaurier entwickelten.
Ein Name für das Tier und ein anderer für seine Fährten
Der Zweig der Paläontologie, der sich mit dem Studium und der
Zuordnung der Spuren und Abdrücke beschäftigt, heißt Ichnologie
(aus dem Griechischen ichnos=Spur). Auch die Tierspuren werden
nach bestimmten Regeln eingeteilt. Eine der großen
Herausforderungen der Ichnologie ist die Schwierigkeit, jenes
Lebewesen zu bestimmen, von dem die Spur herrührt. Früher
klassifizierten die Wissenschaftler die ichnologischen Gattungen
und Arten auf rein äußerlicher Basis. Im Laufe der Zeit hat sich
daher eine Einteilung mit einer scharfen Trennung zwischen der
ichnologischen Bestimmung der Fossilien und den Organismen
entwickelt.
Nur im besten Fall können die fossilen Spuren mit den Lebewesen,
von denen sie stammen, verbunden werden. In diesem Fall entspricht
die Bezeichnung der Spur zumindest teilweise der Bezeichnung ihres
Urhebers, wie beispielsweise der Name Tyrannosauripus (Fuß des
Tyrannosauriers), der sofort auf den Namen des Tieres schließen
läßt. In de Regel ist eine solche Zuordnung nicht möglich ist und
die Spurenbezeichnung läßt in keiner Weise auf das Tier schließen,
von dem der Abdruck stammt. Chirotherium bedeutet ganz einfach
Hand eines wilden Tieres (aus dem Griechischen kheiros und
therion), Isochirotherium bedeutet gleiche Fingerform,
Brachichirotherium kurze Fingerform usw. In einigen Fällen kann
der Spurenname sogar Mißverständnisse auslösen, wie zum Beispiel
der Name Rhyncosauroides, der einen Abdruck bezeichnet, welcher
eine enge Verwandschaft mit den Rhyncosauriern vermuten läßt.
Versteinerungen solcher Art wurden zum ersten Mal an Orten
gefunden, die Skelettreste solcher Tiere enthielten. Von dort her
stammt diese Bezeichnung. Die Wissenschaftler sind heute jedoch
nicht mehr davon überzeugt, daß diese beiden Formen
übereinstimmen. Die als Rhynchosauroides bezeichneten Spuren
könnten vielmehr von eidechsenartigen Reptilien abstammen, die den
heutigen Tuatara in Neuseeland ähnlich sind.
Es ist in den meisten Fällen äußerst schwierig, den Urheber einer
Spur zu bestimmen. Die als Chirotherium bezeichneten, 1835
entdeckten Spuren hatten die Wissenschaftler lange Zeit im Zweifel
über deren Herkunft belassen. Der daumenähnliche Abdruck hat sehr
viel Verwirrung unter den Paläontologen hervorgerufen, die ein
eigenartiges Tier rekonstruierten, das mit überkreuzten Füßen
ging. Erst als zu Beginn unseres Jahrhunderts ein als Euparkeria
bezeichneter Archosaurier entdeckt wurde, dessen Fuß gut in die
Chirotherium-Spuren paßte, begannen die Paläontologen, das
Aussehen dieser Tiere annähernd zu erfassen. Erst viel später, im
Jahr 1960, konnte durch die Entdeckung eines großen Archosauriers,
des Ticinosucus, herausgefunden werden, daß zumindest ein großer
Teil der Abdrücke von der Art des Chirotherium von Archosauriern,
wie Rauisuchus, Etosaurus, Phytosaurus und Ornitosuchus,
hinterlassen wurde.
Die Küstengebiete der unteren Trias
Wenn die Abdrücke der Reptilien im Grödner Sandstein so zahlreich
sind, warum könnten dann nicht auch Spuren in Ablagerungen
späterer Zeitalter vorhanden sein? Aus dieser Überlegung her
wurden die Forschungstätigkeiten auf die darüberliegende WerfenFormation ausgedehnt, in der zahlreiche stratigraphische Schichten
auf gute Überlebensbedingungen für die Landwirbeltiere hinweisen.
1951 entdeckte Piero Leonardi in den Werfener Schichten am
nordwestlichen Fuß des Pitschberges in Gröden einen Abdruck von
fünf Fingern, der sich einem Reptil mit Namen Pseudosuchus
zuordnen ließ. Es handelte sich um den ersten Fund dieser Art im
Grödner Tal aus dem Zeitalter der Trias. Ein zweiter Fund stammt
aus dem Val Travignolo, dessen Bestimmung jedoch sehr schwierig
war und wahrscheinlich auf ein kleineres Reptil zurückzuführen
ist. Ein Geheimnis war somit gelüftet: Sehr viele Schichten welche
sich im Laufe der bewegten Entstehungsgeschichte der Dolomiten
abgelagert hatten sind reich an Spuren kontinentaler Wirbeltiere.
Dies auch, weil trotz eines beherrschenden Meeres immer wieder
das Wasser trockenfiel und an den Ufern eine Unzahl von Tieren
ihre Spuren hinterlassen konnten. Es war ein Anstoß die
Forschungsarbeiten noch weiter zu verstärken.
Auf niedrigen Felseninseln treten die Vorgänger der Dinosaurier
auf
In den westlichen Dolomiten sind auf den Einfluß des Festlandes
zurückzuführende Bach- und Flußablagerungen aus der mittleren
Trias (Anis), besonders ausgeprägt. An einigen Orten des
Pustertals, wo Aufschlüsse dieser Formation mit manchmal
eindrucksvollen Erscheinungen auftreten, wurden zahlreiche
Abdrücke von tetrapoden Reptilien entdeckt. Bereits Othenio Abel,
Professor für Paläontologie der Universität Wien mit besonderem
Schwerpunkt auf das Studium der prähistorischen Wirbeltiere, hatte
im Jahr 1926 einige dieser Spuren studiert und eine neue Art von
Fährten, Rhynchosauroides tirolicus bestimmt. Im Laufe seiner
Forschungen der geologischen Verhältnisse in den Pragser Dolomiten
stieß Rainer Brandner später auf die bereits von Abel
beschriebenen Sedimente und entdeckte zu Beginn der 70er Jahr neue
außergewöhnliche Spuren. Brandner beschreibt die gut erhaltenen
Fährten, bestehend aus Abdrücken von echsenähnlichen Reptilien,
die der Ichnospecies Rhynchosauroides tirolicus angehören, und aus
Spuren, die von Tecodontier mittlerer Größe hinterlassen wurden,
die als Chirotherium cf. rex und Brachychirotherium aff. B. parvum
bezeichnet werden.
Die Tecodonten waren primitive Archosaurier, die im oberen Perm,
vor ungefähr 250 Millionen Jahren auftraten, sich im Trias rasch
weiterentwickelten, Untergruppen bildeten und am Ende der Trias
ausstarben. Ihre relativ kurze Entwicklungsgeschichte war von
großem Erfolg gekönt, da sie sich zu den Vorfahren der drei
wichtigsten Gruppen der späteren Archosaurier entfalteten: der
Dinosaurier, der Flugsaurier und der heute noch lebenden
Krokodile. Die Tecodonten ähnelten in ihrem äußerem Aussehen den
heutigen Krokodilen. Im Unterschied zu diesen befanden sich die
Beine fast senkrecht unter dem Leib, sodaß sie als erste echte
Läufer an Land bezeichnet werden können. Ihre Ferse war jedoch
nicht vollkommen ausgebildet und der Drehpunkt des Hebelsystems,
wodurch sie die Beine vom Boden heben konnten, bestand aus einem
fünften Mittelfußknochen und aus einem fünften, ziemlich lang
ausgebildeten und seitlich angeordneten Finger. Sie gehörten
sowohl zu den Pflanzen- als auch zu den Fleischfressern, einige
lebten im Süßwasser, andere wiederum waren an Land lebende
Raubtiere, die im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte eine große
Zahl ökologischer Nischen besetzten und am Höhepunkt ihrer
Entwicklung mit ihren Nachfahren, den Dinosauriern,
zusammenlebten.
Die in diesen letzten Jahren im Raum der Dolomiten durchgeführten
Forschungen haben zur Entdeckung ähnlicher Tierarten in den
anisischen Sedimenten vieler Orte geführt, die größtenteils Paolo
Mietto von der Universität Padua und seinen Mitarbeitern zu
verdanken sind. Wir kennen heute zahlreiche Lebensgemeinschaften
von Spuren am Schlern, des Monte Cernera, in Buchenstein und in
der Val Fiorentina. Neue Funde beweisen, daß Spuren dieser
Reptilien auch in den Aufschlüssen des Richthofen-Konglomerats im
Etschtal und im Nonstal vorhanden sind. Diese Orte sind
größtenteils noch nicht genau erforscht. Aus den ersten
Untersuchungen geht jedoch hervor, daß dort verschiedene
Reptilienarten gelebt hatten. Die am zahlreichsten vertretenen
Arten sind, Reptilien mit eidechsenähnlicher Form und einer Länge
von wenigen Zentimetern bis 60 - 70 Zentimeter, die zur
ichnologischen Gattung der Rynchosauroides gehören. Diese Tiere
könnten äußerlich den heutigen Leguanen oder Waranen der Insel
Komodo sehr ähnlich gewesen sein. Ihre Spuren zeugen von dünnen
Fingern mit Krallen und von langen Schwänzen, die sie bei ihrem
wogenden Gang durch den feinen Sand schleiften, wobei sie dabei
ihre heute versteinerten typischen Rillen hinterließen.
In geringerer Zahl erhalten, aber sehr interessant sind die Spuren
von tecodonten Reptilien. Darunter wurden bisher die
ichnologischen Gattungen Chiroterium KAUP, 1835, Brachychiroterium
BEURLEN, 1950, Isochiroterium HAUBOLD, 1971 Rotodactylus PEABODY,
1948, Synaptichnium NOPCSA, 1923 bestimmt. Die größeren Abdrücke
gehen mit Wahrscheinlichkeit auf 4-5 Meter lange Tiere zurück,
darunter einige große Raubtiere, die als Löwen der damaligen Zeit
betrachtet werden können. Zahlreich vertreten sind die kleineren,
1 bis 2 Meter langen, flinken und behenden Tiere mit langem,
gehobenem Schwanz, welcher zum Ausgleich des Körpergewichts
diente. Aufgrund der Abdrücke von Füßen mit dünnen Zehen und
scharfen Krallen wird angenommen, daß sie Fleischfresser waren.
Andere hatten festere, kürzere Beine und müssen Pflanzenfresser
gewesen sein. In diesen Lebensräumen am Rand eines antiken
Kontinents lassen einige Abdrücke darauf schließen, daß erwachsene
und junge Tiere der gleichen Art miteinander lebten.
Oft waren der Sand und Schlamm, worauf diese Tiere gingen, so gut
verformbar, daß am Grund die Abdrücke der Schuppenreste
zurückgeblieben sind, mit denen die Haut dieser Tiere bedeckt war.
Diese stellen eine wertvolle Quelle dar, um das Aussehen dieser
ausgestorbenen Tiere rekonstruieren zu können. Wenn das aus dem
Meer ragende Land von vielen Tieren verschiedener Arten bewohnt
war, so stellten auch die warmen Meere einen idealen Lebensraum
für verschiedene Meeresreptilien dar. Aus dem Pustertal (Pragser
Dolomiten) stammen einige Knochenfunde, die Placodonten der Art
Paraplacodus broilii PEIER, 1931 zugeordnet und im Museum von
Mailand aufbewahrt sind. Die Placodonten traten in der Trias auf,
überlebten 35 Millionen Jahre und starben danach aus. Diese
Reptilien waren halb Wassertiere, halb Landtiere und konnten
sowohl an den Küsten leben und gedeihen als auch in seichten
Gewässern schwimmen. Sie fanden darin reichlich Nahrung und fraßen
mit Vorliebe Weich- und Krustentiere, deren Schale sie mit ihren
breiten Zähnen zermalmten. Die ältesten Arten hatten vom Ober- und
Unterkiefer hervorstehende Zähne, die ihnen zum Loslösen der an
den Felsen anhaftenden Mollusken dienten. Die hinteren Zähne waren
breit und flach und zum Zermalmen der festen Schale ihrer Beute
geeignet. Der Gaumen war mit großen Zähnen zum Zerkleinern der
Nahrung bedeckt. Die primitiven Placodonten, wie die der Pragser
Dolomiten, hatten vermutlich einen gedrungenen Körper, einen
kurzen Hals und seitlich angeordnete Gliedmaßen, wie die der
primitiven Landreptilien. Zum Schwimmen besaßen sie nur Membrane
zwischen Fingern und Zehen und einen langen Schwanz. Der Unterleib
war durch einen starke Panzer aus flachen Bauchrippen verstärkt,
am Rücken besaßen sie eine Reihe von Knochenwülsten, die das sonst
wehrlose Tier schützten.
Die Ichtyosaurier, Meeresbewohner der Trias
1969 entdeckten M. Strobl und J. Comploy auf einer Wanderung auf
der Seceda Knochenreste zwischen den Ablagerungen der
Buchensteiner Schichten in der Nähe des Pana-Jochs. Die Knochen
waren dunkel, mineralisiert und im Felsen eingebettet. Bald wurde
klar, daß es sich um die Reste eines großen fossilen Wirbeltiers
handeln mußte. Der Fundort wurde mehrmals aufgesucht, wobei es
gelang weitere Funde zu Tage zu bringen. Es wurden nach und nach
Fragmente von Rippen und Wirbeln geborgen und dem Institut für
Paläontologie der Universität Zürich übergeben. Dort wurden die
Knochen nach langer und sorgfältiger Präparierung untersucht,
restauriert und zusammengesetzt. Eine Wirbelsäule mit Fragmenten
eines hinteren Glieds nahm somit Form an. Professor Emil KuhnSchnyder untersuchte das Material und bestimmte, daß diese Reste
von einem großen Ichtyosaurier, wahrscheinlich einem Shastasaurus
sp. stammten. Er veröffentlichte im Jahr 1980 eine Abhandlung. Die
teilweise rekonstruierten Reste dieses Ichthyosauriers sind heute
im Museum von St. Ulrich ausgestellt.
Die Ichtyosaurier waren jene urzeitlichen Reptilien, die sich an
das Leben im Meer am besten angepaßt hatten. Ihr Name
"Fischechsen” bringt dies gut zum Ausdruck. Sie hatten
fischförmiges Aussehen, obwohl sie zu den Reptilien gehörten und
immer wieder auftauchen mußten um Luft einzuatmen. Die
Fortbewegung erfolgte durch Bewegungen des Schwanzes, wie bei den
heutigen Thunfischen und Haien. Aufgrund ihrer vollkommenen
Anpassung an das Leben im Wasser brauchten die Ichthyosaurier
nicht mehr ans Land zu kommen, um ihre Eier abzulegen. Deshalb
brachten diese Reptilien, die die Weltmeere mehr als 100 Millionen
Jahre lang beherrschten, ihre Jungen direkt im Meer lebend zur
Welt. Unter den bisher gefundenen Überresten ist ein Fund aus
Deutschland bemerkenswert welcher einen weiblichen Ichtyosaurier
zeigt, der im Augenblick der Geburt seiner Jungen durch eine
Katastrophe ums Leben kam. Eine Sandschicht überdeckte den
Ichtyosaurier, sodaß sich heute noch die Momentaufnahme dieser
Tragödie rekonstruieren läßt. Sie bevölkerten die Weltmeere
ungefähr 100 Millionen Jahre lang. In der mittleren Trias, dem
Gesteinsalter des an der Seceda gefundenen Exemplars, standen sie
erst am Anfang ihrer erfolgreichen Entwicklungsgeschichte. Deshalb
ähnelte der im Grödner Tal gemachte Fund noch nicht sehr den
späteren Tieren, sondern hatte eine noch sehr ursprüngliche Züge
mit einem typischen langen Schwanz. Ihm fehlte auch die
charakteristische Rücken- und Schwanzflosse, die von den späteren
Ichthyosauriern entwickelt wurden. Das Tier hatte aber das typisch
längliche, schnabelförmig ausgebildete Kiefer und viele spitze
Zähne. Seine Gliedmaßen waren kurz und eher den Flossen eines
Fisches ähnlich als den Schwimmhäuten der späteren Ichthyosaurier.
Diese dienten wahrscheinlich zur Richtungsbestimmung, während sich
das Tier durch das Hin- und Herbewegen des langen Körpers
fortbewegen konnte.
Dinosaurier auf den weiten Gezeitenebenen
Vom Monte Pelmo, volkstümlich auch ”caregon degli dei”,
Götterthron genannt, nahm die Geschichte des Alpinismus in den
Dolomiten ihren Ausgang, nachdem der englische Forscher John Ball
in Begleitung eines unbekannten Einheimischen vor mehr als einem
Jahrhundert diesen Berg bestiegen hatte. Anfangs der 80er Jahre
bemerkte V. Cazzetta, Mitarbeiter des Museums von Selva di Cadore,
kleine aneinandergereihte Löcher auf einem Felsbrocken in 2050 m
Höhe, am Fuß der Südostkante des Monte Pelmetto.
Die ersten Untersuchungen fanden statt. Der Felsbrocken bestand
eindeutig aus Dolomit aus der Triaszeit und nicht aus Kalkgestein
des Perm, wie ursprünglich vermutet.
Doch eine Sensation begann sich anzubahnen: Auf seiner Oberfläche
von etwa 60 Quadratmetern sind etwa hundert Spuren sichtbar, die
Professor Mietto den Dinosauriern zuordnete. Es ist der erste
große Fund, der auf das Vorkommen von Dinosauriern in den
italienischen Alpen verweist. Eine neue, mit viel Begeisterung
durchgeführte Forschungstätigkeit beginnt. Aus der genauen
Vermessung und nach der Anfertigung von Abgüssen der Spuren ging
hervor, daß sie von verschiedenen Tieren stammen. Die meisten
davon wurden von kleinen, fleischfressenden, zweifüßigen
Dinosauriern mit zirka einem Meter Länge und einem Meter Höhe
hinterlassen, deren Beine drei 6-7 Zentimeter lange Zehen hatten.
Wahrscheinlich handelt es sich um kleine, primitive Teropoden die
der Gruppe der Ceratosaurier angehörten. Eine vierbeinige Spur,
bestehend aus aufeinanderfolgenden rundlichen Abdrücken mit etwa
15 cm Durchmesser, wird von Mietto einem Prosauropoden zugeordnet.
Es könnte sich um einen pflanzenfressenden, vierfüßigen, 3-4 m
langen Dinosaurier handeln. Die Tatsache, daß die Abdrücke der
Vorderbeine nur ab und zu sichtbar sind, bestätigt die Annahme,
daß diese Dinosaurier auf den Hinterbeinen standen und über kurze
Zeit auf zwei Beinen gehen konnten. Der Felsen selbst wird
diagonal von einer langen Spur durchquert. Diese zwölf Zentimeter
langen, dreifingrigen Abdrücke wurden wahrscheinlich von kleinen,
zweifüßigen, pflanzenfressenden Dinosauriern der Gruppe der
Schnabelsaurier hinterlassen.
Im Lauf der Jahre wurden weitere Abdrücke von Dinosauriern im
darunterliegenden Geröll gefunden. Einige davon sind im Museum von
Selva di Cadore aufbewahrt. Äußerst interessant ist der vor kurzem
gemachte Fund eines chiroteroiden Abdrucks, der auf einen
Tecodonten zurückgeht. Dieser Fund bestätigt das Vorkommen alter
Dinosaurierformen auf dem Pelmetto und das Zusammenleben von
Dinosauriern und tecodonten Reptilien in den Dolomiten auch in der
oberen Trias. Einige Zeit später stieß Fabio Vangelista in den
östlichen Dolomiten, am Fuße der Drei Zinnen, auf einen Felsblock
aus Dolomit, auf dem zwei große Spuren deutlich erkennbar waren.
Der Felsblock befindet sich am Weg von der Auronzo-Hütte zur
Lavaredo-Hütte wenige hundert Meter von der Kapelle entfernt. Auf
seiner Oberfläche waren zwei große dreifingrige, etwa 30
Zentimeter lange Spuren sichtbar, hinterlassen von der Gattung
Eubrontes. Das Tier, von dem die Abdrücke stammen, muß ein
zweifüßiger fleischfressender, ziemlich großer Dinosaurier aus der
Gruppe der Ceratosaurier gewesen sein.
In letzter Zeit wurden im Dürrenstein-Dolomit (oberes Karn), der
in verschiedenen Gebieten der westlichen Dolomiten vorkommt,
zahlreiche Abdrücke und Pisten entdeckt, die derzeit noch
untersucht werden, aber bereits auf Tecodonten und andere
primitive Dinosaurier schließen läßt.
Die Dinosaurier des Jura
Weitere, von großen Dinosauriern stammende Abdrücke wurden in den
jurassischen Böden entdeckt, die an verschiedenen Stellen der
ehemaligen Plattform von Trient sich abgelagert haben. Diese
Fundstellen liegen größtenteils südlich der Dolomiten, aber die
Felsenformation der Graukalke, in der diese Spuren vorkommen, ist
die gleiche, die am Berggipfel der Dolomiten auftritt. Es kann
daher angenommen werden, daß früher oder später auch dort Spuren
entdeckt werden, die darauf hinweisen, daß im Jura dort
Dinosaurier gelebt haben.
Die Dinosaurier der Lavini Di Marco
Eines nachmittags im Frühjahr 1990 durchwandert Luciano Chemini,
begeisterter Geologe und Biologe, in den wilden Felsen der Gegend
um Lavini, in der Nähe von Rovereto. Plötzlich bemerkt er einige
Vertiefungen mit einer eigenartigen, symmetrischen Anordnung.
Durch die Sonneneinstrahlung erwecken sie den Eindruck, als ob es
sich um versteinerte Fußspuren eines gigantischen Wesens handelte.
Am nächsten Tag kehrt Chemini wieder zu den Felsen von Lavini
zurück, macht einige Fotos und sendet sie an das
Naturwissenschaftliche Museum von Trient mit der Frage, ob es
sich eventuell um Spuren von Dinosauriern handeln könnte. Die
Bilder erregen Aufmerksamkeit, aber gleichzeitig auch Vorsicht,
denn aus den geologischen Karten geht klar hervor, daß diese
Gegend vor 200 Millionen Jahren vom Meer bedeckt war! Ein Jahr
später, im Sommer 1991, berät sich Michele Lanzinger, damals
Leiter der geologischen Abteilung des Museums, zum letzten Mal mit
seinem Kollegen Giuseppe Muscio aus Udine über diese zweifelhaften
Vertiefungen. Nochmals kehren sie zu den Lavini di Marco zurück
und kommen zu dem Entschluß, daß die Annahme von Chemini durchaus
richtig sein könnte. Allmählich wurde die Vermutung zur Gewißheit,
es fehlte nur noch die Bestätigung durch einen Experten.
Giuseppe Leonardi, der weltweit anerkannteste Experte auf dem
Gebiet der Saurierspuren wurde herbeigerufen. Im Jahre 1974 war er
nach Brasilien gegangen und hatte auch dort eine Fülle von
Entdeckungen gemacht. Nach Italien zurückgekehrt, suchte er im
August die Lavini auf. Auch für Leonardi gab es keinen Zweifel:
hier lebten Dino-saurier. Sofort nach Beginn der
Forschungsarbeiten erkannte man, wie wertvoll und aufschlußreich
die Schichten waren. Die Forschungsarbeiten wurden von Leonardi
und Paolo Mietto koordiniert und aus den bisher an dem Fundort
gesammelten Daten geht ein deutliches Bild über die Dinosaurier
hervor, die die Gebiete der derzeitigen Südalpen bevölkerten. Die
Spuren und Pisten, die von hunderten von fleischfressenden und
pflanzenfressenden Lebewesen unterschiedlicher Form und Größe
stammen, sind in sechs verschiedenen Schichten vorhanden, die in
einem etwas mehr als 5 Meter dicken Schichtpaket enthalten sind.
Die Aufschlüsse können dem Beginn des Jura zugeordnet werden (vor
zirka 190 Millionen Jahren) und sind die fossilen Reste einer
großen karbonatischen, durch die Gezeiten geformten Ebene, die
landschaftlich mit dem heutigen Küstengebiet des Persischen Golfs
vergleichbar ist. Der größte Teil der Abdrücke wurden von
fleischfressenden Dinosauriern mit drei Zehen hinterlassen, die
unterschiedlichen Formen von Ceratosauriern mit einer Länge von 1
bis 8 Metern angehörten. Die kleineren Tiere gleichen dem in
Afrika gefundenen Syntarsus oder dem nordamerikanischen
Coelophysis. Die größten Tiere ähnelten dem amerikanischen
Dilophosaurus und konnten mit Gewißheit große Pflanzenfresser
angreifen und jagen. Es ist aber auch möglich, daß sie Aasfresser
waren. Im Lebensraum dieser Raubsaurier lebten auch zahlreiche
kleinere und größere Pflanzenfresser. Die kleinsten Tiere waren
zweifüßige, leichte Fabrosaurier, deren größte Exemplare
wahrscheinlich nicht größer als ein Truthahn waren. Die
Iguanodonten wurden bis 4-5 Meter lang und konnten eine Tonne
schwer werden. Eine große Gruppe von Abdrücken weist auf das
Vorkommen zahlreicher, 1 bis 3 Tonnen schwerer und bis 9 Meter
langer Riesensaurier in diesem Gebiet hin. Die auf diese Tiere
zurückgehenden Funde sind besonders wertvoll, da sie zu den
ältesten Spuren zählen, die bisher weltweit entdeckt wurden. Diese
großen Raubsaurier gehörten vielleicht zur Familie der
Vulcanodonten, deren Skelettreste in den jurassischen Gesteinen
Südafrikas entdeckt wurden. Es handelt sich dabei um die einzigen
bisher bekannten Raubsaurier aus so alter Zeit. Aber die
Fundstelle der Lavini di Marco ist nicht nur wegen der
vielfältigen Fauna so berühmt geworden. Ihre grauen Felsplatten
sind für das erfahrene Auge des Forschers ein unersetzbares Abbild
einer 200 Millionen Jahre zurückliegenden Welt. Durch die Art und
Weise, wie die Spuren untereinander zugeordnet sind und sich
wiederholen, konnte nicht nur die Art des Dinosauriers bestimmt
werden, sondern es war auch möglich, ihre Gangart, Haltung, ihre
Körpermaße und ihr Gewicht zu rekonstruieren. Aus dem Abstand
ihrer Schritte ließen sich ihre Fortbewegungsgeschwindigkeit und
die vorwiegend eingeschlagene Richtung ableiten. Es konnten
interessante Erkenntnisse über ihr soziales und individuelles
Verhalten und über die Verhaltensweise der verschiedenen Gruppen
zueinander gewonnen werden.
Von besonderer Bedeutung ist die Untersuchung des Verhaltens der
verschiedenen Tiergruppen zueinander. Man fand heraus, daß das
Festland durch sich wiederholende Änderungen des Meeresspiegels
gekennzeichnet war, wodurch die Tiere gezwungen waren, sich an
unterschiedliche Bedingungen im Laufe der Zeit anzupassen. Aber
die von den Dinosauriern im Gestein der Trias und des Jura
hinterlassenen Spuren haben auch zahlreiche, noch unbeantwortete
Fragen aufgeworfen.
Die großen, durch die Gezeiten entstandenen Ebenen, die im Gebiet
der Dolomiten in der oberen Trias und im unteren Jura vorhanden
waren, konnten nur schwer der vorwiegende Lebensraum dieser Tiere
sein. Gezeitenzonen haben keine festen Böden, werden regelmäßig
vom Meer überschwemmt, auf ihnen wächst gewiß keine so üppige
Vegetation, wie sie die großen pflanzenfressenden Dinosaurier für
ihre Ernährung brauchen. Die häufigen Funde großer Landwirbeltiere
und ihre Unterschiedlichkeit sind ein Hinweis auf ein Festland und
küstennahe Gebiete, die hunterttausende von Jahren hindurch
weitläufig und stabil gewesen waren. Es müssen auch Verbindungen
mit anderen Gebieten vorhanden gewesen sein, wodurch die Tieren
zeitweise auch sehr weit entfernte Gebiete kolonialisieren
konnten, wenn die Gezeitenebenen trocken waren. Wo aber sind, oder
besser gesagt, waren diese Gebiete? Wie groß waren sie? Wie lange
konnten dort die Dinosaurier überleben? Diese Fragen gehen aus
den Versteinerungen im Abstand von Millionen Jahren hervor. Die
Forscher stellen sich dieser Herausforderung und besteigen wie
ihre Vorgänger Sommer für Sommer die Dolomiten, um deren innerste,
verborgenen Geheimnisse zu lüften.
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