Monster unter der Wasseroberfläche Kommentar Lidové noviny 01.04.2006 Die Affäre bezüglich des Nationalen Sicherheitsamts hat auch gute Seiten Im Jahr 2003 entbrannte ein Streit, der mit dem Ausscheiden von Tomáš Kadlec von der Position des Chefs des Nationalen Sicherheitsamts eskalierte. Kadlec begründete sein Ausscheiden mit „Streitigkeiten mit dem Sicherheits- und Informationsdienst“, und als in den Medien die Information auftauchte, der Sicherheits- und Informationsdienst habe ihn belauscht, waren die Sympathien eher auf Seiten des Belauschten. Nach drei Jahren sieht die Situation anders aus. Damals musste sich auch Stanislav Devátý bei Tomáš Kadlec für seine kritischen Sprüche und Sticheleien entschuldigen. Jetzt fordert er vom Kadlec, dieser solle die Herkunft der zwei Millionen erklären, die aus dem Kreis des flüchtigen Radovan Krejčíř stammen. Verdächtigt wurde auch der Nachfolger von Kadlec, Jan Mareš. Die Polizei hatte seine Gespräche mit einem der Beschuldigten aus der Berka-Affäre aufgezeichnet. Als dann vor ein paar Tagen bekannt wurde, dass der neue Vorsitzende des Tschechischen Telekommunikationsamts Dvořák vom Nationalen Sicherheitsamt nicht überprüft wurde, kamen zwei mögliche, gleich logische Reaktionen in Frage. Die erste Reaktion konnte Empörung sein: Wie kommt es, dass ein Mann in einer solchen Position vom Nationalen Sicherheitsamt nicht überprüft wurde? Die zweite Reaktion konnte gegenteilig ausfallen: Ach so, dann könnte das eigentlich ein aufrichtiger Mensch sein, wenn er mit dem Nationalen Sicherheitsamt nichts zu tun haben wollte. So tief ist das Ansehen einer Behörde gesunken, die im Sicherheitssystem der Republik eine so bedeutende spielen sollte! War das denn nötig? Die ersten Zweifel bezüglich des Vorgehens des Nationalen Sicherheitsamts tauchten bereits vor vier Jahren auf. Damals stellte sich die Mitarbeiterin des Nationalen Sicherheitsamts, Jitka Šmídová, tapfer der Öffentlichkeit, und verwies darauf, dass Sicherheitsüberprüfungen der damalige Chef der Abgeordneten der CSSD Petr Ibl und der stellvertretende Polizeipräsident Václav Jakubík nicht bekommen sollten. Sie hatten Bindungen an hohe Offiziere der Staatssicherheit und Jakubík selbst bekam die Überprüfung erst nach langwierigen Verhandlungen – nachdem ihm wiederholt eine Ausnahme vom Gesetz erteilt worden war. Kadlec hat die Affäre, wie man schön sagt, heile überstanden – bis Ende 2003, als er das Feld räumte und gleichzeitig der Chef des Sicherheits- und Informationsdienstes, Jiří Růžek, aus seinem Amt ausgeschieden ist. Man meinte damals, dass sich hinter den Kulissen ein „Polizeikrieg“ mit Bindungen an die höchsten Stellen abspiele. Und dort standen damals Vladimír Špidla als Prämierminister und Stanislav Gross als Innenminister. Heutzutage ist es offensichtlich, dass die Lauschangriffe berechtigt waren und der Sicherheits- und Informationsdienst nur das tat, was er tun sollte. Er bemühte sich, die Bemühungen wurden jedoch zu keinem Abschluss gebracht, da nichts passierte und da die Chance zur Nachbesserung sich erst eröffnet, nachdem das Geschwür durch den Eingriff eines ganz anderen Skalpells durchtrennt wurde. So dass wir uns fragen, ob das alles nötig war und wieso das so lange gedauert hat. Eine Sache ist paradoxerweise erfreulich: Der Sicherheits- und Informationsdienst ist bei Weitem nicht so allmächtig, wie wir befürchten. An die Öffentlichkeit ist in der unglaublich langen Zeitspanne von vier Jahren nur ein Bruchteil der Informationen durchgesickert, über die der Sicherheits- und Informationsdienst wahrscheinlich verfügt. Nichts passierte – die politische Elite zeigte keine Reaktion auf die Warnungen und in die Medien sickerte nichts durch. Doch die Gottes Mühlen, die langsam, aber stetig mahlen, haben doch ihre Arbeit geleistet. Die Polizei ist tätig und das, was die Polizei tut, ist für die herrschende Partei äußerst unangenehm. Die CSSD hat trotzdem keine Hebel, um die Mühlensteine anzuhalten – und das ist die beste Nachricht, die wir bekommen konnten. Allerdings ist es ein schwacher Grund, um optimistisch zu sein. Für Pessimismus gibt es mehr Gründe. Wie sieht die Perspektive aus? Die derzeitigen Affären sind die Folge zweier Teilaufdeckungen, das heißt die Folge der Fälle Berdych und Krejčíř. Die Fäden des Spinnennetzes führen bis in das Parlament, in die Regierungsämter und zu den Sicherheitsorganen. Kaum jemand zieht in Zweifel, dass Krejčíř und Berdych nur die Spitzen der Eisberge sind. Wie viel solche Krejčířs und Berdychs verstecken sich unter der Oberfläche? Unter der Oberfläche sehen wir einen Schatten eines undefinierbaren Monsters, das durch die Kreuzung der Politik und der organisierten Kriminalität entstand, die wiederum mit unternehmerischen Tätigkeiten und den „so genannten unternehmerischen Tätigkeiten“ zusammenhängt. Das Nationale Sicherheitsamt ist ohne Zweifel eine verfaulte Institution. Der parlamentarische Ausschuss für die Aufsicht über das Nationale Sicherheitsamt wird jetzt Miloš Zeman und Vladimír Špidla auffordern, zu erklären, aus welchem Grunde sie den Bericht des Sicherheits- und Informationsdienstes über den Zustand des Nationalen Sicherheitsamts ignoriert haben. Man kann von ihnen kaum neue Aufdeckungen erwarten. Die Erklärung liegt dabei auf der Hand. Die soziale Demokratie ist im Wesentlichen – auf vielen Ebenen – mit den Exponenten des alten Regimes verbunden. Sie sind mit dem System verwachsen und haben in den Sicherheitsorganen ihre Schutzmechanismen ausgebaut. Machen wir uns keine Illusionen darüber, dass die Lage sich durch den Austausch der Häuptlinge des Nationalen Sicherheitsamts ändert. Auch eine dramatische Verschiebung in der politischen Szene in Folge der Wahlergebnisse wird nicht viel bewirken, schon aus dem Grunde, dass dieser Prozess bereits nach dem Umsturz, ja gar während des Umsturzes und davor begann und dieses „Monster unter der Wasseroberfläche“ höchstwahrscheinlich auch eine andersfarbige Regierung überdauern wird. Eine schrittweise Besserung wird nur die Errichtung von gegenseitig genau gegeneinander aufgestellten und politisch nicht beeinflussbaren Kontrollmechanismen bringen, die die Manipulation einschränken oder gar verhindern. Zu diesen Bemühungen fehlt aber der politische Willen. Bislang befinden wir uns in der Phase eines allgemeinen Getümmels. Die Polizei ist tätig, und das, was sie tut, ist der herrschenden Partei äußerst unangenehm. Die CSSD hat aber trotzdem keine Hebel, um die Gottes Mühlen anhalten zu können – und das ist die beste Nachricht.