Kasuistiken – Drogen ( aus „Der Notarzt“ 1 / 2012, S.23 f, von F. Martens ) 1. Fall : - Alarmierung des Notarztes unter Stichwort : „Schwere Verletzung“ an einem Berliner Stadtbahnhof - Patient sei wild gestikulierend und schreiend auf Dachvorsprung gestanden und dann heruntergesprungen - Landung auf dem Dach eines Imbisswagens, Rettung von dort durch Feuerwehr - Zunächst keine Reaktion auf Ansprache, danach verworren geredet - Keine offensichtlichen Verletzungen zu erkennen - Anlegen einer Halskrawatte, Lagerung auf Vakuummatratze - Befund im RTW : Becken und Brustkorb stabil, keine weiteren ersichtl. Frakturen Lungen seitengleich belüftet RR 160/60 mmHg, HR 90/min, SpO2 96% ohne O2 Keine Reaktion auf Ansprache, aber reagiert auf Schmerzreiz mit lautem „Aua“; verbale Äußerungen nicht verständlich Pupillen weit, reagieren seitengleich und konsensuell auf Licht Großlumige Zugänge, Applikation von RLL Transport in nächstes KH mit Neurochirurgie und Unfallchirurgie - Weiteres Vorgehen in der Klinik: Traumaspirale im CT : keine Frakturen oder Weichteilverletzungen mit größeren Blutungen Weiter stabile Vitalfunktionen mit delirantem Zustand Verlegung auf internistische Intensivstation Toxikologisches Screening ergab Nachweis von Lorazepam, Melperon und Gammahydroxybuttersäure (GBH) - Entwicklung auf Intensivstation : Zunehmendes Aufklaren des Patienten in den nächsten 24 Stunden Pat. berichtet von Einnahme von Liquid X und anderen Pillen Psychiatrisches Gespräch ergab keinen Hinweis auf psychiatr. Erkrankung, der Drogenabusus wurde nochmals bestätigt Entlassung des Patienten - Alarmierung am gleichen Tag (gleicher Notarzt) zum Berliner Hauptbahnhof Bauarbeiter fanden bewusstlose Person neben Bauzaun RTW-Besatzung findet bewusstlosen Pat. mit normalen Vitalparametern und Blutzuckerwerten im Normbereich Nach Umlagerung auf Trage folgt ein generalisierter Krampfanfall Nachalarmierung des Notarztes Befund des Notarztes : Tiefe Bewusstlosigkeit weite, träge auf Licht reagierende Pupillen bds. belüftete Lungen mit Sekretrasseln rechts 2. Fall : - keine offensichtlichen Verletzungen - Maßnahmen des Notarztes : Indikation zur Intubation wurde gestellt nicht ohne Induktionsmittel (Propofol) möglich Transport in die nahgelegene Uni-Klinik - Maßnahmen in der Uniklinik : Traumaspirale im CT : keine Verletzung oder größere Blutung feststellbar, Verschattung der rechten Lunge (mögliche Aspiration) Labor : mäßige Laktaterhöhung (nach forcierter Volumengabe rückläufig), toxikologischer Nachweis von Gammahydroxybuttersäure, Ethanol 1,6 g/l Extubation nach 5 Stunden Beatmungsdauer bei guter Lungenfunktion möglich Vorstellung beim Psychiater ergab eine länger bestehende Polytoxikomanie zuletzt wieder Liquid X probiert - Am späten Abend desselben Tages Alarmierung des Notarztes Alarmierungsgrund : bewusstlose Person im U-Bahnhof Bahnhofsarbeiter finden eine auf dem Bahnsteig liegende junge nicht reagierende Frau neben einem Mülleimer Befund bei Eintreffen der Rettungsmannschaft : Knapp 40-jährige Frau bewusstlos am Boden liegend Spuren von Erbrochenem an der Kleidung enge Pupillen bds., niedere AF, Zyanose keine Einstichstellen an typischer Stelle SpO2 76%, (Normalisierung unter 12 l O2/min auf 97%) Venenzugang : BZ 143 g/dl Unter Verdachtsdiagnose einer Opiatintoxikation fraktionierte Gabe von Naloxon 0,4 g; AF-Anstieg, Vigilanz nur wenig besser Bei jetzt stabiler Atmung und stabilen Kreislaufverhätltnissen Transport in die Klinik 2 Stunden nach Auffinden gezielte Abwehrbewegungen auf Schmerzreize, 4 Stunden später wieder wach; Pat. verlangt sofort Polamidon Ergebnis der toxikologischen Untersuchung : Nachweis von Polamidon, Benzodiazepinen, Ethanol und trizyklischen Antidepressiva Weitere Anamnese ergab eine langjährige Drogenkarriere zuletzt Polamidonsubstitution mit zusätzlicher Einnahme von Benzodiazepinen Nach Stimmungslage sowie Antidepressiva zum „Herunterkommen“ Nach psychiatr. Begutachten und dem Verneinen einer Suicidalität wird Patientin auf eigenen Wunsch wieder entlassen 3. Fall : - Diskussion : - In allen 3 Fällen lagen Mischintoxikationen vor - Nur im 3. Fall bestand ein Toxidrom, das eine überwiegende Opiatwirkung nahe legte ( Miosis, Atemdepression, Koma ) - Melperon ( Neuroleptikum ) führt bei alleiniger Anwendung ab und zu einem neurologischen Syndrom, das durch extrapyramidale Bewegungs- und Sprachstörungen gekennzeichnet ist. Bei höherer Dosierung sind auch Koma und ventrikuläre Rhythmusstörungen möglich. Selten : malignes neurolept. Syndrom : Psychiatrisch gefürchteter Notfall mit lebensbedrohlichen Komplikationen Hypothese : Dopaminmangel durch postsynaptische Blockade (D2) und dadurch bedingter Muskelsteife und Muskelzerfall Symptome : Extrapyramidale Symptome wie Akinesie, Rigor, Blickkrämpfe, Trismus Vegetative Entgleisung mit Hyperthermie, Tachykardie, Tachypnoe, Hypo-/Hypertonie Harnverhalt, Harninkontinenz Stupor, Katatonie, Mutismus, Koma Labor : massive CK- und Transaminasenerhöhung, Rhabdomyolyse mit Myoglobinurie, Leukozytose, metabolische Azidose - Polamidon : Typischen Opiatwirkungen : Atemdepression, Miosis, Bradykardie - Gammahydroxybuttersäure und Ethanol : Trübung des Bewusstseins bis zum tiefen Koma - Trizyklische Antidepressiva : anticholinerges Syndrom möglich mit Mydriasis, trockener Haut, Fieber, Harnverhalt, agitiertes Koma, Myoklonien oder generalisierten Krampfanfällen und verschiedenste Herzrhythmusstörungen - Benzodiazepine : narkotisches Syndrom i.d.R. als alleinige Substanz ohne Einfluss auf Kreislauf und Atmung (?)