Pressedienst Travail.Suisse – Nr. 6 – 25. April 2005 – Invalidenversicherung _______________________________________________________________________________ 5. IV-Revision Ausgewogenheit der Revision ist gefährdet Travail.Suisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden, ist grundsätzlich damit einverstanden, dass zur Sanierung der IV die Zahl der Neurentner mittels Früherfassung und Integration gesenkt werden soll. Da das nur gelingen kann, wenn die nötigen Arbeitsplätze bereit stehen, ist die klare Einbindung der Arbeitgeber unumgänglich. Falls das nicht geschieht und einseitig der Druck auf die betroffenen Arbeitnehmenden zunimmt, wird die Vorlage unausgewogen und für die Arbeitnehmenden inakzeptabel. Die steigenden Kosten der IV sind auf eine wachsende Zahl von IV-Rentner/innen zurückzuführen. Insofern ist die Absicht des Bundesrates, zur Sanierung der IV ein neues System der Früherkennung und Wiedereingliederung einführen, sicher nicht falsch. Grenzen der Integration in den Arbeitsmarkt Gleichzeitig ist klar, dass dieses Vorgehen allein nicht zur angestrebten Senkung der Invalidisierung führen wird. Mit der Betonung der Wiedereingliederungsmassnahmen für invalide oder von Invalidität bedrohte Versicherte wird in der 5. IV-Revision ein starker Akzent auf die Befähigung des Individuums zur Erwerbstätigkeit gelegt. Obschon Travail.Suisse diesen Ansatzpunkt grundsätzlich begrüsst, dürfen darob die strukturellen Gründe für die zunehmende Invalidisierung nicht vernachlässigt werden. Auch wenn über die exakten Gründe für die zunehmende Invalidisierung (zu) wenig bekannt ist, dürfte klar sein, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt einen Einfluss darauf haben. Durch die Verbreitung und Radikalisierung des Wettbewerbes waren viele Unternehmen gezwungen, ihre Produktivität zu steigern. Damit verbunden waren in den letzten zehn Jahren ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen mit tiefem Anforderungsprofil (Nischenarbeitsplätze) und eine starke Zunahme des Drucks und der Unsicherheit bei den weiterhin bestehenden Arbeitsplätzen. Dazu kommt, dass auch gesellschaftliche Entwicklungen wie die teilweise Entstigmatisierung von Invalidität, das Aufkommen neuer Krankheitsbilder sowie das Verhalten der Ärzte und der Sozialhilfe der Zunahme der Invalidisierung Vorschub geleistet haben. Sowohl die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt als auch die gesellschaftlichen Entwicklungen setzen der Möglichkeit, mehr Personen durch eine Verstärkung der individuellen Befähigung zur Erwerbsarbeit in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, ganz klar Grenzen. Pressedienst Travail.Suisse – Nr. 6 – 25. April 2005 – Invalidenversicherung _______________________________________________________________________________ Eindruck einseitiger Repressionen muss vermieden werden In Bezug auf die Einbindung von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden hält Travail.Suisse den vorliegenden Revisionsentwurf für unausgewogen. Während die Mitwirkungspflicht der Arbeitnehmenden festgeschrieben wird und bei fehlender aktiver Mitarbeit die Taggelder gekürzt oder sogar der Rentenanspruch aufgehoben werden sollen, fehlen jegliche Mitwirkungsverpflichtungen für die Arbeitgeber. Die Mitarbeit bei der Früherkennung und die Beteiligung an Wiedereingliederungsmassnahmen beruhen auf völliger Freiwilligkeit. Durch diese Einseitigkeit besteht die Gefahr, dass die auf die Arbeitnehmenden ausgerichteten Integrationsmassnahmen nicht als Hilfe, sondern als Spar- und Repressionsmassnahmen aufgefasst werden. Dieser Effekt dürfte der Eingliederung kaum zuträglich sein. Zudem widerspricht die einseitige Ausrichtung der Eingliederungsmassnahmen auf die Arbeitnehmenden der Erkenntnis, dass die zunehmende Invalidität auch strukturelle Gründe hat, die mindestens zum Teil auch von den Arbeitgebenden ausgehen. Einbezug der Arbeitgeber verstärken Travail.Suisse fordert deshalb, dass im Zusammenhang mit der Früherkennung und den Eingliederungsmassnahmen der Einbezug der Arbeitgebenden verstärkt wird. Dabei steht für Travail.Suisse ein Modell im Vordergrund, das folgende Massnahmen enthält: Kündigungsschutz bei Krankheit verbessern: Mit einem Kündigungsschutz bei Krankheit könnte, zusammen mit den nachfolgenden Vorschlägen der Eingliederungsvereinbarung und der Prämienbefreiung, ein Anreiz für den Arbeitgeber geschaffen werden, sich um einen erkrankten Mitarbeiter zu kümmern. Die Entlassung von Mitarbeitenden bei gesundheitlichen Problemen würde nicht mehr die günstigste Handlungsoption für den Arbeitgeber darstellen. Gleichzeitig würde diese Massnahme die Arbeitsplatzsicherheit des Arbeitnehmenden erhöhen, was in vielen Fällen auch die Voraussetzungen für eine Eingliederung bzw. für die Verhinderung einer Ausgliederung verbessern würde. Der Kündigungsschutz mit Lohnfortzahlungspflicht müsste solange gelten, dass für den Arbeitgeber ein Anreiz besteht, möglichst rasch mit der IV-Stelle eine Eingliederungsvereinbarung abzuschliessen. Pflicht zu einer Eingliederungsvereinbarung mit IV-Stellen: Die Arbeitgeber müssten verpflichtet werden, mit den IV-Stellen und den betroffenen Arbeitnehmenden eine Eingliederungsvereinbarung abzuschliessen. Mit dieser Eingliederungsvereinbarung verpflichten sich die Arbeitgeber dazu, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles zu tun, um den betroffenen Arbeitnehmenden wieder im Betrieb zu integrieren. Gleichzeitig würde die IV-Stelle garantieren, dass sie die nötige Unterstützung leistet. Der Arbeitnehmende hingegen müsste sich zur aktiven Mitwirkung verpflichten. Der Abschluss einer solchen Vereinbarung würde zudem den Arbeitnehmenden die Sicherheit vermitteln, dass sich ihr Arbeitgeber für sie und ihre Arbeitsfähigkeit einsetzt und könnte somit einen zusätzlichen Beitrag zur Verbesserung der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Eingliederung bzw. für die Verhinderung einer Ausgliederung leisten. Pressedienst Travail.Suisse – Nr. 6 – 25. April 2005 – Invalidenversicherung _______________________________________________________________________________ Prämienbefreiung des Arbeitgebenden aufgrund Eingliederungsvereinbarung: Damit für die Arbeitgeber auch ein finanzieller Anreiz bestehen würde, müssten die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, dass ein Arbeitgeber, der mit einer IVStelle und einem betroffenen Arbeitnehmenden eine Eingliederungsvereinbarung abschliesst, für die betroffenen Arbeitnehmenden von den Prämien der IV befreit werden könnte. Travail.Suisse ist überzeugt, dass ein solches oder ähnliches Modell notwendig ist, um das ambitiöse Ziel einer Reduktion der Neurentner/innen um 20 Prozent zu erreichen. Zudem lässt sich an der Reaktion der Arbeitgeber auf solche Vorschläge auch klar ablesen, ob sie wirklich bereit sind, zukünftig nicht mehr nur über steigende Kosten zu jammern, sondern mit der Erhaltung und Schaffung von geeigneten Arbeitsplätzen (und damit dem Verzicht auf die Maximierung des Gewinns) auch einen Beitrag zur Kosteneindämmung bei der Invalidenversicherung zu leisten. Dass sich die Arbeitgeber in der Vernehmlassung erfolgreich gegen eine obligatorische Mitwirkung gewehrt haben, ist somit ein schlechtes Zeichen für den Erfolg der 5. IV-Revision. Martin Flügel, Leiter Sozialpolitik, Travail.Suisse Travail.Suisse, Hopfenweg 21, 3001 Bern, Tel. 031/370.21.11, e-mail: [email protected], www.travailsuisse.ch