Beobachtung des Wahlkampfes zum Bundestag 1983 Demokratie kann man am griffigsten im Widerstreit der politischen Parteien während des Wahlkampfes erleben. Deshalb hatten junge Politiker aus Deutschland und Israel schon mehrmals die Gelegenheit erhalten, den Wahlkampf im Partnerland zu beobachten, so bei der Wahl zur Knesset vom 30.4.- 8.5.1977 und bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hamburg vom 22.5. – 5.6.1978. Dies war auch schon vom 1. - 12.5.1983 für die Wahl zum Landtag von Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Am 7.1.1983 schrieb Bundespräsident Dr.Carstens für den 6.März 1983 Neuwahlen zum Bundestag aus. Das BMJFG erteilte am 11.1.1983 dem IJAB den Auftrag für 11 junge Politiker und fünf junge Journalisten aus Israel ein Besuchsprogramm vorzubereiten und durchzuführen. Damit entsprach es einem Vorschlag der israelischen Delegation bei der Sitzung des Gemischten Fachausschusses 1982 in Glottertal für die nächste Bundestagswahl. Die Zielvorstellung der Einladung war, daß sich Vertreter der jungen Generation in den politischen Parteien und junge Journalisten aus Israel ein aktuelles Bild von der gelebten Demokratie in Deutschland machen können. Die Vorbereitungen litten etwas darunter, daß die politischen Parteien den Wahlkampf sehr kurzfristig organisieren mußten und uns deshalb nicht sofort Termine und Orte ihrer Veranstaltungen bekanntgeben konnten. Durch die Klage von vier Bundestagsabgeordneten beim Bundesverfassungsgericht stand der Termin zeitweilig in Frage. Am 16.2.1983 lehnte das Verfassungsgericht die Klage ab, so daß nun der Wahltermin und das IJAB-Programm endgültig feststanden. Die Delegation aus Israel kam am Sonntag vor der Bundestagswahl in München an. Neben den zuerst vereinbarten 11 jungen Politikern und 5 jungen Journalisten waren auf Wunsch des Öffentlichen Rates noch 2 seiner Mitglieder, eines vom Erziehungsministerium und eines von der Stadtverwaltung Haifa mitgekommen. Das BMJFG hatte dem zugestimmt. Die Beobachtung des Wahlkampfes geschah a) durch Teilnahme an Kundgebungen der Parteien Schon am erstenAbend erlebten die Gäste eine – wie sie sagten – perfekt organisierte Großkundgebung in Würzburg mit dem Parteivorsitzenden der CSU Franz-Josef Strauß, die teilweise auch vom Fernsehen übertragen wurde. Dabei schickte der bayerische Ministerpräsident plötzlich seinen persönlichen Referenten vom Podium nach unten. Er solle nachsehen, wer da unten so aufgeregt fuchtelnd in ein Mikrophon spreche. Es war unser Dolmetscher Michael Sternheimer, der nicht nur den Text, sondern auch den rhetorischen Duktus des Redners ins Hebräische transformierte. Nach Kundgebungen mit dem FDP-Spitzenkandidaten Außenminister Genscher am gleichen Tage in Bamberg und Schweinfurt, sowie mit Bundesminister Dr. Norbert Blüm in Oberhausen nahmen sie am vorletzten Abend vor der Wahl an der Abschlußkundgebung der SPD in Essen teil, bei der der Kanzlerkandidat der SPD Dr.Hans Jochen Vogel, Parteivorsitzender und Bundeskanzler a.D. Willy Brandt, Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt und Ministerpräsident Johannes Rau sprachen. Die dort den Rahmen der Veranstaltung bildende Unterhaltungsshow gefiel offensichtlich, veranlaßte die Gäste aber zu der Bemerkung, daß in Israel das Auftreten von Künstlern bei Wahlkundgebungen verboten sei. b) durch Gespräche mit Politikern der verschiedenen Parteien. Nach den Kundgebungen gab es Gelegenehit zu Gesprächen mit Ministerpräsident FranzJosef Strauß, Außenminister Genscher und Arbeitsminister Dr.Norbert Blüm. Frau Annemarie Renger, Vizepräsidentin des Bundestages und Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, unterhielt sich am Abend des Wahltages im Bundestag angeregt mit den Kolle- gen aus Israel über ihre Eindrücke der Woche. Im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, dem Gastgeber der Delegation, begrüßte Frau Irmgard Karwatzki, Parlamentarische Staatssekretärin des Ministeriums, die Gäste, informierte sie über die Arbeit ihres Hauses und unterhielt sich zusammen mit dem Leiter des Referats Internationale Jugendpolitik Herrn Dr. Linkelmann mit ihnen über ihre Eindrücke vom Wahlkampf und über ihre Erwartungen und Erfahrungen im bilateralen Jugendaustausch. Bei einem Empfang im Landtag von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf sprachen sie u.a. mit dem stellvertretenden Landtagspräsidenten Dr.Hans-Ulrich Klose, CDU, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Jugend und politische Bildung, Helmut Hellwig, SPD, und weiteren Mitgliedern des Ausschusses, der im Vorjahr eine Informationsreise durch Israel durchgeführt hatte, unter ihnen auch Heinz-Josef Nüchel, CDU, früher Direktor des IJAB und Mitglied des Gemischten Fachausschusses für den deutsch-israelischen Jugendaustausch. Mit den Grünen führte man ein sehr lebendiges Gespräch beim Besuch im Hessischen Landtag in Wiesbaden. c) Über die Wahlkampforganisation und die Öffentlichkeitsarbeit der Parteien informierten die Pressesprecher der großen Parteien. Bei Besuchen in den Parteizentralen von SPD und CDU erhielten die Gäste eine beeindruckende Darstellung der Planung und Organisation der Kundgebungen, des Einsatzes der Redner und der Transportmittel, Anmietung der Lokale etc. Vom Einfluß des Fernsehens auf die Wähler konnten sich die Israelis bei verschiedenen Gelegenheiten ein Bild machen, besonders bei der Abschlußdiskussion der vier Spitzenkandidaten in der Gemeinschaftssendung von ARD und ZDF am 3.3.1983. Dabei wirkte auf die Gäste besonders stark, wie sehr sich die Kandidaten von den beiden Journalisten moderieren ließen, wie ungeniert letztere mit den politischen Größen umgingen. Dies sei ein überzeugender Beweis für Pressefreiheit und Demokratie. d) Am Wahltag wurde der Wahlvorgang in zwei Wahllokalen in Sankt Augustin beobachtet, wo die Wahlvorstände auf die Fragen der Israelis bereitwillig Antwort gaben. Den spannenden Ausgang der Wahl erlebte man im Bundeshaus. Die Hochrechnungen der Fernsehredaktionen wurden durch das Eintreffen der Ergebnisse aus den Wahlkreisen ergänzt, die auf einer großen Landkarte der Bundesrepublik die Siege der beiden größten Parteien mit verschiedenfarbigen Lämpchen aufleuchten ließen. Die Wahlparties der Parteien in Bonn gaben den Israelis Gelegenheit dort ihre Sympathie mit der Partei, der sie sich politisch näher fühlten, auszudrücken. e) Zusätzliche Hintergrundinformationen zur sozialen und politischen Situation erhielten die jungen Politiker und Journalisten an verschiedenen Stellen der Reise, u.a. in der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeitslosigkeit, im Rathaus von Duisburg über die kommunale Ebene der politischen Gestaltung, usw. Bei einem Gespräch mit dem Hauptausschuß des Landesjugendrings von NRW wurden von beiden Seiten engagierte Stellungnahmen auch zum deutsch-israelischen Verhältnis und seine Belastung durch den Libanonkrieg und dessen Folgen gegeben. Der israelische Botschafter in Bonn, Herr Ben Ari, empfing seine Landsleute in der Botschaft und tauschte mit ihnen Eindrücke und Bewertungen aus. Der Besuch der Alten Synagoge in Essen mit der Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Essen“ beleuchtete das Thema an einem konkreten Handlungsort. Bei einem Kurzbesuch des Parteitagsgeländes in Nürnberg hatte man einen Eindruck vom Größenwahn der damaligen Bauherrn gewinnen können. Bei einem Empfang im Frankfurter Römer am Tag nach der Wahl betonte Bürgermeister Dr.Moog den großen Beitrag jüdischer Kultur und Schaffenskraft in der Geschichte Frankfurts. Angenehme Unterbrechungen unterwegs waren die Besuche der Burg in Nürnberg, der Altstadt von Bamberg und von Köln, des Doms und Gutenbergmuseums in Mainz usw. f) Bei der Auswertung am letzten Abend in Frankfurt zeigten sich die Teilnehmer sehr zufrieden mit den verschiedenen Programmpunkten. Man habe dabei den Aufbau des politischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland gut kennengelernt. Die Teilnahme an den Veranstaltungen sei nur sinnvoll und nützlich gewesen, weil ein ausgezeichneter Dolmetscher alles simultan übersetzt habe. Ein Beispiel von der Auswirkung dieses Programms auf die israelische Öffentlichkeit ist ein ganzseitiger Artikel in der größten Zeitung Israels „Jediot Achronot“ vom 21.3.1983. Unter dem etwas reißerischen Titel „Bier, Würstchen und die Grünen“ berichtet der Verfasser nicht nur von seinen Eindrücken bei den Wahlveranstaltungen der großen Parteien und von den Grünen, denen er den Untertitel gibt „Überraschung und Fragezeichen“. Ausführlich geht er auch auf das Verhältnis der jungen Deutschen zu den Juden ein und widmet dem Jugendaustausch zwischen beiden Ländern einen eigenen Kasten. Ähnliche Einladungen zur Beobachtung von Bundestags-Wahlen ergingen noch öfters, u.a. auch 1987 und 1990, von beiden haben wir als Download Presseberichte angefügt, so die Wahlanalyse, die Herr Dr.W. Dettling, Abteilungsleiter Jugend im Bundesministerium, den Beobachtern aus Israel 1987 am Abend nach der Wahl in Bonn gegeben und dann dem Spiegel zur Verfügung gestellt hat, und auch zwei Artikel einer israelischen Journalistin von der Likudpartei über ihre Eindrücke beim Wahlkampf 1990.