Teil I: Geschichtliche Darstellung

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“Der Geist Gottes im Süden Perus”
-1-
Ulrike Sallandt
RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM
THEOLOGISCHE FAKULTÄT
PROMOTIONSARBEIT
Titel: “Der Geist Gottes im Süden Perus” – eine Untersuchung der
peruanischen Pfingstkirche “Asambleas de Dios”
Ulrike Sallandt
März 2004
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
-2-
Ulrike Sallandt
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
4
EINLEITUNG
6
TEIL I: GESCHICHTLICHE DARSTELLUNG
6
1. Der peruanische Kontext: ein Einblick in Geschichte und Gesellschaft
1.1 Politik und Religion
1.2 Kultur und Religion
6
6
9
2. Der Protestantismus in Peru
2.1 Panorama des Protestantismus seit der Unabhängigkeit (1821) – der Versuch einer
Periodisierung
2.2 Geschichte der Mission und Evangelisation
2.3 Theologische Reflexion – die Theologie der Mission
11
3. Die Pfingstbewegung
3.1 Die historischen Wurzeln
3.1.1 Methodismus
3.1.2 Die Heiligkeitsbewegung
3.2 Die drei Wellen des Heiligen Geistes
3.3 Die „Asambleas de Dios – Geschichtlicher Überblick
3.3.1 Geburtsstunde in den USA
3.3.2 Die Gründung in Peru (1939)
3.3.3 Spaltungen innerhalb der AdD
22
22
22
24
25
27
27
29
30
TEIL II: ANTHROPOLOGISCHE BESCHREIBUNG
31
4. Anthropologische Beschreibung der AdD - Methode und Technik
4.1 Der Gottesdienst - „ein Treffen mit Gott“
4.1.1 Das Gebet – „das Gespräch mit Gott“ oder „ein Treffen mit dem Heiligen
Geist“ 37
4.1.2 Der Lobpreis – “eine Zeit, um Gott anzubeten“
4.2 Die Gemeinde
4.3 Die Pfarrer
4.3.1 Typologie – Pfarrer der Südregion der AdD aus Peru
4.3.2 Zusammenfassung
4.4 Die Predigt
4.4.1 Beschreibung
4.4.2 Die “Bibel der AdD“
4.4.3 Der hermeneutische und homiletische Bibelgebrauch
4.4.4 Thematische Beobachtungen
4.5 Die missionarische Vision des Ortsgemeinde
31
33
TEIL III: HERMENEUTISCHE UND SOZIOLOGISCHE PERSPEKTIVE
97
11
18
19
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49
49
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52
54
66
94
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Ulrike Sallandt
5.
Hermeneutische und soziologische Analyse der Realität der AdD
5.1 Der Gottesdienst und die Geistekstase
5.1.1 Mystik
5.2 Die Geistlich-autoritären Leit-/ Verwaltungsträger und die Gemeinde im
pfingstlichen Kontext
5.2.1 Die charismatische Leitung
5.2.2 Der traditionelle Leitungstyp
5.2.3 Das Beziehungsverhältnis zwischen Charisma und Tradition
5.3 Die dynamische Ekklesiologie der Pfingstler – Innen- und Außenperspektive
5.3.1 Innenperspektive: theologische Ideologie oder ideologische Theologie
5.3.2 Außenperspektive: Institutionelle Struktur (Form)
5.4 Die Pfingstbewegung aus soziologischer, ethnologischer, anthropologischer und
kultureller Perspektive
5.4.1 Die
Gesellschaftliche
Relevanz
(Lebenswirklichkeit):
diverse
Erklärungsmodelle der Pfingstbewegung
5.4.2 Ein theoretischer Erklärungsansatz: „Pentekostalität und Pentekostalismus“
(Campos, Bonino)
5.4.3 Der Versuch einer Darstellung aus soziologisch-historischer Perspektive – die
AdD in der Südregion Perus(vgl. Die erstellt Graphik auf Pappe: alles mit Blick auf die
AdD) 186
TEIL IV: KRITISCHE REFLEXION
97
98
108
114
116
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120
129
130
152
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178
183
194
6. Theologisch-kritische Reflexion
194
6.1 Zwischen Geist und Wort
194
6.2 Die Gefahr der „Vergeistlichung“
Error! Bookmark not defined.
6.3 Die „Geist-Theologie“ – Chancen und Gefahren
203
6.4 Schlussbetrachtung: zwischen „Pfingstler – Gott“ und „trinitarischem Gott“Error! Bookmark not defined.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Abkürzungsverzeichnis
AdD
Asambleas de Dios (Pentekostal-Denomination der „Versammlung Gottes“)
Anmerk.
Anmerkung
Arq
Arequipa
ASEC
Br.
Acción Social Ecumenica Latinoamericana (Sozial ökumenische lateinamerikansche Aktion)
Reader des Fakultät Orlando E. Costas, Kurs: Misión en el Antiguo Testamento
(Mission im Alten Testament)
geistiger Bruder
bzgl.
bezüglich
CC-Arq
Comunidad Carismática in Arq (Charismatische Gemeinde in Arq)
CCLA
CELA
Comité de Cooperación latinoamericana (Komitee der lateinamerikanischen Kooperation der ev. Kirchen)
Comunidad Cristiana – „Neues Leben“ in Arequipa (Christliche Gemeinde der AdD
in Arq)
Congreso Evangelico Latinoamericano (Ev. Lateinamerikanisches Konzil)
CEM
Centro Evangelístico Misionero (Lokalkirche der AdD in Arq)
CEMAA
Centro Evangelistico de Misiologia Andino - Amazonica
CLADE
CONEP
Congreso Latinoamericano de Evangelización (Lateinamerikanischer Kongress der
Evangelisation)
Concilio Nacional Evangelico de Perú (Ev. Nat. Konzil in Peru)
etc.
und so weiter
ev.
evangelisch
EVAF
Evangelismo de Fondo (Tiefenevangelisation)
FB
Fragebogen
Fn.
Fussnote
FTL
HG
Fraternidad Teológica Latinoamericana (Theologisch Lateinamerikanische Freundschaft)
Heiliger Geist
IMR
Internationaler Missionsrat
ISAL
Iglesia y Sociedad de América Latina (Kirche und Gesellschaft in Lateinamerika)
Kap.
Kapitel
kath.
katholisch
LAM
Misión Latinoamericana (Mission Lateinamerikas)
MC
MEC
Reader des Fakultät Orlando E. Costas, Kurs: Misión Contemporánea (Zeitgenössische Mission)
Movimiento Estudiantil Cristiano (Christlich Studentische Bewegung)
Mis.
Missionarin/ Missionar
Moq
Moquegua
n.Chr.
nach Christus
Nat.
national
o.ä.
oder ähnlich
ÖRK
Ökumenischer Rat der Kirchen
Pf.
Pfarrerin/ Pfarrer
Pkt.
Punkt
s.o.
siehe oben
Sch.
geistige Schwester
SCM
Reader des Fakultät Orlando E. Costas, Kurs: Sociedad, Cultura y Misión (Gesell-
ATM
CC-Nueva Vida
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
schaft, Kultur und Mission)
SIH
sog.
SRM
Internationales Symposium – Geschichte des evangelischen Protestantismus in Lateinamerika und der Karibik.
sogenannter
TAF
Reader des Fakultät Orlando E. Costas, Kurs: Sociedad, Religión und Misión (Gesellschaft, Religion und Mission)
Templo Apostólico de la Fe (Lokalkirche der AdD in Tacna)
u.a.
unter anderem
ULAJE
UNELAM
Unión Latinoamericana de Juventudes Evangélicas (Lateinamerikanische Vereinigung der evangelischen Jugend)
Unidad Evangelica Latinoamericana (Ev. Lateinamerikanische Einheit)
Vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
Zshg.
Zusammenhang
Datum: 28.- 31. Oktober 2002 – Ort: Auditorium der Zentralbibliothek der Nat. Universität San Marcos in Lima, Organisation: Fakultät der Sozialwissenschaften mit
FTL.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Einleitung
Teil I: Geschichtliche Darstellung
1. Der peruanische Kontext: ein Einblick in Geschichte und Gesellschaft1
1.1
Politik und Religion
Am 28. Juli feiern die Peruaner jährlich den Tag ihrer Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht. Es ist ein Volksfest, welches den Patriotismus und den Stolz eines jeden peruanischen
Bürgers widerspiegelt.2
Am 28. Juli 1821 hatte der argentinische General José de St. Martin das peruanische Volk von
den Spaniern befreit und mit anderen Befreiungskämpfern die Hauptstadt Lima erreicht. Die sog.
„Precursores“ (Vorbereiter) der Befreiung wie z.B. Franscisco de Paula Gonzala Virgil hatten
zuvor, organisiert in kleinen revolutionären Minderheiten gegen die spanische Besatzungsmacht,
die Grundlage dafür geschaffen. Sie intendierten mittels nationalistischer Propaganda dem Volk
die Augen für eine nationale Autorität zu öffnen. Die befreiende Botschaft Martins auf dem „Plaza de Armas“ (Hauptplatz) im Kern Limas lautete wie folgt:
„Von diesem Moment an ist Peru frei und unabhängig durch die Gerechtigkeit der
Völker und dadurch, dass Gott [die Freiheit] verteidigt. Es lebe das Vaterland! Es
lebe die Freiheit! Es lebe die Unabhängigkeit“3.
In demselben Jahr traf sich Martin mit dem Militärsgeneral Simon Bolivar aus Venezuela in der
ecuadorianischen Stadt (Grenze zu Nord-Peru) Guayaquil, der die Befreiung der nördlichen Länder anstrebte.
Mit der Unabhängigkeitserklärung begann der Prozess zur Errichtung der Republik. Es entstanden politische Parteien, die vor allem von den bereits erwähnten „precursores“, den entstehenden
oppositionellen Minderheiten, getragen wurden. Es vergingen aber dennoch vierundzwanzig Jahre bis zur Errichtung der ersten republikanischen Regierung unter dem ersten Präsidenten Ramón
Castilla (1845-1862), die nach unzähligen Verfassungsentwürfen die erste offizielle politische
Verfassung Perus beinhaltete, die die katholische Kirche als offizielle Kirche Perus akzeptierte.
Als Grundlage dieses Abschnitts dienen die Interviews mit dem Anthropologen Dr. Tito Paredes und Mag. Martin Ocana.
Bzgl. eines allgemeinen Überblicks über die Geschichte Perus bis Ende der siebziger Jahre, vgl. Kessler, Historia de la Evangelización, S. 23-34.
3 Vgl. zum Unabhängigkeitstag, Beilage der Tageszeitung Correo, vom 28. Juli 2003, S. III im spanischen Original: „A partir de
estos momentos el Peru es libre e independiente por la justicia de los pubelos y por la causa que Dios defiende. Viva la patria!
Viva la libertad! Viva la independencia!“
1
2
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Ulrike Sallandt
Die konservative Ausrichtung der politischen Führungsmächte wurde erst nach und nach im 19.
Jahrhundert durch reisende Geschäftsleute und den dadurch entstehenden Kontakt mit aufklärerischen europäischen Ideen beeinflusst. Die entstehenden neuen Gruppierungen, die sich diesen liberalen Gedanken öffneten, suchten Versammlungslokale und verbündeten sich zum Teil mit den
ursprünglichen revolutionären Wegbereitern.
Ein erster sichtbarer Erfolg der Liberalen wird in der Verfassung im Jahr 1915 sichtbar, in der gesetzlich die Religionsfreiheit gegenüber den evangelischen Kirchen und ihrem Kult ausgesprochen wurde.4 Die Gründung der ersten Universität (Haya de la Torre5) zu Gunsten der armen Bevölkerungsschicht unter der Präsidentschaft Leguías (1919-1930) förderte die linkspolitische Arbeit und mündete in die Gründung der links ausgerichteten politischen Volkspartei, APRA (Allianza Popular Revolucionario Americana). Sie verfolgte u.a. die Agrarreform, den Prozess der
Uniformierung der lateinamerikanischen Länder.
Leguía förderte die wirtschaftliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten und setzte den Ursprung für die gegenwärtig existierende totale Dependenz Perus von seinem mächtigen nordamerikanischen Nachbarn. Gewisser Einfluss auf Kultur und Religion blieb nicht aus.
Der Untergang des hier kurz skizzierten liberalen Projekts begründet sich in seinem äußeren Ursprung. Die liberalen Ideen waren aus dem Ausland durch diverse internationale Verbindungen
importiert worden, und der peruanische links-revolutionäre Flügel war nicht in der Lage, diese
okzidentalen Ideen zu ihrem eigenen, d.h. zu ihrem kontextualisierten bzw. „peruanisierten“ Liberalismus zu machen. Die Folge dieses Mangels verkörpert sich in dem ansteigenden Abhängigkeitsverhältnis zu den Vereinigten Staaten sowie dem stärker werdenden Mitspracherecht der katholischen Kirche auf politischer Ebene.
Die politische Situation im weiteren Verlauf des letzten Jahrhunderts wurde vor allem von der
Militärregierung unter Velasco (1969-1975)6 geprägt, der in seiner Regierungszeit die Verantwortung diverser Sozialreformen übernahm, u.a. erreichte er dieAkzeptanz der kulturellen Unterschiede, die offizielle Durchsetzung der einheimischen Sprache Quechua und die Förderung der
Agrarreform. Die Stadtbevölkerung Perus war mittlerweile auf 65% angewachsen.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich die Verfassung von dem Zeitpunkt an widersprach, denn auf der einenSeite wurde die Religionsfreiheit proklamiert, auf der anderen Seite bestätigte die Verfassung eindeutig den Anspruch der katholische Kirche auf das religiöse Monopol.
5 Vgl. zur Person Haya de la Torre Correo vom 18. Januar 2004, S. 18; vgl. Deiros, Geschichte des Christentums, S.
6 Bzgl. Velasco vgl. Mar, El Nuevo Rostro Urbano, S. 37-40.
4
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Ulrike Sallandt
Das Ende der konservativen Regierung Belaundes (1980-85)7 markiert die ersten Wurzeln des
Terrorismus, subversiver revolutionärer Gruppen, die zu Beginn vor allem außerhalb von Lima in
den ländlichen Provinzen existierten. Mit der Regierung Garcias (1985-1990) entwickelten sich
die zwei Hauptträger der Revolution, die subversiven Gruppen des „Sendero Luminoso“ (SL)
sowie des „Movimiento Revolucionario Tupac Amaru“(MRTA)8. Während sich die terroristisch
ausgerichtete Gruppe des SL an den Ideen des sozialistischen chinesischen Führers Mao Tsi Tung
orientierte, charakterisierte sich MRTA durch den starken Einfluss marxistischer Gedanken.
Ayacucho, im Süd-Osten Limas, gilt als der Geburtsort des Terrors. Von dort breitete sich die terroristische Gewalt in die Städte und erreichte seinen Höhepunkt mit der „Ausschaltung“ der Regierung. Mit anderen Worten kam es unter Garcia zu einer Art Kapitulation gegenüber den subversiven Gruppen, so dass diese frei agieren konnten und sich bis in die intellektuellen Kreise der
Universitäten ausbreiteten.
Der ausgeschaltete Polizeiapparat und das dadurch ermöglichte willkürliche Handeln der Terroristen führten zu einer totalen Orientierungslosigkeit und zum absoluten Verlust des Vertrauens
unter der Bevölkerung. Die Fronten zwischen terroristischem Attentat und militärischen Einsätzen der Regierung zur Bekämpfung dieser Gewalt verwischten sich bis ins Unkenntliche. In dieser Zeit, in der Täter und Opfer nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren, spielten die
evangelischen Kirchen durch ihr absolutes religiöses Bekenntnis eine nicht unwesentliche Rolle
eines neuen Hoffnungsträgers für ein Leben jenseits von Gewalt und Terror in einer anderen
Welt.9
Unter der Regierung Fujimoris (1990-2000)10 kam es zu einer ersten Zusammenarbeit zwischen
Polizeiapparat und Militär, die durch die Unterstützung des neu gegründeten SIN (Servicio Inteligencia Nacional) erste Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus erreichen konnten. Im Gegensatz zu seinen zwei Vorgängern „kolaborierte“ Fujimori zu den evangelischen Christen. Sie boten
mittlerweile eine bessere religiöse Alternative neben der katholischen Kirche, die aufgrund ihrer
Position zwischen Regierung und Terrorismus Gefahr gelaufen war, sich gegen das Volk zu
wenden, um mit der Regierung an einem Strang zu ziehen. Während sie sich also pro Regierung
verhielt, stellten die evangelischen Kirchen eine wirkliche Alternative für das Volk dar, denn sie
lehnten jeglichen Kontakt mit der Regierung ab.
Dies ist die zweite Regierungszeit Belaundes. Seine erste bestand von 1963-1968, in der er bereits die Notwendigkeit der kapitalistischen Wirtschaft erkannt hatte, vgl. a.a.O., S. 36.
8 Bzgl. Information über SL und MRTA vgl. Gutiérrez, Desafíos a la fe cristiana, S. 115-118.
9 Bzgl. der Rolle der evangelischen Kirchen vgl. Lopez, Pentecostalismo y Transformación social, S. 9-29.
10 Vgl. zu dem Thema der Präsidentschaft Fujimoris und der evangelischen Kirchen Gutiérrez, El „hermano“ Fujimori y el poder
politico en el Perú del 1990.
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Ulrike Sallandt
In der Gegenwart zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter der aktuellen politischen Führung Toledos (ab 2001) ist Peru in eine ganzgesellschaftliche Krise geführt worden. Nur noch 14,7 % des
gesamten peruanischen Volkes befürwortet seine gegenwärtige Präsidentschaft. Innerhalb seines
Parlaments sind die 59 % seiner Stimmen, die für den Wahlsieg notwendig waren, auf 12 % abgesunken. Es besteht eine totale Dependenz des nordamerikanischen Kontinents, d.h. nicht nur
Wirtschaft, Politik und gesellschaftliche Struktur spiegeln das panamerikanische Modell aus dem
Norden wider, sondern auch Ideologie und Glaubensüberzeugungen laufen Gefahr, veramerikanisiert zu werden.
Im Folgenden soll zum besseren Verständnis der Arbeit kurz auf die kulturell-religiöse Identität
des peruanischen Volkes eingegangen werden.
1.2
Kultur und Religion
Die Gegenwart Perus lässt ihr kulturelles Erbe des größten politischen Imperiums auf amerikanischem Gebiet, dem Inkareich, erkennen. Vor allem in den ländlichen Gebieten als auch in vor allem von Immigranten bewohnten Stadtteilen finden sich bestimmte religiöse und kulturelle Vorstellungen dieser Epoche, meistens in ritualisierter Gestalt.
Das Inkaimperium „Tawantinsuyo“ teilte sich zu seiner Zeit in vier geographisch von einander zu
unterscheidenden Gebiete: 1) Continsuyo, 2) Collasuyo, 3) Corasuyo und 4) Chinchasuyo. Sein
Regierungszentrum lag in der in der heutigen Zeit aus touristischen Gründen bekannten Stadt
Cusco mitten im Andengebirge. Die Inkaruinen „Machu Pichus“ geben ein eindrucksvolles
Zeugnis von der Architektur und der Struktur dieser Zeit.
Das Reich dehnte sich von Kolumbien über Peru bis nach Chile aus und war in geographischer
Ausdehnung um ein deutliches den Azteken in Mexiko überlegen11. Als ihr Gründerpaar gelten
Manco Cápac und Mama Ocllo, die der Legende nach aus den Wassern des Titiccarca Sees emporgestiegen sind.
Innerhalb dieses Imperiums existierten diverse unabhängige Eingeborenenstämme, die zwar von
den Inkas erobert wurden, aber aufgrund der religiösen Freiheit ihre eigenen kulturell-religiösen,
meist primitiven Werte, bewahren konnten. Zum Großteil kann sich eine magische Natur-
11
Vgl. Deiros, Historia del Cristianismo en América Latina, bzgl. der Azteken, S. 24-31; bzgl. der Ausdehnung des Inkaimperiumsvgl. die Graphik S. 57.
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Religiosität vorgestellt werden.12 Aufgrund dessen kann das Inkaimperium mit der Anbetung des
höchsten Gottes, des Sonnengottes (Inti)13 als eine politische Theokratie14 bezeichnet werden.
Seine Macht lag vor allem in der politischen Strukturierung der Arbeit (Arbeitsethik) zu Gunsten
des als göttlich geltenden Inkas, und nicht in der Glaubensmission der Völker. Es kann daher
vom Polytheismus in der Andenkultur gesprochen werden.15
Die verfassungsähnlichen politischen Inhalte der Inkas lassen sich an drei Hauptkriterien festmachen:
1) Ama sulla = sei kein Lügner
2) Ama llulla = sei kein Dieb
3) Ama quella = sein nicht faul
Die gut funktionierende Arbeitsethik und die administrative Verwaltung sowie die menschliche
Akzeptanz unter den Bewohnern innerhalb des Imperiums und der respektvolle Umgang mit der
Schöpfung (Pachamama = übers. Mutter Erde)16 begründete u.a. seine mächtige expansive Größe. Die im andinischen Raum gesprochenen Sprachen Quechua und Aymara hatten sich in der
vor-inkaischen Epoche unter den andinischen Kulturen wie z.B. Mochica, Tiahuanaco, Chavín17
ausgebildet.
Durch die spanischen Kolonialisten wurde das Inkaimperium von Norden her erobert und der
letzte Inka Atahualpa ermordet. Das Antreffen eines unerwarteten machtvollen reichen Imperiums (Goldschätze) löste eine gewisse Orientierungslosigkeit unter den spanischen Eroberern aus,
die schließlich darin endete, dass das Imperium geographisch unter ihnen aufgeteilt wurde.
Mit ihnen kam die westliche Technologie auf den Kontinent, der Buchdruck, die Wissenschaft im
Zuge des Intellektualismus sowie mit den Ärzten eine schulmedizinische Versorgung. Diese
Neuheiten und modernen Dienstleistungen verbanden sich mit einer starken Monopolisierung der
katholischen Kirche.
Der in der Gegenwart zu beobachtende religiöse Synkretismus, vor allem bei den feierlichen Prozessionen in der ehemaligen inkaischen Hauptstadt Cusco, gibt noch heute ein Zeugnis von dem
Bzgl. der inkaischen Religion vgl. Deiros, Historia del Cristianismo en América Latina, S. 58-62; zum Thema des magischen
Charakter der inkaischen Religiösität vgl. Mariátegui, Los siete ensayos de interpreatción de la realidad peruana, S. 166f.; vgl.
im Allgemeinen zum Thema der Magie, Frazer, Der Goldene Zweig. Eine Studie über Magie und Religion.
13 Der “Inti Raymi”, das Fest zu Ehren des Sonnengottes Inti erinnert noch heute alljährlich in Cusco im Sommermonat Juni an
seine machtvolle Position.
14 „Die Religion war der Staat“, Mariátegui, Los siete ensayos de interpreatción de la realidad peruana, S. 169.
15 Zum Thema der anidinsichen Spiritualität und Götterwelt vgl. Paredes, El Evangelio, S. 155-165
16 Bis in die Gegenwart bewahrte sich “el pago a la tierra”, übers. die Zahlung an Mutter Erde und zwar vor der Einnahme vonbensmittels wird z.B. wird ein Schluck aus der Flasche der Erde geweiht.
17 Vgl. Deiros, Historia del Cristianismo en América Latina, S. 52-57.
12
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Ulrike Sallandt
Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen religiösen Traditionen und schafft die Grundlage,
den gegenwärtigen religiösen Pluralismus und die Entstehung neuer religiöser Bewegungen verstehen zu können.
2. Der Protestantismus in Peru
2.1
Panorama des Protestantismus seit der Unabhängigkeit (1821) – der Versuch einer
Periodisierung18
In diesem Abschnitt beziehe ich mich hauptsächlich auf den jungen peruanischen Historiker Juan
Fonseca Ariza, der am Anfang seines Werkes über den peruanischen Protestantismus19 eine ausführliche allgemeine Sicht der verschiedenen lateinamerikanischen historiographischen Ansätze
(Damboriena, Klaiber, Deiros, Gutiérrez, Prien, Bastian, Sinclair) aufzeigt.
Ohne an dieser Stelle ins Detail seiner Kritik gehen zu wollen, zeigt sich die schwierige Aufgabe,
den peruanischen Protestantismus periodisieren zu wollen. Er ist ein heterogenes Phänomen, verbunden mit und beeinflusst durch den soziokulturellen und politischen Kontext, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Im peruanischen Fall zeigt der Ansatz von Jeffrey Klaiber20 eine gewisse Affinität mit dem Vorschlag Fonsecas, welcher im Folgenden mit dem Ziel eine Grundorientierung für das Hauptthema
dieser Arbeit, den Pentekostalismus, darzulegen, dargestellt wird. Ich berücksichtige neben
Fonseca auch die Arbeiten von Deiros, Bastian y Escobar21.
Fonseca unterteilt das 19. (seit 1822) und 20. Jahrhundert in sechs Perioden.22
a. Die Wegbereiter: vereinzelte Manifestationen der protestantischen Präsenz in dem
Kampf zwischen Liberalen und Konservativen (1822-88)
Wir konzentrieren uns in der vorliegenden Arbeit auf die Epoche nach der Unabhängigkeit Perus (1821). Für eine umfassende
Untersuchung der protestantischen Präsens in Lateinamerika und speziell in Peru in der Zeit 1492-1810, vgl. Deiros, Cristianismo, S. 585-616, vor allem S. 601 im Bezug auf die “piratería” in Lateinamerika; ebenso vgl. Gutiérrez, Referat “Misiones en
América Latina”.
19 Fonseca, Misioneros und civilizadores; vgl. Kap. I “El Protestantismo como objeto de estudio: estado de la cuestión”, S. 25-62.
20 Jeffrey Klaiber, “Cambios religiosos en América Latina y entre los hispanos de EE UU”, IN: Revista Teológico Límense, XXV/ 3
(1991), S. 436, zitiert aus: Fonseca, Misioneros y civilizadores, S. 36: Seine Periodisierung ist in drei Etappen unterteilt: 1) Unabhängigkeit –1880, 2) 1880 – 1960 Herrschaft der missionarischen Arbeit der historischen Kirchen, die durch den liberalen
Sektor favorisiert wurden, 3) 1960 – Gegenwart: phänomenaler Wachstum des Protestantismus.
21 Pablo Alberto Deiros. Historia del Cristianismo en América Latina; Jean-Pierre Bastian. Geschichte des Protestantismus; Samuel Escobar Aguirre, “Esquema cronológico”, EN: Protestantismo en el Perú. Guía Bibliográfica und de Fuentes.
22 Fonseca, Misioneros und civilizadores, S.41-45.
18
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Am Anfang des 19. Jahrhunderts realisierte sich in einigen Ländern Lateinamerikas die politische Unabhängigkeit und es kann seit diesem Zeitpunkt von einer neuen Epoche gesprochen werden. Peru erlangte im Jahr 1821 seine Unabhängigkeit, welche das Ende der Kolonialzeit markierte. Im Zuge dieses neuen modernen Zeitgeistes offenbarte sich eine gewisse
Konfusion zwischen liberalen und demokratischen Ideen. Im evangelischen Bereich machte
sich der Baptist Diego Thomson (1781-1854)23 mit seiner Bibelpädagogik (Pionier der “Bibeldistribution”) einen Namen. Während seiner ersten Reise als Vertreter der “Sociedad de
Escuela Británicas Extranjeras” kam Thomson von Buenos Aires (1818) über Chile (1821)
nach Peru (1822) und wurde am Ende vom politischen Führer Perus Simon Bolivar (182426) in seiner Arbeit unterstützt. Seine Methode der Bibeldistribution reichte lediglich dazu
aus, die Menschen zu informieren und zu unterrichten, aber sie hatte nicht das Potential einer radikalen sozialpolitischen Reform inne.24
Andere ausländische Missionare, die vor allem nach Peru kamen, um im sozialpädagogischen Bereich zu arbeiten, waren herzlich willkommen:
“Der Boden unter den radikal liberalen Minderheiten war fruchtbar und gut
vorbereitet; sie wollten eine Religion, die ihnen ermöglichte ihr Leben, die Welt
und den Kampf gegen den Katholizismus religiös zu verstehen […]“25.
Es war also die Zeit der Bibelgesellschaften, die durch ihre „colportores“26 (Bibelträger) ins
Land kamen und sich niederließen. Die Romanisierung der Katholischen Kirche durch den
Papst Pius IX (1846-1878) mittels des Ultramontanismus richtete sich gegen die reformatorischen Aktionen sowie gegen die liberalistischen und modernen Tendenzen. Diese waren
im Liberalismus, der wiederum dem Protestantismus wohl gesonnen war,27 allgegenwärtig.
Der Katholizismus versuchte in der Nachfolgezeit der politischen Unabhängigkeit seine
Herrschaft mit neuen Methoden zu bewahren; vor allem mittels einer kreolischen28 Elite,
die versuchte. den “spanischen Liberalismus, den Katholizismus und die Moderne”29 zu
harmonisieren.
Vgl. Deiros, Cristianismo, S.640-42: Diego Thomson: das pädagogische System, welches auf den equadorianischen Quäker
José Lancaster (1778-1838) zurückging, umfaßte die Bibellektüre.
24 Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 110.
25 A.a.O., S. 130.
26 Weitere Informationen, vgl. Deiros, Cristianismo, S. 644.
27 Bastian spricht an dieser Stelle von der “Gesellschaft der Andersdenkenden“, Bastían, Geschichte des Protestantismus, S.
106.
28 Als kreolische Bürger galten die rein spanischer Herkunft in Peru Geborenen.
29 A.a.O., S. 110.
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Ulrike Sallandt
b. Der Konflikt: Protestantismus, Liberalismus und der Kampf um die religiöse Toleranz
(1888-1915)
“Ein Volk auf der Suche der Wahrheit”, auf diese Weise klassifiziert Escobar diese Periode,
in der sich die Protestanten auf der Suche ihrer eigenen Identität und Legalität befanden.30
Die Ankunft von dem Colportor Francisco Penzotti (“Held des lateinamerikanischen Protestantismus“) markiert den Anfang dieser Epoche. Sein bedeutendstes Werk vollbrachte er
1888 in Peru:
“Dort schaffte er es, die Opposition des Klerus und der ultrakonservativen Elemente der
Nation zu überwinden”. Trotz Verfolgung und Zeit im Gefängnis; etablierte er schließlich
die methodistische Kirche.31
Die signifikante Unterstützung, die die Protestanten von Seiten der Liberalen empfingen,
gab ihnen mehr den Charakter einer gesellschaftsförderlichen Macht (in Richtung der Modernisierung) als den einer religiösen Erscheinung. Die Religionsfreiheit, sichtbar in der
Änderung des Art. 4 der Verfassung (1915), verkörpert dieses sozial-kritische Potential.
Während die ausländischen Missionsgesellschaften sowohl eine politische als auch eine
missionarische Expansion bewirkten, indem sie mit den Einwanderungskirchen32 zusammen arbeiten, kamen im Jahr 1911 die ersten pfingstlichen Pioniere (oder Heiligkeitsbewegung) nach Peru, welche nur zwei Jahrzehnte danach eine wichtige Rolle im peruanischen
Kontext spielen sollten.
c. Zwischen dem Konflikt und der Konsolidierung: die Projekte des missionarischen Protestantismus, die Sozialbewegung und die Modernisierung (1915-30). Der Kongress in Panama im Jahr 1916, organisiert durch CCLA (Comité de Cooperación latinoamericana),
stellt den Anfang einer organisierten und integralen Arbeit zu Gunsten der Etablierung des
Protestantismus in Lateinamerika dar.33 Der nordamerikanische Einfluss, vor allem durch
A.a.O., S. 164: Bastian erklärt, dass die Niederlage dieser Aufgabe u.a. am Ende die Ankunft des Protestantismus in Peru begünstigt hat.
31 Bzgl. des Methodismus, vgl. Deiros, Cristianismo, S. 648f, speziell zu Tomás Wood, a.a.O., S. 681.
32 Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 135.
33 Vgl. Escobar, “Los movimientos de cooperación evangélica”; vgl. auch Sallandt, Misión contemporánea en la iglesia pentecostal, Kap. 1.
30
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Ulrike Sallandt
die Missionsgesellschaften, verursachte eine fortwirkende Abhängigkeit (ökonomisch) und
schuf einen protestantischen Panamerikanismus34 (panamericanismo protestante):
“Der Panamerikanismus war ein allgemeiner Prozess, verbündete sich mit der
Modernisierung des Staates und den Auswirkungen der unausgeglichenen
Handelsbedingungen […]“. Manchmal wurde der Protestantismus aus der
spanisch-katholischen Perspektive als “eine Form des nordamerikanischen Imperialismus” […] oder als “Freund der Kapitalisten” angesehen.35
Dieser Panamerikanismus spiegelte sich in den evangelischen Kongressen (Panama, Montevideo, Habana) durch die signifikante Präsenz der ausländischen Missionare wieder, die
auch im Bereich des Pentekostalismus eine wichtige Rolle spielten (vgl. Kap. 3).36
In dieser Epoche der Institutionalisierung und Modernisierung zur Zeit der Regierung Augusto B. Leguía (1919-30) zeigte sich eine gewisse antikatholische Tendenz. Es gründete
sich auf dem Hintergrund der protestantischen Pädagogik und der demokratischen Kultur37
eine demokratische Intellektuellen-Gruppe angelehnt an den presbyterianischen Missionar
Juan A. Mackay. Vor allem der studentische Bereich an den Universitäten stellte die bevorzugte Anhängerschaft dieser Bewegung dar. Eine ihrer Hauptquellen verkörperte die Zeitschrift “Nueva Democracia”38 (1920-59), die ihr “Sprachrohr” (Bastian) war. Ihr Hauptkennzeichen war ihr dynamisches Verhältnis mit der eigenen Kultur wie es sich z. B. in der
christologischen Arbeit “El otro Cristo Español” des Protestanten Juan A. Mackay verdeutlicht.
Während seine akademischen Beschäftigung an der Universität San Marcos (Lima) baute
Mackay sich mit den jungen Studierenden eine Beziehung auf, vor allem mit dem jungen
Fälschlicherweise zeigt sich in der Gegenwart dieser Terminus zur Umschreibung des nordamerikanischen Modells, anstatt
wie der Begriff wesenhaft impliziert, die Ganzheit des amerikanischen Kontinents. Auf diese Weise hat er sich zur Umschreibung von Modernisierungsprozessen nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten entwickelt.
35 Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 163: der Autor beschreibt, dass der Protestantismus in Lateinamerika sich zwischen zwei Kräften befand: auf der einen Seite die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten (bedingt durch die Ausbreitung
der ausländischen Missionen) und auf der anderen Seite der erneuerte (romanisierte) Katholizismus.
36 A.a.O., S. 170-174.
37 “Der grundlegende Beitrag der protestantischen Pädagogik [...] war in den Jahren zwischen 1870 und 1920 die Entwicklung
einer antiautoritären politischen Kultur. Diese demokratische Kultur beruhte auf der individuellen Bekehrung als dem Schritt zur
moralischen und religiösen Verantwortung […] und verband sich mit einem antikatholischen, aber weder antireligiösen noch
antipositivistischen Liberalismus”, Bastian, Geschichte des Protestantismus, S. 157, in Fortsetzung spricht Bastian von dem lateinamerikanischen Protestantismus als eine ideologische Avantgarde, vgl. dazu auch a.a.O., S. 169.175.
38 Eine dokumentierte Ausstellung über “La Nueva Democracia” fand im Oktober 2002 in der Universität San Marcos in Lima
statt; vgl. zu diesem Thema, Gutiérrez, Los desafíos a la fe cristiana, Fn. 15, S. 34.
34
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Ulrike Sallandt
Mann Haya de la Torre39, den er in seinen politischen Aktionen unterstützte, die schließlich
in die Gründung der „Alianza Popular Revolucionaria Americana” (APRA) mündeten.
Mackay beschreibt die APRA im Vergleich mit Mexiko auf folgende Weise:
“Der interessante Aspekt der APRA besteht vor allem in seinem ausdrücklichen
marxistischen Inhalt und dass er in seiner Ideologie radikaler als die national
revolutionäre mexikanische Partei ist, aber er lehnt den Marxismus als Dogma
ab. Außerdem hat der APRA eine intensivere moralische Leidenschaft als die
mexikanische Bewegung und weiß um seine Funktion und die der Religion im
Leben der Menschen […]. Während sie zur gleichen Zeit den Faschismus und
Kommunismus ablehnen, verkörpern die Leiter der APRA etwas, was sich die
“funktionale Demokratie” nennt, eine demokratische Form zu regieren, in der
der Bürger wirtschaftliche und politische Rechte besitzt”40.
In dieser Periode sind drei verschiedene protestantische Gruppen (vereinfacht sind es die
“Intellektuellen”, die “Sozialen” und die “Ausländer”) innerhalb des gesellschaftsförderlichen Protestantismus (protestantismo civilizador) zu beobachten, der nach Meinung Fonsecas in dieser Zeit begonnen hat, sich der religiösen Dimension zu öffnen.
d. Die Konsolidierung: Nationalisierung und Institutionalisierung des Protestantismus inmitten des Populismus (1930-1960): Der Sturz des peruanischen Präsidenten Augusto B.
Leguía (1930) und die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 markierten die neue Epoche. Mit
unter begünstigte der Sieg des Kommunismus in China die Ankunft neuer Missionen im
Land, die vor allem von der Heiligkeitsbewegung und dem Pentekostalismus41 ausgingen
und sich durch eine fundamentalistische Theologie42 und eine kongregationalistischen Ekklesiologie43 auszeichneten. In dieser “Religion der Unterdrückten” (Bastían, S. 161) fanden
Weiter Information über die demokratische Bewegung, über Víctor Raúl Haya de la Torre und über den peruanischen Aprismus, vgl. Bastían, S. 179ff., 189.
40 Zitiert aus Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 190.
41 Bzgl. des Pentekostalismus vgl. Kap. 3 dieser Arbeit.
42 “Der Fundamentalismus war eine Bewegung, die am Ende des 19. Jahrhunderts im Inneren des nordamerikanischen Protestantismus als eine Gegenreaktion auf den theologischen Liberalismus erschien, d.h. vorherrschend in den traditionellen Kirchen. Seit Beginn hat er eine [...] Verteidigung des übernatürlichen Elementes des Christentums durch die literalistische Bibelinterpretation verfolgt. Er verteidigte die traditionellen Werte der nordamerikanischen Gesellschaft und identifizierte sich mit
ihren reaktionärsten Sektoren. Definitiv war es eine religiöse reaktionäre Bewegung gegen den modernen Prozess und seinen
Strömungen in der nordamerikanischen Gesellschaft”, Definition Fonsecas, Fn. 56, S. 48; vgl. zur Beziehung zwischen Weltwirtschaftskrise und US-Fundamentalismus (Bsp. Guatemala), Schäfer, Befreiung vom Fundamentalismus, S. 32-36.
43 An dieser Stelle zeigt sich in den Vereinigten Staaten, dass sich aufgrund der fundamentalistischen Überzeugung eine Distanz
zu der ökumenischen Bewegung des Westens, die sich in der Nachkriegszeit (1948) in Amsterdam (Niederlande) gründete, deren Hauptorgan der ÖRK war, vgl. Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 210.
39
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Ulrike Sallandt
viele Eingeborene, die weit entfernt ihres Geburtsort, auf der Suche nach Identität waren,
einen Ort zum Leben, d.h. einen realen Weg, das Leben neu in Angriff zu nehmen.44
Diese neue protestantische Präsenz begünstigte in der Folgezeit die Etablierung der einheimischen Missionen, die sich gegen den Panamerikanismus ausrichteten und auf diese Weise
Konflikte mit den ausländischen Missionen verursachten.
Außerdem zeigte sich dadurch auch die Niederlage der demokratischen Kultur der Intellektuellen, dessen Arbeit sich nur im akademischen Bereich durch die evangelischen Institutionen wie ULAJE (Unión Latinoamericano de Juventudes Evangélicas), MEC (Movimiento
Estudiantil Cristiano) y ISAL (Iglesia y Sociedad en América Latina) mit einem gewissen
ökumenischen Einfluss fortsetzte.45 Die Gründung des Concilio Nacional Evangélico de
Perú (CONEP)46 im Jahr 1940 als repräsentatives Organ des peruanischen Protestantismus
spiegelt den nationalen Fortschritt der evangelischen Bemühungen wieder.
Nach Meinung Fonsecas stellt der Protestantismus zu diesem Zeitpunkt einen religiösen,
nationalen und populären Machtfaktor – d.h. eine religiöse Option in Abgrenzung zum Panamerikanismus - dar.
e. Die Entwicklung: Wachstum, Diversifikation und progressiver sozialer Ansatz des Protestantismus (1960-1990): Diese Periode der Mentalität des Kalten Krieges charakterisiert
sich vor allem durch den explosionsartigen Anstieg des Pentekostalismus und der charismatischen Bewegung.47 Die Hegemonie der Konservativen begann zusammen mit der diskriminierenden Distanzierung zur modernen Welt (“das weltliche” verkörpert eine negative
Weltauffassung) zu dominieren.
Sowohl die Bewegung des Iglecrecimiento (Kirchenwachstum) gegründet durch Donald
McGravan48 in dem Seminario de Fuller (USA) als auch die Bewegung Evangelismo a
Fondo (EVAF- Tiefenevangelisation) gegründet durch Kenneth Strachan49 spiegelten die
Herrschaft der konservativen evangelikalen Theologie wieder.
Man muss die immense Migration aus dem Landesinneren, dem Urwald in die Hauptstadt Limas beachten, wo die Menschen
sich eine neue Identität suchen mussten, vgl. zu diesem Thema, Mar, El nuevo rostro urbano.
45 Vgl. Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 237.
46 Vgl. Escobar, Los movimientos de cooperación evangélica, S.103f.
47 Vgl. Bühne, Explosión Carismático S.12-13; Sallandt, Diseño de investigación, S. 5.
48 Bzgl. der Bewegung des Iglecrecimiento vgl. Smith, Algunos principios de iglecrecimiento; eine kritisch-korrigiernde Stimme
vgl. Costas, Dimensiones del crecimiento integral de la iglesia, S.113ff.
49 Kenneth Strachan gründete EVAF in Kooperation mit der Mission LAM, die sein Vater im Jahr 1921 gegründet hatte. EVAF
kam 1968 nach Peru und realisierte Massenkampagnen, wobei sie versuchte das evangelische Volk mittels kommunistischer
Propaganda zu instrumentalisieren. Der “Funktionalismus” beeinflusste zu Beginn noch die Intellektuellen-Gruppe innerhalb
des peruanischen Protestantismus, vgl. Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 232.
44
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Ulrike Sallandt
Während der Katholizismus der Moderne zugewandt seinen Weg ging (Geburtsstunde der
Befreiungstheologie50), konzentrierte sich der Protestantismus vor allem auf die MassenEvangelisation wie an dem Beispiel Billy Graham zu sehen ist.51
Die Entstehung der FTL (Fraternidad Teológica Latinoamericana), mit unter gegründet
durch die Bemühungen einer Intellektuellen-Gruppe im peruanischen Kontext, kennzeichnet den Anfang beginnender umfassender Reflexionen über die integrale Mission (Rene
Padilla und andere).52
Zur selben Zeit etablierte sich erneut die Gruppe der ökumenisch denkenden Intellektuellen
(s.o.) auf der Basis der Institution ISAL (Iglesia y Sociedad en América Latina,; seit 1975
ASEL = Acción Social Ecuménica latinoamericana) gegründet im Jahr 1961. Im Jahr 1971,
genau ein Jahr nach der Gründung der FTL, versuchte sich, diese Gruppe in Naña (Peru)
der realen Basissituation der Gemeinden anzunähern.53
f. In Richtung neuer evangelischer Identitäten (1990 – Aktualität):
“[der Protestantismus] ist eine weitere religiöse Alternative innerhalb der nationalen Kultur”
So urteilt Fonseca und bringt den Wandel des peruanischen Protestantismus von einer gesellschaftsförderlichen Macht mit Blick auf die Moderne zu einem rein religiösen Monopol,
das sich in der Mehrheit gegen den modernen Fortschritt richtet, zum Ausdruck.
Sowohl die Epoche des Terrorismus in Peru unter der Regierung Alan Garcias (1985-90)
und Alberto Fujimoris (1990-2000), als auch der Fall der Berliner Mauer öffnen u.a. die
Grenzen für eine neue Religiosität, die sich in der neo-pentekostalischen Invasion aus
Nordamerika zeigt. Der Protestantismus erscheint auf seiner Suche nach Identität und Unabhängigkeit jeden Tag pluralistischer.54
Zur Befreiungstheologie in Lateinamerika, vgl. Prien, Lateinamerika, Gesellschaft – Kirche – Theologie.
Sallandt, Misión contemporánea en la iglesia pentecostal, S. 4: die anfängliche Funktion Billy Grahams und seiner Gründung.
52 A.a.O., S.4f.: Panorama der theologischen Reflexion der Mission.
53 Bastían, Geschichte des Protestantismus, S. 237; S. 234-238 handelt über den gesamten Kontext der ideologischen Avantgarde.
54 Innerhalb des Protestantismus in seinen unterschiedlichen Denominationen, der klassische Pentekostalismus, die charismatischen und neopentekostalischen Bewegungen (die auch den katholischen Sektor betrafen) existieren individualistische Kennzeichen, je abhängig von der Lokalkirche, den soziokulturellen Faktoren der Region (Stadt – Land) etc.
50
51
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2.2
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Geschichte der Mission und Evangelisation55
Sowohl die ökumenische Bewegung als auch der evangelische Kontext weisen eine Beziehung
zum Internationalen Missionsrat auf, der sich im Jahr 1910 in Edinburgh gründete. Seit diesem
historischen Datum lässt sich der Anfang zweier unterschiedlicher christlicher Bewegungen erkennen, die sich auf der einen Seite im Westen realisierte und auf der anderen Seite im lateinamerikanischen Kontext. Während sich 1948 in Amsterdam (Niederlande) der Ökumenische Rat der
Kirchen56 unter Aufnahme der bestehenden Ausschüsse des IMR (Glaube und Verfassung/ Praktisches Christentum) gründete und dreizehn Jahre später mit demselbigen fusionierte, lässt sich
im Laufe der Zeit in der evangelischen Bewegung eine ansteigende Dynamik erkennen.
Durch die Arbeit des CCLA wurden die evangelischen Kongresse in Panama (1916), Montevideo
(1925) und Habana (1929) durchgeführt. Im Laufe der Zeit stieg die evangelisch orientierte Beteilung im Gegensatz zur ökumenischen an. Zu derselben Zeit entstanden evangelische Körperschaften, wo sich Mitglieder der Kirchen trafen, die Teil des ÖRK bildeten.
Seit der Gründung des CONEP begann im lateinamerikanischen Kontext eine eigenständige
evangelische Arbeit. Dieser Rat organisierte die CELA Kongresse in Argentinien und Peru. Es ist
interessant zu beobachten, dass der Einfluss der ökumenischen Bewegung im evangelischen Bereich zu diesem Zeitpunkt noch weiterhin existierte. Diese ökumenische Tendenz ist seit der
zweiten Konferenz (CLAI) in Lima deutlich zu sehen (im selben Jahr kam es zur benannten Fusion zwischen ÖRK und IMR). Abgesehen davon, dass sich auf diesem Kongress die Einstellung
zur katholischen Kirche zum Positiven modifizierte, beeinflusste diese Konferenz die Gründung
der UNELAM und der CLAI sowie auch die Entstehung der evangelischen Bewegung der Kooperation (movimiento evangélico de cooperación).
Diese drei Körperschaften hatten/ haben jeweils auf ihre Art und Weise Kontakt zu dem europäisch-evangelischem Prinzip. Während UNELAM als “Organ für Anfrage und Treffpunkt unter
den evangelischen Christen”57 aufgrund diverser Gründe keinen ökumenischen Erfolg verzeichnen konnte, wiesen die Funktionalität der Bewegung der Kooperation und der Hintergrund der
CLAI (Finanz- und Personalfond) einen europäisch-ökumenische Einfluss auf.
Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Jahr 1961 Auswirkung auf die Trennung
zwischen evangelischer und ökumenischer Bewegung hatte. Jedoch brauchte die evangelische
Entwicklung von da an noch Zeit, ihren eigenen Weg der theologisch-missionswissenschaftlichen
Reflexion zu Gunsten des Fortschritts in Mission und Evangelisation zu entwickeln. Der WeltVgl. Grafik im Anhang.
Vgl. Gerhard Linn, Ökumene, S. 122.
57 Escobar, Los movimientos de cooperación evangélica, S. 104.
55
56
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Ulrike Sallandt
kongress für Evangelisation, der 1966 in Berlin (Deutschland) stattfand, verursachte weitere Veränderung in der evangelischen Welt. Aufgrund der Initiative der Billy Graham Stiftung versammelte sich ein umfangreiches Auditorium, um die Themen “Wiederherstellung der Evangelisation” und “Reflexion über die Theologie der Mission” zu behandeln. Während sich die ökumenische Bewegung in ihrer Etappe des “humanistischen Optimismus” (Uppsala 1968)58 befand, realisierten die evangelischen Christen, motiviert durch diesen Weltkongress in Berlin in der ganzen
Welt zu Gunsten des Fortschritts der integralen Evangelisation ähnliche Kongresse. Auf diese
Weise geschah es auch in Lateinamerika, so dass 1969 in Bogota der erste Kongress der CLADE
stattfand, der unter dem Einfluss der evangelischen Bewegung der Kooperation stand.
Ein Ergebnis war die Gründung der schon erwähnten FTL, die sich für eine theologische missionswissenschaftliche Reflexion des lateinamerikanischen Volkes einsetzte, was sich in der Planung und Organisation der CLADEs II-IV59 sichtbar äußert.
Sowohl die FTL als auch die CLADEs und CONELA sind im Laufe der Zeit durch den zweiten
Weltkongress der Evangelisation in Lausana (Schweiz) im Jahr 1974 beeinflusst.
Lausana besaß als Ausgangspunkt die Perspektive der Länder der sog. Dritten Welt und bestärkte
somit den sozialen Aspekt. Der Bund und Geist Lausanas besitzt bis heute eine signifikante Bedeutung in der theologisch-missionswissenschaftlichen Reflexion im lateinamerikanischen Kontext.
Dieses Datum, 1974, bedeutet für die evangelische Welt den Beginn ihrer wahren Unabhängigkeit im Bereich der theologischen und missionswissenschaftlichen Reflexion.
2.3
Theologische Reflexion – die Theologie der Mission
Zu Beginn ist es notwendig, die Gründe darzulegen, die für eine selbstständige theologische Reflexion der Mission im lateinamerikanischen Kontext sprechen.
Die Geschichte der christlichen Mission verdeutlicht, dass der missionarische Auftrag im lateinamerikanischen Kontext lange Zeit durch die ausländischen missionarischen Kräfte dominiert
wurde, die aufgrund ihres eigenen Missionsverständnisses den zu ihrer Herkunft fremden Kontext ignorierten. Mission und Evangelisation verwandelten sich auf diese Weise in eine Zerstörung der Kulturen und Ethnien des lateinamerikanischen Kontextes.
58
59
Bosh, Misión en Transformación, S. 469.
Paredes, CLADE's, S.12-15.
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Mit Blick auf den protestantischen Bereich in der Vergangenheit wurde die Botschaft des Evangeliums durch christliche Autoritäten des Westens (oder den Vereinigten Staaten) überbracht, die
sich nicht bewusst waren, dass das Evangelium immer ein kontextuelles Evangelium ist60. Aufgrund dieses Irrtums innerhalb der missionarischen Tätigkeit kam es anstatt zu einer biblischen
Evangelisation und Mission zu einer humanen Mission, die ihre dominante westliche Kultur als
Basis der persönlichen Beziehung mit dem Herrn Jesus Christus auf die vermeintlich niedrigeren
Kulturen übertrug.
Beeinflusst durch die Theologie der Befreiung aus dem katholischen Kontext erwähnt Bosh, dass
die Geburt der Basisgemeinden, die Veränderung hin zur Bedeutung der jungen Gemeinden (II
Vatikanisches Konzil), die Notwendigkeit der autogenen-Theologie (autotheologisieren)61 ebnete, anstatt wie je her lediglich die westlich bestimmte Theologie zu empfangen und zu assimilieren.
Escobar spezialisiert diese Notwendigkeit einer kontextuellen biblischen „Autotheologie“ im
evangelischen Bereich, indem er sie sowohl von der Theologie der Befreiung als auch von der
ökumenischen Bewegung unterscheidet. Keine dieser beiden Bewegungen gibt Antworten auf die
(post)modernen Herausforderungen Lateinamerikas. Während die Ökumene den westlichen Kontext benötigt, geht die Theologie der Befreiung von einem christlichen Kontinent aus.62
Diese Notwendigkeit einer theologisch-kontextuellen Reflexion der Mission war das Hauptthema
der CLADE I, dessen Teilnehmer “um die Notwendigkeit besorgt [waren], den evangelischen
Glauben und das Wort Gottes mit der lateinamerikanischen Realität zu verbinden”63.
Diese kontextuelle und integrale Dimension64 des Evangeliums nahm zu und mündete in Lausana
in die Entstehung des Konzeptes der sog. Integralen Mission.65
Der Bund von Lausana symbolisiert als Folge des Kongresses die neue Situation der Mission in
der Welt. Sowohl der Blickwinkel auf die sog. Dritte Welt als auch die daraus resultierende soziale Dimension wurde in der Folgezeit mit mehr Aufmerksamkeit bedacht und nahm an Bedeutung zu. Der Bund von Lausana basiert auf der trinitarischen Natur Gottes und manifestiert sich
in fünfzehn unterschiedlichen theologischen Aspekten.66
Zum Thema der Mission vgl. die Beiträge in Bases bíblicas de la misión.
Bosh, Misión en Transformación.S. 551; vgl. auch zu der Zeit nach dem II. Vatikanum Prien, Lateinamerika, Gesellschaft – Kirche – Theologie, Kap. I. u. II.
62 Escobar, De la Mision a la Teología, S.8f.
63 Paredes, CLADE's, S. 13.
64 Deutlich sichtbar durch das Referat Escobars: “Responsabilidad social de la Iglesia”, zitiert aus Escobar, De la Mision a la Teología, S. 26.
65 Von da an ist die Integrale Mission fundamentale Basis in den Reflexionen aller Kongresse (CLADE's) und in der FTL; zru Vertiefung des Themas der sog. Integralen Mission vgl. Padilla, Misión Integral.
66 Pacto de Lausana, S. 225-231.
60
61
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Escobar beschreibt die theologisch-missionswissenschaftliche Theologie als eine dualistische
Theologie, die auf der einen Seite die Kritik an den Befreiungsbewegungen und an der Bewegung
des Iglecrecimiento67 beinhaltet, auf der anderen Seite sich dem konstruktiven Aspekt der Theologie der Mission (Integral Mission)68 widmet.
In diesem Prozess erscheint auf evangelischem Boden dieselbe christologische Kritik am Doketismus, die Jahrzehnte zuvor Mackay am Katholizismus übte.69 Diese christologische Selbstkritik
auf evangelischer Seite verband sich mit dem trinitarischen Schwerpunkt, der sich seit dem Jahr
1974 (Lausana) in den verschiedensten Dokumenten erkennen lässt.70
Es handelt sich nicht nur um einen dogmatischen Schwerpunkt, sondern darum, zum Ausdruck zu
bringen, dass Gott sich aufgrund seiner eigenen Natur dieser Welt offenbart hat und sich auch
weiterhin bis ans Ende dieser Tage offenbaren wird.
Es handelt sich um die persönliche und lebendige Beziehung mit dem Herrn Jesus Christus, womit der Doketismus kritisiert wird.
Auf diesem Hintergrund soll das Missionsmodell der Enkarnation, inspiriert unter anderem durch
den Missiologen John Stott71, verstanden werden.
Allein durch die Enkarnation kann der Mensch eine wahrhaftige Beziehung zu Gott haben, die
zugleich Kreuz und Herrlichkeit umfasst. Deswegen muss aus evangelischer Sicht jegliche Art
von christologischem und soteriologischem Reduktionismus abgelehnt werden, um die eschatologische integrale Vision des Evangeliums zu bewahren, die allein die “Aktion aus Hoffnung”
(Bosh) in den kirchlichen Missionen bewirkt.
Mit Worten Orlando E. Costas: Das integrale Wachstum:
“ist ein Prozess der integralen und natürlichen Ausbreitung, die von dem Leben und
der Mission der Kirche als eine Geistgemeinschaft, als Leib Christi und als Volk Gottes erwartet/ erhofft werden kann und soll“72.
Diese Bewegung, gegründet durch Donald McGavran (Seminario de Fuller) erkennt in dem quantitativen Wachstum der Kirchen das grundlegende Prinzip der Evangelisation, wobei sie auf diese Weise die integrale Dimension des Evangeliums ignoriert, vgl. Smith, Algunos principios de iglecrecimiento.
68 Samuel Escobar, S. 12.
69 A.a.O. S. 27.
70 Vgl. z.B. Declaración de Quito (CLADE III), Declaración de Santiago (aniversario de Fraternidad Teológica Latinoamericana).
71 CLADE III: “Die Theologie der Enkarnation schützt uns vor der Versuchung, erneut die teologia gloriae anzunehmen, die uns
weder eigen ist, noch uns respektiert und auch nicht mit der großen Mehrheit unseres Volkes das Leiden teilt” (Valdir Steuernagel), zitiert in Samuel Escobar, S. 41.
72 Orlando E. Costas, S. 116.
67
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3. Die Pfingstbewegung
Der Pfingstbewegung kann sich sowohl aus der Sicht ihrer historischen Vorläufer, als auch aus
dem durch sie mitbegründeten Kontext der charismatischen Bewegung angenähert werden. Im
Folgenden wollen wir uns zunächst auf die historischen Wurzeln konzentrieren, bevor es in einem zweiten Schritt um die sog. „drei Wellen des Heiligen Geistes“ geht, die als Strukturelement
der charismatisch-pfingstlichen Bewegung dienen. Das Kapitel findet seinen Abschluss in den
Ausführungen über die Pfingstkirche der AdD.
3.1
Die historischen Wurzeln
3.1.1 Methodismus73
Die wesleyanische Bewegung wurde im 18. Jahrhundert von John Wesley (1703-1791) innerhalb
der Anglikanischen Kirche in Großbritannien mit dem Ziel gegründet, die anglikanische Tradition zu erneuern. Am Ende kam es zu einer Trennung von ihr, durch die der Methodismus entstanden ist.74
Der Methodismus verfügt über folgende besondere Kennzeichen: Heilung, Zungenrede, Predigt
unter freiem Himmel, Klassenversammlungen, wichtige Stellung der Frauen und die integral ausgerichtete Arbeit. Sein Gründer John Wesley75 war durch den Anglikanismus, Puritanismus76 und
den Pietismus (Herrenhuter Gemeinde) beeinflusst.77
Die Herrenhuter glaubten an die (reduzierte) Kreuzestheologie, die eine gewisse Ignoranz gegenüber dem Leben und dem Sozialen Dienst verursachte. Die Emotion und die Gefühle des Todes
Jesu bildeten den Mittelpunkt. Dies förderte kein umfangreiches theologisches und biblisches
Studium.
Wesley, der von ihrem Gemeindeleben beeindruckt war, nämlich von der Selbstdisziplin in Form
der Askese und von ihrer Passion für die Mission, setzte im Gegensatz zu ihnen sowohl einen
Schwerpunkt in die persönliche Beziehung zu Gott als auch in das theologische Studium und die
Bibellektüre und zielte auf diese Weise auf eine integrale Botschaft.
Das historische Raster dieses Abschnittes findet sich bei Zavala Hidalgo, Historia de las Asambleas de Dios en Perú, S. 25-33;
bzgl. der wesleyanischen Lehre, vgl. Dayton, Raíces Teológicas del Pentecostalismo, S. 17-55.
74 Eine radikale evangelikale Gruppe blieb in der Anglikanischen Kirche, und war später durch den Dispensationalismus und
durch die freien Brüder (Betonung des Kreuzes) beeinflusst, so dass die Evangelikalen den sozialen Aspekt der wesleyanischen Tradition verloren.
75 Zu seiner Person, vgl. Sommer/ Klahr, S. 239.
76 Zur Vertiefung vgl. Collinson, „Puritanismus“, S. 8-25.
77 Hägglund, Geschichte der Theologie, S. 258f.
73
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Im Jahr 1738 während Wesley die Lesung des Prologs des Römerbriefs Luthers hörte, hatte er eine persönliche Erfahrung, die sein restliches Leben veränderte. Seine Entwicklung als Prediger
oder „Theologe des Geistes“78, den einige in ihm sehen, äußerte sich seit dem in unterschiedlichen Facetten, auf eine Weise, die die Aufgabe erschwert, die historisch-theologischen Grundzüge zu definieren, die mit der modernen Pfingstbewegung in Verbindung stehen. Im Folgenden
nähern wir uns der wesleyanischen Theologie.
Der Schlüssel des Erlösungsdogmas Wesleys liegt in den sog. zwei Momenten: 1) die Heilung als
persönliche Qualität (Bekehrung) und 2) die soziale Verantwortung, die sich daraus ergibt (Heiligung)(Phil 2, 5).
Die daraus resultierende Problematik impliziert die Frage, wie Wesley innerhalb seiner Theologie, speziell innerhalb seines Erlösungsdogmas, das Werk der Gnade verstanden hat. Das Grunddogma als „totale Heiligung“ oder „christliche Perfektion“79 benannt, bereitet Verständnisschwierigkeiten.
Unter Berücksichtigung der Auffassung Wesleys, dass die Gnade der Rechtfertigung nicht forensisch, sondern als „eine Heils- und Erneuerungskraft“ zu verstehen, d.h. als eine aktive Kraft,
zeigt sich eine „präsentische Eschatologie“, die er mit Ausdrücken wie der Verstand Gottes, die
totale Hingabe und aus Liebe zu Gott und seinem Nächsten umschreibt. Sein Schwerpunkt liegt
in diesem Leben, im Hier und Jetzt („soteriologischer Primitivismus“)80.
Insgesamt kann beobachtet werden, dass das ganze Leben Wesleys eine Ambivalenz zwischen
den zwei Momenten (Bekehrung und Heiligung) der Rechtfertigung widerspiegelt. Die Beobachtung, dass sein Hauptinteresse auf den Früchten der Gnade, das aktive Gnadenverständnis und der
christozentrische Einfluss Luthers und Barths81 führt zu folgendem Vorstellung seiner Person:
Wesley war Arminianer, dass bedeutet, dass er an die menschliche Kraft (der freie Wille) im Leben glaubte, aber diese Fähigkeit des menschlichen Wesens resultiert allein aus der Gnade Gottes
(durch Jesus Christus). Sie ist erst durch die Gnade vollkommen in diesem Leben gegenwärtig.
Der Schlüssel um Wesley verstehen zu können, ist das Verständnis seiner Änderung innerhalb
des Rechtfertigungsdogmas.82 Nach seinem christozentrischen Ansatz hat die Gnade einen direkten Bezug zum Leben und instrumentalisiert auf diese Weise die Christinnen und Christen auf
Dayton, Raíces Teológicas del Pentecostalismo. S.23f.
A.a.O., S. 28ff.
80 A.a.O., S. 23.
81 A.a.O., S. 25.
82 Er versteht die Rechtfertigung nicht forensisch wie Melanchthon in Fortsetzung an Martin Luther: in Melanchthons Perspektive
handelt es sich um eine forensische Rechtfertigung (Imputationsgedanke), die mehr den Schwerpunkt auf die Rechtsprechung
als auf die Gerechtmachung des Menschen legt. Die Gnade kommt von einer anderen Gerechtigkeit (justicia aliena), die ihren
Ursprung in dem allmächtigen Gott hat, vgl. Hägglund, Geschichte der Theologie, S. 195.
78
79
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sichtbare Art und Weise. Die Gnade sollte sich im täglichen Leben eines jeden Gläubigen bewähren (soteriologischer Schwerpunkt).
Welche Rolle spielt der Heilige Geist im dogmatischen Ansatz Wesleys? Kann von dem sog.
zweiten Segen in Gestalt der Taufe des Heiligen Geistes gesprochen werden?
Im Vergleich Wesleys mit John Fletcher untersucht Dayton 83, dass in der wesleyanischen Dogmatik die christozentrische Perspektive die Hauptrolle spielt, die aber nicht die Bedeutung des
Heiligen Geistes negiert, sondern sie „lediglich“ auf den zweiten Platz verweist. Während Fletcher die Struktur der drei Dispensationen ( Trinität) demonstriert, die die „Etappen des geistlichen Wachstums“84 auf eine teleologische, eschatologische und futuristische Weise symbolisieren, übt Wesley diesen Pneumatozentrismus nicht aus, der mit der Gefahr verbunden ist, die Natur Gottes zu spalten. Für IHN ist das gegenwärtige Leben wertvoll, während Fletcher der Wiederkunft Christi einen größeren Nachdruck verleiht.
Schließlich manifestieren ihre unterschiedlichen exegetischen Grundlagen das soeben Gesagte.
Während Fletcher, wie die Pfingstbewegung vor allem die lukanische Perspektive nutzt (Apostelgeschichte dominiert in seinem dogmatischen Ansatz der Dispensationen), lässt Wesley diese
Texte außen vor. Er gebraucht hauptsächlich das Mätthäusevangelium, vor allem die Bergpredigt
(Mt 5-7). Diese Beobachtungen führen uns an den Anfang dieses Abschnitts zurück, indem wir
wiederholen, dass die Sozialverantwortung, die im Gegensatz zu der Bedeutung der Taufe des
Heiligen Geistes und der Geistgaben die ethisch-moralische Dimension der Theologie und Mission Wesleys kennzeichnet.
3.1.2 Die Heiligkeitsbewegung
Im 19. Jahrhundert entstand innerhalb des Methodismus in den Vereinigten Staaten, d.h. in einem
pluralistischen Kontext diverser selbstständiger Denominationen im protestantischen Sektor zu
dieser Zeit, die Heiligkeitsbewegung.85
Sie beabsichtigten eine methodistische Reform mit größerem Nachdruck auf den zweiten Moment des Erlösungsprozesses, auf die Heiligung nach der Bekehrung.86 Die zwei Prediger Charles
Finney87 und Asa Mahan spielten eine wichtige Rolle. Während Finney sich in seinen ÜberleDayton, Raíces, Teológicas del Pentecostalismo, S.32-35.
A.a.O., S. 32.
85 Zavala Hidalgo, Historia de las Asambleas de Dios en Perú, S. 32: Espikopal, lutherisch, kongregational, Quäker, Herrenhuter,
Methodisten – alle mit einem charismatischen und experimentierenden Charakter.
86 Dayton, Teológicas del Pentecostalismo, S. 39.
87 Zu der Person Charles Finney, vgl. Hägglund, Geschichte der Theologie, S. 304.
83
84
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gungen mehr dem wesleyanischen Ansatz des Heiligungsprozesses annäherte, beschäftigte sich
Mahan mit dem Inhalt des Heiligungsgeschehen Christi.88
Aufgrund der Reflexion verschiedener Theologen, Denker und kirchlichen Mitarbeitern kam es
zu einem Wandel in der integralen Botschaft (Geistliche Erweckung und Sozialdienst) der Bewegung. Mit der Bibel als die fundamentale Autorität (Allgemeinkonsens durch den Einfluss des
Fundamentalismus) konnte die Tendenz beobachtet werden, dass sich die Spannung zwischen
den beiden Momenten der wesleyanischen Heiligung in Richtung auf ein zweites konkretes Werk
der Gnade89 auflöste. Auf diese Weise wurde schon zu einem früheren irdischen Zeitpunkt von
der „Totalen Heiligung“ im christlichen Dasein gesprochen.90
Diese authentische Heiligung, zweiter Segen oder Taufe des Heiligen Geistes genannt 91, charakterisierte die Heiligkeitsbewegung, die zu Beginn noch das integrale Prinzip verfolgt hatte. Die
Macht des Heiligen Geistes diente dazu, sich mit der „sozialen“ Aufgabe zu konfrontieren92,
konkret um z.B. in Elendsvierteln unabhängige religiöse Gemeinschaften aufzubauen.
Sie breitete sich sowohl interdenominational als auch international aus, und versuchte die ganzheitliche Heiligung mit der Orthodoxie Wesleys zu verbinden.93
An dieser Stelle kann aus theologischer Perspektive festgehalten werden, dass nicht mehr viel
fehlte, um die „totale Heiligung“ als ersten Schritt (passiv) der Rechtfertigung zu betonen, der in
der Glossolalie (Zungenrede) sichtbar wird. So geschah es auch und es erhob sich innerhalb der
Bewegung eine radikale Gruppe, die den ersten Schritt mit der Zungenreden (oder der zweite Segen) identifizierte (Apg 10, 46). Die moderne Pfingstbewegung war geboren.
3.2
Die drei Wellen des Heiligen Geistes
Die im letzten Jahrhundert zu beobachtende explosionsartige quantitative Entwicklung der charismatischen Bewegung wird in der Literatur versucht anhand der drei Geistwellen zu beschreiben. Mit dieser Darstellung wird die mittlerweile hundertjährige Geschichte in drei (bis vier)
Geist-Epochen94 differenziert:
a) klassische Pfingstbewegung
Diese einfache Frage öffnete eine umfassende christologische und soteriologische Diskussion und ihre Antwortet ist entscheidend in der Diskussion über den aktiven anthropologischen Anteil innerhalb des Heilsplanes Gottes.
89 Diese Tendenz wurde auch bei Wesley beobachtet, aber nicht in dieser Absolutheit.
90 Dayton, Raíces Teológicas del Pentecostalismo, S. 42.
91 Kessler, Historia de la Evangelización en el Perú, S. 317f.
92 Zavala Hidalgo, Historia de las Asambleas de Dios en Perú, S. 37.
93 Wesley betonte den zweifachen Moment der Heiligung – den Indikativ (die Gnade) und den Imperativ (die Früchte).
94 Vgl. Bühne, Spiel mit dem Feuer, S. 11-13, Escobar, Tiempos de Misión, S. 72-75, Ocana, Banqueros de Dios, S. 51f., Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 67ff.,
88
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
b) charismatische Erneuerung/ Neo-Pentekostalismus
c) neocharismatische Bewegung
Die erste Welle entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten unter methodistisch-wesleyanischem Einfluss und brachte die klassische Pfingstbewegung hervor. Auf ihre
Gründung und die ersten Existenzjahre wird im folgenden Kap. 3.3 näher eingegangen.
Die zweite Welle impliziert die charismatische Erneuerungsbewegung95, die sich in konfessioneller Diskontinuität zum historischen Protestantismus sowie zur klassischen Pfingstbewegung ab
den fünfziger Jahren in allen bestehenden Volks- und Freikirchen ausbreitete. Sie zielte auf eine
geistliche Erneuerung der traditionellen Kirchen, denen es am Geist Gottes und den Geistgaben
fehlte. Der episkophale Pfarrer Dennis Bennet, der als Vater dieser Bewegung gilt, strebte nach
einer ökumenisch- interkonfessionellen kirchlichen Arbeit, die sich schon in der Gestalt des
Wegbereiters David du Plessis, dem „Mister Pentecost“96, verkörpert hatte. 1967 öffnete sich die
katholische Kirche, 1971 die Griechisch-Orthdodoxe Kirche der charismatischen Geistbewegung.97
In den achtziger Jahren nimmt die neocharismatische98 dritte Welle die zu diesem Zeitpunkt
überholte neopfingstlich-charismatische Strömung auf und entwickelt sich unter nordamerikanisch-fundamentalistischem Einfluss zu dem sog. „Power Evangelism“99. Es zeigt sich aufgrund
dieses panamerikanischen Einflusses der sog. „Kingdom Theologie“ eine Entfremdung zu den
ursprünglichen Inhalten der klassischen Pfingstler.
Welker parallelisiert in der Epoche der „Zweiten Welle“ die in konfessioneller Diskontinuität stehende charismatische Bewegung mit den neupfingstlichen Strömungen, die im Gegensatz zu ihr die Theologie der klassischen Pfingstbewegung übernimmt. Ihrem Inhalt nach verweist das Neo-Pentekostalismus auf die „Dritte Welle“, vgl. Welker, Geist Gottes, S. 23 (Anmerk.:
zu einem späteren Zeitpunkt der Arbeit werden die Unterschiede deutlich werden); Schäfer unterscheidet die charismatische
Bewegung auf folgende Weise: „Die eine ist aus der klassischen Pfingstbewegung hervorgegangen und in eigenen Freikirchen
organisiert; die andere ist in den Kirchen des historischen Protestantismus und in der katholischen Kirche entstanden. Für gewöhnlich wird erstere als „neopfingstlich“ und letztere als „charismatisch“ bezeichnet“, vgl. ders., Protestantismus in Mittelamerika, S. 67.
96 Bzgl. der Personen von David du Plessis und Dennis Bennet vgl. Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 69ff.
97 Vgl. Welker, Gottes Geist, S. 22.
98 Ocana verweist auf die Heterogenität des terminologischen Gebrauchs in der sog. Welle. Er favorisiert aus theologischen
Gründen die Bezeichnung „Neopentecostalismo“, die die inhaltlich-theologische Nähe zu der klassischen Pfingstbewegung
bewahrt, vgl. ders., Banqueros de Dios, S. 52 an diesem Gebrauch erkennt man, dass die Unterscheidung zwischen zweiter
und dritter Welle nicht in aller Konsequenz zu vollziehen ist. Zu nah ist die gegenseitige Einflussnahme und Ähnlichkeit der diversen geistlichen Strömungen.
99 Das „Power Evangelism“ steht in direkter Beziehung zu der wichtigen Persönlichkeit John Wimbers, vgl. Bühne, Spiel mit dem
Feuer, S. 111.
95
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Zwar verstanden die Vertreter wie C.P. Wagner100 die Funktion der dritten Welle als eine Aufnahme und Weiterentwicklung der klassischen Pfingstler und Charismatiker, aber durch die Beziehung zu konservativen Persönlichkeiten wie Donald McGavran (Fuller Seminary) und Paul
Chonggi Cho (koranischer Pfarrer) stand die dritte Welle unter dem Einfluss des Einsatzes hochtechnisierter Mittel sowie psychologischer Überzeugungsstrategien. Sie zeigt sich in der Gegenwart als eine aus der Mittelschicht sich zusammensetzenden Bewegung - das pfingstliche Propium der Rassenüberwindung ist in den Hintergrund getreten- die es sich zur Aufgabe gemacht hat,
der ganze Menschheit in der Gegenwart das Reich Gottes zu öffnen. Diese Visionen sind geprägt
durch unbiblische Theologien wie die „Prosperitätstheologie“ und der „Geistliche Kampf“ u.a.101
3.3
Die „Asambleas de Dios – Geschichtlicher Überblick
In diesem Abschnitt geht es darum in komprimierter Form einen geschichtlichen Einblick in die
Entstehung der AdD in den Vereinigten Staaten, in ihre Ankunft in Peru zu geben sowie auf ihre
internen Probleme seit der Gründungszeit hinzuweisen. Funktion dieses kurzen Überblicks ist es,
eine Grundlage für die thematische Behandlung dieser Pfingstkirche und des Pentekostalismus im
Allgemeinen zu geben.
3.3.1 Geburtsstunde in den USA102
In diesem Kapitel wird sich auf die Pfingstbewegung in den Vereinigten Staaten konzentriert, die
–wie schon erwähnt - sowohl von dem Methodismus als auch von der Heiligkeitsbewegung beeinflusst war. In der Person des ersten Leiter William Seybour (Heiligkeitsbewegung und Schüler
des weißen Leiters Parham) entstand die pfingstliche Erweckung. Der gemietete Raum in der
Strasse Azusa in Los Angeles (Kalifornien) verwandelte sich zu jener Zeit in eine kleine Mission
und symbolisiert „das Feuer des Heiligen Geistes“103, welches viele Pfingstler in der heutigen
Zeit vermissen.
C.P. Wagner stammt aus fundamentalistischen Kreisen der Vereinigten Staaten und besaß über lange Zeit eine antipfingstliche Haltung. Er verstand sich als Dispensationalist und stand in enger Beziehung mit dem Begründer der Theorie des ‚Kirchenwachstums’ (engl. Church Growth, span. Iglecrecimiento) Donald McGavran, a.a.O., S. 108.
101 Mit diesem Thema hat sich Ocana in seinem Buch „Banqueros de Dios“ ausführlich auseinander gesetzt und wird uns bei der
Behandlung der Ekklesiologie zu einem späteren Zeitpunkt interessieren; vgl. auch sein Referat, „Las leyes mágicas de la
Prosperidad“. Er teilt den „Neopentecostalismo“ in drei Etappen: a) Proto-Neupfingstlertum, b) Etablierung und c) Institutionalisierung, S. 59f.
102 Zu diesem Thema im Gesamtüberblick vgl. Hollenweger, „“Von der Azusa Street zum Toronto-Phänomen. Geschichtliche
Wurzeln der Pfingstbewegung”, Jeter de Walker, Siembra y Cosecha.
103 Vgl. die Interviews mit den Pfarrern der AdD in der Südregion Perus zwischen Juli 2002 bis Juni 2003.
100
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Seit Beginn zeichnete sich diese Bewegung durch einen revolutionären Charakter aus. Aufgrund
ihrer Ausbreitung bis in die Schwarzenviertel in den Vereinigten Staaten wurden rassistische
Grenzen überwunden und sowohl Weiße als auch Schwarze bildeten Teil der Pfingstbewegung.
Ihre missionarische Absicht zeigte sich zunächst in der Absicht, die traditionellen Kirchen zu erneuern, diese aber lehnten die Pfingstler in ihrem Vorhaben ab und es endete schließlich mit dem
Ausschluss der Pfingstler aus ihren Heimatdenominationen und Gemeinden.
Bis zum Jahr 1913 breitete sich die Bewegung in den Vereinigten Staaten bis Kanada aus, vor allem durch einen diversen religiösen Pluralismus charakterisiert. Es existierte keine einheitliche
Organisation, sondern die gemeinsame Grundlage fand sich in der Praxis der Taufe im Heiligen
Geist, die in der Glossolalie sichtbar wurde.
Im Verlaufe der Zeit entstanden Differenzen in dem Verständnis der Erlösung. Während Durham
auf der einen Seite die wesleyanische Tradition der zwei Momente der Santifikation (Bekehrung
[beinhaltete den Moment der Bekehrung und der Heiligung] und Taufe des Heiligen Geistes) betonte, brachten die ersten Anführer der Erweckung, Seymour und Parham, die Bekehrung in drei
aufeinander folgenden Erfahrungsschritten zum Ausdruck: Bekehrung, Heiligung und die Taufe
des Heiligen Geistes.
Schon in diesen theologischen Debatten zeigten sich die Schwierigkeiten und Konflikte, die die
Bewegung in der Folgezeit erleiden sollte und die in Zukunft eine Theologie verursachten, die
sich vor allem durch eine reduzierte Christologie und Soteriologie charakterisierte.
Durch den starken Einfluss des Fundamentalismus (Separatisten und Individualisten) wurde die
soziale Verantwortung aufgrund der Furcht, sich mit dem Feind der liberalen Bewegung zu verbinden, ignoriert. Der im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten entstandene Fundamentalismus104 als Protest gegen den „Einfluss der sozial-orientierten evangelischen Christen, die das
soziale Evangelium verfolgten und eine Minderheitsbewegung intellektuellen Charakters bildeten“. Außerdem richtete er sich gegen die „Liberalen, die sich kategorisch gegen den europäischen Rationalismus richteten und die Kirchen der populären Massen“105 dominierten.
Seine fünf fundamentalen dogmatischen Grundsätze sind die folgenden:
-
die Verbalinspiration der Schrift
-
die Jungfrauengeburt Christi
-
das stellvertretende Leiden Jesu Christi
Bzgl. des fundamentalistischen Einflusses vgl. Bastian, Geschichte des Protestantismus, S. 172. 207; bzgl. des Fundamentalismus in Lateinamerika, vgl. Deiros, Cristianismo, S. 801-806:u.a. wird auch die Bewegung des Iglecrecimiento (Donald
McGavran) erwähnt; vgl. auch Stott, La fe cristiana, S. 15-20; an anderer Stelle (Kap. 5) wird detaillierter auf den Fundamentalismus in seinem Einfluss auf die AdD eingegangen werden.
105 Zavala Hidalgo, Historia de las Asambleas de Dios en Perú, S. 32.
104
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-
die Auferstehung und die Göttlichkeit Christi
-
die Wiederkunft Christi106
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Nach Meinung von Carlos Jiménez107 war das Ziel der Fundamentalisten, „das reine Dogma zu
bewahren und die Orthodoxie vor den Angriffen der Liberalen zu schützen“.
Erst im April des Jahres 1914 realisierte sich die erste allgemeine Konvention und zwar auf Einladung von E.N. Bell mit Hilfe der pfingstlichen Zeitschrift „Word and Witness“. Unter dem
Vorsitz J. Roswell Flower in Abwesenheit der bedeutenden Anführer Seymour und Parham erschien die Deklaration der Verfassung des Generalausschusses der AdD unter einem deutlichen
Einfluss des Fundamentalismus, so dass nur der spirituelle Aspekt eine wichtige Rolle spielte,
während die soziale Verantwortung ignoriert wurde.
Dieser Einfluss zeigt sich auch in der zweiten (November desselben Jahres) und dritten Versammlung (1916). Die Heilige Schrift wurde für unfehlbar erklärt und es wurde sich auf das individuelle Amt konzentriert, welches von dem Heiligen Geist und dem Wort Gottes geleitet wird.
Die gewisse Affinität mit dem Fundamentalismus motivierte viele pfingstliche Gesandte, sich
den AdD anzuschließen. Seit dem Jahr 1919, dem Jahr der Gründung des Amtes für Auslandsmission, begannen die AdD Missionare in die Welt auszusenden.
3.3.2 Die Gründung in Peru (1939)108
Das Jahr 1911 markiert das Anfangsdatum der pfingstlichen Präsenz in Peru. Im Zuge der unabhängigen Missionare, kam das Ehepaar Cragin in Lima (Callao) an. Sie wollten den Menschen
das Evangelium nach wesleyanischer Tradition in einer ganzheitlichen Form nahe bringen.
Im Folgenden soll sich auf die Zeit konzentriert werden, die über die Ankunft der ersten Missionare der AdD, der Familie Baker und dem jungen Mann Hurlburt, im Jahr 1919 handelt. Ihre erste Zeit im missionarischen Dienst in Peru war von Konflikten und großem Leid geprägt.109 Nach
den dreißiger Jahren entstanden dogmatische Schwierigkeiten zwischen den nationalen und internationalen Missionaren, ausgelöst durch unterschiedliche Interpretation des Heiligen Geistes:
„Das Problem im Hintergrund gründet sich darauf, wie der Wille des Heiligen
Geistes interpretiert wird. Während die Peruaner überzeugt davon waren, dass die
A.a.O., S. 47f..
Zitiert aus a.a.O., S. 48.
108 Für eine umfassendere Sicht, vgl. Zavala Hidalgo, Historia de las Asambleas de Dios en Perú, S. 61-83; für eine historisch
umfassendere Sicht, vgl. Kessler, S. 271-283.
109 Bzgl. der Vertreibung, vgl. Huamán P., Movimiento pentecostal del Perú, S. 44f.
106
107
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[ausländischen] Missionare von dem Heiligen Geist geleitet waren, unterwarfen sie
sich ohne Probleme ihrer Autorität, aber als die am meisten Überzeugten, wie Cotos, erkannten, dass die Missionare die Führung des Heiligen Geistes mit ihren eigenen Wünschen und Sehnsüchten verbanden, da traten Probleme auf“110.
Aus diesem Grund, „die Autorität zu zentralisieren, um die individualistischen Interpretationen
des Heiligen Geistes zu bremsen“ schickten die AdD – der Vereinigten Staaten das Ehepaar Hall
nach Peru. In Zusammenarbeit mit Wildfried Morris und Ruth Couchmann bildete sich eine
kirchliche Organisation111 in engster Verbindung mit den Vereinigten Staaten.
Über die erste Versammlung des Jahres 1939 unter dem Vorsitz Dr. Manuel Prados existiert nach
Meinung Kesslers keine Dokumentation, erst die Erste Jahreskonferenz des Regionalausschusses
der AdD in Peru, die im folgenden Jahr stattfand, wurde protokolliert. Der fundamentalistische
Einfluss zeigte sich sowohl an der Teilnehmerliste (mehr als 50% Nordamerikaner) als auch an
der Ignoranz gegenüber der nationalen Anfrage aus Peru, den sozialen Aspekt in der missionarischen Arbeit zu berücksichtigen.112
3.3.3. Spaltungen innerhalb der AdD113
Zavala Hidalgo umschreibt in seiner Arbeit die „Trennung der Kirchen“ als eine Methode des
kirchlichen Wachstums.114 Es ist wirklich erstaunlich, dass trotz benannter Probleme und dogmatischer Differenzen innerhalb der Pfingstbewegung dieselbe kontinuierlich anwuchs.115
Derselbe Autor beschreibt die Verbindung zwischen der Übernahme der nationalen peruanischen
Führung mit einem bedeutenden Wachstum seit dem Jahr 1962. Der Fortgang der nationalen
Führungskräfte in die Vereinigten Staaten bremste diese Tendenz jedoch wieder.
Die Basis gewisser problematischer Konflikte zeigt sich in den Schwierigkeiten um die dritte
Person der Trinität, deren Interpretation auf der einen Seite die Geburt des „PseudoPentekostalismus“ (übertriebene Emotionalität) verursachte, auf der anderen Seite ein intellektuKessler, Historia de la Evangelización en el Perú, S. 276. Los misioneros estadounidense mostraban una cierta celosidad por
la participación en la predicación de unas hermanos no pentecostales (Primera Iglesia Pentecostal en el Callao).
111 Vgl. a.a.O., S. 277: die Struktur beinhaltete die Aufteilung des Landes in Regionen; jede Region wählte ihr Presbyterium, welches wie ein Superintendent wirkte. Sie versammelten sich in dem Generalpresbyterium; vgl. dazu die graphischen Darstellung unter Pkt. 5.3.2.1 der vorliegenden Arbeit.
112 Hier spiegelt sich die Spannung wieder, die in dieser Epoche zwischen dem Panamerikanismus und dem Nationalismus bestand.
113 Kessler, Historia de la Evangelización en el Perú, S. 276-283.
114 Zavala Hidalgo, Historia de las Asambleas de Dios en Perú, S. 87.
115 A.a.O., Tabellen und Grafiken, S.91.93.
110
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elles Pentekostalismus (als Reaktion) hervorrief. Insgesamt gelten aber mehr die persönlichen
Konflikte zwischen den Missionaren (Ausländer und Einheimische) als Hauptgrund für die Spaltungen:
„Einige der Spaltungen geschahen eher durch persönliche Uneinigkeiten als durch
organisatorische oder dogmatische Dispute“, womit er betont, dass „die peruanischen Pfingstler […] Individualisten [mit geringem sozialem Interesse] waren“116.
Diese wohl kulturell mit beeinflussten Separationen innerhalb der AdD, der Pfingstbewegung im
Allgemeinen, kann als eines ihrer signifikanten Charakteristika erkannt werden. Ihre Geistgemeinschaft lässt sie zum einen über den irdischen Dingen stehen (Gemeinschaft wird sichtbar in
der Glossolalie), die Notwendigkeit ihrer Institutionalisierung fordert aber ein kollektives Miteinander, welches die „Lösung“ eher in einer Trennung, als in einer ökumenischen Annäherung erkennt.
Diese kurze Skizzierung diverser Schwierigkeiten in der Gründungs- und Etablierungsphase der
AdD weist auf die Bedeutung der kulturellen Kontextualisierung religiöser Glaubensvorstellung,
um kirchliche Einheit trotz individueller Glaubensunterschiede leben zu können.
Teil II: Anthropologische Beschreibung
4. Anthropologische Beschreibung der AdD - Methode und Technik
In diesem Kapitel soll nach der Methode der „dichten Beschreibung“ 117 eine möglichst wirklichkeitsnahe Deskription der gottesdienstlichen Realität der Pfingstdenomination der AdD gegeben
werden. Die „Dichte Beschreibung“ geht über die rein deskriptive phänomenologische Annäherung hinaus und versucht hinter dem rein empirisch Wahrnehmbaren nach der Intention des zu
untersuchenden Phänomens zu fragen.
So erläutert Geertz diese Methode anhand eines Menschen, der mit seinem Auge zwinkert bzw.
zuckt. Die reine Beobachtung der Bewegung des Auges lässt den Beobachter noch im Dunklen
darüber, ob es sich um ein Zucken oder ein Zwinkern handelt.
116
117
Kessler, Historia de la Evangelización en el Perú, S. 281.
Der Begriff der “Dichten Beschreibung” –in Abgrenzung zur “dünnen” Beschreibun- geht auf Gilbert Ryles zurück und wird in
der ethnologischen Untersuchung kultureller Systeme angewandt, vgl. Geertz, Dichte Beschreibung, S. 10.
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Nebst diesem Beispiel zeigen seine Ausführungen zu den balinesischen Hahnenkämpfen118 ein
Beispiel dessen, wie diese Methode zum Verständnis von fremden kulturellen Phänomenen eingesetzt werden kann.
Ausgangspunkt dieses kulturtheoretischen Ansatzes ist die „mikroskopische“ Vorgehensweise,
d.h. der Beobachtende muss sich in das jeweilige Phänomen/ Ereignis, welches beobachtet werden soll, begeben und auf diese Weise von innen heraus zu einer allgemeinen Formulierung dieses kulturell verankerten Symbolsystems gelangen.
„Was immer Symbolsysteme im Rahmen ihrer Bedingungen sein mögen, wo immer
sie bestehen, empirisch werden wir ihrer erst habhaft, wenn wir Ereignisse untersuchen, und nicht, indem wir abstrahierte Entitäten zu einheitlichen Mustern zusammenfügen“119.
Der Gebrauch dieser Methode ermöglicht es, die reale Wirklichkeit in ihrer phänomenologischen
Erscheinungsform und mit ihrem intentionalen Inhalt für sich und aus sich heraus sprechen zu
lassen und somit zu vermeiden, ein starres Theoriesystem darzustellen, welches dem wesenhaften
Propium der Pfingstler widersprechen würde.
Der Kontext der Pfingstler kann als ein aus der persönlichen Erfahrung im Geist entstandenes
Ethos bezeichnet werden, dem die an dieser Stelle gewählte Methode der „dichten Beschreibung“
am ehesten entspricht, da sie eine Bewegung von „innen-nach-außen“ (von der Erfahrung zur allgemeinen Formulierung) impliziert.
Die Technik der „Beobachtenden Teilnahme“120 ermöglichte mir, meinen Untersuchungsgegenstand nicht als Objekt zu betrachten, sondern durch die –durch diese Technik begünstigte- persönliche Beziehung den komplexeren Zusammenhang dessen, wen/ was ich untersuche, besser zu
begreifen.
Die Vor- und Nachteile, die diese Technik –in der Akademikerwelt oft als unwissenschaftlich
abqualifiziert- mit sich bringt, liegen auf der Hand. Zum einen ermöglicht sie dem Beobachtenden und Forschenden, diese oben benannte Innenperspektive auf das Untersuchungsobjekt einzu-
A.a.O., S. 202-261.
A..a.O., S. 26; vgl. auch zu Religion als Symbolsystem Geertz Definition: “ein Symbolsystem, das darauf abzielt, starke umfassended und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass die Stimmungen
und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen”, S. 48.
120 Vgl. zu diesem Thema Girtler, Methoden der qualitativen Sozialforschung, vor allem S. 49ff. bzgl. der “unstrukturierten teilnehmenden Beobachtung”.
118
119
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nehmen, aber zugleich wird durch die direkte Teilnahme am Untersuchungsobjekt die schützende
Distanz zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben.121
An dieser Stelle muss betont werden, dass mir erst diese Vorgehensweise die Türen geöffnet hat,
eine Vertrauensbasis mit den Pfingstlern aufzubauen, die für weitere Untersuchungen mittels
Fragebögen und Interviews unerlässlich war.
Zu Gunsten der hier dargestellten wirklichkeitstreuen interpretierenden Beschreibung werden in
einigen Kapiteln Zitatverweise zur persönlichen Vertiefung einer Aussage in den Text eingebaut
((x)), die am Ende jeden Abschnitts als nummerierte Liste angehängt werden.
Das Kapitel beabsichtigt die Welt der (Geist-)Erfahrungen dem Leser zugängig zu machen und
ihn an die Lebenswirklichkeit der Pfingstler heranzuführen, um die Verständnisgrundlage für die
daran anschließenden hermeneutisch-soziologischen sowie kritisch-theologischen Ausführungen
zu ebnen.
Als zusätzliche Quelle –nebst der „teilnehmenden Beobachtung“- dienen zwei voneinander zu
unterscheidende Fragebögen (FB I+II), durchgeführt in den Städten Arequipa, Tacna, Moquegua
und Ilo, 26 durchgeführte Interviews122, davon 21 (=25%)123 mit hauptverantwortlichen Pfarrern
o.ä. der AdD–Südregion, sowie die Auswahl von 61 Predigtaufnahmen, die jeweils transkribiert
und thematisch analysiert wurden (vgl. Anhang 6).
4.1
Der Gottesdienst - „ein Treffen mit Gott“124
Im Allgemeinen feiern die AdD Gottesdienste an den Wochentagen Dienstag (Gebetsgottesdienst), Donnerstag (Bibelstunde), Samstag (Treffen der Jugendlichen) und Sonntag (morgens
Geertz drückt die Kritik an der teilnehmenden Beobachtung wie folgt aus: “Wo die Idee der teilnehmenden Bebachtung den
Ethnologen darin bestärkt hat, sich mit seinen Informanten als Personen und nicht als Objekten einzulassen, war sie eine
nützliche Idee gewesen. Wo sie dagegen dem Ethnologen die Wahrnehmung seiner eigenen, ganz spezifischen, kulturell bedingten Rolle versperrte und ihn dazu brachte, sich für etwas anderes zu halten als einen interessierenden Beobachter (im
Sinne eines beteiligten wie voreingenommenen Beobachters), war sie unsere mächtigste Quelle von Unaufrichtigkeit”, Fn. 4,
S. 29.
122 Die Interviews sollen im Sinne der “Oral History” (mündliche Geschichtsschreibung) als wichtige Informationsträger der vor
allem mündlichen Erfahrungswelt der pfingstlichen Amtsträger gehandelt werden. Nach Niethammer leistet diese Forschungsmethoden folgende wichtige Beiträge: “a) bei der Erforschung einer Sozialgeschichte des Alltags; b) bei der Untersuchung subjektiver Wahrnehmungen und Erfahrungen und c) als eine Möglichkeit, die Geschichtsschreibung zu demokratisieren”, Niethammer, “Über Forschungstrends unter Verwendung diachroner Interviews in der Bundesrepublik”, S. 352; für uns
ist an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit auf Punkt b zu legen.
123 Nach Brüggemann wird nach 15-25 Befragten eine sog. “ theoretische Sättigung” erreicht. Brüggemann/ Wieling: Einführung
in die Oral History, Kurseinheit 2, Das Interview.
124 Vgl. Anhang 3, FB II, II Gottesdienst, Moq: 52%, Ilo: 67%, Tacna: 76%, Tacna 2: 70% (die Prozentangaben werden im Folgenden immer in dieser Ortreihenfolge aufgeführt).
121
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Sonntagsschule und abends Evangelisationsgottesdienst). Im Folgenden soll vor allem den zuletzt
genannten Hauptgottesdiensten Beachtung zukommen.125
Sonntagsschule126
Jeden Sonntagmorgen versammeln sich ab halb neun die Schwestern und Brüder der Sonntagsschule. Nach und nach füllt sich die Kirche, so dass gegen neun Uhr die Mehrheit der
Gemeinde eingetroffen ist. Jeder der an diesem Morgen die Kirche betritt wird von einem
ehrenamtlichen Mitarbeiter, der an der Eingangstür die Gottesdienstbesucher erwartet,
herzlich willkommen geheißen.
Nach einer kurzen Zeit des Lobgesangs begibt sich die Gemeinde an diesem Morgen in ihre Bibelklassen. Es existieren unterschiedliche Klassen entsprechend des Alters und eine
Gruppe Aymara (traditionelle indigene Landessprache) sprechender Mitglieder. Die Erwachsenen bleiben in dem Hauptgebäude der Kirche, wo Pf. Pedro Santo die biblische Botschaft vorkündigt.
Jeden Sonntag handelt es sich um ein biblisches Thema, welches ein Lernvers aus der Bibel
beinhaltet. In der Unterrichtstunde der Erwachsenen tritt teilweise dieser spezielle Lerninhalt in den Hintergrund und der Unterricht erscheint, ein wenig die Struktur einer Bibelstunde zu verlieren und in den evangelisierenden Verkündigungsdienst. Dennoch sollte es
sich um einen Bibelunterricht handeln, teilweise dogmatisch orientiert, wobei die rhetorische Methode des Pfarrers ruhig und ernsthaft ist. Ungefähr eine Stunde dauert der Unterricht 127 danach versammeln sich alle wieder in dem Hauptgebäude der Kirche. Dort beginnt im Anschluss die Vorstellung jeder Gruppe, geleitet durch den Bruder Felix Palomi
(Bsp. Tacna), der dafür verantwortlich ist, den Leitern der Gruppen das Wort zu übertragen. Danach spricht der jeweilige Leiter seine Gruppe mit folgender Ansprache an: „Die
Klasse X (Name der Klasse) sagt … und während die Gruppe sich erhebt erwidert sie mit
einem lauten „Amen“.
Danach tragen sie ihren auswendig gelernten Vers der Gemeinde auf vor. Auf diese Weise
wird mit jeder Klasse verfahren. Das Ambiente scheint allen Vergnügen zu bereiten. Die
Aufgrund meiner Partizipation über einen Zeitraum von einem Jahr schließe ich, dass diese die am besten besuchten Gottesdienste und auf diese Weise die Repräsentativsten sind.
126 Die Beschreibung orientiert sich an Beobachtungen im Zeitraum Januar bis Juli 2003 im TAF, ergänzt und erweitert durch die
Erfahrungen in den AdD in Arq (Juli – Oktober 2002), Moq (Januar – Juli 2003) und Ilo (unregelmäßig).
127 Anhang, FB II, VIII Liturgie – Predigt: die biblische Botschaft ist für die Mehrheit (71%, 52%, 66%, 85%) eine vom Heiligen
Geist inspirierte Botschaft, die von einer bedeutsamen Anzahl (50%, 41%, 40%, 80%) in Meditation und Gebet empfangen
wird, vgl. Pkt. 4 in der vorliegenden Ausarbeitung.
125
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Kinder lachen, die Jugendlichen und Erwachsenen unterhalten sich. Offensichtlich fühlen
sich die Menschen wohl.
Die Sekretärin der Sonntagsschule, Schwester Leticia Pari (Bsp. Tacna) tritt in Fortsetzung
des Gottesdienstes nach vorn, um die Gemeinde über die statistischen Ergebnisse zu informieren, u.a. über Gottesdienst-Assistenz, Summe der Kollekte und welche der Klassen an
diesem Sonntag durch höchste Teilnehmerzahl gewonnen hat.
Die Kollekte/ der Zehnte wird als ein notwendiges Zeichen einer christlichen Spenderin/
eines christlichen Spenders verstanden, das die geistliche Tendenz widerspiegelt und somit
die Dimension der Kirche als Institution sowie ihre ökonomischen Bedürfnisse ignoriert.128
Im Anschluss tritt ein Vertreter der Siegerklasse nach vorne und hisst, so zu sagen als Prämie, die Flagge der AdD. Dieser ganze Vorgang ist auf dieselbe Weise durch die Musikgruppe begleitet wie die Einsammlung der Kollekte/ des Zehnten.
Während des ganzen Gottesdienstes können Anbetungssprüche und Ausdrücke wie „Ehre
sein Gott“, „auf seinen Namen“ „wer lebt, wer lebt, wer erlöst“ (mit der Antwort „Christus“) gehört werden. Aufgrund dessen besteht eine gewisse Kommunikation zwischen dem
Predigenden (o.ä.) und der Gemeinde.129
Gegen elf Uhr findet der zweite Gottesdienst statt, der eine deutlich geringere Besucherzahl
aufweist.
Evangelisationsgottesdienst
Sonntagabends ab sieben Uhr versammeln sich die Schwestern und Brüder der AdD, um
den Evangelisationsgottesdienst zu feiern. Während die Gemeinde eintrifft, beginnt die
Musikgruppe zu spielen.
Zu Beginn interpretiert sie vor allem bewegte musikalische Stücke, durch die die Gemeinde
animiert wird, aktiv mitzusingen. Viele Schwestern und Brüder begleiten ihren Lobgesang130 mit Händeklatschen zu Ehren des Herrn. Alle stehen, manchmal bewegen sie ihre
Körper, einige scheinen fast zu tanzen. Ein Grossteil weiß die Liedtexte auswendig, aber
dennoch kommt es manchmal vor, dass der Text in den Evangelisationsgottesdiensten für
Neuankömmlinge an die Wand projiziert wird.
Vgl. Anhang, FB II, III Gemeinde, vgl. auch Handzettel “La Bendición del Diezmador“ (übers. „Der Segen des Gebenden“) von
21. Juli 2002 aus der Comunidad Cristiana in Arequipa.
129 Vgl. die Predigtaufnahmen; beachte auch Pkt. 1.3 der vorliegenden Ausarbeitung.
130 Die kultische Funktion der Musikgruppe ist es, die Kirche spirituell zu animieren oder sie zu stärken, den Heiligen Geist anzurufen, vgl. Anhang 3, FB II, VII Liturgie – Lobpreis (50%, 41%, 40%, 80%), vgl. auch Pkt. 4.1.2 der vorliegenden Ausarbeitungen.
128
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Im zweiten Teil wechselt der Rhythmus der Musik und es können vor allem spirituelllangsamere Lieder der Anbetung vernommen werden.
Die Schwestern und Brüder setzten ihren Lobgesang fort, ihre äußere Erscheinung verändert sich aber. Sie erheben ihre Hände zum Himmel, schließen ihre Augen und treten ein in
die Aura des Geistes Gottes. Ihre äußeren Bewegungen „verinnerlichen“ sich. Das Ambiente wirkt geistlich-meditativ – eine Erregung geht durch die Gemeinde – unsichtbar, aber
wahrnehmbar.
Manchmal sieht man in diesem geistlich-emotionalen Moment weinende Personen. Andere
zeigen ein Lachen auf ihrem Gesicht, so als ob sie die intime Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist genießen.
Der Leiter unterbricht manchmal die Atmosphäre mit Ausdrücken wie „Dank sei dem
Herrn, dass ich hier bin“! „Geist, komm“ oder „Ehre sei Gott, halleluja!“ (o.ä.)
Ungefähr um acht Uhr, d.h. eine Stunde dauert der Lobgesang, wird mit einem geistlichen
Gebet geendet, indem für die Gegenwart des Heiligen Geistes gedankt wird.131
In diesem Moment der geistlichen Kontemplation hören die Schwestern und Brüder in der
Fortsetzung des Gottesdienstes die Predigt. Der Pf. Pedro Santo tritt zum ersten Mal an diesem Abend nach vorne und begrüßt die Gemeinde. Bevor er mit der Predigt beginnt, hält er
ein Gebet, in dem er vor allem um die Weisheit Gottes bittet, die Heilige Schrift an diesem
Abend auslegen zu können.
Es folgt die Bibelauslegung, die sich auf einen, mehrere biblische Verse oder die gesamte
Bibel beziehen kann.132
Der Pfarrer predigt in einer aktiven Form133, um die Bedeutung seiner Botschaft mit fester
Stimme zum Ausdruck zu bringen. In gewissen Abständen tritt er in eine Art Kommunikation mit der Gemeinde, indem er die Schwestern und Brüder mit rhetorischen Fragen wie
„„Amen, Brüder?“, „Auf seinen Namen?!“ zur Manifestation seiner Botschaft animiert.
Kontinuierlich können Wiederholungen gehört werden.
Am Ende steht in den meisten Fällen eine Einladung an die Gemeinde, zum Gebet nach
vorne zu treten, um auf diese Weise eine intensivere Kommunion mit dem Herrn Jesu
Christus zu haben, mit dem Ziel die Taufe des Heiligen Geistes134 zu empfangen.
Hier bestätigt sich folgende Beobachtung des FB II: “Das Gebet ist […] ein Treffen mit dem Heiligen Geist”, vgl. Anhang 3, VI
Liturgie - Gebet für eine umfassende Reflexion, vgl. Punkt 4.1.1. der vorliegenden Arbeit.
132 Bzgl. des Themas der “Pfingstler-Hermeneutik”, vgl.Punkt 1.4 der vorliegenden Ausarbeitung.
133 Hier bestätigt sich folgende Beobachtung des FB II: “Es wird […] ein Prediger mit einem aktiven bewegten Predigtstil bevorzugt“, vgl. Anhang 3, VIII Liturgie – Predigt (73%, 67%, 66%, 60%).
134 Vgl. z.B. die Predigt “Comunión con Cristo aun hay pruebas”, Mis. Mario Carpago G., S. 9.
131
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 37 -
Ulrike Sallandt
Im Allgemeinen tritt die Mehrheit der Gemeinde nach vorne und stellt sich möglichst in die
Nähe des Pfarrers. Viele erheben ihre Hände zum Himmel, schließen ihre Augen und hören
auf die Erbauungsworte des Pfarrers (oder der verantwortlichen Person in diesem Moment).
Im Falle einer ausländischen Gastpredigerin/ eines ausländischen Gastpredigers scheint die
Atmosphäre im Gottesdienst noch geistlicher und spiritueller zu sein. Gebet und Kontemplation in dem Geist Gottes erreichen allgemein ihren Höhepunkt, wenn einige Personen beginnen in Zungen zu reden (=Taufe des Heiligen Geistes, Glossolalie).
Sofern eine Gruppe geistlicher Leiter gegenwärtig ist (Pfarrer, Missionare etc.) nähern sie
sich, um den im Altarraum stehenden Personen die Hand aufzulegen. Manchmal geschieht
dies mit einem physischen Stoss, so dass die Person zu Boden fällt. 135 Außerdem beten diese geistlichen Begleiter –die sich als Medium des Heiligen Geistes verstehen– extrem
schnell (meist unverständlich), um das Böse, die Krankheit, den Satan und/ oder die Dämonen aus der Person zu vertreiben. Schließlich rufen sie den Heiligen Geist an, damit er
in die Person einkehrt. In Moment des Höhepunktes beginnt eine Rückkehr in den „Normalzustand“, d.h. zurück zur Ruhe und zur bewussten Wahrnehmung.
Die Worte des Pfarrer (oder des Vorbeters) werden wieder ruhiger, die Gemeinde ebenfalls
und die Musikgruppe spielt zur Anbetung, um die Gegenwart in einer tiefgehenden inneren
Intensität aufgehen zu lassen. Ein verständliches Gebet lässt das Ende erkennen. Die Gemeinde kehrt zu ihren Sitzplätzen zurück und die Musikgruppe begleitet die Einsammlung
der Kollekte/ des Zehnten. Bevor sich mit drei „Ehre sei Gott“ verabschiedet wird, werden
die Ankündigungen der Woche verlesen, manchmal auch spezielle für den ganzen Monat.
4.1.1 Das Gebet – „das Gespräch mit Gott“ oder „ein Treffen mit dem Heiligen Geist“136
Jeder Gottesdienst – entsprechend seiner Funktion – beinhaltet unterschiedliche Gebetsformen.
Es werden im Folgenden zunächst die Gebete angesprochen, die allgemein in allen Gottesdiensten praktiziert werden.
Jeder Gottesdienst beginnt mit einem Gebet, in dem dem Herrn Jesus Christus für die Zeit der
Vgl. Mitschrift, Kirche “Buenas Nuevas” (übers. „Gute Nachricht“) in Tacna, Bibelstunde am 5. Juni 2003:Thema: Handauflegung. Der Pfarrer der Gemeinde (vgl. zur Person Interview, Pf. Eleuterio Quispe Angulo) erwähnt in seinem Unterricht, die
fehlerhafte Praxis des Handauflegens in der Vorbereitungsphase, den Heiligen Geist/ Taufe des Heiligen Geistes zu empfangen.
136 Vgl. Anhang 3, FB II, Liturgie – Gebet: Gespräch mit Gott: Moq: 93%, Tacna: 90%, Treffen mit dem Heiligen Geist: (Ilo: 26%,
Tacna 2: 60%).
135
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Kommunion mit IHM gedankt wird.137 Vor und auch nach den Lobgesängen findet sich immer
ein Gebet, welches dem Herrn Jesus Christus gewidmet ist und mit welchem IHM gedankt und
um seine Gegenwart für diesen Moment gebeten wird.
Es treten auch kurze Gebete vor und nach der Predigt sowie vor und nach der Kollekteneinsammlung.138 Das Ende des Gottesdienst in der Gestalt der Verabschiedung wird im Gegensatz „nur“
durch ein dreimaliges „Ehre sei Gott“ begleitet.
Die Spontaneität des Moments zeigt sich als Hauptmerkmal der kurzen Gebete. Die Person, die
betet, betet mit den Worten, die ihr der Heilige Geist in den Mund legt. Weder vorbereitete noch
abgelesene Gebete sind bekannt. Das Gebet wird durch das augenblickliche Gefühl bestimmt.
Dasjenige, welches Teil der Einladung für die geistliche Kommunion ist, zeigt eine Kurve geistlicher Intensität, die im Gottesdienstraum wahrgenommen werden kann. Parallel zu der geistlichen
Intensität, während „der Geist Gottes angerufen und gepriesen wird“139, steigt die physische Expression der Gemeindemitglieder an, die ihre Angesichter verändern und sich in überschwelgender Emotion (sowohl Freude als auch Traurigkeit, Schmerz, Trauer etc.) zeigen. Das Gebet wechselt in einen ganzkörperlichen Ausdruck, d.h. in eine geistliche Begebenheit, die physische Konsequenzen sichtbar werden lässt.
Die Menschen folgen ihrem inneren Wunsch, die intensivste Kommunion, mit dem Heiligen
Geist (Geisttaufe) zu erlangen:
„Die Mehrheit praktiziert die Zungenrede nicht, aber es kann der allgemeine Wunsch festgestellt
werden, es zu können“140.
Sofern jemand beginnt in Zungen zu reden, bewegt er seine Arme und Hände gen Himmel,
manchmal springt sie/ er in vielen Kreisen oder fällt zu Boden, und Zuckung fahren wie elektrische Schocks durch ihren/ seinen Körper.
Diese Zeit des Gebets kann bis zu einer Stunde dauern und schließt mit einigen geistlichen Lobgesängen, in die die Gemeinde nach und nach mit einstimmt. Im gemeinsam gesungenen Liedtext
trifft sich die Gemeinde in diesem Gottesdienst erneut.
Die Fürbitte für die Kranken oder/ und andere bedürftige Personen oder konkrete Anliegen ist die
einzige Gebetsform, die auf eine gewisse Weise vor der Gemeinde angekündigt und geplant wird,
damit alle durch eine kurze Erklärung des betreffenden Falles das Motiv des Gebets erfahren.
Vgl. Predigtaufnahmen im Allgemeinen.
Entsprechend der Verbindung zwischen Predigt und Gebet, vgl. Punkt 1.4 der vorliegenden Arbeit.
139 Anhang 3, FB II, VI Liturgie - Gebet, vor allem in Moq 25% und Tacna 2 50%.
140 A.a.O.
137
138
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Außer der gottesdienstlichen Gebete, besteht die Gebetspraxis auch vor und nach dem Gottesdienst. Die Schwestern/ Brüder kommen vor Beginn oder bleiben nach Ende des Gottesdienstes,
um mit Herrn Jesu Christus (meist in Stille) Zeit zu verbringen. Außerdem existieren auch Gebetszeiten an anderen Tagen. In beiden Fällen handelt es sich um individuellere Gebete in demütiger Haltung (kniend)141 vor dem Herrn Jesus Christus, weil kein Leiter oder Vorbeter zu gegen
ist.
4.1.2 Der Lobpreis – “eine Zeit, um Gott anzubeten“142
Die Lobgesänge verkörpern einen Schwerpunkt in den Pfingstgottesdiensten. Sowohl zu Beginn
als auch im Verlauf des Gottesdienstes spiegelt die musikalische Begleitung immer den spirituellen Augenblick des Gottesdienstes wieder.
Die Lieder können in Lobgesänge und Lobpreisungen (Anbetung) aufgeteilt werden. 143 Im Allgemeinen besteht die Musikgruppe aus 4-6 Personen. Die Instrumente sind hauptsächlich Schlagzeug, Bass, Gitarre und elektrische Orgel oder Keyboard.
Meistens werden die musikalischen Einheiten kontinuierlich ohne Unterbrechung realisiert. Diese
sind teilweise durch geistliche Worte der Erbauung durch die Sängerin/ den Sänger begleitet. Der
Einsatz moderner Instrumente wie Schlagzeug, Keyboard, E-Gitarre beeinflusst die aktuelle Stilrichtung der Musik. Es überrascht von daher nicht, dass „der Einfluss der moderne Musik als
(sehr) gut“144 empfunden wird. Mikrophone und Lautsprecher fehlen, selbst in den kleinen Kirchen, so gut wie nie.
Der Lobpreis berührt durch seinen meditativen Rhythmus und seinen sich immer wiederholenden
Text (vgl. weiter unten) das Innere der Menschen, um sie „einzuladen“, ihren Alltag zu vergessen
und sich ganz der Gegenwart des Heiligen Geistes hinzugeben. Es handelt sich um: „eine Zeit,
um den Heiligen Geist zu fühlen“ 145.
Es scheint, als ob die musikalische Melodie die geistliche Botschaft in sich trägt, indem sie das
Fliessen des Heiligen Geistes verkörpert, der in dieser Form in die Herzen jeder/ jedes Gläubigen
einkehrt.
Vgl. Interview mit Pf. Albino Rojas.
Vgl. Anhang 3, FB II, VIII Liturgie – Lobpreis (94%, 74%, 9% [wenige antworteten], 95%).
143 Vgl. Himnario Alabanza und Adoración. Comunidad Cristiana – Palabra de Vida, Arequipa (Gesangbuch).
144 Anhang, FB II, VII Liturgie - Lobpreis (38%, 33%, 45%, 45%).
145 A.a.O.
141
142
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Ulrike Sallandt
Der Lobgesang berührt die Personen entsprechend des Augenblicks während des Gottesdienst,
indem er ihnen den spirituellen Raum und die kontemplative Kommunion mit dem Herrn Jesus
Christus eröffnet.
Textbeobachtung146
Die Liedtexte sind meistens kurz und mit vielen Wiederholungen. Aufgrund der Tatsache,
dass das Verb häufig im Imperativ gebraucht wird, erscheinen die Lieder oft als Bittstellungen, die wiederum in der Mehrzahl individuelle Bitten der Sängerin/ des Sänger selbst darstellen. Hier zeigt sich die personale (egozentrische) Dimension der Lieder, mit denen die
Gläubigen den Heiligen Geist bitten, dass er in ihrem Inneren fließt. Der Lobpreis in dieser
geistlichen Dimension richtet sich an den Heiligen Geist, der Gott in seiner ganzheitlichen
(absoluten) Funktion zu ersetzen scheint. Der pneumatologische Schwerpunkt zielt auf die
Santifikation und Purifikation, wonach sich die singenden Gläubigen sehnen. Die Texte beschreiben die innere geistliche Situation, in denen die Person eine intensivere Kommunion
mit dem Heiligen Geist sucht; sie sehnt sich danach, diese Kommunion zu empfinden, um
ihr Leben zu erneuern.
4.2
Die Gemeinde147
Die Mehrheit der Schwestern und Brüder sind Personen der Mittel- oder Unterschicht. Als Handelsangestellte führt der Großteil ein einfaches Leben. In ihrer Mitte finden sich wenige professionelle Fachleute. Mit großer Verantwortung achten sie auf ihre regelmäßige Gottesdienstassistenz (mindest drei Gottesdienstbesuche pro Woche), aber gleichzeitig zeigt sich nicht selten eine
körperliche Ermüdung. Obwohl „die Predigt das Zentrum des Gottesdienstes“148 verkörpert,
schlafen Gemeindemitglieder regelmäßig währenddessen ein.
Sie sehen in dem Pfarrer einen geistlichen Führer und eine Autorität, der man mit Gehorsam begegnen muss. Nur wenige aus der Gemeinde reflektieren ihren Glauben selbstständig. 149 Auf diese Weise erscheint die Beziehung zwischen Gemeindemitgliedern und dem Pfarrer wie die zwischen Professor und Studierenden, d.h. wie zwischen Autorität und gehorsamer Gefolgschaft.
Vgl. Anhang 1: es wurden fünf klassische Lieder der pfingstlichen Anbetung ausgewählt und kritisch untersucht, um charakteristische Aspekte herauszustellen.
147 Grundlage dieses Abschnitts: Mitschriften einer einjährigen Partizipation in den AdD –Südregion Perus, Anhang 2, FB I in Arq
und Anhang 3, FB II in Tac, Moq und Ilo.
148 Anhang 3 , FB II, II Gottesdienst (83%, 93%, 78%, 90%).
149 Vgl. Anhang 3, FB II, III. Allgemeine Beobachtungen zeigen, “dass wenige Brüder in ihren Antworten eine umfassende Reflexion widerspiegeln, [dies] unter Berücksichtigung, dass Zeitmangel, Unfähigkeit sich mit dem schriftlichen Wort auszudrücken
etc. gewisse Einflussfaktoren darstellen”.
146
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Einige Schwestern und Brüder höheren Alters besetzen das Amt des Diakons; die Jugendlichen
wirken in der Musikgruppe, der Sonntagsschule oder anderen speziellen Gruppen wie zum Beispiel Evangelisation im Gefängnis, Gottesdienste in den Randgebieten der Stadt oder Theater
(o.ä.) mit.
Vor allem unter den Jugendlichen kann beobachtet und durch Einzelgespräche mit ihnen belegt
werden, dass ihre kirchliche Teilnahme vor allem sozial motiviert ist. Sie reflektieren das geistige
Gemeindeleben nicht. In vielen Fällen ist der Jugendliche in der Kirche „ohne zu denken und zu
reflektieren“150, während er pflichtbewusst sein Amt (ministerio) ausübt.
Die Bekehrung bedeutet für die Mehrheit der Gläubigen ein radikaler Wandel in ihrem Leben
und markiert den Beginn eines moralisch besseren Lebens. Dieser ethisch-moralische Schwerpunkt wird durch die am häufigsten zu beobachtende Antwort Zeuge Jesu sein in Wort und Tat
sowie den Äußerungen über die tiefgehende Veränderung im Leben, dass das Verhalten des
Menschen beinhaltet, manifestiert.151
Das Leben nach der Bekehrung zum Herrn Jesus Christus kennzeichnet unzweifelhaft einen neuen geistlichen Anfang mit ethischen Konsequenzen und einem positiven Zeugnis des menschlichen Daseins. Die Person gibt sich mit „ihrem ganzen Leben dem Herrn Jesus Christus, Gott oder
dem Heiligen Geist“ hin, verbunden mit der Tendenz, sich von den weltlichen Dingen abzuwenden, um auf diese Weise „ein christlich perfektes Leben zu leben“152. Diese erkannte dualistische
Weltsicht kann in Kombination mit der pneumatologischen Tendenz den geistlichen Kampf verursachen, der von einem literalistischen Bibelverständnis begleitet ist.153
Das negative Konzept der Welt154, welches das Leben im Geist forciert, spiegelt sich auf mehrfache Art und Weise in den Gemeinden wieder: in der fundamentalistischen Einstellung, in dem
zeugnishaften Leben und in dem missionarischen Ansatz.155
Aufgrund der Überzeugung, dass mein unvergleichbares Bekehrungserlebnis auch andere Menschen erleben müssen, existiert eine hundertprozentige Überzeugung der Notwendigkeit der Mission als ein geistliches Werk, welches alle bedürftigen Menschen erreichen muss. Die EvangeliMitschrift eines Jugendlichen der Gemeinde, der sich vor kurzer Zeit aus seinen Ämtern zurückgezogen hat. Ein Gespräch mit
ihm manifestierte, dass keine integrale Erziehung der Jugendlichen in den AdD besteht, die ihnen erlaubt, eine ganzheitliche
Persönlichkeit zu entwickeln, um im 21. Jahrhundert mit all seinen Anforderungen leben zu können. Der junge Mann brauchte
mehr als zwei Jahre, um diesen Schritt der Trennung von der Gemeinde vollziehen zu können. Es existiert eine emotionale
Abhängigkeit, die auf einem unreflektierten Fundament beruht.
151 Vgl. Anhang 2, FB I, 2.1.
152 A.a.O., 2.1 und 3.2, Anhang 3, FB II, III Gemeinde : auf die Frage: was bedeutet Zeugnis abzulegen? antwortete eine Mehrheit
(nicht die Mehrheit) ein christlich perfektes Lebens zu führen (73%, 48%, 71%, 75%),; vgl. auch Aufnahmen der Predigten und
Interviews.
153 Vgl. Anhang 2, FB I, III. Allgemeine Beobachtungen; bzgl. des Biblizismus vgl. Punkt 1.4 der vorliegenden Ausarbeitung.
154 Vgl. Interview mit Pf. Hugo Huanca: “die AdD identifizieren sich nicht mit der Welt”.
155 Vgl. Anhang 2, FB I, III Allgemeine Beobachtung.
150
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
sationsaufgabe zielt darauf ab, durch eine Evangelisationsgruppe, die sich absolut von dem Heiligen Geist leiten lässt oder, so eine andere relative Perspektive, die die Grenzen des Menschen erkennt, Seelen zu gewinnen (quantitative Dimension).156
Der erst seit ein paar Jahren organisierte Bibelunterricht fand als Programm der „Schülerschaft“
Eingang in den AdD. Die Bibel verstanden als ein „vom Heiligen Geist inspiriertes und geschriebenes Buch von absoluter normativer Autorität” (ethische Dimension) wird weniger studiert und
analysiert als meditiert oder angebetet. Unter biblischem Studieren muss konsequenterweise eher
eine geistlich orientierte Beschäftigung mit der Bibel verstanden werden. 157 Diese Beobachtung
bestätigt sich durch die Praxis des soeben erwähnten Programms der „Schülerschaft“.158 Dieses
Programm stellt für die Mehrheit der Gemeinde die Basis für das Leben dar. Dennoch besteht der
Widerspruch zwischen dem auf der einen Seite (theoretischen) positiven Bekenntnis zu Gunsten
dieses Unterrichts und auf der anderen Seite des (praktischen) Fernbleibens.159 Dieser beobachtete Widerspruch kann an dieser Stelle aus der reinen empirischen Praxiserfahrung nicht beantwortet werden. Er wird aber im Teil III meiner Arbeit Aufnahme finden.
Im Folgenden schließt sich eine Typologisierung der interviewten Pfarrer der AdD statt, die anhand von Beispielen mit der Zielsetzung expliziert wird, die äußere Gestalt und die innere (theologische) Überzeugung der Leitungsträger der Pfingstgemeinden zu skizzieren.
4.3
Die Pfarrer
Im folgenden Abschnitt werden die Leitungs-/ und Verwaltungsträger der Pfingstdenomination
der AdD untersucht. Im Vordergrund dieser Untersuchung steht der Versuch, eine differenzierte
deskriptive Klassifizierung der Pfarrer vorzunehmen. Aufgrund der bedeutsamen Stellungen der
Leitungsorgane in den Pfingstkirchen leistet diese Untersuchung einen ersten Einblick, in die biblisch-theologische Glaubensüberzeugung der AdD.
Hundertprozentige Überzeugung der Mission, vgl. FB I, 2.2, aber in den Antworten der Gemeindemitglieder kommt keine Methode der Mission zum Ausdruck (III Allgemeine Beobachtung); Beschreibung der missionarischen Aufgabe, vgl. Anhang 3,
FB II, IX Mission und Evangelisation.
157 Vgl. FB II, IV Estudio Bíblico.
158 Vgl. Mitschrift: Programm der “Schülerschaft”in der “Comunidad Cristiana – Nueva Vida” in Arq und im TAF – in Tac; vgl. Unterrichtsmaterial Discipulado I-III von den AdD, Discipulado de Jonatan Cruz und die Unterrichtsaufnahme des Prof. Br. Carlos
Choque am 10. und 17. Januar 2003: Themen: “Etapas de la vida cristiana” und “Métodos para el crecimiento und desarrollo
cristiano”(übers. “Etappen eines christlichen Lebens” und “Methoden für christliches Wachstum und geistlichen Reife”).
159 Vgl. Anhang 3, FB II, IV Bibelunterricht: „So erklärt sich auch der Widerspruch, dass, obwohl theoretisch die Notwendigkeit
des Studiums (“Schülerschaft”) anerkannt wird, die Praxis eher eine mangelnde Verantwortung bzgl. der Teilnahme widerspiegelt“.
156
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
4.3.1 Typologie – Pfarrer der Südregion der AdD aus Peru160
Typ 1: konservativ - klassisch (trad.)
Merkmale







Biblizismus
Negatives Weltkonzept
Dualistische Kosmovision
Moralismus
Anthropologische Klassifizierung
Christozentrischer Moralismus
Geistlich–zeugnishafter Schwerpunkt
 Evangelisation
 Dogmatisierung
der
Geistgaben
(Glossolalie)
 Theologische Ignoranz
Pfarrer










 Bekennender Biblizizmus
 Negatives Weltkonzept
 Dualistische Kosmovision
“offenes“ Kirchenkonzept (Welt gegen die Heilige Kirche)
 Moralismus
 christozentrischer Absolutismus
 anthropologische Klassifizierung
 Dogmatisierung
der
Geistgaben
(Glossolalie)
 Dogmatische Reflexion
Pfarrer
Arana Rodríguez, Juan (Ilo)
Castillón, Ricardo (Tac)
Flores, Humberto (Tac)
Gutiérrez, Teofilo (Tac)
Marrón, Isidro (Arq)
Marrón, Josefa (Arq)*
Ríos, Anselmo (Arq)
Rojas, Albino (Tac)
Santo, Pedro (Tac)
Vegas, Pedro (Arq)
Typ 3: pentekostal - studiert
Merkmale
 Reflektierter Biblizismus
 Theologisch-dogmatische
Reflexion
(Theologie, Christologie, Pneumatologie usw.)
 Integrale Konzepte des Kosmos, der
Kirche und der Mission
Pfarrer




Typ 2: konservativ – modifiziert
(angepasst)
Merkmale




Cruz S., Jonatan (Arq)
Quispe, Eleuterio (Tac)
Castillón, Joel (Arq)
Yanca, Benjamín (Arq)
Typ 4: studiert modern
Merkmale
 Allg. theol. Studium
 Theologie, Christologie und Pneumatologie in der Trinität verbunden
 Ablehnung des Dualismus, des religiösen Absolutismus und des rigorosen
Moralismus
 Kritische Reflexion
Pfarrer
Américo López (Arq)
Pedro Díaz (Moq)
Palacio, Freddy (Arq)
Rolando Mendoza (Tac)
 Huanca, Hugo (Tac)
* Fettgedruckte dienen als Zitierquelle für die nachfolgende Deskription
160
Diese Typologie wurde anhand der Interviews mit den Pfarrern entwickelt, vgl. Anhang 4: Muster des Interviews; die Seitenangaben in dem Punkt 4.3.2. beziehen sich auf die transkribierten Interviews.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Typ 1: konservativ-klassisch161
In der Begegnung und dem Gespräch mit den Pfarrern dieses Typs, wird deutlich, dass ihre
gesamte Argumentation auf einer fundamentalistisch-biblizistischen Grundlage basiert, die
durch den Glauben an die Verbalinspiration begründet ist (vgl. Ausführungen unter Pkt.
4.4).
Der anthropologische Zugang auf die Weltwirklichkeit spiegelt zunächst eine dualistische
Weltauffassung der geistlichen Autoritäten wieder, die sich in der Unterteilung des Kosmos
in zwei Reiche, „Gut und Böse“, niederschlägt und auf diese Weise das negative Weltkonzept sichtbar werden lässt. Mit anderen Worten kann ein Mangel im Bezug auf die Identifizierung mit der profanen Welt beobachtet werden. Es geht mehr darum, sich von der weltlichen Realität der Gesellschaft zurückzuziehen, anstatt in ihr –d.h. kontextgebunden- und
mit ihr –d.h. in sozial-politischer Gemeinschaft- nach Innovation und Renovation zu streben.
Der Superintendent der Südregion AdD bringt diese dualistische pejorative Tendenz im Bezug auf den bekehrten Christenmenschen damit zum Ausdruck, dass dieser „ein Leben in
Heiligkeit und abgetrennt von den negativen Dingen“162 der Welt führen muss. Es besteht
eine so genannte „Schwarz-Weiß Malerei“ der Beziehung zwischen bekehrtem Christenmenschen und weltlicher Gesellschaft, die rhetorisch immer wieder zum Ausdruck gebracht
wird.163
Aufgrund dieser kosmologischen Überzeugung neigen die Pfarrerinnen/ Pfarrer –ihrer
Kosmosvorstellung entsprechend- die Menschheit ebenfalls in zwei Klassen zu unterteilen.
An dieser Stelle können wir von einer anthropologischen Klassifizierung des Menschheitsgeschlechts sprechen, welche auf der einen Seite die heilige Gemeinschaft der zu Christus
Bekehrten –die Kirche-, und auf der anderen Seite die noch immer verlorenen Seelen der
weltlichen Gesellschaft impliziert. Die Beziehung zwischen beiden Gruppen der menschlichen Gesellschaft ist ein dialektisches, d.h. zunächst besteht in der benannten Linie des abgrenzenden Dualismus eine Distanz, die die Kirche gegenüber der Welt wahren muss164,
Vgl. zur persönlichen Vertiefung Anhang 5, 5. Typologie der Pfarrer, Typ 1: konservativ-klassisch die Zusammenfassungen
von einer Pfarrerin und drei Pfarrern: Josefa Marrón, Pedro Vegas, Pedro Santos, Anselmo Rios.
162 Interview mit Pf. Pedro Vegas, S. 4.
163 Vgl. dazu die Predigt von Pedro Santo “Promesas de Dios contra las tentaciones”: “die Gefahr in die Welt zu gehen” (S. 6),
“sich von den weltlichen Versammlungen trennen“ bzgl. der Abgrenzung der gesellschaftlichen Aktivitäten (S. 10), “der leise
Feind” bzgl. des teuflisch Bösen in der Welt (S. 8), “die Wünsche der Augen” bzgl. der sichtbaren Versuchungen der/ in der
Welt (S. 10).
164 “Die Distanz sollte markant sein. Es sollte nicht irgendeine Art von Annäherung stattfinden. Wir [Kirche] befinden uns in der
Welt, aber wir sind nicht aus dieser Welt, sagt das Wort Gottes. Wir müssen auf jeden Fall die Distanz aufrechthalten, sonst
161
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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aber zugleich besteht auch eine Verantwortung geistlicher Art, die verlorene Menschheit zu
Christus zu führen. Dies begründet den intensiven Evangelisationsaspekt der Pfingstler in
der kirchlichen Praxis, der die einzige erlaubte Annäherung und Beziehung zur sündhaften
Welt darstellt. Geistliche Vorbildlichkeit und ‚moralisch-ethisches Zeugnis Geben’ kennzeichnet die Evangelisation der Pfingstler, die sich durch ihr persönliches Bekehrungserlebnis in Christus im Besitz des Heiligen Geistes wissen. Evangelisation wird durch diese persönliche Erfahrung dem Pfingstler eine „Herzensangelegenheit“, denn evangelisieren bedeutet für ihn, von seinem eigenen persönlichen Geist-Erlebnis mit dem Herrn Jesus Christus zu berichten.165
Die deutlich gewordene Geistdimension spiegelt eine –christozentrisch ausgelöste- Glaubensüberlegenheit wieder, die teilweise Gefahr läuft, den Menschen mit einer Art „automatisierter“ christlicher Anthropologie zu betrachten, nach der er –einmal zu Christus bekehrtfür immer auf dem richtigen Weg wandeln kann und es letztendlich von seinem Willen abhängt, ob er des Heils sicher oder verlustig wird.166
Ähnlich wie die anthropologische Auffassung des Menschen mechanisiert erscheint, zeigt
sich in der Auffassung der Geistgaben eine gewisse Tendenz zur Dogmatisierung, die,
meistens nicht wörtlich benannt, aber in dem Gedanken, „religiöse Elite“ zu sein, ihren
Ausdruck findet. Hier findet sich auch die Begründung für die theologische Ignoranz der
Pfingstlerautoritäten, deren Schwerpunkt nicht die Orthodoxie sondern die Orthopraxis der
kirchlichen Pastoralarbeit darstellt.
Typ 2: konservativ-modifiziert
Die Begegnung und das Gespräch mit den Pfarrern dieses Typs zeigt, dass sie auf den ersten Blick ganz der dualistisch-fundamentalistischen Linie des ersten Typs folgen. Bei genauerem Hinsehen jedoch lassen sich Unterschiede kenntlich machen, die vor allem darauf
zurückzuführen sind, dass die Pfarrer über eine gewisse biblisch-theologische Reflexion ihrer Glaubensüberzeugung verfügen. So lässt sich zunächst ausmachen, dass der vertretende
Biblizismus nicht nur beobachtbar ist, sondern auch formuliert zum Ausdruck kommt und
die religiöse Autorität eines Pfingstlerpredigers auf direktem Weg begründet:
machen wir uns dem säkularen Menschen gleich. [Dann] können wir rauchen, und nichts passiert, dann kann gelogen werden
– geklaut und nichts passiert. Dies wäre eine Identifikation mit der säkularen Welt”, Pf. Pedro Vegas, Interview, S. 3.
165 Vgl. Interview mit Pf. Anselmo Rios, S. 6, bzgl. des geistlichen Zeugnis, vgl. Interview mit Pf. Pedro Vegas, S. 4, bzgl. der
geistlichen Glaubenssicherheit in/ durch Christus, vgl. Josefa Marron, S. 4.
166 Vgl. Josefa Marron, Interview, S. 5.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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„Nicht ich sage es, sondern das Wort Gottes, d.h. unser Bezugsrahmen ist das Wort Gottes“167. Diese Beobachtung der beginnenden Reflexion spiegelt sich auch in der ekklesiologischen Lehre wieder. Während Typ 1 aufgrund der dualistischen Weltauffassung die Kirche als heiliges von der Welt zu unterscheidendes Reich auffasst, öffnet sich dieser starre
dualistische Gegensatz und die Kirche wird als ein kontextuell integriertes der Welt zugewandtes System dargestellt, welches auch soziale Verantwortung an ihrem Standort übernehmen muss.168 Ergo wird die einseitige Betonung des Evangelisationsaspektes durch den
Gedanken der „Integralen Mission“ erweitert und durch die soziale Dimension die anthropologische Ganzheitlichkeit des Menschen angesprochen.
Die pneumatologische Akzentuierung, begründet in dem Bekehrungserlebnis in Jesus
Christus, setzt sich aber weiterhin als Charakteristikum fort und begründet, warum die dualistische Weltauffassung und die anthropologische Klassifizierung der Menschheit nicht
aufgegeben werden kann. So kann es zustande kommen, dass derselbe Pfarrer auf der einen
Seite ein offenes dynamisches Kirchenkonzept vertritt, auf der anderen Seite aber die Menschen in der Kirche in die Gruppe der Überzeugten und die der wirklich Bekehrten unterteilt.169 Die Differenz ist eine geistliche, die sich –sofern der Gläubige es wirklich ernst
meint und mit vollem Herzen dahinter steht- dem Empfang der Geistgaben erkennen lässt.
Diese geistliche Reflexion führt dazu, dass, obwohl in den Satzungen der AdD nicht aufgenommen, die Glossolalie (Zungenrede) als sichtbares Kennzeichen der Geisttaufe/ des
„Zweiten Segens“ dogmatisiert wird.
Es mangelt der theologischen Reflexion an einer rationalen, logischen Verknüpfung der
Gedanken, denn, obwohl die Geisttaufe als Gabe Gottes verstanden wird, befindet sich der
Mensch in dem Besitz der Fähigkeiten, den Empfang zu beeinflussen und zu forcieren.
Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass die Pfarrer des Typs 2 sich trotz der Tendenz, der Welt zugewandt das Leben der Kirche zu gestalten und zu reflektieren, aus ihrer
geistlichen Glaubensüberzeugung ihre konservative Linie nicht verlassen.
Vgl. Pf. Jonatan Cruz, Interview, S. 4.
Vgl. Pf. Jonatan Cruz, Interview, S. 2, Pf. Eleuterio Quispe, Interview, S. 3.
169 Vgl. Pf. Eleuterio Quispe, Interview, S. 5: “sie sind nicht so bekehrt, warum? Weil einige von ihnen weiterhin ein weltliches leben führen”.
167
168
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Ulrike Sallandt
Typ 3: Pfingstler-studiert170
Bei der Begegnung und dem Gespräch mit den Pfarrern des dritten Typs zeigen sich im
Vergleich mit den ersten beiden Typen grundlegende Unterschiede, die im Folgenden in ihrem inneren Kausalzusammenhang dargestellt werden.
Als fundamentale Beobachtung ist als erstes festzuhalten, dass die Pfarrer über ein reflektiertes theologisch-dogmatisches Verständnis verfügen, welches die Grundlage ihrer differenzierten -Welt zugewandten- Sichtweise begründet.
So zeigt sich bei den Pfarrern eine modifizierte Weltauffassung, die die bei den ersten beiden Typen beobachtete dualistische Tendenz relativiert und sich zu einer weltoffeneren
Einstellung wandelt. Das tendenziell positive Konzept von Welt und Kirche zeigt sich in
der offenen, soziale Verantwortung übernehmenden einen Kirche, die sich zwar noch teilweise von den „weltlichen Orten und materiellem Reichtum“ zu distanzieren hat, aber eine,
die soziale und materielle Dimension einschließende, ganzheitliche Vision vertritt.171 Vor
allem bei dem Pf. Pedro Díaz kommt die Verbindung von geistlicher und theologischdogmatischer Dimension in seinem ekklesiologischen Ansatz zum Ausdruck, wobei aber
das geistlich-primäre Fundament akzentuiert wird und erst in einem zweiten Schritt von der
Evangelisation (quantitative Dimension) gesprochen wird.
Die Religion als solche findet Anerkennung, aber es bleibt kein Zweifel daran, dass der
christliche Glaube mehr als Religion ist. Die anthropologische Klassifizierung bleibt auf
veränderte Weise bestehen. Der zu Christus bekehrte Mensch, der den Heiligen Geist erfahren hat, ist neu geboren. Diese Neugeburt wird nicht nur festgestellt, sondern auch theologisch gefüllt. Während zuvor meist die rein moralisch-zeugnishafte Veränderung der Lebensführung zum Ausdruck kam, impliziert die Wiedergeburt für die Pfarrer des dritten
Typs einen ganzheitlichen Wandel von Geist und Verstand. Der Mensch nimmt eine neue
ganzheitliche Identität an, die ihn zu neuen Gedanken und zu neuem Handeln gemäß des
Willens Christi in der Welt führt.172
Der christologische Absolutheitsanspruch bleibt als primäre Glaubensaussage erkennbar,
aber die zuvor beschriebene „mechanisierte“ Anthropologie wird zu Gunsten einer realistisch-relativen Sicht des Menschen verändert.173
Vgl. zur persönlichen Vertiefung im Anhang 5, 5. Typologie der Pfarrer, Typ 3: pfingstler-studiert die Zusammenfassungen von
drei Pfarrern: Pf. Américo Lopez, Pf. Rolando Mendoza und Pf. Pedro Díaz.
171 Vgl. Pf. Américo Lopez, Interview, S. 3, Pf. Rolando Mendoza, Interview, S. 5, Pf. Pedro Díaz, Interview, S. 5.
172 Vgl. u.a. Pf. Rolando Mendoza, Interview, S. 7f.
173 Vgl. Pf. Américo Lopez, Interview, S. 4.
170
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Der zu Christus bekehrte Mensch besitzt keine absolute Sicherheit des Heils und ist in seinem Handeln nicht perfekt. Er ist nicht in der Lage, den Empfang der Geistgaben, besonders der Zungenrede, zu beeinflussen. Die Grenzen, die dem Menschen gesetzt sind liegen
in dem göttlichen Ursprung, der von den Pfarrern mit dem trinitarischen Gott, dem Vater,
dem Sohn und dem Heiligen Geist identifiziert wird.174 Auf diese Weise findet die zuvor
schon deutlich gewordene ganzheitliche harmonisierende Annäherung an die Welt ihr dogmatisch-theologisches Fundament.
Die deutlich gewordenen Unterschiede bei den Pfarrern des dritten Typs lassen die Aussage
zu, dass es sich hierbei um eine vom klassischen Typ konkret zu unterscheidende Persönlichkeit handelt, die durch ihre ganzheitliche Weltannäherung den geistlichen Schwerpunkt
ihrer persönlich erfahrenen Bekehrung relativiert und somit mit der Welt und Gesellschaft
in Beziehung kommt.
Typ 4: studiert-modern
Als Repräsentant des vierten Typs verfügt der Pf. Hugo Huanca u.a. aufgrund von Auslandserfahrungen über ein für den pfingstlichen Kontext auffallend umfangreiches theologisches
Wissen, welches deutlich über den dogmatischen Rahmen der eigenen Denomination der
AdD hinausgeht. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass er –das Wesen der Religion als
eine allgemeine Volkpraxis charakterisierend (Jakobusbrief)- in seinem Ansatz, die Harmonie zwischen christlicher Gemeinschaft und der Welt zum Ausdruck bringt, die mittels der
Identifizierung der Kirche mit dem Kontext Gestalt annimmt.175 Diese ganzheitliche positive Weltauffassung und die dargestellt Beziehung zur Kirche ebnet die Basis für den Gedanken der Integralen Mission, dessen Realisierung dem, für die Pfingstler charakteristischem
rigorosem Moralismus, entgegensteht.176
Diese harmonisierende Betrachtung von Welt und Kirche findet sich konsequenterweise
auch in seinen dogmatischen Äußerungen wieder.
Während die Pfarrer des dritten Typs schon bedacht waren, den trinitarischen Charakter
Gottes zu formulieren, benennt Pf. Hugo Huanca als der erste und einzige der interviewten
Pfarrer den Heiligen Geist als die dritte Person der Trinität.177 Auch verharrt er nicht in dieser rein dogmatischen Aussage, sondern nutzt dieselbe, um auf die Gefahr der DogmatisieVgl. Pf. Américo Lopez, Interview, S. 4f., Pf. Rolando Mendoza, Interview, S. 11.
Vgl. Pf. Hugo Huanca, Interview, S. 4.
176 A.a.O., S. 5.
177 Vgl. Hugo Huanca, Interview, S. 6.
174
175
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
rung des Geistes und konkret der Geistgaben, vor allem der Zungenrede, hinzuweisen. Ihm
geht es darum, den Heiligen Geist, der die kirchliche Basis schlechthin ist, als den zu verkünden, als den ihn auch der Herr Jesus Christus angekündigt hat: nämlich als
„ein Tröster […], der in der Zeit kommen wird, der Kirche zu helfen. Er wird
kommen [uns] zu leiten [und] Fürbitte zu halten“178
4.3.2 Zusammenfassung
Im Gesamtbild zeigt sich, dass die Pfarrer des ersten Typs die Realität der Pfingstler zahlenmäßig
noch immer bestimmen. „Noch“, weil schon eindeutig Tendenzen bei den Anderen zu erkennen
sind, der traditionellen Lehre der AdD zu widersprechen und durch die Herausforderung der Welt
nach neuen Wegen zu suchen.
Der prozessartige Charakter dieser Öffnung zeigt sich in den Unterschieden der beobachteten
Amtsträger. Erst das Bewusstsein der Selbstreflexion erzeugt die Fähigkeit, dass der Pfarrer der
Welt zugewandt sich, als Pfingstler bekennend, den gesellschaftlich-politischen sowie religiöstheologischen Fragen in ihrem Zusammenhang wirklich öffnen kann.
Der Weg dahin, so zeigte es sich, ist gekennzeichnet von widersprüchlichen Aussagen, die
dadurch entstehen, dass der Pfarrer auf der einen Seite seine klassisch-konservative Position nicht
aufgeben will, aber auf der anderen Seite, die Notwendigkeit und Bedeutung bestimmter innovativer Elemente erkennt und gutheißt. Dieser Konflikt zwischen Tradition und Innovation erzeugt
für den Pfarrer pfingstlicher Prägung eine enorme Herausforderung, sich neu positionieren zu
müssen.
Diese Identitätsbestimmung fordert und begründet die beobachtete Tendenz zu theologischer Reflexion und kritischer Sichtweise.
4.4
Die Predigt
Im folgenden Kapitel wird die kerygmatische Praxis der Pfingstler untersucht. Nach einer allgemeinen deskriptiven Einführung wird zunächst das Verständnis der Heiligen Schrift erörtert, bevor in einem zweiten Schritt der dadurch bedingte und geprägte exegetische und hermeneutische
Zugang der Pfingstler thematisiert wird.
Der Überblick inhaltlicher Zentralthemen in den untersuchten Predigten dient dazu, die homiletische Praxis in den Pfingstgottesdiensten inhaltlich darzustellen.
178
Ebd.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
4.4.1 Beschreibung
Die Predigenden können Pfarrer/innen der Lokalgemeinde, eine Schwester oder ein Bruder mit
Leitungsfunktion (z.B. ein Diakon), der Pfarrer selbst, eine Gastpfarrerin/ ein Gastpfarrer, eine
Missionarin/ ein Missionar oder eine Evangelistin/ ein Evangelist sein. Den Rahmen der Predigt
gibt das Gebet, mit dem die Predigenden zu Beginn um die Weisheit Gottes und die Führung des
Heiligen Geistes bitten.179 Es können zwei unterschiedliche Formen beobachtet werden, die Predigt zu eröffnen:
 mit der Bibellesung des „Predigttextes“ wird begonnen oder
 indem ein Zeugnis180 abgelegt/ mitgeteilt wir, welches das Auditorium an das Thema
der Predigt heran führt.
Dann entwickelt die Predigerin/ der Prediger ihre/ seine Predigt, vor allem durch eine Vielzahl
von verschiedenen Bibeltexten, die ihr/ ihm angemessen erscheinen. Es existiert keine offizielle
Perikopenreihe der Bibeltexte, über die gepredigt werden sollte. Die/ der Predigende besitzt die
Verantwortung, die Texte frei zu wählen. Es können Lieblingstexte, die „Klassiker“, erkannt
werden und andere biblische Texte, die so gut wie nie erwähnt werden. (vgl. 4.4.2)
Abhängig von der Gottesdienstform (vgl. 4.1) wechselt der Predigtstil der/ des Predigenden.
Während des biblischen Unterrichts ist der geprägt von einer ruhigen Ausgeglichenheit, charakterisiert durch eine gemäßigt-akzentuierte Stimme. Es kann beobachtet werden, dass mehr Struktur
und Ordnung besteht und diverse unterschiedliche Medien benutzt werden wie z.B. Notizen, Sekundärliteratur, Tafel etc. Es besteht keine intensive Kommunikation zwischen „Lehrer und
Schüler“. Alles erscheint dem (peruanischen) Schulunterricht181 ähnlich.
Es kann aber auch eine gewisse Konfusion der Predigenden erkannt werden, d.h. sie wechseln
von einem zum anderen Moment ihren Predigtstil - der Bibelunterricht wird zur aktiven herausfordernden Evangelisationspredigt. Diese Predigtform bringt deutliche Veränderungen mit sich.
Die ruhige Ausgeglichenheit wechselt zu einem „immer in Bewegung“ sein, mit dem die/ der
Predigende (jetzt handelt es sich nicht mehr um den Lehrer) seine Worte begleitet und ihnen
Nachdruck verleit. Sie/ er redet mit lauter, teilweise fast schreiender Stimme und wiederholt ihre/
seine Worte und Ausdrücke bis zu drei, vier mal in regelmäßigen Abständen.
Dieser Stil erlaubt eine höhere Kommunikation zwischen der/ dem Predigenden und der Gemeinde. Das Ziel der Predigt verändert sich. Die Evangelisationspredigt zielt nicht mehr auf die ReVgl. Predigten Moq: 2. Februar 2003, 16. März 2003, 6. April 2003, 4. Mai 2003, 18. Mai 2003; Tac: 6. März 2003, 15. März
2003, 20. März 2003, 23. März 2003, 11. Mai 2003, 15. Juni 2003, 20. Juni 2003; Ilo: 16. Mai 2003.
180 Vgl. z.B. Albino Rojas am 5. Januar 2003 (TAF) – seine Predigt über die Sünde beginnt er mit einem Zeugnis, vgl. auch die
folgenden Predigten: 9. Februar 2003 (TAF), 15. September 2002 (Arq).
181 Es handelt sich um die Struktur des Frontalunterrichtes.
179
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flexion, sondern es geht darum, die Gemeinde von dem Herrn Jesus Christus zu überzeugen. Dies
spiegelt sich in den rhetorischen Kommunikationsanteilen wie „Amen, Brüder?“, auf die die Gemeinde mit einem zustimmenden „Amen!“ antwortet, wieder.
Sofern die/ der Predigende über ein authentisches Charisma verfügt, erscheint das Ambiente, in
der die Botschaft gehört wird, erfüllt von einer unergründlichen geistlichen Überzeugung der/ des
Predigenden selbst. Es zeigt sich, das ihre/ seine Worte weniger die Vernunft ansprechen, als die
Herzen (dies ist der Idealfall). Das typische Charakteristikum dieser Evangelisationspredigt ist
das Zeugnis (vgl. S. 7). Die/ der Predigende erzählt aus seinem persönlichen Leben mit Gott und
schafft auf diese Weise eine in der Gemeinde sichtbar werdende erhöhte Aufmerksamkeit und ein
Interesse, vor allem im Fall einer ausländischen Predigerin/ eines ausländischen Predigers.182
Teilweise kann eher von einer zeugnishaften als von einer biblischen Predigt gesprochen werden.
Die Inhalte verändern sich entsprechend der Gottesdienstform. Der Bibelunterricht wechselt in
seiner thematischen Auswahl von Lokalkirche zu Lokalkirche. Manchmal, so wie in dem Fall
Moquegua183, entwickelt sich die Bibelstunde innerhalb der theologischen Glaubenslehre der
AdD und besitzt einen deutlichen Ordnungsschwerpunkt. Es wird mit Tafel, Paper etc., gearbeitet. Lieblingsthemen sind die dogmatischen Schwerpunkte, durch die sich die AdD von den anderen evangelischen, nicht pfingstlichen Kirchen unterscheidet. Die Schwerpunkte sind im Allgemeinen geistliche Erweckung, Taufe des Heiligen Geistes und die Geistgaben.
In anderen Kirchen besteht kein großer Unterschied zwischen der Bibelstunde und dem „normalen“ Gottesdienst. Es wird irgendein Thema unterrichtet ohne besondere Vorbereitung und Organisation (Tacna).
Das Thema der Erlösung unseres Herrn Jesus Christus besitzt in den Evangelisationspredigten
immer einen besonderen pneumatologischen Schwerpunkt. Es zeigt sich, dass die Predigenden
meistens nicht über ihren Hauptpredigttext sprechen, sondern oft zwischen verschiedenen Texten184 und Zeugnissen185 hin und her wechseln. Es kann von einer Kette verschiedener Texte gesprochen werden, die in der Perspektive der/ des Predigenden thematisch im Zusammenhang stehen. Dies verbindet sich mit dem pneumatologischen „meta-literarischen“ Ziel, nämlich dass im
Die Schwestern und Brüder zeigen erhöhtes Interesse, sofern es sich um eine ausländische Predigerin/ einen ausländischen
Prediger handelt, weil sie/ er ein ihnen fremdes persönliches Leben mitteilen kann.
183 Vgl. z.B. die Skripte “La Biblia” und “La Biblia de los Hebreos” (übers. “Die Bibel” und “Die hebräische Bibel”) von 4. und 18.
März 2003 des Pf. Pedro Díaz (Moq).
184 Vgl. z.B. die Predigten vom 8. Juni 2003: der Pf. Pedro Santo nutzt in seiner Predigt neun Mal einen neutestamentlichen Bezug, fünf Mal zitiert er wörtlich, ein Mal bezieht er sich auf das Alte Testament; in der Predigt vom 20. April 2003 nutzt er zehn
neutestamentliche Bezüge, sechs davon mit einem konkreten biblischen Zitat, zwei alttestamentliche Bezüge; in den insgesamt einundsechzig analysierten Predigten finden sich ungefähr dreihundert verschiedene biblische Texte/ Verse.
185 In den einundsechzig Predigten finden sich mehr als neunzig zeugnishafte Mitteilungen.
182
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Evangelisationsgottesdienst danach gestrebt wird, mittels der Predigt die Gemeinde in die Präsenz des Heiligen Geistes und nicht an die Reflexion des Textes (heran-) zu führen.
4.4.2 Die “Bibel der AdD“186
Im Alten Testament, angefangen mit dem Pentateuch, besteht ein deutlicher Bezug zu folgenden
Texten: Schöpfung, Sündenfall, (Gen 1-3), Abram/ Abraham (Gen 12, 16 und 17), Exodus, speziell auf die Geschichte Moses als Erlöser.
Die Geschichtsbücher, denen sich die Predigenden annähern sind vor allem die beiden Samuelund Königsbücher. Sowohl das Psalmenbuch als auch die Proverbien dienen im Allgemeinen als
eine Sammlung biblischer Worte, die mit erhöhter Regelmäßigkeit unbeachtet ihres literarischen
Kontextes genutzt werden. Auf dieselbe den Kontext ignorierenden Weise wird das Buch Hiob
regelmäßig zitiert.
Bei den Propheten wird ein deutlicher Schwerpunkt des Jesajabuches festgestellt, wobei die exegetische Unterscheidung zwischen Proto-, Deutero- und Tritojesaja nicht existiert.
Unter den kleinen Propheten ist keine signifikante Tendenz festzustellen. Außerdem spielen einzelne biblische Personen aus beiden Testamenten eine zentrale Rolle, von denen in der Mehrheit
der Fälle ohne eine konkrete Bibelangabe erzählt wird.
Im Alten Testament sind es unter anderem: Abra(ha)m, Mose, Noah Josef, Josua, David, Samuel,
Saul und Salomon.
Im Neuen Testament dominieren der Herr Jesus Christus und der Apostel Paulus.187 Beide werden mit einer deutlich geistlichen Tendenz dargestellt. Die Biografie des Paulus und sein Missionsverständnis haben -anstatt die paulinischen Episteln selbst- vor allem das lukanische Werk als
literarische Grundlage. Paulus zeigt sich in den meisten Fällen in einer engen Beziehung zum
Pfingstfest (Apg. 2) bzw. seiner eigenen Bekehrung (Apg 9). Insgesamt können regelmäßig auf
das lukanische Doppelwerk beobachtet werden.
Unter den restlichen Evangelien zeigt sich ein häufiger Gebrauch des Johannesevangeliums. In
seinem allgemeinen Gebrauch kann ein leichter Vorzug folgender Texte erkannt werden: Joh 3,
16 (der am meisten zitierte biblische Vers) und das ganze Kapitel Joh 15.
Dieses Unterkapitel basiert auf der Grundlage der Daten der Analyse der einundsechzig Predigten der AdD – Südregion Perus.
187 In der evangelischen Realität Perus ist Paulus auch der Autor des Epheser- und Kolosserbriefes sowie der Pastoralbriefe.
186
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Innerhalb der Episteln müssen der Römerbrief, die beiden Korintherbriefe, der Galaterbrief sowie
vor allem der Epheserbrief als der „ekklesiologische“188 Brief erwähnt werden. Außerhalb des
corpus paulinum finden sich auch der 1. Johannesbrief und der Jakobusbrief als das „Evangelium
der Werke“ in der Predigtpraxis der AdD wieder. Schließlich haben die apokalyptischen Texte,
nicht nur das Buch der Offenbarung selbst, sondern auch die apokalyptischen Perikopen in den
Evangelien, ihren signifikanten Wert.
Die folgende Grafik zeigt die „Bibel der AdD“189 geordnet nach der Wichtigkeit, die den einzelnen Büchern zukommt:
Altes Testament
Pentateuch
Genesis
Exodus
Geschichtsbücher
Samuel
Könige
Weisheit
Psalmenbuch
Proverbien
Hiob
Propheten
Jesaja
Neues Testament
Evangelien
Johannes
Lukas - Apostelgeschichte
Corpus paulinum
Römerbrief
Epheserbreif
Korinthernbriefe
Galaterbrief
Episteln
1 Johannesbrief
Jakobusbrief
Apokalypse
“Ekklesiologisch”, weil das kirchlich-hierarchische Konzept als Ideal in den Gemeinden genutzt wird; das Kap. 6 wird vor allem
bzgl. des Themas des „Geistlichen Kampfes“ angeführt.
189 Mit diesem Ausdruck sollen die von den AdD genutzten biblischen Bücher im Überblick dargestellt werden.
188
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
4.4.3 Der hermeneutische und homiletische Bibelgebrauch
4.4.3.1 Allgemeine Beobachtungen
Die Bibel ist unzweifelhaft das von Gott durch den Heiligen Geist inspirierte Buch wie es in 2
Tim 3, 16f. heißt:
„Denn alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur
Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch vollkommen sei, zu
allem guten Werke geschickt“190.
Die geistliche Verbalinspiration verursacht das Phänomen, dass die Predigenden manchmal die
Differenz zwischen ihrem menschlichen Wort und dem Wort Gottes vergessen. Das biblische
Wort wird auf direktem Weg angenommen und vermittelt, so dass das Buch der Bibel seinen literarischen Charakter verliert und seine Botschaft zur lebendigen Quelle des Herzens wird:
„das Wort ist lebendig, […] ist wirksam, […], ist Geist, […] ist Leben und lebendig […] und es
ist Macht“191. Ausdrücke wie „Gott möchte“, „Gott sehnt sich“ oder „Gott denkt“ drücken diesen
unmittelbaren hermeneutischen Umgang mit dem Wort Gottes aus. Durch den Verlust des literarischen Charakters lässt sich die biblische Botschaft vor allem durch besinnliche Meditation erfahren, um das tiefe Geheimnis Gottes zu erkennen.
Die Bibel ist von perfekter absoluter Autorität und besitzt deswegen eine unübersehbare Klarheit.192 Aus diesem Grund führt allein die Bibel zum umfassenden und absoluten Wissen und ist
der einzige Weg, sich dem verborgenen Mysterium Gottes anzunähern:
„Wir müssen durch das Wort an jedem Tag […] lernen. Wir gebrauchen sein Wort,
[denn] es ist der einzige Weg“193 (1), damit die Menschen die Verheißungen Gottes
wahrnehmen können.
Die akzentuierte eschatologische Erwartung194 auf die Erfüllung der Verheißung verleiht der
Schrift –zusammen mit dem unmittelbaren hermeneutischen Ansatz– die biblische unantastbare
Autorität, die Grundlage und das Ziel der Predigt ist. Dies führt zu den schon angedeuteten exegetischen Konsequenzen im Umgang mit den biblischen Texten. Im Allgemeinen zeigt sich eine
eher geistliche, anstatt interpretierende Annäherung, die die Predigenden teilweise vom Inhalt des
Vgl. auch die Predigt, “Calidad total” von Pedro Díaz, S.1 und 3.
Predigt “No te temas” von Pf. Eulogio, S. 3, vgl. auch fogende Umschreibungen der Bibel: sie ist “süßer als Honig” und “schön
und wunderbar” in zwei Predigten von Pf. Pedro Santo: 1) “La restauración”, S. 2, 2) “Comunión con Cristo aun hay pruebas”,
S. 8.
192 Vgl. die Predigt “Ataque y paciencia” von Edit Salamanca, S. 7ff.
193 Die Predigt “Cambios en nuestras vidas” von Felix Palomi, S. 7.
194 Vgl. z.B. Predigt “La segunda venidad de Cristo” von Pf. Pedro Santo, S. 1.
190
191
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Textes selbst abbringt oder bewirkt, dass dieser im Hintergrund ihrer zeugnishaften Erzählung
stehen.195
Die geistliche Dimension spiegelt sich in verschiedenen Beobachtungen der biblischen Exegese
wieder, vor allem dort, wo zwischen dem Alten und dem Neuen Testament nicht differenziert
wird, d.h. ein christologischer Schatten über allen Texten liegt.196 Auch lässt sich aus exegetischer Sicht ein literarisches Verständnis der Schrift wahrnehmen, d.h. dass die ausgewählten Perikopen (oder teilweise auch nur einzelne Verse) „Wort für Wort“, buchstäblich (wörtlich) interpretiert werden.(2) Auf diese Weise entstehen Interpretationen, die Gottes Segen mit dem materiellen Wohlergehen verwechseln. Es kann letztendlich festgehalten werden, dass die Bibeltexte-/
verse unabhängig ihrer literarischen und geschichtlichen Kontextes behandelt werden. Dies kann
im Extremfall dazu führen, dass die Predigt eine Kette von biblischen Versen verschiedenster
Traditionen als Grundlage inne hat, die in keiner, weder literarischen noch kontextuellen, Verbindung zueinander stehen, sondern lediglich in den Augen der predigenden Person thematisch
vermeintlich miteinander harmonisieren.197
Diese eher thematische Annäherung öffnet auch die Türen für das rhetorische Stilmittel der „Narration“. Teilweise lesen die Predigenden den entsprechenden Bibeltext nicht vor, sondern erzählen die biblische Geschichte nach oder beschreiben einzelne biblische Gestalten skizzenhaft. Dies
führt in nicht seltenen Fällen zu gewissen Modifikationen der biblischen Überlieferung. 198 Der
Horizont von Raum und Zeit, von Vergangenheit und Gegenwart, wird ignoriert.
Diese Einstellung und Durchführung verursacht Beschreibungen/ Darstellungen von biblischen
Inhalten, die durch die subjektive Sichtweise beeinflusst sind.(3) Auf diese Weise schafft die Pf.
Josefa Marrón ein negativ besetztes Bild von den Pharisäern, welches erkennen lässt, dass sie den
Text Mt 23: die Pharisäerrede Jesu wörtlich versteht und nicht in den biblischen Kontext einordnet.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass es sich bei den Predigten in den meisten Fällen um
Themenpredigten handelt, in denen die Predigenden über frei gewählte Themen sprechen und
diesbezüglich „ihre“ biblischen Texte auswählen. Diese Auswahl geschieht in dem Bewusstsein,
dass der Heilige Geist sie leitet und sie zu den richtigen Texten führt. Sie nutzen die Bibel in der
Vgl. die Predigten von Pf. Pedro Santos 1) “Ser lleno des Espíritu Santo”, 2) “Promesas de Dios contra la tentación”, 3) “Jesús
– el Salvador”, 4) “Los dones espirituales”.
196 Vgl. z.B. Predigt “Atalaya” von Mis. Victor, S. 1.
197 Vgl.u.a. die Predigten: “Prosperidad”: acht unterschiedliche neutestamentliche und drei alttestamentliche Texte, “El nuevo nacimiento”: zehn unterschiedliche neutestamentliche Texte, Predigt “Sal 143, 10”: elf biblische Texte, sechs aus dem Neuen
Testament und fünf aus dem Alten Testament
198 Vgl. die Predigten “La limpieza del Espíritu Santo” von Mario Carpago, S.3ff., “Jesús – el Salvador” von Pedro Santo, S. 6,
“Salmo 143, 10” von Co Pf. Alberto, S. 2.
195
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Glaubensüberzeugung, dass das Wort Gottes aus sich selbst heraus spricht und halten aufgrund
dessen weitere (exegetisch-hermeneutischen) Methoden für unnötig:
„Denn alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur
Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch vollkommen sei, zu
allem guten Werke geschickt“ (2 Tim 3, 16f.).
Diese absolute Glaubensüberzeugung bestimmt die Realität der Wortverkündigung in der
Pfingstdenomination der AdD. Im Folgenden nähern wir uns einigen Predigtbeispielen, um die
allgemeinen Beobachtungen an konkreten Fällen zu vertiefen.
Zitate zur persönlichen Vertiefung:
(1)„Wir müssen uns jeden Tag von dem Wort Gottes ernähren, wenn wir uns ernähren, wenn wir das Wort Gottes lesen, dann kommen wir zu dem umfassenden Wissen
[…]. Gott zeigt uns jeden Tag. ER hilft uns, sein Wort besser zu verstehen“ (Predigt:
„Dar la gracia a Dios“, Br. Juan, S. 8).
„Das Wort Gottes [schickt] uns tausend von Verheißungen […], die allein aus dem
Glauben empfangen werden“ (Predigt: „La Fe – una exigencia para el creyente“, Br.
Felix Palomi, S. 5f.).
(2)„Wie werde ich die Abgabe meines Zehnten leisten, meine Kollekte? Es wird mir
mangeln, mit was werde ich Erfolg haben? V. 8 (Hag 2, 8) heißt: Denn mein ist das Silber, denn mein ist das Gold, spricht der Herr Zebaoth. Schau, da ist nicht der Besitzer
der Kreditbank, es spricht nicht […] der Besitzer der Wiese (peruanische Bank), [sondern] es spricht der Besitzer der mächtigsten Banken der Welt, es spricht der Besitzer
des ganzen Universums, der Besitzer der Könige, der Herr der Heerscharen. Er sagt,
sorge dich nicht, wenn du IHN verstehst. Das ist meine Zeit199 und du investierst deine
Zeit in meine Firma. Mein ist das Silber, und mein ist das Gold, sagt der Herr. Ich werde dir Wohlstand geben.“ (Predigt “Prosperidad” von Pedro Díaz, S. 8).
(3)
„Dies machten die Pharisäer. Sie planten, sich gut zu verkaufen […]. Innerlich
hatten sie mit den Personen keine Barmherzigkeit und es heißt, dass sie innerlich vom
Feuer erfüllt waren. Das waren die Pharisäer. In dem V. 27 heißt es wie folgt:
Weh euch Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid wie die
übertünchten Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen sind sie voller
Totengebeine und lauter Unrat (Mt 23, 27).
199
Beachte: Wechsel von dritter Person singular in die ICH-Rede, d.h. Gott spricht selbst.
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Dies waren die Pharisäer. Die Gräber auf den Friedhöfen waren gut übertüncht[…]. Angestrichen mit weißer Farbe und glänzenden Buchstaben […]. Dies ist wunderbar, außen Gold
[…]. Innerlich können wir uns vorstellen, was ist. Und Jesus sprach hier: es gibt nur Totengebeine und Unrat. Dies waren die Pharisäer“. (Predigt “Peligro de la religiosidad en el cristianismo”, Josefa Marrón, S. 17; die Seitenangabe bezieht sich auf das Gesamtdokument
transkribierter Predigten in Arq).
4.4.3.2 Predigtbeispiele – in gekürzter Darstellung
Im Folgenden handelt es sich um Predigtzusammenfassungen, die dazu dienen sollen, einen besseren Einblick in die homiletische Praxis der AdD zu bekommen und einige der zuvor gemachten
Beobachtung an konkreten Beispielen zu verdeutlichen.200
Arana R. Teofran: “La tentación” (Die Versuchung)
Zu Beginn der Predigt wird der biblische Text Jak 1, 2-8 gelesen, der aber im weiteren Verlauf
der Predigt ignoriert wird und somit nicht mehr zur Sprache kommt. Der Pfarrer geht nach einem
kurzen Anfangsgebet von einer Beschreibung der satanischen Realität der Welt aus. Die Bibel, so
sagt er, beschreibt den Satan mit den schönsten äußeren Erscheinungen (1), so dass die Versuchungen vielerlei Gestalt annehmen können. So kann in bestimmten Fällen Damenkleidung als
eine sündhafte Gefahr angesehen werden.(2)
Nach Meinung dieses Pfarrers geht der Mensch auf dem Weg des Todes, während er sich in der
Sicherheit weiß, auf rechtem Pfad zu sein (S. 3). Mittels alttestamentlicher Bezüge (Ps 91; Jes 41)
betont er, dass der alleinige Schutz gegen diese tödliche Realität in Christus zu finden ist. Dieser
Schutz ist notwendig, denn der Satan sucht, den Menschen immer wieder zu Fall zu bringen –
sogar Jesus hat er versucht.(S.5) Besonders hebt er die visuelle Versuchung, die dem Menschen
durch die Augen zur Gefahr wird und führt die biblischen Gestalten Samson und Eva als Beispiele heran. (S.9f.)
Erst zum Ende seiner Predigt betont der Pfarrer die außergewöhnliche Liebe Gottes, um damit die
Gemeinde zu motivieren, um das ewige Leben zu kämpfen:
„Kämpfe bis zum Schluss in Christus, aber kämpfe nicht um die vergänglichen Dinge,
denn sie gehen vorbei; kämpfe um Christus für ein ewiges Leben” (S. 10).
200
Um die Lektüre des Textes nicht unnötig zu belasten, behandele ich an dieser Stelle nur einen geringen Teil einer umfassenden Predigtsammlung. Zur Vertiefung und Veranschaulichung anhand weiterer Predigten verweise ich auf den Anhang 6.
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Er beendet seine Predigt mit der Zusage, dass jeder Mensch seine eigene Zukunftsvision für das
Leben hat, die er sich bewusst machen soll, um sie im Leben zu verwirklichen.(3)
Zitate zur Vertiefung:
(1) „Die Bibel sagt, dass der Satan ein Engel ist der sich in dem Engel des Lichts
verkleidet, das hübscheste, das schönste“ (S. 2).
(2) „Es gibt viele Versuchungen, Versuchung der Gewohnheit, der Ideen, des Gedanken, der Dinge Brüder, die dir vorher gefallen haben; zumindest in der Versuchung
bis hin zur Kleidung, […] weil ihr es schon wisst, aber es ist eine Versuchung und
kommt eine Mode, die Christen sind armselig durch die Mode, nicht wahr? Zum Beispiel die Hosen, die ich jetzt bei den Damen sehe, es werden alle Bauchnäbel gesehen, bis zur Hüfte gehen jetzt die Hosen, bis hin zu den Röcken; eine christliche junge
Frau sollte sich kleiden, wie?, bis zur Taille, oder nicht? (S. 3).
(3) „Schau stets auf den Horizont, und schau mit einem Ziel, mit einem Motiv, mit einer Absicht, mit einer Vision, jemand zu sein und du wirst jemand sein, und […] du
erreichst es” (S. 12).
Cruz, Jonatan: “Guerra Espiritual” (Geistlicher Kampf)
Innerhalb einer kleinen Einleitung erinnert der Pfarrer an die vergangene Woche und beginnt auf
diese Weise seine Predigt mit dem Thema des ‚Geistlichen Kampfes’.(1)
Der zugrunde liegende Text findet sich in 2 Kor 10, 4ff.201 Nach der Lesung beginnt der Pfarrer
im Kontrast zum sozioökonomischen Kontext über das Reich Gottes zu sprechen. Seine Absicht
liegt darin, zu bestärken, dass „das Reich Gottes in keiner Krise ist” (S. 40), sondern ein „Reich
der Fülle“ (a.a.O.) darstellt. Es hängt von der Lebenssituation und Einstellung der Menschen ab,
ob diese Hindernisse beinhalten, die den Weg zum Reich Gottes versperren. Die Rede von Gott
stellt die Bedingung dar, dass ER sich zu des Menschen Gunsten verhält.(2) Dieses Verhalten
Gottes schließt auch die materielle Dimension ein, die in der vorliegenden Predigt besonders hervorgehoben wird. Gottes Wille, so heißt es dort wörtlich, ist es, „dass du ein Geschäft hast […]
und nicht nur das, sondern eine Geschäftskette“ (S. 41).
201
Der Text hat seine Parallele in Eph 6, welcher den Haupttext bzgl. des sog. „Geistlichen Kampfes“ darstellt.
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Im geistlichen Kampf stehen sich die bösen und die guten Mächte gegenüber. Die Existenz des
Satans zeigt die Notwendigkeit des Heiligen Geistes und der heiligen geistlichen Kirche, die sich
dem geistlichen Gesetz verspricht und Leben symbolisiert. (S. 42f.) Die Bedrohung des Bösen
nötigt uns/ ruft den Menschen auf, nicht aufzuhören, in die Tiefe des Geistlichen einzudringen.(3)
Diese Suche nach der Tiefe des Geistlichen ist eine Gemeinschaftssuche, mit der sich der Pfarrer
gleichermaßen identifiziert, um die Barrieren auszulöschen und dem höchsten Namen die Ehre zu
geben.
Zitate zur Vertiefung:
(1) „Die vergangene Woche habe ich über die Notwendigkeit gesprochen, die Hindernisse in dem geistlichen Aspekt zerstören zu können. Unser Kampf ist nicht hier,
unser Kampf ist […] gegen den Schmerz, gegen die Autoritäten, gegen die geistigen
Mächte des Bösen, der himmlischen Vision […]. Wir können wirklich den menschlichen Sieg erreichen” (S. 39).
(2) „Wir müssen immer von dem Wort Gottes reden, zu jeder Zeit, in jedem Moment.
Ich bin sicher, dass der Herr Segen schenkt […] und wenn wir das Wort in unserm
Geist und Verstand haben, dann bin ich sicher, dass die Irrtümer [und] dass die
Ideen der Niederlage […] nicht fähig sind“(S. 40f.).
(3) „Jetzt brauchen wir [es] umso mehr, an die Macht noch weiter im Inneren heranzutreten. Ehre sei Gott. Sie in unserem eigenen Leben sehen. Wir brauchen ein bisschen mehr“ (S. 44).
Díaz, Pedro: “La obra de la trinidad en la salvación” (Die Trinität im Erlösungsprozess)
Bei der folgenden Predigt handelt es sich um einen Bibelunterricht des Pf. Pedro Díaz, der sich
durch den Gebrauch diverser didaktischer Hilfsmittel auszeichnet, u.a. erstellt der Pfarrer zur besseren Visualisierung für die Gemeinde das folgende Tafelbild:
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Tafel:
Thema: Das Werk der Trinität in der Erlösung
Texte: Röm 8, 29 (Hiob 38/ 39)
I. Das Werk des Vaters
Texte: Röm 8, 29; 11, 2; 1 Petr 1, 1
A) Kennenlernen: Empfang von dem, was nicht ist
VORHERWISSEN
B) Prädestination
Texte: Mt 25, 41; Joh 17, 12; Ps 41, 9
Pos. Erlösung
Neg. Verdammung
Röm 8: 29: Tat an
Apg 4, 25-28: vor-
seinem Bild
herbestimmt
das
Werk des Bösen
1 Kor 2: 7 Weisheit
Gottes
Ef 2, 12
Ef 1, 5: göttliche
Adoption
C) Berufung und Erwählung
Text: Röm 8: 30
Beispiele für die Berufung
Apg 9, 15 Paulus; Apg 11, 13 Petrus; Jes 6, 8; 1 Sam 3, 8.10, Mt 22 Das Hochzeitsmahl
Nach dem Anfangsgebet steigt der Pfarrer in das Thema der Notwendigkeit der Erlösung ein.
(S.1) Durch eine pejorative Aufzählung der Dinge, die den Menschen nicht retten können (1), betont er Christus als den einzigen Erlöser. Im Folgenden beschreibt er die christologische Dimen-
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sion der Erlösung in einem Dreischritt und leitet auf diese Weise zum Thema der Predigt: das
Werk der Trinität in dem Prozess der Erlösung ein. (2)
„Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“
(Röm 8, 29). Mit diesem Bibelzitat beginnt er seinen dogmatischen Unterricht. Die
„Vorherbestimmung“ erklärt er am Beispiel der ägyptischen Pyramiden, deren Konstruktion ein Entwurf –nämlich ein architektonischer- zugrunde lag. So wie Gott dem
Leben einen Entwurf vorgibt, auf ähnliche Weise verhält sich der mit dem Bau beauftragte Architekt.(3)
„Wer ist so weise, dass er die Wolken zählen könnte? Wer kann die Wasserschläuche
am Himmel ausschütten, wenn der Erdboden hart wird, als sei er gegossen, und die
Schollen fest aneinander kleben? Kannst du der Löwin ihren Raub zu jagen und die
jungen Löwin sättigen“ (Hiob 38, 37-39)
Dieser Vers aus dem Hiobbuch dient ihm dazu, die Harmonie der Schöpfung Gottes zum Ausdruck zu bringen. Gott hat nicht irgendein Entwurf, sondern einen überlegten ziel-orientierten,
den Entwurf, die gesamte Menschheit zu erlösen.
Das anschließende Thema des Vorherwissens vollzieht sich durch die Bezugnahme auf den koreanischen Erfolgspfarrer Chonggi Cho, der sich diesem Thema in der Gestalt der Visionen/ Visualisierung nähert.(4)
Die enge Beziehung zu dem Heiligen Geist schafft im Menschen die Zukunftsvision, d.h. er kann
optimistisch und vertrauensvoll nach vorne schauen. Sowohl in dem Fall des koreanischen Pfarrers als auch in dem von Pfarrer gewählten biblischen Beispiel Abrahams, dem Vater des Glaubens (S. 5) erkennen wir dieses „Sehen der Zukunft“, welches, nach Meinung des Pfarrers, Teil
der göttlichen Prädestination ist:
„Der Heilige Geist visualisiert uns, hilft uns, zu visualisieren und [ist Grundlage] unserer Visualisierung. Er realisiert sich gewiss, aber er ist nicht perfekt. Der Vater der
Vision kam, er kannte uns vor seinem Entwurf. Er kannte uns schon, er hat es [nur]
noch nicht realisiert“ (S.6). (5)
Diese Ausführungen lokalisiert der Pfarrer in der Dimension der Prädestination Gottes, die die
Frage nach der Identität dessen, der prädestiniert auf kommen lässt und lässt Gott zu Wort kommen:
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„Dann wird er auch sagen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!(Mt 25, 41)“.
Die Prädestination Gottes schließt das Böse mit ein und lässt den Teufel unter der Macht Gottes
stehen:
„Die Werke des Teufels können nicht ohne Zustimmung Gottes sein, […] sofern der
Herr es nicht zu lässt“ (S. 8).
Für den Pfarrer macht Gott dem Menschen ein Angebot und bereitet ihm den Weg, so dass der
Mensch über sein Leben selbst entscheidet:
„Die Option ist für alle dieselbe, die Erlösung ist für alle dieselbe, Jesus starb für die
Menschheit, einige akzeptieren das, andere nicht“ (S. 6).
Hier und auch an anderer Stelle zeigt sich die Einflussnahme des Menschen, der Erlösung gewiss
zu sein oder sie für immer zu verlieren.(6)
Im dritten und letzten Teil des Unterrichts thematisiert der Pfarrer die Berufung und Erwählung
anhand von einigen Beispielen (vgl. Graphik) und legt gesonderte Aufmerksamkeit auf die Berufung zum speziellen Amt, wie z.B. bei Paulus.
Zitate zur Vertiefung
(1) „Die Erziehung dient nicht, den Menschen zu retten. Die Religion rettet den Menschen nicht. Die Wissenschaft rettet den Menschen nicht in dieser Zeit, [auch] die
Globalisierung rettet den Menschen nicht. Das Gesetz rettet den Menschen nicht. Also haben wir die falschen Möglichkeiten der Erlösung […], allein Christus kann erretten“ (S. 1).
(2) „Das Werk des Vaters zu sehen, wie der Vater in der Erlösung handelt. Wir werden das Werk des Sohnes, wie der Sohn in der Erlösung handelt und das Werk des
Heiligen Geistes. […] All das wird kommen mit dem Heiligen Geist“ (S. 2).
(3) „Der Architekt des Werkes, der es entwarf, musste weitermachen, um dieses Werk
fertig zu stellen. […] Dieses Werk sollten wir also vielleicht nicht direkt kennen, aber
dieses Werk hat ein Entwurf gehabt, einen Entwurf. Dann hat es eine Entwicklung
durchgemacht und hat einen Schluss gehabt, […] trotz vieler Racheakte hat der Architekt, der Beauftragte der Arbeit, weitergemacht” (S. 3).
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(4) „Jetzt geschehen mittels der Vision viele übernatürliche Dinge in der Welt. Der
Pfarrer dort in Korea sagt, dass er eine sehr intime Beziehung mit dem Heiligen
Geist hatte. Er vertraute IHM sehr viel an und ER [der Heilige Geist] sagte ihm einige Male: Schau, wenn du glauben kannst wie Abraham, dann gebe ich dir eine Kirche
mit 10 000 Mitgliedern. Er dachte darüber nach, kämpfte mit sich und sagte: 10 000
sind viele. Ich kann es nicht. Wie soll ich sie leiten. 10 000 ist keine kleine Kirche, das
ist eine große Anzahl. […] Danach führte er eine Freundschaft mit dem Heiligen
Geist, darum gibt es ein Buch mit dem Titel: Mein Freund der Heilige Geist. Wie viele haben von diesem Buch gehört? Und in der Folgezeit [hilft] ER, der Heilige Geist
ihm […] und er hat die Kirche mit 10 000 Mitgliedern und danach sagt ER ihm:
Wenn du es glauben kannst, dann gebe ich dir eine Kirche mit 100 000 Mitgliedern.
Der Pfarrer sagte: nein, [das] 100 000 ist eine Stadt, das ist keine Kirche mehr. Aber
könntest du es glauben? Und ihm fiel es schwer. Der Heilige Geist sagte ihm: visualisiere es, visualisiere es” (S. 4f.).
(5) „Aber es heißt, dass er uns vorher kannte und wie geht das, dass er uns vorher
kannte? Er machte eine Unterscheidung. Das Wissen macht die Unterscheidung, aber
die Unterscheidung Gottes bedeutet nicht, du wirst das tun und jenes lassen. […] In
der Vision seines Werkes schickte ER seinen Sohn Jesus Christus. In der Vision seines
Werkes ist natürlich auch der Sündenfall, ist die Amterhebung des Menschen, ist das
Kommen Jesu Christi, und alle die an IHN glauben werden gerettet werden“ (a.a.O.).
(6) „Diese Personen, die Christus nicht akzeptieren als Retter, akzeptieren die göttliche Wohltat nicht […]. Gott sieht dies bei jedem Menschen am Ende der Tage. Also
verlieren sie den Schutz Gottes durch sich selbst“ (S. 9).
„Gott sah in dem Entwurf, dass viele von uns IHN nicht akzeptieren werden. […] Alles muss auf
einer freiwilligen Basis geschehen: Christus freiwillig akzeptieren oder ablehnen. Jetzt heißt es
im Wort Gottes, sagt Timotheus: der nicht mit mir ist, ist gegen mich” (S. 9).
Rojas, Albino: “El pecado” (Die Sünde)
Zu Beginn legt der Pfarrer sein Zeugnis über seine Erfahrung des Gebets ab, indem er den Herrn
um das Thema seiner Predigt gebeten hat. Der Herr antwortet ihm mit einer bildreichen Vision,
die ihm das Thema der Predigt offenbart(1) und Traurigkeit und Desillusion hervorrief, denn Gott
hat ihn die Wahrheit über die Welt sehen lassen.(S. 2) Diese besagt, dass die Botschaft von der
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Auferstehung der Sehnsucht nach dem Wort Gottes ein Ende bereiten wird. Auch diese Aussage
berichtet der Pfarrer in Gestalt einer bildreichen visionären Darstellung.(2)
Nach diesen Berichten202 nimmt der Pfarrer das erste Mal biblischen Bezug: 1 Kor 15, 51 und betont damit das mysteriöse göttliche Geheimnis.(3) Die dualistische Weltauffassung begründet die
Notwendigkeit, sich Gott immer mehr anzunähern (S. 3) und in Purifikation und Santifikation zu
leben.(4)
Anschließend wird das Gerichtsthema als der Tag der Ernte behandelt. Auf diese Weise zeigt sich
die anthropologische Klassifizierung der Menschheit, speziell der Gläubigen, die der Pfarrer in
die guten und die schlechten Christinnen und Christen einteilt. (S. 5) Und nicht nur die anthropologische, sondern auch die ekklesiologische Dimension kommt im Bezug auf das Thema der Heiligkeit zum Ende der Predigt zur Sprache. Die Kirche wird beschrieben als die Kirche in den
Wolken, wo sich –neben Elias, Henoch, Jakob, Noah- alle die treffen werden, die zu Lebzeiten
heilig und Gott gefällig gelebt haben:
„Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den
Herrn sehen wird“ (Hebr 12, 14).
Zitate zur Vertiefung
(1) „Der Herr lässt mich eine Stadt und einen Friedhof sehen, […] und ich habe den
Friedhof beobachtet und aus den Friedhofsgräbern stiegen Männer und Frauen. Die
Erde öffnete sich und sie stiegen heraus mit weißen Gewändern und erhoben ihre
Hände zum Einspruch in die Höhe. […] sie gingen in der Reihe gen Himmel und verbargen sich in der Wolke. In der Wolke war ein Spalt, und der Herr war mit ausgebreiteten Händen über der Wolke […] versteckt. Und danach, verließen [Männer und
Frauen] den Friedhof und hinterließen die […] Gräber leer. Sie gingen, und sie gingen, sie gingen, sie gingen, sie gingen, und sie richteten sich auf und gingen mit erhobenen Händen in der Reihe […]. Sie gingen hinüber zum Himmel mit weißen Gewändern […]” (S. 1).
(2) „Der Herr [wird] mit einer Herrschaftsstimme, mit der Stimme des Erzengels, mit
der Trompete Gottes, vom Himmel herabsteigen […]. Die Toten in Christus werden
zuerst auferstehen. Der Herr wird mit den Herrschaaren herabsteigen, mit den Engeln, wird er herabsteigen von dem Himmel bis hin zu den Wolken. Er wird die Erde
202
Vgl. auch am Ende der Predigt den Gebrauch apokalyptisch-visionärer Vorstellungen, S. 6ff.
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nicht betreten. Bis zu den Wolken [wird ER herabsteigen], nicht weiter und dort werden die Trompeten spielen. Beim Ertönen der Trompete, beim Hören der Trompete,[…], die Christen die starben [und] die Gläubigen, die starben, sie werden zu neuem Leben erwachen, so wie Christus am dritten Tage auferstand aus dem Grab, auf
diese Weise werden sie auferstehen und zum Himmel übersetzen” (S. 3).
(3) „Wir werden ein Geheimnis sehen, welches ist das Geheimnis? Das Geheimnis
bedeutet, dass der Herr mysteriös und überraschend seine Kirche hinweg nehmen
wird“ (S. 3).
(4) „Es lebt die Heiligkeit. Trennt euch jeden Tag von der Sünde, Amen? Jeden Tag
sollst du dich Gott mehr nähern. Nähere dich am Morgen -so wie Daniel- [und] mittags. Auch wenn ihr Angst habt, nähert euch Gott, kniet nieder, lest das Wort, [es]
heiligt dich, mich, dieses Wort” (S. 4).
Santo, Pedro: “Avivamiento” (Die Erweckung)
Grundlage der Predigt ist der Reichtum der biblischen Texte. Zunächst stellt der Pfarrer fest, dass
die Erweckung frisch und lebendig ist, sofern von Christus gepredigt wird. (S. 1) Er gibt Beispiele von biblischen Gestalten der Erweckung, z.B. von Noah, Elia und Habakuk (S. 1ff.).
Die Erweckung ist Gottes Wille. Allein die Söhne des Herrn werden es durch die Illumination
des Heiligen Geistes verstehen können. Mittels der Rückerinnerung an die Epoche z. Zt. Israels,
beschreibt der Pfarrer die geistliche Krise, die erst durch den Herrn in eine große Erweckung gewandelt wurde.(1)
Mit Christus kam eine starke Erbauung, Heilung und Wunder wurden Wirklichkeit. (S. 3) Der
Erweckung in Christus steht der in der Welt verstrickte Mensch gegenüber. (2) Diese dualistische
Tendenz wurde in dem einzigartigen Pfingsterlebnis überwunden (Apg 2).
Im Folgenden teilt er die Geschichte eines jungen Mannes in England mit, der im 19. Jahrhundert
eine große Erweckung ausgelöst hat. (S. 4)
Der Weg zu der Erweckung geschieht durch das Ausgießen des Heiligen Geist – IHN brauchen
wir in unseren Kämpfen gegen/ mit uns selbst. (S. 6)
„Ein Zeugnis Jesu Christi zu machen“ (a.a.O.) schafft die Erweckung, aber sie
selbst beruht demnach auf der Macht Gottes (3) und des Heiligen Geistes (4).
Es wird deutlich, dass die Erweckung „von oben“ kommt und der Mensch sich oft über seine
Grenzen hinaus erhöht. Er sollte aber Buße tun (S. 9), um für den Empfang des göttlichen bereit
zu sein:
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„Es ist falsch, wenn der Mensch sagt, dass durch mich die Erweckung kam, sondern
es ist durch das Wirken des Heiligen Geistes in der Person” (S. 8), um diesen „Besuch Gottes“ (a.a.O.) zu empfangen.
Allein durch die Heiligung im Herzen (S. 9) gibt es diese Feuer der Erneuerung. Diese Zeit der
Erweckung und Erneuerung ist eine Zeit der persönlichen Demütigung, der Demut, der Vergebung und der Erneuerung, des Heiligen Geistes.
„Und als sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie
wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimut“
(Apg 4, 31).
Hier zeigt sich das geistliche Potential, welches der Pfarrer in der Erweckung erkennt und empfindet.
Zitate zur Vertiefung
(1) „Und Jesus kommt und es beginnt die Erweckung. Halleluja! Es beginnt die Erweckung inmitten vieler Schwierigkeiten, inmitten eines großen Problems des Römischen Reiches, […] und das Volk Israels wurde dominiert […]. Inmitten alledem bestand eine geistliche Krise, inmitten einer geistlichen Krise kommt die Erweckung
durch Jesus Christus. Ehre sei dem Herrn!“ (S. 2).
(2) „Das Gegenteil der Erweckung ist die Faulheit, zu beten, [die] Trägheit, noch
immer auf die Welt schauend, noch immer das Vergnügen zu sehen, noch immer sich
beeinflussen zu lassen durch die Versuchungen. Dies ist nicht die Erweckung, sich
von der Krise einnehmen zu lassen, […], von den weltlichen Einflüssen. Dies ist nicht
die Erweckung, dies ist Benommenheit […]“ (S. 2).
(3) „Die Erweckung, die kommt, die in uns wirken wird, kommt von Gott, geliebte
Brüder. Wir schaffen es nicht, die Energie für die Erweckung aufzubringen […]. Wir
sind begrenzt. Ist es die Macht Gottes,[…] die in uns wirkt?“ (S. 7).
(4) „Was wir bitten und verstehen bezüglich der Macht, die in uns wirkt, Amen? Der
Heilige Geist […], ermöglicht unsere Liebe zu Christus, Amen? Amen?” (S. 7).
4.4.4 Thematische Beobachtungen203
203
Den folgenden Ausarbeitungen liegen einundsechzig ausgewählte und analysierte Predigten zugrunde, die in dem Zeitraum
von Juli 2002-Juli 2003 in verschiedenen Kirchengemeinden der AdD – Südregion (Peru) gehalten wurden. Die Auswahl der
hier behandelten Themen wurde nach einjähriger Partizipation in den AdD von der Verfasserin getroffen.
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4.4.4.1 Theologie
Gott, der in der Gestalt des Herr Jesus Christus zu den Menschen gekommen ist, ist für die
Pfingstler keine gewöhnliche Religion, die mit anderen zu vergleichen wäre.204 Der Gott offenbart in Jesus Christus und erlebt in einer persönlichen Begegnung- ist mehr als eine religiöse
Überzeugung, denn dieser Gott bedeutet, oder besser, ist wahrhaftiges Leben. Diese tief empfundene Glaubensüberzeugung erzeugt die Tendenz des religiösen Absolutismus, der den subjektiven Glauben auf die Ebene einer allgemeingültigen objektiven Wahrheit hebt.
Gott wird als ein Gott des Sieges erfahren, der guten Charakter besitzt und „nicht durch das Böse
versucht sein kann. […] Auch versucht ER keinen. […] Gott versucht niemanden. ER schenkt
uns vielmehr die Gesundheit. ER schenkt uns vielmehr den Segen […]“205.
Diese Güte Gottes impliziert, dass ER sich von dem Bösen trennt. Diese Trennung lässt ihn aber
dem Bösen gegenüber nicht machtlos werden, sondern ER kontrolliert zugleich das Böse.206
Die Pfingstler sehen in ihrem Gott einen allmächtigen Herrscher, dem alles -Sichtbare und Unsichtbare- untergeordnet ist. ER steht vor und über allem anderen. Diese „Topposition“ zeigt sich
auch in seinem über-temporalen Charakter. Denn seine Treue lässt ihn über den Zeiten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen und realisiert sich in der Erfüllung seiner Verheißungen.(1) Seine Treue zeigt sich schon in alttestamentlicher Zeit. Dort verfolgte ER seinen Plan mit
dem auserwählten Volk Israel.
Dieser Allmächtigkeit –sichtbar in dem nicht endenden Treuebeweis- des ewigen Gottes ist seine
Allwissenheit zugeordnet. Gott –so zeigte sich in den Predigten- lenkt und leitet seine Schöpfung
seit Ewigkeit und bis in alle Ewigkeit. Auf diese Weise hat ER auch Antworten auf alle unsere
Fragenzeichen207, denn ER ist der Schöpfer208, allmächtig und darum der Besitzer des Lebens und
des Todes.
Dieser Gott ist ein Gott der Prädestination. (2) Demzufolge besitzt ER seit Anfang an einen Plan,
nämlich einen Heilsplan mit der Welt. Dieser Plan umfasst seine gesamte Schöpfung, auch die
vitae humanae,209 mit der er eine Erweckung will.(3)
Dieses geistliche Aufwachen –„der göttliche Besuch“– kommt demzufolge aus dem Willen Gottes, das alle Objekte und alle Subjekte umfasst.
Vgl. die Predigt “Rebelión del pueblo de Dios” von Luis Galazo, S. 10
Die Predigt “Promesas de Dios contra las tentaciones” von Pedro Santo, S. 9.
206 Die Predigt “La obra de la trinidad en la salvación” von Pedro Díaz, S. 8.
207 Vgl. die Predigt “La vista sin visión” von Edit Salamanca, S. 4.
208 Vgl. die Predigt “Calidad total” von Pedro Díaz, S. 2.
209 Vgl. die Predigt “La obra de la trinidad en la salvación” von Pedro Santo, S. 12.
204
205
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Gott ist auch die Liebe –agape– und liebt an erster Stelle seine Geschöpfe und ist barmherzig mit
ihnen.210 (4)
Diese Liebe und Barmherzigkeit zu seinen Kindern erzeugt den Willen, die Menschheit in jeglicher Hinsicht zu befreien.211 (5) Gott wird nach diesen Ausführungen zufolge auf der einen Seite
als ein mächtiger an der Spitze stehender Herrscher, auf der anderen Seite als liebevoller und gütiger „Seelsorger“ erfahren, der die Seinen befreit und sie in ein neues Leben hineinführt.
Gott wirkt in den Herzen der Menschen. ER rettet sie auf diese Weise von innen heraus und lehrt
sie danach.212 Um Teil dieses auserwählten Volkes Gottes zu sein, d.h. im Reich Gottes zu leben,
muss der Mensch also neu geboren werden. Die sich zu einem neuen –nach dem Willen Gottes
geführten- Leben Bekehrten symbolisieren das lebendige Reich der Liebe und der Gerechtigkeit.213
„Das Reich Gottes ist nicht mehr im Himmel: wir sind es. Wir machen das Reich Gottes, wir predigen das Reich Gottes, wir leben das Reich Gottes“214.
Gott erwartet also auch eine Antwort von dem Menschen. Durch seine eigene Natur fordert Gott
von den Menschen, dass sie IHN lieben, dass sie IHM zu Ehren in Ordnung, Disziplin und Heiligung leben.215
Im Gegensatz zu seiner Liebe besitzt Gott auch Richterautorität. IHM gefallen die sich niederknienden Personen, die auf der Suche nach IHM sind, gehorsam und geduldig sich zu seinen Ehren opfern.216 Gott wählt die menschlichen Wesen wie seine Instrumente aus, aber ER bedrängt
die Menschen nicht, sondern macht ihnen lediglich ein Angebot und respektiert ihre eigene freie
Entscheidung. (6)
Im Fall der menschlichen Ablehnung des göttlichen Angebots muss mit der Konsequenz, dem
Verlust des göttlichen Schutzes der Erlösung und des Heils, gerechnet werden.
Hier zeigt sich die menschliche Einflussnahme, theologisch die pelagianische Tendenz, denn der
Empfang des Göttlichen zeigt sich in Abhängigkeit von der Intensität der inneren Glaubensüberzeugung des Menschen. Wenn er in der Tiefe seines Herzen glaubt und Gott mit derselben IntenVgl. die Predigten “Dar la gracia a Dios” von Br. Juan, S. 4, “Casa de Dios”, S. 4 und “La segunda venida de Cristo”, S. 4 de
Pedro Santo, “El amor” von Miguel Angel, S.2f.12, “La obra de la trinidad” von Pedro Díaz, S. 2.
211 Vgl. die Predigten “Cambios en nuestras vidas” von Felix Palomi, S. 6, “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 8, “Ataque y paciencia” von Edit Salamanca, S. 8.
212 Vgl. die Predigt “Abraham” von Jonatan Cruz, S. 27.
213 Vgl. die Predigten “Jesús – el Salvador” von Pedro Santo, S.7.3 und “Guerra Espiritual” von Jonatan Cruz, S. 39.
214 Die Predigt “El peligro de religiosidad en el cristianismo” von Josefa Marrón, S. 9.
215 Vgl. die Predigten “Rebelión del pueblo de Dios” Luis Galazo, S. 2, “Milagro y Santitad” von Pedro Santo, S. 9 und “Salmo
143, 10” von Br. Alberto, S. 2f.
216 Vgl. die Predigten “Calidad total” von Pedro Díaz, S. 5, “El deseo profundo del hombre” von Pedro Santo, S. 3, “Renovar la
Iglesia” von Mis. Peruana, S. 6, “Dar las gracias a Dios” von Br. Juan, S. 5, “Comunión con Cristo aun hay pruebas” von Mis.
aus Kolumbien, S. 4.
210
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sität bittet, (erst dann) wird er empfangen, ist dem nicht so, tritt der Mensch heraus aus dem geschützten, göttlichen „Heils-Bereich“ und begibt sich auf den Weg des Bösen, wo Gott nicht wirken kann.217
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Predigten der AdD selten den trinitarischen Gott
im Blick haben, sondern häufig den Eindruck erwecken, dass es sich bei den drei göttlichen Personen um voneinander Getrennte handelt. Aufgrund des Gebrauchs des spanischen Wortes
„Señor“ (Herr), bleibt manchmal unklar, ob es sich um den theologischen Titel -Gott Vater- oder
um den christologischen Titel -Herr Jesus Christus- handelt. Aber es kann angenommen werden,
dass es sich durch den im allgemein üblichen christologischen Gebrauch des Ausdruckes in den
meisten Fällen ausschließlich auf den Herrn Jesus Christus bezieht.
Zitate zur Vertiefung
(1) „ER ist derselbe Gott, der an Pfingsten reichen Segen schenkt? ER ist derselbe!
[…] ER hat sich nicht geändert. ER resigniert nicht. ER geht aktiv seinen Weg, gestern, heute und morgen und in allen Jahrhunderten“ (Predigt, „El deseo profundo del
hombre“, Pedro Santo, S. 4).
(2) „Gott kannte uns schon, ER ist der, der Leben schenkt. ER ist der, der Leben
schenkt. ER ist der, der den Atem des Lebens schenkt, aber ER ist auch der, der das
Ende unserer Tage setzt“ (Predigt „Clonación“, Jenny Mendoza, S. 8).
(3) „Gott sagt: Komm und danach sagt ER auch: Prophezeie! Übe eine große Erweckung. Das ist eine biblische Prophetie. Gott möchte sein Volk erwecken“(Predigt
“Avivamiento” von Pedro Santo, S. 2).
(4) „Gott […] liebt dich und er liebt dich wie kein anderer. Gott liebt dich wie keine
andere Person auf dieser Welt dich liebt. Gott liebt dich. Seine Liebe kennt keine
Grenzen, seine Liebe ist außergewöhnlich, seine Liebe ist immens, seine Liebe ist unberechenbar, seine Liebe hat keinen Preis“ (Predigt, „La tentación“, Teofran Arana
R., S. 9).
(5) „Gott möchte uns befreien, ER möchte uns befreien. Wenn sie sich schlecht fühlen, Gott möchte befreien, Gott möchte dir den Druck nehmen, den du hast. Gott
möchte dein Leben reinigen, Gott möchte dein treuer Freund sein. Gott will dein Herz
217
An dieser Stelle zeigt sich ein Widerspruch mit einer zuvor gemachten Aussage. Auf der einen Seite ist Gott der allmächtige,
auch über das Böse waltende Herrscher, auf der anderen Seite scheint Gott –aufgrund menschlichen Verhaltens- die Kontrolle über das Böse verloren zu haben.
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erfüllen. Gott möchte dich durch Jesus Christus reinigen“ (Predigt, „Dualismo – la
manifestación del diablo“, Pedro Santo, S. 4f.).
(6) „[Gott] gab allen die Möglichkeit. ER gab die Möglichkeit für alle. Einige akzeptierten und andere nicht. Aber ER bedrängt sie nicht. […] Es ist der Wille des Menschen. Er [ist] der empfängt, er ist, der ablehnt“ (Predigt “La obra de la trinidad en
la salvación”, Pedro Díaz, S. 7).
4.4.4.2 Christologie
Jesus ist der lebendige und allmächtige Gott(1), den die Religiösen der Kirche selbst gekreuzigt
haben (2), aber ER ist am dritten Tag wieder auferstanden für die Erlösung der ganzen Welt. ER
ist der „Meister der Vortrefflichkeit“218, der „einzige treue Freund“, der Heilungen und Wunder219 vollbringt. „Er ist der König der Könige“220, der den Teufel selbst besiegt hat.221
Der Herr Jesus Christus erscheint in dieser Darstellung der Pfingstler auf der einen Seite als der
machtvolle, göttliche und majestätische den Tod besiegte Herrscher, auf der anderen Seite (wie
Gott Vater) als der treue liebevoll heilende Freund, der den Menschen in ihrem Alltag als Meister
und Seelsorger begleitet.
Seine Allmächtigkeit zeigt sich auch222 darin, dass er der menschlichen Zeitrechnung enthoben zu
sein scheint:
„[Jesus] ist derselbe, gestern, heute und morgen und in allen Jahrhunderten“223.
Seine Zuneigung zu den Menschen verkörpert sich in der liebevollen Pflege seiner Geschöpfe. Er
hilft ihnen224, um ihren Geist und Verstand zu erneuern, indem er in „göttlicher Strategie“225 handelt. Jesu Christi Werk ist eben nicht auf eine eindimensionale menschliche Weise zu erfassen.
Seine Göttlichkeit hat Hindernisse, die dem Menschen unüberwindbar waren überwunden. Auf
diese Weise eröffnet sie die universale Möglichkeit für die gesamte Menschheit, Teil sein zu dürfen an dem heiligen göttlichen Ort.(3)
Dieser Heilsweg der Geschichte, der Christi Leidensweg mit dem Tod am Kreuz einschließt, war
der wissentliche Plan zur Rettung der Menschheit.(4)
Die Predigt “Los dones espirituales” von Pedro Santo, S. 1.
Die Predigt “El amor” von Miguel Angel, S. 3.
220 Die Predigt “Evangelismo” von Pedro Santo, S. 1.
221 Vgl. die Predigt “Dualismo – manifestación del diablo” von Pedro Santo, S. 4.
222 Vgl. die Ausführungen zur Theologie.
223 Die Predigt “Milagro und sanidad” von Pedro Santo, S. 1.
224 Vgl. die Predigt “Misión de Jesús” von Anselmo Rios, S. 100.
225 Die Predigt “Milagro und sanidad” von Pedro Santo, S. 8.
218
219
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Christus ist also das einzig geltende Opfer der absoluten Wahrheit226 und verdeutlicht, wie sich
gegen die Versuchung der Welt zu schützen ist.227 ER ist demzufolge auch der einzige Weg, der
den Menschen die Freiheit –nämlich die Freiheit, frei von Sünde zu sein228- bietet. Dieses befreiende Angebot erreicht den Menschen auf eine respektierende Weise229.
Der Herr Jesus Christus bietet also die Freiheit und die Vergebung der Sünden. Dieses barmherzige Angebot offenbart ER aber nicht von vorne herein allen Menschen unabhängig ihrer Lebenseinstellung, sondern speziell „denjenigen, die die Heilige Schrift studieren, denjenigen, die
den Heiligen Geist suchen, die fasten [und] die beten“230, d.h. den geistlich Reichen.
Dies zeigt, dass das Angebot den Menschen herausfordert, sich auf die geistliche Suche zu machen, um mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden231 und den „Schlüssel [des] Lebens“232 in
Christus zu finden.
Diese Geist-Erfüllung verdeutlicht die Funktion Christi als Erweckung der Menschheit -wie aus
einem tiefen Schlaf- aus den Verstrickungen dieser Welt in die Welt der Heilung und Wunder.233
Jesus Christus, seine frohe Botschaft in Gestalt des Evangeliums, bewirken Früchte des Glaubens.234 Die Menschen experimentieren die Neugeburt in Christus, d.h. sie praktizieren das Fliessen/ erfüllt sein des Heiligen Geistes. (5)
Diese radikale Umkehr im menschlichen Leben kommt aus der Gnade des Herrn235. Es ist ein
neuer Bund, der den Verstand der Menschen erneuert. Diese Erneuerung ist eine Erneuerung im
Geist.(6)
Bei dieser radikalen Umkehr des Menschen handelt es sich um eine individuelle Entscheidung
des Einzelnen, den Herrn Jesus Christus als den eigenen und einzigen persönlichen Erlöser anzuerkennen.236
Nach diesen Ausführungen lässt sich nachvollziehen, dass die Erlösung sich als ein fundamentaler Teil der Glaubenslehre versteht.237 Sie variiert in ihrem Geltungsbereich von persönlich, das
ganze oikos (griech. Haus, Wohngemeinschaft) umfassend oder bis in die vierte Generation.
Vgl. die Predigt “La bendición que das” von Jenny Mendoza, S. 2.
Vgl. die Predigten “Jesús – el Salvador”, S. 9, “Promesas de Dios contra las tentaciones”, S. 5 und “Evangelismo”, S. 5 von
Pedro Santo.
228 Vgl. die Predigt “El deseo profundo del hombre” von Pedro Santo, S. 2.
229 Vgl. die Predigt “La fe – una exigencia para el creyente” von Felix Palomi, S. 12.
230 A.a.O., S. 5.
231 Vgl. die Predigten “Calidad total” von Pedro Díaz, S. 8 und “Ser lleno del Espíritu Santo” von Pedro Santo, S. 10.
232 Die Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 6.
233 Vgl. die Predigt “Avivamiento” von Pedro Santo, S.2f.
234 Vgl. die Predigt “Cambios en nuestras vidas” von Felix Palomi, S. 1.
235 Vgl. die Predigten “Comunión con Cristo aun hay pruebas” von dem Mis. aus Kolumbien, S. 7, “Clonación”, S. 7 und “La bendición que das” von Jenny Mendoza.
236 A.a.O., S. 3.
237 Vgl. die Predigt “Jesús – el salvador” von Pedro Santo, S.1f.
226
227
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Ulrike Sallandt
Manchmal wird der Eindruck vermittelt, dass die Taufe des Heiligen Geistes, sichtbar in der
Glossolalie, das notwendige Zeichen für die Neugeburt des Menschen ist, dass bedeutet mit anderen Worten, ob er erlöst oder verworfen wird (es wird nicht wörtlich benannt).238 Darauf gründet
die in der soteriologischen Dimension beobachtete qualitative Klassifizierung der Menschen.239
Die Beschreibung des Eschaton, der zukünftigen letzten Tage, die das Ende der Zeit markieren in
der Erwartung des Herrn weisen eine dualistische Tendenz auf, die die christologische Einzigartigkeit des Herrn in Frage stellen.
„[…] in diesen Zeiten, […] es werden sich falsche Gestalten des Christus erheben
und werden viele betrügen, […] auch die Erwählten, […]“240.
Zitate zur Vertiefung
(1) „Wir wissen, dass Jesus Christus lebte und starb, um der Menschheit zu zeigen,
dass ER der allmächtige Gott [ist]“ (Predigt “Misión” von Br. Celestino, S. 1).
(2) „Wer hat IHN gekreuzigt? Wißt ihr wer? Die Religiösen der Kirche selbst (?),
weil sie nicht damit einverstanden waren, dass er das Wort auf seine Weise modifizierte“ (Predigt “La limpieza del Espíritu Santo” von Mario Carpago, S. 6: offensichtlich wird hier von den Juden als die religiöse Kirche gesprochen).
(3) „Durch Jesus ist unsere Seele ein heiliger Ort, unser Geist der heiligste Ort. Jesus zerstörte Hindernisse, um den heiligen Ort zu betreten. Jetzt können alle durch
Jesus diesen Ort betreten“ (Predigt “La salvación personal” von Jonatan Cruz, S.
93).
(4) „Er wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab als seine Passion, um die
Menschen zu retten“ (Predigt “Misión” von Glady Sánchez, S. 106).
(5) „Wie viele haben den Geist Christi? Wenn jemand den Geist Christi nicht hat,
ist er nicht von IHM. Zuerst muss er Christus annehmen, Amen? Und wenn jemand
nicht neugeboren ist, ist er nicht von IHM, wenn jemand den Geist Christi nicht hat,
sagt der Apostel Paulus, diejenigen haben sich nicht bekehrt. Diejenigen haben
Christus in ihrem Herzen nicht empfangen als ihren einzigen Erlöser, […]. Sie haben den Geist Christi nicht“ (Predigt “Ser lleno del Espíritu Santo”, Pedro Santo, S.
9).
Vgl. die Predigten “El nuevo nacimiento” von Pedro Díaz, S. 2 und “Llamamiento und ser escogido” von Josefa Marrón, S. 66.
Vgl. unter Anthropologie.
240 Die Predigt “La segunda venida de Cristo” von Pedro Santo, S. 4.
238
239
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(6) „Wir haben den Verstand Jesu Christi, Amen? Wir haben nun nicht mehr den
dunklen Geist, wir haben den Geist des Herrn, […]. Erneuert euch in dem Geist eures Verstandes, dann gibt es eine tägliche Erneuerung” (Predigt, “Restauración”
Pedro Santo, S.5).
4.4.4.3
Pneumatologie
Der Heilige Geist tritt im Pfingstlerkerygma in personifizierter Gestalt, als die Macht Gottes und/
oder autonom handelnd auf. Er wird identifiziert mit deskriptiven Ausdrücken wie „das Feuer des
Heiligen Geist“, der „übernatürliche Führer“, „der Helfer der Erlösung“, „der Wind des Lebens“
und schließlich „Regierung Christi“.241
Er kehrt ein in die Herzen der Menschen und auf diese Weise kontrolliert er das menschliche Dasein, so dass es ein übernatürlich-göttliches ist.(1)
Er spricht für uns (Fürsprecher) und ersetzt unsere weltliche Persönlichkeit von innen heraus.242
Er besitzt einen eifersüchtigen Charakter, ausgelöst und begünstigt durch die Versuchungen dieser Welt, in der wir als geistlicher Tempel –dem Teufel Widerstand leistend- überleben.(2)
Infolgedessen wächst der Gläubige in Gebet und Fasten zu einer geistlichen Reife heran.243 Der
Mensch wird aufgefordert, seine ganze Aufmerksamkeit in den Heiligen Geist zu legen, vor allem z.Zt. von Versuchungen und Bewährungsproben, um eine christliche Persönlichkeit zu entwickeln.(3) Er soll dies in Demut und Untergebenheit tun, indem er vor dem Heiligen Geist um
Vergebung bittet.244
Es kann beobachtet werden, dass es schließlich von dem Menschen abhängt, ob er sich dem Heiligen Geist öffnet, um geistlich erfüllt zu werden.(4)
Wehren sich die Menschen und bleiben dem Geist verschlossen, verwandeln sie sich in GeistlichTote.(5)
Durch den Bezug auf den koreanischen Pfarrer Paul Yonggi Cho wird über die Kommunion und
Kommunikation mit dem Heiligen Geist gesprochen.(6).
Die intime und intensive Freundschaft mit dem Heiligen Geist lässt den Menschen den reichen
Segen des Herrn empfangen. Im Fall des koreanischen Erfolgspfarrers ging es um eine Kirche
Vgl. die Predigten “La limpieza de Espíritu Santo” von Mario Carpago G., S. 5, “El amor” von Miguel Angel, S. 13. “Renovación
de la Iglesia” von Br. Alberto, S. 2, “Guerra Espiritual” von Jonatan Cruz, S. 43, “Ser lleno del Espíritu Santo”, S.2.6 und “Los
dones espirituales”, S. 11.14 von Pedro Santo.
242 Vgl. die Predigt “Ser lleno del Espíritu Santo” von Pedro Santo, S. 3.
243 A.a.O., S.10.14 und vgl. die Predigt “El nuevo nacimiento” von Pedro Díaz, S. 3.
244 Vgl. die Predigt “Tenemos que ser una iglesia pentecostal” von Joel Castillón, S. 84.87.
241
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mit 10 000 Mitgliedern. Im Hintergrund zeigt sich an dieser Stelle die Überzeugung, dass die intime Freundschaft mit dem Heiligen Geist dem Menschen eine bessere Visualisierung der Zukunft ermöglicht und dies dem Menschen als Folge Wohlstand bringt.(7)
In diesem Prozess der Visualisierung muss der Mensch sich anstrengen, um auf die Stimme des
Heiligen Geistes zu hören, und somit die Fähigkeit zu erlangen, zu visualisieren, um das Gesetz
des Geistes zu durchbrechen. Unter diesem geistlichen Bedingungen kann der Mensch nach Höherem (göttliche Dimension) streben, wohin ihn der Heilige Geist führen wird.(8)
Die Geistgaben spielen eine wichtige Rolle; vor allem die Taufe des Heiligen Geistes –sichtbar in
der Glossolalie- besitzt einen signifikativen Wert, indem sie den Grad der Spiritualität jedes
Menschen widerspiegelt.(9)
Der biblische Bezug auf das Pfingstereignis (Apg 2), auf den Empfang des Heiligen Geist, unterstreicht, dass allein die Geisttaufe die wahrhafte Manifestation des Heiligen Geistes darstellt.(10)
Sie symbolisiert den Siegel und die Erfüllung und ist auf diese Weise Antwort auf alle Probleme.245 Diese „Taufe des Himmels“ zu empfangen, bewirkt als geistliches Hauptrequisit die Praxis
der Geistgaben:
„Weil es das unerlässliche Requisit ist, die Taufe des Heiligen Geistes zu besitzen, um
die Geistgaben zu praktizieren. Amen“246.
Darum muss der Mensch in Heiligkeit leben, um fähig zu sein, die Geistgaben zu empfangen. Es
ist die Zeit der Heiligkeit und der Reinigung/ Läuterung.
Es gibt verschiedene Geistgaben. Sie lassen sich in Wundergaben, Gaben des Ausdrucks und des
Verständnisses ordnen. In der Bibel handelt es sich um die Gaben des Verständnisses.247 Unter
den Gaben des Verständnisses vereinigen sich die Gabe der Weisheit –die übernatürliches Wissen schenkt-, die Gabe des Wissens und die Gabe des Unterscheidungsvermögen. Alle gläubigen
Jugendlichen, Erwachsene und alte Menschen sollten danach streben, diese Gaben zu besitzen
und die göttlichen Zungen zu praktizieren. Aber in der Welt existieren auch böse Geister –in der
Gestalt des Teufels und des Satans– „die auf dem menschlich-christlichen Weg Hindernisse aufrichten oder sich [sogar] im Inneren des Menschen selbst manifestieren“248. Es existiert ein
Kampf –ein geistlicher Kampf- gegen die Mächte des Bösen.(11) Dieser Kampf wirft auch seine
Schatten auf die Lebenswelt der Gläubigen, in der sich gegen „die Feinde des Kreuzes“249 behauptet werden muss. Schließlich kann zusammengefasst werden, dass der Eindruck erweckt
Vgl. die Predigt “Ser lleno del Espíritu Santo” von Pedro Santo, S. 5. 12.
Die Predigt “Los dones espirituales” von Pedro Santo, S. 4.
247 A.a.O., S. 2.
248 Vgl. die Predigt “Promesas de Dios” von Pedro Santo, S. 15.
249 Die Predigt “Llamamiento und ser escogido” von Josefa Marrón, S. 69.
245
246
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wird, dass der Heilige Geist in einer selbständigen automorphen Gestalt auftritt, dessen schützende Gegenwart der Mensch gegen die sündigen Versuchungen in dieser Welt benötigt. Der Empfang des Heiligen Geistes hängt allein von dem Wunsch des Menschen ab. Die Intensität des ehrlichen Wunsches entscheidet darüber, ob er die geistliche Gegenwart, die intimste Kommunion
mit dem Heiligen Geist, empfängt.
Zitate zur Vertiefung
(1) „Der Heilige Geist, geliebte Brüder, halleluja, möchte unser Leben in dem Sinne
kontrollieren, dass wir ein übernatürliches Leben führen” (Predigt “Ser lleno del
Espíritu Santo”, Pedro Santo, S. 3, vgl. auch “La obra de la trinidad en la salvación”,
ders., S. 4).
(2) „Der Heilige Geist ist sehr eifersüchtig. Wie viele [wissen] von uns […], dass wir
Tempel des Heiligen Geist sind?“;
„Nur Gott sagt, widerstehe dem Teufel und flüchte […], die Gnade des Herrn
[…] ist in uns gelegt“ (Predigt, “Promesas de Dios contra las tentaciones”, Pedro Santo, S. 13).
(3) „Wie viele möchten Versuchungen, Bewährungsproben haben? Manchmal ist es
notwendig. Warum? Um geistlich zu reifen, um eine christliche Persönlichkeit zu haben. Versteht ihr mich? Eine christliche Persönlichkeit, nicht eine weltliche Persönlichkeit, sondern eine christliche Persönlichkeit, [um] ein Kind Gottes [zu sein]”
(A.a.O., S. 5).
(4) „Weißt du, von wem es abhängt, damit ihr erfüllt seid von dem Heiligen Geist?
Nicht vom Pfarrer, nicht von irgendeinem Bruder, sondern, dass [du] dich motivierst.
Es hängt von dir ab! Amen, Bruder? Es hängt von dir ab. Du selbst, Bruder, […], leg
es in die Hände Gottes“ (Predigt, “Ser lleno del Espíritu Santo” ,Pedro Santo, S. 4),
„[wir] müssen […] die Türen unserer Herzen öffnen und ER wird eintreten. Das Öffnen unserer Tür des Herzens aus dem Glauben heraus [bewirkt, dass] Gott in unserem Leben wirken wird. Gott wird das tun, worum wir IHN bitten und sein Wort und
seine Verheißung sind real, wahrhaftig und wenn das Wort dir sagt, dass du es
machst, dann wirst du es machen. Wir müssen es machen aus dem Glauben heraus“
(Predigt, “La fe – una exigencia para el creyente”, Felix Palomi, S. 12).
(5) „Wer sind die Geistlich-Toten? Was ist ein geistlicher Tod? Mal sehen? Jemand
der sich in der Sünde befindet, stimmt’s? […], du bist kalt geblieben, nicht wahr, dies
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bezieht sich auf den geistlichen Tod; [d.h. mit anderen Worten] also, das in-derSünde-Verweilen ist ein geistlicher Tod” (Predigt “La vista sin visión”, Edit Salamanca, S. 6, siehe auch die Predigt “El amor” von Miguel Angel, S. 9).
(6) „[…] die Kommunion mit dem Heiligen Geist, die gute Beziehung mit dem Heiligen Geist. Es gibt ein Buch von dem Pfarrer Cho. […] es heißt Mein Freund der Heilige Geist. […] Er ist ein sehr guter Freund des Heiligen Geistes. Er spricht immer
vom Heiligen Geist und manchmal hören die Menschen ihn; wie ein Verrückter redet
er. Er unterhält sich mit dem Heiligen Geist und schaut, Brüder, welch gute Freundschaft mit dem Heiligen Geist. […] Gott wird Segen schenken, weil er ein intimer
Partner des Heiligen Geistes ist” (Predigt “El nuevo nacimiento”, Pedro Díaz, S. 5,
vgl. auch Predigt “La obra de la trinidad en la salvación”, ders., S. 4).
(7) „Visualisiere es (Aufforderung an koreanischen Pfarrer), und er visualisierte die
Menschen. Ehre sei dem Herrn.
Er [Pf. Cho] hat eine Kirche mit mehr als 10 000 Seelen. Nun was ich sagen will ist,
dass der Heilige Geist uns visualisiert, [er] hilft [uns] bei unserer Visualisierung”
(Predigt “La obra de la trinidad en la salvación”, Pedro Díaz, S. 5).
(8) „Wir benötigen auch, dass Gesetz der geistlichen Qualität zu brechen und es aufzustellen und weiter zu machen in dem entfernten Niveau […] und fähig zu sein, das
Leben des Geistes zu leben. […] Vielleicht wirst du sagen, […]: Ich kann dich stärken
Herr, ich liebe dich, weil du arbeitest, weil du mein Leben aufrichtest, weil du mich
auf eine andere Dimension führst” (Predigt “Guerra Espiritual”, Jonatan Cruz, S.
42, vgl. auch Predigt “Peligro de la religiosidad en el cristianismo”, Josefa Marrón,
S. 21).
(9) „[…] diese Person ist zerstört. Es spielt keine Rolle, ob sie Fachmann ist, einen
hohen Titel trägt, sofern sie keine Kommunion mit Gott hat, ist es nicht gut. Sofern sie
die Taufe des Heiligen Geistes nicht empfängt, befindet sich dieses geistliche Haus in
Ruinen” (Predigt “Prosperidad”, Pedro Díaz, S. 5).
(10) „Ihr seht dort einen Christen. Manchmal möchte er nichts tun, halber Feigling,
weil er noch die Macht Gottes, die Taufe des Heiligen Geistes braucht, um die Kirche
zu sein, die der Herrn geplant und gesät hat. Brüder, an Pfingsten [hat der Herr die
Kirche geplant], durch was? Durch den Heiligen Geist. Amen“ (Predigt “Los dones
espirituales”, Pedro Santo, S. 5, vgl. auch Predigt “El deseo profundo del hombre”,
ders., S. 4).
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(11) „Unser Kampf ist nicht hier, unser Kampf ist […] gegen die Schmerzen, gegen
die Autoritäten, gegen die geistlichen Mächte des Bösen der himmlischen Version
[…]“ (Predigt “Guerra Espiritual”, Jonatan Cruz, S. 39).
4.4.4.4 Ekklesiologie
Die heilige und reine Kirche (1) ist der Leib Christi.250
Sie sollte offen sein. Sie sollte keine Kirche hinter vier Wänden sein, sondern eine der Welt zugewandte Kirche mit der frohen Botschaft des Herrn „erzogen im Sinne der Heiligen Bibel“. Diese Beschreibung bringt das göttliche Fundament zum Ausdruck.
Welche Funktion hat die Kirche?
Sie hat die Vorbereitung der Rückkehr des Herrn zu vollbringen251. Diese eschatologische Funktion besitzt diese futuristische, aber auch präsentische Dimension.252
Die Kirche ist ein Ort des Gebets, der Heilung253 und ein Ort, um mit dem Herrn zu reden.254 In
der missionarischen Vision richtet sich das Gebet vor allem an die Ungläubigen, d.h. an die verlorenen Seelen. Die Kirche muss eine Pfingstkirche sein, d.h. erfüllt vom Heiligen Geist –eine
Erweckung, um die geistlichen Bedürfnisse der Menschen zu stillen und die Sünde zu besiegen.255 Deshalb lebt sich ein gutes spirituelles Verhalten „nur“ in der Kirche, die unter dem stärkenden Schutz des Heiligen Geistes steht“256.
Die Kirche lebt wirklich und wahrhaftig, wenn ihre Mitglieder Ämter („ministerios“) besetzen
und auf diese Weise eine reale Verantwortung für den Herrn übernehmen.257
Der gesamte kirchliche Körper verfolgt die missionarische Aufgabe in der quantitativen Ausrichtung, d.h. um für den Leib Christi möglichst viele „Seelen zu gewinnen“258. Ohne diese missionarische Arbeit ist die Kirche unvollständig, denn sie würde auf diese Weise ihren Auftrag, das
Evangelium in die Welt zu tragen, ignorieren.
Die ekklesiologische Krise –die auch in den Reihen der Denomination der AdD Realität angenommen hat– fordert eine Restauration der kirchlichen Vision. Für die Pfingstler offenbart sich
Vgl. die Predigt “El Amor” von Miguel Angel, S. 4.
Vgl. die Predigt “La segunda venida del Señor” von Pedro Santo, S. 3.
252 Die Predigt “Clonación” von Jenny Mendoza, S. 5; vergleiche auch “El problema de la sociedad”, S. 77.
253 Vgl. die Predigt “Milagro und sanidad” von Pedro Santo, S. 4.11.
254 Vgl. die Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 8 und “Sanidad und oración” von der Pfarrer (Moq), S. 4f.
255 Vgl. die Predigt “Tenemos que ser una iglesia pentecostal” von Joel Castillón, S. 90ff.
256 Die Predigt “Guerra Espiritual” von Jonatan Cruz, S. 43.
257 Vgl. die Predigt “Restauración” von Pedro Santo, S. 4.
258 Die Predigten “Casa de Dios”, S. 3, “Restauración”, S. 3, “Jesús – el Salvador”, S. 3 von Pedro Santo und “Renovar la visión
de la iglesia” von peruanischen Mis., S. 1.
250
251
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darin der Wille des Herrn, dass die Kirche erneuern wird, d.h. vor allem sich selbst geistlich erneuert259. Diese geistliche Erneuerung bedeutet den Rückweg „zu den Heiligen Schriften, […] zu
der apostolischen Lehre und zu Jesus Christus“ anzutreten.
Diese Orientierung an den Anfängen der christlichen Kirche hängt in einem unübersehbaren Zusammenhang mit der Akzentuierung des Pfingstereignisses, welches als der Gründungstag der
christlichen Kirche gilt und in der Realität der Pfingstler deutlich im Vordergrund steht.
Die Erneuerung ist notwendig, weil das geistliche Leben, der Wunsch errettet zu sein, in ein religiöses Ritual verkommen ist. Die Kirche braucht in diesen Zeiten eine neue geistliche Erweckung, um das „Salz dieser Erde“ (Mt 5, 13) zu sein.
Als Mitglied in einer pfingstkirchlichen Kongregation entsteht für jeden Gläubigen die Verantwortung, die Kollekte/ den Zehnten abzugeben. Anstatt für die Welt Geld auszugeben, sollte für
das Werk des Herrn investiert werden.
Diese Zahlung wird als eine Pflicht Gott gegenüber verstanden und es wird geglaubt, dass Gott
die Gebenden segnet und ihren Besitz multipliziert.(2) Aus diesem Grund soll die Abgabe in
Freude geschehen.(3)
Die Kirche braucht gläubige, Geist erfüllte Menschen, die wirklich aus vollstem Herzen an diesem Ort sind –zum Leib Christi umgewandelt- und auf diese Weise bereit sind, dem Herrn gemäß
zu geben.
Zitate zur Vertiefung
(1)
“Die Kirche des Herrn muss heilig sein, sagt das Wort: mit weißer Kleidung,
wenn ER kommt, seine Kirche zu holen, dass es eine Kleidung sei ohne Flecken, ohne
Falte […]“ (Predigt “Casa de Dios”, Pedro Santo, S. 3)
(2)
„Gott sagt: Söhne, ihr müsst eure Kollekte, euren Zehnten bringen. Warum? […]
Schau meinen Zehnten, [er] ist das Fahrtgeld. Ich werde es dir geben. Damit du ohne
etwas zurück bleibst? Nein, damit du mehr hast“ (Predigt “Salmo 143, 10”, Br. Alberto,
S. 2, kursiv: imitiertes Gemeindemitglied).
(3)
„Wenn ihr eine Absicht in euren Herzen habt zu geben, […] gebt nicht mit
Schmerz, sondern mit Freude. Mit Vergnügen, weil ihr keinen Abfall gebt, weil ihr nicht
irgendeiner Person, sondern dem Herrn gebt“ (Predigt “La bendición que das”, Jenny
Mendoza, S. 8).
259
Vgl. die Predigt “Renovación de la iglesia” von Br. Alberto, S. 1.
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4.4.4.5 Liturgische Elemente: Gebet, Fürbitte, Fasten im Dienste der Heiligkeit
Das Gebet –wie wir schon gesehen haben (4.4.1.)– ist der Rahmen der biblischen Predigt innerhalb des liturgischen Ablaufs. Hier beschreiben wir nun Form und Inhalt dieser Konversation mit
dem Herrn:
Das Gebet besitzt einen übernatürlichen Charakter, d.h. das korrekte Gebet geschieht durch göttliche Offenbarung (1) und aus Glauben (2).
Das Gebet ist für die wahre Realisierung des Amtes, „das uns Gott […] gegeben hat“260, notwendig, denn in der lebendigen Beziehung zu Gott kann die Furcht der Niederlage besiegt werden.
Außerdem drückt es die gesamte Freude aus, die der Pfingstler durch die kommunikative Gemeinschaft mit dem Herrn empfindet.261
Das Gebet zeigt sich in verschiedenen Formen und Inhalten:

Bittgebet...
...um die Restauration der Kirche262.
...einer Mutter, um die Besserung ihrer Söhne, die ein schlechtes Zeugnis für die Kirche sind263.
...um die Hilfe Gottes – Gott möchte gebeten werden264.
...um die Kollekte und den Zehnten265.

Dankgebet...
...für die Zeiten der Bewährungsproben266.
...für die Gnade267.

Gebet des Heiligen Geistes
...um die Zungenrede268.
...um die geistliche Manifestation269.
...um die Heiligkeit270.
...um etwas Übernatürliches im Leben zu fühlen271.
Die Predigt “Milagro und sanidad” von Pedro Santo, S. 13.
Vgl. die Predigt “Ataque und paciencia” von Edit Salamanca, S. 12.
262 Vgl. die Predigt “La renovación de la Iglesia” von Br. Alberto, S. 6.
263 Vgl. die Predigt “Fe durante el tiempo de angustia” von Pedro Díaz, S. 3.
264 Vgl. die Predigten “Promesas de Dios contra las tentaciones”, S. 14, “Casa de Dios”, S. 6 und “El deseo profundo del hombre”, S. 1 von Pedro Santo.
265 Vgl. die Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 7.
266 Vgl. die Predigten “Promesas de Dios contra las tentaciones” von Pedro Santo, S. 14 und “Ataque und paciencia” von Edit
Salamanca, S. 14.
267 Vgl. die Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 6.
268 Vgl. die Predigten “La Boda”, S. 3 und “El nuevo nacimiento”, S. 3 von Pedro Díaz.
269 Vgl. die Predigt “La segunda venida de Cristo” von Pedro Santo, S. 4.
270 Vgl. die Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 1.
260
261
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Das Gebet für andere Menschen (Kranke, Ungläubige etc.) führt uns zum Thema der Fürbitte.
Durch den Heiligen Geist ist der Mensch fähig, zu Gunsten anderer Menschen Fürbitte zu halten.272 Gott nutzt seine Geschöpfe –die menschlichen Wesen–, so dass einer nicht wissen muss,
ob er von Gott gebraucht wird.(3)
Die Adressaten der Fürbitte sind meistens die Kranken273, damit sie gesund werden-, und die verlorenen ungläubigen Seelen274, damit sie sich zum Herrn bekehren (Verbindung Mission und Gebet, s.u.). Es werden auch in einzelnen Fällen konkrete Beispiele innerhalb der Predigt genannt.(4)
Das Fasten ist eine Praxis, durch die der Gläubige sich in der Heiligkeit des Herrn festigt, und
zwar abgeschieden von den säkularen sündhaften Dingen der Welt, die ihm nicht erlauben, eine
tiefgehende Gemeinschaft mit dem Herrn zu führen.(5)
Es wird mit/ für konkrete(n) Anliegen gefastet, wobei darauf vertraut wird, dass Gott den Menschen Wohlstand schenkt.275
Die liturgisch-kultischen Praktiken, die sich aus den Predigten wahrnehmen lassen, zielen auf die
Heiligkeit –auf den heiligen Ort der Kirche– der die Reinheit darstellt (s.o.) und aufgrund seines
Wesens ein heiliges Verhalten fordert.(6)
Allein das in Heiligkeit gelebte Leben des Menschen vor dem Herrgott bedeutet in wahrhaftiger
Gemeinschaft mit IHM zu leben.276 Aufgrund dessen müssen die wahren Kinder Gottes in Heiligkeit und Purifikation277 leben und sich nicht durch Ungehorsam, der seit Beginn der Schöpfung
besteht (7), in den sündhaften Verirrungen dieser Welt verlieren. Die Heiligkeit muss gegen die
Bosheiten des Teufels bewahrt werden.
Hier zeigt sich der unerlässliche Wert des Gebets, der Fürbitte, des Fastens (und auch der Nachtwache), um ein Leben in der Purifikation mit Blick auf die perfekte Heiligkeit unter göttlicher
Führung zu leben.
Zitate zur Vertiefung
(1)
„Gebet besteht nicht nur darin, die Gefühle spielen zu lassen. Das Gebet ist
nicht natürlich, sondern übernatürlich. […] Gebet [realisiert sich] allein durch OfVgl. die Predigt “Renovación de la Iglesia” von Br. Alberto, S. 2.
Vgl. die Predigt “El deseo profundo del hombre” von Pedro Santo, S. 7.
273 Vgl. die Predigten “El ayuno” von Mario Carpago, S. 8, “Milagro und sanidad” von Pedro Santo, S. 5.
274 Vgl. die Predigten “Jesús – el Salvador” von Pedro Santo, S. 6.
275 Vgl. die Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 10.
276 Vgl. die Predigt “El pecado” von Albino Rojas, S. 8.
277 Vgl. die Predigt “La tentación” von Teofran Aran R., S. 2.
271
272
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fenbarung. Dies ist das korrekte Gebet“ (Predigt “La salvación personal”, Jonatan
Cruz, S. 93).
(2)
„[…] die Person, die beten wird, muss Glauben besitzen, Amen. Die Person, die
für jemanden Fürbitte halten wird, muss auch Glauben besitzen, weil sie sonst verschlossen ist, Amen“ (Predigt, “Los dones espirituales”, Pedro Santo, S. 13).
(3)
„Gesegnet sei der Herr, halleluja. Es ist Zeit, daran zu erinnern, wie viele Män-
ner und Frauen für jeden einzelnen von uns Gebet halten. Vielleicht wissen wir nicht,
aber Gott hat den Mann oder die Frau […] genutzt, um für dich und mich Fürbitte zu
halten.“ (Predigt “Renovar la visión de la Iglesia” von Mis. Peruana, S.1).
(4)
„Ich mache es für meinen Bruder […]. Ich begann Fürbitte zu halten und nach
einiger Zeit schickte mir mein Vater Karten, in denen er mir von meinem Bruder berichtete und ich sagte ihm, dass ich schon angefangen hätte, zu beten und Fürbitte für
ihm zu halten“ (Predigt “Fe durante el tiempo de angustia” von Pedro Díaz, S. 7).
(5)
„Ohne zu Fasten, gibt es keinen Wandel im Menschen. Fasten ist nicht nur auf
die Knie nieder fallen, sondern es bedeutet, Dinge zu lassen und sich von ihnen zu
trennen, die keine intensive Kommunion mit Gott erlauben“ (Predigt “El ayuno”, Mario Carpago G., S. 1).
(6)
„Wir wissen, wenn wir das heilige Wort erwähnen, dass dies etwas Vergange-
nes, Abgeschiedenes, von exklusivem Gebrauch bedeutet. Dies will es sagen und die
Kirche ist heilig für den Herrn, stimmt’s?“ (Predigt “Casa de Dios” von Pedro Santo,
S. 1).
(7)
„Seit Anfang an waren die Menschen ungehorsam. Adam und Eva waren in der
Heiligkeit bis es dem Teufel nicht mehr gefiel. Der Teufel wird immer auftauchen, er
wird immer kommen, um zu zerstören” (Predigt “El gran mandamiento” von Anselmo Rios, S. 101).
4.4.4.6 Mission und Evangelisation
Die Mission wird in erster Linie als Evangelisation der Menschen (Hauptmotiv278) verstanden,
d.h. die Menschen zu Jüngern machen (Mt 28) und ihnen „von der Erlösung Jesu Christi“279 be-
278
279
Vgl. die Predigt “La restauración” von Pedro Santo, S. 5.
Die Predigt “Misión” von Br. Celestino, S. 5, siehe auch die Predigten “La segunda venida de Jesucristo”, S. 2 und “Las promesas de Dios contra las tentaciones”, S. 12 von Pedro Santo.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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richten. Die Mission –missio Dei“280- bedeutet für den Pfingstler von „Ich habe Gott“281 zu sprechen, mit anderen Worten die persönlich erlebte Erfahrung mit dem Herrn Jesus, mitzuteilen, und
auf diese Weise den Segen Gottes an die verschiedensten Orte in der Gesellschaft zu tragen.
„Das prophetische Wort“ wird von den Gläubigen „erfüllt vom Heiligen Geist“ zu den Menschen
getragen.282 Auf diese Weise sind die Christinnen/ Christen (privilegierte) „Botschafter des
Herrn“283. Es ist keine von außen kommende Obligation, evangelisieren zu müssen, sondern es
handelt sich um die innere Empfindung der Erfüllung des Heiligen Geistes, die der Gläubige in
seinem Inneren verspürt, sich stark fühlt, so dass er diese frohe Botschaft nicht verschweigen
kann.(1)
Dieser innerlich empfundene Antrieb ist begründet in dem Willen des Herrn, der den Menschen
Mut verleiht, dieser neuen Vision zu folgen und sie als Licht in die Welt hinaus zu tragen, um
den Mitmenschen die Möglichkeit zu gewähren, Teil dieser Vision zu werden.(2)
Der Herr schickt uns –befiehlt uns (imperativer Auftrag)-, damit wir seine Botschaft durch unser
eigenes Leben verkündigen.284
Selten erscheint die soziologisch-kulturelle Dimension der Mission, z.B. wenn die missionarische
Arbeit aus der Perspektive der Erziehung -verstanden als Unterricht- darauf ab zielt, alle Bereiche
der Gesellschaft zu durchdringen und auf diese Weise die Vision eines christlichen Staates entstehen zu lassen.(3)
Die Mission, weil sie schwerpunktmäßig Evangelisation ist, richtet sich vor allem an die ungläubigen säkularen Menschen, die noch immer in den Verstrickungen der Welt lebend die Erlösung
Christi benötigen.285
Die Predigenden erzählen regelmäßig Zeugnisse, um ihr (meistens erfolgreiches) Amt („ministerio“) als Evangelist, Missionar etc. der Öffentlichkeit zu präsentieren.(4)
Das Lebenszeugnis an sich ist wichtig. Es spiegelt das moralische Verhalten des Gläubigen (Leiter oder Laie), der gesamten Kirche und ihrer Einstellung zur Evangelisation der Bedürftigen
wieder. Es wird von den Pfingstlern auch als Verkündigung des Wortes Gottes in der Welt verstanden und formt somit einen wichtigen Teil der missionarischen Evangelisationspraxis.(5)
Die Verantwortung, die Botschaft gegen die irdischen Versuchungen in die Welt hinaus zu tragen, wird durch das Gebet begleitet.286 Jeder gläubige Mensch ist in der kirchlichen Vision verDie Predigten “Los dones espirituales”, S. 10 und “La restauración”, S. 2 von Pedro Santo.
Die Predigt “La limpieza del Espíritu Santo” von Mario Carpago G., S. 4.
282 Vgl. die Predigten “Ser lleno del Espíritu Santo”, S. 3 und “El deseo profundo del hombre”, S. 3 von Pedro Santo.
283 Die Predigt “La restauración” von Pedro Santo, S. 6.
284 Vgl. die Predigt “Evangelismo” von Pedro Santo, S. 4.
285 Vgl. die Predigt “Misión” von Br. Celestino, S. 5.
280
281
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
antwortlich in persönlicher Mission verlorene Seelen zu gewinnen. Hier zeigt sich die quantitative Tendenz der missionarischen Ausrichtung, deren Erfolg die Pfingstler an der Anzahl der zu
Christus bekehrten Seelen messen.287
Im Gesamtbild zeigt sich, dass die missionarische Evangelisation in der pfingstkirchlichen Arbeit
einen grundlegenden Wert hat. Diese Bedeutung wird in den Predigten deutlich zum Ausdruck
gebracht.
In der Kirche der AdD in Moquegua wird die Evangelisationsaktivität der Geschwister durch
„Besuchskarten“ kontrolliert, in Tacna wird hinter den Gefängnismauern evangelisiert und Arequipa wird, nach Meinung des Pf. Anselmo Rios, während er den bekannten argentinischen
Evangelisten Dante Grebel ankündigt, die Stadt Gottes sein.288
Die kerygmatisch beobachtete Bedeutung zeigt sich hier in praktischer Umsetzung in den drei
größten Kirchengemeinden der AdD in der Südregion Perus.
Zitate zur Vertiefung
(1)
„Wir können nicht lassen zu sagen, was wir gesehen haben. Wir können es nicht
lassen. Wir müssen es sagen […]“ (Predigt “Los dones espirituales”, Pedro Santo, S.
12).
(2)
„Der Herr ermutigt uns, Personen zu sein, die andere bewegen, diese Vision zu
haben […]”(Predigt “La vista sin visión”, Edit Salamanca, S. 9).
(3)
„So geht nun bitte die Jünger in allen Ländern zu lehren. Wenn ER darüber
spricht, Jünger zu machen in allen Ländern, Brüder, sagt ER, dass das Objekt, das
Ziel, die Vision Gottes ist, dass alle Länder christlich seien. Und wenn die Länder
christlich sind, dann können christliche Regierungen kommen. Wie sollten die Sünder
sein? Christlich […]. Wie sollten die Menschen sein, die in den Kommunikationsmedien arbeiten? Christlich? Brüder, in allen Bereichen und Institutionen [sollen sie
christlich sein], damit sie Gott die Ehre geben. Amen. Dies, Geschwister, ist das Ziel
des Volkes Gottes. […]“ (Predigt “El problema de la sociedad”, Silvia Díaz Q., S.
77).
Vl. die Predigten “Cambios en nuestras vidas” von Feliz Palomi, S. 6, “Evangelismo” von Pedro Santo, S. 3, “Renovación de la
Iglesia” von Br. Alberto, S. 5 und “Misión” von Sch. Glady Sánchez, S. 107.
287 Vgl. die Predigten “Cambios en nuestras vidas” von Feliz Palomi, S. 6, “Evangelismo” von Pedro Santo, S. 3, “Renovación de
la Iglesia” von Br. Alberto, S. 5 und “Misión” von Mis. Glady Sánchez, S. 107.
288 Vgl. die Predigten “Prosperidad” von Pedro Díaz, S. 4, “El pecado” von Pedro Santo, S. 4 und “El gran mandamiento” von Anselmo Rios, S. 104.
286
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
(4)
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Ulrike Sallandt
„Ich habe die Ehre des Herrn in sieben Ländern erobert. Ich habe dort gepre-
digt in Enlace [peruanisch-christlicher Fernsehkanal], in den Radios im ganzen
Land, Brüder. Der ein und andere hat mich interviewt. […] In Lima war ich in dem
Hotel Crillon. Ich war dort [auch] in einem noch größeren […]. […] Dort in Lima
war ich in den Stadien, […], Brüder, ich habe [den Menschen] das Wort des Herrn
gebracht. Ehre sei Jesus. Die Zeit ist gekommen, dass das Volk seinen Sohn [den
Prediger] segnet“ (Predigt “La limpieza del Espíritu Santo” von Mario Carpago G.,
S. 2).
(5)
„[…] Nicht nur der, der hier vorne steht ist der, der predigen wird, sondern
auch der, der [die Botschaft] seinem Nachbarn, seinem Freund, seinem Arbeitskollegen mitteilt, [oder] seinem Studienkollegen. Dort predigt auch er das Wort des
Herrn, Amen. Und wir, die wir predigen, müssen ein gutes Zeugnis abgeben. Wenn
wir hier predigen und kein gutes Zeugnis mit der Nachbarschaft haben, stell dir vor,
wie wir uns zeigen, also, dass es uns nicht passieren möge […]“(Predigt “Comunión
con Cristo”, Mis. aus Colombia, S. 5; vgl. auch die Predigten “Casa de Dios”, S. 8,
“Dualismo – manifestación del diablo”, S. 4, Pedro Santo und “El gran mandamiento”, Anselmo Rios, S. 104).
4.4.4.7 Kosmovision
Die Welt unterteilt sich in die moderne säkulare Weltwirklichkeit und die heilig-kultische Kirche.
Diese qualitative Differenzierung wird in den Beschreibung der Pfingstler über ihre Beziehung
„nach außen“ deutlich.(1)
Die Gläubigen sollen den „Handel des Himmels“ praktizieren, damit die sich zu Christus bekehrten Menschen in dem Reich des Lichtes leben.
„Wir befinden uns in dieser Welt, aber wir sind nicht von dieser Welt“289.
Dieser Ausdruck beschreibt kurz und präzise sowohl die Unterscheidung, als auch die Beziehung,
die zwischen Welt und Kirche von Seiten der Pfingstler gemacht wird. Infolgedessen trennt man
sich von den heidnischen Traditionen wie zum Beispiel Halloween290 und der Volksreligiösität
289Die
290
Predigt “Clonación” von Jenny Mendoza, S. 5, auch die Predigt “Jesús – el Salvador” von Pedro Santo, S. .2. 8.
Die Predigt “La bendición que das” von Jenny Mendoza, S.3ff..
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
der Gesellschaft (katholischer Kontext)291, um in dem Licht und nicht in der Finsternis zu leben
und sich somit die Erlösung in Christus zu bewahren.292 (2)
Zur Folge wirken die weltlichen Lösungen nicht mehr, sondern im „Glauben aus Weisheit“293
muss in der Nähe zu Gott gelebt werden, immer in bewusster Vorsicht, „damit nicht verursacht
wird, dass andere in die Welt zurückkehren“294.
Die evangelischen Pfingst-Christinnen/ Christen sind anders als der Rest der Welt295. Sie leben in
Abgrenzung zur säkularen Welt in Heiligkeit und Purifikation.(3) In diesem Lebensethos erscheinen die Versuchungen der Welt als Bewährungsproben zur Erlangung geistlicher Reife.(4)
So gelten z.B. Freizeitvergnügen, Drogen, alkoholische Getränke296 als Hindernisse auf dem
Heilsweg.
Diese durchscheinende Überlegenheit auf evangelischer Seite in Richtung auf die persönliche Erlösung hin begründet die schon erwähnte qualitative Klassifizierung des Restes der Menschheit,
d.h. mit anderen Worten der verlorenen Seelen297.(5)
Wo zeigt sich der Unterschied in der phänomenologisch-wahrnehmbaren Welt?
Der Unterschied entsteht in dem beschriebenen Leben im Heiligen Geist, anstatt im sündigen
Leib.298 Der Gläubige sieht sich mit den Waffen, die Gott IHM gegeben hat, in einer Situation
des geistlichen Kampfes (vgl. Epheserbrief).(6)
Der Kampf richtet sich gegen die Versuchungen der Welt, nämlich gegen Satan, der sich vor allem in einer personifizierten Form zeigt299.(7)
Satan, eine machtvolle Person, verbindet sich mit den Menschen in dieser Welt (satanischer
Bund), um seine Macht mit dem Ziel auszuweiten, am Ende der Tage die Weltregierung zu besitzen. Hier kündigt sich das so genannte Reich des Antichrist300 an.
In der Überzeugung der Pfingstler nähert er sich den Gläubigen, um ihnen den Segen des Herrn
zu rauben.301 In der Gestalt des Satans oder Teufels agiert er an allen Orten, teilweise im Bündnis
mit Menschen, immer auf der Suche, sie negativ zu beeinflussen.302
Die Predigten “Milagro und Sanidad” von Pedro Santo, S.7-9 und “Rebelión del pueblo de Dios” von Luis Galazo, S. 8.
Die Predigt “Renovación de la iglesia” von Br. Alberto, S. 3.
293 Die Predigt “La fe” von Joel Castillón, S. 35.
294 Die Predigt “Llamamiento y ser escogido” von Josefa Marrón, S. 69.
295 Vgl. die Predigten “Calidad total” von Pedro Díaz, S. 8, “Promesa de Dios contra las tentaciones” von Pedro Santo, S.4.12, “El
amor” von Miguel Angel, S. 13, “Abraham” von Jonatan Cruz, S. 27, “Tenemos que ser una iglesia pentecostal” von Joel Castillón, S. 7.
296 Vgl. die Predigt “el nuevo nacimiento” von Pedro Díaz, S. 6.
297 Vgl. die Predigten “La restauración”, S. 3, und “Jesús – el salvador”, S. 3 von Pedro Santo.
298 Vl. die Predigt “Jesús – el salvador”, S. 9.
299 Vgl. die Predigten “Promesas de Dios contra las tentaciones” von Pedro Santo, S. 5, “El ayuno”, S. 3f. und “La limpieza del
Espíritu Santo”, S. 3 de Mario Carpago G..
300 Vgl. die Predigt “Salmo 143, 10” von Co-Pf. Alberto, S. 3, auch die Predigt “La bendición que das” von Jenny Mendoza, S. 5;
vgl auch Fn. 188.
291
292
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Satan kann sich auch in eine Versuchung für die Augen der Menschen verwandeln303, fähig, Nester in den menschlichen Herzen zu bauen304. Er nimmt in den materiellen Dingen, die die Menschen zerstören, Gestalt an.305
In der Vorstellung und Überzeugung der Pfingstler existieren viele große Versuchungen, die den
Menschen der Gefahr aussetzen, vom Weg abzukommen.306 Die Sünde –so der feste Glaube- ist
es, die „die Menschen entartet, die die Frau entartet. Die Sünde ist es, die die Heranwachsenden
entartet. Die Sünde ist es, Brüder, die die Jugend entartet, die die Menschheit entartet. Dies ist
das Problem heutzutage“307.
In Zusammenfassung zeigt sich eine dualistische Weltauffassung durchzogen von satanischen
teuflischem Charakter des Antichristus, die fordert, sich von der sündhaften Welt zu distanzieren,
um ein geistlich reiches Leben im Kult –in der Heiligen Kirche– zu führen.
Zitate zur Vertiefung
(1) „Jetzt sagt euer dem Herrn geweihter Kult, dass ihr euch nicht an die Mode des
Jahrhunderts anpasst. Passt euch nicht an die Mentalität der Menschen an, sondern
verwandelt euch durch die Erneuerung eures Verstandes, damit ihr feststellt, welches
der gute Wille des guten und perfekten Gottes ist“ (Predigt “Calidad total”, Pedro
Díaz, S. 5).
(2) „Es heißt, dass diese Traditionen häufig das Wort Gottes annullieren. Die Welt
besitzt viele Traditionen, die Welt hat viele Gewohnheiten, die Welt hat viele Gefühlserregungen […]“(Predigt “Peligro de la religiosidad en el cristianismo”, Josefa
Marrón, S. 12).
(3) „Wie viele sagen Amen? […] Brüder, immer hat es mir gefallen zu fasten, mich
dem Gebet zu widmen, […]. Der Herr sagt, suche mich mehr –aber ich bin immer
dabei– suche mich mehr. Und so muss ich Gott noch mehr suchen, aber es heißt:
Vgl. die Predigten “No temas” von Pf. Eulogio, S. 5, “Renovar la visión de la iglesia” von Mis. Peruana, S. 2, “Sanidad und
Oración” von Pastora (Moq), S. 8.
302 Vgl. die Predigt “La tentación” von Teofran Arana R., S. 5., vgl. auch die Predigt “La fe – una exigencia para el creyente” von
Feliz Palomi, S. 13.
303 Vgl. die Predigt “La tentación” von Teofran Arana R., S. 7-9.
304 Vgl. die Predigt “Peligro de la religiosidad en el cristianismo” von Josefa Marrón, S. 21.
305 Vgl. die Predigt “Prosperidad” von Pedro Díaz, S. 3.
306 Vgl. die Predigten “La tentación” von Teofran Arana, S.3.7.11, “Promesas de Dios contra las tentaciones” von Pedro Santo, S.
2.
307 Die Predigt “El pecado” von Pedro Santo, S. 3; die Definition der Sünde: “Sünde, Bruder, in der Bibel, die Definition der Sünde
ist die Übertretung des Gesetzes, [...], Sünde bedeutet [...], Sünde bedeutet Schuld, Sünde bedeutet Ungerechtigkeit, Sünde
bedeutet das Böse, Sünde bedeutet Beleidigung und bedeutet auch Übertretung”, S. 5.
301
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wenn der Gerechte mit Schwierigkeiten gerettet wird, dann: wo bleibt der Sünder und
der Ungläubige? Bruder, darum heißt es […]:
„Nähert euch, sucht mehr nach Gott? Wie viele sagen Amen?“ (Predigt “El pecado”,
Albino Rojas, S. 3).
(4) „Wie viele möchten Versuchungen, Bewährungsproben haben? Aber manchmal
brauchen wir sie. Wozu? Um spirituell zu wachsen, um eine christliche Persönlichkeit
zu haben, um ein Kind Gottes zu sein“ (“Promesas de Dios contra las tentaciones”,
Pedro Santo, S. 5).
(5) „Ein Sohn Gottes ist nun in einem neuen Niveau. Er ist nicht mehr in einem geringen Niveau der Welt, der Sünde, sondern er befindet sich auf hohem Niveau, Brüder, [auf dem Niveau] des Heiligen Geist Gottes, [denn] nun haben sie einen frischeren Verstand“ (Predigt “La restauración”, Pedro Santo, S. 12).
(6) „Es ist der Feind, darum haben wir Versuchungen, […], die Versuchungen, die
wir haben kommen durch den Leib. Der Leib, die leiblichen Sehnsüchte;[…], der
Wunsch der Welt, ihr wisst dies sehr gut, der Wunsch der Welt. Wie siehst du die
Welt, ihre Gewohnheiten? Drittens: es ist der Teufel selbst? Ja oder nein? Und ich
glaube, dies ist der Kampf, den wir Christen regelmäßig führen, […]“ (Predigt
“Promesa de Dios contra las tentaciones”, Pedro Santo, S. 9, vgl. auch Predigt “Ser
lleno el Espíritu Santo”, ders., S. 4).
(7) „Es war ein Mensch, Doktor, Polizist, Krankenschwester, Ingenieur. Es gibt von
allen welche, die Kontakte mit dem Satan haben. Es gibt Handelsunternehmer, die
kommen um dem Satan ihre Kollekte zu geben, […] wie auch in anderen Bereichen,
die Kontakt mit dem Satan haben. Handelsunternehmer, Männer, Brüder, die einen
guten Ruf haben,[…], die […] einen Bund mit dem Satan haben, […] wir Brüder
müssen in diesem geistlichen Krieg gehen, wir müssen beten, Brüder, damit diese satanische Gegenwart vorbeigeht und die Kirche beginnt [im Heiligen Geist] zu fließen“308.
308
Die Predigt “Jesús – el salvador” von Pedro Santo, S. 5.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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4.4.4.8 Anthropologie
Der ganzheitliche Mensch ist Körper, Seele und (vor allem) Geist. 309 Aufgrund seiner eigenen
egoistischen/ egozentrischen Natur310 vergisst der Mensch die Geistlichkeit311, indem er sich dem
Heiligen Geist gegenüber verschließt.312 Aufgrund dieser Rebellion gegen Gott313 nutzt der
Mensch den reichen Segen nicht, den Gott ihm anbietet.314 Es mangelt ihm an Wissen, den Glauben auf sein Leben anzuwenden.315 Seine Perspektive distanziert ihn von Gott. Als autonom handelnder Mensch folgt er seinem eigenen freien Willen, wobei er den Schutz, in Christus316 errettet
zu sein, ablehnt, weil er mehr in seine als in die Heilsgeschichte Gottes mit der Welt eingebunden
ist.
Der Ursprung dieser Realität ist der Sündenfall des Menschen, der das Böse, die Schwäche in
seinem Inneren, manifestiert hat.317 Infolgedessen ist der Mensch ein Wesen mit Bosheit in seinem Inneren, zweifelnd, anstatt fest im Glauben zu stehen318:
„Der Gegensatz des Glaubens ist Zweifel, […] weil der Glaube Gewissheit ist. Der
Glauben ist Sicherheit. Der Gegensatz der Sicherheit ist Unsicherheit. Synonym der
Unsicherheit ist Unschlüssigkeit. Unschlüssigkeit ist Zweifel“319.
Dieses Zitat veranschaulicht, dass der zweifelnde Mensch sich auf dem Weg des Untergangs befindet. Aufgrund der mangelnden geistlichen Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus Christus, folgt
der Mensch seiner schwachen Leiblichkeit (1), indem er unbewusst auf dem Weg des Todes fortschreitet.
Der Mensch erscheint in den Predigten vor allem aus der biblisch-johanneischen Perspektive, Joh
3, 19:
„Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse“320.
Vgl. die Predigt “La salvación personal” von Jonatan Cruz, S. 93, ebenso die Predigt “Ataque und paciencia” von Edit Salamanca, S. 9.
310 Vgl. die Predigt “Prosperidad” von Pedro Díaz, S. 5.
311 Vl. die Predigt “Jesús – el Salvador” von Pedro Santo, S. 2, ebenso die Predigt “Llamamiento und ser escogido” von Josefa
Marrón, S. 66.
312 Vgl. die Predigt “No temas” von Pf. Eulogio, S. 5.
313 Vgl. die Predigt “Ayuno” von Mario Carpago G., S. 1.
314 Vgl. die Predigt “Dar gracia a Dios” von Br. Juan, S. 7.
315 Vgl. die Predigt “La fe – una exigencia para el creyente”, S. 5.
316 Vgl. die Predigt “La obra de la trinidad en la salvación” von Pedro Díaz, S.7ff., vgl. auch bzgl. des freien Willen die Predigt
“Casa de Dios” von Pedro Santo, S. 2.
317 Vgl. die Predigt “Rebelión del pueblo de Dios” von Luis Galaza, S. 6.
318 Vgl. die Predigt “Promesas contra las tentaciones de Dios”, S. 4, ebenso die Predigt “La fe – una exigencia para el creyente”
von Felix Palomi., S. 6.
319 Die Predigt “Ataque und paciencia” von Edit Salamanca, S. 8.
320 Vgl. die Predigt “Dualismo – manifestación del diablo” von Pedro Santo, S. 1.
309
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Die Menschen, so die tiefe Überzeugung der Pfingstler, brauchen ein Leben im Glauben, d.h. ein
Leben des Sieges.321 Es wird eine radikale Umkehr benötigt, wie es in dem bekannten Hymnus
heißt:
„Alles was in mir ist, muss gewandelt sein, Herr,“322. Der Mensch erlebt die Erneuerung seiner
persönlichen Beziehung zu Gott in dem er seine Sünden bekennt.323 (2)
Zu Gunsten dieses radikalen Wandels muss der Mensch der Buße vor und der Versöhnung mit
Gott mehr Bedeutung beimessen, indem er das barmherzige Wort Gottes324 mit einer offenen
Einstellung empfängt.325
Wie kann der Mensch dieses Lebensniveau erlangen?
Im Glauben und Vertrauen, sowie mit der Sprache des Glaubens -dem Gebet- und mit der Sprache vom Glauben -der Verkündigung-, besitzt er die Mittel gegen die Versuchung der Welt zu
wehren und göttlich zu leben. (3)
Die Einstellung des Gehorsams schafft den Widerstand gegen den Teufel. 326 Der Glaube bedeutet
in dem menschlichen Leben aus absoluter Überzeugung327 heraus Sicherheit, Vertrauen und ermöglicht „den Kurs des […] Schicksals zu ändern“328. Hören auf das Wort Gottes und Tun desselbigen charakterisiert den Weg des Gläubigen, der auf diese Weise als gehorsames Instrument
Gottes auftritt.329
In diesem Zustand der Sicherheit mit Gott, ist der Gläubige fähig, inmitten der Bewährungsproben in der säkularen Welt treu zu sein.330 Das absolute Vertrauen in den Herrn siegt über die
Furcht und die anderen körperlichen Schwächen, die im Kontext „Welt“ begünstigt werden. Der
Mensch kann in diesem Zustand an die unsichtbaren Dinge des Reiches Gottes glauben.
Im Vergleich mit anderen Menschen besitzen die Christinnen und Christen durch Gott eine höhere innerliche Qualität331 und infolgedessen die Verantwortung, diese Botschaft -die Prinzipien
Gottes, nämlich die für sie einzige Wahrheit für/ in die/ der Welt-, der gesamten Menschheit zu
berichten.332
Vgl. die Predigt “La fe – una exigencia para el creyente” von Felix Palomi, S. 11.
Die Predigt “La alabanza a Dios” von dem Diakon (TAF), S. 6.
323 Vgl. die Predigt “Evangelismo” von Pedro Santo, S. 8.
324 Die Predigt “Cambios en nuestras vidas” von Felix Palomi, S. 2.
325 Vgl. die Predigt “Dar las gracias a Dios” von Br. Juan, S. 4.
326 A.a.O., S. 15.
327 Vgl. die Predigt “Milagro und sanidad” von Pedro Santo, S. 13.
328 Die Predigt “La vista sin visión” von Edit Salamanca, S. 12.
329 Vgl. die Predigt “El amor” von Miguel Angel, S. 3-10.
330 Vgl. die Predigt “La fe” von Joel Castillón, S. 34.
331 Vgl. die Predigt “Cómo pueden ser jóvenes hijos de Dios” von Joel Castillon, S. 82.
332 Vgl. die Predigt “El problema en la sociedad” von Silvia Díaz Q., S. 73f..
321
322
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Demnach sind die Menschen Mitarbeiterinnen/ Mitarbeiter und Werkzeuge Gottes in seiner
Schöpfung.333 Diese Funktion erzeugt manchmal den Eindruck, dass Gottes Werke von der Einstellung des Menschen abhängen (pelagianische Tendenz)334. Auf diese Weise spiegelt es sich
sichtbar wieder, dass die Menschen Kinder Gottes sind, im Geist verwandelt335, geschaffene
Ebenbilder und Samen Gottes336 sowie Ehefrauen des Herrn Jesus Christus bis in Ewigkeit337.
Zitate zur Vertiefung
(1) „Eine Person, die keine Union mit dem Herrn hat, auch wir (Personenwechsel) fühlen
uns unfähig, […] die körperlichen Wünsche zu kontrollieren, weil wir unbedingt die Fülle
des Heiligen Geistes in uns brauchen, Amen?“ (Predigt “Ser lleno del Espíritu Santo” von
Pedro Santo, S. 3).
(2) „Wir sind sehr schlecht, um zu verstehen. Wir benötigen [es], zu den Heiligen Schriften
zurückzukehren. Wir müssen Reue bekennen. Wir brauchen die Versöhnung mit Gott. Ehre
sei seinem Namen!“ (Predigt, „Avivamiento“, Pedro Santo, S. 8).
(3) „Also, wenn wir in Gott vertrauen, können wir den Versuchungen wehren. So, wenn sie
versucht werden, Brüder, Schwestern, jetzt ist die Zeit, dass sie vertrauen. Das ist das Vertrauen in Gott, Brüder, wir reden vom Glauben, wir reden vom Glauben“ (Predigt, “Promesas de Dios contra las tentaciones” Pedro Santo, S. 4).
4.4.4.8. Sozialethik
Die Dimension der Sozialethik zeigt sich in den ausgewählten Predigten nicht auf eine intensive
Art und Weise, d.h. mit anderen Worten spiegelt sich keine umfangreiche Ethik wieder. In einigen Fällen wird die folgende Verbindung beobachtet: zunächst das geistliche Tun und als Folge
das sozial ethische Handeln:
„Frucht eines guten Fastens […][ist] Teilen Brüder […]. Eine gute Frucht ist, wer
sein Brot mit dem Hungrigen teilt“338.
In einem anderen Augenblick ist die geistliche Verfassung eines Neubekehrten Orientierungsmaßstab für das ethische Verhalten:
Vgl. die Predigten “Promesas de Dios contra las tentaciones”, S. 16, “Milagro und Sanidad”, S. 2 von Pedro Santo und “Cambios en nuestras vidas” von Feliz Palomi, S. 5.
334 Vgl. die Predigt “La fe – una exigencia para el creyente” von Feliz Palomi, S. 12.
335 Vgl. die Predigt “La limpieza del Espíritu Santo” von Mario Carpago G., S.4f..
336 Vgl. die Predigten “Salmo 143, 10” von Co-Pf. Alberto, S. 2 und “Renovación de la visión de la iglesia” von Mis. Peruana, S. 1.
337 Vgl. die Predigt “Ataque und paciencia” von Edit Salamanca, S. 1.
338 Die Predigt “El ayuno” von Mario Carpago G., S. 9.
333
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„Wir wissen nicht, ob wir Beispiel für andere sind. Das christliche Verhalten zu verlieren bedeutet den Respekt vor den neu Konvertierten durch unseren Sündenfall zu
verlieren“339.
Der moderne Fortschritt, „neue“ gesellschaftliche Phänomene (z.B. Homosexualität), das Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft wird in den meisten Fällen aus der Überzeugung heraus abgelehnt, dass es sich gegen Gott richtet:
„Dort entstand das Klonen mit einer positiven Absicht des Menschen, eine Alternative
vorzuschlagen, um die menschlichen Probleme zu lösen, aber in der Kirche kann
nicht die Kühnheit, der Hochmut erlangt werden, menschliche mit animalischen Zellen zusammenbringen zu wollen”340.
Die Predigerin ist eine der wenigen, die –aus dem Fachbereich der Medizin kommend– die gute
Absicht des Menschen erkennt, aber dennoch im Verlaufe ihrer Predigt die ablehnende Perspektive einnimmt.
Das Fernsehen als eine Versuchung für die Augen der Menschen sollte selektiv genutzt werden:
„Dies sehen wir durch die Kommunikationsmedien. Wenn ihr euren Fernseher einschaltet, werdet ihr erkennen, dass der von Korruption erfüllt ist. Aus diesem Grund
müssen wir unser Programm auswählen. Ihr könnt nicht den ganzen Nachmittag und
die ganze Nacht Fernsehen schauen. Nein, als Christen müssen wir wissen, ein- und
auszuschalten, weil die Unmoralität durch die Augen kommt“341.
Die Ethik als eine soziale Verantwortung innerhalb der Gesellschaft zeigt sich nicht, sondern sie
ist durch einen rigorosen Moralismus ersetzt, der durch die dualistische Weltauffassung begünstigt wird.
4.4.4.8.2
Prosperität
Die Prosperität wird zunächst einmal integral verstanden (1), aber in anderen Fällen wird auch
die materielle, machtvolle Seite des Segen Gottes betont (2). Auf diese Weise umfasst die Perspektive der Prosperität stets auch die materielle Seite, die teilweise mit lebensnahen Beispielen
Die Predigt “Llamamiento und ser escogido” von Josefa Marrón, S. 68.
Die Predigt “Clonación” von Jenny Mendoza, S. 4.
341 Die Predigt “El peligro de la religiosidad en el cristianismo” von Josefa Marrón, S. 15; die Realität zeigt das Gegenteil – das
einzige “erlaubte” Vergnügen eines evangelischen Gläubigen ist der Fernseher, so daß er nicht selten den ganzen Tag eingeschaltet ist.
339
340
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konkretisiert wird.342. Bei diesen Beispielen kommt in nicht seltenen Fällen eine kapitalistische
Tendenz zum Ausdruck, die den Willen Gottes mit ökonomisch-wirtschaftlichem Denken verbindet:
„Gott möchte, dass du ein Geschäft hast […] und nicht nur dies, sondern eine Geschäftskette, aber merk dir, wenn du eine Kette kaufst, […], die Arbeit […] bedeutet
dein Segen“343.
Das Rezept der Prosperität verkörpert sich in dem so genannten Gesetz der „Saat und Ernte“. Der
Mensch muss mit seiner Einstellung und seinem Handeln Gott geben (in dem Sinne des Säens),
damit Gott ihm in Fülle antwortet (in dem Sinne, dass der Mensch ernten kann).(3) Die Ernte des
Menschen ist beeinflusst durch sein moralisches Lebenszeugnis. Es besteht ein Kausalzusammenhang zwischen menschlicher Aktion und göttlicher Reaktion, denn wenn der Mensch moralisch dem Willen Gottes gemäß gut lebt, erst dann wird er Göttliches empfangen.(4)
Die Selbstverleugnung um Gottes Willen, nämlich zuerst Gott und sein Reich suchen (Mt 6, 33),
auf diese Weise empfängt der Gläubige in logischer Konsequenz alle Dinge, um die er gebeten
hat und Gott wird (erst dann) unglaubliche und unfassbare Dinge geschehen lassen.344
„Alles, worum du bittest, wirst du erhalten. Zweifel in deinem Geist verkörpert mangelnde Stabilität, du bist nicht überzeugt”345.
An dieser Stelle zeigt sich die schon erwähnte absolute Tendenz des Glaubens. In der absoluten
Glaubensüberzeugung der Pfingstler haben Zweifel und Unsicherheit keinen Ort, denn sie begründen (existenzielle) Unstabilität und stehen dem Geist Gottes feindlich gegenüber. Der
Mensch muss Glauben und absolutes Vertrauen haben und Gott entgegen bringen, um die Reichtümer zu empfangen, um die er gebeten hat. Der Mensch muss sich –auch wenn er nicht möchte–
für den Herrn stärken, damit er den reichen Segen empfängt (=Gesetz der „Saat und Ernte“, s.o.).
Gott verwandelt sich in dieser wirtschaftlichen Dimension der Prosperität in einen Besitzer materieller Reichtümer, der -beschrieben mit Ausdrücken aus dem Bankwesen- in den Predigten als
Darlehnsgeber erscheint.(5)
Insgesamt zeigt sich Gott in der kerygmatischen Verkündigung der Pfingstler als ein Gott, der die
„totale Qualität“, d.h. die Prosperität, die die materiellen Güter impliziert, begründet und schenkt.
Seine Verheißungen umfassen den geistlichen und den materiellen Bereich346, dessen Wachstum
Die Predigt “Calidad total” von Pedro Díaz, S. 9; vergleiche auch die Predigten “La bendición que das” von Jenny Mendoza, S.
7 und “Cambios en nuestras vidas” von Felix Palomi, S. 3.
343 Die Predigt “Guerra Espiritual” von Jonatan Cruz, S. 41.
344 Vgl. die Predigten “Los dones espirituales” von Pedro Santo, S. 15, “La bendición que das” von Jenny Mendoza, S. 9.
345 Die Predigt “La fe” von Joel Castillón, S. 37.
346 Vgl. die Predigten “Calidad total” von Pedro Díaz, S.7f. und “Ser lleno del Espíritu Santo” von Pedro Santo, S. 1.
342
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nicht absolut unter seiner Kontrolle steht, sondern von dem menschlichen Verhalten mit beeinflusst wird. ER bietet „das Beste für [den Menschen]“347, damit Reichtum und nicht Armut auf
der Erde herrschen.
Schließlich muss erwähnt werden, dass die Tendenz der materiellen Prosperität momentan noch
nicht das typische Charakteristikum des Pfingstler-Kerygmas der AdD darstellt. Während diese
thematische Beobachtung eine Bindung mit der Welt darstellt, zeigt die klassische Einstellung
der AdD keine Bindung mit den materiellen weltlichen Gütern, im Gegenteil, sie neigt tendenziell dazu, sie zu dämonisieren.348
Zitate zur Vertiefung
(1)
„[Prosperität ist] in unserem eigenen Wohlstand, in unserem eigenen geistli-
chen Wohlbefinden, in unserer Profession, in unserem materiellen Wohlstand, in unseren sozialen Beziehungen, in unserer Firma, in unserem Amt, in unseren familiären
Verbindungen“ (Predigt “Calidad total” von Pedro Díaz, S. 8).
(2)
„[…] Es gibt Macht im Himmel: in „Zungen-zu-reden“ oder die Bibel zu lesen,
zu beten. Es gibt Reichtümer, Gold, Silber, […] (Predigt “Calidad total” von Pedro
Díaz, S. 5).
„Also Gott verheißt nicht nur allein den geistlichen Segen, der grandios und wunderbar ist, sondern er verspricht auch den materiellen Segen (Predigt, „Prosperidad“,
Pedro Díaz, S. 8).
(3)
„Begib dich in das Werk des Herrn und der Herr wird dich segnen“ (a.a.O.,S 5).
(4)
„Hör mir gut zu, durch ihr [der Menschen] gutes Zeugnis, durch ihr gutes
Zeugnis, sagt die Bibel, empfangen sie. Amen?“ (Predigt “El deseo profundo del
hombre” von Pedro Santo, S. 6).
(5)
„Aber wenn sie in den Herrn investieren, der Herr schuldet jemandem? […] Er
schuldet keinem etwas. Er gibt uns mit Zinseszinsen. Es gibt keine Bank, die sich mit
der Bank des Herrn, mit dem Werk des Herrn vergleichen lässt“ (Predigt, „Prosperidad“, Pedro Díaz, S. 6).
347
348
Die Predigt “Renovar la visión de la Iglesia” von Mis. Peruana, S. 2.
Vgl. die Ausarbeitungen des bolivianischen Pfarrers Mario Mancilla, “Dibujos Animados”.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
4.4.4.8.3 Studium
Lediglich in zwei Predigten wird die Notwendigkeit des Studiums, der biblischen Lehre explizit
erwähnt:
„Die Bibel, heißt es, geht aufgrund des mangelnden Wissens zugrunde. Wir benötigen
also mehr Wissen über das Wort, in diesem Sinne und mehr Studium des Wortes,
Amen”349.
An dieser Stelle wird deutlich von dem rationalen Studium anstatt von der eher spirituellen
Meditation oder Andacht gesprochen:
„Wir sind überzeugt durch das Werk Jesu Christi, aber es ist notwendig, vorbereitet
zu sein, weil nicht alle Personen danach sagen werden, ja, ich glaube an Jesus Christus, sondern wir müssen vorbereitet sein, um das Wort des Herrn über die Erlösung
darzulegen“350.
Gegen die allgemein übliche Ignoranz dem Bibelstudium gegenüber lässt sich hier seine Notwendigkeit beobachten, die mit der Absicht verbunden ist, über das Wort Gottes unterrichten zu
können – es wird über den geistlichen Horizont auf die aktiv-rationale Verantwortung der Christen geschaut. Diese Verantwortung leitet uns zum folgenden Thema der Evangelisation und Mission.
4.5
Die missionarische Vision des Ortsgemeinde
„Wir: Pfarrer, Leiter und Geschwister, die wir verantwortlich sind für den großen
Missionsauftrag, wir nehmen uns vor, Seelen für das Reich Gottes zu gewinnen, sie zu
führen und sie zu taufen in dem Wasser der Taufe”351.
„Richte dich auf, stärke dich und vereine dich mit den Gewinnern der Seelen“ (Mt 28:
19-20; Mk 16: 15-19)”.
So heißt es auf der ersten Seite des Monatsplans (November) des CEM (Centro Evangelístico
Misionero) in der peruanischen Stadt Arequipa. Die Vision der Mission ist deutlich auf den Gewinn der Seelen, d.h. auf den zahlenmäßigen Zuwachs der Gemeinde fixiert.
Die Predigt “Dones espirituales” von Pedro Santo, S. 3.
Die Predigt “La obra de la trinidad en la salvación” von Pedro Díaz, S. 4.
351 Novemberplan 2002 des CEM in Arq, S. 1 über die Vision der Kirche; danach heißt es über die Mission: 1. Januar 2003 (55
Brüder.) “wir sind verantwortlich für die Erlösung der Verlorenen” und am Ende heißt es als eine Ankündigung des Gebetskreises: “Wir befinden uns in dem geistlicher Kampf, in dem wir Fürbitte halten, beten und den siegreichen Segen empfangen.
Komm und sei ein Soldat des Gebets [...]”.
349
350
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Der Plan des Monats November legt sowohl durch seine literarische Form352 als auch durch seinen Inhalt einen spirituellen Akzent. Er beinhaltet keine sozial ausgerichtete Aktivität. Gebet,
Fasten sowie Nachtwache353 bilden den Hauptanteil der Gemeindeaktivitäten. Konkret stand in
diesem Monat die Planung und die Durchführung der großen Kampagne des argentinischen
Evangelisten Dante Gebel in dem Colloseum in Arequipa im Vordergrund. Außerdem wurde der
Vortrag des amerikanischen Pfarrers Larry Gross über das Buch der Apokalypse angekündigt.
In dem Interview mit Pfarrer Anselmo Rios354 klärt sich durch seinen zeugnishaften Beantwortungsstil, was die häufig benutzte Abkürzung BOA bedeutet?
Für den Pfarrer sind die Bibel (=B), das Gebet (=O wie oración) und das Fasten (=A wie ayuno)
die fundamentalen Säulen des christlichen Lebens. Es wird kein Bibelstudium benötigt, auch keine theologische Ausbildung, sondern die persönliche Beziehung mit dem Herrn Jesus Christus,
der die Basis und das Ziel einer jeden Christin/ eines jeden Christen ist.
Ein Leiter, der ein Amt im Radio des CEM innehat, äußerte sich im Interview mir gegenüber auf
folgende Weise dazu:
„Das ist ein wenig die Idee der Heiligkeit, sich abzutrennen, heilig zu sein. Aber
manchmal, wenn jemand diesen Wunsch hat, […] Personen bekehren sich auch zum
Herrn, einer muss sich ihnen gleich machen und vielleicht so sein wie sie, ohne seine christliche Integrität/ Essenz zu verlieren. […] Er bewirkt, dass sich andere zu
dem Weg mit Gott bekehren. Dies ist die Idee, die ich persönlich vertrete“355.
Derselbe Exponent der Apokalypse Pf. Larry Gross aus den Vereinigten Staaten unterrichtete
auch in demselben Monat in der Kirche „CC-Nueva Vida“ der AdD, geleitet vom amerikanischen
Mis. Ronny Mask in Arequipa. Diese Kirche arbeitet mit der Methode der so genannten Anexos
(Tochtergemeinden).356 An den Tagen des Hauptgottesdienstes wird ein großer Anteil der Gemeinde (zum Großteil Kinder) von dem Hilfspastor Isidro Marrón aus dem Stadtteil Ciudad Municipal (Stadtrandgebiet in Arequipa) zur Kirche abgeholt und wieder nach Hause gebracht. Die
meisten Kinder, die einen Teil des kirchlichen Corpus bilden, sind Schülerinnen/ Schüler der da-
Auf den S. 2 und 3 wird folgendes gefragt: Liest du die Bibel? Lies sie immer, sie ist das Brot des Himmels, was dir Glauben
schenken wird; Betest du zum Herrn? Tu es jetzt, such das wunderbare Angesicht des Herrn im Gebet”.
353 Jeden Samstag wird gefastet, montags, dienstags wird für spezielle Anliegen gebetet und der zweite Freitag im Monat wird
Nachtwache gefeiert; vgl. auch bzgl. dieses Themas das Interview mit Albino Rojas, der einen Schwerpunkt in das geistliche
Leben setzt.
354 Vgl. Interview mit Anselmo Rios.
355 Interview mit dem Br. Amado. Anmerk.: Er ist auch der Meinung, dass in der Gemeinde ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen den geistlich-spirituellen und sozialen Aktivitäten besteht.
356 In dieser Zeit hatten sie acht Anexos neben der Hauptkirche in der Av. Aviación km 6,5, Cerro Colorado, vgl. Ankündigungszettel vom 1. September 2002 der CC-Nueva Vida. Andere Kirchen arbeiten mit dem System der Hauskreise wie z.B. die CC
aus Arq., die mehr als 200 Hauskreise hat.
352
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Ulrike Sallandt
zugehörigen Schule. Demnach ist die kirchliche Arbeit mit einem pädagogischen Schulprojekt
und darüber hinaus auch mit der Lebensmittelunterstützung verbunden.357 Es existieren Speisesäle, die in den ärmlichen Regionen am Stadtrand Arequipas täglich günstige Speisen bereiten, wo
die Mehrheit der Gemeinde zu Hause ist. Mit den Worten des Hauptpfarrers Ronny Mask gesprochen:
„Wir haben eine Vision. Wir möchten eine Pfingstgemeinde sein, erfüllt von dem
Heiligen Geist. Wenn wir von der Glaubenslehre sprechen. […] Es gibt vier fundamentale Lehrsätze. Einer ist die Erlösung durch das Blut Christi, der zweite ist die
Erweckung der Kirche, der dritte ist die göttliche Heiligkeit und der vierte ist die
Taufe des Heiligen Geistes verbunden mit der Zungenrede. Dies sind die vier dogmatischen Grundsätze. Es gibt noch andere, aber das sind die grundlegendsten. Also, wir möchten eine Pfingstgemeinde sein, die mit einem offenen Herzen, zu helfen,
[…] heranwächst, um wie ein Krankenhaus zu sein, für diejenigen, die es brauchen.
Hier können wir Heilung empfangen, wir können ihre Erlösung sein. Wir möchten
kein Ort des Namens sein, wir möchten ein Ort der Taten, der Aktionen sein”358.
In der Stadt Tacna im TAF werden seit dem vergangenen Jahr Besuche im Gefängnis durchgeführt. Es hat sich eine Gruppe gebildet, geführt von der Schwester Lizbeth Aguilar, die sich zur
Aufgabe gemacht hat, die Menschen dort zu besuchen, ihnen das Evangelium zu predigen, um
Seelen hinter den Gefängnismauern für Christus zu gewinnen.359 Es kann beobachtet werden,
dass dies die einzige Arbeit außerhalb des Kirchengebäudes ist. Die Gemeinde, geleitet durch den
Pfarrer Pedro Santo, konzentriert sich an erster Stelle auf die Gottesdienste der Woche (vor allem
am Sonntag). Wenn Ankündigungen verlesen werden, die eine sozial ausgerichtete Aktivität haben, zeigen wenige Gemeindemitglieder eine Einstellung der Solidarität und sozialen Verantwortung.360
In der Kirche der AdD in Moquegua legt der Hauptpfarrer Pedro Diaz einen besonderen spirituellen Schwerpunkt. Jeden Tag während der ganzen Woche versammelt sich eine kleine Gruppe der
Gemeinde um 5.00 Uhr morgens, um zu beten. Jeden Sonntag besteht im Anschluss an die Bibelschule die Möglichkeit des gemeinsamen Fastens. Nachtwachen realisieren sich in regelmäßigen
Abständen. Freitagnachmittags wird unter freiem Himmel gepredigt und auf diese Weise das
Evangelium in die Welt hinaus getragen. Die Pastoralarbeit vollzieht sich in Kooperation zwiVgl. die Interviews mit dem Co-Pfarrern Jonathan Cruz und Isidro Marrón.
Vgl. Interview mit Pf. Ronny Mask.
359 Manchmal wurden im Gottesdienst zeugniswürdige Lebensgeschichten präsentiert.
360 Diese Beobachtung beruht auf einer halbjährigen Partizipation: Januar bis Juli 2003.
357
358
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schen dem Hauptpfarrer und den drei Hilfspfarrern361 mittels der Methoden der Bibelkreise (células) und Anexos (s.o.) am Stadtrand von Moquegua. Sichtbar durchgeführte soziale Tätigkeiten
zeigen keine große Bedeutung.
In dem Regionalplan der AdD des Jahres 2003362 heißt es im Bezug auf die missionarischen Vision:
 Die Vision: „Absicht eines integralen Versuches, um ein Wachstum mit den
Schwerpunkten der Evangelisation, der geistlichen Reife und Moral unter Gläubigen
und Familien zu verwirklichen, damit sie durch die Unterstützung der Pfarrer und
[kirchlichen] Mitarbeiter vom Heiligen Geistes erfüllt werden“
 Die Mission: „das Werk Gottes vorantreiben in Stadt und auf dem Land, wobei
auf ein integrales Wachstum der Kirche und der Gruppen der AdD in Peru gezielt
werden soll“.
Ein Vergleich zwischen theoretischer Lehre und Praxis zeigt eine Diskrepanz, die sich in mangelnder Integralität im ekklesiologischen Vollzug der missionarischen Tätigkeit äußert.
Teil III: Hermeneutische und soziologische Perspektive
5. Hermeneutische und soziologische Analyse der Realität der AdD
Als Ausgangsbasis dieses Kapitels dient die im Vorfeld dargestellte kirchliche Realität der AdD
unter Beachtung der bereits umschriebenen geschichtlichen und kontextuellen Situation der protestantischen Kirche(n)/ Denominationen und theologische(n) Einflüsse in Lateinamerika und
speziell in Peru.
Die stark aus dem Ausland beeinflusste protestantische Entwicklung prägte die zunächst zurückhaltenden Ambitionen einer selbständigen kirchlichen und theologischen Entwicklung in Lateinamerika. Kirchliche und theologisch-missionarische Arbeit ließ kulturelle Ignoranz der ausländischen Missionare und eine Art religiöses hierarchisches Abhängigkeitsverhältnis mit den Zielländern ihrer Mission sichtbar werden. So kam es schon seit der Gründung der AdD zu dogmatischtheologischen Konflikten unter den kirchlichen Mitarbeitern.
Der Pfarrer kooperiert mit den Brüdern Alberto und Valentin sowie mit der Schwester X, die sich alle im Prozeß theologischer
Pastoralstudien befinden.
362 Die AdD aus Peru. Südregion Arequipa, Moquegua und Tacna. Regionalplan 2003.
361
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Im Folgenden soll die Realität der AdD, ausgehend von dem Kern ihres Glaubens, der Geisterfahrung, untersucht werden. Dabei soll zunächst der Gottesdienst mit seinen liturgischen Elementen im Vordergrund stehen, um von da aus, d.h. von innen heraus, die beteiligten Personen (Pfarrer/in und Gemeinde) in ihrer Erscheinung und Funktion zu behandeln. In einem weiteren Schritt
werden die Predigt sowie die heilige Schrift, als ihr Gegenstand der Verkündigung thematisiert.
Ziel dieser hermeneutisch-soziologischen Untersuchung ist es, die beschriebene Realität der AdD
in dem Beziehungsgefüge von Geschichte, Gesellschaft und Religion zu verstehen. Es sollen
vermeintliche Zusammenhänge zwischen ihren Erscheinungsformen, der dahinter stehenden
Theologie (Christologie, Pneumatologie, Ekklesiologie) sowie dem lateinamerikanischen Kontext
(hier speziell Peru) aufgedeckt und erklärt werden, um zu einem grundlegenderen Verständnis
der AdD und der Pfingstler im Allgemeinen in ihrer gesellschaftlichen Funktion zu kommen.
5.1
Der Gottesdienst und die Geistekstase
Der Gottesdienst wird als die „Reproduktion des Pfingstfestes“ (Apg 2) verstanden, der sich von
Anfang bis Ende an der sog genannten „mystischen Ekstase“363, der absoluten Kommunion mit
dem göttlichen Geist orientiert.
Die speziell zu unterscheidenden Wort- und Zeugnisgottesdienste schließen daran an, und wollen
Wiederholung und Erweiterung der vom Geist erfüllten Rede des Petrus zu Pfingsten sein. Es
handelt sich offensichtlich um eine Produktion und Etablierung des Heiligen, einem Schöpfungsakt, in dem der religiöse Mensch (homo religiosus) im Kontext von Kosmos und Chaos seine
Welt (Chaos) auf ein göttliches Niveau erheben will (Kosmos).364 In der Pfingstrealität intensiviert sich dieses Produktionspotential vor allem –und darauf konzentrieren wir uns an dieser Stelle- in der gottesdienstlichen Feier.
Charakteristisch lässt sich ein ansteigender Prozess im Verlauf des Gottesdienstes erkennen, dem
Himmel in jedem Moment der Anbetung und Verehrung –beides kann religionssoziologisch als
authentischer Ausdruck des Wesens der Religion verstanden werden-365 Gott näher zu kommen.
Für Campos ist die mystische Ekstase “das Zentrum oder der Gipfel seiner [des Gottesdienstes] Entwicklung”, a.a.O., S. 80.
Mystisch sollte an dieser Stelle als Kategroie der Gegenwart des Göttlichen in jeder religiösen Erfahrung verstanden werden,
vgl. Tillich, Systematik III, S. 92.
364 Vgl. dazu Berger, Teoría sociológica de la Religion, Kap. 1 Religión y construcción del mundo, S. 13-50.
365 Im Bezug zum Alttestamentler seiner Zeit Walter Eichrodt betont Joachim Wach im Zusammenhang des praktischen Ausdrucks der Religion die Verehrung, die danach strebt, den Menschen ganzheitlich zu durchdringen, vgl. Wach, Religionßoziologie, S. 28.
363
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Lobpreis und Gebet dienen in diesem Sinne zur Vorbereitung der zentralen Geisterfahrung366,
die, wie wir gesehen haben, von jedem Gemeindemitglied angestrebt, aber nicht unbedingt realisiert wird. Das Gebet wird in diesem Zusammenhang als ein gemeinschaftsbildendes Element erfahren, welches das christliche Motiv des „Gebens und Nehmens“ sichtbar werden lässt:
„Das Für-einander Eintreten in den Pfingstgemeinden zeigt sich […] auch im gemeinschaftlichen Gebet, mit dem für jeden, der es braucht, gebetet wird und jeder betet. Es ist ein Geben und Nehmen zugleich. Keiner weiß sicher, wer das Gebet des
Glaubens betet, und zugleich ist das Gebet jedes einzelnen wichtig und bedeutsam“367
Der meditative Gesang/ Lobpreis mit der Gemeinde hat konkret das Ziel, dass sich die Gläubigen
in eine Art Trancezustand versetzen, in der sie den Geist empfangen.
Die Funktion der Religion zeigt sich hier als eine aktive menschliche Suche nach dem ungebrochenen göttlichen Sinn, nach Ruhe und Ordnung, um eine erhöhte Kontrolle über die selbst zu lebende Wirklichkeit zu erlangen.
In seiner anthropologischen Annäherung an die Beziehung zwischen Mensch und den übernatürlichen Kräften und Mächten nennt Serena Nanda ritualisierte Mittel (Kollekte, Gebet und Magie),
die dem Menschen als religiöser Ritus dienen, ihrem Ziel -nämlichen der absoluten Ordnung oder
auch dem göttlichen Zentrum der Welt- näher zu kommen:
„Der Großteil der religiösen Rituale nutzt eine Kombination der folgenden Praktiken
[Gebet, Kollekte und Opfer, Manipulation von Objekten], um sich zu verständigen
und die Geister und übernatürlichen Kräfte zu kontrollieren”368.
Weber beschreibt im Zusammenhang seiner Abhandlung über die „Theorie der Stufen und Richtungen religiöser Weltanschauung“369, die Spannungsverhältnisse, die zwischen „Welt und Religion“ auftreten. Diese zeigen sich in den Bereichen der Ökonomie und Politik sowie in den Entwicklungsprozessen der Ästhetik, Erotik und des Denkens in denen die Eigengesetzlichkeit des
jeweiligen gesellschaftlichen Ethos dem des religiösen gegenübersteht und es letztendlich zu einer Unvereinbarkeit zwischen moderner Weltauffassung und (Erlösungs-)Religion kommt.
Nach evangelikalem Standpunkt wird dieses Ereignis als “Geisttaufe” oder auch als “Zweiter Segen” nach der Bekehrung verstanden. Im Zusammenhang steht nun das sogenannte Zungenreden (Gloßolalie), welches in den meisten Fällen –wenn nicht
in Form des wörtlichen Bekenntnißes, dann aber (unbewußt) in der “praxis pietatis”- als Beweis der Geisttaufe und somit als
wichtiges Element im Glaubensleben angesehen wird, vgl. Bühne, Spiel mit dem Feuer, S. 172f.
367 Bridges Johns, Heilung und Befreiung, S. 241.
368 Nanda, Antropología Cultural, S. 280.
369 Weber, “Zwischenbetrachtung”, IN: GARS I, S. 536-73; an dieser Stelle konkret 554f.: Weber betont vor allem aus geschichitlicher Perspektive das Bündnis zwischen Religion und Kunst als ein Phänomen der Maßenreligionen. Diese Außage läßt sich
im peruanischen Kontext sowohl in der kirchlichen Realität der katholischen Volkskirche als auch in der Praxis der protestantischen Freikirchen charismatischen/ (neo-) pentekostalischem Einfluß verifizieren.
366
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In diesem Zusammenhang beobachtet Weber den Widerspruch –und dies ist von großem Interesse für die vorliegende Untersuchung-, dass die Religion sich trotz dieser Spannung unbewusst –
trotz bewusster Ablehnung- oben benannter Mittel bemächtigt, die ihr zum eigenen Vorteil dienen. So haben wir gesehen, dass die Pfingstler trotz Ablehnung der Ästhetik und Kunst als „Kreaturvergötterung“ (Weber), die Musik als grundlegendes Element in der Gottesdienstfeier einsetzen, um, wie oben erwähnt, die „mystische Ekstase“ vorzubereiten und somit den Weg zum
Himmel zu eröffnen.
Es konnte diesbezüglich festgestellt werden, dass sie der modernen musikalischen Stilrichtung
offen gegenüber stehen und die Grenzen der traditionellen Kirchenmusik überwunden haben.
Musik und Gebet, kurz, die mündliche Liturgie370 des Pfingstgottesdienstes schafft –trotz scheinbar wahrzunehmendem Chaos- flexible Ordnungselemente des Ablaufs, die aber von den Pfingstlern nicht unbedingt als solche erkannt, geschweige denn, reflektiert werden, so dass der Widerspruch zwischen theoretischer Ablehnung und praktischem Nutzen der Kunst relativiert wird.
Dies vor allem auch durch das funktional zu erkennbare Verständnis der Musik als künstlerischproduktives Element –im Gegensatz zum profanen weltlichen unproduktiven- welches in der
Gottesdienstbeschreibung Panikkars deutlich wird:
„Gottesdienst [ist der] Ort, wo sich was sich logischerweise ausschließt –das Irdische
und das Himmlische, das Transzendente und das Immanente, das Menschliche und
das Göttliche, die Rubriken und die Nigriken, das Prinzip der Martha und das der
Maria –nicht dialektisch formuliert, sondern in künstlerischer Form zusammengefasst
wird“371.
Dieser kreative Charakter zeigte sich teilweise in der Realität der AdD, der das grenzüberschreitende Potential der offenen –weil mündlichen- Liturgie zum Ausdruck bringt und den bereits erwähnten Schöpfungsaspekt (s.o.) des Gottesdienst Geschehens versinnbildlicht.
Bedingung für die potentielle Geisterfahrung ist ein zuvor gehaltenes Gebet, welches den Augenblick des Gottesdienstes von den bösen Mächten und Dämonen befreit und ihn auf diese Weise
heilig spricht.372
Diese Notwendigkeit ist begründet durch den Glauben an die Existenz personifizierter böser
Geister, die in einem konkreten Kampf mit dem Geist Gottes stehen, den der Gläubige empfan-
Hollenweger, Charismatisch.pfingtlerisches Christentum, S. 301-303, vgl. vor allem S. 302: “in der pringstlerischen Liturgie
findet man die meisten Elemente der historischen Liturgien: Invocatio, Kyrie, Glaubensbekenntnis, Gloria, eucharistischer Kanon und Segen. Aber diese Teile werden nicht benannt und sind für die meisten nicht als solche erkennbar”.
371 Zitiert aus Hollenweger, Charismatisch-Pfingstlerisches Christentum, S. 305
372 Zur Funktion von Liedern und Gebet, vgl. A.a.O., 79.
370
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Ulrike Sallandt
gen will. Erst der Sieg über die bösen Geister373 und somit die Vernichtung der direkt empfundenen Versuchung durch den Teufel lässt den Raum für die Ekstase im Geist entstehen, die im Idealfall in der Glossolalie sichtbar wird.
An dieser Stelle zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zu der modernen Weltauffassung in der
Tradition der westlichen Aufklärung des 18. Jh. Die Existenz des Übernatürlichen ist eine wichtige Grundlage des pfingstlichen Wirklichkeitsverständnisses:
„Sie erfasst die Wirklichkeit ausgehend von einer affektiven Erfahrung mit Gott, die
einen apokalyptischen Horizont eröffnet. In diesem apokalyptischen Horizont ist die
Erfahrung Gottes mit allen anderen Wahrnehmungen im Raum-Zeit Kontinuum verschmolzen“374.
In der deutlich werdenden ganzheitlichen Auffassung der Zeit(en) –Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft-, wird alles in einem großen Zusammenhang gesehen und somit die geschichtliche
Spannung zwischen biblischer und gegenwärtiger sowie zukünftiger Zeit mit Blick auf die teleologisch-eschatologische göttliche Vereinigung überwunden. Auf diese Weise wird die Grundlage
für den Glauben an die sich gegenüberstehenden Geistwesen guter und böser Mächte (Gott und
Dämonen) erzeigt, die als Realität in der eigenen Lebenswirklichkeit empfunden und erlebt werden. Mit anderen Worten kann gesagt werden, dass die Weltauffassung der Pfingstler im Gegensatz zur okzidentalen Tradition eine reale Welt allgemein „unrealer“ Instanzen ist, die allein in
der Sphäre des Geistes, in der Vereinigung aller Zeit, in der unio mystica „gesehen“ werden können.
Diese Erfahrung der oppositionellen Geister in dem Empfinden der eigenen –und für den Pfingstler einzigen Lebenswelt- benennt auch der Religionssoziologe Mircea, und verdeutlicht im Folgenden die dadurch beeinflusste religiöse Erfahrung der Schöpfung der Welt, die den Anfang von
allem symbolisiert, als Fixpunkt des religiösen Menschen, der von dieser Erfahrung an, seinem
Wunsch folgt, in diesem heiligen „Urzustand“ leben zu wollen. Mircea verdeutlicht dieses
menschliche Streben auf der Basis seines religionssoziologisch-typologischen Kontrastes zwischen dem Profanen und dem Heiligen als den spannungsvollen Lebensraum des religiösen Menschen, in dem sich das ICH (individuelle Betonung des religiösen Subjekts) gegen das Chaos
fremder Arten einer dämonisch besetzten Welt richtet (Brüche), um seine göttlich-heilige Welt
einzuweihen. Nach Meinung Mirceas ist mit dem menschlichen Schöpfungsakt seines Heiligtums
An dieser Stelle sei auf die späteren Ausführungen zum “Geistlichen Kampf” bei der Thematisierung der “PfingstlerHermeneutik” (Pkt. 5.3.1) verwiesen
374 Bridges Johns, Heilung und Befreiung, S. 238, zitiert aus: J.John, Pentecostalism and the Postmodern World-view, in: Journal
of Pentecostal Theology 7 (1995) 87.
373
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(auch bzgl. der heiligen Gebäude und ihrer Architektur) der Relativität ein Ende gesetzt. Der religiöse Mensch erfährt das ihm Heilige als das Absolute, welches –und dies ist von größter Bedeutung für das Verständnis der Realität der Pfingstler - ihn sowohl in Diskontinuität (Heilsaristokratie) als auch in Kontinuität mit der gesamten Lebenswirklichkeit (Kommunikation) setzt.375
Dieser elementare Unterschied, begründet in der unterschiedlichen Weltauffassung, muss zu
Gunsten eines besseren Verständnis der Pfingstbewegung bewusst gemacht werden, um die Realität der AdD, überall dort, wo sich dualistisch-abgrenzende Tendenzen in Praxis und Lehre erkennen ließen, vor allem in der biblischen Hermeneutik auf die später noch eingegangen werden
soll, nachvollziehen zu können.
Wie wir gesehen haben lässt sich also die mystisch Ekstase in zwei Momente unterteilen: präekstatisch (Lieder und Gebet)und die Ekstase selbst, die von den folgenden Merkmalen376 begleitet
sein kann:
a) motorischer Verlust
b) körperliche Zuckungen
c) unverständliches Gestammel
d) sie wird als „Feuer des Heiligen Geistes“ empfunden
e) oder als elektrischer Stromschlag
f) oder wie frisches Wasser
g) oder als ein Gefühl des tiefen Friedens
Die Verwirklichung der sog. Zungenrede wird in der Gottesdienstversammlung als ein geistliches
Gemeinschafts-erlebnis erfahren, und symbolisiert im christologischen Bewusstsein die Versöhnung der Einheit des Leibes Christi.377 Bei der geistlichen Ekstase selbst handelt es sich um eine
göttliche Offenbarung, d.h. um einen heiligen Moment („momento sagrado“), in dem sich außeralltägliche Dinge verwirklichen.
So kann es in einem Pfingstgottesdienst zu Krankenheilungen378 kommen, denen meistens eine
Dämonenaustreibung379 voraus gegangen ist. Auch an dieser Stelle spiegelt sich erneut die GlauVgl. zu diesem Abschnitt, Mircea, Lo sagrado y lo profano, Kap. 1 El espacio sagrado y la sacralización del mundo, S. 26-69.
Campos, El extasis pentecostal, S. 1.
377 Campos, El extasis pentecostal, S. 1; die evangelikale biblizistische Position lehnt die Zungenrede in ihrem sichtbaren iirationalen Ausdruck als dämonisches Wirken der bösen Geister ab und begründet dies darin, dass “Gott den Verstand, das Bewußtsein und die klare Erkenntnisfähigkeit des Menschen achtet und in Sein Wirken einbezieht, während dämonische Geister
häufig den Verstand außchalten und benebeln”, Ebertshäuser, Die charismatsiche Bewegung, S. 581.
378 Das Thema der Krankheit in der Gemeindeliturgie der christlichen Gemeinde, vgl. Hollenweger, Charismatisch pfingstlerisches
Christentum, S. 260ff.; der peruanische Pfingstlertheologe Campos nennt folgende potentiellen Gründe für Erkrankungen, Experiencia del Espíritu, S. 87-89: 1) menschlich verursacht, 2) göttliche Bewährungsproben, 3) zu Ehren Gottes, 4) Strafe Gottes ausgelöst durch Sünde, 5) natürlich verursacht, 6) geistlich verursacht, 7) durch Empfang des Abendmahls im sündigen
375
376
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bensvorstellung von dem geistlichen Kampf (vgl. 5.3.1) zwischen den guten und den bösen
Mächten wieder, so dass der Mensch erst dann physisch von seinem Leiden befreit werden kann,
sofern er von den bösen Geistern erlöst ist.
Der häufig zu hörende wimmernde Gesang erzeugt die oben aufgezählten im Herzen empfundenen Gefühle, nämliche Freude und Frieden, Reue und das Bekenntnis der Sünden von Seiten der
Gläubigen. Der Gottesdienst und speziell der Augenblick der mystisch-prophetischen (Form/ Inhalt) Ekstase bietet Raum für Unerwartetes.
Wie wir gesehen haben, zeigt sich im Ablauf des Gottesdiensts kein rational erkennbares Ordnungselement geschweige denn eine Gottesdienstordnung, sondern das Erleben der Kommunion
mit dem Geist Gottes bindet die gottesdienstlichen Elemente, nämlich die Vorbereitung der konkreten Geistgemeinschaft, die Ekstase selbst und die Heilungen/ Befreiungen und lässt auf diese
Weise Raum für weitere außeralltägliche vom Geist geführte Symbole.
Diese Offenheit und Spontaneität der Pfingstler erschwert das Verständnis ihrer Erscheinung,
denn diese ist erst grundlegend von der persönlichen Geisterfahrung und dem Gefühl, Teil dieser
erlösten Geistgemeinschaft zu sein, zu erlangen. Erst die Etablierung und Institutionalisierung380
(Rationalisierung, nach Weber der Verlust der magischen Elemente) –auch bei den AdD- ermöglicht eine Ordnungsstruktur und somit auch eine verständnisvollere äußere Annäherung an die
Pfingstler, die, wie noch mal betont werden sollte vor allem auf der mündlichen Tradition ihrer
jungen Geschichte basieren.
Diese Ordnungsstruktur beschreibt Campos idealtypologisch mit folgenden Elementen des Gottesdienstes381:
a) Graduelle ansteigende Suche nach den mystischen Erfahrungen: mittels Gesang
und Musik
b) Spezifischer Moment der „Rede Gottes“:
Zustands und 8) Mittel Gottes für Bekehrung des Menschen; vgl. Bühne, S. Spiel mit dem Feuer, S. 181-186; vgl. bzgl. Gründe für Krankheit, Campos , Expiriencia del Espíritu, S. 87-89, bzgl. Heilungen, Bridges Johns, „Heilung und Befreiung aus
pfingstlicher Perspektive“.
379 Vgl. Bühne, Spiel mit dem Feuer, S. 245ff. 186. 187.
380 An dieser Stelle sei an die geistliche Krise innerhalb der Denomination der AdD erinnert, die, wie wir gesehen haben, vor allem durch die Notwendigkeit der hier benannten Institutionalisierung, begründet und begünstigt wurde. Dieser Prozeß ermöglichte auf der einen Seite eine rationale Manifestation, ließ aber das Wesentliche, nämlich das Wirken des Heiligen Geistes in
den Hintergrund treten und somit das “Geistliche Feuer des Anfangs” vermißen; vgl. Auch Hollenweger, Charismatischpfingsterlisches Christentum, S. 290: “Der institutionelle Mechanismus stellt Diplome über Berufung und bevorzugt große bürokratische Gemeinden anstelle der kleinen Gemeinden”; beachte auch das Themas des Charismas weiter unten.
381 Campos, Espíritu, S. 82-85; es läßt sich im Vergleich mit der in dieser Untersuchung durchgeführten Beschreibung der Realität der AdD erkennen, dass in der Praxis die hier beschriebenen Elemente in unterscheidlicher Reihenfolge und mit unterschiedlicher Betonung auftreten.
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mittels der Zungenrede, aber auch durch dramatische sich wiederholende Predigten
oder Zeugnisse kann Gott durch seine Auserwählten prophezeien
c) Moment der prophetischen Ekstase: kann zu jedem Zeitpunkt des Gottesdienstes
geschehen, aber tritt verstärkt im Moment der „Rede Gottes“ auf
d) Moment des Opfers: zeigt sich in der Kollekte und der Abgabe des Zehnten, in der
Amtheiligung und den „Sakramenten“ wie die Präsentation der Kinder, Wassertaufe
und Abendmahl
e) Raum der Wiederherstellung der Gesundheit: die Fürbitte für die Kranken findet
meistens Raum im Anschluss an die Wortverkündigung; die Geheilten berichten
zeugnishaft danach in euphorischer Stimmung von der göttlichen Hand, dem Wunder
Gottes, die/ das über sie kam
f) Moment der symbolischen Rückkehr ins Paradies oder in den Garten Eden: nach
diesem schöpferischem Akt werden die Gläubigen berufen, zu Gott zurückzukehren
und ihre Gemeinschaft mit ihm zu erneuern/ zu festigen
g) Schlussgebet: im Gegensatz zu der beschriebenen Realität der AdD benennt Campos an dieser Stelle das obligatorische Schlussgebet, welches folgenden Wortlaut enthält:
„Herr, wir verabschieden uns von diesem heiligen Ort, mehr noch von deiner Gegenwart und hilf uns, damit wir treu durch die Woche gehen“.
h) Moment des Ausganges: dieser wird meist durch ein Lobpreis in Anbetung Gottes
eingeleitet, dem ethische Mahnungen und der Aufruf zur missionarischen Verantwortung folgen, mit denen die Gemeinde in die Woche entlassen wird
Erinnern wir uns an dieser Stelle an die beschriebene Realität der AdD in der vorliegenden Untersuchung, wo deutlich wurde, dass der Gottesdienst als ein „Treffen mit Gott“ verstanden wurde. Dass heißt konkret nun, dass die Gemeinschaft nach der geistlichen Kommunion mit dem
Geist Gottes strebt und dieses das A und O des Gottesdienstes ist. So lässt sich auch der Nachdruck, teilweise physischer Natur, verstehen, der in den unterschiedlichen Gebetsformen und der
Dämonenaustreibung (verbunden mit der Praxis der Handauflegung382) zu beobachten war.
Die schon beobachtete Funktion des Lobpreis und der musikalischen Gestaltung als solche während des Gottesdienstes kann nun noch spezifiziert werden. Der Lobpreis ist Teil der Vorberei382
Nach Bühne gibt es keine einheitliche Lehre von der Handauflegung, sonderm eine Vielfalt verschiedenr Motive. So wird sie
praktiziert im Zusammenhang von Krankenheilungen, Innere Heilung, Dämonenaustreibung, Übermittlung von Geistgaben,
Segnung und Salbung und der Geisttaufe, vgl. Bühne, Spiel mit dem Feuer, S. 187ff.
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Ulrike Sallandt
tungsphase der geistlichen Ekstase und gerade in dem individuellen Schwerpunkt seiner spirituell-meditativen Texte zeigt sich erneut das Zentrum des Pfingstgottesdienstes, nämlich dass
„ICH“ diese Erfahrung erleben darf und somit wirklicher Teil dieser Geistgemeinschaft werden
kann.383
Ziel –und dies ist zunächst „subjektiv und a-sozial“- ist es, Geist erfüllter Teil dieser Gemeinschaft zu sein, um sich selbst in dieser Gemeinschaft verstehen und anderen davon mitteilen zu
können (missionarische Dimension)384.
Die Postekstase besitzt also eine doppelte Bedeutung. Zum einen die äußere sichtbare Rückkehr
des mystisch ergriffenen Menschen in den bewusst wahrnehmbaren „Normalzustand“, zum anderen der innere unsichtbar erhaltende Befehl, diese empfangende Geistbotschaft in Demut und Gehorsam zu leben und zu verkündigen (prophetisches Element).
Dies führt uns zu der Frage, was der Inhalt dieser göttlich-mysteriösen Botschaft ist, die der
Mensch mittels eines Mediums in Gestalt des Propheten (vgl. 5.2.3.1) auf diese Art und Weise
empfangen hat.
Ähnlich wie bei den Schamanen385 handelt es sich um eine „Rückentwicklung“ bzw. Rückführung der Menschheit in den paradiesischen Urzustand der Schöpfung. Das durch den Sündenfall
in die Welt gekommene Böse in Gestalt der Dämonen, Satans und des Teufels soll durch die
mystisch-kontemplative Geistausrichtung gen Himmel überwunden werden. Es handelt sich um
die Wiederherstellung (geistliche Erinnerung) des perfekten göttlichen Urzustandes, der das Wissen außeralltäglicher Phänomene mit einschließt und somit die Tür für die totale Kommunikation
zwischen Mensch und Gott zulässt. Theologisch ausgedrückt muss die kosmologische Vorstellung des Ineinander zweier Reiche, dem Reich des Geistes Gottes und dem Reich der bösen Geister, im geistlichen Kampf überwunden werden. Diese Überwindung kann der Mensch mittels
mystisch-prophetischer Medien begünstigen und somit an der Neuschöpfung der Einheit im Geist
mitwirken. Der Umstand, dass diese Fähigkeit. allein in der Ekstase möglich ist, wird teilweise in
den Hintergrund gedrängt.
Diese Geistsphäre kann der Mensch nur Erreichen, sofern er die sündhafte animalische Leiblichkeit hinter sich lässt und ganz Geist ist. Dies gleicht dem Trancezustand (mystische Reise) in einer Schamanenversammlung, der nur dann erreicht werden kann, wenn die Seele des Schamanen
Hier verdeutlicht sich die bereits bei der Beschreibung der Methode erwähnte Tatsache, dass die Pfingstrealität aufgrund ihrer
Basis in dem geistlichen Erlebnis „nur“ von innen heraus zu verstehen ist.
384 Das Ende der geistigen Ekstase ist nicht nur die Rückkehr in den Normalzustand, sondern auch die missionarische Notwendigkeit in die Welt zu gehen, vgl. Campos, El extasis pentecostal, S. 3.
385 Vgl. zum Thema der Schamanen, Campos, El extasis chamánico, S. 1, zum Thema der theologischen Bedeutung der Ekstase, Campos, El extasis pentecostal, S. 2.
383
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Ulrike Sallandt
seinen Körper verlässt. Bei den Pfingstlern wird besonders betont, dass die/ der Gläubige sich
seines irdischen Alltags befreien muss (Bruch mit der gefallenen Welt), um auf diese Weise in
die außeralltägliche Sphäre gelangen zu können. Die dabei ausgerichtete Bewegung gen Himmel
wird auch in der mystischen Reise der Schamanen sichtbar, und zielt ebenso auf die totale Kommunikation zwischen dem göttlichen und dem Menschlichen. Die symbolreiche Vorstellung des
Aufstiegs bis an die Himmelstür erinnert an die gnostische Erlösungsvorstellung (Emanation) und
verdeutlicht in dieser aufgezeigten Parallele, die synergistischen 386 Züge der christlichen Anthropologie der AdD.
Bei der Behandlung des Themas der Organisation der Religion beschreibt Serena Nanda387 vier
verschiedene Gottesdienstformen: individuelle, Gemeinde-, Schamanen- und ekklesiologischen
Gottesdienste/ -versammlungen. Vor allem die von ihm benannten Charakteristika bzgl. der drei
ersten Gruppen zeigen Parallelen und Ähnlichkeiten mit den Pfingstlern. In der individuellen
Gottesdienstfeier sucht die Person allein nach dem Übernatürlichen (Suche nach Vision), in der
Schamanenversammlung
führt
der
anerkannte
Schamane
(vgl.
unten
zu
Leitungs-
/Verwaltungsfunktion) durch die Sitzung, die Heilung, Wahrsagung, Zauberei und Glücksspiel
impliziert und in der Gemeindeversammlung (im Sinne von Basisgemeinden) werden Rituale und
Zeremonien gefeiert -die zum einen die Separation des Menschen von seinem alten Leben (Wandel der Persönlichkeit) verkörpern, der die Etappe der Transsiktion folgt, in der der Mensch sich
im Übergang von dem alten in das neue Dasein befindet, die in der Inkorporation, in im neuen
Status (neue Gruppe) sein Ziel findet- zum anderen eine Intensivierung des göttlichen Gefühls erstreben.
In Abgrenzung dazu wird der ekklesiologische Typus vor allem von einem professionell gewählten Klerus geleitet, der sich durch sein besonderes Fachwissen auszeichnet und in nächster Nähe
zum religiösen Monopol des Katholizismus im lateinamerikanischen Kontext steht.
Die Geisterfahrung (Taufe) im Pfingstgottesdienst kann demnach –auf der individuellen Suche
nach Erlösung- als Mittel verstanden werden, der Erlösung aus den eigenen Kräften heraus näher
zu kommen.
„Die Ekstase als Mittel der Erlösung oder Selbstvergottung […] kann mehr den Charakter einer akuten Entrücktheit oder Besessenheit oder mehr den chronischen eines,
je nachdem, mehr kontemplativ oder mehr aktiv gesteigerten spezifisch religiösen
Habitus, sei es im Sinne einer größeren Lebensintensität oder Lebensfremdheit haAn dieser Stelle haben wir den Terminus „synergistisch“ verwand, da er im Gegensatz zu „pelagianisch“ den Schwerpunkt des
Zusammenwirkens von Gott und Mensch legt, der aber nicht unbedingt irdisch verankert sein muss.
387 Serena, Antropología cultural, S. 287-293.
386
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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ben. […] Diese akuten Ekstasen [bezieht sich auf unterschiedlich ausgelöste Rauschzustände] sind aber der Natur der Sache und auch der Absicht nach transitorisch
[s.o.]. Sie lassen für den Alltagshabitus wenig Spuren. Sie entbehren des sinnhaften
Gehalts, den die prophetische Religiösität entfaltet“388.
Diese Beschreibung Webers des ekstatischen Moments verdeutlicht den ihr ursprünglich eigenen
wesenhaften Unterschied zur Prophetie, der der systematischen Rationalisierung der ethischen
Lebensführung eigentümlich ist. Unter besonderer Beachtung des an Ratio mangelnden Pfingstverständnis der Prophetie als „spontane Warnung und Trost unter den Gläubigen (1 Kor 14, 3)“389
zeigt sich die angestrebte Beziehung zwischen Mystik und Prophetie, aber auch -durch ihren eher
spontanen Charakter des Augenblicks- eine begrenzte Sichtweise ihres Wesens zu Gunsten des
funktionalen Dienstes der mystischen Ekstase, d.h. zu Gunsten des zentralen spirituellen Moments im Gottesdienst.
Das Ende de Ekstase mit seinem bereits erwähnten doppelten Moment der Rückführung und des
missionarischen Auftrages lässt sich als ein Erwachen aus dem unbewussten kontemplativen
Geistzustand konkretisieren, der den Menschen von der erlebten Kontinuität mit dem Urzustand
der Schöpfung wieder in die Diskontinuität mit der gefallenen Welt setzt, jetzt aber mit der erneuerten und gefestigten Geistbindung, die ihn als innerlich leitende und stärkende Geistkraft befähigen soll, sich mit der Welt zu konfrontieren.
In der Geistgabe Gottes (Charisma) der Glossolalie lassen sich also –wie wir beobachten konnten- die zwei prägenden Elemente –„Pfingstler-Prophetie und Mystik- des Gottesdienstes im Zusammenhang erkennen.
Während die äußere Form der Geist-ekstase sichtbar in der so genannten Zungenrede eher mystische Züge aufweist, besitzt der Inhalt der Glossolalie eine prophetische Botschaft (s.o. verstanden
als spontane Warnung und Trost), die es nach biblischem Zeugnis zur Erbauung der Gemeinde zu
übersetzen gilt (Kap. 6). Die Realität hat uns aber verdeutlicht, dass es zunächst um das „dass“
geht, d.h. um das Streben der Verwirklichung der Zungenrede und weniger um die Auslegung der
Botschaft –für die Gegenwart oder Zukunft- der „fremden Zungen“ (Zitat Korinther).
An dieser Stelle wollen wir uns dem Begriff der Mystik (hier vor allem mit Blick auf die weberianische Begrifflichkeit390) zu wenden, um auf diese Weise das Phänomen der Geistekstase in ih-
Weber, WuG5, S. 325.
Macchia, Zungenrede und Prophetie, S. 252; vgl. auch Hollenweger, Geist und Materie, S. 318: „daß auch die ekstatische und
intuitive Kommunikation (und nicht nur die rationale und analytische) prophetischen Gehalt haben kann”.
390 An dieser Stelle sei auf die Entwicklung des weberianischen Begriffs der Mystik von WuG bis zur „Zwischenbetrachtung“ hingewiesen, in der er als Gegenbegriff der Askese verwendet wird. n
388
389
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Ulrike Sallandt
rer Komplexität des mystisch-kontemplativen Vollzugs im Gottesdienst, sichtbar in der Zungenrede, und ihres (mystisch) prophetischen Inhalts zu beleuchten.
5.1.1 Mystik
Max Weber versteht unter kontemplativer Mystik:
„das Suchen eines Ruhens im Göttlichen und nur in ihm. Nichthandeln, in letzter
Konsequenz Nichtdenken, Entleerung von allem, was irgendwie an die Welt erinnert,
jedenfalls absolutes Minimieren alles äußeren und inneren Tuns sind der Weg, denjenigen inneren Zustand zu erreichen, der als Besitz des Göttlichen, als unio mystica,
mit ihm genossen wird: einen spezifischen Gefühlshabitus also, der ein gewisses Wissen zu vermitteln scheint“391.
Weber beschreibt den mystisch-kontemplativen Zustand (passiv) als eine energiereiche Konzentration in gewisse (Glaubens-) Wahrheiten, wobei er betont, dass es mehr um die zentrale Betonung des mystischen Moments geht, als um seinen Inhalt.
Diese Aussage zeigt deutlich eine Parallele zu der Pfingstrealität der Geisttaufe und ihres sichtbaren Signums, der Glossolalie, deren Vollzug in der Praxis vor der Übersetzung/ Interpretation ihrer mysteriösen (göttlichen) Botschaft steht. Es geht in diesem Zusammenhang um die Vereinheitlichung der Welt (Aufhebung der Diskontinuitäten), die der Mystiker in der kontemplativen
Versinkungen empfindet.
„Mystisches Wissen sei Schauen, Erfassen des Sinnes der Welt durch das Charisma einer Erleuchtung“, so beschreibt Edit Hanke392 diese mystische Wirklichkeit, die sich außerhalb der
phänomenologisch wahrnehmbaren Weltwirklichkeit abspielt. Ähnlich zeigt sich der Pfingstler,
der in der mystischen Ekstase von der profan gebrochenen in die heilig ungebrochene einheitliche
Weber, WuG5, S. 330; weitere Definition aus der Religionsgeschichte - im Vergleich verschiedener Religion definiert William
James das rein mystische Bewusstsein wie folgt: “Es ist im Allgemeinen pantheistisch und optimistisch oder wenigstens das
Gegenteil von pessimistisch. Es ist antinaturalistisch und stimmt am besten mit den Ideen von einer jenseitigen Welt und von
der Notwendigkeit einer Wiedergeburt zusammen”; Gottlob Siebels Minimaldefinition lautet: “Am Ende der Entledigung jeder
subjektiven Regung, des Entwerden des Ichs durch Disziplin steht das Aufleben eines anderen Subjekts im Menschen. Das ist
formal der einzig richtige und mögliche Begriff für Mystik”; Georg Simmels Mystikbegriff orientiert sich in Abgrenzung zu Troeltschs Typologisierung von Kirche, Sekte und Mystik – das Wesen der Mystik besteht für ihn darin, “dass das Erlebnis, aus
dem eigensten Zentrum der Seele herausbrechend, zugleich ein Ereignis göttlichen Lebens ist; dass der Mystiker die Gottheit
nicht als ein Objekt erlebt, sondern dass er sie unmittelbar lebt und sich dazu keineswegs zu entselbsten braucht, sondern nur
zu entindividualisieren”, diese Aussage ist in der Pfingstterminologie gleichbedeutend mit dem absoluten Vertrauen auf Gott,
welches eine Selbstnegation zu sein scheint, aber in Wirklichkeit nur eine Aufgabe des okzidentalen Individualismus bedeutet;
schließlich gilt “als ein gemeinsames geteiltes Kennzeichen der Mystik das Aufgehen des Subjekts in die Gottheit. Die Vergottung der Seele ist nicht […] an besonders doktrinale Inhalte und Lehrsysteme gebunden [vgl. Dionysiskult, hellenistische Mysterienreligionen]. [es handelt sich] bei der genuinen Mystik […] um eine individuell zu erlangende Einsicht, die über verschiedene Bewusstseinsstufen erreicht wird”, Krech, Art. Mystik, S. 248-252.
392 Hanke, Art. Erlösungsreligionen, S. 220.
391
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Welt (Urschöpfung) gelangt. Es handelt sich hier um die oben schon erwähnte Kontinuität von
Raum und Zeit.
Max Weber behandelt den Mystik-Begriff aus zwei verschiedenen Perspektiven.393 Zum einen
stellt er ihn in den religionsgeschichtlichen Zusammenhang mit den Mysterienreligion (WuG),
zum anderen entwirft er einen typologischen Kontrast mit dem Begriff der Askese (GARS I,
„Zwischenbetrachtung“). Die folgenden Ergebnisse dieser Untersuchung führen uns zu weiteren
hilfreichen Einsichten in die mystisch-geistliche Realität der Pfingstler.
Beide Religiositätsformen, Mysterien- und mystische Religiosität, besitzen ein tiefes Erlösungsbedürfnis (diesseitig, die andere jenseitig orientiert), befriedigt in der göttlichen Vereinigung.
Während die Mysterienreligiosität in einem eher magisch-momentanen Zustand verharrt, strebt
die Mystik auf die individuelle Erlangung eines Dauerzustandes der Erlösung hin, die, mittels der
Ausbildung einer ethischen Gesinnung in Beziehung zum alltäglichen Leben gesetzt wird (Übergang von der Mysterien- zur mystischen Religiosität).
Es handelt sich offensichtlich um eine systematisierte Form von Religiosität, in der immer wieder
mysteriös-magische Elemente gefunden werden können (WuG, S. 322). So haben die mysteriösen Heilstechniken Magie394, Zauber, Ritus und Orgiastik eigentlichen der mystischen Heilsmethodik der Kontemplation Platz gemacht, aber latent lassen sie sich, so mit einem Seitenblick auf
die pfingstliche Realität, in dem mystischen Weg zur Geistekstase (vgl. den Vergleich mit dem
Schamanen) immer wieder erkennen. Gegen den von Weber als Entzauberung (GARS I, S. 98)
benannten okzidentalen Prozess der Rationalisierung der Religion, d.h. der Auslöschung magischer Elemente im religiösen Leben, zeigt sich im peruanischen Pfingstkontext eher eine Bewahrung des „Zauberzustandes“ (um in dem „magischen“ Bild zu bleiben), der sich an dem Fortbestand von magisch-geprägter Mystik (im Gegensatz zur rein rational asketisch orientierten puritanischen Ethik) äußert.395
Vgl. Krech, Art. Mystik, S. 252-62.
Nach Weber (vgl. Einleitung zur Wirtschaftsethik) erscheint Magie vor allem dort, wo es noch nicht zur einer rationalen Form
der Prophetie gekommen ist, vgl. auch Breuer, “Magie, Zauber, Entzauberung“, S. 120, bzgl. der Wesensmerkmale der Magie,
S. 123-125.: 1) Motiv sozialen Handelns auf dem Weg der aktiven Selbstvervollkommnung, 2) subjektiv-zweckrationales Handeln (rituelle Kulthandlungen) & affektuelles oder emotionelles Handeln (Ekstase), 3) Erwartung des Heils von außeralltäglichen (charismatischen) Kräften (präanimistisch, animistich oder symbolischer Natur), 4) Bestreben, diese Kräfte in den Dienst
des Menschen zu zwingen (Geister- oder Gotteszwang anstelle von Gottesdienst), 5) Nähe zu Mysterienreligiösität, 6) Möglichkeitg der institutionellen Entwicklung des magischen Charismas (verdeutlicht auch die potentielle Fremderlösung); schenkt
man Weber Glauben, so kann ein Zusammenhang zwischen der emotional-spontanen Pfingstlprophetie und dem Auftauchen
magischer Elemente in kultischen Riten gesehen werden.
395 Zu diesem Abschnitt vgl. “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus”, GARS I, S. 17-206
393
394
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Das gemeinsame schon erwähnte Erlösungsbedürfnis zeigt deutlich individuellen Charakter
(WuG, S. 256.312)396, welches, wie auch in der Pfingstrealität zu beobachten war, kein soziales
Handeln geschweige denn eine Sozialethik entstehen lassen kann. Im Gegenteil, die mystische
Gesinnung erzeugt eher ein Leben in Abgrenzung zur Welt und Gesellschaft, die, schon in dem
Streben nach Bewährung in der Welt, eine Versuchung für den Mystiker darstellt (WuG, S. 332)
und Konflikte mit dem politischen Machtapparat hervorruft (WuG, S. 358f.) 397. Diese Spannungen zwischen religiös-heiligem und weltlich-profanem Ethos spiegelt sich auch in der Wirklichkeitswelt der Pfingstler wieder (vgl. spätere Ausführung vor allem zur ekklesiologischmissionarischen Vision in der Welt), die, wie bereits deutlich gemacht wurde, zuerst und grundlegend nach einer göttlichen Erhebung (Erlösung) streben, die jegliche Spannungen und Diskontinuitäten überwindet.
Nach Weber lassen sich auf der Basis der Unterscheidung von diesseitigen und jenseitigen
Heilserwartungen folgende Inhalte bzgl. der jenseitigen Erlösungsvorstellung benennen:
1) „Freiheit von dem physischen oder seelischen oder sozialen Leidens des Erdendaseins“
2) Befreiung „von der sinnlosen Unrast und Vergänglichkeit des Lebens als solchem“
3) Befreiung „von der unvermeidlich persönlichen Unvollkommenheit“398
Dieses ganzheitliche Befreiungspotential und die dahinter stehende Weltauffassung spiegelt eine
gewisse Affinität zu der Überzeugung der Pfingstler wieder, die Diskontinuitäten der Welt zu
Gunsten einer metaphysischen Kontinuität/ Einheit der Dinge überwinden wollen. Dieses Streben
nach Freiheit und Befreiung von den bösen ungerechten Mächten der Welt beschreibt Elizondo
als eine Gemeinsamkeit zwischen der Befreiungstheologie und der Pfingstbewegung:
„Die Befreiung, die in der Nachfolge Jesu erfahren wird, die Freiheit und Freude des
Reiches Gottes, und die Notwendigkeit der fortgesetzten gesellschaftlichen Veränderung, also der Erlösung der Welt (der Domäne des Satans) für Christus. Pfingstbewegung und Befreiungstheologie sind (sehr viel stärker als die Theologien der Auf-
Eine Ausnahme zeigt sich in dem “universellen akosmistischen Liebesgefühl”, welches den Mystiker in “der mystisch erneuerten Gemeinschaft der Menschen” ereilt und über die Grenzen des Individuellen hinaus geht; diesen indirekten erbaulichen
Gemeinschaftseffekt erwähnt auch Campos, „El extasis pentecostal“, S. 1f.
397 Zu den benannten Spannungsverhältnissen zwischen Religion und Welt, vgl. Webers Ausführungen in “Zwischenbetrachtung”,
GARS I, S. 536-73, vor allem ab S. 544; zuvor (S. 540-44) skizziert er die religionsgeschichtlichen Entwicklung der mystischen
und asketischen Religiosität mit ihren magischen Wurzeln, die durch den Wandel zu Erlösungsreligionen (Dauerzustand der
Erlösung) und der damit verbunden Ausbildung einer Gesinnungsethik –impliziert Ausbildung einer Eigengesetzlichkeit-, welche die Spannungen zwischen Welt und Religion begründet.
398 Hanke, Art. Erlösungsreligionen, S. 215.
396
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klärung) sich dessen bewusst, wie stark Menschen, Institutionen und ganze Weltanschauungen im Griff der Mächte des Bösen sind, geblendet und versklavt. Beide spüren die Notwendigkeit, dass Gott in dieser Welt durchbrechen muss“399.
An dieser Stelle sei an die pfingstliche Weltauffassung erinnert, die den Glauben an die Existenz
von Geistwesen im Gegensatz zur okzidental-westlichen Tradition impliziert (s.o.). Diese Glaubensvorstellung begründet u.a. den Unterschied zwischen der Befreiungstheologie und der
Pfingstbewegung, mit der sichtbaren Ungerechtigkeit dieser Welt umzugehen. Während die Befreiungstheologie vor allem „das Eingreifen Gottes im Hier und Jetzt betont, blickt die Pfingstbewegung auf das Erscheinen Gottes im apokalyptischen Christus am Ende der Zeiten […]. Daher rührt der Eindruck, dass die Befreiungstheologie manchmal zu sehr auf die Angelegenheiten
und Mächte der Welt konzentriert ist, während die Pfingstbewegung oftmals ausschließlich die
unsichtbaren, außerweltlichen Mächte betrachtet […]. Die eine erscheint zu weltlich, während die
andere total unirdisch erscheint“400.
In der angekündigten typologischen Kontrastierung von Mystik und Askese stellt Weber nun dem
passiven weltverneinenden Mystikbegriff den Begriff der Askese gegenüber und beschreibt sie
im Folgenden seiner Ausführung mit oppositionellen Wortpaaren (z.B. Werkzeug/ Gefäß, Handeln/ Nichthandeln). Vor allem in der differenzierten Darstellung von außer- und innerweltlich401
zeigt der sog. relative Gegensatz402, nämlich die Welt ablehnende Askese und die innerweltliche
Mystik403 die Nähe und Berührungspunkte beider Idealtypen.
Diese Überlappung der idealtypologisch skizzierten weberianischen Begriffe in ihrer relativierten
Erscheinung in und zur profanen Weltwirklichkeit ist für ein besseres Verständnis der mystischen
Form und des prophetischen (mysteriös-göttlichen) Inhalts der Geistekstase (oder auch der geistlichen Erfahrung im Allgemeinen) im Pfingstgottesdienst hilfreich.
„Ob man schon nun die Zungenrede oder die Prophetie betreibt, eingeschlossen ist
immer die kreative Spannung zwischen dem unaussprechlichen Geheimnis, geschrien
aus den Tiefen und der Dringlichkeit, ein Wort zu sprechen, das Christus verherrlichen und zu Glauben, Hoffnung und Liebe führen kann“404.
Auf diese Art und Weise beschreibt der Pfingstler Theologe Frank Macchia (AdD) aus den Vereinigten Staaten die funktionale Gemeinsamkeit der Glossolalie und der prophetischen Botschaft
Elizondo, Art. Geistheilung und Befreiung, S. 244.
Ders.
401 Vgl. zur genauen Begriffsklärung GARS I, “Zwischenbetrachtung”, S. 538:
402 Vgl. zum Vergleich WuG5, S. 330-34 und a.a.O., S. 536-540.
403 Askese ist eigentlich ein innerweltliches Wesen, d.h. sie impliziert die ethische Bewährung als Werkzeug Gottes in der Welt;
Mystik ist eigentlich weltflüchtiges Wesen, d.h. sie impliziert die weltflüchtige Kontemplation als Gefäß Gottes. Die Begriffe
404 Macchia, Art. Zungenrede und Prophetie, S. 254.
399
400
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am Ende seines Artikels über dieses Thema. Um die Nähe zwischen Prophetie und ekstatischmystischer Zungenrede (Geisterfahrung) verstehen zu können, ist es notwendig nochmals auf das
differenzierte Verständnis der „Pfingstler-Prophetie“ hin zu weisen:
„Es handelt sich um eine Prophetie, die sich paradigmatisch aus der biblischen Prophetie speist, speziell mehr inspiriert in der frühen Prophetie der Wahrsagerei als mit
der historischen Interpretation der späteren Prophetie. […] Sie ist mystisch, weil sie
danach strebt, sich mit dem Himmel jenseits des reinen metaphorischen Sinns zu verbinden, um in dem Amt in seinen schrecklichen und faszinierenden Aspekten zu versinken.”405.
Es handelt sich bei der beschriebenen Spannung also um einen kreativen Moment des gegenwärtigen Augenblicks, der sich –mit den weberianischen Begrifflichkeiten ausgedrückt- in dem dynamischen Wechsel von Askese und Mystik befindet. Die eigentlich wesensmäßig auf die Welt
konzentrierte asketische Ethik lenkt ihren Blick weg von der Welt auf das geistlich-mystische
Ziel der spirituellen Kontemplation (Geisteksatse). Der „weberianische Asket“, der sich als
Werkzeug Gottes empfindet, bleibt dies auch, aber es findet eine Akzentverschiebung des Telos
statt. Es steht nicht mehr die rationale Weltveränderung und Vergöttlichung des Profanen an erster Stelle, sondern die aktive Vorbereitung der geistlich-mystischen Ekstase.
Diese wesensmäßig durch Weltflucht gekennzeichnete Mystik erfährt nun eine positive Aufwertung der Welt, die auch das passive Verhalten des Mystikers auflockert. Die Grenzen zwischen
aktiver innerweltlicher Askese und passiver weltflüchtiger mystischer Kontemplation, öffnen
sich, Ratio und Emotio verbinden sich, Aktivität und Passivität durchdringen sich auf dem asketisch-geistlichen Erlösungsweg der Pfingstler, dessen tägliches Ziel die „creatio comunio ex espiritu“ ist.
Mittels liturgischer Mittel zeigte sich die aktive Teilnahme der Gläubigen im Gottesdienst, dessen
Inhalt aber zugleich einen passiven Empfang geistlicher Prophetie verkörpern.
Auf diesem Hintergrund ist die Zungenrede als sichtbares Zeichen der Geisterfahrung „ein Symbol unserer Gebrochenheit und ein Vorgeschmack auf die Heilung. […] [Sie] widersetzt sich den
Ansprüchen einer realisierten Eschatologie, die die Katholizität für selbstverständlich hält und
den Forderungen eines radikalen Sektierertums, das den Skandal der kulturellen und institutionel-
405
Campos, Experiencia del Espíritu, S. 77f.; vgl. Tillich, Systematik II, S. 92 zum Thema der Mystik: „Das Mystische als Kategorie ist identisch mit der Gegenwart des Göttlichen in jeder religiösen Erfahrung. In diesem Sinn ist das Mystische das Herz einer jeden Religion. Eine Religion, die nicht sagen kann: Gott ist gegenwärtig, wird zu einem System moralischer und lehrhafter
Regeln, die an sich nicht religiös sind, selbst dann nicht, wenn sie ursprünglich aus Offenbarungserlebnissen herrühren“.
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Ulrike Sallandt
len Spaltungen der Kirche leugnet“406. Sofern auf diesem Hintergrund das prophetisch gesprochene Wort in der „Sprache des Geistes“ (Hollenweger) als prophetisches Wort Gottes angenommen und akzeptiert werden kann, zeigt sich in der Zungenrede die grundlegende Perichorese
zwischen Wort und Geist Gottes, die vor jeglicher Über- und Unterordnung bewahrt.407 Wird diese zu unterscheidende Überzeugung ignoriert, die, -wie wir gesehen haben- ihre Wurzeln in der
Weltauffassung hat, so wird das in der Zungenrede hörbare Wort, welches weder kognitiv noch
grammatikalisch erfassbar ist, abgelehnt und die Pfingstrealität erscheint unverständlich und irrational der modernen Welt zu wider.
Während die moderne okzidentale europäisch aufgeklärte Welt sich dem Bau von sichtbaren
Heiligtümern widmet, so kann die Zungenrede als Bau der „Kathedrale von Tönen“, als „ein sozio-akustisches Heiligtum“ verstanden werden, in dem Menschen (auf ungewöhnliche Weise) ihrem Kontext und ihren Möglichkeiten entsprechend- die Gegenwart Gottes suchen.408
Wie zu Beginn und im Verlauf dieses Abschnitts zeigt sich das produktiv-kreative Element im
Gottesdienst der Pfingstler, das nicht nur in der Geistekstase, sondern im Gesamtbild mittels der
liturgischen Elemente die dynamische Spannung zwischen Askese und Mystik widerspiegelt. In
der künstlerischen Schöpfung der unsichtbaren, aber klangvollen Kathedrale beinhaltet sie sowohl die Produktion als auch die Bewahrung der heiligen Welt, denn Töne klingen noch lange
nach und verändern sich.
Im Folgenden soll die thematisierte geistliche Ekstase weiterhin Mittelpunkt unseres Interesses
bleiben, nun aber unter besonderem Augenmerk auf die beteiligten Personen. So nähern wir uns
auf der einen Seite der Autoritätsgestalt des pfingstlichen Leiters (Pfarrer, Missionar, Evangelist
etc.) zu, auf der anderen Seite den „Schwestern und Brüdern“, der Pfingstgemeinschaft, um ihre
jeweiligen spezifischen Charakteristika, vor allem im Bezug auf den Geist, herauszuarbeiten.
Außerdem wird die beobachtete Kommunikationsstruktur zwischen beiden Instanzen in Vollzug
und Wirkung zur Sprache gebracht, deren Hauptziel die Erbauung des Einzelnen und der Gemeinschaft beinhaltet.
Macchia, Zungenrede und Prophetie, S. 252.
Vgl. zu diesem Thema Welker, Art. Wort und Geist – Geist und Wort, vor allem S. 264f.: Welker geht es in seinem Artikel darum, den exegetischen Irrtum aufzulegen, der darin besteht, die Glossolalie und das Pfingstereignis in einen Kausalzusammenhang zu stellen. Es handelt sich nicht um eine grundsätzliche Negation der Geistgaben, sondern um den Versuch der biblischen Korrektur im Sinne des ökumenischen Geistes. Zu fragen bleibt, ob Welker die wesentlich zu unterscheidenden Glaubensüberzeugungen der Pfingstler (kosmologische Weltauffassung, Prophetie) berücksichtigt.
408 Vgl. Hollenweger, Geist und Materie, S. 315f., ders., Charismatisch pfingstlerisches Christentum, S. 251.
406
407
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Die Geistlich-autoritären Leit-/ Verwaltungsträger und die Gemeinde im pfingstlichen
Kontext
Rufen wir uns an dieser Stelle die Typologisierung (vgl. 4.3.1) der Pfarrer der AdD der vorliegenden Untersuchung in Erinnerung. Bei der vergleichenden deskriptiven Darstellung der vier
verschiedenen Typen waren wir zu dem Ergebnis gekommen, dass sich bei den Pfarrern eine anfängliche Tendenz erkennen lässt, sich –ausgelöst durch die aufkommenden gesellschaftlichen
Herausforderungen- der Welt zu öffnen. Auf diese Weise entstand die für sie konfliktreiche Situation, auf der einen Seite ihrer Pfingsttradition treu zu bleiben, auf der anderen Seite sich verantwortungsbewusst den neuen Aufgaben zu stellen.
Um diesen Identitäts-Konflikt der Pfingstpfarrer zwischen Tradition und Innovation soll es im
Folgenden gehen, und zwar in Beziehung zu ihrem Kontext der gottesdienstlichen Feier.
Den Pfingstgottesdienst kennzeichnete eine gewisse Spannung zwischen religiös-prophetischen
und magisch-mystischen Elementen. Diese Spannung vermittelt der Pfingstversammlung eine
dynamisch-spontane Erscheinung, die in einem schöpferischen Akt im Geist –konkret im ekstatischen Ereignis- als die versöhnende Erfahrung der koinonia erlebt wird.
Dieses spannungsvolle Phänomen begründet sich in der dialektischen Problematik von „Charisma und Institution“. Es ist bekannt, dass sich die charismatische Pfingstgemeinschaft aus soziologischer Perspektive weder als religiöse Bewegung, noch als sektiererischer Gemeinschaft noch
als kirchliche Organisation definieren lässt. Sie ist in keine dieser geschlossener religiösen Systeme einzugliedern, im Gegenteil, sie steht mit allen in Beziehung und Distanz und beabsichtigt,
auf diese Weise ihre charakteristische Dynamik409 zwischen charismatischer Spontaneität (mag.
myst. kontemplative Elemente) und institutioneller religiöser Systematik (Strukturierung, Rationalisierung, Ethisierung) zu erzeugen und zu bewahren.
In dem Kontext dieser schöpferischen Dialektik bewegt sich nun der Pfingstpfarrer o.ä., dessen
eigenes Auftreten mit diesem Umfeld in Verbindung und unter wechselseitigem Einfluss steht.
„Und er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer“ (Eph 4, 11).
Mittels dieses biblischen Bezugs existiert im evangelisch-protestantischen Bereich der Glaube an
das sog. „Fünffache Amt“410 (ministerio quintuple), dem auch im Bereich der Pfingstler gefolgt
wird. Das persönliche Berufungserlebnis, welches den Gläubigen ereilt, legt den Grundstein für
ein Leben, welches dem jeweiligen von Gott eingegeben Amt gewidmet wird. In der Realität des
409
410
Vgl. Campos, Reforma Protestante, S. 48-50; zu diesem Thema vgl. Pkt. 5.3 bzgl. der Ekklesiologie.
Vgl. Campos, Experiencia del Espíritu, S. 75f.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Gottesdienstes haben wir gesehen, dass die Aufgaben und die Charakteristika der Pfarrer im
Vollzug teilweise phänomenologisch nicht mehr von einander zu trennen sind und in diesem Fall
von Mischformen die Rede sein muss. Dem Thema des „Fünffachen Amtes“ kann an dieser Stelle nicht gefolgt werden, es soll aber deutlich gemacht werden, dass jegliche „Amtsausübung“ im
Kontext des Pfingstgottesdienstes letztendlich auf dieser göttlichen Autorisation beruht, unabhängig diverser institutioneller späterer äußerer Einflüsse von Gemeindeaufbau und kirchlicher
Organisation, auf die zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen werden soll.
Max Weber unterscheidet drei ideale Herrschaftstypen:
1) rational-legale mit formal-unpersönl. Charakter
2) traditionell mit persönlich-historischem Charakter
3) charismatisch mit persönlich-qualifizierten Charakter411
In den Pfingstgemeinschaften kann sowohl der traditionelle als auch der charismatische Typ auftreten. Ihr Erscheinen ist aber davon anhängig, in welchem „institutionellen“ Moment sich die
jeweilige lokale Pfingstgemeinde befindet.412 So lässt sich nach Campos aussagen, dass der traditionelle Leitungstyp „nur“ in dem Zustand der Kirche auftritt, während der charismatische Typ ja
gerade die dynamisch-dialektische Spannung zwischen Sekte und Bewegung braucht, um zu
existieren.
Ist also die Rede von der Beziehungsstruktur „Leiter-Gemeinde“ muss im Pfingstkontext gleichzeitig von charismatischer und traditioneller Herrschaft gesprochen werden, d.h. von „vitalischen“ (líderes vitalicos) und gewählten Leitern (líderes electivos), deren Ursprung die göttliche
Berufung ist, deren Entwicklungsstadien aber genau den auch bei den AdD beobachteten „Verschleiß“ des ursprünglichen (charismatischen) „Feuers des Heiligen Geistes“ widerspiegelt(Rationalisierungsprozess).
Beide Leitungstypen erfahren und begründen ihr Amt, welches ein Amt auf Lebenszeit darstellt,
im „Ruf“ des Heiligen Geistes, und lassen sich unmittelbar durch das Wort der Heiligen Schrift
führen und leiten. Die persönliche Erfahrung wird auf diese Weise für den pfingstlichen Amtsträger das grundlegende Fundament für ein Leben im Dienst seines Herrn.
411
412
Vgl. Weber, WuG5, S. 124.
Nach dem peruanischen Pfingsttheologe kennzeichnet sich die institutionelle Realität der Pfingstler durch eine gewisse ekklesiologische Dynamik, die darin besteht, dass sich das Propium der pfingstlichen Existenz nicht in dem Zustand der Kirche, der
Sekte, der rel. Bewegung findet, sondern je nach Entwicklungsstand der ein oder andere institutionelle Zustand besteht.
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Ulrike Sallandt
Im Folgenden nähern wir uns der Identität der Pfingstpfarrer mittels des charismatischen (Herrschafts-) Begriffs Webers, welcher –trotz aller Kritik- gerade als zentrales Konzept in seiner Religionssoziologie in der Spannung von Magie und Religion stehend413 –im Gegensatz zum paulinischen Charismaverständnis414- dem dynamischem Kontext der Pfingstler entspricht.
5.2.1 Die charismatische Leitung
„Nicht immer nur diese, aber vornehmlich diese außeralltäglichen Kräfte sind es,
welchen gesonderte Namen: mana, orenda, bei den Iraniern: magie (davon magisch)
beigelegt werden, und für die wir hier ein- für alle mal den Namen Charisma gebrauchen wollen“415.
Die außeralltäglichen Kräfte in all ihren Erscheinungsformen erheben eine determinierte Person
aus dem objektiven Alltagsgeschehen und lassen sie auf diese Weise mit besonderen Qualitäten
über-natürlich, über-menschlich, begabt von Gott, vorbildlich u.a. erscheinen.416
Im Bezug auf die Pfingstler zeigen sich diese außeralltäglichen Kräfte durch die Wiederbelebung
messianischer, prophetischer Elemente und religiösen Erfahrung, die geprägt sind von millenaristischen Spekulationen und gnostischer Rationalisierung. Unter charismatischer Leitung zeigt sich
im öffentlichen Amtvollzug, d.h. bei der Praxis der Wortverkündigung, bei Krankenheilungen
und Dämonenaustreibungen u.a. die Akzentuierung der mystisch-magischen Erfahrungen, die eine besondere neue Beziehung zwischen „Leitung-Gemeinde“ entstehen lässt. Diese Beziehung ist
geprägt von einer speziellen Kommunikation, die den gewissen sozialen Aspekt der Pfingstgottesdienste zum Ausdruck bringt. Sozial in dem Sinne, dass im mystischen Erleben der Mensch
sich als Teil dieser mystischen Gemeinschaft fühlt, welches gerade durch die erhöhte „Kommunikationsbereitschaft“ des charismatischen Leiters begünstigt wird. Dieses hohe Kommunikationspotential der religiösen Überzeugung drückt den aktiv gelebten Glauben aus417, der sich nicht
Der weberianische Charismabegriff weist mit Laufe der Zeit einen komplexen, teilweise aber widersprüchlichen Bedeutungsinhalt auf. Dieser Umstand hängt mit der Beziehung zu zwei unterschiedlichen Kontexten zusammen. Zum einen folgt Weber
den Kirchenhistoriker Sohm, zum anderen entwickelt er den Begriff in seiner Religionssoziologie und setzt ihn in die Spannung von Magie und Religion, vgl. dazu Riesenbrodt, Charisma, S. 151; vgl. auch die Kritik Breuers an dem eindimensionalen
Vorgehen Webers, der die Magie als eine frühe Entwicklungsstufe der Religion darstellt, Breuer, “Magisches und religiöses
Charisma”.
414 Vgl. Schütz, TRE-Art. „Charisma“, S. 688-93.
415 Weber, WuG5, S. 245.
416 Vgl. Weber, WuG5, S. 140.
417 Für Durkheim ist die Religion ein System von Ideen, welches im Idealfall Früchte trägt. Ziel der Religion ist die Duchdringung
des Bewusstseins des gläubigen Menschen. Die religiöse Verbindung zwischen Idee und menschlichem Bewusstsein kann
keine andere sein als der mitgeteilte aktiver Glaube, der die Religion mit der menschlichen Realität in Verbindung setzt und
auf diese weise authentisch ist; vgl. Durkheim, “Las formas elementales de la vida religiosa”, S. 40f.
413
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selten in einer Sprache determinierter Symbole, die auf eine andere transzendente Wirklichkeit
verweisen418, ausdrückt.
Dieses Miteinander setzt die Bewährung des charismatischen Führers voraus, die sich der objektiven Beurteilung der Allgemeinheit entzogen hat, und sich an der subjektiven Begeisterung der
gläubigen Anhängerschaft ablesen lässt.
Das religiöse Pfingsterlebnis ist –wie wir gesehen haben- ein durch und durch persönliches Erfahren der Kraft Gottes, die sich der Objektivation (Berger)419 der zuschauenden Allgemeinheit
entzieht. Der charismatische Pfingstleiter besitzt demzufolge einen transzendenten Charakter, d.h.
durch die Geisttaufe und die Berufung im Geist kommt ihm göttliche Unfehlbarkeit zu, den er
mit seiner messianischen Ideologie seinen Anhängern im Hier und Jetzt zum Ausdruck bringen
will. Das Kommunikationsgefüge des charismatischen Führers ist also sowohl in vertikaler als
auch in horizontaler Ausrichtung ein aktives. Der enge Kontakt mit dem Göttlichen verleiht ihm
das Charisma und lässt ihn zu der Gemeinde als „vox arbitrii vox Dei“ (Stimme Gottes) sprechen.
Diese Art von Heiligsprechung des charismatischen Leiters steht mit dem Bau der „Kathedrale
aus Tönen“ (Hollenweger) als heiliger Ort der Gegenwart Gottes in Verwandtschaft und erfüllt
das religiöse Streben über die menschlich erfahrbaren Brüche des Lebens hinweg in und mit der
Einheit des Göttlichen zu kommunizieren.
Diese Gleichsetzung des charismatischen Leiters mit dem Göttlichen erzeugt bei den gläubigen
Anhängern einen „automatisierten“ Gehorsam, im Idealfall aus dem Herzen, denn ihr Leiter ist
ein von Gott Beauftragter und somit unfehlbar in seinem Handeln.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass dieser „automatisierte“ Gehorsam auch gewisse
Ansätze für eine von Gott abgesegnete Manipulation begünstigt, die aus der (kommunistischen)
Liebesgemeinschaft eine hierarchische Kirchenstruktur machen kann. Da das einzig geltende Kriterium Gottes Urteil ist, welches sich in dem Menschen offenbart, ist die Möglichkeit, dem
„Stellvertreter Gottes“ Widerstand zu leisten, dem gläubigen Anhänger prinzipiell unmöglich.
Der charismatische göttliche Leiter verfügt somit im Idealfall über die uneingeschränkte Freiheit,
durch göttliche Eingebung neue Gebote aufzustellen, um das Leben nach göttlichem Maßstab zu
Die religiöse “Verweis” Sprache der Symbole zielt zunächst auf eine andere nicht objektivierbare Wirklichkeit fern jeglicher Alltagserfahrungen. Da Sprache aber nicht nur über die Fähigkeit verfügt, dem Alltag fernstehende Symbole zu bilden, sondern
auch diese in die Alltagswelt zurückzuholen, verkörpern diese eine wichtige Grundlage für die Alltagswelt des Menschen, der
an sie glaubt; vgl. Berger/ Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 42.
419 Der Begriff der Objektivation zielt auf den Prozess des Menschen, die Phänomen der Wirklichkeit im eigenen Bewusstsein zu
erfassen, d.h. sie zu verobjektivieren und auf diese Weise zu einem grundlegenden Wissen in der Alltagswelt zu gelangen,
a.a.O., S. 22; vgl. auch Berger, Dialektik zwischen Religion und Gesellschaft, S. 3f.: die Gesellschaft als dialektisches Phänomen besteht aus den Prozessen der Externalisierung, Objektivierung und Internalisierung. „Objektivierung ist die Gewinnung
einer Wirklichkeit, die ihren Hervorbringer als Faktizität gegenübersteht“.
418
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ordnen. Hier begegnet uns erneut der Schöpfungsaspekt, der uns schon bei der Behandlung des
Gottesdienstes im Allgemeinen (5.1) beschäftigt hat.
Die schöpferische „emotionale Vergemeinschaftung“ (Weber) zwischen Leitung und Gemeinde
im Pfingstgottesdienst stellt für den Menschen eine neue Alternative für sein „chaotisches“ Leben
dar, welche ihm Ordnung und Struktur verschafft. Dieses kreative in charismatischer Gestalt
vermittelte Angebot rettet den Menschen aus Not und Hoffnungslosigkeiten und erzeugt seinen
„blinden“ Gehorsam, der sich in der Begeisterung und Hoffnung auf Besserung der eigenen Lebenssituation begründet.
Mit Weber versteht sich die charismatische „Sendung“ oder auch „innere Aufgabe“ als eine revolutionäre Macht, die sowohl in traditionell gebundenen Epochen entsteht, als diese auch beeinflusst und verändert. In Anlehnung und kritischer Abgrenzung zu diesem aktiven Potential der
weberianischen charismatischen Herrschaft lassen sich folgende Aussagen zu den Pfingstpfarrern
treffen.
Die Typologie zeigte den Konflikt zwischen Tradition und Innovation im Überblick der untersuchten Pfarrer. Deutlich wurde, dass die Pfarrschaft sich in einer Art Übergangssituation befindet, in der die traditionelle Geist-Basis der AdD allein nicht mehr genügt, um den Anforderung
der Gesellschaft Antwort zu sein. So kann bzgl. des Traditionsgutes der AdD vor allem an ihre
Gründungszeit erinnert werden, in der der Geist Gottes auf eine nie da gewesene lebendige Art zu
gegen war. Die Beschreibung dieser Zeit führt uns vor Augen, dass die Gründer dieser GeistBewegung charismatische Träger im weberianischen Verständnis gewesen sein müssen, die sich
revolutionär gegen den monopolisierten katholischen peruanischen Kontext seiner Zeit richteten
und neue religiöse Alternativen schafften. Die außeralltäglichen Kräfte –vor allem sichtbar in der
Geisttaufe- zogen etliche Menschen aller ethnischer Rassen und Völker an und beabsichtigte eine
Erneuerung innerhalb der Traditionskirchen. Die Entwicklung endete mit der Ablehnung von
Seiten der Großkirchen und der selbständigen Konstitution der Pfingstler, d.h. mit dem Beginn
ihrer institutionellen Etablierung.
Blickt man nun nach 100 Jahren auf die Gegenwart der AdD und ihren charismatischen Träger
scheint, eine Akzentverschiebung stattgefunden zu haben. Zwar besteht noch immer theoretisch
der geistliche Schwerpunkt, aber der Praxis mangelt es an der wirklichen praktizierten GeistErfahrung, der Geisttaufe. Dieser Mangel ist nicht nur irgendein Mangel, sondern muss aus soziologisch-funktionaler Sicht als der fundamentale Grund der Akzentverschiebung in den Reihen
der AdD erkannt und benannt werden, denn auf der Geisttaufe und dem wirklich praktizierten
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Geisterlebnis hat sich die Pfingstkirche der AdD gegründet und bis zum heutigen Tag versucht
sich mit ihr zu identifizieren.
Die geistlichen Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen (vgl. 5.4.1) verloren an
Überzeugungskraft und die Erfolge der charismatischen Leitung blieben aus. Sowohl Leitung als
auch geleitete Gemeinde streben nach diesem mystischen Geist-erlebnis, doch anstatt dass außeralltägliche Kräfte sichtbar werden, kann aus empirischer Beobachtung heraus die Hypothese aufgestellt werden, dass der gegenwärtige Alltag der Pfingstler eine soziale Wirklichkeit ist, die
Geist-gemeinschaft420 sein will, aber die sich noch auf dem Weg befindet, sie wirklich (wieder)
zu sein. Ihr religiöses Symbolsystem befindet sich im Prozess der Etablierung und Manifestation,
wahrhaftige Grundlage der Pfingstgemeinschaft zu sein.421
Diese Hypothese verfolgend wenden wir uns dem traditionellen Leitungstypen zu, dessen Wurzeln in der Institutionalisierung der AdD, d.h. in der Rationalisierung der charismatischen Herrschaft liegen und –wie wir sehen werden- mit diesem in einer noch spannungsreichendialektischen Beziehung steht.422
5.2.2 Der traditionelle Leitungstyp
Auch dieser Typ begründet sich auf eine göttliche Berufung, aufgrund derer die geistliche Autorität trotz seiner Amtswahl einen charismatischen Ursprung haben kann. Im Gegensatz zum charismatischen Typ tritt er eher in dem institutionell-organisierten Zustand der Kirche auf, in der
das Verhältnis zwischen Leitung und Gemeinde demokratisch-gesetzlich geregelt erscheint.423
Die für ihn charakteristische Wahl vollzieht sich im Zuge der schon erwähnten Notwendigkeit
der Rationalisierung (Weber), oder mit anderen Worten der Institutionalisierung des Charismas,
denn –es handelt sich hier um eine Übergangsphase von dem Gründungs- zum angestrebten etablierten Dauerzustand der religiös-charismatischen Gemeinschaft, die auch bei der Pfingstkirche
der AdD stattgefunden hat.
Geist-gemeinschaft verstanden im Sinne des Pfingstverständnisses, nämlich Pfingstkirche, ein Ort zu sein, an dem der Geist
sichtbar wird in der Geisttaufe, den Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen; vgl. Pkt. 5.4.
421 Vgl. Geertz Definition von Religion, Dichte Beschreibung, S. 48.
422 Diese dialektische Beziehung steht dem weberianischen Verständnis von Charisma und Tradition entgegen. Es sei darauf
hingewiesen, dass die weberianische Definition des Charisma als anti-traditionalistisch-revolutionär in ihrem Umkehrschluss
nicht haltbar ist, d.h. es kann die These, dass Traditionalismus „nur“ durch Charisma gebrochen werden kann aufrechterhalten
werden, aber dass daraus die Schlussfolgerung entsteht, dass Charisma anti-traditionalistisch sei, ist abzulehnen. Dass dieser
Umkehrschluss in der Realität der AdD nicht zu trifft, wird sich im Verlauf der weiteren Ausführungen verdeutlichen, vgl. Riesenbrodt, Art. „Charisma“.
423 Vgl. zu diesem Abschnitt Campos, “Liderazgo y administración del poder en las comunidades pentecostales”, S. 2 (zitiert nach
Ausdruck aus Internet).
420
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Die Wahl ist u.a. ein Ausdruck dieses Prozesses, mittels der die Funktion der geistlichen Autorität systematisiert und kontrolliert wird, und somit der alleinige Maßstab –das Urteil Gottes- aufgehoben wird. Die religiöse Legitimation424 des charismatischen Leiters erfährt hier eine grundlegende Erweiterung durch das Einspruchrecht der Gemeinde und mindert den göttlichen Charakter der geistlichen Autorität. Sie ist in erster Linie Mensch.
Der traditionelle Leiter erscheint als ein autoritärer Beschützer der dogmatischen Pfingstlehre,
der er sich verpflichtet fühlt und die er in fester liturgischer Form vermitteln will. Diese rationale
–aber vor-logische- Vermittlungsabsicht fordert einen tendenziell moderaten Frömmigkeitsstil an
die säkulare Welt, der durch die Praxis der „Zeugnistheologie“ (vgl. 5.3.1) geprägt ist. In Abgrenzung zum charismatischen Leiter ist sein Dasein abhängig von der Reputation der Gemeinde,
d.h. er ist „vox populi, vox Dei“ (Stimme des Volkes)425 und somit ist sein Handeln kein Handeln
in absoluter Freiheit vor Gott, sondern ein Handeln in relativer Freiheit und irdisch verankerter
Verantwortung. Es kann an dieser Stelle auch von einem Handeln zwischen charismatischerFreiheit-im Geist und institutioneller-Bindung-an-das-Gesetz gesprochen werden.
Mit Blick auf die Realität der AdD muss noch mal betont werden, dass auch der traditionelle Leitungsträger charismatischen Ursprungs sein kann und diese Wurzeln in seinem Dasein latent
sichtbar bleiben. Die Differenz liegt darin, dass die charismatischen Wurzeln sich von ihrem eher
mystisch-magischen Charakter entfernt haben, so dass es sich im weberianischen Sinne um den
Wechsel vom mystisch-magischen zum religiös-systematischen Begriff des Charismas im Prozess der Modernisierung handelt.426
5.2.3 Das Beziehungsverhältnis zwischen Charisma und Tradition
Wie wir gesehen haben hat sich bei der Typologisierung der Pfingstpfarrer eine gewisse Widersprüchlichkeit innerhalb der einzelnen Typen gezeigt. Im Gesamtbild wurde eine gewisse spannungsreiche Identität zwischen Tradition und Innovation beobachtet, die durch die aufkommen424„[
Die] historisch entscheidende Rolle, welche die Religion für die Legitimierungsprozesse gespielt hat, beruht auf ihrer einzigartigen Fähigkeit, menschliche Phänomene einen Platz in einem kosmischen Bezugssystem zu geben“, Berger, Dialektik zwischen Gesellschaft und Religion, S. 35.
425 Vgl. zu diesem Abschnitt ebd.
426 Ich weise darauf hin, dass Weber diese Unterscheidung zwischen magischen und religiösem Charisma mit Blick auf sein Gesamtwerk nicht durchhält und das dieselbige auch empirisch nicht eindeutig zu eruieren ist. Riesenbrodt betont, dass es Weber vor allem um die Betonung des Prozesses der Versachlichung des Religiösen handelt; vgl. zu dieser kritischen Beobachtung Riesenbrodt, “Charisma”, S. 165; vgl. auch Weber, WuG5, S. 328f.; nochmals sei auf Breuer verwiesen, der in seinem Artikel auf kritisch reflektierter Basis verdeutlicht, dass die magisch-präoperativen Denkmuster –die für ihn sowohl psychologische als auch gesellschaftliche Relevanz besitzen- “insbesondere dort prägend sind, wo die gesellschaftliche Differenzierung
noch wenig entwickelt und die Eigengesetzlichkeit des Sozialen noch stark begrenzt ist”, Breuer, „Magisches und religiöses
Charisma”, S. 220.
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den Herausforderungen des gesellschaftlichen Kontextes begründet wurden. Das beobachtete heterogene Bild der Einzelpersonen der Pfarrer sowie das des Kollektivs der Pfarrschaft in der Gesamtschau kann auf der Basis der obigen Analyse in dem Prozess der „Entzauberung“ (Weber),
mit anderen Worten in dem Wechselverhältnis427 zwischen magischen und religiösen Charisma
innerhalb der Geschichte der AdD lokalisiert und erklärt werden.
Der benannte Prozess ist kein evolutionär-geradliniger, sondern gekennzeichnet von Fort- und
Rückschritten, die wiederum nicht isoliert in Raum und Zeit stehen, sondern in engster Beziehung
und Wechselwirkung zum jeweiligen geschichtlichen Kontext (vgl. 5.4). Die ursprüngliche Basis
des Geist-charismas, nämlich der Glaubens an außeralltägliche Kräfte und deren Vollzug muss
aufgrund seiner Labilität einer Dauerexistenz einer ganzheitlichen Identität weichen. Dieser Weg
zum Ziel einer ganzheitlichen Welt zugewandten und spirituellen, d.h. tendenziell Welt abgewandten Wirklichkeit, spiegelt die spannungsreiche heterogene Wirklichkeit der AdD wieder.
Ihre Praxis verkörpert die Problematik der Harmonisierung zwischen Tradition und Innovation,
um eine neue manifestierte Identität stiftende Grundlage zu haben. Aus dem Mangel und der Begrenztheit der authentischen „Geist-praxis“ resultiert die Herausforderung einer Neuorientierung,
die charismatischen Geist und religiöse Institution verbinden kann.
Dieser spannungsreiche Prozess der Identitätsfindung bewegt sich im Horizont der Problematik
zwischen Charisma und Institution, oder konkreter auf die Gestalt des Leitungs-/ Verwaltungsträger bezogen, zwischen persönlichem und Amtcharisma.
So werden im Folgenden die sowohl prophetischen als auch die eher priesterlichen Elemente der
Pfarrer der AdD herausgestellt, um ihren Charakter und ihre gegenwärtige Rolle im Pfingstgottesdienst herauszuarbeiten.
5.2.3.1 Der Pfingstpfarrer - Prophet und/ oder Priester
“Wir wollen hier unter einem Propheten verstehen einen rein persönlichen Charismaträger, der kraft seiner Mission eine religiöse Lehre oder einen göttlichen Befehl
verkündet. […] Entscheidend ist für uns die persönliche Berufung. Das scheidet ihn
vom Priester […]. Vom Zauberer unterscheidet er sich dadurch, dass er inhaltliche
427
Beachte den bewusst gewählten Terminus „Wechselverhältnis“, welches von der weberianischen eindimensionalen Entwicklungsthese von der mechanisch.instinktiven Magie zur systematisierten rationalisierten Religion (bis zum tragischen Moment
der Auflösung), zu unterscheiden ist, vgl. Breuer, „Magisches und religiöses Charisma“, der anhand der sog. ´epigenetischen
Zivilisationstheorie’ –der Sukzession von Zyklen gesellschaftlicher Reproduktion- zum Ergebnis kommt, dass das magisches
Charisma im tribalen und archaischen Zyklus die Form der sozialen Reproduktion inne hat, während das religiöse Charisma
einen wichtigen Entwicklungsschritt im gesellschaftlichen Fortschritt verkörpert, aber dennoch die magischen-präoperativen
Elemente weiterexistieren, S. 236.
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Offenbarung verkündet, der Inhalt seiner Mission nicht in Magie, sondern in Lehre
oder Gebot besteht. Äußerlich ist der Übergang fließend”428.
Diese Definition Webers zeigt die Gestalt des Propheten sowohl in abgrenzender Berührung zur
Magie und Zauberei, als auch in der Akzentuierung der “persönlichen” Erfahrung einer göttlichen
Berufung in der Differenzierung zur Gestalt des Priesters. Dieser weißt ebenfalls diesen Berührungspunkt zur Magie auf.429
Anhand der folgenden graphischen Darstellung, die sich an den Kontrastbegriffen von Magie und
Religion Webers orientiert, soll versucht werden, das Pfarrerkollektiv der AdD in ihrem gegenwärtigen heterogenen Gesamtbild des dynamischen Übergangsstadiums näher zu beleuchten.
MAGIE
„mag. Zwang“Charisma
Verborgene
Naturkräfte
Geistwesen
MagierLaien
Prophet
HINTERWELT
SymbolisierungCharisma
Götter
Pantheon
Gott
Priester
Zauberer
Wünsche
Bedürfnisse
Ethisierung
Sünde
RELIGION
(Aus: Knoblauch, Religionssoziologie, S. 54.)
Das Schaubild verdeutlicht den angesprochenen Berührungspunkt zwischen Prophet/ Priester auf
der einen Seite und dem Magier/ Zauberer auf der anderen Seite. Besonders nah stehen sich die
Gestalten des Propheten und Magiers.
Während Weber von einem fließenden Übergang von magischen zum religiösen Handeln spricht,
soll mit Blick auf die Realität der Pfingstler von einem dynamischen Miteinander der magischen
und religiösen Elemente gesprochen werden, um so die funktionale Bedeutung der Pfarrer im
Gottesdienst –dem Raum der Geistekstase- in ihrer Komplexität zu erfassen.
Allgemein kann der Prophet dem charismatischen Typ, der Priester dem traditionellen Leitungstyp zu geordnet werden. Während der Prophet durch sein persönliches Charisma eine persönlich
428
Weber, WuG5, S. 268f.; dem gesamten Abschnitt liegt folgender Aufsatz zugrunde: Lang, „Prophet, Priester und Virtuose“.
Priester [sind] diejenigen Funktionäre […]], welche durch Mittel der Verehrung die „Götter“ beeinflussen, im Gegensatz zu den
Zauberern, welche „Dämonen“ durch magische Mittel zwingen. Aber der Priesterbegriff schließt gerade die magische Qualifikation ein. Oder man nennt Priester diejenigen Funktionäre eines regelmäßig organisierten stetigen Betriebs der Beeinflussung der Götter, gegenüber der individuellen Inanspruchnahme der Zauberer von Fall zu Fall“, Weber, WuG 5, S. 259.
429„
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qualifizierte Herrschaft innehat, besitzt der Priester sein offizielles Amt mittels traditioneller
Nachfolgedesignation, welcher Umstand auf die institutionelle Wahl verweist.430
Die prophetische Verheißung steht in engster Beziehung zum Geist Jahwes, während die Gestalt
des Priesters zwar „in nachexilischer Zeit die Mittler zwischen Gott und Volk [sind], mit dem
Vorrecht sich Jahve zu nahen“ (Ex 19, 22). Aber diese ausgezeichnete Stellung wird weder mit
dem persönlichen, noch einem Amtscharisma verbunden“431. Mit Blick auf die Realität der AdD
wird festgestellt, dass es sich in diesem Aspekt der Amtseinsetzung formal um die traditionelle
Form handelt (Pfarrer werden gewählt), aber dass sich die Pfarrer im Einzelnen in erster Linie auf
ihre persönliche Geist-berufung beziehen, von der sie zeugnishaft berichten müssen.
Diese verleiht ihnen und ihren Aussagen eine göttliche Autorität, die sie als „Sprachrohr“ (Wach)
Gottes auftreten lässt. Während ihre unmittelbare Kommunion mit Gott augenblicklich erlebt und
gespürt wird, zeigt sich diese göttliche Verbindung bei der Person des Priesters eher als die
Grundlage einer andauernden Existenz, in der der Priester die formal geltende Vermittlungsfunktion zwischen Gott und Mensch innehat. Diese Vermittlungsaufgabe erscheint frei von visionären
Erscheinungen oder ekstatischen Erlebnissen, die im Gegensatz die Beziehung zwischen dem
Propheten und dem Göttlichen charakterisiert.
Die umfassende prophetische Botschaft, die sich auf der politischen, sozialen und nationalen Tätigkeit des Propheten gründet (z.B. Amos 5, 21-24) und sich gegen ungerechte Gesellschaftsstrukturen zum Protest erhebt zeigt die globale gesellschaftliche Funktion des wesenhaft individuellen Offenbarungserlebnisses des Propheten. Das zuvor erwähnte Pfingstverständnis der Prophetie (vgl.5.1)432, welches die (Folge) Funktion des individuellen prophetischen Offenbarungserlebisses vernachlässigt, verursacht die in der Graphik veranschaulichte Nähe zur Gestalt des
Magiers.
Der „Pfingstprophet“ „geht“ (passiver Zustand) den Weg der „exemplarischen Prophetie“ (Weber), die sich im mystisch-kontemplativen Zustand als göttliches Gefäß zeigt. Auf diese Weise
entzieht sich der Prophet der ethisch aktiven Verantwortung in und für die Gesellschaft; seine
„ethische“ Funktion erschöpft sich darin, ein zeugnishaftes Vorbild für seine gläubigen Anhänger
zu sein.
Aufnahme und Weiterentwicklung der weberianischen Unterscheidung zwischen persönlichem und Amtscharisma findet sich
bei Joachim Wach, der in seinen religionssoziologischen Untersuchungen seiner Zeit dies zur Grundlage der Ausarbeitungen
seiner religiösen Autoritäten machte; bzgl. des Themas der Amtnachfolge Weber, WuG5, S. 143: er unterscheidet zwischen
fünf Lösungsansätzen: 1) Aufsuchen eines neuen Charismaträgers, 2) Offenbarung, 3) Nachfolgedesignation (daraus entwickelt sich die Methode der Wahl), 4) Erbcharisma, 5) Amtscharisma.
431 Schmidt, TRE-Art. “Charisma – II.Altes Testament”, S. 685.
432 Vgl Macchia, “Zungenrede und Prophetie”, S. 253.
430
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Der ethische Charakter des Priesters hingegen steht in Abgrenzung dazu in der Linie der aktiven
„Sendungsprophetie“ (Weber), ausgerichtet auf die Systematisierung und Rationalisierung der
prophetischen Inhalte. Dieses aktive Potential spiegelt sich ansatzweise in der zu beobachtenden
langsamen Öffnung zur Welt und zum Gedanken der Integralen Mission der Pfarrer wider433,
wird aber durch Angst und Furcht vor den dämonischen Versuchungen der Welt eingeschränkt.
Der Erkenntnis, sich den gesellschaftlichen Herausforderungen nicht nur in geistlicher Kontemplation zu stellen, sondern auch mit einer aktiven verantwortungsvollen ethischen Einstellung produziert den persönlichen Konflikt der Pfarrer, der durch das unvollständige Prophetieverständnis
ihrer Pfingstlertradition begünstigt wird.
Während das pfingstprophetische Verhalten tendenziell mehr auf die Gestalt des passiven magischen Mystikers verweist, endet die priesterliche Systematisierung entwicklungshistorisch in dem
„asketischen Protestant“, der den „Virtuose[n] der innerweltlichen Berufstugend“ verkörpert.434
Diese idealtypologischen Entwicklungslinien der kontrastierenden Begriffe von Magie und Religion zeigt das noch dualistisch beeinflusste dialektische Miteinander von prophetisch-magischen
und priesterlich-religiösen Momenten in der Pfingstrealität. Die ausgleichende Balance beider
Momente würde die Gestalt des religiösen Virtuosen hervorbringen, der die schöpferische Kunst
besäße die formalen und informalen Elemente des Charismas und der Institution, der Innovation
und Tradition, der Magie und Religion, der Mystik und der Askese (i.S. Webers) zu vereinen.
Das Charisma träte in diesem Sinne als eine Identität stiftende Kraft auf, die Traditionelles aufnimmt und innovativ weiterentwickelt ohne ihre eigene Herkunft in diesem Prozess aufgeben zu
müssen. Es handelt sich vielmehr um den Prozess einer Neubestimmung/ Positionierung in einem
sich wandelnden Lebenskontext. Die gegenwärtig mögliche Umschreibung als
priesterlichen
(Form) Propheten (Inhalt)435, spiegelt die (unbewusste) Akzentuierung der magischen Methoden
wider. Dieser Thematik wenden wir uns im Folgenden zu.
5.2.3.2 Zwischen Magie und Religion
Es wurde bisher deutlich, dass die Pfingstrealität in der Geisterfahrung ihren zentralen Kern hat,
in dem sie sich begründet und die ihre historisch-traditionelle Identität ausmacht. Dieser GeistDer von Weber akzentuierte Schwerpunkt –aufgrund seiner okzidentalen Perspektive zu seiner Zeit-, der in seinem Werk „Die
protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ endete, kann aufgrund des kontextuell zu unterscheidenden peruanischen gesellschaftlich-wirtschaftlichen Einflusses nicht belegt werden. In einem Kontext wo die Religion überlebensnotwendig
ist, kann die These der „Wegrationalisierung“ und dem tragischen Ende der Religion nicht Fuß fassen.
434 Weber, WuG5, S. 328; vgl. auch „Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, IN: GARS I.
435 Als Kontrastbegriff kann der prophetische Priester dagegen gestellt werden, der sich in unserem okzidentalen Kontext niedergelassen hat.
433
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Glaube an die Existenz von bösen und guten Mächten, an die Vorstellung einer kosmischen
Weltwirklichkeit, die Geist und Materie miteinander vereint und die irdische „nur“ als ein Teil
des Ganzen wahrnimmt, bildet den Hintergrund für die magisch erscheinende Glaubenspraxis der
Pfingstler.
Zunächst soll kurz skizziert werden was unter Magie und Zauberei verstanden werden kann, so
dass in einem zweiten Schritt die Berührungspunkte mit den Pfarrern der AdD herausgearbeitet
werden können.
Die Grundlagen der Magie lassen sich in zwei Grundsätzen ausdrücken: Gesetz der Ähnlichkeit
(homöopathisch) und das Gesetz der direkten Übertragung, die unter dem Begriff der „Sympathetischen Magie“ zusammengefasst werden.436 Die Magie zielt auf die Praxis und die Anwendung
einer eigengesetzlichen Logik –präoperative Vorgänge437-, die der modernen aufgeklärten Neuzeit des Okzidents diametral gegenüberstehen. Sie stellt eine schöpferische künstlerische Tätigkeit dar, die die sie ausübende Person –der Zauberer/ Magier- ohne eingehende rationale Reflexion ausübt. Ihr Handeln beruht ähnlich wie das des Propheten und des Sehers auf ihrem persönlichen (göttliche) Charisma, welches ihnen in Ekstasen o.ä. zu Teil wurde.
Das Tun und Handeln des magischen Zauberers ist nicht in einen organisierten Kultbetrieb eingebettet, sondern er tritt als selbstverantwortlich unabhängig handelndes Individuum auf, das
nach der Gunst der Götter strebt.438 Dieses Streben nach einer anderen Wirklichkeitssphäre kann
bei einer Überbetonung zu einem tendenziell manipulierenden Verhalten führen, dass die außeralltäglichen Kräfte dieser anderen Welt beeinflussen beabsichtigt, damit sie in die alltägliche Gegenwart wirken.
Das magische Handeln beruht demnach auf einer kausalen Beziehungsstruktur zwischen dem
Jenseits und dem Diesseits, wobei im Gegensatz zum prophetischen Handeln das Jenseitige eine
Überbetonung erfährt:
„Der Wesensunterschied zwischen Religion und Magie besteht darin, dass der homo
religiosus die Unterwerfung des Menschen unter das von ihm verehrte Übernatürli436„
Homöopathische Ideen gründet sich auf die Verbindung von untereinander ähnlichen Ideen. Übertragungsmagie dagegen auf
die Verbindung von Ideen durch unmittelbare Aufeinanderfolge. […] Beide Arten der Magie […] können leichter unter dem
gemeinsamen Namen „Sympathetische Magie“ verstanden werden, da beide annehmen, dass die Dinge aus der Ferne durch
eine geheime Sympathie aufeinander wirken und dass der Impuls von einem auf den anderen übergeht durch […]“, Frazer,
Der goldene Zweig, S. 17.
437 Im Bezug auf Hallinke stellt Breuer heraus, dass “das präoperative Denken [...] gewiss in der Lage [ist], kausale Verbindungen
herzustellen und auf bestimmte Ursachen kontrollierend einzuwirken, doch neigt es ebenfalss dazu, sybolische Eigenschaften
als Substanzen zu begreifen, als Kräfte, die in den Dingen selbst liegen”. Im Bezug auf [wie Hallinke sie nennt] absolutistische
und essentialistischen Grundhaltungen heißt es, dass sich die Überzeugung widerspiegelt, dass “sich im Erfolg menschlichen
Unternehmungen immer auch eine außer- und übermenschliche Kraft verbirgt, die etwa reiche Ernte [...] gewährt”, zitiert aus
Breuer, “Magisches und religiöses Charisma”, S. 219.
438 Zur Person des Zauberers, vgl. Wach, Religionssoziologie, S. 402-405.
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che anerkennt, während der Zauberer versucht, die Götter mit Hilfe von Beschwörungen seinen Willen aufzuzwingen“439.
Der wichtige Unterschied besteht darin, dass das magische Handeln in seiner Überbetonung tendenziell auf eine Art von „Gotteszwang“ zielt, während religiöses prophetisches Handeln den
„Gottesdienst“ feiert, in und mit dem den Göttern Macht und Ehre erwiesen wird. Der Grund für
diese Tendenz ist der, dass den göttlichen Wesen ihre Autonomie (unbewusst) abgesprochen wird
und sie als tote leblose Objekte behandelt werden, die nach bestimmten Regeln der praktischen
Magie zum eigenen Nutzen beeinflusst werden können.440
Dieser qualitative Unterschied zwischen magischen und religiösem Verhalten, zwischen Gotteszwang und Gottesdienst, nimmt in der Pfingstler Wirklichkeit Gestalt an, sofern die magischen
Methoden der Dämonenaustreibung, Krankenheilungen441 im ekstatischen Ereignis der Zungenrede zum ausschließlichen Monopol der religiösen Gemeinschaft werden und auf diese Weise
den formal religiösen institutionellen Rahmen ihrer (Dauer-) Existenz ignorieren.
Mit Blick auf die AdD lässt sich ein magisch-mystischer Schwerpunkt erkennen, der in der Gestalt des priesterlichen „Pfingstpropheten“ sichtbar wird und in dem persönlichen Pfingsterlebnis
charismatisch begründet ist. Wenden wir uns an dieser Stelle dem Thema der Dämonen/ Dämonenaustreibung442 zu und zwar mit Blick auf die Berührungspunkte mit der Realität der AdD.
Die Praxis der Dämonenaustreibung, die von seinem Ursprung her mit der der Krankenheilung443
auf das Engste verknüpft ist, beinhaltet zum einen das dämonische Verhalten des Exorzisten, das
in dem Anspruch auf Göttlichkeit besteht444, zum anderen den Glauben an ein dämonisches
Weltbild, welches die Existenz von Geistern und Dämonen impliziert. Für unseren inhaltlichen
Zusammenhang ist vor allem die Thematik der dämonisch verursachten Unreinheit bedeutsam,
die in Beziehung zum pfingstlichen Ethos von Purifikation und Santifikation steht. Der Gefahr
der dämonisch verursachten Besessenheit (z.B. durch die körperlichen Öffnungen wie das Auge)
des Menschen führen zur Notwendigkeit, sich diesem Dämon zur Wehr zu setzen.
Wach, Religionssoziologie, S. 399; vgl. zu der magischen Überzeugung des Kausalzusammenhang zwischen den kosmischen
Sphären der Existenz, Knoblauch, Religionssoziologie, S. 52,
440 Frazer thematisiert die Magie im Zusammenhang von Zauberer und Religion und verdeutlich die manipulierende Tendenz der
Magie, die im Gegensatz zur Religion nicht nach der Versöhnung mit dem Göttlichen strebt, sondern es „zwingt und fesselt“,
Frazer, Der goldene Zweig, S. 74.
441“ Magische Praktiken treten in jenem kritischen Momenten auf, in denen das tradierte Wissen, die Erfahrungen und der Verstand den Menschen nicht mehr weiterhelfen können. Weil die Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihre Probleme lösen
können, reagieren sie mit Angst und Unsicherheit. Die Magie erlaubt es ihnen, die daraus resultierende Spannung und Frustation “be-handeln” zu können”, zitiert aus Knoblauch bzgl. Malinowski, S. 74.
442 Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, S. 424-431; Hollenweger erkennt, dass “das Phänomen der Bessesenheit ein
ungelöstes Problem pfingstlicher Frömmigkeit” ist, S. 427.
443 Zur kritischen Selbstreflexion der AdD zum Thema der Heilung und der Heilungsevangelisten, vgl. a.a.O., S. 402ff.
444 Vgl. Tillich, Systematische Theologie III, S. 125.
439
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Es gibt drei Arten, den Dämonen zu begegnen: 1) bannend (defixiv, zwingt den Dämon zum Stehen), 2) abwendend (apoträpisch, zwingt den Dämon zur Umkehr) und 3) austreibend (exorzistisch, zwingt den Dämon zur Flucht)445.
Bei den Pfingstlern konnte die exorzistische Praxis –biblisch begründet- beobachtet werden. Der
Pfingstler muss, um Gott nah zu sein, sein Leben in Purifikation und Heiligkeit führen. Dies gelingt ihm, in dem er die aktive Theurgie der unreinen Geister betreibt oder mittels passiver Handlungen wie Nahrungsaskese, die Einnahme unreiner Speisen präventiv vermeidet. So gelten die
weltlichen Genussmittel wie Alkohol und Zigaretten als teuflisch besetzt, dessen Einnahme den
Menschen mit dem Bund des Satans446 in Verbindung bringt. Im Zusammenhang damit steht die
Meidung bestimmter säkularer Lokalitäten wie z.B. Diskotheken, Pubs u.ä., die lediglich als Orte
der Evangelisation, an dem die weltlichen Geister ausgetrieben werden müssen, Geltung finden.
Die bei der Dämonenabwehr (Theurgie) beobachteten Techniken der Handauflegung447, der begleitenden meist unverständlichen (Gebets-)laute sowie die eher passive asketisch-mystische
Kontemplation sind auf der Grundlage der obigen Ausführungen zur „homöopathischen Magie“448 (similia similibus) zu verstehen. Es fehlt diesen Methoden aber das charakteristische Zusammenspiel mit den sichtbaren Elementen. Ihre Funktion zeigt sich noch latent in der Praxis der
Handauflegung und/ oder dem Wort der verbalen Begleitung, jetzt aber auf eine abstraktere Art
und Weise. Die elementaren Objekte der Magie sind sozusagen unsichtbar geworden, aber der ihr
zugrunde liegende logische Kausalzusammenhang der magischen Gesetze der ‚Ähnlichkeit’ und
‚Übertragung’ sind geblieben.
So ist herauszustellen, dass der Pfingstler in der Überzeugung agiert, die Vollmacht zu besitzen,
die Dämonen direkt zu beeinflussen.
Besonders deutlich wird das auch in der Praxis der Krankenheilung, in der die Hand auf die erkrankten Körperteile des jeweiligen Menschen gelegt wird, um den Menschen von der Unreinheit, die diese Krankheit verursachte, zu befreien.
Vgl. Böcher, TRE-Art. „Dämon -I. Religionsgeschichtlich“, S. 271.
“Satan: (hebr. “Wiedersacher”, griech Satanas), im AT hat er die Rolle des “Anklägers vor dem göttlichen Gericht (Sacharja 3,
1ff.; Ijob 1,6-2,7), daneben tritt er aber auch schon als der eigentliche Versucher und Verführer auf (1. Chr. 21,1) und erscheint
im Christentum als das leibhaftige Prinzip des Bösen (Mk 4,15). Im apokryphen Buch Henoch wurde er wegen seines Aufruhrs
gegen Gott durch den Engel Michael in den Abgrund gestürzt. Satan ist der Teufel schlechthin, ‘Fürst dieser Welt’, kann als
Schlange und Drache gedacht werden. Andere Namen für ihn sind ‘Beelzebub’ und ‘Belial’”, Lurker, Lexikon der Götter und
Dämonen, S. 280.
447 Nach Bühne wird die Praxis der Handauflegung u.a. zum Zweck der Krankenheilung, Inneren Heilung, Dämonenaustreibung,
Übermittlung von Geistgaben, Segnung und Salbung sowie der Geisttaufe praktiziert, vg. Bühne, Spiel mit dem Feuer, S. 187.
448 Vgl. zur evangelikalen Position bzgl. des Themas de Magie/ magischer Praktiken, Ebertshäuser, Charismatische Bewegung,
S. 235-241,405-410.
445
446
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Der Verzicht auf die sog. Hilfsmittel wie sie aus der „homöopathischen Magie“ bekannt sind begründet sich in dem „Mehr“ des Glaubensgehaltes, den diese -ursprünglich rein magischen Ritenfür den Pfingstler bedeuten. Der Gottesdienst als Ort der Befreiung von bösen Geistern und Dämonen, begründet im Pfingstereignis, gelebt und gefeiert in dem persönlich erfahrenen Geisterlebnis, macht den Anfang des Reich Gottes in dieser Welt sichtbar und spürbar. Der Mensch
erlebt in Gemeinschaft eine Transformation, die „in vielen Formen erfolgen [kann]. Sie kann erlebt werden [eben] als Befreiung von den Dämonen; sie kann als [physische] Heilung stattfinden;
sie kann als die Erfüllung mit dem Heiligen Geist erlebt werden“449.
Diese magischen Praktiken können –bei Ignoranz des komplexeren Glaubenszusammenhangs,
der zu einer Überakzentuierung des geistlich-dämonischen Dual führt- in aller Konsequenz zu
menschlichen Verhaltensweisen führen, Gott gleich sein zu wollen. Dies schafft den Glauben an
den aktiven Erlösungsweg des Menschen, sich aus eigenen Kräften außeralltäglicher Kräfte zu
bedienen.
Dieser direkte Zugang zur anderen Weltwirklichkeit steht dem religiösen priesterlichen Symbolismus450, der „Religion als Symbolsystem“ (Geertz) gegenüber, der die Relativität des Menschen
gegenüber Gott mittels der „Zeichensprache“ zum Ausdruck bringt.
In dem System Religion wird die Welt der Seelen, Götter und Dämonen nicht mehr auf ‚direktem’ magischem Weg erfahren, sondern dieses Reich führt, „ein nicht im Alltagssinne greifbares,
sondern [ein] regelmäßig durch Vermittlung von Symbolen und Bedeutungen zugängliches hinterweltliches Dasein“451.
Anhand dieses Umgangs mit dieser Welt –nennen es wir mal einfach die „andere“452 Welt- kann
meines Erachtens ermessen werden, inwieweit magische und religiöse Elemente in einer spirituellen Gemeinschaft vorhanden sind und wie sie sich zueinander verhalten. Mit Blick auf die Pfarrer der AdD komme ich zu folgendem Schluss:
Der geistliche Schwerpunkt, der den Beginn der Pfingstbewegung maßgeblich beeinflusste, ist
Basis und Ziel der Pfarrer. Vor allem bei den ersten beiden Typen haben wir feststellen können,
dass das Geistliche –und somit auch die geistlich beeinflussten Vorstellungen von Welt und
Kosmos- überwiegen und teilweise die religiöse institutionelle Form der AdD mit ihren Glaubenssatzungen in den Hintergrund geraten. Diese traditionelle Akzentuierung, ausgelöst durch die
Bridge Johns, “Heilung und Befreiung aus pfingstkirchlicher Perspektive”, S. 239.
Vgl. zum Symbolismus bei Max Weber, vgl. Tyrell, „Das Religiöse in Max Webers Religionssoziologie“, S. 192.
451 Weber, WuG5, S. 248.
452 In der okzidentalen Theologie erinnert uns diese Terminologie an den bedeutenden Theologen Karl Barth, der in den zwanziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts u.a. die Dialektische Theologie begründet hat. Seine Formulierung bzgl. der menschlichen Möglichkeit/ Unmöglichkeit das Wort Gottes zu reden kann an dieser Stelle mit der Frage nach dem Umgang mit der
Welt, mit der Schöpfung Gottes, parallelisiert werden; vgl. zur Person Barths, Busch, Karl Barths Lebenslauf.
449
450
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spirituelle Krise der Gemeinschaft, verursacht ein Ungleichgewicht zwischen magischmystischen Elementen und religiös-prophetischen, wobei zu beobachten war, dass erst genannte
„nur“ im Wunsch –nämlich in dem Streben nach der „Geisttaufe“- gegenwärtig sind.
Die magischen Gesetze verkörpern das Telos des Pfarrers und der Gemeinde, die sich ihrer religiös-relativen Form nicht bewusst sind. Dieser mehrheitlich nicht praktizierte Schwerpunkt, der
von den Pfarrern gefordert wird, verursacht das schon erwähnte Übergangsstadium, welches mit
Blick auf die Pfarrertypologie durch den dritten und vierten Pfarrertypen begünstigt wird.
Die vermehrte theologische Reflexion, die Systematisierung und Rationalisierung des Glaubens,
lässt ein offeneres ganzheitliches Weltverständnis entstehen, welches die magischen Elemente
nicht auslöscht, ihnen aber eine Form relativer –anstatt absoluter- Gültigkeit verleiht.
Innere (Mangel der Praxis der Geistgaben) und äußere Gründe (gesellschaftliche Herausforderungen) stellen Gemeinde und Leitung der AdD in eine Phase ihrer Entwicklung, in der traditionelle Glaubensmaßstäbe neu bedacht und gefüllt werden müssen. Somit kann von einer Gemeinde im Wandel der Werte gesprochen werden oder auf dem Weg zu einer alt-neu// neu-alten Identität des religiösen Virtuosen.
Wir haben versucht im bisherigen Verlauf des fünften Kapitels dieser Untersuchung die Realität
der Pfingstler konkret die Realität des Gottesdienstes der Pfingstler, ausgehend von dem zentralen Erlebnis der mystisch-prophetischen Ekstase, überleitend zu den geistlichen Autoritäten und
ihrem Gefolge zu erläutern. Diese Erklärung von Innen heraus, d.h. von dem grundlegenden und
teleologischen Kern der Pfingstler soll nun als Basis dienen in einem nächsten Schritt, sowohl die
ideologisch-theologische Konzeption (Innenperspektive) als auch die ekklesiologische Struktur
(Außenperspektive) zu bedenken und in ihren –sofern vorhanden- explikativen Kausalzusammenhang zu setzen.
5.3
Die dynamische Ekklesiologie der Pfingstler – Innen- und Außenperspektive
In diesem Kapitel orientieren wir uns an dem peruanischen Pfingsttheologen Campos453, der die
kirchliche Realität der religiösen Bewegung der Pfingstler als eine dynamische Ekklesiologie bezeichnet, die sich in der Spannung von ihrer internen kirchlichen Mobilität und ihrer Ideologie
der Heiligung bewegt.
Diese dynamische Beziehung zwischen innerer Glaubensüberzeugung und äußerer missionarischer Gestaltung schließt sich im Folgenden thematisch an die zu vor dargestellte dialektisch aufeinander, und nicht voneinander zu trennende Beziehung, von Tradition und Charisma als Propi453
Vgl. Campos, Reforma, S. 47-53.
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um der Pfingstler an. Sie versucht die unter 5.1 untersuchte Realität des Gottesdienstes nun aus
theologischer Perspektive zu vertiefen.
In einem ersten Schritt soll die innere Glaubensüberzeigung der „theologischen Ideologie“ bzw.
„ideologischen Theologie“ behandelt werden, die eine hermeneutische explikative Analyse der
theologischen Lehre und Praxis der Heiligung impliziert. Besonderes Augenmerk wird auf die
dadurch resultierende exegetisch-hermeneutische Dimension gelegt, um die Grundlage zu schaffen, den pfingstlichen fundamentalistisch geprägten Umgang mit der Heiligen Schrift nachvollziehen zu können.
Auf dieser Basis kann sich im Anschluss der kirchlichen Struktur in ihrer schon angesprochenen
Dynamik angenähert werden, wobei es darum gehen wird, die religiöse Bewegung der Pfingstler
religionssoziologisch in die Spannung der terminologischen Pole von Kirche und Sekte einzuordnen.
5.3.1 Innenperspektive: theologische Ideologie oder ideologische Theologie
Im Verlauf der vorliegenden Ausarbeitungen ist deutlich geworden sein, dass die pfingstliche Unterscheidung in Heil und Unheil, oder anders ausgedrückt, in heilig und profan454, eine signifikante Geltung inne hat, die kosmische Welt in ihrer ganzheitlichen, dennoch dualistischen Gestalt455 begreifen zu wollen und dem Pfingstler „nur“ eine Überlebenschance bietet, nämlich nach
dem Heiligen, dem Göttlichen zu streben.
Dieses Streben charakterisiert deutlich die kultische Gottesdienstfeier, in der die Gemeinde und
ihre Leitungsträger mittels des schöpferischen Geist Gottes einen heiligen Raum456 zu schaffen
beabsichtigen, um dem von Gott persönlich erhaltenem Heilsversprechen zu genügen, und vielmehr noch, es nicht wieder zu verlieren.
Vgl. zu der wesenhaften Unterscheidung von profan und heilig im religiösen Bereich den zentralen Aufsatz von Durkheim, einer seiner frühsten Arbeiten, die sein ganzes weiteres Werk nachdrücklich beeinflussten, “Zur Definition religiöser Phänomene”, IN: Matthey, Religion und Gesellschaft I, S. 120-141, bzgl. der Definition besonders S. 139: “Sakral sind diejenigen Güter,
deren Gestalt die Gesellschaft selbst geschaffen hat”, “Profan sind die Sachverhalte, die jeder von uns mit den Gaben seines
Verstandes und seiner eigenen Erfahrung selbst gestaltet”, mit anderen Worten bringt für Durkheim das Kollektiv der Gesellschaft die sakralen Phänomene zum Vorschein, während das menschliche Individuum innerhalb dessen seine eigenen Akzente setzt. Ohne an dieser Stelle eine kritische Perspektive auf den durkheimischen Ansatz zu werfen, scheint mir der Aspekt
des “kollektiven Bewusstseins” in der Realität ein nicht unwichtiger Aspekt zu sein. Vgl. zu diesem Thema der kosmischen Unterscheidung auch unter 5.1 die Aussagen des amerikanischen Redligionssoziologen Mirceas.
455 Dieser scheinbare Widerspruch ist wichtig zu betonen, denn die einerseits existierende dualistische Vorstellung in die profane
und sakrale Welt, in die Welt der Finsternis und des Lichtes, Gottes und des Teufels beinhaltet keinen endgültigen gnostischen Bruch, der scheinbar, beeinflusst durch die eschatologisch-apokalyptische Vorstellung des Weltendes, zu existieren
scheint.
456 An dieser Stelle sprachen wir im Zusammenhang der Glossolalie in Anlehnung an Hollenweger von dem Bau der „Kathedrale
der Töne“, vgl. Pkt. 5.1. der vorliegenden Ausarbeitungen.
454
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Der gläubige Pfingstler beabsichtigt also in seinem Leben die andere Sphäre, die der profanen
Welt verschlossenen ist, mittels diverser Kultpraktiken zu erreichen. Dem empfangenen Heil entspricht nun auf menschlicher Seite die Antwort in Form der Heiligung, die nach dem pfingstlichen Verständnis die einzige Möglichkeit ist, den unheilvollen Versuchungen des satanischen
Bösen der Diesseitigkeit zu widerstehen. Dem Inhalt dieses Lebensethos von Purifikation und
Santifikation wenden wir uns also im Folgenden zu.457
Die ideologische Grundlage dieses pfingstlichen Lebensethos der Heiligung kann aus theologischer Perspektive als ein sich wiederholender, reziproker Prozess von dem individuellpersönlichen Geisterlebnis zur kollektiv erfahrbaren Theologie der Erfahrung beschrieben werden. Wir verwenden an dieser Stelle bewusst die terminologische Unterscheidung von „Erlebnis“
und „Erfahrung“, denn nach pädagogisch-soziologischen Gesichtspunkten stellt erst die Erfahrung ein reflektiertes und internalisiertes Phänomen dar und steht somit der theologischen Reflexion am nächsten, während das Erlebnis ein plötzlich unerwartetes Auftreten (in diesem Fall des
Geistes Gottes) verkörpert, welches den Menschen in einem beliebigen Augenblick widerfährt
und fasziniert.458
Um diesen prozessartigen Charakter von dem Erlebnis zu der Erfahrung besser nachvollziehen zu
können, versuchen wir anhand von konzentrischen Kreisen zu verdeutlichen, wie sich aus dem
ekstatischen Erlebnis, dem Vertrauen auf die Erlösung459, eine „andere“ Theologie herauskristallisiert und wie diese Theologie, die auf einem solchen Erlebnis beruht, sich in der Außenwelt der
Gemeinde offenbart.
Die graphische Darstellung der konzentrischen Kreise ist hilfreich, um das „vierfache Evangelium“ bzw. das christologische Propium der Pfingstler: „Christus (1) der Retter, (2) der Täufer im
Heiligen Geist, (3) der Heiler und (4) der König der kommen wird”460 sichtbar werden zu lassen,
dessen Basis das persönliche Erlebnis und sein Ziel die persönlichen Erfahrung des Pfingstfestes
ist.
Zum Thema der pfingstlichen Ideologie der Heiligung vgl. Campos, Reforma, S. 53.
Erlebnisse und die in sie eingehenden Phantasien, Wahrnehmungen und Haltungen können nämlich erst dann Erfahrungen
werden und anderen mitgeteilt werden, wenn sie in ihrer Entstehung und Wirkung in der Situation und im Subjekt erklärt werden können. […] Damit die Schüler [Menschen] ihre Erlebnisse zu Erfahrungen verarbeiten, also Erfahrung ‚machen’ können
brauchen sie Distanz, müssen sie reflektieren, vergleichen, sich bewusst erinnern […]. Um Erfahrungen machen zu können
müssen die Schüler in der Lage sein, die Entstehung eines Erlebnisses im Wechselverhältnis von Ich und Ereignis zu untersuchen und zu interpretieren. […] Eine Erfahrung machen, heißt deshalb immer auch, eine Selbsterfahrung zu machen und
Konsequenzen zu ziehen”, Scheller, Erfahrungsbezogener Unterricht, S. 61.
459 Vgl. Steven J. Land, “Beten im Geist”, S. 271.
460 Vgl. zu dem “vierfachen Evangelium” Dayton, Raíces de la teologái pentecostal, S. 123: “„“Cristo como Salvador, como Bautizador en el Espíritu Santo, como Sanador y como el Rey que viene”; vgl. auch J. Steven O’ Malley, “Pfingstkirchen”, IN: TRE
26, S. 408.
457
458„
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Graphische Darstellung: Konzentrische Kreise
Mit Blick auf die graphische Darstellung steht im Kern des Geschehens die rettende Tat Christi,
der die Seinen im Geist tauft (farbiger Kreis), sie von leiblichen und psychischen Leiden befreit
(anderer farbiger Kreis) und schon bald wieder unter ihnen ist (äußerster farbiger Kreis).
Den Kern bildet demzufolge das ekstatische befreiende Geisterlebnis461, die Geisttaufe, die sichtbar in der Glossolalie als Zeichen der Erlösung des Einzelnen nach seinem Bekehrungserlebnis
verstanden wird.
Die soteriologische Tat Christi erfährt hier offensichtlich eine potentielle Steigerung in einer zusätzlichen geistlichen Manifestation, die den Gläubigen seines Heilsempfanges gewiss(er) macht.
Diese soteriologische Akzentuierung im einzelnen Menschen betont die signifikante Bedeutung
der zuvor erlebten individuellen Bekehrung462, die zugleich die anthropologische Grundlage all
dessen symbolisiert, was noch aussteht (eschatologische Dimension).
Die existenzielle Heilserfahrung des Menschen spiegelt den Wandel von der reformatorischen
Prädestinationslehre (Betonung des Richter Gottes) zur katholischen Lehre des „freien Willens“
(Betonung des Menschen) wider, die, im Gegensatz zum Protestantismus, die Erlösung als eine
Mischung aus Selbst- und Fremderlösung vertritt.
Dem elitären Kreis der im Calvinismus prädestinierten Erwählten (Prädestinationsgnade463) steht
nun die Heilsaristokratie in der Gestalt der „religiösen Virtuosen“ (Weber) gegenüber, die sich
nach pfingstlicher Überzeugung mit der Wiedergeburt auf die neue Lebensführung (in Santifikation und Purifikation) einlassen können, stets im Bewusstsein zum Kreis der erlösten Kinder Gottes zu gehören.
Die weberianische Beschreibung des ekstatischen Erlebnis im Heilsgeschehen bringt deutlich die ethischen Konsequenzen,
die sich im Bereich der Kontemplation oder/ und Askese lokalisieren lassen, zum Ausdruck: “Die Ekstase als Mittel der „Erlösung“ oder „Selbstvergottung“, als welches sie uns hier allein angeht, kann mehr den Charakter einer akuten Entrücktheit und
Besessenheit oder mehr den chronischen eines […] mehr kontemplativ oder mehr aktiv gesteigertem spezifisch religiösem
Habitus, sei es im Sinne einer größeren Lebensintensität oder auch Lebensfremdheit haben”, Weber, WuG, S. 325; Zu einem
späteren Zeitpunkt werden wir den ethischen Aspekt in seiner gesellschaftlicher Relevanz wiederaufnehmen.
462 Vgl. Dayton, Raíces teológicas del Pentecostalismo, S. 123; vgl. A.a.O. bzgl. der Differenzierung der Pfingstgruppen anhand
ihrer Gnadenlehre, S. 6: 1) drei Werke der Gnade nach wesleyanischem Vorbild [Bekehrung, „totale Heiligung“, Geisttaufe], 2)
zwei Werke der Gnade [Bekehrung und Heiligung in einem, Geisttaufe], 3) Unitarier [Einheit in Jesus]; die AdD ist dem zweiten Typ zu zuordnen, der eine deutliche Akzentuierung auf die individuelle Bekehrung des einzelnen Christen impliziert.
463“ Sie setzt den überweltlichen Schöpfergott am unbedingstesten voraus [...]. Sie scheidet sich [...] durch ihren Charakter als
Vorsehung, d.h. als eine zwar vom Menschen aus gesehen irrationale, dagegen von Gott aus gesehen rationale Ordnung als
Weltregiment. Dagegen schaltet sie die Güte Gottes aus. Er wird zu einem harten, majestätischem König”, Weber, WuG5, S.
346; vgl. zu dem Thema des Zusammenhangs zwischen Erlösung und Wiedergeburt § 9, S. 319-321: “Die weitgehenden
Konsequenzen für die Lebensführung hat die Erlösungshoffnung dann, wenn die Erlösung selbst als ein schon im Diesseits
seiner Schatten vorauswerfender oder gar als ein gänzlich diesseitiger innerlicher Vorgang verläuft. Also wenn sie entweder
selbst als Heiligung gilt oder doch Heiligung herbeiführt oder zur Vorbedingung hat. Der Vorgang der Heiligung kann dann
entweder als ein allmählicher Läuterungsprozess oder als eine plötzlich eintretende Umwandlung der Gesinnung (metanoia),
eine Wiedergeburt auftreten” (S. 321).
461
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Das persönlich erfahrene Erlösungsgeschehen in diesem tendenziell katholischen Verständnis
führt den Gläubigen auf den Weg der Selbstperfektion, d.h. in die Phase der Ausbildung einer
Gesinnungsethik, die sich, wie wir sehen werden, im ethischen Rigorismus verkörpert.464
Mit anderen Worten wird die aus dem Jenseits kommende Erlösung schon im Diesseits schattenweise erfahren und erzeugt die akzentuierte präsentische Eschatologie, die sich bei den AdD beobachten lässt, die teilweise sogar den Anschein einer Überschattung, einer eschatologischimaginären Präsenz erzeugen kann.
In Anlehnung an Hollenwegers Ausführung zum Verständnis der pfingstlichen Soteriologie, wird
hier die enge Verbindung von Heil und Heiligung deutlich. Der gläubige Mensch empfängt das
Heil, sofern er das für die Erlösung Notwendige geleistet hat. Dieses Verständnis macht die bedingungslose Gnade Gottes an den Menschen überflüssig465 und ver-rückt den geistlichen Inhalt
der Erlösung des klassischen Protestantismus in die materielle466 Dimension des menschlichen
Daseins.467
Während die klassische Lehre Luthers von der Rechtsprechung des sündhaften Menschen handelt, geht es bei den Pfingstlern um eine Gerechtmachung, d.h. um ein Verständnis der Gnade als
eine transformierende und herausfordernde aktive Heilskraft, welche den Menschen zum rechten
Kampf gegen das Sündhafte aufruft, den der Mensch erst dann, nach dieser Transformation468,
bestehen kann.
Die Transformation, die Wiedergeburt im Geist Gottes beinhaltet für die Pfingstler zwei zentrale
Aspekte, den der persönlichen Veränderung des Menschen und den dadurch bedingten ekklesiologischen Unterschied bzgl. des Verständnis von Kirche. Der Begriff der Wiedergeburt unterstreicht die Einzigartigkeit und die dadurch fundamentale Bedeutung, der persönlichen, nicht zu
wiederholenden, Erfahrung:
464“
Die Wiedergeburt schien also nur einer Aristokratie der religiös Qualifizierten zugänglich”, so äußert sich Weber im Zusammenhang der Verschiedenheit der religiösen Qualifikationen der Menschen, Weber, WuG5, S. 327.
465 Vgl. Hollenweger, Charismatisch pfinsgtliches Christentum, S. 277ff.
466 Mit dem Adjektiv “materiell” wird sich hier vor allem auf die irdische Realität als Lebenskontext des gläubigen Menschen bezogen.
467 Miroslav Volf vergleicht in seinem Artikel “Materiality of salvation” die Erlösungslehren des klasssichen Protestantismnus (Luther), der Befreiungs- und Pfingsttheologie und stellt das Gemeinsame der beiden letztgenannten in ihrer materiellen Dimension dar. Für die Realität der Pfingstler verdeutlicht er, dass “salvation concerns both the inner and outward man; the gospel is
good news for both soul and body”, S. 459; die Praxis der (Wunder-) heilung wird uns, orientiert an der graphischen Darstellung der konzentrischen Kreise, im Zusammenhang der liturgischen Praxis beschäftigen.
468 Vgl. zum Thema des Wirkung der Geisttaufe, Steven J. Land, “Beten im Geist”, S. 269.
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„Christ zu sein bringt im Menschen etwas völlig Neues hervor, das all die anderen
Formen der Identifikation einschließt und neu ordnet und auch die Beziehung zu einem selbst und zu den anderen verwandelt“469.
In dem Pfingstverständnis des Heilsgeschehens lässt sich eine Mischung traditioneller Erlösungswege vor finden. Während die Nähe zur katholischen Lehre schon deutlich geworden ist,
zeigt sich die Nähe zur protestantischen Tradition vor allem mit dem Aufkommen des Pietismus,
der mit der erneuerten pelagianischen Tendenz eine emotionale Form der Selbsterlösung mittels
radikaler persönlicher Hingabe vertritt.470.
Der Pfingstler erlebt also das Pfingstfest nach biblischem Vorbild (Apg 2) in seinem Inneren,
aber zugleich vollzieht es sich in seinem äußeren ethischen Verhalten, d.h. er steht in diesem ekstatischen Moment in konträrer Beziehung/ Konfrontation zu seinem kulturellen Kontext, der
Raum und Zeit seiner Lebensgeschichte, seiner primären Sozialisation (Berger), darstellt. Seine
alltäglich erfahrene Wirklichkeit wird durch ein Ereignis durchkreuzt, welches auf eine andere
ihm unbekannte transzendente Wirklichkeit verweist, der sich der Mensch nun in dem sog. sekundären Sozialisationsprozess (Berger) annähern kann.471
Hier zeigt sich deutlich der Übergang zum folgenden konzentrischen Kreis des sozialen Ethos.
Der göttliche Geist trifft auf den menschlichen Geist, der sich nicht in einem Zustand sozialer
Anomie befindet, sondern „mitten im Leben“, d.h. in seinem Lebenskontext offenbart sich ihm
das Göttliche als ein neues Lernfeld der sekundären Sozialisation.
Der menschliche Empfang des Göttlichen, die Bekehrung und der ekstatische Moment, stellen
„nur“ den Anfang dieses zweiten „Sozialisationsprozesses“ dar, der theologisch als der Beginn
der neu geschöpften Geistgemeinschaft gelten kann.472
In dem wir auf den darauf folgenden konzentrischen Kreis der Kirche und Theologie schauen, erkennen wir, dass die Ekstase kontemplativen Charakter annimmt, der in der Praxis der Gottesdienstfeier deutlich wird. Mit Vorschau auf den äußeren Kreis der Theologie der Erfahrung erkennen wir ihre tendenziell spekulative Dimension.
Sepúlveda, “Wiedergeboren”, S. 278.
Vgl. unter dem Thema “Asketische Wege der Selbsterlösung” Tillich, Systematik III, S. 93.
471 Vgl. zum Thema der Sozialisationsprozesse, Berger/ Luckmann, Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 145: mit
dem Begriff der primären Sozialisation wird die Phase der menschlichen Entwicklung bezeichnet, die damit endet, dass der
Mensch sich des generalisierten Anderen bewusst ist, d.h. er kann zwischen seinem Selbst und einer davon zu unterscheidenden Welt differenzieren; “Sekundäre Sozialisation ist die Internalisierung institutioneller oder in Institutionalisierung gründender Subwelten”.
472 Steven Land spricht in diesem Zusammenhang der Manifestation des göttlichen Geistes von einer “innigen Gemeischaft, die
sich durch den Geist, der Vater und Sohn mitbringt, konstituiert. Ergo thematisiert er mit der geistlichen Erfahtung die trinitarische Natur Gottes, “Beten im Geist”, S. 269.
469
470
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Dieser „Dreischritt“ von Ekstase, Kontemplation und Spekulation kann mit den soziologischanthropologischen Entwicklungsprozessen des Menschen verglichen werden. Dabei wäre die
Ekstase die Externalisierung, d.h. das Strömen des menschlichen Wesens in die Welt (Gesellschaft ist Produkt des Menschen), die Kontemplation die Objektivierung, d.h. die Gewinnung einer (neuen) Wirklichkeit, die ihren Hervorbringern als Faktizität gegenübersteht (Gesellschaft sui
generi) und die Spekulation die Internalisierung, d.h. die Wiederaneignung eben dieser Wirklichkeit.473
Diese Parallelisierung der gesellschaftlichen Konstruktion des Individuums mit der religiösen
Konstruktion wird uns zu einem späteren Zeitpunkt verhelfen, gewisse Phänomene der Pfingstler
besser zu analysieren und zu bewerten.
Zu betonen sei an dieser Stelle, dass sich die ekstatischen, kontemplativen und spekulativen Momente des individuellen Pfingstereignisses nicht in gradueller Entwicklung zu einander stehen,
sondern in einem wiederholenden reziproken schöpferischen Prozess aufeinander bezogen sind.
Um diese Beziehung in der graphischen Darstellung deutlich werden zu lassen, kann es hilfreich
sein, sich die konzentrischen Kreisgrenzen als durchlässige permeable Membranen vorzustellen.
Unter Berücksichtigung der pfingstlichen Weltauffassung (5.1) stellt es für den Gläubigen kein
Problem dar, dass vor 2000 Jahren geschehene Pfingstereignis in seine Gegenwart zu transportieren, denn seine Welt steht über der historischen Zeittafel und transzendiert den Kosmos zu einem
Ganzen. Religion kann in diesem Zusammenhang als ein Unterfangen des Menschen verstanden
werden, einen heiligen Kosmos zu errichten (Kosmisierung auf heilige Weise), der ihn in eine
absolute und insofern sinnvolle Ordnung stellt, die den absoluten Höhepunkt menschlicher Konstruktion darstellt.474 Diese neue Ordnung besitzt demnach eine religiöse Legitimität, die durch
ihre ethische Forderung nach Einhaltung ihrer Regeln den Status einer Konvention erhält. 475 Dieser Status der Konvention markiert den Bereich der Ethik und verdeutlicht den Zusammenhang
zwischen der religiösen Ordnung, die die Pfingstler in dem Streben nach der transzendenten Union mit dem göttlichen Geist finden und dem daraus resultierenden ethischen Rigorismus, der die
geltende ethische Normativität verkörpert und keine Abweichungen duldet.
Vgl. zu den Entwicklungsstadien Berger, Gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, S. 3; wichtig ist, dass es sich bei Entstehung der Gesellschaft um einen dialektischen Prozess dieser drei Stadien handelt. Zu fragen wäre, ob die Pfingstler eben
diese notwendige Dialektik, und nach Campos ekklesiologisch manifestierter dynamichen Dialektik, in der gelebten Praxis gerecht werden.
474 Vgl. Berger, Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 26-28.
475 Nach Weber kann die Legitimität einer Ordnung garantiert sein durch a) rein affektuell: durch gefühlsmäßige Hingabe, b) wertrational: durch Glauben an ihre absolute Werte Geltung als Ausdruck letzter verpflichtneder Werte [...] und c) religiös: durch
den Glauben an die Abhängigkeit eines Heilsgüterbesitzes von ihrer Innehaltung. Eine Ordnung soll Konventino heissen,
“wenn ihre Geltung äußerlich garantiert ist duzrch die Chance, bei Abweichung innerhalb eines angebbaren Menschenkreises
auf eine (relative) allgemeine und praktisch fühlbare Mißbilligung zu stoßen;” zitiert aus Sonderdruck, Weber, WuG 4, S. 27.
473
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Nach Weber kann auch das rein affektuelle gefühlsmäßige die legitime Ordnung garantieren bzw.
legitime Geltung einer Ordnung erzeugen. Dieser Aspekt der emotio zeigte sich in der pietistischen Tradition und spielt eine nicht unbedeutende Rolle in der Pfingstrealität der AdD.
Das wirkliche Geist-Erlebnis der persönlichen Erlösung gleicht der Einwirkung der erlösenden
Welt, nämlich des Reiches Gottes, in die irdische mit dem Satan verbündete Welt. Es handelt sich
bei den Pfingstlern um den Wunsch, die neutestamentliche Botschaft des Pfingstfestes in der Gegenwart lebendig werden zu lassen und den „garstigen Graben“ zwischen Vergangenheit und
Gegenwart in einer göttlichen paradiesischen „Hinterwelt“ (Weber), aber dennoch mitten in der
Welt, aufgehen zu lassen.476
Moltmann spricht bzgl. der Geisterfahrung „von dem Schein in unserem Herzen, mit dem die
Apokalypse unser Selbst beginnt“477.
Während der homo sapiens als homo socialis an dem Bau seiner Natur, nämlich der Kultur, partizipiert, wird der homo cultualis478 mit seiner Berufung in den Dienst des Baus seiner religiösen
Natur, seiner Erlösung gestellt, welches sozusagen der geistliche „Wiederaufbau“ der christlichen
Kirche ist. Christologisch ausgedrückt handelt es sich hier um den Ruf in die Nachfolge Christi,
denn der Pfingstler versteht seine Erwählung als aktive Hingabe und Dienst in Christus.479
Anhand der Typisierungen des menschlichen Wesens als homo sapiens, homo socialis und homo
cultualis kann die Beziehungsstruktur von Kultur, Religion und Theologie erkannt werden:
„Die Theologie ist die Sprache der Religion, während die Religion die Sprache der
Kultur ist; es gibt keine Kultur ohne Religion, wie es [auch] keine Theologie ohne Religion gibt. Auf dieselbe Weise bringt die Theologie die Kultur zum Ausdruck, ist die
Theologie Kultur in Gestalt religiöser Sprache“480.
In terminologischer Nähe zu dem Prozess von dem Geist-Erlebnis zur theologischen Erfahrung
kann der aktive Dienst an der „Konstruktion der eigenen Wirklichkeit“481 des Heils als erster
„Das Auftreten des Pentekostalismus war ein Teil einer ständigen Auseinandersetzung, um die Botschaft des Neuen Testaments für unsere Zeit verständlich und fruchtbar zu machen”, Dayton, Raíces teológicas del pentecostalismo, S. 17.
477 Moltmann, „Pfingsten und die Theologie des Lebens“, S. 291; vgl. auch seine Definition des Heiligen Geistes: „unbegrenzte
Gegenwart Gottes, in der unser Leben erwacht ganz und gar lebendig und mit den Kräften des Geistes begabt wird“, a.a.O.,
S. 291.
478 Vgl. Campos, Experiecnia del Espíritu, S. 155: der Pfingstler ist vor allem ein “homo cultualis”, d.h. er strebt nach der Vereinheitlichung von Profanem und Sakralem.
479 Vgl. Hollenweger, Pfingstkirchen, S. 152.
480 Campos, Experiencia del Espíritu, S. 130; an dieser Stelle zeigen sich auch die zentralen Säulen des pfingstlichen religiösen
Ethos/ Symbolsystem, nämlich das Pfingstfest (Religion), Ekklesiologie (Theologie) und die Anthropologie (Kultur), vgl. ders.
Reforma, S. 57-59.
481 Gleichnamiger Titel des soziologischen Werkes von Peter L. Berger und Thomas Luckmann: Inhalt seiner empirischen Soziologie zielt auf das dialektische Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, welches das produktive Element menschlichen Lebens anhand der drei Operationen der 1) Externalisierung, 2) Objektivierung und 3) Internalisierung zum Ausdruck bringt, vgl.
dazu Berger, Luckmann, Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 3ff.
476
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Schritt der Pfingstler in Richtung theologischem Handelns erkannt werden. Er umfasst die so
eben benannten Beziehungsebenen von Kultur, Religion und Theologie, denn die Ausgießung des
Geistes an Pfingsten bedeutet die Ausgießung des Geistes auf „alles Fleisch“:
„sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3, 1-5):
‚Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von
meinem Geist auf alles Fleisch; eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und
eure Jünglinge sollen Gesichte sehen und eure Alten sollen Träume haben’;“ (Apg 2,
16f.)
An dieser Stelle wenden wir uns der kirchlich-theologischen Ebene zu, die mit der der Kirche
und Praxis in engster Verwandtschaft steht.
Nach Campos ist die Kirche die theologische Gemeinschaft und die Theologie die Stimme dieser
kirchlichen Gemeinschaft.482 Wie wir gesehen haben wird an diesem Ort das Erlebnis des Pfingstereignis in eine bestimmte ritualisierte Form gestellt, um auf diese Weise sich der göttliche Gegenwart zu erinnern und mehr, sie immer wieder auf ein Neues zu erleben und zu empfinden
(5.1).
Auf dem Hintergrund der Mikro-Makro Vorstellung (religiöse Vorstellung der göttlichen Transzendenz in der Immanenz) definieren sich die Pfingstler als die heilige Geistgemeinschaft in der
diesseitigen Welt, die das erwählte Gottes Volk, die „Heilsaristokratie“ verkörpert. Sie stehen in
biblischer Tradition der Bundesgemeinschaft und sind auf dem Weg aus der ägyptischen Sklaverei, aus dem babylonischen Exil in das verheißene Land, in die himmlische Stadt Jerusalems
(Apg 22).
Diese eschatologisch-apokalyptische Zukunftshoffnung erfährt diese Geist-Gemeinschaft in kontemplativen-mystischen Ritualen in der heiligen kultischen Versammlung, die die Grenzen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits zur Einheit erhebt.
Die augenblicklich persönliche Geisterfahrung, die individuelle Bekehrung erfährt hier eine Art
der „Institutionalisierung“ des Gründungsgeschehen der Kirche (Rationalisierung)483 mit dem
Ziel, aus dem momentanen Geist-Erlebnis eine grundlegende Erfahrung der göttlichen Gegenwart
zu manifestieren, die dem gläubigen Pfingstler seine (neue) Lebensgrundlage manifestiert.
Der ekstatische Charakter wandelt sich in einen kontemplativen ritualisierten Charakter, die Geistekstase wandelt sich zur Geisterfahrung und nimmt somit Formen einer ritualisierten Praxis an.
Die Ekstase, verstanden als ein individuelles Phänomen, vergesellschaftet sich im Kollektiv der
482
483
Campos, Experiencia del Espíritu, S. 131.
Dunn ergänzt: “Auch Einheit erwächst aus der gemeinsamen Erfahrungt des Heiligen Geistes. Ein Ökumenismus, der dies
vergißt oder nicht beachtet, ist zum Scheitern verurteilt”, “Wiedergeboren”, S. 281.
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kirchlichen Gemeinschaft. Dieser Prozess ist für den Fortbestand und die Bewahrung der pfingstlichen Religiosität äußerst wichtig, denn „Religion kann nur im Rahmen einer Plausibilitätsstruktur erhalten werden“484.
Die Aktualisierung des Geist-Erlebnis als eine immer wieder zu erfahrene kontemplative GeistErfahrung in Gemeinschaft beschreibt den Weg des menschlichen Wesens von (religiöser) Anomie zur normativen Sinngebung.
Mit der Teilnahme an der Plausibilität gebenden Gemeinschaft beginnt der Prozess der Nomisierung des religiösen Geschehens und es entstehen Gesetze und Gebote ethisch-moralischer Qualität, begründet in der erlebten höheren legitimen Ordnung.
In der theologischen Gemeinschaft westlich europäischer Tradition ist an dieser Stelle sicherlich
von der intellektuellen akademischen Theologie zu sprechen. Mit Blick auf die Pfingstler zeigt
sich folgendes differenziertes Bild.
Schon bei der Untersuchung des Gottesdienstes offenbarte sich hinter dem scheinbar undurchsichtigen Chaos eine gewisse liturgische Struktur der Versammlung, die wir ausgehend von dem
ekstatischen Erlebnis im Geist nach und nach offen legten. Es handelt sich um eine mündlichnarrative Liturgie. Die liturgischen Elemente stellen sich als notwendige Mittel heraus, den graduellen Weg der Erlösung im Gottesdienst spürbar werden zu lassen. Es handelt sich um den Bau
der „Kathedrale der Töne“ (Hollenweger), dem Ort der göttlichen Gegenwart.
Auf dieser Grundlage ist sich der „Sprache“, der „Theologie“ der Pfingstler in Kirche und Theologie anzunähern.
Während die Alltagssprache, die wissenschaftliche Theologie Westeuropas vom geschriebenen
Buchstaben ausgeht (und teilweise sich darin erschöpft), zeigt die liturgische und theologische
Sprache der Pfingstler einen „primitiven“ symbolreichen Charakter, der mehr als ein rein verbal
abstraktes Kommunikationsgeschehen erzeugen soll, nämlich eine Begegnung verschiedener
sprachlicher Sphären beinhaltet, die über die rein rationale Verständigung hinaus geht.
Das allgemeine und das fachspezifische theologische Wissen besitzen somit einen transrationalen
Charakter, d.h. das Wissen umfasst die unterschiedlichen menschlichen Bereiche von Erkenntnis,
484
Der Aussage, “daß dasselbe menschliche Handeln, das eine Gesellschaft hervorbringt, auch ihre Religion hervorbringt, wobei
die Beziehung zwischen beiden Produkten immer dialektisch ist” begründet, dass jeder, “der die Wirklichkeit einer Religion erhalten will, vor [...] [dem] Problem der gesellschaftlichen Steuerung [steht] , da man Religion [...] nicht als solche, sondern nur
im Rahmen einer Plausibilitätstruktur bewahren kann”, Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 47. Zum Thema
der Plausibilität im Prozess der menschlichen Welterrichtung, vgl. a.a.O., S. 17f.: “Die Schwierigkeit eine Welt [religiöse Welt,
erg. d. Autorin] in Gang zu halten, drückt sich psychologisch in der Schwierigkeit aus, dieser subjektiven Welt ihre Plausibilität
zu erhalten. [...] Die subjektive Wirklichkeit hängt am dünnen Faden des Gesprächs. […] an der Kontinuität unseres Gesprächs mit signifikanten anderen. Diese Kontinuität zu erhalten ist eine der wichtigen Aufgaben jeder Gesellschaftsordnung”
(S.17).
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Gefühl und Verhalten.485 Somit bekommt die Sprache, als „Fundament und Medium“486 gesellschaftlicher Konstitution, im Bereich der Pfingstler einen der menschlichen Außenwelt nicht immer nachvollziehbaren Anschein. Sie ist „nur“ auf der Grundlage der persönlichen Begegnung
und Erkenntnis Gottes möglich, die erst den Zugang zu dem neuen Weltverständnis ebnet und die
Basis für die Bereiche außerhalb des objektiven Wissens darstellt.
In diesen Bereich jenseits der rationalen Vernunft sind die zuvor behandelten Themen der Heilungswunder und Dämonenaustreibung zu finden, die die christologische Botschaft der ganzheitlichen Heilung des Menschen aktiv und sichtbar verkünden.
In der Praxis der Heilung, der Befreiung von dämonischen Mächten 487 wird die Verkündigung
Jesu in Tat und Wort als Hoffnung spendende Botschaft fortgesetzt. Die Heilung wird somit nach
dem Vorbild Jesus Christus488 zum „sprachlichen“ Ausdruck des christlichen Glaubens. Mit anderen Worten wird/ ist sie fundamentaler Teil der Verkündigung.
Diese im Kult verwendete Hoffnung spendende Zeichensprache zielt auf den Menschen in seiner
von Gott gegebenen Ganzheitlichkeit. Diese hier sich offenbarende präsentisch-eschatologisch
begründete Hoffnung offenbart sich auch in den liturgischen Gebeten, die die Praxis der Heilung
begleiten kann489, und „für Pfingstgläubige die vornehmste theologische Tätigkeit“490 ist.
Gerade in dieser Verbindung von Heil und Heilung, von der Entsprechung von Seele und Leib
offenbart sich eine fundamentale theologische Erweiterung des reformatorischen Erbes Luthers.
Die schon erwähnte materielle Dimension der Erlösungsbotschaft wird bei den Pfingstlern auf eine sichtbare Art und Weise im kirchlichen Kontext den Menschen nah gebracht und beinhaltet,
wie schon bei dem Gnadenverständnis beobachtet, einen Wandel in der Vermittlung der frohen
Botschaft. Während sich das Gnadenverständnis von der innerlichen Annahme Gottes zum äußerlichen Antrieb wandelt, nutzt Sprache nicht den toten Buchstaben, sondern die Vielfalt göttlicher,
notwendigerweise symbolreicher, Ausdrucksweisen:
Vgl. Bridges Johns, “Heilung und Befreiung”, S. 239.
Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 21.
487 Dämonen stehen mit dem Bösen in Verbindung und werden oft mit Krankheit in Verbindung gebracht, vgl. “Dämone”, TRE, S.
277; für Tillich symbolisiert der Teufel die Personifikation des Bösen, vgl. Tillich, Systematik III, 124-130.
488 Bei Jesus stehen sie im Horizont seiner Reich Gottes Verkündigung und sprechen ihre eigene Sprache: Wenn Gott seine
Herrschaft über seine Schöpfung antritt müssen die Dämonen weichen. […] Jesu brachte das Reich Gottes nicht nur in Worten zur Sprache, um Glauben zu wecken, sondern auch in Heilungen, um Kranke gesund zu machen”, Moltmann, Die Quelle
des Lebens, S. 68.
489 Vgl. Moltmann, “ Pfingsten und die Theologie des Lebens”, S. 290.
490 Weiter heisst es bei Steven J. Land, “Beten im Geist”, S. 268: “Alles wertvolle Wissen muss im Gebet gewonnen und bewahrt
werden, weil nur der Geist in die ganze Wahrheit führen kann. Ohne unermüdliches Lobpreisen, Danksagen und Fürbitten
führt selbst richtiges Wissen zu Spekulation”.
485
486
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„[…] das Religiöse selbst kann sich nur in Symbolen ausdrücken, die wir, wenn sie zu
einer Einheit verbunden sind, Mythen nennen“491.
Die religiösen Symbole der Pfingstler haben alle ihren liturgischen und theologischen Ausgangsund Zielpunkt in der zentralen kultischen Erfahrung des Pfingstfestes. Das kommende Reich Gottes kann als Ordnungsprinzip für alle emotionalen Affekte der pfingstlichen Realität gelten.
„Nur“ mit Blick auf die Wiederkunft des Herrn kann die pfingstliche Struktur erkannt werden.492
Die permeablen konzentrischen Kreise verdeutlichen diese Schlüsselfunktion der geistlichen Erfahrung des angebrochenen Reich Gottes. Sie zeigen graphisch die Betonung der eschatologischen Vorwegnahme des göttlichen Reiches und seinen Einfluss in der dramatischen Gestaltung
des Pfingstfestes in der Gegenwart.
Das charakteristische die pfingstliche Symbolsprache konstituierende Propium ist der eigentlich
zu jeder Religion gehörende Verweischarakter auf eine andere Wirklichkeit, nämlich auf die
Wirklichkeit, auf die die Symbole hinweisen.493 Dieses allgemein religiöse Propium wird bei den
Pfingstlern vor allem dadurch forciert, weil ihre Sprache die Attraktion ihrer Welt, die in Abgrenzung zum babylonischen Chaos Einheit der Sprachen und der Menschheit bedeutet, in einer
metaphorischen tendenziell dualistisch-abwertenden Formulierung zum Ausdruck bringt.494
Das bedeutet für das Verständnis der ekklesiologischen und theologischen Realität der Pfingstler,
diese stets in dem ihr wesenhaften Zusammenhang mit dem Pfingstfest zu sehen. Erst diese ganzheitliche Betrachtung kann ein objektives Verständnis gewisser liturgischer Praktiken und symbolischer Zeichensprache und die daraus entstehende „Theologie des Zeugnis und der Narration“
ermöglichen495, womit wir bei dem äußersten konzentrischen Kreis unserer Graphik, der die
schon erwähnte Beziehung zwischen geistlicher Ekstase, kultischer Kontemplation und theologischer Spekulation komplimentiert, angelangt sind.
Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden sein, dass das Element der
aktiven persönlich erlebten Erfahrung die Grundlage des pfingstlichen Lebens erzeugt. Von dem
individuellen Bekehrungserlebnis, über die kultische dramaturgische Gestaltung des Pfingstfestes
Tillich, Symbol und Wirklichkeit, S. 3.
„Alle Dinge beziehen sich auf Gott, und Gott ist bezogen auf alle Dinge. Diese Verschmelzung Gottes mit dem Vorhandenen
lässt nicht Gott mit der Schöpfung zusammenfallen. Sie ist vielmehr die Voraussetzung dafür, den transzendenten Gott in ,
durch, über und jenseits allen Geschehens am Werk zu sehen“, zitiert aus: Bridges Johns, „Heilung und Befreiung“, S. 238.
493 Tillich definiert die echten religiösen Symbole, d.h. die repräsentativen Symbole mit folgenden charakteristischen Merkmalen:
1) Eigenschaft, über sich hinaus zu weisen, 2) Teilnahme an Wirklichkeit, die es symbolisiert, 3) kein willkürliches Erfinden,
sondern Entstehung und Bewahrung steht im Zusammenhang mit der Akzeptanz der [religiösen] Gesellschaft, 4) Besitz einer
Kraft, die Dimension einer Wirklichkeit zu erschließen, die sonst verborgen ist (Teilhabe an dem Heiligen) und 5) sowohl aufbauende, ordnende als auch zersetzende, zerstörerische Macht, Symbol und Wirklichkeit, S. 4f.
494 Vgl. Campos, Experiencia del Espíritu, S. 144.
495 Wir sind uns bewusst, dass die Annäherung eines außen stehenden Betrachters der Pfingstler in Kirche und Theologie aufgrund der zentralen persönlich zu erfahrenen Geisterfahrung die Bewahrung der Objektivität erschwert.
491
492
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in kontemplativer mystischer Gestalt bis hin zur ekklesiologischen Beziehung zur Außenwelt
mittels der Verkündigung in Wort und Tat, überall ist Ausgangs- und Zielpunkt die erlebte Erfahrung mit dem Göttlichen.
Dieser letztgenannte Aspekt der Verkündigung soll uns im Folgenden interessieren, denn er impliziert die Brücke/ den Übergang zur Theologie der Pfingstler. Denn, wie kann es auch anders
sein, steht auch sie in engster Beziehung zur Erfahrung und kann demnach „Theologie der Erfahrung“496 genannt werden.
Die Theologie als Lehre von Gott zielt auf die Erkenntnis Gottes, die nach Meinung der Pfingstler allein in der Begegnung mit dem Göttlichen selbst gewonnen werden kann.497 Diese erlebte
Erfahrung (Externalisierung des Menschen) kann nur vom Subjekt selbst objektiviert und als eine
ihm faktisch gegenüberstehende Wirklichkeit anerkannt werden, mit anderen Worten ist das „Erzählen von“ bzw. „Bekennen des“ zwar subjektiven Charakters, aber die dem Pfingstler einzige
Möglichkeit, dass subjektiv Erlebte objektiv zu verkündigen.
Der kerygmatische Charakter der Pfingsttheologie liegt in ihrem Wesen begründet. Während die
westeuropäische Theologie fern ab von Erlebnis und Erfahrung aus der Tradition entsteht, bewegt
sich die Lehre Gottes bei den Pfingstlern „mitten im Leben“. Ihre Ausdrucksformen sind nicht
die der akademisch wissenschaftlichen Theologie, sondern die Sprache, die sie spricht, zielt mehr
auf die emotio, auf das Herz des Menschen.
Sie wird mehr getan, als gesprochen, sie wird mehr gesehen als gehört und sie wird mehr empfunden als verstanden.
Theologie in diesem Verständnis ist eine mündliche Theologie:
„Mündliche Theologie arbeitet […] nicht mit dem Buch, sondern mit der Parabel,
nicht mit der These, sondern mit dem Tanz, nicht mit der Dissertation, sondern mit
dem Zeugnis, nicht mit Konzepten, sondern mit Banketten, nicht mit systematischem
Denken, sondern mit Liedern und Geschichten, nicht mit Definitionen, sondern mit
Dunn stellt in seinem Art. “Wiedergeboren” vor allem zwei zentrale Herausforderungen bzgl. der pfingstlichen Sprache der
Erfahrung” heraus: 1) Kann die Lebendigikeit gegenwärtiger Erfahrungen des Heiligen Geistes immer noch eine angemessene Ausdrucksform in den Metaphern einer anderen Zeit finden?, 2) Wie soll mit dem Zusammenhang zwischen Erfahrung und
Sakrament umgegangen werden?; er äußert sich bzgl. Pkt. 1, dass es nicht darum gehen kann, diese Sprache der Erfahrung
den Pfingstlern abzusprechen, denn dieses bedeutet für einen vom Heiligen Geist erfüllten Menschen eine existenzielle Lebensenttäuschung, denn die Grundlage seiner neu entdeckten Dynamik des Lebens verlöre sich im Nichts, bzgl. Pkt. 2 lässt
er die neustestamentliche Texte sprechen, die die Gnade über die Tradition verdeutlichen (Apg 15, 6-29; Gal 2, 6-10), d.h.
dem Wunsch des Menschen einer erneuten Taufe über die Sakramententradition, S. 283f.
497 Vgl. Bridges Johns, „Heilung und Befreiung“, S. 239, Campos, Experiencia del espíritu, S. 123: „Theologie ist ein spirituelles
Wissen (Joh 3, 11), d.h. theologisches Reden gründet sich auf Erfahrung, nicht auf Besitz. So unterscheiden sich spirituelles
und rationales Wissen in ihrer je eigenen Logik. Während erstgenanntes einen direkten, unmittelbaren Charakter durch Narration und Zeugnis besitzt, äußert sich Zweitgenanntes auf eine indirekte Art und Weise im logisch-religiösen Diskurs (S. 125).
496
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Deskriptionen, nicht mit Argumenten, sondern mit verwandelten Lebensgeschichten“498
Die Pfingsttheologie wurzelt im Leben der Glaubensgemeinschaft, erzählt von ihr und bekennt
sich zu ihr. Sie ist demnach „Theologie des Zeugnis und der Narration“499 im Dienste der Verkündigung Jesu.
Die Pfingstheologie umfasst das Leben und die Verkündigung in Wort und Tat und lässt die zu
Christus Bekehrten als Zeugen der Erlösung, des Erlösers auftreten, dessen Zeugnis, zwar in der
eschatologischen Spannung von „schon“ und „noch nicht“, vor allem den Anbruch des Reiches
Gottes in der irdischen Welt lebendig werden lässt (präsentische Eschatologie).
Die Zeugnisse erzählen von der Begegnung zweier Wirklichkeiten und bieten einen Einblick in
den Prozess der sekundären Sozialisation, d.h. in die Begegnung des irdischen Menschen mit der
göttlich legitimierten neuen Ordnung, die ihn seinen gesicherten Platz über Raum und Zeit zu
teilt. Pfingsttheologisch ausgedrückt erzählen die Zeugnisse von der persönlichen Begegnung mit
Gott und der Wiedergeburt des Menschen.500
Zusammenfassend kann die Pfingsttheologie als eine auf Erfahrung beruhende „Spekulation“ beschrieben werden, die sich zwischen Anbruch (Gegenwart) und Vollendung (Zukunft) des Reiches Gottes bewegt. Im biblisch bezeugten Pfingstfest nimmt sie ihren Anfang -Gottes Erkenntnis
durch Gottes Erfahrung- und im Dienste der Verkündigung des persönlich erlebten Pfingstfest
wiederholt501 und entwickelt sie sich in der Hoffnung und Erwartung auf ein baldiges Pfingstfest
der ganzen Welt (Leben in Parusie).
Das zu Beginn erwähnte „vierfache Evangelium“ –das christologische Propium der Pfingstlerzeigt sich in der Beziehung, graphisch dargestellt durch die konzentrischen Kreise, von (1) Soteriologie, (2) Anthropologie, (3) Ekklesiologie und (4) Eschatologie.
Hollenweger, Charismatisch pfingstliches Christentum, S. 222; diese Kategorien stellen nach Hollenweger die Kommunikationsmedien der Dritten Welt dar. Diese Äußerung verweist auf seine Ausführungen zur kontextuellen Gebundenheit von Sprache, vgl. ders., Geist und Materie, S. 63-67.
499 Campos beschreibt bzgl. der Theologie des Zeugniss den Weg von der initialen persönlichen Erfahrung, die als einzige Ausdrucksform das subjektiv vermitteltes Zeugnis besitzt, über die Institutionalisierung der Lehre bis zur Notwendigkeir einer
[ganzheitlichen] Systematisierung auf der Grundlages des vitalen Zentrums der Pfingstler: ERFAHRUNG-ZEUGNIS-LEHRE,
Experiencia del Espíritu, S. 133-136; bzgl. der Theologie der Narration betont er die Ausbildung eines eigenen sprachlichen
Symbolsystems, das von sog. “Elementen des Augenblicks” geprägt wird. Für besonders wichtig erachte ich seine Äußerung,
dass die Pfingsttheologie ein komplexes Phänomen ist, da die Geisterfahrung ebenfalls ein solches darstellt, a.a.O., S. 137ff.
500 Vgl. Sepúlveda, “Wiedergeboren”, S. 277: Für die große Mehrheit des chilenischen Pentekostalismus läßt isch die pfingstlkirchliche Erfahrung jedoch in einer einfachen Aussage zusammenfassen, die in den “Zeugnissen” immer wieder auftaucht:
“Ich in dem Herrn begegnet und der hat ein neues Geschöpf aus mir gemacht”. Erinnern wir uns an dieser Stelle auch an die
Zeugnisspraxis der AdD.
501 Die Pfingsttheologie zielt auf die reale Offenbarung, die im Zeugnis bewahrt und vermittelt wird, Campos, Experiencia del
Espíritu, S. 40f.
498
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(1) Jesus Christus rettet den Menschen, (2) der Mensch antwortet in Heiligung mit Blick auf die
Geisttaufe, (3) die Erlösten und vom Geist Getauften bilden die kirchliche Glaubensgemeinschaft
als (4) Abbild der Urkirche und in Erwartung der baldigen Perfektion des Reiches Gottes.
Im Folgenden soll sich zusammenfassend der Beziehung zwischen hermeneutischem Verständnis
und Theologie der Pfingstler, wie sie sich uns hier darstellte, zugewendet werden, um die theologisch relevanten Themen der Pfingstler in ihrer hermeneutischen Perspektive zu vertiefen. Der zu
skizzierende „Hermeneutische Zirkel“ bietet in einem zweiten Schritt die Grundlage für die Untersuchung des hermeneutisch-exegetischen Umgangs mit der Heiligen Schrift.
5.3.1.1 Der hermeneutische Zirkel und seine theologische Implikation
In diesem Abschnitt soll es “nur” um eine kleine Zusammenfassung der vorherigen Ausführungen gehen, in dem die zuvor herausgearbeiteten Ergebnisse der ideologischen Theologie der
Pfingstler aus hermeneutischer Perspektive in Beziehung gesetzt werden. Die graphische Darstellung eines “hermeneutischen Zirkels” soll das Verständnis des heuristischen, ekstatischen und
konstruktiven Charakters des pfingstlichen Prozesses erleichtern.
Hermeneutischer Zirkel502:
502
Erstellt anhand von Campos, Experiencia del Espíritu, S. 123-157.
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Anhand der graphischen Darstellung zeigt sich der schöpferische Prozess, der sich auf der Beziehung von Kerygma, Erfahrung, Liturgie und Praxis gründet. Das in der Schrift überlieferte
Pfingstereignis (Apg 2) nimmt mittels der menschlichen Erfahrung, vermittelt im bekennenden
Zeugnis, in der liturgischen Gottesdienstfeier Gestalt an, die mittels der narrativen Symbole auf
eine Re-produktion des Pfingstfestes zielt, um die Botschaft Jesu, die Anfänge der christlichen
Urkirche, in Wort und Tat für die Praxis der (kirchlich-christlichen) Gegenwart zu aktualisieren.
Der schöpferische Charakter begründet sich in dem pfingstlichen Verständnis, dass die Geisterfahrung ein komplexes Phänomen darstellt, denn sie ist ein individuell-subjektives Ereignis, welches sich nicht kollektiv definieren lässt, sondern aus der Vielzahl subjektiv erlebter Begegnungen mit dem Geist Gottes entsteht.
Diese im Kern der pfingstlichen Hermeneutik zu lokalisierende Pluralität durch die kreative Teilnahme der einzelnen Gläubigen an der Geistgemeinschaft konstituiert den Umgang mit der biblischen Botschaft. Während die historisch-kritische Exegese auf die reflektierte Textanalyse abzielt, streben die Pfingstler nach einem gegenwärtigen Erlebnis der biblischen Botschaft, die
ihnen neue und vertiefende Erkenntnis des Wortes Gottes schenkt.
Der hermeneutische Prozess der Aktualisierung des biblischen Kerygmas beruht also nicht auf
theoretischer Erkenntnis, sondern auf praktischer Erfahrung. Er ist ein „Streben nach der Erfahrung“, ein „Erleben der Erfahrung“ und ein „Leben in der Erfahrung“ des einzelnen Menschen
mit Gott.
Aus diesem hermeneutischen Zirkel lassen sich nun folgende theologische Implikationen verdeutlichen, die der Pfingsttheologie ihren charakteristischen Inhalt verleihen.503
Christologisch manifestiert sich das Zentrum des Pfingstfestes in der Gestalt Jesu von Nazareth,
wobei die Zeit von der Epiphanie bis zur Parusie, d.h. die Heilszeit, im Vordergrund der kirchlich-theologischen Praxis steht.
Die Aktualisierung des Pfingstfestes in und zu jeder Zeit, transtemporal, begründet sich in der eschatologischen Betonung des zukünftigen Reiches Gottes, welches in apokalyptischen millenaristischen Zukunftsvorstellungen die Erwartung eines unerwarteten und plötzlichen Endes der diesseitigen Welt bedeutet.
Diese prämillenaristische504 Hoffnung impliziert, dass dem Anbruch des Reiches Christi „erst die
Entrückung der Kirche in die Wolken, die Wiederkunft Christi und die Vernichtung der irdischen
Verhältnisse vorausgehen“505 müssen.
503
Vgl. Campos, Experiencia del Espíritu, S. 142ff.
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Die aus pneumatologischer Perspektive akzentuierte Schlüsselfunktion der Manifestation des
Geistes, der Geistgemeinschaft, erzeugt ein dynamisches Zeugnis des gegenwärtig Auferstandenen, der weniger in der Gestalt des kommenden Messias als in seiner millenaristischen Herkunft
gesehen wird. Mit anderen Worten wird die Messianität Jesu Christi auf das Millenium projiziert
und die Lehre Jesu Christi äußert sich auf diese Weise in einer tendenziell einseitig akzentuierten
modalistischen Christologie.506
Dieser eschatologisch-apokalyptisch-millenaristische507 Schwerpunkt prägt das Leben der kirchlichen Gemeinschaft von dem zukünftigen Ereignis der Wiederkunft Christi her, welches sich anhand der graphischen Darstellungen der konzentrischen Kreise und des „hermeneutischen Zirkels“ beobachten lässt.
Denkt man sich diese beiden Graphiken ineinander, so verbildlicht sich, dass auf jeder Ebene (in
jeden konzentrischen Kreis) der schöpferisch- hermeneutische Prozess in der Spannung von Erfahrung und Erkenntnis abläuft. Wird diese Vorstellung mit einer spiralförmig nach oben windenden Bewegung zusammengedacht, kann die den Pfingstlern eigentümliche Orientierung an
dem Transzendenten in Trennung vom Immanenten nachvollzogen werden. Diese Orientierung
„nach oben“ begünstigt die zuvor erwähnte Ethik der Trennung der Welt (ethischer Rigorismus),
die dem Menschen als Schutz dient, ganz nach der Einweihung Gottes zu streben und sich nicht
auf die Versuchungen dieser Welt einzulassen. Dieses Urvertrauen in das Transzendente ist allein
deshalb möglich, weil:
Zum Millenarismus und zur Unterscheidung zwischen Prä- und Postmillenarismus vgl. Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S. 46-48: Während der Postmillenarismus an die Wiederkunft Christi zu Lebzeiten glaubt, d.h. an den Übergang in
das 1000 jährige Reich, verbindet der Prämillenarismus mit der Wiederkunft Christi eine Katastrophe (Tribulatio, lat. Trübsal),
d.h. die Vernichtung des in der sündhaften Welt herrschenden Antichristus, die dem Anbruch des göttlichen Reiches vorausgehen muss. Diese apokalyptische Vorstellung des Endes der Kirche erfährt nochmals eine bedeutsame Differenzierung in
den Konzepten des Prä-, Infra- und Posttribulationismus: “Prätribulationismus behauptet, dass die Kirche von der Erde weg in
den Himmel entrückt wird, bevor die große Trübsal beginnt; Infratribulationismus meint, die Kirche während der Herrschaft des
Antichrist aus den Leiden der tribulatio hinweg entrückt wird; der Begriff der Posttribulationismus bezeichnet die Auffassung,
die Kirche werde erst nach den den durchstandenen Kämpfen […], aber doch vor der Wiederkunft Christi entrückt”.
505 Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S. 46
506 Zur Christologie der Pfingstler, Campos, Experiencia del Espíritu, S. 41-44.
507 In seiner Dissertation über die Neopfingstkirchen in Honduras behandelt Braungardt auch das Thema des Prämillenarismus
und arbeitet den Zusammenhang mit der eschatologischen Vorstellung heraus. So stellt er fest, dass prämillenaristische Vorstellung auf das zukünftige Ereignis der Parusie Christi bezogen sind, wobei die Gegenwart der Schauplatz des Antichrist verkörpert, während die postmillenaristische Vorstellung die Heilsgegenwart in Ekklesiologie und Pneumatologie zum Ausdruck
bringt. Mit Blick auf die AdD ist nicht immer eine klare Linie zu erkennen. Dieser Umstand gibt Braunhardt Recht, wenn er von
der sog. Mischform präsentischer und futurischer Eschatologie spricht, die darin begründet ist, dass die reale Wirklichkeit die
Reinform nicht zu lässt, vgl. Braungardt, Neopfingstkirchen, S. 105-110 (Mikrofich); die Gemeinsamkeiten zwischen Prä- und
Postmillenarismus (Streben auf die Vollendung der Geschichte, Vision der Zukunft in Herrlichkeit, offene Geschichte vom Ziel
her bestimmt) begünstigen die „Mischform“, vgl. bzgl. der Gemeinsamkeiten, Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S.
47.
504
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 146 -
Ulrike Sallandt
„Gott […] ein unveränderlicher Gott [ist], […] [und deshalb] die Natur der apostolischen Kirche […] für alle Zeiten normative Gültigkeit innehat“508.
Die Pfingstler-Hermeneutik kann, weil sie sich als Teil der postpfingstlichen Erfahrung versteht, die historische Realität Jesu fortsetzen.
Mit dieser hermeneutischen Erkenntnis des pfingstlichen Schwerpunkts soll im Folgenden
der konkrete hermeneutische Umgang mit der Bibel beleuchtet werden.
5.3.1.2 Die biblische Hermeneutik und Exegese zwischen Fundamentalismus und Neopentekostalismus509
Deutlich ist geworden sein, dass das Pfingstfest, wie es uns in der Apg 2 überliefert wird, zentrale
Grundlage der pfingstlichen Hermeneutik ist. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass diese zentrale lukanische Perspektive510 die gesamte hermeneutische Praxis der Pfingstler beeinflusst. Die signifikante Bedeutung der Erfahrung existierende subjektive Dimension der biblischen Annäherung an das Pfingstfest markiert den Unterschied zu der im Okzident vorherrschenden historisch-kritischen Exegese.
Die Hermeneutik basiert also nicht auf der theoretischen Erkenntnis des Buchstaben, sondern auf
der persönlich erlebten Erfahrung des Geistes. So kann die Pfingsthermeneutik als eine Hermeneutik des Geistes verstanden werden, die den tiefer liegenden Sinn der Heiligen Schrift zu ergründen sucht:
„Die pfingstliche Hermeneutik ist fundamental eine Hermeneutik des Geistes, die das
tiefere Verständnis des messianischen Sinns der Heiligen Schrift sucht, in den Ereignissen und in der eigenen Erfahrung der Gläubigen in der Kirche und im täglichen
Leben“511.
In diesem Abschnitt wollen wir unter Berücksichtigung des fundamentalistischen sowie neupfingstlichen Einflusses versuchen, uns dem exegetisch-hermeneutischen Umgang der Pfingstler
mit der Heiligen Schrift zu nähern. Die Berücksichtigung dieser religiösen Strömungen ist darin
Dayton, Raíces de la teología pentecostal, S. 13: “Los pentecostales, sin embargo, afirman que si Dios es un Dios que no
cambia, entomnces la naturaleza de la iglesia apostólica debe ser, en este punto, normativo para todas las edades” (span.
Original).
509 Vgl. zu diesem Abschnitt die geschichtliche Darstellung der drei Wellen des Geister unter 3.2.
510 Vgl. Dayton, Raíces de la teología pentecostal, S. 10.
511 Campos, Reforma, S. 97; dies wird auch durch die zum Großteil geistliche Vorbereitung im Gebet unterstützt, während die
rationale Analyse des Predigttextes meist erst im Moment der Verkündigung stattfindet, vgl. die Ausarbeitung dieser Arbeit unter Pkt. 4.4.
508
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
begründet, da geschichtlich eine konkrete Einflussnahme auf die AdD512 nach zu weisen ist. Nach
je separater Darstellung erfolgt mit Blick auf die AdD ein kurzes Zwischenfazit.
Der christliche Fundamentalismus glaubt an die Unfehlbarkeit der Schrift, begründet in der Verbalinspiration durch die Kraft des Heiligen Geistes. Es existiert von daher „nur“ eine richtige
Auslegung des biblischen Textes, die jedem rein Gläubigen zu gängig ist und der Gehorsam zu
leisten ist.
Diese Herangehensweise an die Heilige Schrift zeigt deutlich antiintellektuelle Züge und unterstreicht, dass die Bedeutung der Bibel in ihrer ihr wesenhaften Geistes-Kraft liegt, nicht so sehr in
ihrem konkreten, rational zu erfassendem Inhalt:
„what counts is force (not the content) of the invocation of the text […]”513.
Die Bibel erklärt sich aus der ihr zukommenden göttlichen Autorität aus sich selbst heraus, so
dass jegliche Hinzunahme hermeneutischer Methoden überflüssig, und die fundamentalistische
Methode als „antihermeneutisch“514 zu beschreiben ist.
Die hier deutlich werdende unanfechtbare biblische Autoritätsstellung verkörpert für den fundamentalistisch Gläubigen eine neue Macht, die in seiner oppositionellen Einstellung gegen die
Welt und der damit verbundenen Ohnmachtserfahrung ein neues Lebensfundament schafft.
Der Entfremdung der Weltwirklichkeit steht hier die neue biblisch manifestierte Wirklichkeit gegenüber, die durch den so eben dargelegten Absolutheitsanspruch die dialektische Beziehung
zwischen Individuum und der gesellschaftlichen Wirklichkeit ignoriert:
„Es [das Individuum] vergisst, dass es diese Welt ständig mit hervorbringt. Entfremdetes Bewusstsein ist undialektisches Bewusstsein. Der entscheidende Unterschied
zwischen soziokulturellen und der natürlichen Welt ist verdunkelt – die Tatsache
nämlich, dass die Menschen zwar die erstere, nicht aber die letztere gemacht haben“515.
Bzgl. des Einfluss des Fundamentalismus, vgl. Hidalgo Zavala, La Historia de las AdD, S. 32 vgl. diesbzgl. auch 3.3 dieser
Arbeit; bzgl. des Neopentekostalismus, vgl. Ocana, Los Banqueros de Dios, S. 89; interessant ist, dass beide religiöse Strömungen meist innerhalb bereits existierender Körperschaften existieren, vgl. a.a.O., Ocana und Lehmann, Fundamentalism
and globalism, S. 616.
513 Lehmann, Fundamentalism and globalism“, S. 615; bzgl. der Rolle des biblischen Textes, vgl. a.a.O., 617, Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S. 49f., Marty, „Was ist Fundamentalismus?“, S. 201.
514 Martin Marty betont in seinem Artikel vor allem die Ablehnung der Hermeneutik im modernen Sinn, Marty, „Was ist der Fundamentalismus?“, S. 200-202; auch Hollenweger äußert sich bzgl. der Pfingstler unter dem Thema der fundamentalistischen
Spiritualität wie folgt über die Autorität der Bibel: „Die Basis jeder pfingstlichen Lehre ist allein die Bibel. Der Pfingstler schätzt
sie und liest viel darin. Er bewertet ihre Aussagen nicht nach logischen Überlegungen, sondern will sich mit seiner ganzen Innerlichkeit in ihre göttlichen Gedanken vertiefen, sich, prüfend und richtend, diese selbst zu eigen machen und über die Größe
und die Macht des Schöpfers und ihres Erhalters der Erde anbetend staunen“, Hollenweger, Pfingstkirchen, S. 150.
515 Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 83; Berger nennt drei wichtige Elemente der Entfremdung: 1) „Die entfremdete Welt ist mit allen ihren Aspekten Phänomen des Bewusstseins, vor allem des falschen Bewusstseins. Bewusstsein
ist falsch, weil der Mensch, auch wenn er in einer entfremdeten Welt lebt doch Hervorbringer dieser Welt ist […]“, 2) „[…] das
512
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Durch den fundamentalistischen Bibelgebrauch verdeutlichen sich die theologischen Ziele, nämlich Glauben und Theologie geschichtslos und wandlungsfähig zu machen. Diese transhistorische
Akzentuierung schlägt sich auch in dem hermeneutischen Versuch des Dispensationalismus wider, der sich im Bereich des Fundamentalismus einen Namen gemacht hat. Mittels dieses Prinzips, die biblische Geschichte in sieben Epochen zu unterteilen, wird die Heilige Schrift und potentiell auftretende textliche Unstimmigkeiten jeglicher Diskussion über den Textsinn befreit:
„Um die Unterschiede nicht auf andere Weise harmonisieren oder gar durch historische Hermeneutik erklären zu müssen, ordnet er die unterschiedlichen Teile der Bibel
verschiedenen Epochen (dispensations) eines konstruierten göttlichen Geschichtsplan
zu. […] Das Problem einer historischen Hermeneutik ist für den Dispensationalismus
somit gelöst durch die Konstruktion eines Geschichtsbildes gemäß den Erfordernissen einer unhistorischen Hermeneutik“516.
Wenden wir uns nun dem Neo-Pentekostalismus zu.
Im Gegensatz zur klassischen Pfingstbewegung relativiert sich die alleinige Autorität der Bibel in
den charismatischen Gruppierungen.517 Durch die starke Betonung der Existenz von Dämonen,
der u.a. dadurch bedingten Theorie des Geistlichen Kampfes, zeigt sich eine Verschiebung des
Autoritätsanspruches. An die Seite des einzigartigen Wort Gottes stellt sich der dämonische Einfluss, der sich aus hermeneutischer Sicht in der Gestalt des „strategischen Geistlichen Kampfes“518 wie ein Schatten über die biblischen Text legt. Auf ähnliche Weise wie die lukanische
Perspektive der Apg 2 sich auf die gesamte Hermeneutik der Pfingstler erstreckt, zeigt sich nun
Bewusstsein [hat] nur die Möglichkeit […], aus primärer Entfremdung zu sekundärer Aufhebung der Entfremdung, zu „EntEntfremdung“, zu gelangen. […] Mit anderen Worten, die Aneignung der soziokulturellen Welt als opus alienum geht ihrer Aneignung als opus propium überall voraus“, a.a.O., S. 83f., vgl. auch die Rede von der Zweideutigkeit des Lebens bei Tillich,
Systematik III,
516 Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S. 51f; vgl. auch den ausführlichen Exkurs über den Dispensationalismus, ebd.:
Der Dispensationalismus kann, als Gegenmodell zur historisch-kritischen Exegese und der liberalen Theologie, folglich in
hermeneutischer wie in geschichtsphilosophischer Hinsicht als ein genialer Entwurf anti-liberalen Denkens verstanden werden“.
517 Vgl. Míguez Bonino, zitiert aus: Ocana, Los Banqueros de Dios, S. 50 ; vgl. auch Kraft, Animismo cristiano o la autoridad de
dios? bzgl. seines Bibelverständnis äußert er sich, dass er alles akzeptiert, was die Bibel nicht verdammt im Gegensatz dazu,
nur das zu alzeptieren, was die Bibel lehrt. Mit dieser Aussage schafft er unanfechtbaren Raum für die Existenz geistlichdämonischer Welten und ihrer Eigenlogik, S. 51.
518 Auf der Grundlage einer gründlichen exegetischen Untersuchung stellt Voth heraus, dass der biblische Befund bzgl. des
Geistlichen Kampfes nicht eindeutig zu fundieren ist. Er richtet sich mit seiner fundierten Kritik nicht gegen die Existenz des
traditionellen Geistlichen Kampfes, d.h. der Vorstellung der Konfrontation mit dem Bösen, sondern er verdeutlicht die Gefahren und Risiken, die sich hinter einer “Vermenschlichung” des Geistlichen Kampfes verbergen, die im Zuge der Massenevangelisationen eingesetzt werden, um strategisch nach erstellten Kateographien bestimmte Gebiete von ihren dämonischen
Mächteen zu befreien. Voth warnt vor einer “Versklavung”, die die Bedeutung der befreiende Werk Jesu Christi ungeschehen
macht und den Christenmenschen zurück nach Ägypten bzw. in das babylonische Exil führt, vgl. Voth, La guerra espiritual, S.
41; vgl. auch Campos, “La teoría de la guerra espiritual” (Internet), S. 3f.: der Aspekt der Bedeutung des Geistlichen Kampfes
im Zuge des ekklesiologischen Evangelisation wird im folgenden Abschnitt 5.3.2 aufgenommen und entfaltet.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 149 -
Ulrike Sallandt
in der biblischen Lektüre der Neopfingstler der Mensch von der Genesis bis zur Apokalypse in
ständigem Kampf mit den dämonischen Mächten:
„Es ist nicht so, dass der Neopentekostalismus die Bibel „vergeistlicht“, wie es der
Fundamentalismus oder der theologische Konservativismus tat, das Geistliche dem
Materiellen den Vorrang gebend, sondern [es ist so], dass er den Geistlichen Kampf
in der gesamtem Bibel wieder findet“519.
Mit anderen Worten erfolgt in der hermeneutischen Herangehensweise der Neopfingstler eine
Verschiebung von der vertikalen Ausrichtung am Transzendenten zur horizontalen Ausrichtung
am Immanenten, d.h. an der dämonisierten Welt. Dies erklärt die oben bereits erwähnte Relativierung der biblischen Autorität.
Neben der Theorie des Kampfes existiert noch die sog. Wohlstandstheologie, die ebenfalls diesen
Wandel von der vertikalen zur horizontalen Ausrichtung zum Ausdruck bringt. In Diskontinuität
zum klassischen Protestantismus und Pentekostalismus beinhaltet sie diverse, teilweise magische
Methoden zur Erlangen materiellen Reichtums.
Auf der Grundlage einer theologischen Um-interpretation der Eschatologie, Pneumatologie und
Christologie520 lässt sich deutlich die stärkere Orientierung an der Immanenz erkennen, die sich
in der Sorge um das leibliche Wohl des Menschen im hier und jetzt ausdrückt. Sprachen wir bei
den Pfingstlern von einem Prämillenarismus muss bei den Neopfingstlern von einem Postmillenarismus521 gesprochen werden, der die Heilsgegenwart im Hier und Jetzt erfährt. Dieser göttliche
Segen wird vor allem und in erster Linie als ein materieller Wohlstand verstanden, der dem
Rechtgläubigen bei rechter Lebensführung zu steht. Die Dogmatisierung dieses Verständnisses
kann in seiner extremen Ausgestaltung dazu führen, dass die finanzielle ökonomische Lage des
Menschen Auskunft über sein geistlich-spirituelles Dasein gibt.
Hier zeigt sich die normative Qualität des Irdischen, an dem die Beziehung zu dem Göttlichen
gemessen wird. Das bekannte Hiobproblem522 kommt hier zum Ausdruck und demonstriert einen
Kausalzusammenhang („Saat und Ernte“) zwischen „gutem“ Glauben und guter finanzieller Lage
des Menschen.
Ocana, Los Banqueros de Dios, S. 72.
Vgl. a.a.O., S. 99.
521 Schäfer macht in seinem Exkurs über den Millenarismus die amerikanischen Wurzeln des Postmillenarismus deutlich, der
nach puritanischer Tradition „die Verwirklichung des Reiches Gottes anstrebte. […] Der Postmillenarismus lehrt die Wiederkunft Christi auf die Erde zum Ende eines auf der Erde sich entfaltenden 1000-jährigen Reiches Gottes. [Millenium] […] Der
Unterschied [zwischen Prä- und Postmillenarismus] liegt in der Wertung der Gegenwart: Für den Postmillenarismus ist sie
gleichsam der fette Acker, auf dem das Senfkorn des Reiches Gottes zu wachsen beginnt und nur noch gut gepflegt zu werden braucht, um dann der ganzen Welt Schatten zu spenden. Für den Prämillenarismus ist sie eine Wüste, die jegliches Leben zerstört”, Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S. 46f.
522 ( ?)
519
520
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Aus der Perspektive dieser „Theologie“ wird die Bibel in einem soziökonomischen Diskurs ihrer
göttlichen Wurzeln entfremdet und nach einzelnen biblischen Versen erkundet, die die These der
Prosperität verstärken.523
Unter Berücksichtung sowohl der Theorie des Geistlichen Kampfes als auch der Wohlstandstheologie/ -evangeliums524 als Themen im Diesseits kann nun abschließend die hier deutlich gewordenen „Symbolische Hermeneutik“525 (Ocana) umschrieben werden.
Diese zeichnet sich durch folgende charakteristische Merkmale aus:
 personalistische-literalistische Bibellektüre führt zur Ignoranz der literarischen Genres
und zur Verteidigung eines Lebens in „Saus und Braus“
 allegorische Auslegung führt zur Ignoranz des „Sitz im Leben“
 Unkenntnis der historisch-kritischen Exegese
 Verzerrtes Gottesbild: Gott ist ein reicher Besitzer von Gold und Silber
 einseitige partielle Lektüre der Heiligen Schrift
Unter Berücksichtigung der bisherigen Aussagen sowohl zum Fundamentalismus als auch zum
Neopentekostalismus zeigt sich das folgende Bild bzgl. der Hermeneutik des Geistes der Pfingstler, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den thematisierten Strömungen deutlich werden.
Die Hermeneutik der Pfingstler basiert ebenfalls auf der Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift, die
sich nach fundamentalistischem Vorbild in der Verbalinspiration (2 Tim 2, 14-16) begründet.
Der beobachtete, teilweise unreflektierte absolute Biblizismus, zeigt ebenfalls einen transhistorischen Charakter, der die kontextuelle Eingebundenheit, den „Sitz im Leben“, der biblischen Realität und der Gegenwart vernachlässigt. Diese Ignoranz gegenüber der historischen Dialektik öffVgl. Ocana, Los Banqueros de Dios, S. 101.135-138 bzgl. des Gesetzes der Prosperität : Gesetz der „Saat und Ernte“, des
Zehnten und der Kollekte; vgl. auch ders., „Las leyes magicas de la prosperidad“, Referat; zur kritischen Perspektive aus
evangelikalen-fundamentalistischen Kreisen vgl. Bühne, Spiel mit dem Feuer, S. 233-244, hier nur in Kürze: 1) Mangelnde Unterscheidung der materiellen Segnung im AT und der vorwiegend geistlichen Segnung des NT, 2) verstärkt den irdischen Bezug der Christenmenschen, vernachlässigt die eher geistlichen Vorbilder von Jüngerschaft, Selbstverleugnung, Bescheidenheit und Genügsamkeit, 3) löscht die Kraft der Christenheit, die zum geistlichen Überleben in Not und Bedrängnis notwendig
ist, 4) kann „schwache“ Christen in persönliche Krisen und Depressionen stürzen (S. 242f.).
524 An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich die Neopfingstler nicht nur durch diese beiden Phänomene auszeichnen; aber diese
sind bzgl. des hier behandelten Themas der Hermeneutik relevant. Bzgl. der weiteren Themen im Überblick, vgl. Bühne, Spiel
mit dem Feuer, S. 167-264.
525 Vgl. a.a.O., S. 104-115; zur Vertiefung ders., a.a.O., S. 115-131. Braungard äußert sich im Zuge seiner Untersuchungen der
Neopfingstlichen Kirchen in Honduras wie folgt zum Verständnis der Heiligen Schrift: „Die Bibel ist im neopfingstlichen Alltag
mehr als nur das Buch der Offenbarung der Botschaft Christi. Sie hat symbolischen Charakter und steht als Garant für das
Weltbild. Sie dient durch Bibellese der täglichen Vergewisserung des Glaubens. […] Das Bibelverständnis lässt sich als intuitiv
fundamentalistisch beschreiben, jedoch mit bedingter wissenschaftlicher Korrektur“, Braungard, Neopfingstliche Kirchen in
Honduras (Titel nachschlagen??), S. 120.128.
523
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
net die Türen für den hermeneutischen Versuch des Dispensationalismus. Der Gefahr der Entstehung eines starren Geschichtssystems wird aufgrund des geistlichen Schwerpunkts (noch) verhindert. Dennoch zeigt sich auch schon bei den AdD die Tendenz der Konstruktion eines Heilplanes Gottes, indem der Bibel in Abgrenzung zur Welt ein eigenes Geschichtsbild entworfen
wird, indem der Antichrist eine herausragende Rolle spielt.
Die insgesamt antiintelektuelle Einstellung wird durch den geistlichen Schwerpunkt betont, verkörpert sich aus hermeneutischer Perspektive in der zum Großteil rein geistlichen Vorbereitung
der biblischen Texte, die keinen Raum für die historisch-kritische Exegese zu lässt. Die „Andachtshermeneutik“ fundiert sich generell auf der Überordnung der emotio über die ratio. Doch
zeigte sich auch im Ansatz der Aufbruch zu einer vermehrt rational theologischen Reflexion der
Heiligen Schrift, die aber von der im Okzident praktizierten historisch-kritischen Exegese zu differenzieren ist. Während diese auf die möglichst historisch korrekte Auslegung des Textes in seinem historischen Zusammenhang zielt, kann die rational kognitive Beschäftigung der Pfingstler
als biblische Manifestierung ihrer dogmatischen Identität um schrieben werden.
Diese Vernachlässigung der Objektivität entsteht aus der partiell subjektiven Annäherung an die
biblische Botschaft, allein in der lukanischen Perspektive des Pfingstfestes Apg 2.
Während die Neopfingstler die zentralen Themen des Geistlichen Kampfes sowie des Wohlstandsevangeliums in die Heilige Schrift hinein interpretieren, laufen die Pfingstler Gefahr, aufgrund der persönlich erlebten Erfahrung die Zentralthemen der Geisttaufe/ Erlösungserfahrung
sowie der damit verbundenen Zungenrede als Evidenz über und in alle Texte zu legen. Die Betonung der Wiedergeburt, die als konkrete Verwandlung des Menschen verstanden wird, führt zu
einer Moralisierung der christlichen Botschaft. Der biblische Offenbarungsinhalt wird teilweise
durch das Verständnis der Bibel als ein Buch moralischer Anweisungen, die als direkt von Gott
kommende ethische Normen empfangen werden, überschattet. Schäfer beschreibt es wie folgt:
„vast concordance a repertoire of quotations and stories suitable for the illustration
of moral teaching or of practical instructions in the ritual of every day life”526.
Lopez527 stellt die begrenzte pfingstliche Sicht der biblischen Perikope Apg 2 heraus, die die
schon erwähnte Ignoranz der kontextuellen Einbettung der biblischen Texte auf literarischtextlicher Ebene verdeutlicht.
Sprechen die Pfingstler von Apg 2 so beziehen sie sich vor allem auf Apg 2, 1-13 und stellen das
Pfingstereignis als ein von der Geschichte getrenntes Geschehen dar. Die sozialethische Dimen-
526
527
Schäfer, Protestantismus in Zentralamerika, S. 618.
Vgl. Lopez, El nuevo rostro del pentecostalismo latinoamericano, S. 42f.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
sion geht aufgrund des individuellen personalistischen Ansatzes verloren, so dass der einzelne
Mensch vor allem aus heilsgeschichtlicher Perspektive, „vergeistlicht gesehen wird. Das Kreuz
Jesu, die Bedingung der heilsgeschichtlichen apostolischen Kontinuität (lukanische Perspektive),
bleibt bei der Hermeneutik des Geistes außen vor. Der Geist schafft auf der einen Seite die transhistorische Dimension, aber auf der anderen Seite schützt er zugleich vor einem gnostischen
Bruch der Transzendenz von der Immanenz.
An dieser Stelle muss an die Kosmovision der Pfingstler erinnert werden, die der Existenz von
Geistern und anderen Gestalten Raum lässt. Auf diese Weise kann der beobachtete neocharismatische tendenzielle Einfluss der Überbetonung des Geistlichen Kampfes und der Wohlstandstheologie (noch) in der biblischen Hoffnung auf das eschatologisch-apokalyptische Reich Gottes abgewehrt werden.
Während der Fundamentalismus sich akribisch an den genauen Wortlaut der Bibel hält und der
Neopentekostalismus sich immer mehr der Heiligen Schrift entledigt, nehmen die AdD, die klassischen Pfingstler eine Mittelstellung ein, in der die Akzentuierung des Geistes den Ausgleich
zwischen dem starren System der Fundamentalisten und der willkürlich erscheinenden Vorgehensweise der Neopfingstler intendiert. Sie verbinden biblische Treue mit einer gewissen Portion
an kreativer Dynamik, die, wie wir gesehen haben, durch die in Gemeinschaft gelebte Erfahrung
in Form der kultischen Liturgie entsteht.
Die Frage, ob und in wieweit nicht die gesellschaftlich kulturelle Situation der Menschen und ihre Forderungen nach gegenwärtigen Lösungen den latent vorhandene Einfluss unbiblischer Theorien forciert, die den Menschen eine Lösung im Diesseits anbieten, wird zu einem späteren Zeitpunkt dieser Arbeit aufgenommen.(5.4.1)
5.3.2 Außenperspektive: Institutionelle Struktur
Wie unter Punkt 5.3.1 bereits angekündigt, soll es in diesem Abschnitt darum gehen, die ekklesiologische dynamische Struktur der Pfingstler in ihrer charakteristischen Spannung zwischen den
soziologisch-typologischen Polen von Kirche und Sekte528 zu untersuchen.
Die den Pfingstlern wesenhaft interne Mobilität begründet sich einerseits in dem Übergang von
dem Status der Sekte zur Kirche, andererseits in dem Übergang von der religiösen Bewegung zur
Kirche und Sekte. Aus institutioneller Perspektive handelt es sich um die dialektisch aufeinander
bezogenen Gegenpole der Institutionalisierung/ Bürokratisierung der sektiererischen religiösen
528
Im Folgenden nutzen wir trotz dieser Unterscheidung den Begriff ‘Kirche’ als Bezeichnung für jede ekklesiologische Sozialform
(Denomination, etablierte religiöse Gruppierung, religiöse Gruppierung), vgl. unter Pkt.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 153 -
Ulrike Sallandt
Bewegung und der Des-institutionalisierung/ Entbürokratisierung der Organisationsform Kirche.
Mit anderen Worten verbinden sich organisierte und organische Kirchenstruktur zu der charakteristischen dynamischen Ekklesiologie der Pfingstkirche.529
Nach einer kurzen graphischen Darstellung der presbyterial-kongregationalistischen Kirchenverfassung der AdD unter Berücksichtung der geschichtlichen Entwicklung, einer kurzen Erörterung
der Begriffe von Kirche und Sekte, zielt die Untersuchung darauf ab, die AdD, bzw. die Pfingstler im Allgemeinen in ihrer institutionellen Position eines „religiösen Dissidenten“ (Lehmann) zu
verdeutlichen.
5.3.2.1 Graphische Darstellungen zur Kirchenverfassungen der AdD
529
Vgl. Campos, Reforma, S. 48f.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Graphik A: Etappe der zentralisierten Nationalkirche (ab 1939)
Basis: Kongregational-presbyteriale Kirchenstruktur
(innerlicher Geist)(äußerliches Gesetz)530
Lokalversammlung
Kongregationale Lokalgemeinden
diverse Regionen –
LOKALE
EBENE
Wahl
„Vorstand“ (Diakone) & Pfarrer
(1 Jahr)(3 Jahre)
alle Lokalgemeinden aus jeder Region
jährlich
Regionalversammlung (Regionale Ebene)
Teilnahme:
Pfarrer & Delegierte der Lokalgemeinden
REGIONALE
EBENE
WAHL für 3 Jahre
Vorstand & Presbyter als Superintendenten
jährlich
WAHL für 3 Jahre
Vorstand: 7 Pfarrer geleitet von Superintendenten
(Exekutivpresbyterium)
Aufgabe: Ausfertigung der Beglaubigungsschreiben
Leitung
NATIONALKIRCHE
530
Teilnahme:
Pfarrer & Delegierte der Lokalgemeinden
NATIONALE
EBENE
Bildung
GENERALPRESBYTERIUM
(nationaler Vorstand & Regionalpresbyter)
Diese Graphik wurde anhand von Zavala-Hidalgo, AdD, S. 99-102, Campos, Experiencia del Espíritu, S. 58-68, AdD-Estatuto
y Reglamento [Satzungen], vor allem S. 15-27, erarbeitet.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Graphik B: Etappe der de-zentralen Nationalkirche (ab 1975)531
Basis: explosionsartiges Wachstum
Folge: Wandel der Kirchenstruktur impliziert De-zentralisierung des Verwaltungsapparates
Beschluss: 1978 Generalvorstand – Entscheidung zu Gunsten der De-zentralisierung des Verwaltungsapparates auf nationaler Ebene
Nationaler Vorstand:
Repräsentativund Exekutivorgan
GENERALVERSAMMLUNG
Zentralorgan
Koordination der
fünf Fachbereiche:
(zwei-jährig)
Teilnahme:
- beglaubigte Amtsträger
- Delegierte der Lokalgemeinde
1)
2)
3)
4)
5)
Kirchliche Ämter
Christliche Erziehung
Mission
Kommunikation
Sozialprojektion
REGIONALVORSTAND
(14-tägig)
= BEZIRKSPRESBYTERIUM
aus: Vorstand & Superintendenten
BEZIRKSVERSAMMLUNG
(alle 2 Jahre)
Zusammensetzung aus:
Kirchliche Bezirke:
NORDMITTESÜD
TrujilloLimaArequipa
-
Teilnahme:
- Amtsträger
Delegierte der
Lokalgemeinde
Aufgabe:
- Leitung der Bezirksarbeit:
- Beglaubigung und
Vorschläge für Amtsbesetzung
KONGREGATIONALE LOKALGEMEINDEN
organisiert auf lokaler Ebene
531
Die Graphik wurde erstellt anhand von Graphik A, Zavala Hidalgo, S. 102-110, AdD-Estatuto y Reglamento, S. 39-65.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Besondere Unterscheidungsmerkmale zur Graphik A:
-
-
es zeigt sich die Dezentralisierung des Verwaltungsapparates auf regionaler Ebene (blau)
es zeigt sich durch die Bürokratisierung eine Akzentverschiebung darin, dass die administrative Autorität der übergeordneten institutionellen Organe die Bedeutung der Lokalgemeinden mindert (Pfeilrichtung
impliziert dies)
die Lokalgemeinden haben (je kleiner sie sind) in Folge dessen in der
Praxis teilweise kein Mitspracherecht (presbyteriale Schwerpunkt)
Anmerkung zur Grafik A532
Finanzen:
Lokalgemeinde75 % des Zehnten an den Kassenwart der Lokalgemeinde
25 % des Zehnten an den Kassenwart der Region
Amtsträger50 % des Zehnten an die Zentralorganisation
50 % des Zehnten an die Regionalorganisation
Interne Organisation:
 Sonntagsschule
 Selbstverständnis als „Botschafter Christi“
 Frauen-Missionsausschuss
 Evangelisationsausschuss
Programmheft von 1974
Ziel: Mission
Mangel: soziale Dimension533
 Beten/ Anbetung
 Unterweisung
 Ausbreitung
Verfassung
 Kopie des Generalausschusses d AdD von 1914
Inhalt:
a) Amt der Kirche – Evangelisation und Gemeindeerneuerung
b) Geistgaben nach 1 Kor 12, 8-10
c) Geisttaufe – sichtbar in Glossolalie
Mangel: soziale Dimension
Schwerpunkt: Evangelisation, persönliche Erfahrung mit Gott, Jesus-Christus, Geistgaben
Anmerkung zu Graphik B534:
Information aus Zavala Hidalgo, S. 99-102.
Vgl. bzgl. dieser Beobachtung auch Unterrichtsmaterial, „Discipulado II“, S. 68-73.
534 Information aus Zavala Hidalgo, S. 102-110.
532
533
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Ulrike Sallandt
Basis: Satzungsänderung
Inhalt:
 Konzept der Geistgaben erweitert sich, d.h. geistliche und administrative Geistgaben finden Anerkennung neben der Glossolalie und Missionsverständnis erweitert sich (s.u.)


Jugend der AdD – Annäherung an den intellektuellen Austausch mit anderen evangelischen Christen über das Konzept der „Integralen Mission“, die eine ganzheitliche, d.h.
geistliche, soziale und intellektuelle, Perspektive inne hat
Ab 1983 – Erneuerung des Programms beinhaltet die Verfolgung der Kontextualisierung,
d.h. kirchlich-missionarische Tätigkeit vollzieht sich unter Berücksichtigung des jeweiligen kulturellen Kontextes
Anhand der Graphiken ist der Wandel von der kongregationalistischen (presbyterialen) zur presbyterialen (kongregationalistischen) Kirchenverfassung deutlich geworden.535 Es lässt sich die
De-zentralisierung an dem (blauen) Mittelstück, d.h. auf regionaler Ebene, ablesen. Während zuvor eine direkte Bindung zwischen Lokal- und Nationalgremien bestand, bedeutet die regionale
administrative Erweiterung eine Distanzierung zwischen der nationalen Führung und den lokalen
Kirchengemeinden. Dies bedeutet in der Realität eine Minderung der kongregationalistisch wesenhaften Unabhängigkeit536 der Lokalgemeinden, die weiterhin besteht, sich aber in der Realität,
d.h. vor allem für die kleineren Gemeinden durch ökonomische sowie organisatorische Abhängigkeit, ausgelöst durch administrative Hierarchie, zeigt.
Der kongregationalistische Schwerpunkt vollzieht durch die Rationalisierung der religiösen Gemeinschaft einen Wandel von der non-konformen (separatistischen) zur konformen, (nicht separatistischen537) kirchlichen Erscheinung, die sich auch mit dem Wechsel von der Dependenz zur
Interdependenz der Gemeinden ausdrücken lässt. Diese Kooperationsbereitschaft mit anderen
Gemeinden in einer Art Verbandsstruktur relativiert die Tendenz der Absonderung der Kongrega-
Es handelt sich an dieser Stelle nicht nur um ein Wortspiel, sondern um den Versuch, die verschobene Akzentuierung im Zuge
der Institutionalisierung/ Bürokratisierung zum Ausdruck zu bringen.
536 „Kongregationalismus ist eine Kirchenordnung, die auf der Überzeigung gründet, dass die Ortgemeinden das grundlegende
und wesentliche Element von Kirche ist. Als solche besteht sie aus Menschen, die sich in ihrem Glauben an Jesus Christus
verbindlich und vertraglich (conventanted) zu einer Gemeinde zusammengeschlossen haben. Durch die Kraft des Heiligen
Geistes eignet jeder einzelnen Gemeinde die Befähigung zur verantwortlichen Ordnung ihres Lebens und Gottesdienstes, frei
von der Bevormundung durch irgendeine geistliche oder weltliche Autorität. […] Diese kirchliche Ordnung [stützt sich] auf die
Praxis der Urkirche und das Zeugnis des Neuen Testaments. […] Die wesentlichen Elemente ihrer Ordnung [fanden sie] in der
Schrift wieder, die ihnen alleinige Autorität war“, John Huxtable, „Kongregationalismus“, S. 452.
537 Vgl. zum Thema des kirchlichen Separatismus, Schneider, „Separatisten/ Separatismus“, S. 151-158, beachte besonders das
Motiv: „Kirchlicher Separatismus erwächst als letzte Konsequenz aus der Kritik an der kirchlichen Gemeinschaft, von der sich
die Separatisten trennen; in seiner extremsten Gestalt ist er die Absage an jede Art von erfasstem Kirchenwesen überhaupt.
[…] Die Motive, die im Protestantismus zu separatistischen Erscheinungen führten, sind vielfältiger Art: gemeinsam ist die Kritik an den Erscheinungsformen der Mutterkirche, sei es in ihren Verfassungs- und Lebensformen, ihrer Kompromissbereitschaft gegenüber der „Welt“ und kirchlichen Traditionen („papistische Reste“) oder auch an ihrer Lehre“ (S. 153).
535
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
tionalisten zu Gunsten einer besseren kooperativen regionalen Organisation missionarischer Tätigkeiten.538
Diese Öffnung hin zu einer strukturierten Organisation führt uns zu dem presbyterialen Anteil der
Kirchenordnung, die auf eine Aufgabenteilung zwischen Gemeinde- und Kirchenleitung abzielt.
Dies führt zu einem „gestuftem System von Leitungsgremien zur Gewährleistung einer zentralen
Aufsicht und der Aufrechterhaltung der gemeindlichen Selbstverwaltung“539. Diese doppelte
Aufgabe ist jedoch in dem praktischen Vollzug nicht unproblematisch, denn sie intendiert trotz
administrativer hierarchischer Strukturen eine gleichberechtigte Position aller Ortsgemeinden.
Hier stehen sich hierarchische und demokratische Struktur gegenüber.
Die AdD bewegt sich als eine freikirchlich540 organisierte Pfingstkirche unter kongregationalem
und presbyterialem Einfluss. Ihr ekklesiologisches Fundament liegt weniger in der offiziellen Reformation Luthers, aus der letztendlich die protestantische Konfession erwuchs, als im „radikallinken Flügel“ dieser Epoche.541 Während sich die Reformation Luthers der erneuten kirchlichen
Institutionalisierung nicht wehren konnte, verfolgten die Schwärmer und Täufer separatistischrevolutionäre Ideen im Kampf gegen die herrschenden konstantinischen Tendenzen der offiziellen Kirche.
Die sich nach dem freikirchlichen Modell orientierte Pfingstkirche ist also auf der einen Seite in
ihrem inneren Wesen organischer Leib Christi und auf der anderen Seite durch äußerlichen Einfluss eine religiöse Organisation. Ihr innerliches Fundament, zu welchem sich die Mitglieder persönlich und in aller Überzeugung bekennen müssen, schafft die „Schar der Blutserkauften“, die
„Gemeinde der Wiedergeborenen“ und die “vom Heiligen Geist Geführten“542, die sich vor allem
im Zuge des quantitativen Wachstums543 organisieren müssen. Dieses innere Glaubensfundament
markiert den Unterschied zu der Welt draußen und begünstigt den Schein eines religiösen Abso-
Vgl. dazu John Huxtable, „Kongregationalismus“, S. 455ff.
Cameron, „Presbyterianer“, S. 341.
540 „Die Wurzeln der Freikirchenbewegung gehen […] über die Reformationszeit hinaus, zurück und können in gewisser Weise in
den sog. Vorreformatoren gesehen werden. […] Ähnlich steht es mit den Enthusiasten oder Schwärmern der Reformationszeit, die oft dem Täufertum entstammten. […] So ist die Freikirchenbewegung nur im engeren Sinne ein Kind der Reformation“, Schwarz, „Freikirchen“, S. 551; der Puritanismus ist wichtiger Bestandteil bzgl. der freikirchlichen Situation in England. Mit
Blick auf sein gesamte Geschichte vereint der Puritanismus separatistische, non-konformen Traditionen und mit kongregationalistischen presbyterialen, und bildet in der weberianischen Analyse die Grundlage einer neuen „Protestantischen Ethik“, vgl.
zum Puritanismus, Collinson, „Puritanismus“, S. 8-24: „im Kern war der P. die Abweisung rückwärts gewandter, konservativer
Züge der offiziell durchgesetzten Reformation“ (S. 11), bzgl. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, GARS I.
541 Vgl. Campos, Reforma, S. 1-24.
542 Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, S. 479, vgl. ders., Pfingstkirchen, S. 235.
543 An dieser Stelle sei schon auf das zu einem späteren Zeitpunkt behandelte Thema der Theorie des ‚Kirchenwachstums’
(span. Iglecrecimiento, engl. Church Growth) hingewiesen.
538
539
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
lutheitsanspruch544, der sich in der Dogmatisierung der Lehre zeigt. Aus der institutionellen Perspektive führt uns dies zum Thema der religiösen Herrschaftsstruktur.
5.3.2.2 Die Herrschaftsstruktur zwischen Sekte und Kirche
Aus den obigen Thesen resultierend bewegt sich die Herrschaftsstruktur in der Spannung von
Sekten545- und Kirchenstatus, d.h. soziologisch zwischen den Polen des Verbands- und Anstaltssystems.
„Für den Begriff des hierokratischen Verbandes kann die Art der in Aussicht gestellten Heilsgüter –diesseitig, jenseitig, äußerlich– kein entscheidendes Merkmal bilden,
sondern die Tatsache, dass ihre Spendung die Grundlage geistlicher Herrschaft über
Menschen bilden kann“546.
Hier wird das geistlich-innerliche Fundament der verbandsartig organisierten Sekten deutlich.
Die innere Struktur bildet die äußere soziologische Erscheinung der organischen Gemeinschaft in
der Welt. In tendenziell asketischer547 Abgrenzung von der Welt sucht die Sektengemeinschaft,
d.h. die religiöse Elite, „ihre eigene Welt“ neben der Weltwirklichkeit:
„Die Sekten sind […] verhältnismäßig kleine Gruppen, erstreben eine persönlichunmittelbare Verknüpfung der Glieder ihres Kreises, sind eben damit von zu Hause
auf eine kleinere Gruppenbildung und auf den Verzicht der Weltgewinnung angewiesen; sie verhalten sich gegen die Welt, Staat, Gesellschaft indifferent, duldend, feindlich, da sie ja nicht diese bewältigen und sich eingliedern, sondern vermeiden und
neben sich stehen lassen oder etwa durch ihre eigene Gesellschaft ersetzen wollen“548.
Ihre charakteristischen Merkmale wie die Betonung der Laienschaft und der ethisch-moralischen
Religiosität (Werkgerechtigkeit), die ihren Höhepunkt in einem radikalen Liebesakosmismus erAn dieser Stelle äußere ich mich mit Blick auf die empirische Untersuchung der AdD gegen die Aussage Hollenwegers, dass
die Pfingstbewegung […] nie den Anspruch erhoben [hat], die einzig wahre Gemeinde oder Kirche Jesu zu sein“, a.a.O, erklärend füge ich hinzu, dass die Selbstdefinierung der AdD als das „wahre Leben Jesu Christi“, im Gegensatz zu dem Status einer Religion gerade diesen Anspruch geltend macht.
545 Der Begriff der Sekte wird in einem rein soziologisch wertneutralen Sinn benutzt nach dem Vorbild von Wilson, Sociología de
las sectas, S. 17: „[…] der Terminus ‘Sekte’ wird neutral für alle religiöse Bewegungen angewendet, die als relieve den Charakter von Separation und Einzigartigkeit ihrer Mission annehmen, presciende von dem, was sich auf ihre Organisation bezieht“ fel termino secta se aplica indiscriminadamente a todos los movimientos religiosos que ponen de relieve el caracter de
la separación y peculiaridad de su misión, presciendo de lo que a su organisación se refiere”; vgl. auch bzgl. des Sektenbegriffs den Vorschlag von Garcia, dem Begriff “sociedad religiosas para-cristianas” (religiösen christliche Gemeinschaften),
“Secta...”, S. 61.
546 Weber, WuG4, Sonderdruck, S. 44, vgl. S. 44 die Definition eines hierokratischen Verbandes: „Hierokratischer Verband soll
ein Herrschaftsverband dann und insofern heißen, als zur Garantie seiner Ordnungen psychischer Zwang durch Spendung
oder Untersagung von Heilsgütern (hierokratischer Zwang) verwendet wird“.
547 Unterscheidung zwischen außer. Und innerweltlicher Askese, vgl. Weber???
548 Troeltsch, Soziallehren, S. 362.
544
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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reicht, betont die Individualität der Mitglieder und steigert die Intensität der freiwilligen Gemeinschaft.549 Ihre aus der Intellektualisierung entsprungene Opposition -in ihrer Existenz begründetbesitzt revolutionär-reformatorisches Potential, denn sie besitzt den „Draht“ zur Basis der Gesellschaft (Ordnung von unten)550, gibt dem Volk neues Vertrauen durch ihre meist eschatologischapokalyptische Zukunftsvision.
„Für den Begriff der Kirche ist […] nach dem üblichen (und zweckmäßigen) Sprachgebrauch ihr in der Art der Ordnungen und des Verwaltungsstabs sich äußernder (relativ) rationaler Anstalts- und Betriebscharakter und die monopolistische Herrschaft
charakteristisch“551.
Hier wird im Gegensatz zum Sektentypus das strukturell-äußerliche Fundament des anstaltsartig
organisierten Kirchensystems deutlich. Während die Sekte aufgrund ihrer inneren Überzeugung
agiert, richtet sich die Kirche nach objektiven Regeln und Prinzipien, der Welt, der Gesellschaft
zugewandt strebt sie nach integrativer Zusammenarbeit mit dem Staat. Sie bildet keine besondere
Elite religiös Qualifizierter, sondern ihre Botschaft als „Gnadenanstalt“ richtet sich universal ohne ethische Forderungen als reines Gnadengeschenk (paulinische Tradition) an die gesamte
Menschheit.
Troeltsch formuliert den Unterschied zwischen Sekte und Kirche auf folgende Weise:
„Die Kirche betont und objektiviert den Gedanken der Gnade, die Sekte betont und
verwirklicht den der subjektiven Heiligkeit. Die Kirche hält sich in der Bibel an die
erlösende Stiftung, die Sekte an das Gesetz Gottes und Christi“552.
Während die kirchliche Anstalt keine aktiven ethischen Forderungen für ihre Mitglieder aufstellt,
verweist der legalistische Akzent der Sekte auf eine individuell-aktive, ethische Umsetzung der
göttlichen Gebote, um Teil der Gnadengemeinschaft zu werden. Diese aktive Teilnahme am
Heilsgeschehen äußert sich auch im missionarischen Verständnis der Pfingstler, welches wir uns
kurz zuwenden.
5.3.2.3 Die pfingstliche Mission zwischen Fundamentalismus und Neopentekostalismus
Wie wir in der geschichtlichen Darstellung dieser Arbeit gesehen haben, stand die Entstehung
und institutionelle Gründung der AdD in Peru deutlich unter amerikanisch-fundamentalistischem
Ebd., S. 363ff.
Vgl. Wilson, Sociología de las sectas, Kap. 1 und 2.
551 Weber, WuG4, Sonderdruck, S. 44, vgl. auch S. 43 die Definition der ‚Kirche“: „Kirche soll hierokratischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und soweit sein Verwaltungsstab das Monopol legitimen hierokratischen Zwanges in Anspruch nimmt“.
552 Troeltsch, Soziallehren, S. 371.
549
550
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Einfluss.553 Die ausländischen Missionsgesellschaften verkündeten das Evangelium auf eine den
lateinamerikanischen Kontext ignorierende Art, mehr noch, sie legten ihr eigenes, amerikanisches
Wertesystem über den neuen gesellschaftlichen Kontext des Missionslandes.
Diese sozial-kulturelle Ignoranz hinterließ zu Beginn der Institutionalisierung der AdD Spuren,
die sich in der an dieser Stelle zu behandelnden Missionspraxis erkennen lassen.
Der Fundamentalismus ist –wie wir schon bei der Behandlung der Hermeneutik festgestellt haben- transhistorisch, d.h. er besitzt die Fähigkeit aufgrund seines stabilen, nicht kontextuell wandelnden Charakters, sich über gesellschaftliche Grenzen jeglicher Art hinwegzusetzen und sein
eigenes Ziel zu verfolgen.554 Dieses ihm wesenhafte Propium findet sich mit Blick auf die
pfingstliche Missionspraxis in der Theorie des „Kirchenwachstums“ (engl. church growth, span.
Iglecrecimiento)555 wider. Diese vor allem von fundamentalistisch orientierten Kreisen getragene
Missionstheorie, besitzt eine rein quantitative Ausrichtung, d.h. es handelt vor allem darum, möglichst viele Menschen zu Christus zu bekehren.
„Für ihn [McGavran556] ist Kirchenwachstum der Hauptzweck der Mission, die er
mit dem physischen Wachstum von Kindern vergleicht, deren Eltern auch kein Interesse daran haben könnten, dass sie immer klein bleiben“557.
Die Anzahl der bekehrten Seelen gilt als Maßstab für den Missionserfolg. Diese, dem integralen Wesen der biblischen Botschaft widersprechende Praxis, übersieht die soziale integrative Rolle des Menschen in seinem realen Lebenskontext. Dieser wird für ein unveränderliches starres System gehalten, während an die Umwandlungsfähigkeit der Gläubigen geglaubt wird.558
Die ekklesiologisch-missionarische Dimension reduziert sich auf die aggressive Evangelisationsabsicht, wovon Massenevangelisa-tionsveranstaltungen und ein ausschließlich geistli-
Zavala Hidalgo, AdD, S. 83.
Lehmann unterscheidet die Gemeinsamkeiten diverser fundamentalistischen Strömungen in die soziologische, dogmatische
und imaginäre Kategorie: „The first one comprises the capacity to carry the message and forms of organisation across cultual
frontiers […]. The second includes the propagation of the idea of scriptural enarrancy and ist anti-intel corollary. […] the imaginary convinced that it is recapturing disembedded rituals and symbols, cages them through the use of mecanism of social and
institutional approval and disapproval, precisley through a sell conscious awareness of that disembedding”, Lehmann, “Fundamentalism and globalism”, S. 617.
555 Vgl. Pkt. 2.3. der vorliegenden Arbeit, vgl. Smith, „Algunos principios del iglecrecimiento en los hechos de los Apostolos“; an
dieser Stelle sein an den biblischen Schwerpunkt der Apg erinnert.
556 Donald McGavran gilt als Gründer auf dem Gebiet des ‚Church Growth’ und arbeitete in dem Pionierunternehmen, ‚Institute of
Church Growth’. Smith markiert mit dem Erscheinen seines Buches „Bridges of God“ (1955) den Anfangspunkt, Smith, „Algunos principios del iglecrecimiento en los Hechos de los Apóstolos“, S. 6.
557 Zitiert aus: Prien, Geschichte des Christentums in Lateinamerika, Fn 10, S. 1130.
558 Die lokalen pfingstlichen Ortsgemeinden erwarten von ihren Mitgliedern persönlichen Einsatz. Dies zeigt sich auch bei den
AdD in der Forderung nach der sog. Persönlichen Mission. Es wir „von jedem Mitglied [erwartet] […], aktiv zu sein und das
Feuer weiter zutragen“, Hunter, „Wir sind eine Kirche“, S. 218.
553
554
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
cher Schwerpunkt in der Gemeindearbeit unter Vernachlässigung der sozialen Begleitung
ein Beispiel abgeben.559
Diese Entwicklung der Pfingstkirchen ist auf dem Hintergrund des nordamerikanischfundamentalistischen Einflusses zurückzuführen. Die zu Gründungszeiten bestehende Dependenz nordamerikanischer Missionare erreichte in der Theorie des „Kirchenwachstums“
eine Institutionalisierung über die kulturellen Unterschiede hinweg, die im Zuge des
Wachstums zu Gunsten einer besseren Missionsstrategie notwendig war.560
Unter der in Pkt. 5.3.1.2 bereits erwähnten Theorie des ‚Geistlichen Kampfes’ zeigt sich ab
den achtziger Jahren bis in die Gegenwart eine Weiterentwicklung der Theorie des „Kirchenwachstums“, die –getragen von den charismatisch-neopfingstlichen Gruppierung- erneut einen amerikanischen Einfluss impliziert:
„Es handelt sich um eine Perfektionierung und Verlängerung der missionswissenschaftlichen Theorie, bekannt unter dem Namen “Kirchenwachstum”, die aus dem
Bereich der Untersuchungen der Missionsschule des Fuller Theological Seminary in
den Vereinigten Staaten stammte”561.
Die Niederlage dieser entwickelten Missionsstrategie machte die Notwendigkeit einer neuen Erklärung der Machtverhältnisse deutlich. Diese Erklärung besitzt der „Geistliche Kampf“, der in
seiner missionarisch-strategischen Funktion562 eine satanische Hierarchie –angelehnt an die göttliche Trinität- aufstellt, mit der er die diversen Niveaus der Unterdrückungsmacht des Bösen beschreibt. So existiert die höchste Schicht in Gestalt der sog. Territorialgewalten, die mittlere
Costas, Missionswissenschaftler aus Puerto Rico, benennt in seiner Kritik auf folgende Weise die vier Dimensionen der kirchlich-missionarischen Gemeinschaft: „[…] ihr Wachstum sollte in vier Richtungen zielen: Produktion ihrer Mitglieder, die Entwicklung ihres organischen Lebens, Vertiefung der Reflexion ihres Glaubens und wirkungsvoller Dienst in der Welt. Auf diese
Weise sprechen wir von vier Dimensionen: numerisch, organisch, konzeptuell und diakonisch.”, Dimensionen del crecimiento
integral de la iglesia”, S. 118; vgl. auch die kritische Analyse des equadorianischen Theologen Rene Padilla, der in seinen
exegetischen Ausarbeitungen die Integralität der geistlichen und materiellen Teils der Mission herausstellt, Padilla, Misión Integral, Kap. VII La unidad de la iglesia y el principio de las unidades homogéneas, S. 136-162; vgl. die Aufnahme Costas bei
Prien, der den Vergleich zwischen dem chilenischen Protestantismus (Pentekostalismus) und der protestantischen Kirche des
Nazi-Deutschland, der die Funktion der BK und Barmens zum Ausdruck bringt, für bemerkenswert erachtet, vor allem, weil
Costas ein evangelikaler Christ war, Geschichte des Christentums, S. 1133.
560 Prien äußert sich wie folgt: „Seit den dreißiger Jahren sehen sich die historischen Denominationen in wachsendem Maße
durch die rasch wachsende Arbeit der Pfingstler und ‚faith missions’ bzw. Evangelikale herausgefordert, so dass es nahe lag,
das verschieden starke Wachstum der Kirchen und kirchlichen Gruppen wissenschaftlich zu untersuchen und daraus Schlussfolgerungen für eine bessere Missionsstrategie zu ziehen“, a.a.O., S. 1129.
561 Campos, „Guerra espiritual“, S. 1.
562 Zu Gunsten einer angemessenen Untersuchung muss die Differenz zwischen dem hier thematisierten „strategischen Geistlichen Kampf“ und dem biblisch Belegten, der seit Anbeginn der Geschichte existiert, unterschieden werden, vgl. Campos,
“Guerra Espiritual“, S.1; vgl. Voth, La guerra espiritual, Kap. III Guerra espiritual estrategía, S. 23-29.
559
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Schicht in Gestalt des Okkultismus und die unterste Schicht durch den Angriff irdischer Dämonen, die der christliche Mission entgegenstehen.563
Der erste Schritt der Evangelisation besteht demnach darin, eine Kartheographie564 dieser herrschenden Unterdrückungsmächte anzulegen, um strategisch sinnvoll die Austreibung derselben
anzugehen. Erst die genaue Lokalisierung ermöglicht die Säuberung dämonisch besetzter Gebiete
im zweiten Schritt und ebnet den Weg der christlichen Mission in dieser Welt, die sich auf dieser
Grundlage zum „Schauplatz des geistlichen Kampfes“ wandelt.
Das urbiblische Bild des dem satanischen Bösen ausgelieferten Menschen erfährt hier eine „Erdung“, die eine Dämonisierung des weltlichen Geschehens zu Folge hat. Das Gebet als „Geistliche Waffe“ der „geistlichen Soldaten“ ist unerlässlich und bekommt im Gebrauch der auf diese
Weise strategisch ausgerichteten kirchlichen Mission ebenfalls einen rational-strategischen Charakter.
In der folgenden Graphik wird abschließend der strategisch-taktische Ablauf des „Geistlichen
Kampfes“ zusammenfassend dargestellt:565
Namen
Identität und Inhalt
1. Untersuchung oder Wissen
Hist.,
soziol.,
kulturelle
und
Funktion
anthropol.- Erkenntnis des Territorialgeis-
demographi- tes
sche Untersuchung eines (urbanen) Gebietes
2. Gebet – Unterscheidung in Fürbitte – Beten mit konkreter Erkenntnis der „Eingangstüren“ des Satans
Fürbitte und Kampfgebet
Namengebung der Dämonen
3. Geistliche Kartheographie
Duchkämmen des (urbanen) Dreifache Funktion
Gebietes
a) Lokalisierung der Mächte
b) Begrenzung des Übels
c) Inbesitznahme der Dämonen
4. Kampf selbst
Urteilspruch Gottes
Sieg über das Böse
Vgl. Campos, a.a.O., S. 3; die satanische Hierarchie besteht aus archai, exousia, dunamis und kosmokratores. Im weiteren
heisst es, dass drei Elemente die satanische Strategie konstituieren: 1) „Puertas de entrada“ (Eingangstüren), 2) „Medios“
(Mittel) und 3) „Ataduras“ (Fesseln), a.a.O., S. 4.
564 Hintergrund dieser Praxis der Katheographie ist die „Weltmappe“, die sog. „Ventana 10/ 40“, die die Erde geographisch in ein
Fenster (ventana) einteilt, zwischen Westafrika und entlang Asiens, dessen Gebiet zentrales Ziel der christlich-strategischen
Mission sein muss, vgl. Ocana, Los Banqueros de Dios, S. 71f.
565 Erstellt anhand von Campos, „Guerra Espiritual“, S. 4f.
563
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Die hier deutlich gewordenen Theorien, die in der Kontinuität zum amerikanischen Einfluss gesehen werden müssen, scheinen in der Praxis der AdD Eingang erreicht zu haben. Der Individualismus, begleitet durch die Vernachlässigung der sozialen Verantwortung, die quantitative Ausrichtung wie auch die Dämonisierung des gesellschaftlich-kulturellen Kontextes sind zentrale
Elemente, die die missionarisch-kirchlichen Tätigkeiten der AdD beeinflussen. Dieser Einfluss
tritt vor allem in den zahlenmäßig größeren Ortgemeinden auf, während den kleinen Stadtrandgemeinden aufgrund ihres realen Existenzkampfes taktische Strategien eher fremd sind.
5.3.2.4 Der Versuch einer typologisch-soziologischen Einordnung der AdD
Das in diesem Abschnitt zugrunde liegende aussagekräftige Beurteilungskriterium sind die unter
Pkt. 5.3.2.2 thematisierten Herrschaftsstrukturen in der Spannung von Kirche und Sekte, bzw.
zwischen objektiver Gnadenanstalt und subjektivem Gnadenverband.
Auf der Grundlage der methodisch-soziologischen Arbeit Schäfers bzgl. des mittelamerikanischen Protestantismus soll in diesem Abschnitt die Realität der AdD in ihrer ekklesiologischcharakteristischen Dynamik in das idealtypologische Spektrum von Kirche und Sekte eingeordnet
werden. Die Anlehnung an das erarbeitet Modell Schäfers ist aufgrund der gemeinsamen amerikanischen Wurzeln der evangelischen Gruppierung in beiden, sowohl im mittelamerikanischem
als auch im lateinamerikanischem Kontext, gerechtfertigt.
In einem ersten Schritt werde ich das zweistufige Modell Schäfers anhand einer graphischen und
tabellarischen Darstellung kurz erläutern, um in dem folgenden Schritt die AdD der Südregion
Perus unter Berücksichtigung des Vergleichs der theoretischen Kriterien des Modells und der
empirisch kulturellen Beobachtungen soziologisch zu bestimmen.
5.3.2.4.1 Das „Zwei-Dimensionale Modell“
Unter Berücksichtigung der Untersuchungen von Lalive d’Epinay entwickelt Schäfer ein soziologisches Modell, welches sowohl den theologischen Inhalt als auch die soziale Gestalt religiöser
Gruppierungen in Beziehung setzt und sie somit auf eine ihrer Komplexität gerechten Art in ein
dynamisches Spektrum zwischen den soziologischen Polen von Kirche und Sekte einzuordnen
vermag. Schäfer leistet hier eine Veränderung der soziologischen Modelle Webers und Troeltschs, die die soziologischen Pole von Kirche und Sekte in Diskontinuität zueinander sehen.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Lalive d’Epinay folgend geht es Schäfer darum gerade die Kontinuität zwischen Kirche und Sekte in ihrem dialektischen spannungsreichen Verhältnis zueinander auszudrücken, welches eine
differenziertere Wahrnehmung der religiösen Formation diverser Gruppen ermöglicht. 566 Im Anbetracht des religiösen Kontextes in Peru (vgl. Pkt. 1.1) halte ich diesen Anspruch für unerlässlich, um die einzelnen religiösen Gruppen angemessen beurteilen zu können.
Anhand der folgenden graphischen Darstellung567 wird die idealtypologische(n) Form und der
Inhalt des Modells erklärt:
Zunächst sei vorweg gestellt, dass ein idealtypologisches Modell nicht beabsichtigt bzw. nicht
beabsichtigen kann, mittels seiner entwickelten Idealtypen die Wirklichkeit abzubilden. Erst die
Einordnung einer religiösen Gruppe in die dynamische Beziehungsstruktur der idealtypischen
566
567
Vgl. zu diesen einleitenden Erklärungen Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 91-95.
Entnommen aus Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 107.
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Phänomene (Reinform) in kontextueller Bindung zu ihrer zweideutigen Wirklichkeit (Mischform) erzeugt annähernd eine objektive Darstellung ihres realen Erscheinungsbildes.
Auf der X-Achse wurden anhand von bestimmten Kriterien die vier Variabeln theologischer
Strömungen dargestellt, die von links nach rechts, d.h. an der Bewegung von objektiv zu subjektiver Gnadenervermittlung, orientiert sind.568
Die Kriterien von Lehre, Vermittlung und Weitermittlung der Gnade569 werden in der folgenden
Tabelle kurz dargestellt:
Differenzierung570
Kriterium
Funktion
Lehre
Ausdruck der Art der Gnadenvermittlung
Gnadenvermittlung (GV)
a) in der Zukunft (Eschatologie)
b) in der Gegenwart:
-Sakramente,
objektiv, subjektiv
Heiliger
Geist
-Gottesdienst
ekstatisch-partizipative Manifestation erhöht subjektive GV
Sichert die Wahrheit der GV
-Offenbarungsquelle
Weitervermittlung
(WV)
a) Mission
an Welt
konkretisiert die Weitergabe bzw.
Verweigerung der Gnade; subjektive Betonung der GV steigert
konversionistische571 Mission
b) sozial-politische Ethik
Gesellschaftliches – individuellem Interesse = objektiver – subjektiver GV
Hier modifiziert Schäfer das im Hintergrund stehende soziologische Modell Troeltschs. In Anlehnung an dessen Kontinuum
von Kirche, Sekte und Mystik parallelisiert er diese Pole mit den Polen der objektiven bzw. subjektiven Gnadenvermittlung. Auf
diese Weise entsteht die Möglichkeit, die theologischen Strömungen unabhängig ihrer Sozialform einzustufen, vgl. Schäfer,
Protestantismus in Mittelamerika, S. 94; bzgl. der Ergebnisse Troeltschs, vgl. ders., Soziallehren, S. 967
569 Vgl. ausführliche Beschreibung der Kriterien, Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 95-97; die Darstellung von Kriterium, Differenzierung und Funktion gehen auf die Verfasserin zurück.
570 Die kursiv gedruckten Aspekte sind für die Pfingstler, speziell für die Einordnung der AdD, von Bedeutung.
571 Die auf Bekehrung zielende Mission drückt den oben bereits im Zusammenhang mit der Theorie des ‚Kirchenwachstum’ behandelten Aspekt des quantitativen Schwerpunkts der missionarischen Tätigkeit aus.
568
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Tabelle 1: Kriterien für die Variabeln der theologischen Strömungen
Anhand dieser Aspekte zeigen sich die vier Variabeln theologischer Strömungen im tabellarischen Vergleich auf folgende Weise:
Variabeln/
Hist. Protestan-
Kriterien
tismus
Evangelikalismus
Pfingstbewegung (PB)
Charis.
(CB)
Bewegung
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
Lehre
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Glaube an die
Subjektiv-
Glossolalie als Evidenz
Pneumatologie
Rechtfertigung
absolut-
eines zweiten Aktes der
Zentrum, Geisterleb-
des
legalistisches Bi-
Gnade, der Geisttaufe,
nis vermittelt Macht
als souveränes
belverständnis*
d.h. objektiv verifizierbar
über
Handeln Gottes
ist Zentrum, be-
an subjektivem Erlebnis,
gendeine
Ekstase
gleitet von per-
anthropologisches Unter-
vermittelt
Gnade,
sönl. Konversion/
scheidungs-kriterium
Geisttaufe
Sünders
Dämonen,
ist
ist
ir-
kein
Heiligungserleb-
Unterscheidungskri-
nis
terium,
sondern
Machtzuspruch,
der
Mangel einer objektiven Verifizierung des
subjektiv
Erlebten
(Glossolalie als Evidenz)
steigert
den
Subjektivis-mus
und
bietet subjektive Öffnung zur Welt
Gnaden-
geringe Bedeu-
dispensationalis-
Prätribulationistisch-
vermitt-
tung
tische Eschatolo-
prämillenaristische
lung
chatologie, ob-
gie,
Gegenwart
chatologie, verbunden mit
arismus,
jektive Vermitt-
des HG in Kon-
Rückzug auf rel. Subjekt
Geschichte treten in
lung
versionstaufe,
aus gefallener Welt, Ge-
Zshg.,
und der göttli-
der
genwart
in
gisch vermittelte Ge-
chen
Entschluss
Glossolalie, partizipativer/
genwart der Gnade
im
der
des
Es-
HG
Gegen-
persönlicher
vo-
des
HG
Transformation
Es-
Prä- zum PostmillenWelt
und
pneumatolo-
wart im Gottes-
raus ging, pietis-
eksta-tischer
dienst,
tische/
dienst betont subjektives
ekstatischen Gottesdienst,
bibli-
lehrhaft-
Gottes-
vom
sche Legitima-
gebetsfromme
Erleben,
tion an Kirche/
Gottesdienste be-
tisch ori-entierte Herme-
lis-tische, Geist inspi-
theol.
tont
neutik
riertes
Apparat
gebunden
Subjekt
religiöses
Geist
fundamentalis-
gelenkt-
verbunden
mit
(Zwischenstufe
ständnis
fundamenta-
Schriftver(Beton-ung
zwischen charism. und
der charism. Legiti-
legalistischer
mation) , subjektive
on)
Legitimati-
Hermeneutik
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Weiter-
Mission als Er-
Missionskonzept
Konversionistische Missi-
Quantitativ orientierte
vermitt-
ziehung/
zielt auf quantita-
on, die Betonung des
Mission
lung
dung
tives
Prämillenarismus
Einflussnahme
Bilwirken
Wachstum
lässt
intendiert
auf
der Kirche, sozi-
nur
individuelle
Karitas
Institutionen von Kir-
Gesellschaft,
al-pol. Ethik ist
zu,
individuelle
Moral
che und Gesellschaft,
die eine ethisch
der Mission un-
zeugt inner-kirchlich Dis-
die Ethik umfasst vor
motivierte
Mit-
tergeordnet, wird
ziplin, nach außen dient
allem den pol. Be-
arbeit intendiert
wenn, dann als
Moral als anthropologi-
reich motiviert durch
Mittel der Evan-
sches
Partikularinteresse
gelisation
kriterium
objektiv
auf
ver-
Unterscheidungs-
standen
Tabelle 2: *Anmerk.: die kursiv-rot gedruckten Aspekte stehen mit den AdD im sichtbaren Zshg.
Anhand der tabellarischen Darstellung dürfte die Zunahme der subjektiven Betonung der Gnadenvermittlung angefangen mit dem historischen Protestantismus bis zur charismatischen Bewegung deutlich geworden sein.
An dieser Stelle zeigen sich die inhaltlichen Parallelen zu den AdD, die sich innerhalb der idealtypologischen Variablen des Evangelikalismus572 sowie der Pfingst- und charismatischen Bewegung finden lassen.
Bevor wir zur soziologischen Lokalisierung kommen, wenden wir uns der Erläuterung der YAchse des „Zwei-Dimensionalen Modells“ Schäfers zu, d.h. den Sozialformen der Kirche573. Die
Variablen orientieren sich an dem Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft. Die
maßgebenden Kriterien werden in der folgenden Tabelle dargestellt:
Die charakteristischen Merkmale des Evangelikalismus zeigt deutlichen fundamentalistischen Einfluss, vgl. unsere Ausarbeitungen unter Pkt. 5.3.1.2 und 5.3.2.3.
573 Der Terminus Kirche wir im Folgenden als reiner Sammelbegriff für alle religiösen Gruppen verwandt unabhängig ihrer Sozialform, vgl. Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 103.
572
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
Kriterium
Kirche in der Gesellschaft
- 170 -
Ulrike Sallandt
Differenzierung
Funktion
a) Verhältnis der Kirche zur
Gesellschaft
von Aquivalenz (hierokratischer Kirchenstaat) bis zur völligen Ablehnung
der Gesellschaft (kultisch erzeugte
Spannung)
b) Tendenz zur Universalität
abhängig von der sozialen Zusammensetzung der Kirchenmit-glieder –
je mehr soziale Schichten, desto größer der universale Charakter
Gesellschaft in der Kirche
a) Gemeinschaftliche
dungen
Bin-
Abhängig von Intensität des Kontaktes
unter den Kirchenmitgliedern – je intensiver desto größer die Spannung
zur Gesellschaft
umfasst eine wenig differenzierte, nicht
b) Bürokratisierung
technische bis stark ausdifferenzierte,
hoch technisierte Aufgabenteilung – je
universaler größer desto mehr steigt
die Notwendigkeit bürokratischer Verwaltungsorgane
Dichotomisierung in Klerus und Laien
c) religiöse Produktion
bei zunehmender Säkularisierung
Tabelle 3:
Anhand dieser Aspekte zeigen sich die drei Variabeln der kirchlichen Sozialformen der 1) Denomination, 2) etablierter religiöser und 3) religiöser Gruppierung im tabellarischen Vergleich
auf folgende Weise:
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
Variabeln/
- 171 -
Denomination574
Ulrike Sallandt
Etab. rel. Gruppierun-
Kriterien
Rel. Gruppierungen575
gen
skeptische Haltung ge-
Ablehnung der Gesell-
schaft-lichen Basisstruk-
genüber
Gesellschaft,
schaft, jeglicher Koope-
turen, partielle flexible
Spannung reduziert sich
ration, Produktion von
Bindung zu päd. Bil-
bei eigener institutionel-
Widersprüchen zur Ge-
dungseinrichtungen
ler
sellschaft,
Kirche in der Gesell-
legitimiert
schaft
die
gesell-
Etablierung,
Kir-
hohe Span-
chenmit-glieder gehören
nung, Kirchenmitglieder
meist
aus einer Gesellschafts-
unterer
Mittel-
schicht/ Unterschicht an
schicht,
(deutet
Wachstum
Mehr-Klassen-
Kirche an)
quantitatives
ist
die
Sammlung des heiligen
Restes
Gesellschaft in Kirche
gemeinschaftliche
Bin-
enge gemeinschaftliche
Enge gemeinschaftliche
dung
sich
Bindungen,
Bindung, verstärkt u.a.
belaufen
verstärkt
meist auf gemeinsamen
durch u.a. Gottesdien-
durch
Gottesdienst-besuch,
stangebote,
soziales Netz für gesell-
eigener
bürokratische
ausdiffer-
kirchlichVerwal-
Gottesdienste,
schaftliche
Minderhei-
Verwaltungs-
tung orientiert sich an
ten, minimaler Verwal-
apparat, keine Vermitt-
Wachstum/ Diversifika-
tungsaufwand
lung zum Staat, religiö-
tion, trotz Führungsper-
interpersonaler Kanäle,
se Produktion ist stark
sönlich-keiten
werden
religiöse Produktion ist
dichotomisiert
verlässliche
Verwal-
wenig dichotomisiert
enzierter
mittels
tungsstrukturen wichtig
Tabelle 4: *Anmerk.: die kursiv gedruckten Aspekte stehen mit den AdD im sichtbaren Zshg.
Unter Berücksichtigung der Ausarbeitungen unter Pkt. 5 soll im folgenden Abschnitt die Realität
der AdD in das soziologiche „Zwei-Dimensionale-Modell“ Schäfers eingestuft werden.
Unter dem durch den amerikanischen religiösen Pluralismus aufkommenden Terminus versteht man eine Zwischenstufe zwischen den soziologischen Sozialformen von Kirche und Sekte, eine „etablierte Sekte“, vgl. Campos, Reforma, S. 50.
575 Dieser Terminus ersetzt den soziologisch korrekten Terminus ‚Sekte’, um der polemischen Lesart dieses Begriffes vorzubeugen, vgl. Schäfer, Protestantismus in Mittelamerika, S. 103.
574
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 172 -
Ulrike Sallandt
5.3.2.4.2 Die soziologische Einordnung der dynamischen Ekklesiologie der AdD
Wie wir schon bei der Behandlung der biblischen Hermeneutik herausarbeiten konnten, bewegt
sich die Realität der Pfingstler, konkret der AdD, in der Spannung zwischen dem Fundamentalismus und dem Neopentekostalismus/ der charismatischen Bewegung. Mit Blick auf die graphisch-tabellarischen Ausführung zeigt sich erneut die Mittelposition der AdD zwischen dem
stark fundamentalistisch geprägten Evangelikalismus und der charismatischen Bewegung. Schauen wir auf die Tabelle 2: Theologische Strömungen unter dem Kriterium ‚Lehre’ zeigt sich folgendes Bild.
Mit dem fundamentalistischen Erbe des zentralen absolut-legalistischen Schriftverständnisses,
das unter dem charismatischen Einfluss relativiert wird, haben wir uns bereits auseinandergesetzt.
Die Bedeutung des persönlichen Bekehrungserlebnisses als Grundlage der individuellen Erlösung
wird idealtypologisch von der PB aufgenommen und mit ihrem charakteristischen Kennzeichen
der Glossolalie als Evidenz der Geisttaufe, dem zweiten Akt der Gnade, in Verbindung gebracht.
Diese Funktion der Zungenrede tritt in der Realität der AdD zurück. Somit mangelt es wie bei der
CB an einer objektiven Verifizierung des subjektiven Erlebens. Das subjektive Erleben entwickelt sich auf diese Weise mehr zu einem Kriterium einer anthropologischen Klassifizierung, wie
wir bei den AdD beobachten konnten. Außerdem ermöglicht der ansteigende Subjektivismus bei
den AdD einen größeren Spielraum in, und nicht mehr klassisch-pfingstlich, gegen die Welt zu
agieren. Das Verständnis des Machtzuspruchs mittels der Geisttaufe nimmt auch in ihren Reihen
Gestalt an und äußert sich in den kultischen Befreiungsritualen dämonischer Geister und strategischen Missionskampagnen.
Unter dem Kriterium der Gnadenvermittlung zeigt vor allem das Thema der Eschatologie die
spannungsvolle Position der AdD. Während sie nach idealtypologischem Ansatz eine prätribulationistische-prämillenaristische Eschatologie vertritt, zeigt die Realität der AdD die Einflüsse von
beiden Seiten. Ihr negatives Weltkonzept wird von dem fundamentalistischen Dispensationalismus forciert, der am Ende ein starres transhistorisches Weltbild hervorbringt. Demgegenüber
vollzieht sich in der CB eine Gegenbewegung, nämlich die Transformation vom Prä- zum Postmillenarismus, d.h. eine Annäherung an die Welt, die die vorhandenen pelagianischarminianischen Tendenzen der PB verstärkt. Zusätzlich unter den mehr geistlich-gelenkten kultischen Feiern erscheint die ekklesiologische Realität der AdD ansatzweise wie ein menschlicher
Versuch, das Reich Gottes im Hier und Jetzt peunamtologisch zu erschaffen. Sie vollziehen
(noch) nicht die totale Transformation zum Postmillenarismus, aber in dem Einfluss der stark
subjektiven charismatischen Geist-Freiheit, der es an jeglicher objektiver Kontrolle mangelt, be-
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 173 -
Ulrike Sallandt
deutet das Ausbleiben der Zungenrede, sowie die Tendenz zur „Vergeistlichung“ der biblischen
Texte, eine magische Gefahr. Die aus fundamentalistischem Erbe propagierte einzige Autorität
der Schrift vermischt sich zusehends mit den rein subjektiv-hermeneutischen Entwicklungen der
CB, die dem individuell-persönlichem (Miss-)brauch die Türen öffnet, denn „alles“ kann im allein subjektiven Geisterlebnis gerechtfertigt werden.
Unter dem Kriterium der Weitervermittlung zeigt sich ein anderes Bild. Es scheint, dass der
quantitative Missionsschwerpunkt der AdD vor allem auf der Grundlage ihres fundamentalistischen Erbe beruht und das ihr negatives Weltkonzept die von der CB propagierte Öffnung zur
Welt in dem Maße (noch) nicht vollzogen hat. So scheint der Schwerpunkt trotz spektakulär- charismatischen Missionsveranstaltungen (noch immer) auf dem moralisch-individuellen Aspekt zu
liegen, der die Vernachlässigung sozialethischer Verantwortung in der missionarischen Tätigkeit
der AdD u.a. produziert.
Schauen wir im Folgenden auf Tabelle 4: kirchliche Sozialformen ergibt sich unter dem Kriterium ‚Kirche in der Gesellschaft’ unter Berücksichtigung, dass sich die dynamische Ekklesiologie
der PB zwischen Kirche und Sekte576, d.h. terminologisch modifiziert zwischen Denomination
und religiöser Gruppierung bewegt, folgendes Bild für die AdD.
Die ekklesiologische Praxis dieser Pfingstkirche zeigt in ihrer sozialen Erscheinungsform vor allem die charakteristische Kennzeichen der ‚etablierten religiösen Gruppierung’ mit Tendenz zu
der ‚religiösen Gruppierung’, während die der Welt zugewandte idealtypologische Sozialform der
‚Denomination’ nur partiell bzgl. des Verwaltungsapparates zu nennen ist.
Das negative Weltkonzept der AdD verkörpert sich in der skeptischen Haltung gegenüber der
Gesellschaft, die in extremen Einzelfällen, vor allem in kleinen Ortsgemeinden, zu einer prinzipiellen Ablehnung des gesellschaftlichen Kontextes führt. Aus dieser prinzipiellen Ablehnung
des eigenen Lebensraumes heraus produzieren sich Widersprüche, die sich aus der Ignoranz gegenüber der Zweideutigkeit des menschlichen Lebens nähren. Je nach ausgebildetem Eigeninteresse bzgl. der institutionellen Etablierung ist die Spannung zur Außenwelt hoch bzw. niedrig. In
den Hauptkirchen der AdD scheinen die Beziehungen zur Welt von dem potentiellen Eigennutz
der kirchlichen Leitungsträger nicht unabhängig zu sein. Sie verfügen aufgrund ihrer institutionellen Position über strategische Möglichkeiten zu Gunsten der Mission der eigenen Kirche.
Der Mangel institutioneller Wirtschaftlichkeit und somit keiner Möglichkeiten, zu Gunsten der
kirchlichen Arbeit weltliche Bindungen einzugehen, fördert die Spannung zum gesellschaftlichen
Kontext. Dies zeigt sich verstärkt bei den kleineren Ortgemeinden. Der zentrale Aspekt des quan576
Vgl. Campos, Reforma, S. 56.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 174 -
Ulrike Sallandt
titativen Wachstums, verstanden als die Sammlung des heiligen Restes, durchzieht die gesamte
Realität der AdD und offenbart ihre (noch) deutlich sektiererischen Elemente.
Mit Blick auf das zweite Kriterium ‚Gesellschaft in Kirche’ zeigt sich die administrative Prägung
und religiöse Produktion von Seiten der ‚Denomination’, d.h. die ansatzweise bei den AdD vorhandene Dichotomisierung der Leitungsträger. So besteht zwar kein offizielles religiöses Monopol eines adligen Klerus nach katholischem Vorbild, aber die behandelte Institutionalisierung im
Zuge des quantitativen Wachstums zeigte, dass die administrative Hierarchie, zum Zwecke der
Des-zentralisierung, eine Gefahr für das kongregationalistische Ideal bedeutet. Das praktizierte
„Allgemeine Priestertum aller Gläubigen“ weicht zusehends in der Realität der AdD einer neuen
religiösen, subjektivistischen Elite, die sich keiner objektivierenden Legitimation unterwerfen
muss (Mangel der Praxis der Glossolalie). Im Gesamtbild existiert aber (noch) eine enge gottesdienstliche Gemeinschaft, die für einen nicht geringen Teil der Gottesdienstbesucher eine Art soziales Netz bedeutet, obwohl diese keine konkrete soziale Unterstützung von Seiten der Kirchen
zu erwarten haben.
Das Gemeinschaftsgefühl entsteht und endet im Raum der göttlichen Gegenwart – dem Kult.
Nach diesen soziologisch-explikativen Ausführungen soll die Pfingstkirche der AdD in die Graphik des „Zwei-Dimensionalen-Modells“ Schäfers eingestuft werden. So verkörpert die AdDSüdregion Perus innerhalb der theologischen Strömung der PB die Sozialform der etablierten religiösen Gruppierung (C), die unter dialektischem Einfluss des etablierten fundamentalistischem
Evangelikalismus (B) als auch der etablierten CB steht (D). Während (B) basierend auf einem
konservativ-biblischem fundamentalistisch-em Bibelverständnis (Wort Gottes) das heilige Leben
auf ein transhistorisches Niveau zu heben sucht, vollzieht (D) eine subjektivistische Vergeistlichung (Geist Gottes) des ganzen Universums, vereint geistlich die getrennte Welt, und nimmt der
Kirche auf diese Weise jegliche objektive Grundlage. Anders ausgedrückt handelt es sich bei (B)
um eine exklusivistische „Vertikalisierung“ menschlichen Lebens, und bei (D) um eine pantheistische (satanistische) „Horizontalisierung“ göttlichen Lebens. Tendenzielle Charakteristika der
Sozialform der ‚religiösen Gruppierung’ zeigen sich bei den AdD vor allem in dem missionarischen Verständnis der Kirche, in der noch immer propagierten individuellen Moralethik sowie in
der teilweise äußerlich beeinflussten prinzipiellen Ablehnung der Außenwelt. Ein tendenzielles
Charakteristikum der Sozialform der ‚Denomination’ verkörpert sich in der administrativen Organisation der AdD.
Die zu Beginn des Pkt. 5.3 voraus gestellte Aussage Campos, dass „die kirchliche Realität der religiösen Bewegung der Pfingstler als eine dynamische Ekklesiologie bezeichnet werden kann, die
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 175 -
Ulrike Sallandt
sich in der Spannung von ihrer internen kirchlichen Mobilität und ihrer Ideologie der Heiligung
bewegt“ kann an dieser Stelle spezifiziert werden. Die interne kirchliche Mobilität, zwischen objektiver Gnadenanstalt und subjektivem Gnadenverband, sowie zwischen ausdifferenzierter und
undifferenzierter Institutionalisierung, impliziert die ihr wesenhafte Schutzfunktion als Geistgemeinschaft, sich NICHT auf eine soziologische Größe, sei es in theologischer bzw. in sozialer
Perspektive, festzulegen:
„Von hier aus widersteht sie wie jede Bewegung einer exklusiven polarisierenden Typologisierung wie ‘Sekte’ oder ‘Kirche’, , sie ist beides”577.
Den Abschluss dieses Abschnittes bietet folgende graphische Darstellung578, an der die Position
der AdD unter Berücksichtigung der herausgearbeiteten Einflussfaktoren dargestellt wird:
Die AdD besitzt eine doppelte und insofern dynamische Kirchenstruktur, die als religiöse Bewegung regelrecht durch ihre Mobilität zwischen Rationalisierung und Spiritualisierung, sowie zwi577
578
Campos, Reforma, S. 55.
Die Graphik wurde unter Berücksichtigung Schäfers und der Realität der AdD auf der Grundlage der soziologischhermeneutischen Untersuchung von der Verfasserin erstellt.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 176 -
Ulrike Sallandt
schen Organisation und Organismus existiert.579 Ihre charakteristische Akzentuierung des
Pfingstfestes (Apg 2), die ihren Höhepunkt in der (Über-)betonung der Geistekstase erreicht, ist
ihr Gründungsfundament, rein charismatisch-organischen Inhalts. Mit diesem Charisma (Weber580) kam die Pfingstkirche nach Peru und durch den explosionsartigen Anstieg der Mitglieder
wurde die Institutionalisierung notwendig. An dieser Stelle stellten sich die Weichen für die stark
fundamentalistisch geprägte Ekklesiologie. Dieser historische Umstand soll als die erste religiöse
Dependenz der peruanischen AdD von den Vereinigten Staaten festgehalten werden.
Seit den achtziger Jahren kann von einer zweiten Dependenz in der Gestalt der CB gesprochen
werden. Dieses Mal handelt es sich mehr um eine theologisch-spirituelle Einflussnahme, die sich
mit einer gewissen Weltzugewandtheit verbindet.
Geist und Welt nähern sich und es kommt zu einer Spiritualisierung, die Welt und Gesellschaft
dämonisiert und unbiblische, Konsumenten orientierte Theologien auf den ‚religiösen Markt’
bringt, die lautlos, die prämillenaristisch transzendental ausgerichteten klassischen AdD, die teilweise durch den fundamentalistischen Einfluss an Lebendigkeit verloren haben, zum‚Geistlichen
Kampf’ in der Gegenwart aufrufen (immanenter Postmillenariusmus), um somit ihre Existenz
neu zu beleben. Trotz diesen Aufrufs und der partiellen Antwort aus den Reihen der AdD, verharrt sie zum Großteil in dem charismatisch geprägten Sozialstatus der ‚religiösen Bewegung’, in
der (noch) Mission- und Moralvorstellung den traditionell pfingstlichen fundamentalistischen
Werten verpflichtet sind.
Die von den AdD erkannte Notwendigkeit sich der Welt und Gesellschaft zu öffnen, steht vor der
großen Herausforderung, ihr pfingstliches Propium, nämlich die dynamische Dialektik ihrer Kirchenstruktur, zu produzieren und nicht einem der Extreme der theologischen Strömung bzw. der
ekklesiologischen Sozialform zu verfallen.581
„Die Gefahr für die Institution besteht darin, die Vergangenheit zu verlängern, das
geschichtlich Gewordene zu verabsolutieren; die Gefahr für das Charisma besteht
Krusche untersucht das Thema „Die Kirche im Spannungsfeld von Charisma und Institution“ unter Erwähnung der folgenden
Gegensatzpaare, die die dynamische Spannung verdeutlichen: Institution und Charisma, Kirche und ecclesia, Kontinuität und
Flexibilität, Gewohnheit und Entscheidung, Recht und Seelsorge, Dialog und Prophetie, Dogma und Erfahrung, vgl. ders., im
gleichnamigen Art., S. 20-38.
580 Davon ist das paulinische Verständnis des „Charismabegriffes“ deutlich zu unterscheiden. Dieser Aspekt wird bei der theologischen Kritik im IV Teil dieser Arbeit unter Pkt. 6 wieder aufgenommen.
581 Hier handelt es sich um das Thema des absolutistisch-religiösen Anspruchs, dem die Enthumanisierung menschlicher Produkte zugrunde liegt, d.h. nach Berger/ Luckmann existiert hier eine „Verdinglichung der gesellschaftlichen Wirklichkeit“. „[…] [sie]
impliziert, dass der Mensch fähig ist, seine eigenen Urheberschaft der humanen Welt zu vergessen und dass die Dialektik
zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewusstsein verloren ist. Eine verdinglichte Welt ist
per definitionem eine enthumanisierte Welt“, Berger, Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 95; angewandt auf die kirchliche Situation bedeutet „ein verdinglichtes Verständnis […] [ein Verständnis] einer unveränderlichen
vorgegeben autoritativen Anstalt in einer ganz bestimmten Gestalt, die der Mensch nicht mehr als dass opus propium seiner
eigenen produktiven Leistung verstehen kann“, ebd.
579
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 177 -
Ulrike Sallandt
darin, die Erfahrung der Gegenwart zu verselbständigen und die in der Institution
aufbewahrten Erfahrungen einer langen Geschichte des Glaubens für entbehrlich zu
halten“582.
Weder kann die traditionell-fundamentalistische Orthodoxie, noch die innovativ-modernistische
Orthopraxis die gefährdete dynamische Ekklesiologie bewahren, sondern nur die Einheit von
beidem besitzt diese Fähigkeit:
„Der Ursprung der Kirche [ist] ein doppelter: einerseits Stiftung einer Institution, der
später der Geist geschenkt wird, andererseits Wirkungen des Geistes, die später zu
einer Institution führen mögen“583.
Für Lehmann584 stellt in der heutigen Zeit die fundamentalistische Strömung die einzige Form
moderner Religiosität dar, denn, so kann mit Blick auf die Realität der AdD erweitert werden,
bewahrt sie ‚etablierte religiöse Gruppierung’ vor totaler Konformität mit dem gesellschaftlichen
Kontext, d.h. beschützt die Grenze zwischen profan und heilig und fördert auf diese Weise die
Funktion der Pfingstkirche der AdD, als religiösen Dissidenten.585
Die CB nimmt den kooperativen Konformismus an und kollaboriert mit dem offiziellen Katholizismus und dem Staat.
Dieser gesellschaftlichen Funktion der AdD und ihrer Gefährdung als potentieller religiöser Dissident wenden wir uns im nächsten Abschnitt mit Blick auf die gesellschaftliche Relevanz zu.
5.4
Die Pfingstbewegung aus soziologischer, ethnologischer, anthropologischer und kultu-
reller Perspektive
Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungen der Pfingstler, die sowohl zum Ziel hatte, ihre
Wirklichkeit selbst von Innen sprechen zu lassen (Teil II), als auch sie sie von Innen heraus zu
erklären (Teil III, Kap. 5.1-5.3), soll es in diesem Kapitel darum gehen, diese Beobachtungen
theoretisch aufzunehmen und zu reflektieren, um sie für eine abschließende Zusammenfassung
bzgl. der AdD in der Südregion Perus fruchtbar zu machen.
Krusche, „Die Kirche im Spannungsfeld von Charima und Institution“, S. 38;
Krusche, „Die Kirche im Spannungsfeld von Charisma und Institution“, S. 24; vgl. auch Volf, „Kirche als Gemeinschaft“, S. 94:
„Das Ineinander von Geist und Institution scheint im Lichte der Christologie für den christlichen Glauben unaufgebbar, wenn
nicht die Institution Kirche eine totale Hülse und der Geist eine weltflüchtige Spiritualität, oder wenn nicht die Kontinuität der
Institution der Kirche kraftlos und der Geist eine immer wieder neue Sekten hervorbringende absolute Autorität werden soll“.
584 Bzgl. des Fundamentalismus vgl. Lehmann, „Globalism and Fundamentalism“, vor allem S. 630.
585 Vgl. die vergleichende Untersuchung von Lehmann, „Was trennt die katholische Charismatische Erneuerung von den Pfingstkirchen?“, S. 361-376
582
583
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 178 -
Ulrike Sallandt
Als einen ersten Schritt werden diverse interdisziplinäre Erklärungsansätze in einem allgemeinen
Überblick vorgestellt, um eine Grundlage für den wissenschaftlichen Umgang und die gegenwärtige Diskussion über die „dritte Konfession“ (Fonseca586) innerhalb des Christentums zu erlangen. Auf der Grundlage dieses kurz gefassten Überblicks wird ein theoretischer Erklärungsansatz
(Campos) entwickelt, der die Pluralität der Pfingstrealität zu erklären beabsichtigt. Mit Blick auf
die Realität der religiösen Bewegung der AdD soll im Anschluss nach ihrer religiösgesellschaftlich Funktion als Dissident (Lehmann) gefragt werden.
Der abschließende Punkt des Kapitels 5 dient dazu, eine komplexe explikative Zusammenfassung
zu geben, auf die sich der folgende bewertende kritisch-theologische Teil IV der vorliegenden
Arbeit bezieht.
5.4.1 Die Gesellschaftliche Relevanz (Lebenswirklichkeit): diverse Erklärungsmodelle der
Pfingstbewegung
Seit Ende der sechziger Jahre entstanden die ersten soziologischen Arbeiten über die Pfingstbewegung, vor allem ausgelöst durch die explosionsartige Wachstumsrate, die diese „vom Geist
bewegte christliche Strömungen“ vollzog. Bei dem Versuch, sich einen Überblick über diverse
Untersuchungen dieser christlichen Realität zu verschaffen, können deutlich unterschiedliche
Annäherungsweisen und Modelle erkannt werden. So zeigen die ersten Arbeiten von Emilio Willems („Followers of the new face“, 1967) und Lalive d’Epinay („Refugio de las masas“, 1969)587
Ende der sechziger Jahre eine sichtbar okzidentale Perspektive, die darin zum Ausdruck kommt,
dass ihre Analyse mit Blick auf die chilenische und brasilianische Wirklichkeit schwerpunktmäßig sozialer Natur ist. Das weberianische Verständnis der funktional ausgerichteten „Protestantischen Ethik“ steht hier im Hintergrund. Während Willems das gesellschaftliche Integrationspotential der Geisterfahrung, verstanden als „magische Sprache“588 für die notbedürftigen Menschen betont, steht bei Lalive der „Schöpfungsaspekt“ neuer Gemeinschaften nach dem Vorbild
der „Hacienda“589 im Vordergrund, den er im Zusammenhang mit der Migrationswelle LandStadt590 entwickelt.
Vgl. ders., Referat “El Pentecostalismo Latinoamericano en perspectiva histórica”; für Prien gelten die Pfingstler als die “Protestanten der dritten Reformation”, Prien, Geschichte des Christentums in Lateinamerika, S. 858.
587 Vgl. den graphisch-tabellarischen Vergleich beider Autoren bei Campos, Reforma, S. 35.
588 Für David Stoll stellt die Existenz der Geister und Götterwelt, der Glaube an ihre in den Alltag hineinwirkenden Kräfte die Methode der Armen dar, ihre Probleme im Alltag (besser) zu verstehen. Es besteht keinen wie für die westliche Welt charakteristischen Zusammenhang zwischen Sozialanalyse und Sozialentwicklung, ders., Amercia se vuelve protestante“, S. 140.
589 Die dualen Figuren von Kontinuität-Diskontinuität, Kompensation-Protest und Integration-Desintegration, die Prien anhand von
Kliewer beschreibt, spiegeln sich in dem „Hacienda-Modell“ von Lalive wider. Auf der einen Seite kann bzgl. der modifizierten
586
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
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Ulrike Sallandt
Beide Ansätze reduzieren das Phänomen der Pfingstbewegung auf einen symptomatischen Ausdruck gesellschaftlichen Wandels, wobei Willems den Übergang von ländlicher zur urbanen
Identität skizziert und Lalive den Rückzug in selbst produzierte (kirchliche) Gemeinschaften.591
Diese sozial ausgerichtete Perspektive behält auch Fransesco C. Rolim („Pentecostisme et Societé au Brésil“, 1979)592 bei, der den Pfingstlern die Identität einer undefinierten gesellschaftlichen
Klasse zwischen Unter- und Mittelschicht593 zuspricht. Dem weberianischen Verständnis folgend
entsteht das (pfingstliche) Erlösungsverständnis aus den sozialen Bedingungen des Kontextes,
welcher vor allem durch das politische Gegenüber von Herrschaft (Politik) und Beherrschtem
(Volk) geprägt ist.
Die Grundlage Rolims ist seine soziologische Differenzierung der Gesellschaft in eine Realität
von zwei sich gegenüber stehenden Klassen (marxistischer Einfluss)594, was den Übergang zu einer neuen Klassenidentität begünstigt.
Bei den Erklärungsansätzen der amerikanischen Wissenschaftler David Stoll (¿America latina se
vuelve prostestante?“) und David Martin („Tongues of the fire“) zeigt sich ebenfalls der soziale
Schwerpunkt. Nach Stoll stellt die Pfingstbewegung für den armen Menschen eine ihm verständliche nachvollziehbare Erklärung seiner ökonomischen Misere dar. Die pfingstliche Welt der
Geister und Dämonen bietet die Möglichkeit, das eigene problematische Leben auf mythischmagische Weise zu verstehen und folglich zu „akzeptieren“. Das Verständnis bewegt sich nicht
wie im Okzident auf der Basis einer rational-gesellschaftlichen Analyse, sondern wird auf eine
dem Menschen „nur“ im Glauben zugängigen Ebene gehoben. Der (katholischen) Tradition wird
der Rücken gekehrt hin zu neuen evangelischen Strukturen.595
Reproduktion der „Hacienda“ (Landgut) von der Kontinuität, Kompensation, Integration gesprochen werden, auf der anderen
Seite zeigt die neue Egalität der Gläubigen in ihrer Position vor Gott den Bruch, d.h. die Diskontinuität, den Protest und die
Desintegration mit der politischen Gesellschaft, vgl. Prien, Geschichte des Christentums in Lateinamerika, S. 870f.
590 Zu diesem Thema vgl. Mar, El Nuevo Rostro Urbano (Desborde popular y crisis de estado): Mar gibt einen Gesamtüberblick
über die sozioökonomische Lage in Peru seit dem 19. Jh. Nach seiner Meinung stellten sich im Jahr 1950 die Weichen für die
folgende Zentralisierung der Migration in Lima. Die Entstehung neuer Handelswege hatte bereits zuvor die Zentralisierung des
Exportshandels begünstigt und der demokratischen Idee Raum geschafft. Unter der Regierung Belaunde (1963) kann von der
Notwendigkeit einer kapitalistischen Wirtschaft gesprochen werden, was sich in den sozialen Reformbestrebungen der ländlichen Bevölkerung zeigt und schließlich in der Agrarreform seinen Höhepunkt erreicht. Unter der Regierung Velascos (1968)
begünstigte die ökonomische Krise das Erliegen des nationalen Projektes, d.h. der Integration. Dennoch erreichte Velasco
mittels seiner Reformen die Befreiung unterdrückter Kräfte sowohl in der andinischen Landbevölkerung, als auch in dem städtischen Volksproletariat; vgl. auch zu Kritik dieser Migrationsthese, CLAI, S. 21.
591 Zu dieser Kritik vgl. Miguez Bonino, Rostros del Protestantismo“, S. 61ff.
592 Vgl. zu den Ausführungen über F.C. Rolim, Campos, „Pentecostalidad y sociedad“, S. 2ff.
593 Vgl. Miguez Bonino, Rostros del Protestantismo“, S. 62.
594 Vgl. Kritik an Rolim, CLAI, S. 21 und Sepúlveda, „The pentecostal movement in Latin America“, S. 72.
595 Vgl. Stoll, America Latina se vuelve protestante?, Kap. III u. VIII; vgl. auch Miguez Bonino, Rostros del protestantismo, Kap.
3.
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 180 -
Ulrike Sallandt
Der latent zu erkennende produktive Ansatz lässt sich bei Martin deutlicher erkennen. Für ihn
stellen die Pfingstler einen Ort neuer Lebensgestaltung dar, der den Menschen in Schutz und Sicherheit die Gelegenheit bietet, neue soziale Modelle, Organisationen, Initiativen o.ä. zu entwickeln.
Die Aufnahme des schöpferischen Gedanken (Lalive d’Epinay) wird an dieser Stelle in dem Potential einer Sozialreform („huelga social“) deutlich. So neigt die Verfasserin dazu an dieser Stelle von einer sozialen Kommunikation im religiösen Gewand596 zu sprechen.
Die amerikanische Annäherung orientiert sich deutlich an dem westlichen Verständnis des „Prozesses der Rationalisierung“ (Weber) und der damit verbundenen funktionalen Entwicklung der
„Protestantischen Ethik“, die sich nach und nach ihren religiösen Wurzeln entfremdet:
„Both Martin and Stoll are specially interested in the social and political effect of the
Evangelical presence and message“597.
Die Pfingstler gelten in diesem Sinne als die erste Manifestation des Volksprotestantismus in Abgrenzung zur katholischen Volkfrömmigkeit. Diese Definition zeigt sich auch bei dem Schweizer
Soziologen Jean-Pierre Bastian, der vor allem die Rekompensierung der (katholischen) Volksreligiosität herausarbeitet, mit anderen Worten, die Pfingstbewegung als einen „Ersatzkatholizismus“ darstellt und seine religiöse Leistung wie folgt beschreibt:
„Das religiöse Werk lässt sich folgsam als die Eliminierung von disfunktionalen Elementen und [als die] Annahme exogener Faktoren verstehen, die die kollektive Identität stärken und eine religiöse und politisch-kooperative Traumwelt aufstellen“598.
Ihre Funktion begründet sich in der Enttäuschung -ausgelöst durch das Ausbleiben der Erwartungen an die katholische Kirche599-, die ihrem Wesen nach in formal-institutioneller Distanz zum
Volk steht.
Bastíans Analyse zielt darauf ab, die Pfingstleridentität als eine Folge des global religiösen Wandels zu verstehen. Der Prozess der Globalisierung hat auch im religiösen Sektor Fuß gefasst, so
dass auch dort eine globale Veränderung stattfand, die vor allem von der Geburt einer Vielzahl
neuer volksnaher religiöser Bewegungen geprägt war. Die klassische Pfingstbewegung stellt eine
der Wichtigsten dar. Ihre dem kulturellen Kontext600 angemessene mündliche Tradition bot dem
Diese creatio verbi entwickelte die Verfasserin anhand der Lektüre von Lopez, Pentecostalismo y transformación social, S. 56.
Escobar, „Conflict of Interpretations of Popular Protestantism“, S. 128.
598 Bastían, Protestantismo y la modernidad latinoamericano”, S. 257f.
599 Vgl. zu diesem Thema Bastían, Las causas de la mutación, S. 92ff.
600 Der peruanische Anthropologe Mario Morveli verdeutlich in seine hypothetisch angelegten Untersuchung „Religión y Sociedad
a finales del siglo XX (el caso peruano) den Einfluss des durch die Globalisierung veränderten religiösen Kontext, der signifikante Veränderungen bzgl. des Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft hervorgerufen hat. Nach Meinung Morvelis ist
596
597
“Der Geist Gottes im Süden Perus”
- 181 -
Ulrike Sallandt
enttäuschten Menschen ein attraktives Angebot sein Leben zu verbessern, doch entwickelte sich
dies nicht in Richtung auf das puritanische Modell einer „Protestanischen Ethik“ der Individualisierung und rationalen Ökonomisierung, sondern verharrte in der nach Bastian sog. „Pentekostalisierung des Katholizismus“.601
An dieser Stelle lässt sich der westlich geprägte Maßstab erkennen, der den Prozess der Rationalisierung und Ausbildung einer christlichen Sozialethik propagiert.
Die Tendenz, die Pfingstbewegung als eine Manifestation des Volksprotestantismus bzw. der
Volksreligiosität zu bezeichnen zeichnet sich auch bei dem ecuadorianischen Theologen Samuel
Escobar602 ab. Der in dieser Bezeichnung implizierte kontextuelle Charakter der pfingstlichen
Religiosität als eine Religion des einfachen Volkes lässt den kollektiv-funktionalen Schwerpunkt
der Pfingstrealität deutlich werden:
„[Pentecostalism is] one of the most surprising manifestation of what Guitierrez has
calles the irruption of the poor“603.
Deiros nähert sich unter dem Obertitel “Massenreligion” der Pfingstbewegung als Volksprotestantismus, Volksbewegung und Geistgemeinschaft an und präsentiert auf diese Weise die Komplexität der Pfingstleridentität und ihrer sozial-gesellschaftlichen Rolle im lateinamerikanischen
Kontext. Vor allem der Aspekt der Geistgemeinschaft verweist verstärkt auf die ihr wesenhaften
Inhalte, die zum wirklichen Verständnis des Wesens der Pfingstler unabdingbar ist:
„Die Lösung der täglichen Probleme konstituiert in der Wirklichkeit die pfingstliche
Erlösung. Einmal mehr handelt es sich um die empirische Realität, nicht um die abstrakte”604.
Der Schlüssel zum Verständnis der Pfingstbewegung liegt also in der ganzheitlichen Annäherung
der Pfingstbewegung, die die Attraktivität in dem Inhalt ihres Erlösungsverständnisses sucht.
Sepúlveda verdeutlicht in seinem Artikel über die Pfingstbewegung in Lateinamerika diese
Ganzheitlichkeit durch die differenzierten Untersuchungsperspektiven605. Die ausschließlich soziologische Sichtweise und ihre Folgen verdeutlicht er anhand der Untersuchungen von Willems
und Lalive, die wie bereits erwähnt die Pfingstbewegung auf den Ausdruck des gesellschaftlichen
die veraltete Diskussion bzgl. Religion und Gesellschaft aus der Perspektive von sakral und profan durch die postmoderne
Idee überwunden, die jegliche Form des Dualismus zerstört, S. 8; dieser Aspekt wird unter Pkt. 5.4.3 verstärkt aufgenommen.
601 Bastían, La Mutación Religiosa de A.L., S. 202f.
602 Vgl. Escobar, „Protestantismo Popular: Una perspectiva misiológica”.
603 Escobar, „Conflict of Interpretations of Popular Protestantism“, S. 129; vgl. auch Lopez, Pentecostalismo y transformación social, S. 57.
604 Deiros, Historia del Cristianismo en América Latina, S. 167.
605 Zur Erklärung des explosionsartigen Zuwachses der Pfingstler auf dem lateinamerikanischen Kontinent differenziert er zwischen der soziologischen, psychologischen und pastoralen Analyse, welches die Gefahr einer einseitig sozial-funktionalen Interpretation westlichen Charakters verhindert, ders, „The Pentecostal Movement in Latin America“.
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Wandels reduzieren. Die psychologische Komponente sucht nach Erklärungen für die Sehnsucht
der Menschen, ihren Mangel sozialer zwischenmenschlicher Beziehungen zu entfliehen. Der
Mensch befindet sich von Natur aus auf der Suche nach Gemeinschaft. Mittels der pastoralen
Methode wird der Aspekt Bastíans des „Ersatzkatholizismus“ reflektierend verdeutlicht, der
durch die Vernachlässigung pastoraler Tätigkeiten von Seiten der katholischen Kirche begründet
ist. Sepúlveda erkennt in den folgenden Aspekten das attraktive inhaltliche Propium der Pfingstler:
„Rather than a new doctrine, pentecostalism offers experience of God. […] The encounter of God ist intense. […] The Pentecostal experience does not happen alone.
[…] The experience of God that pentecostalism proclaims is announced “in the lenguage of the people”. […].606
Es handelt sich um das Erlösungsangebot der Pfingstler, welches für den Menschen in seiner Gegenwart wirklich erfahrbar ist. Nicht nur der Inhalt, sondern seine Form lässt die Attraktivität der
pfingstlichen Religiosität verstehen.
Die unumstrittene Bedeutung der mündlichen Tradition der Pfingstler steht an dieser Stelle im
Hintergrund, die den Inhalt der Erlösung in Symbolen, im Tanz und Gesang sowie mit Emotion
ohne explizierte Theologie zum Ausdruck bringt und somit der akademisch westlich geprägten
Theologie diametral gegenüber steht. Die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Theologie
und Soziologie führt zu detaillierten Füllungen dessen, was Hollenweger bereits als eine konkrete
Alternative zur okzidentalen Tradition benannt hat und führt Sepúlveda zur Überwindung der
rein sozial-funktionalen Thesen sozial-westlich orientierter Reformen.
Der schöpferisch-produktive Charakter liegt weniger in der gesellschaftlichen Sozialreform, sondern nach dem Vorbild des Evangeliums, in dem praktischen Leben/ der praktischen Umsetzung
der eigenen Glaubensüberzeugung:
„Die religiöse pfingstliche Struktur hat diesen charakteristischen Zug: der Gläubige
ist direkter Produzent der Güter seiner religiösen Welt, die durch die Glaubenslehre
und die Kraft des Heiligen Geistes markiert ist. Das Wichtigste ist nicht Presbyter,
Pastor oder Diakon zu sein, sondern direkter Produzent der religiösen pfingstlichen
Welt”607.
Die der Pfingstbewegung charakteristische implizite Theologie stellt auch Lopez heraus und betont die Bedeutung der ihrer mündlichen Tradition entsprechenden Quellen von Zeugnis, Narrati-
606
607
A.a.O., S. 72f.; vgl. auch Lopez, Pentecostalismo y transformación social, S. 56.
Zitiert aus Campos, Reforma, S. 42.
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on und Gesang.608 Er betont die Grenzen der rein äußerlichen Betrachtung der Pfingstler, die diesen Wurzeln der Pfingstler nicht gerecht werden kann. Diese Säulen der mündlichen Theologie
besitzen eine Kraft, um den Reichtum des Geistes, des Handeln Gottes in der Geschichte zu entdecken. Miguez Bonino spricht in diesem Zusammenhang von der sozialen, ethischen und politischen Öffnung der Pfingstbewegung, dessen Notwendigkeit im Laufe der Zeit erkannt und nach
und nach in die Realität umgesetzt wird.609 Im Folgenden wird der Ansatz des peruanischen
Pfingstlertheologen und Pfarrer Bernardo Campos vorgestellt, welcher der Verfasserin geeignet
erscheint, die Notwendigkeit der differenzierten Annäherung an die Realität der Pfingstler zu verstehen. Auf der Grundlage dieser Ausführungen soll eine zusammenfassende Darstellung der gegenwärtigen Situation der AdD in der Südregion Perus gegeben werden. Dieser interdisziplinäre
Blick mündet bzgl. der AdD in die Fragestellung, ob und in wieweit diese Pfingstkirche in ihrer
aktuellen historischen Manifestation eine religiöse bzw. politische Rolle im peruanischen Kontext
innehat.
5.4.2 Ein theoretischer Erklärungsansatz: „Pentekostalität und Pentekostalismus“
Auf dem thematischen Hintergrund der Pfingstbewegung und der kirchlichen Einheit behandelt
Campos zwischen Ökumene und religiösem Pluralismus das Thema der „Theologie der Pentekostalität“ („Teología de la pentecostalidad“)610. Bereits Hollenweger und Escobar erkannten den
ökumenischen Horizont der Pfingstbewegung, die sich aber dieses Charakters nicht bewusst
wird.611
Als Geistgemeinschaft verfügt die Pfingstbewegung über einen transdenominationalen Charakter,
der in der Kraft des allumfassenden Geistes Gottes liegt. Das Thema des religiösen Pluralismus
zeigt sich in einem engen Zusammenhang mit der Ökumene und steht in kausaler Wechselbeziehung mit dem kulturell-gesellschaftlichen Kontext. Religionen bzw. religiöse Vorstellungen entstehen und existieren von Anfang an in der Zweideutigkeit 612 des menschlich evolutionären Lebenswandels. Sie sind menschliches Produkt. Somit gehört historische Veränderung konstitutiv
zum Wesen der Religion o.ä.
Lopez, Pentecostalismo y transformación social , S. 59ff.
Miguez Bonino, Rostros del protestantismo, S. 68f.
610 Vgl. zu diesem Abschnitt Campos, Reforma, S. 90-97; vgl. auch bzgl. der theologischen Überlegungen der Pfingstler, Miguez
Bonino, Rostros del pentecostalismo, S. 71ff.
611 Hollenweger betonte die von den Pfingstlern selbst nicht erkannte ökumenische Vision, vgl. Lopez. Pentecostalismo y Transformación social, S. 55; vgl. auch Escobar, „Conflicts of Interpreation of Popular Prostestantism“; Campos, Reforma, S. 75-81.
612 Vgl. zum Thema der Zweideutigkeit der Religion Tillich, Systematik III, S. 120-139.
608
609
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Dies bildet den Rahmen für das Verständnis der von Campos entwickelten „Theologie der Pentekostalität“ und verdeutlicht vor allem die Notwendigkeit dieser reflektierten Überlegungen des
(religiösen) Inhaltes und der (historischen) Form der Pfingstbewegung.
„Wir verstehen unter Pentekostalität das religiöse Prinzip und die religiöse Praxis,
begründet in dem Pfingstereignis. Es handelt sich um eine allgemeine Erfahrung, die
die Pfingstpraktiken auf die Kategorie der „Prinzips“ (ordnender Anfang) hebt, die
versuchen, historische Realisierungen dieser ursprünglichen Erfahrung zu sein“613.
Die Pentekostalität ist die Kraft des Geistes, die die kirchliche Manifestation ermöglicht. Als
Prinzip besitzt sie einen grenzüberschreitenden Charakter und überwindet jegliche Art von religiös-exklusivem Absolutheitsanspruch. Als Kraft des Heiligen Geistes existiert die Pentekostalität
in latenter oder manifester Gestalt in der gesamten Kirche. Diese These stützt sich nach Campos
auf folgende Gründe:
a) Pfingsten ist das Protophänomen des historischen Christentums:
Es konstituiert die Bedingung für die Zeugenschaft des Herrn Jesu Christi und öffnet demnach als zentrales christologisches Ereignis die eschatologische Dimension des christlichen
Glaubens.
b) Pfingsten ist der symbolische Ort der Vergebung auf den sich die gesamte historische Mittlerschaft der universalen Kirche Jesu Christi bezieht, d.h. die gesamte christliche Kirche:
Der Bezug zur Qualität der christlichen Urgemeinde (schöpferischer Aspekt), verstanden als
Bezug zur Fähigkeit der Pentekostalität, besitzt aufgrund seines ihm wesenhaften Ursprungscharakters bis heute Geltung.
c) Zeitgleich zum primitiven Katholizismus bestand der sog. „primitive Pentekostalimus“ (Erstgeburt); infolgedessen hatte der Katholizismus eine Form der Pentekostalität als Begleiterscheinung inne:
Aus dieser Perspektive ist die Suche nach einer Pentekostalität (latent, manifest) in der gesamten Katholizität erlaubt, denn das Pfingstereignis ist in historischer Dimension später zu
bestimmen, während es auf der theologisch-erkenntnistheoretischen Ebene die Bedingung
des christlichen Universalismus darstellt.
613
Campos, Reforma, S. 90.
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Auf diese Weise bilden Katholizität und Pentekostalität eine Wesenseinheit und bedingen
sich gegenseitig. Theologisch existieren beide vor ihrer historischen Manifestation, d.h. vor
dem geschichtlichen Phänomen des Katholizismus und des Pentekostalismus.
Pentekostalität ist die Universalität des Geistes Christi, die die Kirche als Pfingstgemeinschaft ermöglicht/ konstituiert.
Die hier deutlich werdende Universalität der sich an Pfingsten manifestierten Pentekostalität
bildet die Grundlage für die in Jerusalem beginnende Gründungsepoche christlicher Gemeinden, die sich als historischer Ausdruck der Pentekostalität verstanden.
d) Die Pentekostalität ist das Charisma, welches die kirchliche Institution ermöglicht:
Die Kirchengeschichte kann insofern als die Geschichte des Konflikts zwischen Charisma
und Institution verstanden werden. Die zunehmende Dominanz der Herrschaft der offiziellen Kirche (Manifestation der konstantinischen Ära) unterdrückte zusehends im Zuge ihrer
Rationalisierung (Weber) die charismatische Pentekostalität des Ursprungs und ebnet auf
diese Weise ihren Weg als eine zyklische Bewegung von Evolution-Involution, LatenzManifestation, Erweckung-Verkalkung, Unterdrückung-Befreiung des Charismas.
Die „Theologie der Pentekostalität“ ermöglicht die differenzierte Betrachtung der Realität der
Pfingstler zwischen den Polen von historischer AusFORMung und ursprünglichem INHALT. Sie
verdeutlicht den zentralen Kern des Pfingstereignisses und seine universale Bedeutung für das
gesamte historische Christentum. Dadurch ebnet sie die Grundlage für eine ganzheitliche interdisziplinäre Annäherung an die Pfingstler und verhindert auf diese Weise eine einseitig funktional bzw. einseitig religiöse Interpretation ihrer Glaubenspraxis.
Die in der vorliegenden Arbeit behandelten Duale von Charisma und Tradition (5.2.3), Prophet
und Priester (5.3.3.1), Magie und Religion (5.2.3.2), Ideologie und Theologie (5.3.1) sowie Sekte
und Kirche (5.3.2.2) können mit ihrer Hilfe dem erkannten Mangel theoretischer Reflexion von
Seiten der Pfingstler entgegen wirken. Die Einheit der in Spannung tretenden Pole spiegelt den
bereits erwähnten der Religion wesenhaften Charakter der Zweideutigkeit wider und erleichtert
das kulturell-ethnologische Verständnis religiöser Phänomene in dem lateinamerikanischen Kontext, in dem die historische Manifestation der Pentekostalität die Gestalt eines schwierig zu überblickenden religiösen Pluralismus hervorgebracht hat.
Im Folgenden soll nun mit diesem theologisch-theoretischen Erklärungsmodell Campos im Hintergrund unter Berücksichtigung der Ausarbeitung in Kap. 5 eine zusammenfassende Darstellung
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Ulrike Sallandt
der AdD gegeben werden, die eine ganzheitliche, sowohl soziologische als auch hermeneutischtheologische, Perspektive umfasst.
5.4.3 Der Versuch einer Darstellung aus soziologisch-historischer Perspektive – die AdD
in der Südregion Perus
Der Verlauf der bisherigen Ausarbeitungen zielte darauf ab, die Realität der Pfingstler aus ihrem
Inneren heraus, d.h. von ihrem konstitutiven Gründungsereignisses nach Apg 2 (Pentekostalität)
und ihrer singulären ekkesiologisch-historischen Manifestation dieses Ereignis zu untersuchen. In
diesem Unterabschnitt soll es darum gehen, die historische Perspektive (Teil I) mit der soziologisch-hermeneutischen Explikation (Teil III) in Beziehung zu setzen, um auf diese Weise die sowohl endogenen als auch exogenen Einflüsse auf die gegenwärtige historische Realität der AdD
in ihrem Kausalzusammenhang/ Wechselwirkungen darzustellen. So bewegt sich die Darstellung
in der zeitlichen Spannung von Vergangenheit und Gegenwart, von der Geburt der klassischen
Pfingstbewegung im Geist zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der historischen Pluralisierung
dieser geistlichen Bewegung, die die Komplexität diverser politischer und religiöser Entwicklung
umfasst.
Der peruanische Kontext (Teil I, 1.1 und 1.2), historisch geprägt von dem religiösen Monopol der
katholischen Kirche und seiner Entwicklung zu einem wahren Labyrinth religiöser Strömungen
und Gruppierungen erschwert die Entstehung einheitlicher (ideologischer bzw. religiöser) Symbolsysteme innerhalb der Gesellschaft. Dies umso mehr, wenn die Gesellschaft soziologisch als
eine sog. „Zwei-Klassengesellschaft“ umschrieben werden kann, die aus anthropologischer Perspektive durch ethnische Differenzen bedingt ist. Das politische Drama von Macht und Unterdrückung, von Autorität und Gehorsam in dieser gespaltenen Gesellschaft forciert das menschliche
Streben nach Ordnung und Legitimität. Die Rede religiöser Entwicklung in Peru ist somit die Rede über eine Entwicklung, die die anthropologischen Bedürfnisse dieses Ethos beachten muss,
um diese in ein dynamisches Verhältnis mit dem religiösen Phänomen zu sehen.
Erst diese dynamische Bindung zwischen anthropologischer und religiöser Ebene im Individuum
ermöglicht die Erkenntnis kulturell-religiöser Entwicklungen auf global-gesellschaftlicher Stufe,
die der Gefahr geschützt sind, entweder nur soziologisch oder nur anthropologisch begründet zu
sein.
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Die zeitliche Spannung umfasst die Epoche der Frühmoderne, des protestantischen Kampfes um
die religiöse Toleranz in Peru (S. 6) bis hin zur sog. Epoche der Postmodernität614, die die Entwicklung des Individualismus in der Gestalt eines anthropologischen Egoismus/ Egozentrismus
an ihren Höhepunkt führt. Sie beinhaltet die geschichtliche Entwicklung der AdD in den Vereinigten Staaten (3.3.1), die Gründung und Institutionalisierung in Peru (3.3.2) sowie die krisenhaften Entwicklung durch den schon seit jeher bestehenden Einfluss in Gestalt des Fundamentalismus und dem erneuten, ebenfalls aus Nordamerika stammenden Neopentekostalismus (5.3.2.3).
Zur Zeit ihrer Gründung kann von einer „Totalen Transformation“ (Berger) gesprochen werden,
„in der der Mensch […] von einer Welt zur anderen [umschaltet], bzw. eine Welt gegen eine andere austauscht“615.
Die vom Geist ergriffenen Gläubigen treten von der sichtbaren in die unsichtbare Sphäre geistlichen Lebens. Ihr neuer Bezugspunkt, d.h. ihre neue Plausibilitätsstruktur bildet die Gemeinde der
von dem Geist-Ergriffenen. Als Teil dieser neuen Gemeinschaft616 besitzen sie eine neue Interpretation der Wirklichkeit, die ihnen ein Verständnis ihrer Lebenswelt in der Gegenwart ermöglicht/ vereinfacht.
Die darin implizierte Absonderung von dem „alten Leben“ wird bei den Pfingstlern durch die
Glossolalie sichtbar, die als objektiver Beweis des subjektiven Erlebnisses gilt.
Die sich am Anfang des 20. Jahrhunderts gebildete Geistgemeinschaft zeichnete sich demnach
soziologisch durch ihrem „kollektiven Bewusstsein“ (Durkheim617) aus, d.h. mit der Synthese der
Gesamtheit individuell-subjektiver Geister und bot den Menschen eine Integrationsmöglichkeit in
einer neu legitimierten Sinnwelt (religiöser Inhalt), die aufgrund ihrer geistlichen Natur als ein
„Streben nach kosmischer Höhe“ (Transzendenz) in der Immanenz der gesellschaftlichen Realität
umschrieben werden kann. Die mythologische Gestalt, vor allem die magische Sprache, dient als
Vgl. zum Thema der Postmodernität a) in Peru, Morveli, Religión y Sociedad a finales del siglo XX (el caso peruano); b) in historischer Perspektive, Fonseca, “El pentecostalismo latinoamericano en perspectiva histórica: ideas para elo debate”; c) bzgl.
evangelischem Kontext Escobar u.a., Postmodernidad y la iglesia evangelica; d) bzgl. der charismatischen Bewegung, Amat y
Leon, “Una acercamiento socio-religioso al movimiento carismático evangelico en el Perú, Pkt. 2.1.1.
615 Berger/ Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 167.
616 Das Beispiel der religiösen Konversion behandeln Berger/ Luckmann im Zusammenhang des Themas der „Totalen Transformation“. Sie verdeutlichen, dass die Gemeinde die neue Plausibilitätsstruktur des konvertierten Menschen wird. Erst die Bindung zur Gemeinde lässt das am Beispiel Paulus aufgezeigt ekstatische Erlebnis zur (dauerhaften) religiösen Erfahrung werden.
617 Vgl. Durkheim, “Zur Definition religiöser Phänomene”, S. 138; Durkheims Verständnis der Beziehung zwischen Gesellschaft
und Religion gründet auf seine Analyse sog. „primitiver Gesellschaften“. In dem Zusammenhang der Geistgemeinschaft der
AdD zu Beginn ihrer Existenz lässt sich sein Verständnis der Beziehungsstruktur beobachten: „Gesellschaft ist das, was in der
Religion verehrt wird“, „Religion ist ein metaphorisches Spiegelbild der Gesellschaft“, ders., „Heilige Gesellschaft und die Anthropologie der Religion“, S. 65. Dieser Zusammenhang zwischen Immanenz und Transzendenz im Lebensethos der Gesellschaft reicht nicht aus, um den Pentekostalismus, d.h. die manifestierte Pentekostalität der Pfingstler erschöpfend zu erfassen, aber er verweist auf die kollektive bedeutsame Funktion der Gemeinschaft (koinonia) in den Gemeinden der AdD, die
(natürlich) auf der persönlich erfahrenen Begegnung mit dem Heiligen Geist beruht.
614
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Unterstützung, die neue göttliche Ordnung gegen potentielle irdische Ungereimtheiten hervorzubringen (produktives Element). Es wird auf einer außerweltlichen Sphäre kommuniziert. Das religiöse Angebot der Erlösung kann in dieser Form wirklich empfunden werden und das rational
theologische Problem der Theodizee tritt in den Hintergrund (Entlastungsfunktion).
Im Zuge der Institutionalisierung und Expansion konstituierte sich die AdD, die Missionare in die
Welt sandte. Auf diese Weise kam die Pfingstkirche der AdD auch nach Peru (3.3.2). Die damit
verbundene Bürokratisierung, die Veränderungen der Kirchenstruktur (5.3.2.1) übte erheblichen
Einfluss auf die zu Beginn ihrer Existenz charismatisch veräußerten Geistbewegung. Dieser Rationalisierungsprozess der Religion im Zuge der gesellschaftlichen Herausforderung einer rationalen Fundierung der religiösen Gemeinschaft kann nach weberianischem Verständnis als die
„Entzauberung“618 der Religion umschrieben werden. Sie entfernt sich ihrer Inhalte und im Vordergrund stehen ihre bürokratischen Strukturen und Hierarchien, beeinflusst und begründet in ihren fundamentalistischen nordamerikanischen Wurzeln (3.3).
Die Pfingstbewegung und somit die AdD gerieten in eine Krise des Geistes, in der der „wahre“
geistliche Inhalt bedroht erschien. Die Gläubigen sind durch ihre vor allem geistliche Ausrichtung nicht in der Lage, in einer von ihnen selbst geschaffenen Welt diesem Prozess entgegen zu
wirken. Sie haben sich der Welt entfremdet und sind unfähig, eine Konfrontation mit ihr einzugehen. Ihr Leben in lebendiger Ausrichtung auf die kosmischen Höhen des Geistes (Vertikal) erleidet eine gewisse „Erstarrung“, die vor allem darin sichtbar wird, dass sie ähnlich wie ihr katholischer Gegner in strukturelle Tradition619 übergeht. So vollzieht sich ein Wechsel von der geistlichen Vertikalisierung des Glaubens zu einer administrativen Vertikalisierung der kirchlichen Interessen, die an das konstantinische Zeitalter im 4. Jahrhundert erinnert.
Das „Erkalten“ des ursprünglichen „Feuers des Heiligen Geistes“ veräußert sich in dem zunehmenden Ausbleiben der Praxis der Glossolalie, mit anderen Worten lässt die für die Selbsterhaltung der religiösen Gemeinschaft notwendige Kommunikation stetig nach. Die gegenwärtige
Praxis der AdD bewies eindeutig die geringe Anzahl der Mitglieder, die regelmäßig in Zungen
reden.
Dieses Ausbleiben des sog. objektiven Beweises des subjektiven Geisterlebnisses, die die charakteristische Andersheit (Merkmal der Absonderung) zum Ausdruck bringt, verursachte das indivi-
Prien wählt den Ausdruck der „Verbürgerlichung“, ders., Geschichte des Christentums in Lateinamerika, S. 871; das von Weber geprägte Verständnis der „Protestantischen Ethik“ steht nicht am Ende der historischen Entwicklung des Rationalisierungsprozesses der AdD im lateinamerikanischen Kontext. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dieser Aspekt aufgenommen.
619 Nach Berger wird dieses Phänomen mit dem Begriff der Sedimentierung umschrieben.
618
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duelle Interesse der Gläubigen nach neuen religiösen Formen, die diesen Mangel ausgleichen
könnten.
Die Schwächung des eigenen Fundamentes im Geist öffnete die Türen für äußere Einflüsse. Die
bis dato geringe selbständige Reflexion von Seiten der AdD versagte es ihren Mitgliedern, die
Gefahr der aufkommenden theologischen Strömungen zu erkennen. Die theologischen Lehren innerhalb des Neopentekostalismus übten frei ihren Einfluss in einem kontextuellen Moment in Peru, wo ein Großteil der (religiösen) Gesellschaft nach neuer Orientierung suchten. Das charismatische Angebot der neuen „Theologien“ aus Nordamerika versprach in seiner attraktiven Gestalt
der „Wohlstandstheologie“ die Verbesserung der ökonomischen Lage der „wahren“ Gläubigen.
Die Verbindung zwischen „Geist und Geld“ wirkte der Rationalisierung entgegen und leistetet
eine Mystifizierung/ Spiritualisierung (Bastían) der horizontalen Lebenswelt der Menschen.
Während die AdD in Peru seit ihrer Gründung unter dem „objektiven Geist“ des amerikanischen
Fundamentalismus stand, zeigt sich in der Gegenwart ein erneut nordamerikanischer Einfluss,
diesmal in der Gestalt des „subjektiven Geistes“, der die „Protestantische Ethik“ vergeistlicht.
Das puritanische Ideal einer Gesinnungsethik in sozialer gesellschaftlicher Dimension zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage aus individuellem Interesse (Weber) wird durch eine Dämonisierung der Welt ausgetauscht. Während am Ende des Rationalisierungsprozesses die „Protestantische Ethik“ ihre religiösen Wurzeln verliert und im „Geist des Kapitalismus“ endet, mündet
die Spiritualisierung des menschlichen Lebensethos in der „Vergöttlichung“ der mächtigen
menschlichen Herrschaft.
Die Gründe für den Erfolg der neopentelkostalischen Ideologie sind in der kulturellen Prägung
der vorchristlichen Religiosität (vgl. 1.2) der andinischen Bevölkerung, in der kontextuellen
postmodernen Situation Perus zu Beginn des 21. Jahrhunderts und nicht zuletzt in der deutlich
gewordenen Umbruchsituation der AdD selbst zu suchen.
Die Erkenntnis sich der Welt zu öffnen, das negative Weltkonzept gegen ein soziales Verantwortungsbewusstsein für die sozialen Bedürfnisse der Gesellschaft einzutauschen, wendet sich gegen
die fundamentalistischen Inhalte des dispensationalistischen Prämillenarismus.
Diese Erkenntnis, die sich in der Südregion Perus in den Reihen der AdD am Anfang der Entwicklung befindet, steht nun in der Gefahr, dem manipulierenden Einfluss des „subjektiven Geistes“ zum Opfer zu fallen.
So lässt sich die kirchliche Realität der AdD in Südperu als eine Wirklichkeit zwischen einem
doppelten Einfluss der Vereinigten Staaten umschreiben. Ihre Mitglieder bewegen sich zwischen
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fundamentalistischer konservativ-traditioneller und „postmoderner“ neopentekostalischer Religiosität.
Die klassisch pfingstliche Attraktivität der Erlösungslehre (eschatologischer Dimension), durch
die wirkliche Begegnung mit dem Geist Gottes in der Glossolalie, hat abgenommen. Dem schöpferische Potential der den Pfingstlern wesenhaften kultischen Geist-gemeinschaft zeigt sich somit
in mangelnder Authentizität. Der creatio espiritu scheint „nur“ in kollektivem Gemeinschaftserlebnis der gottesdienstlichen Praxis erfahren zu werden. Fundamentalistische bzw. neopentekostalische Lehre sucht die mangelnde individuelle Geistpraxis, das ursprüngliche Fundament der
Pfingstbewegung, zu ersetzen.
Der „individualisierte Kollektivismus“, fundamentalisiert bzw. spiritualisiert, (Weber-Durkheim),
führt auf diese Weise zu einer gewissen Gefährdung der Pentekostalität der AdD.
Die Frage die sich als zukunftsweisend für die AdD ergibt, ist die Frage, ob sie in der Lage sein
werden, ihre momentane Übergangsphase zu Gunsten einer selbständigen Reflexion ihrer Existenz zu nutzen, oder ein zweites Mal im Laufe ihrer Geschichte der nordamerikanischen Abhängigkeit zum Opfer fallen.
Das dialektische Verhältnis zwischen individuellem Inhalt und kollektiver Form (Berger), das Erleben der Pentekostalität im Geist und die theologische Reflexion OHNE die eigene Identität und
gesellschaftliche Rolle aufzugeben, sollte in dieser existenziellen Dimension Orientierung sein.
Dies leitet über zur Frage nach der sozial-gesellschaftlichen Funktion der AdD, um die es im
Folgenden gehen wird.
5.4.3.1 Die AdD – ein religiöser fundamentalistisch orientierter Dissident mit politischgesellschaftlichem Potential?
„Im Fall von Peru sind die Pfingstler Hilfsreligionen (religiones subsidiarias) im Status der Produktion eines abhängigen Kapitalismus und sie zeigen sich in einer höheren Position bzgl. der religiösen Hegemonie von Seiten des Römischen Katholizismus
und des historischen Protestantismus. […], sie sind zum Protest und zur Bestätigung
einer universalen Utopie aufgerufen.“620
Zu diesem (vorläufigen) Ergebnis kommt der peruanischen Theologie Campos, in dem er von der
Hypothese ausgeht, dass das politische Engagement und die ekklesiologische Struktur in einem
wechselseitigen Einfluss stehen. Seiner These folgend definiert er aus soziologischer Perspektive
620
Campos, Reforma, S. 54f.
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die Pfingstbewegung als einen „religiösen Dissidenten“ und den Protestantismus als eine „Kirche“.
Während religiöse Dissidenten subversive Ziele verfolgen, ordnet sich die kirchliche Gemeinschaft integrativ in die bestehende gesellschaftlich-kulturelle Situation ein.
Im vorherigen Kapitel wurde sowohl der fundamentalistische als auch der charismatischneopentekostalische Einfluss auf die AdD in Peru deutlich. Der konformistische Charakter, der
sich in der Beziehung der charismatisch-neopentekostalischen Bewegung mit der Welt und Gesellschaft zeigt, steht dem dispensationalistischen Weltverständnis des Fundamentalismus diametral gegenüber.
Diese transkontextuelle Fähigkeit der Strömung des Fundamentalismus verleiht ihm nach Lehmanns Untersuchungen den Titel des „Trägers der Moderne“621 in dem Zeitalter von Globalisierung und Postmoderne. Der Fundamentalismus überschreitet Grenzen zu Gunsten der Erschaffung eines eigenen Lebensethos. Aus dieser Perspektive kann zunächst erkannt werden, dass sich
die AdD auf gesellschaftlich-politischer Ebene zwischen politischem Konformismus und Dissidenz bewegt.
So fanden sich in ihrer Realität sowohl die fundamentalistische Ausrichtung in Lehre und Leben,
als auch die neopfingstlichen „Theologien“, die eine spirituelle manipulierende Annäherung an
den gesellschaftlichen Ethos hervorrufen.
Da es sich in der Realität der AdD um eine „Auslandsideologie“ handelt, d.h. der Fundamentalismus kam von außen in ihren peruanisch-religiösen Kontext, kann zunächst nur bedingt von der
Funktion als „Träger der Moderne“ gesprochen werden.
Die Annahme äußerer kirchlicher Strukturen markiert lediglich den ersten Schritt der sog. Kontextualisierung (Nationalisierung/ Peruanisierung). Die damit verbundene religiöse Ideologie
muss sich erst im Zuge eines längeren gesellschaftlichen Prozesses (Generationswechsel) einstellen, der mit einer kontextuell assimilierten Reflexion verbunden sein muss.
Die äußere Annahme internationaler Strukturen braucht eine theoretisch-kontextuelle Aufarbeitung, um sie in dem neuen Kontext lebbar zu machen.
Mit Blick auf die Situation der AdD wird genau dieser Prozess erkannt, in dem ihre Übergangssituation, die sich durch die Öffnung zur Welt kennzeichnet, nach eigenen Theorien und Modellen
verlangt, die den nordamerikanischen Fundamentalismus für sich neu bedenken. Auf diese Weise
können sie ein neues Fundament schaffen, Geist und Kontext, Pentekostalität und Pentekostalismus, zu leben.
621
Lehmann, Fundamentalism and globalism, S. 630.
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Dieser neue kontextuelle Fundamentalismus läuft nicht Gefahr, der charismatisch konformistischen Bewegung zu verfallen, sondern ist in der Lage, seine Aufgabe als religiöser Dissident,
nämlich seine anti-hegemoniale Funktion, zu erfüllen.
Die beobachtete „Erstarrung“, die Traditionalisierung in den Reihen der Pfingstler, beruht also
auf dem nordamerikanischen Einfluss zur Zeit ihrer Gründung und der mangelnden Selbstreflexion der AdD im Laufe der Jahre.
Ihre Krise im Kern ihrer Bewegung, sichtbar im Mangel der Glossolalie, kann als Aufforderung
zur eigenständigen Reflexion verstanden werden und als Zeichen der spirituellen Situation in
Kult und Leben der AdD gelten.
Zur Beantwortung der Frage, die im Titel dieses Abschnitts deutlich wurde, ist bei den AdD sicherlich (noch) von einem religiösen Dissidenten zu sprechen, der aber in zunehmender Gefahr
einer spirituellen Horizontalisierung steht, die ihn in die Nähe konformistischer Tendenzen mit
der Gesellschaft stellt.
Deutlich wird, dass diese Beschreibung sich auf der religiös-individuellen Ebene abspielt („individualisierter Kollektivismus“). Die religiöse Dissidenz und wie sie bei den AdD im Süden Perus
zu beobachten ist, ist weit entfernt davon, eine gesellschaftlich-politische Reformbewegung zu
sein. Im Vordergrund steht das Einzelerlebnis im Kult, in der kultischen Feier als geistliche „Auftankstation“ für den Alltag. Die Frage, ob und inwieweit sich dieser individuelle Schwerpunkt in
Spiritualität und Ethik ausweiten kann, impliziert genau die Frage nach ihrem Potential einer global-gesellschaftlichen Reform.622
Zur Verdeutlichung soll das folgende Beispiel aus dem Bereich des moralischen Rigorismus dienen:
So gilt Alkoholgenuss in den Reihen der AdD als eine schwere Sünde, die die Versuchung des
Teufels verkörpert. Wer sich dem Alkohol hingibt, die/ der befindet sich auf dem weltlichen
Weg, dessen Ziel die Hölle ist.
Die Öffnung der AdD zur Welt und somit auch zu ihren Genussgütern jeglicher Art fordert eine
Neupositionierung dieser subjektiv radikalen Einstellung.
Erst mit einer gesellschaftlich kommunizierbaren Meinung über den Alkoholgenuss kann reformatorischer Einfluss auf die Gesellschaft genommen werden, d.h. einen Grundlage eines Dialogs
zwischen Religion und Gesellschaft schaffen, der sich der Verantwortung in und für die gesellschaftlichen Probleme (in diesem Fall dem Alkoholismus) stellt.
622
Zu diesem Thema vgl. Lehmann, „Was trennt die katholische Charismatische Erneuerung von den Pfingstkirchen?“, vor allem
S. 375.
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Die kritische Bewertung dieser Fragestellung wird uns im letzten Kapitel dieser Ausarbeitungen
interessieren. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass die AdD sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor allem ihrer Selbstreflexion widmen sollte, um ihre noch bestehende, aber gefährdete,
Funktion als religiöser Dissident zu bewahren, um auf diese Weise ihren Anhängern keine „Luftschlösser“ leerer Utopien des „subjektiven Geistes“ zu vermitteln, sondern den Geist der Pentekostalität dem 21. Jahrhundert angemessen, zu erneuern.
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Teil IV: Kritische Reflexion
6. Theologische Reflexion
6.1 Zwischen „objektivem“ und „subjektivem“ Geist – ein kritisches Resümee
Die Übergangssituation der Pfingstkirche der AdD zeigte sich in dem spannungsreichen Einfluss
des
US-amerikanischem
Fundamentalismus
und
der
postmodernen
charismatisch-
neopfingstlichen Bewegung. Während der fundamentalistische Einfluss die AdD seit ihrer Gründung vertikal auf das Transzendente ausrichtete, wirken die neopfingstlichen Ideologien in der
Gegenwart auf horizontaler Ebene in der Diesseitigkeit dieser Welt. Neben der Anbetung des
Göttlich-Transzendenten in den Sphären von Meditation und Kontemplation über den Zweideutigkeiten623 der irdischen Welt, steht die Manipulation in geistlich-spiritueller Rüstung gegen die
bösen Geister und Dämonen.
Der den klassischen Pfingstlern zu Beginn ihrer Existenz ursprüngliche, aktive Erlösungsweg im
Geist, hielt (noch) an der Gnade und dem heiligen Wort Gottes fest. Der gläubige vom Geist ergriffenen Pfingstler strebte nach der unio mistica, d.h. ohne das göttliche Gnadenwerk ignorieren
zu wollen folgte er in Treue und ehrfürchtiger Haltung der Bibel, dem inspirierten Wort Gottes.
Dieses individuell-persönliche Streben nach dem göttlichen Reich des homo cultualis führte zu
einer partiellen (Über-)betonung des menschlich-individuellen Verhaltens, beeinflusst durch das
tendenzielle Verständnis Gottes als „Moralprediger“. In Konsequenz führte dies zur Ausbildung
einer moralisierenden Individualethik innerhalb der Geistgemeinschaft. Diese impliziert die Individualisierung der Sünde, die sich vor allem in der moralisch verwerflichen Einzeltat des Menschen offenbarte.
Der Geist, die Wiedergeburt im Geist bzw. die Geisttaufe öffnete den Menschen die Möglichkeit
eines neuen Lebens erfüllt von Hoffnung und Zuversicht. Der Geist Gottes ergriff die Menschen
im wahrsten Sinne des Wortes und versetzte sie in einen neuen, besseren Lebensethos.
Der Kreis der vom Geist ergriffenen Individuen bildete so dann das Kollektiv der Geistgemeinschaft und gründete sich ausschließlich auf das charismatisch-subjektive Geisterlebnis. Der einzig
geltende, objektive Beweis des subjektiven Erlebnisses in der Gestalt der Zungenrede überlastete
die geistliche Grundlage und führte unter dem fundamentalistischen Einfluss zu einer mangelnden theologisch-christlichen Lehre.
623
Vgl. zum Thema der Zweideutigkeiten Tillich, Systematik III, S. 55-63.104ff.120ff.307-323.
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Ulrike Sallandt
Die neopfingstlichen Strömungen modifizieren den kontemplativen Erlösungsweg des homo cultualis zu einem aktiven, menschlichen Kampf -im Status des bereits gegenwärtigen Heils-, das
durch die bösen Mächte dieser Welt okkulte Heil zu seiner sichtbaren Vollendung zu führen.
Die moralisierende Individualethik, unter Wirken des „objektiv-vertikalen“ Geistes fundamentalistisch verankert, zeigt in der Pfingstkirche der AdD die Tendenz zu einer horizontalen „Kollektivethik“. Inhaltliches Ziel dieses Kollektivs ist weniger der mangelnden theologischen Lehre
und dem damit verbundenen mangelnden Sozialbewusstsein positiv entgegen zu wirken, sondern
im Zuge der Globalisierung und Postmodernität624 einen spiritualisierten625 Machtkampf gegen
die Geister und Dämonen zu führen.
Der klassische, pfingstliche individuelle Egoismus weicht einem postmodernen, neopfingstlichen
kollektiven Egozentrismus626. Der pfingstlichen Nationalisierung, d.h. Abgrenzung der Heiligen
Gemeinschaft von der Welt, steht die neopfingstliche Globalisierung, d.h. Öffnung zur Welt, zur
Seite, dessen kritische Aspekte bzgl. der Pfingsttheologie der AdD im Folgenden behandelt werden sollen.
In einem ersten Schritt wenden wir uns der Theologie des „objektiven“ Geistes an, danach wird
der „subjektive“ Geist thematisiert. Den Schluss bildet der Versuch, beide Einflussfaktoren bzgl.
der AdD in Beziehung zu setzen.
6.1.1 Theologie des „objektiven“ Geist
Unter der Theologie des „objektiven“ Geistes627 verstehen wir im Folgenden die unter fundamentalistischem Einfluss stehende Geisttheologie der Pfingstler (AdD). Ihr prämillenaristischer Dis-
Für den peruanischen Kontext, der –entsprechend dem allgemeinen Konsens- Aufklärung und Moderne nicht selbständig erfahren durfte, ist die Bedeutung der Postmodernität als gesellschaftliche Ablehnung gegen offizielle Vernunft und Ordnung,
d.h. konkret gegen korrupten Staat und Kirche, zu verstehen. Das postmoderne Phänomen kann als eine alternative Lebensform der Gesellschaft erkannt werden, in der jede/ jeder seinen eigenen individuellen Lebensweg gestalten darf. Es entspricht
in diesem schöpferischen Aspekt der pfingstlich-neopfingstlichen Praxis und begünstigt ihre Existenz; vgl. Amat y León, „Un
acercamiento socio-religioso al movimiento carismático evangelico en el Perú“, S. 1ff.; zur Vertiefung des Themas der Postmodernität in Lateinamerika in Beziehung zur evangelischen Kirche vgl. Escobar u.a., Postmodernidad.
625 Spiritualität bedeutet Religiosität, Frömmigkeit. Sie steht im Zusammenhang mit etwas Höherem in Abgrenzung zu den Niederungen, den fleischlichen Genüssen dieser Welt. Die in ihrem Wesen angelegte Abspaltung zeigt sich bei den neopfingstlichen
Tendenzen modifiziert. Sie wird als funktionales Mittel eingesetzt, dass eigentlich zu meidende, nämlich die Welt und ihre materiellen (fleischlichen) Güter heilig zu sprechen und sie somit zu dem „neuen“ sichtbaren Maßstab der Beziehung zwischen
Gott und Mensch zu machen; vgl. Moltmann, Quelle des Lebens, S. 73f.
626„ Auf dieselbe Weise wie der Egoismus und der individuelle Stolz den Mensch in das Zentrum der Welt stellen, auf dieselbe
Weise stellt das Phänomen des Etnozentrismus eine determinierte Gruppe in das Zentrum des Universums und die anderen
Gruppen in die Peripherie“. Auf diese Weise beschreibt der peruanische Anthropologe Tito Paredes die Gefahr des Etnoszentrismus, der sich aus dem, dem Menschen eigentümlichen, Egoismus entwickeln kann, vgl. ders. El Evangelio, S. 117; die Begriffe pointieren die Spannung zwischen egoistisch-pfingstlicher und ethnozentrisch-neopfingstlichem Einfluss der kirchlichen
Realität der AdD.
627 Der Begriff des „objektiven“ Geistes findet sich vor allem in den philosophisch-theologischen Gedanken Hegels wieder; dort
als die Umschreibung des objektiv verifizierbaren Glaubens. Aufgrund dieser Bedeutung bietet er sich für die kritische Be624
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pensationalismus, ihr transhistorisches Geschichtsverständnis sowie die dadurch entstehenden
Überbetonung des Transzendenten führen theologisch zu einer Akzentuierung der Beziehung
zwischen den göttlichen Personen des Geistes und des Vaters. Dies ebnet den Weg für eine Teologia gloriae628 und impliziert eine reduzierte Christologie und Soteriologie, d.h. der Geist dient
als Mittel auf dem kultisch-aktiven Erlösungsweg des Einzelnen, der Transzendenz, dem Göttlichen in der geistlichen Vertiefung näher zu kommen. Jesus Christus, seine erlösende Heilstat tritt
in den Hintergrund, der Heils-Indikativ wird durch den Heils-Imperativ ersetzt, dem der homo
cultualis mit den ihm zu Verfügung stehenden geistlichen Mittel Gehorsam leistet. Sein Verhalten, welches auf der vom Geist inspirierten Heiligen Schrift beruht ist als ein passivkontemplatives zu beschreiben.
Christologisch läuft der „objektive“ Geist Gefahr den Herrn Jesus Christus als eine rein apokalyptisch-eschatologische Vision ohne Bindung zur menschlichen Geschichte umzuwandeln. Die
hier deutlich werdende modalistische Christologie629 führt somit zu der bereits erwähnten theologia gloriae, in der Kreuz und Passion Jesu Christi an Bedeutung verlieren. Die Heilszeit von der
Epiphanie bis zur Parusie des Herrn ist die zentrale Pfingstzeit, in der der Pfingstler, seines Geist
Besitzes gewiss, die gloriae des Herrn mystisch erfährt.
6.1.2 Theologie des „subjektiven“ Geist
Unter der Theologie des „subjektiven“ Geistes verstehen wir im Folgenden die unter neopfingstlichem Einfluss stehende Ideologie der charismatisch-neopfingstlichen Bewegung.
Ihr Postmillenarismus, ihr dämonisierendes Geschichtsverständnis sowie ihr dadurch entstehende
Überbetonung des Immanenten führen zu einer Akzentuierung der Beziehung der göttlichen Personen des Geistes und des Sohnes. Es entsteht eine reduzierte Christologie und Soteriologie, die
sich einer dem Konsumenten entsprechenden Erweiterung ihres Wesens öffnet, um im Zeitalter
von Postmodernität und Globalisierung im Kampf der Dämonen im peruanischen Kontext zu bestehen.
schreibung der Geisttheologie fundamentalistischen Einfluss der AdD an, die ebenfalls einen latenten Absolutheitsanspruch
impliziert.
628 Diesen Begriff der theologia gloriae verwenden wir in Abgrenzung zum Begriff der theologia crucis. Luther prägte diesen Begriff und beabsichtigte damit zum Ausdruck zu bringen, dass Gott „nur“ indirekt wahrgenommen werden kann, auch bzgl. des
Herrn Jesu Christi, denn von ihm gilt: „Die Selbsterschließung Gottes (als Liebe) geschieht verborgen unter dem Gegenteil:
unter Kreuz, Leiden, Schande, Schwachheit, Tod. […] Erst dem Blick in die Tiefe erschließt sich die verborgende Gegenwart
und so die Wirklichkeit Gottes, wie sie exemplarisch in biblischen Texten wie Mk 15, 39; Mt 11, 25-27; 16, 16f.; Lk 24, 1-12
zum Ausdruck kommt“, Härle, Dogmatik, S. 281; ergo impliziert eine theologia gloriae eine zum Scheitern verurteilte Christologie.
629 Die modalistischen Irrwege, die das Christentum seit der Alten Kirche beschäftigen, und im Zusammenhang mit der Entwicklung des trinitarischen Dogmas zu sehen sind, verweisen an dieser Stelle von Seiten der AdD auf eine latente Ignoranz ihm
gegenüber, die in der Praxis durch eine Gefährdung der göttlichen Einheit zum Ausdruck kommt.
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Der Geist dient als Mittel auf dem aktiv-kämpferischen Weg, das Transzendente zu „horizontalisieren“.630
Jesus Christus erscheint in diversen irdisch-menschlichen Gestalten, seine erlösende Heilstat tritt
dabei nicht nur in den Hintergrund, sondern erfährt eine menschliche Neuinterpretation. Erlösung
und materieller Reichtum erscheinen als synonyme Umschreibungen des göttlichen Reiches. Militärische Aufrüstung ersetzt die Gnade Gottes, um das gegenwärtige Heil im Kampf gegen die
Dämonen zu sichten. Jesus Christus erfährt eine Umwandlung zu einer rein irdisch-menschlichen
Gestalt, ohne Bezug zu seiner göttlichen Herkunft und unter Verzerrung seiner ursprünglichen,
historischen Gestalt.
Weder Kreuz, noch Passion, noch beginnenden Heilszeit ist die Bühne dieses Kampfes, sondern
es scheint, als ob das Heil bereist allgegenwärtig ist und der Mensch es nur noch aus den „Klauen
des Bösen“ befreien muss.
6.1.3 Die Beziehungsstruktur zwischen „objektiven“ (1) und „subjektivem“ (2) Geist in
der Pfingstkirche der AdD
Die theologischen Richtungen bewegen sich zwischen futurisch-apokalyptischer Eschatologie
und präsentisch-dämonisierender Eschatologie, die das Heil für vollständig gegenwärtig hält –
allerdings von den bösen Geistern und Dämonen beherrscht.
Die weberianische Askese endet hier nicht in der „Protestantischen Ethik“ zu Gunsten der Verbesserung des ökonomischen Erwerbs, sondern in „Protestantischer, spiritualisierender Dämonologie“ – beide Konsequenzen entfernen sich vom christlich-eigentümlichen Propium.
Während der Geist bei (1) als ein Mittel genutzt wird, sich in den Zustand der Kontemplation zu
versetzen, gerät er bei (2) in die Gefahr, seine göttlich begründete Autonomie in die Hände der
herrschenden Mächte zu verlieren. Die in (1) bereits angelegte Manipulationsgefahr im subjektiven Erlebnis der Zungenrede631, kommt bei (2) vollständig zum Ausdruck.
Der Geist als kultischer Begleiter in der Begegnung mit dem Transzendenten, dem Göttlichen,
wandelt sich zu einer rein militärischen Waffe, die im Prozess, die Welt christianisieren zu wollen, das christliche Propium –den Herrn Jesu Christi- verleugnet.
Weder der leidende Jesus, noch der siegreiche Christus zeigen sich.
Das Problem der immanenten Transzendenz thematisiert Moltmann. Für ihn kann die Transzendenz in jeder Lebenserfahrung
des Menschen entdeckt werden: „Die Erfahrung des Geistes Gottes ist nicht auf die Selbsterfahrung des menschlichen Subjekts beschränkt, sondern ist ein konstitutives Element auch in der Du-Erfahrung in der Gemeinschaftserfahrung und in der
Naturerfahrung“, ders., Der Geist des Lebens, S. 48; Bedingung dieser menschlichen Auszeichnung ist aber notwendigerweise, dass sich der Mensch als Geschöpf Gottes (Ps 104) weiß. Dem an dieser Stelle erwähnten Prozess der „Horizontalisierung“ mangelt es an der Bewahrung der dem Menschen konstitutiven schöpferischen Relativität.
631 Dies zeigt sich auch bei den ritualisierten Vorgängen der Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen.
630
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Es stehen sich kontemplativ-individuell ausgerichtete Pneumatologie im kultischen Kollektiv und
asketisch kollektiv ausgerichtete Pneumatologie in „immanenter Transzendenz“ (Moltmann) gegenüber.
Während der kontemplativ-kultische Schwerpunkt bereits eine Überbetonung der dritten Person
der Trinität innehat, zeigt sich die Pneumatologie bei (2) bibelfern und in Distanz zur christlichprotestantischer Tradition als ein ideologisches Konzept, dem Menschen die Theodizee zu erklären.
Der Geist ist rein immanent, denn seine Herkunft und sein Werk werden geleugnet. Sein Zeugnis
ist nicht Grundlage, sondern Zielobjekt dieses manipulierenden, utopischen Weltverständnisses.
Die im fundamentalistischen Einfluss der AdD angelegte einseitige Betonung des Geistes, der
Geistgaben und das damit implizite begrenzte Geistverständnis632 ist dem Zeitgeist der Menschen
zum Opfer gefallen, der den Geist Gottes und sein Werk zu seinem eigenen irdischen Vorteil instrumentalisiert.
Die kontemplative Geistgemeinschaft hat durch ihr mangelndes Geistverständnis, das ganzheitlich ausgerichtete Werk des Geistes Gottes auf die charismatischen Geistgaben reduziert. Dieses
geistlich reduzierte Verständnis begünstigte die Manipulationsgefahr, denn ihr mangelt es an reflektierten, normativen Maßstäben, wie die Öffnung zur Welt, d.h. zu ihrem kontextuellen Lebensethos im Geist Jesu Christi auszusehen hat.
Ihr mangelnder Bezug zur Geschichte und Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart forcierte die a-soziale Erscheinung und betonte ausschließlich die personal-vertikale Ausrichtung auf
das Transzendente.
Kontemplative Individualethik auf der einen Seite, dämonisierende Sozialethik auf der anderen
Seite verkörpern die extremen Pole, zwischen denen die Geistgemeinschaft der AdD sich in der
Gegenwart bewegt.
Sowohl der einseitig transzendierende, als auch der einseitig immanierende Geist entfremdet sich
von Gott-Vater und Sohn-Jesus Christus, bedingt durch die kultisch-nationale bzw. irdischglobale Neuschöpfung der menschlichen Produzenten.
Transzendenz und Immanenz neigen in beiden Fällen dazu, das ganzheitliche Schöpfungswerk
des trinitarischen Gottes aufzuspalten; aber erst bei den Neopfingstlern kommt es zur wirklichen
Auflösung der trinitarischen Natur Gottes, denn „erst“ ihre ideologische Ausrichtung, ihr grundlegendes dämonisierendes Weltverständnis interpretiert die Heilsgeschichte Gottes zu ihrem eigenen menschlichen Vorteil um und vergisst die Grenzen ihrer eigenen Geschöpflichkeit.
632
Zur biblisch-exegetischen Kritik, vgl. Pkt. 6.2.
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Die an dieser Stelle deutlich werdende aktive Einflussnahme des Menschen ist nicht mehr rein
kultisch verankert zum Lob und Preis des Herrn, sondern findet ihre globale Ausdehnung im
Missbrauch der „immanenten Transzendenz“.
Die Rechtfertigung aus Gnade verblasst und lässt die trinitarische Einheit Gottes auseinander treten.
Die Mittlerschaft Jesu Christi zwischen Transzendenz und Immanenz, zwischen dem allmächtigen Gott und dem sündhaften Menschen wird von dem Menschen ersetzt, der kultischkontemplativ (national) bzw. irdisch-asketisch (global) nach der Erlösung strebt bzw. sie in der
Diesseitigkeit sichtbar werden lassen will.
Die pfingstliche Gemeinschaft der AdD, der klassischen Pfingstler, steht in der Gefahr, sich dem
Wort und dem Geist Gottes zu entfremden und das trinitarische Gottesverständnis durch eine
neue (postmoderne) Spiritualisierung, dem hoffnungslosen modernen Konsumenten angepasst,
auszutauschen.
Im Folgenden soll die biblisch-exegetische Geistgrundlage der AdD mit der Absicht untersucht
werden, die Pneumatologie der pfingstlichen Theologie kritisch zu erfassen.
6.2
Zwischen Wort und Geist – biblisch-exegetische Kritik an der pfingstlichen Pneuma-
tologie
Grundlage und Ziel der pfingstlichen Gemeinschaft der AdD ist das Ereignis des Pfingstfestes in
Apg 2. Die pfingstliche Hermeneutik besitzt in dem Pfingstereignis ihre allumfassende Orientierung, um sich von dort aus auf die Gegenwart Gottes in Wort und Geist einzulassen. Das ekstatische Ereignis des Ausgießens des Geistes wird somit zum Dreh- und Angelpunkt der pfingstlichen Pneumatologie633.
Ihre kontextuelle, sowohl literarisch634 als auch historisch, begrenzte Perspektive auf das Pfingstereignis (vgl. 5.3.1) verursacht eine Geisthermeneutik, die das Wesen des christlichen Geistes
seines Ursprunges und seines Zieles beraubt.
An dieser Stelle sei mit Hollenweger darauf hingewiesen, dass die Pfingstler über eine akzentuierte Pneumapraxis verfügen,
dass es aber an der diese Praxis reflektierende Pneumatologie mangelt, Hollenweger, Charismatisch-pfingstliches Christentum, S. 245.
634 Die Pfingstler legen einen deutlichen Schwerpunkt auf Apg 2, 1-13. Damit betonen sie das ekstatische Moment des Pfingstereignisses, vernachlässigen aber die folgende Perikope der Petrusrede, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Pfingsten steht. Petrus verbindet Joelverheißung (Joel 2) „über alles Fleisch“ mit dem Jesus, dem Messias (zitiert Ps 16, 8-11, 110,
1) – vor allem zeigt sich auch die trinitarische Dimension, die bei der Gesamtschau des Kap. 2 deutlich wird: „es bleibt kein
Zweifel, dass es sich um eine trinitarische Perspektive [bei Petrus] handelt“ , vgl. Lopez, El Nuevo Rostro Pentecostal, S. 42;
allgemein S. 39ff.
633
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Die eigentliche Botschaft des Pfingstfestes zielt auf die universale Ausdehnung des Geistes Gottes über irdische Grenzen hinweg. Es handelt sich um eine gemeinsame Erfahrung des universalen Verstehens in bleibender Differenz der kulturellen, ethnischen, gesellschaftlichen Heterogenität des Menschengeschlechts:
„Ohne Auflösung der Vielfalt und Komplexität ihrer Herkunft, ohne Beseitigung ihrer
gegen andere abgegrenzten Äußerungs- und Verstehensformen erfolgt eine unglaubliche Gemeinsamkeit der Erfahrung und des Verstehens. Und diese Differenz zwischen der Erfahrung pluraler Unzulänglichkeiten füreinander und bleibender Fremdheit und Unvertrautheit einerseits und plötzlicher Gemeinsamkeit des Verstehenkönnens andererseits, dies ist das wahre Spektakuläre und Schockierende des Pfingstereignisses!“635.
Die Wurzeln der einseitigen Akzentuierung der Pfingstler liegen in ihrer mangelhaften exegetischen Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes, die ihren charismatischen Motiven unterzuordnen ist. Unter ihrer Absicht, der Kirche eine charismatisch-pfingstliche Grundlage zu schaffen,
ignorieren sie die Komplexität und Ganzheitlichkeit der Schrift, in der „nur“ in der Perichorese
von Wort und Geist das Wort Gottes zu entdecken ist:
„Ohne Geistwirken erstarrt Gottes Wort im Gebrauch der Geschöpfe. Es wird starr,
unlebendig und als Gottes Wort unkenntlich. Es wird missbrauchbar und mit dem
menschlichen Wort verwechselbar. Aber ohne das Wort ist das Wirken des Geistes
von allem möglichen numinosen Macht- und Krafterweisen nicht zu unterscheiden. Es
ist das Wort, das den Heiligen Geist von allen möglichen Geistern, Gespenstern und
Dämonen trennt“636
Apg 2, 1-4, der erste Teil der Pfingstperikope, bildet den Schwerpunkt der Perspektive der AdD.
Hörerlebnis (Audition) (v.2) und Schauerlebnis (Vision) (V.3) werden mittels der theologischen
Deutung (V.4) als das sichtbare Zeichen der Geisttaufe, als Glossolalie, verstanden.
Der Zweite Teil (Apg 2, 5-13) bringt die -in V. 4 bereits „angekündigte- Umdeutung zur Xenolalie637 zum Ausdruck, und verdeutlicht damit die lukanische Redaktion. Diese bleibt in der
pfingstlichen Perspektive der AdD außen vor. Ihr Verständnis des Pfingstereignis bezieht sich auf
die apokalyptisch-dramaturgisch gestaltenden vorlukanischen Verse der Darstellung (V. 14.6a.12-13). Sie betonen das „Pfingstwunder“, d.h. den überraschenden Ausbruch der Glossolalie
Welker, Gottes Geist, S. 217f.
Welker, “Wort und Geist“, S. 263.
637 Bzgl der Gründe, ob es sich um Glossolalie oder Xenolalie handelt vgl. Weiser, Ökumenischer Handkommentar, S. 85; bei der
Glossolalie handelt es sich um ein unverständliches, Interpretation bedürftiges Reden, während es sich bei der Xenolalie um
ein verständliches Reden in fremder Sprache bedeutet.
635
636
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innerhalb der Urgemeinde am Pfingsttag, der als ekstatischer Lobpreis den Anfang der Geisterfahrung in der Kirche markiert.638
Diese Überbetonung des ekstatischen Elements führt zu einem „Missbrauch“ des biblischen Befundes. Die „Pfingsthermeneutik“ begünstigt aufgrund ihres eigenen geistlichen Wesens die willkürliche Verbindung biblischer Texte und Verse. Es scheint, als ob das Pfingstereignis in erster
Linie im Zusammenhang mit dem paulinischen Verständnis der Zungenrede (1 Kor 14) gesehen
wird. Aber auch diese inhaltliche Verbindung zu Paulus zeigt auf exegetischer Ebene eine kontextuelle Ignoranz und eine exegetische Ungenauigkeit. So spricht Paulus zwar eindeutig von der
Glossolalie in der korinthischen Gemeinde, aber die pfingstliche Bezugnahme auf seine Person
als uneingeschränkten Befürworter der Zungenrede verdeutlicht die Unkenntnis bzw. Ignoranz
seiner Charismenlehre639, die eindeutig vor einer klassifizierenden Hierarchie unter den Geistgaben warnt, im Gegenteil zu Gunsten eines kollektiven Miteinanders der Gaben argumentiert:
„Wie ist es denn nun liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen
Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!“ (1 Kor 14, 26).
Der exegetische Befund, dass es sich bei Apg 2, 1-13 in seiner gegenwärtigen Gestalt um ein
Sprach- und Hörwunder handelt, welches Lukas aufgenommen hat und zu seiner theologischen,
universalen Heilsbotschaft für die Welt über die historische Grenze hinaus erweiterte, bleibt unerkannt.
Die eigene Erfahrung des Geistes, die einst in der Glossolalie ihren Ausdruck fand, wirkt noch
immer trotz mangelnder Praxis als gelebte und erfahrbare Wirklichkeit wie ein Schatten über und
in den göttlich-inspirierten biblischen Texten. Die der Zungenrede charakteristische Bedeutung
des Protestes gegen die Erstarrung der Liturgie der offiziellen Kirche zu Gunsten der Lebendigkeit des Geistes und seines Werkes existiert weiterhin.
Anstatt einer theologisch-pneumatologischen Neubesinnung überwiegt (noch) der Blick zurück
zu den Anfängen, d.h. mit anderen Worten verharren die AdD in dem Streben nach dem „traditionell-notwendigen“ Zeichen der Geisterfahrung. Die Zungenrede zeigt sich in der Gefahr dem,
was sie eigentlich zu bekämpfen beabsichtigt, selbst zum Opfer zu fallen, nämlich einer erstarrten, äußerlich erstarrten, traditionellen Liturgie.
Vgl. zu Apg 2, 1-13 Pesch, EKK, S. 97-113; bes. Zusammenfassung S. 107ff.; apokalyptische Theophaniedarstellung war Lukas aus der Sinaitradition bekannt. Es ist davon auszugehen, dass der Text Ex 19 am jüdischen Wochenfest gelesen wurde,
vgl. zu diesem Thema und der Bindung zu frühjüdischer Tradition auch Weiser, Ökumenischer Handkommentar, S. 80ff.
639 Vgl. zum paulinischen Charismenverständnis, Welker, Gottes Geist, S. 226f.:Das dem Geist wesenhafte Sein als Gabe in allen geistlichen Gaben verweist auf das in ihm implizierte Heilsgeschehen in Christus. Dieser Aspekt verweist auf den Zusammenhang von Wort und Geist bzw. auf den trinitarischen Charakter des Geistes Christi, vgl. Moltmann, „Pfingsten und die
Theologie des Lebens“.
638
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Es entsteht die kritische (An-)frage, ob die Zungenrede sich als religiöse Ausdrucksform der Erfahrung640 des Geistes für die Grundlage einer Gemeinschaft als tragfähig erweist?
Sie besitzt sowohl positive als auch negative Aspekte. Mit Blick auf die herausgearbeitete, gegenwärtige Situation der AdD verdeutlicht sich die Gefahr, die sich in der objektivierenden Funktion der Glossolalie verbirgt. Ihr subjektiver, menschlich weder zu erfassender, noch vorauszusagender Inhalt, kann einerseits zwar Schutz vor religiöser Monopolisierung und Homogenisierung
bewirken, aber –und dies umso mehr- impliziert die daraus begünstigte religiöse Pluralität eine
erhöhte Desorientierung und Manipulationsgefahr.641
„Als expressive religiöse Leerform, die in sich unbestimmt und deutungswürdig ist,
pflegt das Zungenreden einen latenten Pluralismus, der erbauende oder zersetzende
Form annehmen kann.[…] Daraus ergibt sich nicht eine pauschale Ablehnung aufgrund von Ängsten vor Fremdheit und Irrationalismus, sondern lediglich eine Infragestellung der Überbetonung der Zungenredens, seiner Hervorhebung unter den
Geistgaben und der Zentrierung auf es als Zeichen der Geistbegabung überhaupt“642.
Die dualistische Tendenz der klassischen Pfingstler in der Gestalt ihres fundamentalistischmanifestierten negativ-dualistischen Weltkonzepts auf der einen Seite, sowie die neopfingstliche
Dämonisierung der Welt auf der anderen Seite haben die potentiellen Gefahren einer Überbetonung des Geistes sichtbar werden lassen. Die alttestamentliche, ganzheitliche Bedeutung des
Geistes Gottes als Lebenskraft und Lebensraum643, die universal-christliche Hoffnung auf die
Auferstehung der Toten im Geist Christi gemäß der Joelverheißung 3, 1-5 ausgegossen über alles
Fleisch, wird in der pfingstlichen Perspektive vernachlässigt.
Die Einheit der Schöpfung Gottes, auf die der Geist und sein Werk hinweist, und ohne diesen
Bezug er zu einer ungebundenen, rein menschlichen Spiritualität644 mutiert, findet in dem trinitarischen Dogma seinen menschlich-notwendigen Ausdruck.
Erfahrung brauchen Vorstellung und Begriffe, oder besser Ausdrucksformen (d.h. nicht nur literarisch); in diesem Sinne sind
unbegriffene Erfahrungen wie ungemachte Erfahrungen. Gegen die neuzeitliche Subjektivierung und Methodisierung des Erfahrungsbegriffs betont Moltmann die Vielfältigkeit von Ausdrucksweisen: „Im Ausdruck liegt die schöpferische Leistung des
Lebens“, ders. Der Geist des Lebens, S. 33; bzgl. der Tragfähigkeit der Zungenrede als religiöse Ausdrucksform eines Kollektivs, stellt sich an dieser Stellt die Frage, ob diese wesenhaft persönliche Erfahrung, die eine exklusiv individuelle Erfahrung
darstellt und somit streng genommen nicht mitteilsam ist, Grundlage einer christlichen Gemeinschaft sein kann, vgl. Moltmann, Der Geist des Lebens, S. 32-44.
641 Vgl. Welker, Gottes Geist, S. 251f.
642 Welker, Gottes Geist, S. 252.
643 Vgl. Moltmann, Der Geist des Lebens, S. 53-56.
644 Die Vergeistlichung der Erlösung, die Spiritualität der Seele, die auf der dualistischen Trennung von Leib und Geist beruht, hat
das Christentum von seinen jüdischen Wurzeln gelöst und den Geist auf die Bedeutung reduziert, den Menschen von seinem
sündigen Leib zu befreien. Das Verständnis der Sünde individualisierte sich zum Verständnis fleischlicher Gelüste. Spiritualität
entwickelte sich zusehends zu eine Selbsttranszendenz, die Gottes Erkenntnis in der Selbsterkenntnis suchte; vgl. Moltmann,
Quelle des Lebens, S. 77f.
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Die Trinität Gottes645 impliziert die Herkunft und die Rückkehr/ das Ziel des Heiligen Geistes,
welches dem Menschen „nur“ christologisch in Kreuz und Auferstehung des Herrn, d.h. in der
vermittelten irdisch-göttlichen Beziehung, verständlich werden kann. Das Kreuz Jesu und seine
Auferstehung vereinen den Geist Gottes und den Geist des Menschen zu dem allumfassenden
Geist Christi, der auf diese Weise unweigerlich zum Geist der Gemeinschaft wird.
Der Geist der AdD scheint durch die transzendierenden und immanierenden menschlichspirituellen Einflüsse der Gegenwart auf die schöpferischen Einheit Gottes gefährdet zu sein, die
trinitarischen Existenzweisen Gottes zu hierarchisieren und auf diese Weise zu instrumentalisieren. Dieser menschliche Eingriff gleicht einer Vergöttlichung des Menschen, der sich seiner Geschöpflichkeit, seiner menschlichen Relativität nicht (mehr) bewusst ist.
Individuelle, kontemplative, klassisch-pfingstliche Vergöttlichung sowie kollektive, asketische,
moderne-neopfingstliche Dämonisierung sind in der Gegenwart der AdD ein Zeichen, die Trinität
Gottes in Kreuz und Auferstehung aus pfingstlicher Perspektive neu zu bedenken.646 Die einst erlebte und erfahrene Vitalität des Geistes braucht mehr als vergangene, in der Gegenwart nicht
mehr gelebte Erfahrung; sie brauchte eine Pneumatologie, die auf der Grundlage der Beziehung
von Geist und Trinität, d.h. einer trinitarischen Pneumatologie, Geist und Wort, Geist und Zeitgeist neu in Beziehung zu einander setzt. Auf diese Weise kann sich in der kirchlichen Gemeinde
eine wirklich sichtbare Geistgemeinschaft, der Leib Christi, verwirklichen.
Im Folgenden wird abschließend als eine Art Ausblick die trinitarische Geistgemeinschaft behandelt. Im Mittelpunkt stehen dabei die ökumenische Fähigkeit der Pfingstler und das trinitarische
Modell als Korrektiv zu Gunsten eines menschlichen Miteinanders in religiösem Pluralismus zu
Gunsten der christlichen Identität in Einheit und Vielfalt.
6.3
Geistgemeinschaft als trinitarische Gemeinschaft Gottes – eine ökumenisch-
ekklesiologische Perspektive
Die Pfingstbewegung zeigte zur Zeit ihrer Entstehung eine Tendenz gelebter und erfahrbarer
Ökumene. Ethnische und kulturelle Grenzen wurden im Geist Gottes überwunden. Die vom Geist
Ergriffenen bildeten eine interethnische Gebetsgemeinschaft, die sich aufgrund der der menschliVgl. zur Unterscheidung des östlichen und des westlichen Modells, Hollenweger, Charismatisch-pfinsgtliches Christentum, S.
245; nach Moltmann hat die Hierarchisierung des westlichen Modells dazu geführt, dass die Pneumatologie ausschließlich
aus christlicher Perspektive bestimmt wird. Die Realität der Pfingstler, ihr Glaube an die Geistpräsenz, zeigt eine Parallele mit
dem östlichen Modell, welches direkte Geisterfahrung zulässt; Tillich verdeutlicht das Wirken des Geistes Gottes vor- und
nachösterlich auf folgende Weise: „[…] der Geist, der Jesus zum Christus machte, [ist] derselbe Geist […], der die Menschheit
auf die Begegnung mit dem Neuen Sein in ihm vorbereitet hat und beständig weiter vorbereitet“, ders., Systematik III, S. 175;
vgl. allgemein zur Trinitätslehre, Härle, Dogmatik, S. 384-405.
646 „Wahre Kreuzestheologie ist Pfingsttheologie und christliche Pfingsttheologie ist Kreuztheologie“, Moltmann, Quelle des Lebens, S. 25.
645
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chen Welt konstitutiven Zweideutigkeit/ Gebrochenheit im Laufe der Zeit kirchlich organisieren
musste.
Die Kirchenstruktur der AdD in Peru, die, wie wir gesehen haben, aus dem amerikanischen Kontext kam, verkörpert die äußere, sichtbare Gestalt der Geistgemeinschaft, des Leibes Christi, in
der Welt. Die Kirche verkörpert die Existenzweise der gebrochenen, fragmentarischen Geistgemeinschaft, der reinen Essenz des christlichen Glaubens.647
Mit Blick auf die Kirchenstruktur der AdD in Peru kann durch die missionarische, „kontextuelle
Ignoranz“ von Seiten der US-Amerikaner von einer doppelten Gebrochenheit gesprochen werden; wobei zu beachten ist, dass die erste die dem Mensch als Geschöpf Gottes wesensnotwendige darstellt, während die zweite eine vom Menschen verursachte Tat impliziert.
In diesem Abschnitt soll keine ausführliche, theologische Analyse einer trinitarischen Pneumatologie bzw. Ekklesiologie gegeben werden. Ziel ist es lediglich, auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchung mit Blick auf die Beobachtungen der Pneumatologie und Ekklesiologie der
AdD einen kreativen Ausblick für weitere Untersuchungen in dieser thematischen Richtung zu
geben.
Die reduzierte Pneumatologie und das dadurch reduzierte Verständnis der gesellschaftlichsozialethischen Dimension der Kirche, gegründet auf einer modalistischen Christologie, eröffnete
die Möglichkeiten von Missbrauch und Manipulation. Der „Geist der AdD“ modifizierte sich sowohl zum fundamentalistisch-transzendierenden objektiven als auch zum neopfingstlichimmanierenden subjektiven Geist. Die herausgearbeitete, unterschiedliche Akzentuierung des
Geistes und seines Wirkens und die damit zusammenhängende ekklesiologische Erscheinung648
bedingen sich u.a. durch den Kontext und seine Herausforderungen. So ist zunächst die Frage
nach der pfingstlichen Herausforderung649 zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu beantworten.
Nach Meinung der Verfasserin handelt es sich unter der Berücksichtigung der deskriptiven, hermeneutischen und soziologischen Ausführungen bzgl. der Pfingstkirche der AdD in Peru um den
notwendigen Bedarf einer selbständigen, peruanischen Ausbildung einer pneumatologischen, ekDie Geistgemeinschaft, als Leib Christ verstanden, verkörpert die Kirche im essentiellen Sinn, d.h. sie ist die Essenz der religiösen Gemeinschaft: „Die Geistgemeinschaft ist das innere Telos der Kirchen und als solche Quelle für alles, was die Kirche
zur Kirche macht“, Tillich, Systematik III, S. 194; Leben in der Geistgemeinschaft bedeute für Tillich konsequenterweise die
Antizipation am „Ewigen Leben“.
648 Die ekklesiologische Erscheinung, der es an Gemeinschaft mangelt, kann nach Meinung des Systematikers Welker keine gute
Theologie betreiben. „Gute Theologie konzentriert sich auf die Wahrheitsfrage und überprüft diese These im Gespräch“, ders.,
„Wachsen in Gewissheit“, S. 18. Diese Gesprächsbereitschaft verkörpert das ökumenische Element und lässt die Kirche zur
Kirche Jesu Christi werden.
649 Schäfer kommt bzgl. der pfingstlichen Herausforderungen zu dem Ergebnis, dass „nur eine kirchliche Praxis, die das konkrete
Leiden der Menschen unter sozialen und politischen Bedingungen ernst nimmt, kann der Illusion der Pfingstkirchen eine begründete Hoffnung entgegenstellen – eine Hoffnung, die gründet im gemeinschaftlichen und solidarischen Zeugnis des Leibes
Christi, der Kirche, in der Welt und für die Welt“, Schäfer, Fundamentalismus, S. 149f.
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klesiologischen Lehre, die sich zur Aufgabe macht, den trinitarischen Gott in seiner Ganzheitlichkeit, die Schöpfung, Erlösung und Versöhnung650 umfasst, zum Ausdruck zu bringen. Diese
Ganzheitlichkeit muss dem Wesen des trinitarischen Gottes entsprechend die trinitarische Einheit
der göttlichen Personen in der Gemeinschaft des Geistes in der Diesseitigkeit widerspiegeln.651
Es handelt sich nicht um eine uniforme Einheit der christlichen Gemeinschaft, die (wohlmöglich)
göttliche Identität annehmen kann. Es handelt sich um eine kirchliche Geistgemeinschaft, die in
der „Vergemeinschaftung“ (Moltmann)652 im Geist Gottes, durch Liebe und Freiheit bestimmt,
sowohl im einzelnen Menschen sowie im Kollektiv der Gemeinde der trinitarischen Gestalt des
einen Gottes entspricht.
Der Geist, die Ausgießung des Geistes über alles Fleisch bedeutet keine Uniformierung, keine
Auslöschung der Differenzen, sondern ein globales, interethnisches, interreligiöses Miteinander,
konstituiert in dem einen Geist Gottes, der als Geist Christi Mensch und Gott für immer vereint
hat und als Heiliger Geist ewiger Begleiter seiner Schöpfung und seiner Neuschöpfung ist.
Die Geistbewegung, die Geistgemeinschaft, die AdD etc. sollten im Zeitalter des religiösen Pluralismus, der religiösen Desorientierung in einem sozioökonomisch „unstabilen“ Kontext wie Peru ihre kirchlich-christliche Verantwortung von dem trinitarischen Geistverständnis ausgehend
neu bedenken.
Die trinitarische Pneumatologie lässt den Geist Gottes als Bewahrer des Pluralismus verstehen
und erkennt das ihm zugrunde liegende biblische Fundament an, nämlich die „pluralistische Bib-
„Die trinitarische Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist die volle Gemeinschaft des Schöpfers, des Versöhners und des Erlösers mit allen Geschöpfen im Netzwerk aller ihrer Beziehungen“, Moltmann, Der Geist des Lebens, S. 234.
651 „Das Nachdenken über das Verhältnis von Trinität und Kirche muß sowohl der Einzigartigkeit Gottes als auch der Bestimmung
der Welt, die dem dreieinigen Gott selbst entsprechende Wohnung des dreieinigen Gottes zu werden, Rechnung tragen“, Volf,
Trinität und Gemeinschaft, S. 183; Volf entwickelt in seiner ökumenischen Ekklesiologie anhand der Trinitätslehre das „Analogie bildende Moment“ zwischen Kirche und dem dreieinigen Gott. Es handelt sich um eine Analogie/ Entsprechung zwischen
dem geschichtlichen Minimum und dem eschatologischen Maximum, d.h. zwischen Taufe und Eschaton, der Vollendung der
Schöpfung. Auf diese Weise korrigiert er die reduziert-christologische Begründung der Freikirchen (AdD) und betont den soteriologischen Moment des Christusgeschehens. Das Wesen der Trinität impliziert diesen personalen Beziehungscharakter innerhalb der göttlichen Personen und ein komplementäres Verständnis der Person und Relation. Während die Beziehung der
göttlichen Personen eine „perichoretische Personalität“ darstellt, ist der menschlichen Institution der Kirche diese Interiorität
verwehrt. In diesem Prärogativ Gottes liegt die Begründung für die „gebrochene“, fragmentarische Analogie, d.h. es verkörpert
die Grenze der ekklesiologischen, trinitarischen Gemeischaft. „Da aber der Sohn durch den Geist in den Menschen einwohnt,
liegt die Einheit der Kirche in der Interiorität des Geistes und mit dem Geist auch in der Interiorität der anderen göttlichen Personen – in den Christen begründet“, Volf, Trinität und Gemeinschaft, S. 203.
652 Der Begriff der „Vergemeinschaftung“ drückt die gemeinschaftsstiftende Aktivität des Geistes aus, der das Abbild des Ursprungs zum Telos hat. Der Geist des trinitarischen Gottes ist wesensmäßig ein Geist der Gemeinchaft: „Der Geist stellt nicht
nur Gemeinschaft mit sich selbst her, sondern kommt selbst aus seiner Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn, und die
Gemeinschaft, in die er zu den Glaubenden tritt, entspricht seiner Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und ist insofern
eine trinitarische Gemeinschaft“, Moltmann, Der Geist des Lebens, S. 231.
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liothek, die 1500 Jahre religiöser Erfahrung aufgenommen hat und die eine 2000 jährige Wirkungsgeschichte aufweist.“653
Der Geist Gottes ist ein Geist der Freiheit (christologisch) und der Liebe (soziologisch), der
Mensch und Menschheit als eine Einheit in differenzierter Vielfalt erkennt:
„Er [Geist Gottes] zielt nicht auf eine homogene oder homogenisierende, sondern auf
eine differenzierte Einheit des Geschöpflichen, eine differenzierte Einheit des Volkes
Gottes sowie auf eine differenzierte Erkenntnis Gottes. Gerade darin wirkt der Geist
Lebendigkeit und eine Erkenntnis, die der Lebendigkeit Gottes entspricht“654.
Diese Bindung zwischen Individuum und Kollektiv ist die Veräußerung einer wahren Geistgemeinschaft, die sich weder auf die kosmischen Höhen, noch auf die irdischen Tiefen beschränkt,
sondern beiden „Seiten“, dem Transzendenten und dem Immanenten, Beachtung schenkt.
Ökumenische Geistgemeinschaft in diesem Sinne bedeutet die Botschaft des Evangeliums in seiner Ganzheitlichkeit ernst zu nehmen, die neue, im Geist erfahrene Identität in Christus655 in Liebe zu Eigenem und Fremden entsprechend der Gemeinschaft der göttlichen Personen zu leben.
Das trinitarische Modell verkörpert für die Pneumatologie und Ekklesiologie eine Möglichkeit,
der ursprünglichen, pfingstlichen Botschaft ihren ökumenischen Kern im Geist Gottes zurückzugeben und neu zu beleben. Es kann eine theologische Hilfestellung sein, die reduzierte Christologie und Pneumatologie zu Gunsten einer trinitarischen Ekklesiologie zu erneuern, die den Geist
Gottes nicht nur in transzendenter Höhe bzw. immanenter Tiefe erkennt, sondern als Verweis auf
das ganzheitliche Christusgeschehen am Kreuz656 und in der Auferstehung.
Schmidt, „Pluralismus – Dialog – Mission – Wahrheit“, S. 120; vgl. auch Welker, Kirche im Pluralismus, S. 29; vgl. auch Stellungnahme Welkers in einem Interview: „[…] Mir selbst ist die Unterscheidung zwischen einer diffusen Pluralität und einem
strukturierten und geordneten Pluralismus sehr wichtig geworden. Sowohl in unseren säkularen Kulturen als auch in unseren
kirchlichen Umgebungen haben wir Formen des strukturierten pluralen Miteinanders. […]“, Gespräch abgedruckt in Entwurf 1,
2003, S. 9.
654 Welker, Kirche im Pluralismus, S. 28f.; vgl. auch zum Thema des Pluralismus, Schmidt, „Pluralismus – Dialog – Mission –
Wahrheit“, S. 118f.; „Die christliche Differenz wird demnach in einer bestimmten Kultur als ein kontextuell bezogenes Netzwerk und zeitlich situiertes komplexes und flexibles Netzwerk der kleinen und großen Weigerungen, Abweichungen und Alternativen gelebt, immer umrahmt durch die Freude an der Schöpfung Gottes mit all ihrer kulturellen Vielfalt“, Volf, „Christliche
Identität und Differenz“, S. 374.
655„Was durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten zu einer lebendigen Hoffnung neugeboren wurde, war keine „Sekte“.
Das ungewöhnliche Kind, das wie eine „Sekte“ aussah und dennoch nicht wie eine „Sekte“ handelte, war eine christliche Gemeinschaft, die sich auch heute bei der Suche nach der christlichen Identität und Differenz, nach der Eigenart der christlichen
Präsenz in den modernen pluralistischen Gesellschaften, als wegweisend erweisen kann“, a.a.O., S. 368.
656 Dabney verdeutlicht in dem Abschnitt über die “Pneumatologia Crucis” die im Heiligen Geist liegende Kontinuität, die im Christusgeschehen von Kreuz und Auferstehung ihre Begründung findet. Die Geschichte des Geistes liegt in der Geschichte des
Sohnes, ist unabdingbar mit ihr verbunden, ders., „Die Kenosis des Geistes“, S. 109-122; Dröge kommt in seiner Untersuchung über die christologische und pneumatologische Begründung der Kirche bei Moltmann zu dem Ergebnis, dass, „um die
Heiligkeit der Kirche nicht nur als den Kampf um ihre eschatologische Ausrichtung zu verstehen, […] die kreuzestheologischen Erkenntnisse […] sehr viel deutlicher in den Entwurf eingebracht werden und um die Elemente einer pneumatologia
crucis ergänzt werden“, ders., Kirche in der Vielfalt des Geistes, S. 258.
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Die Trinität Gottes zeigt sich hier nicht als ein „verstaubtes“ Dogma, sondern als ein theologisches Modell, die pfingstliche Spiritualität zu einer erneuerten Vitalität einer dynamischen Geistgemeinschaft zu führen.
Sie ermöglicht die Korrektur eines eingeengten Geistverständnisses, welches durch ekstatischeinseitige Frömmigkeit entstanden ist. Die in dieser Pietatis entstandende Pneumopraxis benötigt
eine Pneumatologie an ihrer Seite, mit dem Ziel, das pfingstliche Propium der AdD von seiner
kontextuellen, nordamerikanischen Gestalt zu befreien, um es -orientiert an der der trinitarischen
Natur Gottes- neu zu beleben und auf diese Weise integrale ökumenische Wege in der missionarischen Arbeit657 gehen zu können.
Dieser kurze theologisch-ekklesiologische Ausblick soll auf das geistgewirkte Potential der
Pfingstkirche der AdD hinweisen und unterstreicht die kritische Anfrage Volfs an die Realität der
Pfingstkirchen, mit der ich schließe:
„Wird in den Pfingstkirchen hinter der aktiven Partizipation der Vielen die autoritäre
Präsenz des alles-bestimmenden einen immer stärker? Werden die Mitglieder immer
mehr zu begeisterten Soldaten, die nach dem Willen ihrer geistlichen Generäle marschieren? Sollte dies tatsächlich der Fall sein, dann werden morgen auch sie das neu
lernen müssen, was sie heute noch sehr gut zu wissen meinen, nämlich dass der Geist
Gottes der Geist des ganzen Volkes Gottes ist.“658
Schlussworte
Vgl. zur Vertiefung bzgl. des Themas der Trinität als hermeneutisches Kriterium einer protestantisch-lateinamerikanischen
Theologie, Migúez-Bonino, Rostros del Protestantismo Latinoamericano, S. 105-145; bzgl. der „Integralen Mission“, Padilla,
Mision Integral; bzgl. neuer Paradigmen in der missionswissenschaftlichen Diskussion, Bosch, Misión en transformación, vor
allem Kap. 12: Elemente für ein neues missionswissenschaftlich-ökumenisches Paradigma; bzgl. des biblischen Fundaments
der Mission, Padilla, Bases bíblicas de la misión.
658 Volf, „Neuer Kongregationalismus: eine protestantische Antwort“, S. 237.
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