Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern Interessen und Parteien Verschiedene politische Richtungen 1. Politische Ziele und Interessen 1 2. Politische Institutionen 7 1. Politische Ziele und Interessen Aus unterschiedlichen Lebenssituationen gehen unterschiedliche politische Interessen und Ziele hervor. º º Daraus haben sich während der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft verschiedene politische Grundrichtungen entwickelt. – Im Folgenden werden sie als »konservativ«, »liberal« und »sozial« zusammengefasst, – später kam eine neue politische Richtung hinzu, die hier als »ökologisch« bezeichnet wird. Hinweis: Die politischen Grundrichtungen werden stark vereinfachend dargestellt, um die grundlegenden Unterschiede deutlich zu machen. 14.05.2016 Seite 1 Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern Konservativ Liberal Sozial [lat. conservare »bewahren«], [lat. liberalis »die Freiheit betreffend«] [lat. socius »gemeinsam«] - am Bestehenden hängen, am Alt-Hergebrachten festhalten Ursprünglich: Gegenposition zum Liberalismus, - Verteidigung der alten, ständischen Ordnung und der Monarchie. Seit Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft, - Verteidigung der bestehenden Ordnung, z.T. Befürwortung konstitutioneller Monarchie. - Betonung von Tradition, - Religion und - althergebrachten Werten. - Gegen Monarchie, Absolutismus und ständische Gesellschaft. Ursprüngliche politische Ziele des Liberalismus: - Konstitutionelle Verfassung - Bürger- und Menschenrechte - bürgerliche Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts waren alle diese Ziele erreicht. - Seitdem verteidigen die Vertreter des Liberalismus die erkämpfte politische Ordnung. - Gegen Liberalismus und Konservativismus. - Gegen Monarchie und Kapitalismus (vor allem gegen die Ausbeutung der Arbeiter). - Gegen das Vorherrschen von Eigeninteresse und Gewinnmaximierung. Ursprüngliche Forderungen: - Aufhebung des Privateigentums, - Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, - Verbesserung der Arbeitsbedingungen, - Hilfe für die sozial Benachteiligten, - Sozialreformen. 14.05.2016 Seite 2 Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern Interessen Interessen Interessen Anfangs Adlige und Großgrundbesitzer Bürgertum, Unternehmer, Finanziers Arbeiter, später auch kleine Angestellte - fürchteten um ihre Privilegien Zentrale Forderungen: - freies Spiel der Kräfte des Marktes, Später Handwerker, Bauern, Händler - Verlierer der Industrialisierung. - Ausschöpfung der individuellen Fähigkeiten des Einzelnen. Zentrale Forderungen: - Solidarität und gegenseitige Unterstützung im Kampf für bessere Lebensbedingungen Zentrale Forderungen: - Besitzstandswahrung Politische Ziele: - Zusammenarbeit u.a. mit Gewerkschaften. Politische Ziele: Politische Ziele: - Bewahren traditioneller Werte und gesellschaftlicher Strukturen. - Wohlstand für einen großen Teil der Gesellschaft. - Gemeinwohl vor Eigeninteresse. - Förderung des Mittelstandes - individuelle Freiheit u. Eigenverantwortung - Soziale Gerechtigkeit Wähler heute: - Mittelschicht aus eher ländlichen Regionen Wähler heute: - Oberschicht, obere Mittelschicht - Handwerker, Bauern, mittlere Angestellte - Unternehmer, höhere Angestellte, Selbstständige - eher ältere Männer - Jüngere, Gutverdienende 14.05.2016 - Sozialversicherung, Sozialstaat. Wähler heute: - Mittelschicht, untere Mittelschicht - Arbeiter, Angestellte aus großen Städten - größerer Anteil Frauen und ältere Arbeitnehmer Seite 3 Sozialpolitik Werte Dr. Christine Morgenstern Werte Werte - christliche Werte - individuelle Freiheit - Solidarität - Familie, traditionelle Rollenbilder - Verteidigung der Bürgerund Menschenrechte (Bürgerrechtsliberalismus) - Sozialer Ausgleich - Freie Marktwirtschaft (Wirtschaftsliberalismus) - Gleichberechtigung - Einheit von Volk, Nation - Sicherheit und Ordnung - Soziale Marktwirtschaft - Gesellschaftliche Teilhabe und Wohlstand für alle - Soziale Marktwirtschaft Positionen Positionen Positionen Staat hat die Aufgabe Vorrang: Wirtschaftsförderung Der Staat hat die Aufgabe - für die Verteidigung der gesellschaftlichen Ordnung und - für die Einhaltung der Regeln auf dem freien Markt zu sorgen. Sozialstaat soll nur das Notwendigste absichern. - Zuerst sollen Familie und Freunde helfen (Subsidiaritätsprinzip). Eingriffe des Staates sind zu vermeiden - sowohl in den Markt - wie auch in die Privatsphäre der Bürger. Soziale Absicherung soll privat erfolgen. - Jeder Einzelne soll und muss für sich selbst sorgen (Eigenverantwortung). 14.05.2016 - für gleiche Chancen und - sozialen Frieden zu sorgen. Der Staat greift in den Markt ein, - um die wirtschaftlich Schwächeren zu schützen Sozialstaat soll die soziale Absicherung - der abhängig Beschäftigten und ihrer Familien gewährleisten (Solidaritätsprinzip). Seite 4 Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern ökologisch [griechisch oikos »Haus« und lógos »Lehre«] Kritik an der Industriegesellschaft: - Umweltverschmutzung, soziale Ungleichheit, Benachteiligung von Frauen und Einwanderern, Rüstungspolitik Entstanden aus sozialen Bewegungen der 1970er Jahre - Anti-Atomkraft-, Alternativ-, Frauen- und Friedensbewegung u.a. Ursprüngliches Ziel: - Ökologisch und sozial nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Wähler heute: - Mittelschicht, obere Mittelschicht - Gutausgebildete - eher Frauen und Jüngere Werte - Nachhaltigkeit (soziale und ökologische Umwelt soll auch für nachkommende Generationen erhalten werden) - Gesellschaftliche Teilhabe für alle, Selbstbestimmung - Bürger- und Menschenrechte (Bürgerrechtsliberalismus) - Frieden 14.05.2016 Seite 5 Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern Interessen/Positionen Soziale Unterschiede sollen möglichst ausgeglichen werden. - Der Sozialstaat soll nicht kontrollierend in das Leben der BürgerInnen eingreifen. - Selbstorganisation ist eine Alternative. Der Staat hat die Aufgabe - die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu schaffen. - Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte 14.05.2016 Seite 6 Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern 2. Politische Institutionen In bürgerlichen Gesellschaften gibt es keinen absoluten Monarchen (König, Kaiser), der die Gemeinschaft zusammenhält und steuert. º Es gibt keine Machthaber, die so mächtig sind, dass sie die gesellschaftliche Entwicklung allein bestimmen können. Die Macht ist in bürgerlichen Gesellschaften so verteilt, dass auch die Mächtigsten immer die Zustimmungen eines möglichst großen Teils der Bevölkerung brauchen, um eine Richtungsentscheidung durchzusetzen. º In der Politik geht es um die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen mit verschiedenen Interessen und Zielen. – Keine von diesen Interessengruppen ist stark genug, um gesellschaftliche Richtungsentscheidungen allein durchzusetzen. Politik ist nicht konfliktfrei. – Politik ist Krieg mit anderen Mitteln (Foucault1) In bürgerlichen Gesellschaften ist Politik eine von körperlicher Gewalt freie Form der Auseinandersetzung. º Damit dies trotz der unterschiedlichen Interessen und Ziele gewährleistet werden kann, muss es Regeln, Verfahren und Einrichtungen zur gewaltlosen Konfliktaustragung geben: – 1 Die politischen Institutionen und den modernen Staat. Michel Foucault, französischer Philosoph und Schriftsteller (1926-1984). Professor in Clermont-Ferrand und Paris. Hauptwerke: »Wahnsinn und Gesellschaft« (1961); Überwachen und Strafen (1975); »Die Geschichte der Sexualität« (3Bände, 197684). 14.05.2016 Seite 7 Sozialpolitik Dr. Christine Morgenstern Politische Institutionen als Mittel zur gewaltlosen Konfliktaustragung funktionieren nur, wenn alle Beteiligten ihre Rechtmäßigkeit anerkennen. º Politiker, Meinungsmacher (Medien) und Bürger müssen die »Legitimität« der politischen Institutionen akzeptieren. – Die entsprechenden Regeln, Verfahren und Einrichtungen müssen als fair und weitgehend unparteiisch gelten. – Nur so können die Ergebnisse (z.B. Gesetze, Wahlergebnisse, Tarifvereinbarungen) von allen Bürgern akzeptiert werden. Bundestag (Deutscher Bundestag) = Bundesparlament, Vertretung des deutschen Volkes (Artikel 38GG ff). – º Er ist das oberste und das wichtigste Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland. – º Er geht aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervor (Bundestagwahlen). Seine Befugnisse sind durch das System der Gewaltenteilung begrenzt. Seine wesentliche Aufgabe ist das Darstellen und Ausdrücken des Volkes und seines Willens (Repräsentation). Die Hälfte der Abgeordneten wird durch Direktwahl in den Wahlkreisen bestimmt (Erststimme). º Die andere Hälfte wird über die Zweitstimme für die Liste einer Partei in einem Bundesland gewählt. – Eine Partei muss mindestens 5 % der Stimmen oder drei Direktmandate erringen, um im Bundestag vertreten zu sein. Der Bundestag beschließt die Bundesgesetze (einschließlich des Haushalts) und wählt den Bundeskanzler. 14.05.2016 Seite 8 Sozialpolitik º Dr. Christine Morgenstern Die Arbeit des Bundestags vollzieht sich teilweise im Plenum, aber mehrheitlich in den Ausschüssen. – Die Mitglieder des Bundestags sind entsprechend der Parteizugehörigkeit in Fraktionen vereinigt. Parteien In der Bundesrepublik Deutschland ist die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung, ihre innere Organisation und ihre Finanzierung durch Art. 21 GG und das Parteiengesetz von 1967 geregelt. º Sie sollen den Volkswillen bündeln und auf der politischen Ebene darstellen und vertreten (repräsentieren). – Sie müssen sich zu allen gesellschaftlichen Themen und Fragestellungen äußern können. Ihr Organisationsziel ist der Wahlerfolg, Entsendung von Mitgliedern in Parlamente und die Bildung oder Beteiligung an Regierungen (Koalition). º Ihre Aufgabe ist die Mobilisierung von Wählern und die Ausübung einer Brückenfunktion zwischen Zivilgesellschaft und Staat. – Sie formulieren die entscheidenden politischen Fragen und stellen alternative Lösungen zur Diskussion – zwischen denen die BürgerInnen sich dann entscheiden sollen. Heute treten die sogenannten »Volksparteien« mit breit gestreuten Wahlprogrammen an. º Denn: Wahlen sind nur zu gewinnen, wenn die zahlenmäßig größte Gruppe, also die Angehörigen der Mittelschicht, zur Wahl der Partei motiviert werden können. – 14.05.2016 Bedeutungslos sind heute dagegen »Interessen-« oder »Weltanschauungsparteien« (z.B. Religiöse Parteien, Tierschutz- oder Autofahrerpartei). Seite 9