Das Demokratieproblem 1. Problemanalyse Legitimation=Antwort auf die Frage: Mit welchen guten Gründen können europ. Entscheidungen auch von denen akzeptiert werden, die inhaltlich nicht mit ihnen einverstanden sind ? Europäische Regulierungstätigkeit nimmt zu o Breite Palette neuer Politiken o Tiefe Eingriffe in die innerstaatlichen Lebensbedingungen Insbes. Binnenmarkt und flankierende Politiken Legitimationsbedarf gegenüber den EU-Bürgern wächst Akzeptanzproblem o Euro-Skepsis in Umfragen Ende des 'permissiven Konsenses' o Gefahr des Scheitern von Referenden Maastricht: DK, IRL, Verfassung: F, NL Verfassungsklagen in D o wachsen euro-skeptischer Parteien wachsende Legitimationsproblematik Diskussion um Demokratiedefizit der EU o EU übernimmt Staatsfunktionen o entspricht nicht den Vorstellungen von demokratischen politischen Systemen geringe Bedeutung von EP und Europa-Wahlen keine europaweiten polit. Diskurse z.B. wg. Größe, Sprachen, polit. Identitäten Forderung: EU muß demokratisiert werden Mögliche Maßstabe zur Bewertung der EU o Legitimations'glaube' der EU-Bürger Dann kann auch Diktatur legitim sein o Normative Demokratievorstellungen Demokratisches Ideal wird nie erreicht o Vergleich mit nat. politischen Systemen polit. Systeme demokratischer Staaten setzen nicht nur auf Wahlen und Mehrheiten Testfrage: Warum kann die überstimmte Minderheit Mehrheitsentscheide hinnehmen ? Begrenzung des Mehrheitsprinzips durch: o institutionelle 'checks and balances' o Verfassungsrecht, Grundrechte, Verfassungsgerichte o demokrat. 'Infrastruktur', z.B. Verbändewesen, 'Zivilgesellschaft' 2. Input-Output-Konzeption von Legitimation politischer Systeme (Scharpf) Politisches System Input Wahlen Partizipation von Interessenten Öffentliche Debatte Output Entscheidungen sachgerechte Politikergebnisse Grundsätzliches Spannungsfeld zwischen: o Input-Legitimation durch möglichst breite Partizipation o Output-Legitimation durch möglichst hohe Steuerungswirksamkeit des politischen Systems und Bestreben nach vernünftigen Entscheidungen 3. Folgerungen Demokratie ist Herrschaft des Volkes über sich selbst o setzt Steuerungsfähigkeit voraus grenzüberschreitend wirkende Probleme untergraben Steuerungsfähigkeit des Nationalstaates EU schafft Grundlagen für legitimes Regieren, indem sie Steuerungsfähigkeit (teilweise) erst wiederherstellt EU stärkt 'output'-Seite o Aber EU schwächt 'input'-Seite nationale Legislative verliert an Bedeutung kein Ersatz durch eine ähnlich legitimierte europäische Legislative Bundesverfassungsgericht: deshalb Grenzen des Integrationsprozesses 4. Wodurch gewinnt EU heute Legitimation ? a. Wege der Input-Legitimation Starke Beteiligung der Mitgliedstaaten am Entscheidungsprozeß o Legitimation durch Vetorecht im Rat/Europ. Rat o Heute eingeschränkt durch qualifiziertes Mehrheitsverfahren Rückbau des intergouvernementalen Legitimationsweges Parlamentarisierung o fortlaufende Stärkung des EP Direktwahl, Haushaltsbefugnisse Beteiligung an Legislativentscheidungen Gewisse Kontrollrechte (z.B. gegenüber KOM) o hohe Symbolkraft, aber begrenzte praktische Bedeutung o mögl. Veränderungen: Stärkung des EP gegenüber Rat Wahl der KOM durch EP Weite Beteiligung von Interessenten o 'Herausbildung einer europ. 'Zivilgesellschaft' o sektorale Partizipation o Teilöffentlichkeiten o Voraussetzung: Transparenz der Entscheidungsprozesse b. Wege der Output-Legitimation Steuerungsfähigkeit institutionelle checks and balances o z.B. KOM – Rat – EP im Legislativprozeß o Kontrolle durch EuGH o mögl. Veränderungen: Wahl des Kommissionspräsidenten per Referendum Unabhängigkeit regulativer Entscheidungstätigkeit und Verantwortlichkeit o EG unterscheidet sich von internat. Institutionen durch den Grad der Delegation von Entscheidungen o nicht größtmögl. Mitentscheidung der Staaten (oder anderer), sondern Erzeugen vernünftiger (d.h. vertretbarer) Entscheidungen o Bindung an europ. Recht o mögl.Veränderungen: Stärkung von Verfahren zur Suche nach 'guten' Entscheidungen unabhängige Regulierungsbehörden z.B. ESZB Stärkung rechtlich abgesicherter Beteiligungsrechte 5. Was würde der Verfassungsvertrag ändern? a. Die Verfassung der EU vor dem Verfassungsvertrag Verfassung als Organisationsstatut: "Regeln über die Organe, Kompetenzen, Stellung des Einzelnen, Werte und Ziele" EU hat auch heute schon einen „Verfassung“ o Gründungsverträge (insbes. EWG-V) o Verträge zu deren Änderung (EEA, Maastricht, Amsterdam, Nizza) o Interpretation der Verträge durch den EuGH EU-Verfassung ist 'entstanden' aus ehedem rein zwischenstaatlichen Verträgen b. Der Verfassungskonvent Ausgangspunkte: o Wachsender Legitimationsbedarf gegenüber den Bürgern o Zwischenstaatliches Bargaining-Modell stößt an seine Grenzen Amsterdam, Nizza gelten als Mißerfolg u.a. wegen Nullsummenspiel um 'institutionelle' Fragen (KOM, RAT, EP) o Erfolgreicher Vorläufer: Konvent zur Ausarbeitung der Grundrechtecharta Konventmethode o Verfassung vorbereitet durch Konvent o Mandat durch Europ. Rat (Erklärung von Laeken, Dez. 2001) o von Parlamentariern dominiertes Beratungsgremium 15 Vertreter der Regierungschefs 13 Vertreter Reg-Chefs d. Beitrittsländer 30 nationale Parlamentarier 26 nat. Parl. der Beitrittsländer 16 Mitglieder des EP 2 Vertreter der KOM o Neue Elemente: Öffentliche Debatte um den Inhalt der Verfassung Beteiligung zahlreicher NGOs und Verbände Es werden Anzeichen eines deliberativen Austauschs von Argumenten festgestellt Aber auch: Sehr starke Rolle des Präsidiums o Ergebnis: Entwurf des Verfassungsvertrages o Anschließend Regierungskonferenz Ist (erstmals) mit einem fertigen Entwurf konfrontiert Staaten müssen entscheiden, ob sie das Paket annehmen oder neu verhandeln Konvent setzt die Agenda für die folgende Regierungskonferenz o Anschließend nationales Ratifikationsverfahren Zunächst gescheitert c. Demokratisierung durch den Verfassungsvertrag Grundrechtecharta o Bindet EU-Organe; Staaten bei der Umsetzung europ. Rechts Institutionelle Ordnung o KOM-Präsident wird auf Vorschlag des Europ. Rates durch EP gewählt o Rat entscheidet in Zukunft mit "qualifizierter Mehrheit" (55% der Staaten, mindestens 15, die mindestens 65% der Bevölkerung umfassen). Fazit: o Neues Verfahren mit mehr öffentlicher Partizipation o Institutionelle 'Begradigung des bestehenden Vertragswerkes, o aber keine dramatische Verändeurng der bestehenden Situation