XII. Elektrochemie : Papierrestaurierung Elektrochemie Allgemeines: Die Elektrochemie ist ein sehr bedeutendes Teilgebiet der physikalischen Chemie. Sie befaßt sich mit den Zusammenhängen, die zwischen dem elektrischen Strom und chemischen Reaktionen bestehen! Die wichtigsten Grundgesetze der Elektrochemie wurden schon im vorigen Jahrhundert (Faraday) entdeckt. An der wissenschaftlichen Entwicklung der Elektrochemie waren namhafte Wissenschaftler beteiligt wie zum Beispiel Arrhenius für die elektrolytische Dissoziation, Hittorf für die lonenwanderung, Nernst für die Theorie der galvanischen Elemente und Ostwald für das Verdünnungsgesetz. Heute versteht man unter Elektrochemie wohl mehr denjenigen Teil der Technologie und Wissenschaft, der sich mit den gegenseitigen Umwandlungen von chemischer und elektrischer Energie befaßt. Zwei sehr bedeutende Gebiete der Elektrochemie sind die Elektroanalyse und die Elektrolyse, die für den Papierrestaurator immer mehr an Bedeutung gewinnen. Auf die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Elektrochemie bei der Papierrestaurierung soll nun in den folgenden Beiträgen genauer eingegangen werden: Elektrolyse Der Papierrestaurator kann sich bei verschiedenen restauratorischen Behandlungen „elektrochemischer Prozesse" bedienen, die einige Möglichkeiten und Vorteile gegenüber herkömmlichen Methoden bieten. Hier wäre noch ein weites Feld für gezielte Forschungsvorhaben, aber auch für den Praktiker zeichnen sich - ohne aufwendige Ausrüstung - erfolgversprechende Chancen ab. Da wären u. a. das Bleichen, Neutralisieren, Entsäuern, Delignifizieren, Deionisieren (Schwermetallionen!), Puffern und die durchaus möglich scheinende Schmutzentfernung200 zu nennen. Was ist Elektrolyse? RÖMPPS Chemisches Lexikon bietet folgende Erklärung an: Nach dem IEC201 ist Elektrolyse eine beim Stromdurchgang durch einen Elektrolyten202 hervorgerufene chemische Veränderung, die sich in einer direkten Umwandlung von elektrischer Energie durch den Mechanismus der Elektrodenreaktion und der lonenwanderung ausdrückt. Eine praxisnähere Erklärung soll das folgende einfache Beispiel eines elektrolytischen Vorgangs vermitteln: Taucht man zwei sich nicht berührende Elektroden (Anode+ und Kathode-) in wäßrige Lösungen von Salzen, Basen oder Säuren (d. s. Elektrolyte) und schließt sie an eine Gleichstromquelle an, so werden diese Lösungen chemisch verändert. 200 Noch im Versuchsstadium. International Electrotechnical Vocabulary, Group 50, Genf 1960. 202 Sammelbezeichnung für Substanzen deren wässerige Losungen (Schmelzen) den elektr. Strom leiten. 201 In der Praxis bedeutet das, daß zum Beispiel Wasser (H2O) im gleichen Verhältnis, nämlich in zwei H und ein O zerlegt wird. Dabei steigt an der Anode (+) der Sauerstoff (O) gasförmig auf, an der Kathode (-) dagegen der Wasserstoff (H). (Siehe Seite 194, Abb. 66) Elektrochemische Vorgänge dieser Art werden als Elektrolyse (= Auflösung!) bezeichnet und können u. a. auch bei der Restaurierung von Papier erfolgreich eingesetzt werden. Der elektrolytische Prozeß wird von der Distanz der Elektroden (Länge des Elektrolyten) dem Einfluß der Stromstärke auf die Spannung und dem Einfluß der Temperatur beeinflußt. Es bedarf deshalb einer kleineren Spannung - unter sonst gleichen Bedingungen -, einen Strom gleicher Stärke durch einen gegebenen Elektrolyten bei höherer Temperatur zu treiben, da mit steigender Temperatur der Widerstand des Elektrolyten absinkt. Die Ursache dafür ist eine „Abnahme der Viskosität des Wassers" und eine dadurch bedingte größere Beweglichkeit der wandernden Ionen.203 Elektrolyte: Elektrolyte ist die Sammelbezeichnung für Substanzen, deren wäßrige Lösungen oder Schmelzen den elektrischen Strom leiten. Schwache Elektrolyte sind schlechte Leiter für den elektrischen Strom, denn die absolute Anzahl der in einer Raumeinheit vorhandenen, für den Stromtransport verfügbaren Teilchenmenge ist gering. Starke Elektrolyte hingegen leiten den elektrischen Strom gut, da die für den Stromtransport maßgebliche Teilchenanzahl im allgemeinen relativ hoch ist. Elektronen -Ionenleitung: a) Leiter I. Klasse: Besondere Metalle = Elektronenleitung (ohne Verschiebung materieller Substanz) b) Leiter II. Klasse: Wäßrige Lösungen = lonenleitung von Salzen, Säuren und Basen (Verschiebung materieller Teilchen) 203 lonenanzahl. Ionenwanderung: Die chemische Veränderung des Elektrolyten, d. h. „die Zersetzung der Lösung", erfolgt durch die Ionenwanderung. Nach der willkürlich festgelegten technischen Strombewegung fließt der Strom im Elektrolyt von der A n o d e (+) zur K a t h o d e (-) Ionen sind Atome bzw. Atomgruppen, die eine (oder mehrere) positive (+) oder negative (-) elektrische Ladung (infolge Mangel oder Überschuß an Elektronen) tragen. Zwischen zwei entgegengesetzt geladenen Elektroden (Anode und Kathode) wandern die positiv (+) geladenen Kationen zur negativ (-) geladenen Kathode und die negativ (-) geladenen Anionen zur positiv (+) geladenen Anode. An der Anode (+) werden Elektronen angezogen, und es finden Oxydationsvorgänge204 statt, an der Kathode (-) werden Elektronen emittiert, und es finden Reduktionsvorgänge205 statt. Im nächsten Abschnitt wird die elektrolytische Pufferung behandelt: Elektrolytische Pufferung von Papier Allgemeines: Über die elektrolytische Entsäuerung und Neutralisierung wurde bereits im ersten Buch206 ausführlich berichtet. Eine gezielte Pufferung mit Alkalikarbonaten gilt nach dem Stand unseres heutigen Wissens als eine gute prophylaktische Maßnahme zur Abwehr künftiger Säureattacken. Die Pufferwirkung ist von drei Faktoren abhängig: 1. dem pH-Wert der Puffersubstanz207, 2. der Pufferkapazität208, der Puffersubstanz und 3. der Menge der Puffersubstanz, die ins Papier gelangt. 204 Zum Beispiel durch die Entladung von negativen Anionen. Zum Beispiel durch die Entladung von positiven Kationen. 206 „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen", Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz, 1980, S. 205 ff. 207 Siehe pH-Wert-Tabelle von Kalziumkarbonat. 208 Wie Anm. 1. Siehe „Neutralisierungskapazität", S. 162 ff. 205 Karbonate sind, wie bekannt, leider nur zu einem sehr geringen Teil in Wasser löslich: Ein Blatt Papier kann -je nach Verleimungsgrad - rund das Anderthalbfache seines Eigengewichtes an Wasser - mit der darin gelösten Puffersubstanz - aufnehmen, und das ist leider sehr, sehr wenig. Bei einer Pufferung mit üblichen Methoden kann also nur der Teil der Puffersubstanz in das Blatt eingebracht werden, die in der Flüssigkeitsmenge gelöst werden konnte, die das Blatt aufzunehmen vermag. Vor Jahren hat man geglaubt, mit Haushaltssyphonflaschen und Kohlensäurepatronen, aber auch mit größeren Druckkesseln, ebenfalls unter Zufuhr von Kohlendioxyd, CO2 ein „Mehr" von den schwerlöslichen Karbonaten ins Papier bringen zu können. Abb. 61: pH-Werte und Bezugsquellen von Kalziumkarbonaten Elektrolytische Pufferung Eine weitaus einfachere Möglichkeit bietet sich mit der „elektrolytischen Pufferung", durch die es erstmals gelungen ist, eine ausreichende Menge an Karbonaten i n das Papier einzubringen. Versuchsweise ist es dem Verfasser damit gelungen, aus dem elektrolytisch gepufferten Papier „eine regelrechte Kalkplatte" zu machen. Wesentlich ist aber bei allen Pufferungsmethoden, daß vor der Pufferung entsprechende Bedingung für die Aufnahme der Puffersubstanz geschaffen werden. Vorbehandlungen: Nur ein reines, entsäuertes und anschließend getrocknetes Blatt ist in der Lage, Wasser oder eine Pufferlösung rasch und vollständig penetrieren zu lassen. Deshalb ist eine vorherige Trockenreinigung, eine Entsäuerung und eine Auswaschung bzw. Entfernung der alten Verleimung des Schmutzes und der abgebauten Anteile notwendig. Anschließend wird das Blatt luftgetrocknet. Erst dann sind alle Voraussetzungen geschaffen, um den größtmöglichen Anteil an Puffersubstanz in das Blatt einzubringen. Das Prinzip der elektrolytischen Pufferung: Bei Einschalten des Stroms werden die Karbonationen209 gezwungen, in Richtung der Kathode zu wandern. Deshalb muß sich das zu puffernde Blatt einige Millimeter vor der Kathode befinden, so daß die Karbonationen gezwungen werden, durch das Blatt ihren Weg zu suchen. Das Blatt „filtert" gewissermaßen die Karbonationen aus dem Elektrolyt heraus bzw. hält sie fest. Deswegen muß auch Sorge getragen werden, daß durch entsprechende Anordnung des Elektrolyseprozesses die Karbonationen nicht seitlich, d. h. an den Blatträndern, vorbei „müheloser" zur Kathode gelangen können, sie müssen durch das Blatt wandern! Das Maximum an Puffersubstanz im Papier ist dann erreicht, wenn sich in der Mitte der Kathode ein zarter Kalkniederschlag erkennen läßt. Die elektrolytische Pufferung kann aber schon meist nach einigen Stunden abgebrochen werden. Hier wäre noch ein weites Feld für einfach zu bewerkstelligende Versuche, ja sogar für Forschungsvorhaben aller Art, bei denen nicht, wie üblich, die praktische Nutzanwendung von vornherein ausgeschlossen ist? Der nächste Abschnitt behandelt das Thema „Elektroanalyse", eine Analysenmethode, die auch den Papierrestaurator auf einfache Weise mehr vom „chemischen Innenleben des Papiers" erkennen läßt und besonders bei Grün- und Tintenfraß ein wertvolles Diagnosehilfsmittel ist. 209 Z. B. Kalziumionen! Elektroanalyse Einführung: Elektroanalyse ist die Sammelbezeichnung der analytischen Verfahren, bei denen Gleichstrom benutzt wird. Um es vorwegzunehmen: Für derartige „elektrochemische Analysen" kann auch das vom Verfasser entwickelte und für den Entzug von Schwermetallionen benutzte Elektrolysegerät EM 2 verwendet werden. Häufig wird der Begriff „Elektroanalyse" auf die Bestimmung von Metallen durch Abscheidung bzw. Niederschlagen auf der Kathode beschränkt. Werden in einer Lösung von Metallionen (Elektrolyt) zwei chemisch nicht angreifbare Elektroden eingetaucht und verbindet man diese mit einer Gleichstromquelle, so werden an der Kathode die positiv geladenen Ionen der Metalle entladen und abgeschieden. Auch hier handelt es sich um einen „elektrolytischen Vorgang". Metalle sind Kationen, deshalb erfolgt deren Abscheidung auf der Kathode. Nur in einigen Fällen werden Metalloxyde auf der Anode abgeschieden, Anionen werden auf diese Weise nicht bestimmt. Bei der Elektroanalyse werden also Metallionen vollständig auf der Kathode abgeschieden, so daß beispielsweise durch Auswägen der abgeschiedenen Menge auch eine quantitative Bestimmung des Metalles möglich ist. Zersetzungsspannung: Als Zersetzungsspannung bezeichnet man die elektrische Energie, die aufgewendet werden muß, um das Kation an der Kathode und das Anion an der Anode abzuscheiden bzw. zu entladen. Die Zersetzungsspannung ist eine Mindestspannung, erst oberhalb dieser ist die elektrolytische Abscheidung eines Metallions möglich: Die Zersetzungsspannung ist von der Konzentration des abzuscheidenden Ions in der Lösung abhängig, was bedeutet, daß die Zersetzungsspannung durch Erhöhung der Konzentration erniedrigt und durch Verminderung der Konzentration erhöht wird. Zersetzungsspannungen mißt man, indem man, mit niedrigen Spannungen beginnend, diese bis zu dem Punkt erhöht, an dem eine Abscheidung, also ein Metallniederschlag, an der Elektrode feststellbar ist. Wenn die Zersetzungsspannungen der Salze von zwei Metallen weit genug auseinanderliegen, ist auch eine Trennung der Metalle durch die Elektrolyse möglich. Man beginnt mit kleiner Spannung, die eine lonenart und dann, mit höherer Spannung, die die andere lonenart abscheidet. Die Spannungsreihe von Metallen und Nichtmetallen: Bei verschiedenen Metallionen in einer Lösung wird entsprechend der Spannungsreihe das Ion mit dem edelsten Charakter (positivstes Normalpotential) bzw. das Ion mit der kleinsten Zersetzungsspannung zuerst entladen, weil dieses von der Kathode am stärksten angezogen wird. Geräte: Für die quantitative Elektroanalyse muß eine niedervoltige Gleichstromquelle vorhanden sein, deren Spannung und Stromstärke geregelt werden kann.210 Ein entsprechend großes Becherglas dient zur Aufnahme der zu analysierenden Lösung. Zwei aus Platin oder aus platiniertem Titan bestehende Elektroden, da manche Elektroanalysen in stark sauren Lösungen durchgeführt werden, weiters müssen auch die verschiedenen Metallniederschläge nach der Bestimmung mit Säure wieder abgelöst werden, um die nicht gerade billigen Elektroden immer wieder verwenden zu können. Durchführungsvorschrift: 1. Die Platinelektrode, d. h. die Kathode, muß vor deren Benutzung zuerst in konzentrierter Salpetersäure (HNO3) von allen anhaftenden Rückständen gesäubert, anschließend mit Aqua dest. abgespült und bei ca. 120° C getrocknet und im Exikkator abgekühlt sowie abgewogen werden. 2. Der Elektrolyt, d. h. die zu elektrolysierende Lösung, muß genau nach Vorschrift zubereitet werden! 3. Die Kathode muß zirka l cm aus dem Elektrolyt herausragen (Erklärung siehe 5.) Die erforderlichen Werte der Stromstärke, Stromspannung, Temperatur und Elektrolysedauer müssen unbedingt eingehalten werden. 4. Die Stromspannung steigt gegen Schluß der Elektrolyse etwas an, das ist der Zeitpunkt, mittels Tüpfelreaktion festzustellen, ob das Metall (auf der Kathode) vollständig abgeschieden wurde. 5. Ist der Metallniederschlag auf der Kathode gefärbt, kann der Elektrolyt mit Wasser verdünnt werden, dadurch wird auch der restliche Teil der Elektrode (siehe 3.) bedeckt. Wenn auf diesem noch blanken Rest der Kathode nichts mehr abgeschieden wird, ist die Elektrolyse beendigt. 6. Beim Abbrechen der Elektrolyse müssen zuerst die Elektroden, d. h. die Kathode, mit dem Metallniederschlag aus dem Elektrolyt gehoben werden, dann erst darf die Abschaltung des Stroms erfolgen! 7. Die Kathode wird mehrmals mit Aqua dest. abgespült, in Alkohol getaucht, mit dem Fön getrocknet, im Exikkator abgekühlt und dann erst gewogen. 8. Nach dem Wägen des Metallniederschlages der Kathode wird dieser mittels konzentrierter Salpetersäure wieder entfernt. 210 Zum Beispiel das vom Verfasser entwickelte Elektrolysegerät EM 2 oder auch ein Akku.