Why Economics Failed - Warum die Wirtschaftswissenschaft versagt hat Paul Krugman, NYT , 1.Mai 2014 ( Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Tober ) Letzten Mittwoch beendete ich den Kurs, den ich dieses ganze Semester gelehrt habe: “Die große Rezession: Ihre Ursachen und Folgen”. (Grafiken zu den Vorlesungen gibt es auf meinem Blog.) Und obwohl mir der Kurs Spaß gemacht hat, sah ich mich am Ende einer quälenden Frage ausgesetzt: Warum hat die Wirtschaftswissenschaft gerade zu dem Zeitpunkt versagt, als sie am meisten gebraucht wurde und am meisten genutzt hätte? Ich will damit nicht sagen, die Wirtschaftswissenschaft sei für die Politiker völlig unnütz gewesen. Ganz im Gegenteil hatte diese Disziplin sehr viel zu bieten. Es stimmt zwar, dass nur wenige Ökonomen die Krise kommen sahen - hauptsächlich, so denke ich, weil nur wenige erkannten, wie schwach unser dereguliertes Finanzsystem geworden war, und wie schwer ein starkes Absinken der Immobilienpreise verschuldete Familien treffen würde aber das kleine saubere Geheimnis der letzten Jahre ist, dass seit dem Fall von Lehman Brothers die elementare Textbuch-Volkswirtschaft ausgesprochen gut dasteht. Entscheidungsträger und die Politiker im allgemeinen haben allerdings sowohl die Lehrbuchmeinung als auch die Lehren aus der Geschichte schlicht ignoriert. Und die Folge war eine enorme wirtschaftliche und menschliche Katastrophe, in der ohne jeden Grund produktives Potential im Wert von Billionen von Dollars verschleudert und Millionen Familien in schwere Notlagen gebracht wurden. Inwiefern die Wirtschaftswissenschaft gut dagestanden hat? Ökonomen, die ihre eigenen Lehren ernst nahmen, erkannten das Wesentliche an unserer Wirtschaftsschwäche schnell: Wir litten unter unzureichender Nachfrage. Die Finanz- und die Immobilienkrise hatten ein Klima geschaffen, in dem jeder sich bemühte, weniger auszugeben, aber meine Ausgaben sind dein Einkommen, und deine Ausgaben sind mein Einkommen, und wenn alle gleichzeitig mit dem Sparen anfangen, dann führt das zu einem allgemeinen Sinken der Einkommen und zu einer Wirtschaftsflaute. Und man weiß (oder sollte wissen), dass eine geschwächte Wirtschaft nach ganz anderen Regeln verläuft als eine Wirtschaft mit oder nahe an der Vollbeschäftigung. Viele scheinbar sachkundige Leute - Banker, Unternehmensführer, hohe Beamte - warnten nun, Haushaltsdefizite würden zu rapide ansteigenden Zinsen und Inflation führen. Wirtschaftswissenschaftler jedoch wussten, dass solche Warnungen, so vernünftig sie vielleicht unter normalen Bedingungen gewesen wären, unter den tatsächlich gegebenen Umständen völlig daneben lagen. Und natürlich blieben die Zins- und Inflationsraten dann auch niedrig. Und die Erkenntnis, dass unsere Probleme die Folge unzureichender Nachfrage sind, hatte eindeutige politische Implikationen: Solange mangelnde Nachfrage das Problem war, würden wir in einer Welt leben, in der die normalerweise gültigen Regeln nicht galten. Insbesondere war dies nicht die richtige Zeit, sich um Haushaltsdefizite zu sorgen und die Staatsausgaben zu senken, was die Depression nur noch verschlimmern würde. Als der damalige Minderheitsführer im Kongress John Boehner Anfang 2009 erklärte, die Regierung solle den Gürtel enger schnallen, so wie die amerikanischen Familien das auch täten, da schauderten Leute wie ich; Seine Worte waren ein Zeichen seiner wirtschaftlichen Ignoranz. Was wir brauchten, waren mehr, und nicht etwa weniger Staatsausgaben, um so das Loch zu stopfen, das durch die unzureichende private Nachfrage entstanden war. Aber ein paar Monate später begann Präsident Obama genau das Gleiche zu sagen. Das wurde sogar zu einem Standardbestandteil seiner Reden. Und bloße Rhetorik war das auch nicht. Seit 2010 gab es einen scharfen Rückgang in den Ermessungsausgaben des Staates sowie ein nie dagewesenes Schrumpfen des Haushaltsdefizits, und die Folge war ein kraftloses Wirtschaftswachstum und eine Langzeitarbeitslosigkeit, wie man sie seit den 1930er Jahren nicht gesehen hat. Und warum haben wir unser Wirtschaftswissen nicht genutzt? Zum einen liegt das daran, dass den meisten Menschen die Logik solcher Maßnahmen in einer Wirtschaftsflaute nicht einleuchtet. Was stattdessen in der Öffentlichkeit Anklang findet, sind irreführende Parallelen zu den Finanzen von Privatfamilien, was erklärt, warum Mr. Obama das Gleiche sagt wie Mr. Boehner. Sogar vermeintlich gut informierte Leute sperren sich gegen die Vorstellung, dass der bloße Mangel an Nachfrage eine solche Verwüstung anrichten kann. Ganz sicher, so sagen sie, müssten wir tiefliegende strukturele Probleme haben wie etwa eine Arbeiterschaft, der die richtigen Fertigkeiten fehlen; Das klingt vernünftig und klug, selbst wenn alle Anzeichen dafür sprechen, dass das überhaupt nicht stimmt. Nun erkennen aber gleichzeitig auch mächtige politische Interessengruppen, dass eine falsche Deutung der Wirtschaftslage ihren Zielen entgegenkommt. Am deutlichsten wird das bei denen, deren wirkliches Ziel der Abbau des sozialen Sicherheitsnetzes ist, und die in dem Anheizen der Defizit-Panik ein effektives Mittel zur Verfolgung ihres Ziels gefunden haben. Solche Leute bekommen nun Hilfe und Unterstützung durch etwas, das ich trahison des nerds nenne - die Bereitschaft einiger Wirtschaftswissenschaftler, Analysen zu erstellen, die den Mächtigen sagen, was sie hören wollen, ob das nun ist, dass die drastische Kürzung von Staatsausgaben tatsächlich expansionistisch wirke, wegen des Vetrauens, oder dass die Staatsverschuldung sich irgendwie negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken werde, obwohl die Zinsen niedrig bleiben. Aus welchen Gründen auch immer die Grundregeln der Volkswirtschaftslehre beiseite geschoben worden sind, die Folgen waren tragisch. Der Großteil der Verluste und des Leidens, das die westlichen Wirtschaftsräume in den vergangenen fünf Jahren erfasst hat, hätte nicht sein müssen. Wir haben schon die ganze Zeit das Wissen und die Mittel, die Vollbeschäftigung wieder herzustellen. Aber die Entscheidungsträger finden immer wieder neue Begründungen dafür, nicht das Richtige zu tun. v