BAG SELBSTHILFE Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. Kirchfeldstr. 149 40215 Düsseldorf Tel. 0211/31006-0 Fax. 0211/31006-48 Forderungen der BAG SELBSTHILFE zum Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention Reformbedarfe im Bereich des SGB IX ________________________________________________________________________ Mit dem am 01.07.2001 in Kraft getretenen Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) wurde eine gemeinsame rechtliche Grundlage für fast alle Leistungsbereiche innerhalb sowie weitere Fürsorgebereiche außerhalb des Sozialgesetzbuches und des Arbeitsrechts in Bezug auf die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geschaffen. Schon bei Inkrafttreten wurde das Gesetz zwar als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet, jedoch nicht als abschließende und umfassende Lösung angesehen, die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. So wurde schon damals ein eigenständiges und einheitliches Leistungsgesetz für Behinderte für notwendig erachtet. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch Deutschland im Jahr 2009 war somit auch mit der Erwartung verbunden, dass das SGB IX nicht zuletzt im Hinblick auf die Verankerung der in der UN-BRK enthaltenen Grundsätze von Inklusion und Partizipation weiterentwickelt wird. Auch die Bundesregierung vertrat insoweit die Auffassung, dass „mit dem Übereinkommen der in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Neunten Sozialgesetzbuch eingeleitete Paradigmenwechsel weiter vollzogen werde“ (BT-Ds 16/10808 v. 08.11.2008). Die Realität stellt sich indessen gänzlich anders dar. Nachdem zwischenzeitlich fünf Jahren seit der Ratifikation der UN-BRK vergangen sind, bestehen nach wie vor gravierende Umsetzungsdefizite, die ergänzende gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich machen. Der mit dem Inkrafttreten des Gesetzes propagierte Paradigmenwechsel hat die Menschen mit Behinderungen in vielen Bereichen noch gar nicht erreicht. Das SGB IX deckt mit seinem jetzigen Inhalt die sich aus der UN-BRK gebenden Anforderungen bei weitem nicht ab. Mit der UN-Konvention sind vielmehr für die Bundesrepublik Deutschland Regelungen bindend geworden, die mit den Bestimmungen des SGB IX konkurrieren, über dessen Bestimmungen hinausgehen oder diesen gar widersprechen. Dabei muss zusätzlich kritisch betont werden, dass selbst das SGB IX in seiner gegenwärtigen Fassung vielfach nicht oder nur unzureichend Anwendung in der Rechtspraxis findet. Gerade diese Tatsache verdeutlicht, dass noch ein weiter Weg zu beschreiten ist, um die mit der UN-BRK verfolgte umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen tatsächlich zu erreichen. Es wird nicht verkannt, dass zwischenzeitlich durchaus richtige Richtungen eingeschlagen worden sind, so etwa die Reformbemühungen um ein allgemeines Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen. Das insoweit für diese Legislaturperiode vorgesehene Bundesleistungsgesetz, das die rechtlichen Vorschriften zur Eingliederungshilfe in der bisherigen Form ablösen soll, wird vom seinem Grundsatz her begrüßt, vorausgesetzt, es erfüllt auch inhaltlich die mit ihm verbundenen Erwartungen. Nach Auffassung der BAG SELBSTHILFE ist die Schaffung und Integrierung eines vom SGB XII losgelösten Bundesleistungsgesetzes in das SGB IX die beste Lösung, um einerseits dem hohen Stellenwert der Behindertenhilfe und Nachteilsausgleiche gerecht zu werden, insbesondere verbunden mit dem Ziel der Vereinheitlichung und Übersichtlichkeit entsprechender Leistungsvorschriften. Andererseits kann mit der Einfügung in das SGB IX der Anschein vermieden werden, die im Bundesleistungsgesetz enthaltenen Regelungen seien für Menschen mit Behinderungen abschließend und diese könnten Leistungen nach den anderen Sozialgesetzbüchern nicht in Anspruch nehmen (siehe hierzu auch untenstehende Ausführungen zu § 7 sowie zu Punkt 16 – Weiterentwicklung des Leistungsrechts). Unabhängig von dieser Frage muss es oberstes Ziel sein, die Eingliederungshilfe von der bisherigen Einkommens- und Vermögensanrechnung zu befreien und die Leistungen als Nachteilsausgleich zu gestalten. Nur so kann sich für die Betroffenen die Chance eröffnen, sich von der sozialhilferechtlichen Abhängigkeit, wie sie derzeit nach dem SGB XII besteht, zu befreien. Ungeachtet der genannte Aspekten zur Reform der Eingliederungshilfe und Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes muss aus Sicht der BAG SELBSTHILFE in den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK der Auftrag an die Bundesregierung aufgenommen werden - eine umfassende Bestandsaufnahme hinsichtlich der Implementationsdefizite des SGB IX durchzuführen - eine umfassende Bestandsaufnahme hinsichtlich der Regelungsunterschiede zwischen SGB IX und UN-BRK vorzunehmen 2 und darauf aufbauend - ein Gesetz zur Reform des SGB IX in spätestens zwei Jahren vorzulegen. Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sind dabei folgende Defizitbereiche in den Blick zu nehmen: (1) §§ 1, 2 Ziele des SGB IX / Begriff der Behinderung und der Teilhabe Das bisherige begriffliche Konzept der Behinderung ist aufzugeben zugunsten des Konzepts der Beeinträchtigung, die bei unzureichender Inklusion in eine Behinderung umschlagen kann (Artikel 1 Abs. 2 UN-BRK). Dabei muss das grundlegende Ziel des Teilhaberechts, nämlich die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, ergänzt werden um das ausdrückliche Ziel der Förderung und der Gewährleistung des vollen Genusses aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen. Auch die Achtung der Würde aller Menschen mit Behinderungen muss im SGB IX an exponierter Stelle aufgenommen werden. Damit einhergehend muss auch der Begriff der Teilhabe Konkretisierung anhand der ICF und der UN-BRK erfahren. (2) § 3 SGB IX / Prävention Artikel 1 Abs. 2 der UN-BRK verweist deutlich auf den staatlichen Auftrag, Behinderungen zu vermeiden. Behinderung wird als Wechselwirkung von gesundheitlicher Beeinträchtigung und Teilhabebarrieren gesehen. Folglich muss auch der Präventionsbegriff des SGB IX aus seinem rein gesundheitlichen Bezug herausgelöst werden. Die Prävention von Behinderungen muss vielmehr umfassend auf die Beseitigung von Teilhabebarrieren ausgerichtet sein. Dementsprechend fordert Artikel 25 der UN-BRK auch Präventionsleistungen, die auf die Vermeidung von Behinderungen ausgerichtet sind. Der Begriff der Prävention muss sich im Übrigen über die sog. Primär- und Sekundärprävention hinaus auch auf die sog. Tertiärprävention erstrecken. In diesem Zusammenhang erscheint es notwendig, gerade die Rehabilitationsträger stärker für den Grundsatz des Vorrangs der Prävention zu sensibilisieren. 3 (3) § 4 SGB IX / Zielorientierung der Teilhabeleistungen Das deutsche Teilhaberecht bindet die Gewährung und Ausführung von Teilhabeleistungen daran, dass mit diesen Leistungen Teilhabeziele erreicht werden können (§ 4 Abs. 2, Satz 1 SGB IX). Dies entspricht dem Grundsatz der vollen und wirksamen Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft des Artikel 3 Buchst. c der UN-BRK. Die bisherige Ausgestaltung der Teilhabeziele im SGB IX enthält jedoch auch Elemente, die – bei entsprechender Interpretation – eine starke Bindung und Gewichtung vorwiegend an medizinischen Faktoren oder gar an den spezifischen Aufgabenstellungen der Leistungsträger im gegliederten System indizieren. Dies ist eine der Ursachen dafür, dass sich die im SGB IX angelegte Orientierung des Leistungsbedarfs und der Leistungsinhalte auf die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bisher weder im Selbstverständnis noch in der Praxis der Rechtsanwendung durchgesetzt hat. Künftig müssen sich die Ziele der Teilhabeleistungen, aber auch die Leistungsinhalte zweifelsfrei auf die Beeinträchtigungen der Teilhabe im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der UN-BRK, unter Zugrundelegung der ICF, ausrichten. Es bedarf einer gesetzlichen Klarstellung, dass diese Ziele mit den Teilhabeleistungen aller Rehabilitationsträger unabhängig von der jeweiligen Zuständigkeit oder Leistungsverpflichtung anzustreben sind. Wichtig ist dabei die gleichzeitige Einbeziehung und Betonung der Merkmale „Funktionserhaltung“ und „Lebensqualität“. (4) §§ 5, 6 SGB IX / Leistungsgruppen und Rehabilitationsträger Schon die Diktion der gesetzlichen Regelungen sollte im Lichte der UNKonvention keinen Zweifel an der Orientierung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft lassen. Dazu sollte die Leistungsgruppe „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ künftig in „Medizinische Teilhabeleistungen“ und die „Rehabilitationsträger“ in „Träger der Teilhabeleistungen“ umbenannt werden. (5) § 6 a SGB IX / Leistungsbezieher nach dem SGB II Die behindertenrechtliche Diskriminierung der Empfänger von Leistungen nach dem SGB II im Verhältnis zu anderen Behinderten ist durch völlige behindertenrechtliche Gleichstellung zu beseitigen. Mit Blick auf die bei den 4 an der Durchführung des SGB II beteiligten Institutionen vorhandene behindertenrechtliche Kompetenz sollte das gesamte Verfahren für die Erbringung von Teilhabeleistungen ausschließlich unmittelbar der Bundesagentur für Arbeit zugeordnet werden. Die Bundesagentur für Arbeit ist zu verpflichten, in allen Regionen besonders qualifiziertes Personal mit breiten Fachkenntnissen, insbesondere des Teilhaberechts vorzuhalten. Dies entspricht den Anforderungen, die der Gesetzgeber nach § 23 Abs. 3 SGB IX schon an die Ausstattung der gemeinsamen Servicestellen stellt, die aber in den örtlichen Dienststellen der Bundesagentur weitgehend nicht anzutreffen ist. (6) § 7 SGB IX / Abweichendes Recht / Einheitliches Teilhaberecht Die mit dem SGB IX begonnene Zusammenfassung des Behindertenrechts im SGB IX ist in einem „Sozialgesetzbuch IX – Teilhaberecht“ abzuschließen, das den Anforderungen der UN-Konvention entspricht. Dass die mit dem SGB IX verbundenen Ziele, insbesondere - die Orientierung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, aber auch - die Überwindung der Schnittstellen des gegliederten Sozialleistungssystems sowie - die Entwicklung eines einheitlichen Systems von Teilhabeleistungen, das unabhängig von der Zuständigkeit und Leistungsverpflichtung der jeweiligen Träger von Teilhabeleistungen gewährleistet, dass der Betroffene wegen einer Teilhabebeeinträchtigung im gesamten Bundesgebiet vom jeweiligen Träger die nach Gegenstand und Qualität gleiche Teilhabeleistung erhält, bisher nicht erreicht wurden, ist auch darauf zurückzuführen, dass in den für die Träger geltenden unterschiedlichen Leistungsgesetzen noch interpretationsfähige „Reste“ des Teilhaberechts verblieben sind, die die Träger zu trägerspezifischen Rechtsauslegungen nutzen können. Die mit dem SGB IX angestrebte Einheit des Rehabilitationsrechts und der Rehabilitationspraxis wurde nicht erreicht. § 7 SGB IX kann daher ersatzlos gestrichen werden, wenn in den für die Teilhabeträger geltenden Leistungsgesetzen alle über die Definition des Anspruchs auf Teilhabeleistungen und den Verweis auf das Teilhaberecht zur 5 Durchführung des Leistungsverfahrens hinausgehenden Regelungen ersatzlos gestrichen werden. (7) § 9 SGB IX / Wunsch- und Wahlrecht Die allgemeinen Grundsätze der UN-BRK umfassen u.a. die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, die Unabhängigkeit und die Nichtdiskriminierung (Art. 3 der UN-BRK). Der die Selbstbestimmung stärkende § 9 SGB IX, der bisher im Wesentlichen als Regelung des Wunsch- und Wahlrechts wahrgenommen wird, soll künftig im Sinne des Art. 3 Buchst. a der UN-Konvention gestaltet werden. Das Recht – ohne Gefahr der Disziplinierung – unabhängig eigene Entscheidungen treffen zu können, ist voranzustellen. Dieses Recht soll sowohl während der Feststellung des Leistungsbedarfs, wie auch bei der Leistungsausführung wirksam sein und die übrigen Akteure (Leistungsträger, Leistungserbringer) binden. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die gerade im ländlichen Bereich vorzufindende Divergenz zwischen dem gesetzlichen Wunschund Wahlrecht auf der einen Seite und den gegebenen Realitäten auf der anderen Seite zu legen. Vor allem darf der Begriff der Wirtschaftlichkeit nicht mit dem Begriff der Sparsamkeit gleichgesetzt werden. Im Übrigen sind in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern noch vorhandene abweichende Regelungen anzupassen (§ 2 Abs. 2 SGB XI) oder zu streichen (§ 13 Abs. 1 Satz 4 SGB XII). (8) §§ 8, 10 SGB IX / Bedarfsfeststellung Nach Artikel 26 Abs. 1 Buchst. a der UN-BRK sind die Habilitations- und Rehabilitationsdienste und –programme so zu organisieren, dass diese Leistungen und Programme im frühestmöglichen Stadium einsetzen und auf einer multidisziplinären Bewertung der individuellen Bedürfnisse und Stärken beruhen. Diese Pflichten korrespondieren im deutschen Teilhaberecht mit den Regelungen - zum frühestmöglichen Erkennen einer Teilhabebeeinträchtigung, dem Einleiten von Teilhabeverfahren (§§ 8, 13 Abs. 2 Nrn. 8 bis 10, 60, 61 SGB IX) und dem Teilhabemanagement (§§ 8, 10-12, 14, 22 SGB IX) 6 - zur Feststellung des individuellen funktionsbezogenen Leistungsbedarfs (§ 10 SGB IX) - zum Leistungserbringungsrecht (§§ 17 ff., insbesondere 19 SGB IX). Diese Regelungen sind im Lichte der UN-Konvention zu überarbeiten, wobei die ICF zur Feststellung des Bedarfs heranzuziehen ist. Dabei erscheint es sinnvoll, zunächst eine umfassende trägerübergreifende Bedarfsermittlung, -feststellung und Hilfeplanung durch einen sog. Beauftragten des federführenden Leistungsträgers durchzuführen, soweit nicht der Betroffene ein „vereinfachtes“ Verfahren wünscht. (9) § 14 SGB IX / Zuständigkeitsklärung Nach den Bestimmungen des § 14 SGB IX ist der zweitangegangene Träger immer zur Leistung verpflichtet, wenn die Leistungsvoraussetzungen gegeben sind. Dennoch kommen viele Träger unverändert dieser Verpflichtung nicht nach. Die dadurch eintretende Nichtversorgung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der erstangegangene Träger der insoweit unverändert wirksamen Verpflichtung zur Vorleistung nach § 43 SGB I nachkommt und die Leistung gewährt. Die Verpflichtung des Artikel 25 der UNKonvention, dass die Leistungen im frühestmöglichen Stadium einsetzen, erfordert eine Ergänzung des § 14 SGB IX mit der Verpflichtung zur Vorleistung, wenn der zuständige Träger nicht innerhalb der 3-Wochenfrist über die Leistung entscheidet. Darüber hinaus sind die Rehabilitationsträger dahingehend zu sensibilisieren, die Vorgaben des § 14 SGB IX zu beachten, allerdings auch übereilte Weiterleitungen zu vermeiden. (10) § 17 SGB IX / Ausführung von Leistungen / Persönliches Budget Die Möglichkeit des Rehabilitationsträgers, Leistungen zur Teilhabe auch gemeinsam mit anderen Leistungsträgern, durch andere Leistungsträger oder unter Inanspruchnahme von geeigneten, freien bzw. privaten Rehabilitationsdiensten und –einrichtungen zu erbringen, darf nicht zu Einschränkungen, Verzögerungen oder sonstigen Defiziten zum Nachteil des Leistungsempfängers führen. Eine entsprechende Klarstellung ist sinnvoll, um den in Artikel 3 c) der UN-BRK enthaltenen Grundsatz der vollen und wirksamen Teilhabe zu verwirklichen. 7 Das Ziel der Einrichtung eines Persönlichen Budgets (Abs. 2 bis 6), nämlich dem Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, deckt sich mit der entsprechenden Forderung in Artikel 3 a) der UN-BRK. In der Praxis stellt sich die Situation allerdings so dar, dass die tatsächliche Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets eher die Ausnahme ist, vor allem bei älteren Betroffenen. Ein Grund dafür mag die damit verbundene Unsicherheit oder auch nur Unwissenheit beim Leistungsberechtigten sein, in welchem Rahmen eine eigene Gestaltung möglich ist. Umso wichtiger ist eine vorausgehende umfassende Beratung wie auch eine begleitende Information, auf die der Leistungsempfänger jederzeit zurückgreifen kann. Der bisherige Hinweis in § 17 Abs. 3 SGB IX auf „die erforderliche Beratung und Unterstützung“ erscheint insoweit unzureichend. Eine Klarstellung sollte dahingehend erfolgen, dass jeder Betroffene eine beteiligungsübergreifende Unterstützung erhält. Ganz besonders gilt dies für Menschen mit Behinderung im Privat- und Ehrenamtsbereich. (11) § 19 SGB IX / Organisation der Versorgung Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland, d.h. der Staat, in Artikel 26 die Verpflichtung zur Organisation umfassender Habilitations- und Rehabilitationsdienste und –programme eingegangen ist, nimmt er nach dem dem Grundgesetz innewohnenden Subsidiaritätsprinzip diese Pflichten nicht selbst wahr, sondern delegiert sie auf andere Akteure. Mit § 19 SGB IX hat er die Pflicht zur Sicherstellung der für die Ausführung von Teilhabeleistungen erforderlichen Versorgungsstrukturen den Rehabilitationsträgern übertragen. Diese Regelung muss entsprechend den Anforderungen des Art. 26 weiterentwickelt werden. Dazu zählt insbesondere die Verpflichtung zur gemeindenahen Organisation der Versorgungsangebote, auch in ländlichen Gebieten sowie die Vernetzung mit den sich aus Artikel 19 Buchst. b der UN-BRK ergebenden Pflichten, die als sozialraumorientierte Organisation der Versorgung zu verstehen sind, die neben der Gewährleistung von Assistenz auch die Vernetzung der klassischen Sozialleistungen mit niedrigschwelligen Hilfsangeboten einbezieht. Im deutschen Teilhaberecht wird die Definition von Rehabilitationsprogrammen bisher als Definition von Gegenstand, Umfang und Ausführung von Rehabilitationsleistungen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) verstanden, die die Rehabilitationsträger gemeinsam und für die jeweiligen Leistungen einheitlich in gemeinsamen Empfehlungen regeln sollen (§ 13 Abs. 1 SGB IX). Dazu ent8 hält § 13 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX eine Art „Leitlinienverpflichtung“ dergestalt, dass die Träger in gemeinsamen Empfehlungen definieren sollen, in welchen Fällen (Zielgruppen) und in welcher Weise (Reha-Leitlinie) Teilhabeleistungen angeboten (d.h., welchen Gegenstand/Inhalt der Leistungen) werden sollen (Ziel des SGB IX: einheitliche Rehabilitationspraxis!). Da die Träger diese in §§ 12, 13 SGB IX vorgegebenen Pflichten bis heute nicht umgesetzt haben, müssen diese Regelungen nicht nur an Art. 19, 26 der UNBRK angepasst werden. Der Gesetzgeber sollte die Teilhabeträger nunmehr auch festlegen, ihren Pflichten bis zu einem vorgegebenen Termin nachzukommen (vergleichbar der Fristsetzung zur DRG-Einführung in § 17 b KHG). Da ein Kernproblem der Versorgungsorganisation in der mangelnden Koordinations- und Kooperationsbereitschaft der Träger der Teilhabeleistungen besteht, sollte die in § 12 Abs. 2 SGB IX vorhandene Plattform für die Zusammenarbeit verpflichtend werden, wodurch auch die bisher schon gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung der Interessenverbände der Betroffenen und die der Leistungserbringer an der regionalen Versorgungsstrukturentwicklung (§ 19 Abs. 4 SGB IX) endlich Realität werden könnte. (12) § 20 SGB IX / Qualitätssicherung Die Regelung beinhaltet die Einrichtung eines Qualitätsmanagements durch die Leistungserbringer; dieses wird u.a. durch gemeinsame Empfehlungen der Rehabilitationsträger zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leistungen, insbesondere zur barrierefreien Leistungserbringung gestützt. Im Hinblick auf die Maßgaben der UN-BRK ist darauf zu achten, dass sich Qualität immer aus Sicht des Behinderten und seiner Belange beurteilt, nicht jedoch (allein) aus rein wirtschaftlicher bzw. finanzieller Sicht. Um zu vermeiden, dass gut gemeinte jedoch kontraproduktive Entscheidungen getroffen werden, ist das in der UN-BRK enthaltene Prinzip der Partizipation anzuwenden. Bei der Vorbereitung der gemeinsamen Empfehlungen durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation werden nach der derzeitigen Formulierung in § 20 Abs. 3 SGB IX die Interessen der Menschen mit Behinderung nicht ausreichend berücksichtigt. Denn neben dem Anliegen der Behinderten- und Wohlfahrtsverbände sowie Selbsthilfegruppen wird auch den Interessen der für die Rehabilitationseinrichtungen zuständigen Spitzenverbände „nach Möglichkeit“ Rechnung getragen. Dies führt automatisch zu einem Spannungsverhältnis mit der regelmäßigen Folge einer unzureichenden Be9 rücksichtigung der Belange behinderter Menschen. Dem ist durch Einräumung einer Vorrangstellung von deren Interessen zu begegnen (auch durch entsprechende Ergänzungen in § 13). (13) § 21 SGB IX / Versorgungsvertragsrecht Die Vertragsstaaten haben nach der UN-BRK geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste anbieten, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung berücksichtigen. Das erfasst auch alle nach § 19 SGB IX bereitgestellten Rehabilitationseinrichtungen und –dienste, insbesondere die in privater Trägerschaft. Die Regelung entfaltet Wirkungen im Bereich der Strukturqualität der Einrichtungen. Die im Rahmen des Versorgungsvertragsrechts des § 21 SGB IX geregelten Rechte und Pflichten der Erbringer von Teilhabeleistungen sind entsprechend anzupassen. Da es sich dabei um Qualitätsanforderungen handelt, sollte das leistungsbezogene Vergütungsrecht der Teilhabeleistungen (§§ 19 Abs. 4 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB IX) durch Orientierung auf Qualitäten in trägerübergreifenden Vergütungsmaßstäben (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX) konkretisiert werden. Zugleich können in § 21 Abs. 2 SGB IX vorhandene Ungereimtheiten beseitigt und als bundesweite gemeinsame Gestaltungsplattform von Leistungsträgern und –erbringern ausschließlich noch Bundesrahmenverträge zugelassen werden. (14) §§ 22 – 25 SGB IX / Gemeinsame Servicestellen Sinn und Zweck der Einrichtung gemeinsamer Servicestellen ist es, dem Betroffenen Beratungs- und Unterstützungsleistungen anzubieten, um ihm den Zugang zum gegliederten Sozialleitungssystem zu erleichtern. Nach der derzeitigen Formulierung in § 22 Abs. 1 und § 23 Abs. 3 SGB IX ist nicht deutlich, inwieweit das Personal der Servicestellen einer Behörde oder beispielsweise einer Selbsthilfegruppe zugehörig sein darf oder ggf. sogar sein muss. Dies hat zu der Forderung nach unabhängigen Servicestellen geführt, um eine einseitige Beratung zu verhindern. Da ein bestehender gesetzlicher (Leistungs-)Anspruch jedoch nicht zur Disposition gestellt werden kann und unzureichende oder unrichtige Angaben grundsätzlich eine Falschberatung mit der Folge eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs bzw. eines 10 Amtshaftungsanspruchs / sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs darstellen, kommt es im Zusammenhang mit der geforderten Unabhängigkeit letztlich auf die Frage des Vertrauens an, das der Betroffene dem Personal der Servicestelle entgegenbringt. Es ist daher erforderlich, dass der behinderte Mensch oder der sonstige nach § 22 Abs. 1 SGB IX Berechtigte in den Servicestellen neutral und von einer Person seines Vertrauens beraten wird, notfalls im Wege eines Wahlrechts bezüglich der Person bzw. einer Ausweichmöglichkeit zu einer anderen Stelle. Letzteres darf dann aber zu keinen Nachteilen im Hinblick auf die Erreichbarkeit und zeitliche Bearbeitung führen. Im Übrigen muss in konzeptioneller Hinsicht darüber nachgedacht werden, Servicestellen wohnortnah in ausreichender Anzahl zu etablieren und als eigenständige Beratungsstellen unter dem Namen „unabhängige Servicestellen“ zu führen. Geeignet erscheinen vor allem Behindertenorganisationen, die aufgrund ihrer Erfahrung und der Mitwirkung Betroffener die beste Beratung und sonstige Unterstützung im konkreten Einzelfall bieten können. Hier bieten sich insbesondere Selbsthilfeorganisationen an, da eine Beratung durch Personen, die in Bezug auf die jeweilige Behinderung bzw. das entsprechende Krankheitsbild auf eigene Erfahrung zurückgreifen können, in der Regel die beste Unterstützung für einen Betroffenen darstellen. Sinnvoll erscheint insoweit zudem eine Vernetzung der Organisationen, so dass spezifisches Wissen gegenseitig abgefragt werden kann. Notwendig hierfür ist allerdings die Bereitstellung hinreichender finanzieller Mittel durch den Staat. (15) § 30 / Früherkennung und Frühförderung Es ist durch gesetzliche Definition klarzustellen, was unter dem in § 30 enthaltenen Begriff der Frühförderung zu verstehen ist. Ziel muss es sein, eine umfassende Komplexleistung zu erreichen, bei dem die einzelnen Bestandteile in wirksamer Weise gegenseitig ineinandergreifen. Dies beinhaltet vor allem auch eine Klarheit bezüglich der Zuständigkeit und Finanzierung. (16) Weiterentwicklung des Leistungsrechts Die UN-BRK enthält Regelungen mit Auswirkungen auf das Leistungsrecht i.S.d. SGB IX in den Artikeln 19, 25 und 26. 11 Nach Artikel 19 Buchst. b ist zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe gemeindenaher Unterstützungsdienste zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist. Bei den vorhandenen Leistungsarten erscheint vor allem eine Weiterentwicklung des Rechts auf Assistenz im Sinne einer „Alltagsassistenz“ notwendig. Bei den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft könnte eine weitere Konkretisierung der gemeindenahen sonstigen Unterstützungsdienste geboten sein. Im Übrigen ergeben sich wesentliche Auswirkungen auf die Organisation des Leistungsgeschehens im Sinne sozialräumlicher Vernetzung, die für § 19 SGB IX relevant sind. Dabei erscheint insbesondere die Erschließung der häuslichen Ausführung von Teilhabeleistungen zumindest für die Zielgruppen erforderlich, die ansonsten keinen Zugang zu den Leistungen haben (Ausbau der mobilen Rehabilitation). Artikel 25 erwartet die geschlechtsspezifische Gestaltung der Gesundheitsdienste. Die Anforderung des Buchst. b, dass die gesundheitliche Versorgung behinderter Menschen in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung stehen muss wie anderen Menschen, kann – obwohl dies nicht ausdrücklich so formuliert ist – nur so verstanden werden, dass die Versorgung unter ausdrücklicher Berücksichtigung der mit der Behinderung verbundenen spezifischen Anforderungen gleichwertig sein muss. Das bedeutet erheblichen Regelungsbedarf im Leistungserbringungs- und Vergütungsrecht des SGB V. Nach Artikel 26 dienen die Habilitations- und Rehabilitationsdienste und programme dazu, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen und zu bewahren. Dazu muss nicht nur die allgemeine Zielsetzung der Teilhabeleistungen in den §§ 1 und 4 SGB IX, sondern auch die leistungsspezifische Zielsetzung in den §§ 26 Abs. 1, 33 Abs. 1 und 55 Abs. 1 SGB IX an die Anforderungen der UN-Konvention angepasst werden. Da die Rehabilitationsträger – entgegen dem SGB IX – ihre Leistungen bisher nicht umfassend auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ausgerichtet 12 haben, sondern unverändert medizinorientierte oder trägerspezifische Zieldefinitionen zum Maßstab machen (z.B. Alltagskompetenz bei Rehabilitation vor Pflege, unklare, von § 26 Abs. 1 SGB IX abweichende Zieldefinitionen in der GKV, Ausblenden aller Ziele neben der Erwerbsfähigkeit in der GRV), bedarf es einer gesetzlichen Verpflichtung, dass der zuständige Träger die Leistungen nach Gegenstand, Umfang und Ausführung so zu gestalten hat, dass mit den während der Leistungsausführung eingesetzten Methoden alle im Einzelfall festgestellten Teilhabebeeinträchtigungen behandelt werden können. Mit Blick auf die uneinheitliche Praxis der Rehabilitationsträger bedarf es der Klarstellung, dass die in § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX genannten medizinischen Teilhabeleistungen von allen Trägern solcher Leistungen sowohl als ambulante Einzelleistungen der Teilhabe, wie auch im Rahmen von stationären Teilhabeleistungen auszuführen haben. Damit ist insbesondere im Bereich der GKV eine Abgrenzung zu den vergleichbaren Leistungen der Kassenärztlichen Versorgung und die Einbeziehung in das Persönliche Budget gesichert. Da die Teilhabeträger den Bedarf an Teilhabeleistungen nicht einheitlich nach § 10 SGB IX erheben und darauf ihre Leistungsentscheidung stützen, sollte § 27 SGB IX, der dies bisher ausdrücklich nur für die GKV klarstellt, auf alle Rehabilitationsträger ausgedehnt werden. Sollten in den für die Träger geltenden Leistungsgesetzen auch in Zukunft noch über die Anspruchsgrundlage und den Verweis auf das SGB IX hinausgehende spezifische Regelungen zum Teilhaberecht verbleiben, muss in den spezifischen Leistungsgesetzen über die vorhandenen Verweise auf das SGB IX hinaus klargestellt werden, dass für die Entscheidung über und die Ausführung von Teilhabeleistungen bei allen Trägern ausschließlich nach den Bestimmungen des SGB IX zu verfahren ist (einschl. des spezifischen Leistungserbringungsrechts für Teilhabeleistungen im SGB IX). Letztlich sind durch eine Überarbeitung der §§ 26 Abs. 2 und 30 SGB IX die im Bereich der Frühförderung vorhandenen Probleme zu beseitigen. Die BAG SELBSTHILFE unterstützt in diesem Zusammenhang im vollem Umfang die Stellungnahme des DVfR „Früherkennung und Frühförderung von Kindern und Jugendlichen bundesweit in vergleichbarer Qualität anbieten.“ Aus Artikel 27 – Arbeit und Beschäftigung – der UN-BRK ergeben sich erkennbar keine Anforderungen für neue Leistungsarten, sehr wohl aber Anforderungen an das Leistungsverfahren und das Handeln der Leistungsträ13 ger, die mit den Vorschlägen im Kapitel Zugänglichkeit und zur Bedarfsorientierung der Teilhabeleistungen erfasst sind. Ergänzend dazu bedarf es allerdings einer weiteren Konkretisierung der arbeitgeberbezogenen Leistungen. Eine Herabstufung des Rechtsanspruchs auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Ermessensleistungen gefährdet mit Blick auf die regionale Unterschiedlichkeit der Ermessensausübung einerseits die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse behinderter Menschen und ist andererseits nicht mit den in Artikel 24, 27 der UN-BRK eingegangenen Pflichten zu vereinbaren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt auch für nicht behinderte Menschen als angespannt und schwierig darstellt. Dies darf sich jedoch vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots der UN-Konvention nicht zusätzlich nachteilig für arbeitssuchende Menschen mit Behinderungen auswirken. Deshalb sind hier neben den bereits erwähnten Verbesserungsnotwendigkeiten im Leistungsbereich gerade auch im Bereich der Beschäftigungspflicht und sonstigen Pflichten der Arbeitgeber nach §§ 71 ff SGB IX Veränderungen im Sinne einer stärkeren Verpflichtung, notfalls auch durch Verschärfung der Bußgeldvorschriften (§ 156 SGB IX), einzufordern. Im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist neben den zu den Auswirkungen des Artikel 19 dargestellten Anforderungen die Diskussion zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe relevant. Mit Inkrafttreten des SGB IX wurden die Regelungen der Eingliederungshilfe für Erwachsene als §§ 55 ff. in das SGB IX übernommen und in der Eingliederungshilfe-VO zum SGB XII ersatzlos gestrichen. Das SGB IX ist insoweit seit Jahren zugleich auch Leistungsgesetz, zumal nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII die dort nachfolgend noch aufgelisteten Leistungen der Eingliederungshilfe ausdrücklich neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX zu erbringen sind. Die Forderung der ASMK nach der Weiterentwicklung der im Bereich des SGB XII gestrichenen Vorschriften der Eingliederungshilfe bedeutet danach im Ergebnis eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem 01.07.2001 und die Reintegration eines großen Teils des Teilhaberechts in das Fürsorgerecht. Eine solche Entwicklung lässt sich mit Blick auf die fürsorgerechtlichen Einschränkungen des SGB XII weder mit dem Sinn noch mit dem Wortlaut der UN-Konvention vereinbaren. Die mit dem SGB IX ab 01.07.2001 – u.a. durch die Verlagerung von Teilen des damaligen Rechts der Eingliederungshilfe – begonnene Zusammenfassung des Teilhaberechts in einem Sozialgesetzbuch sollte fortgesetzt und durch die Verlagerung der noch im SGB XII verbliebenen Regelungen der 14 Hilfen zur Behinderung in das künftige SGB IX – Teilhaberecht – abgeschlossen werden. (17) Barrierefreiheit – Artikel 3 Buchst. f, Artikel 9 der UN-Konvention Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, soll der gleichberechtigte Zugang zu Einrichtungen und Diensten gewährleistet werden. Der Grundsatz der Zugänglichkeit erfasst nicht nur die in Artikel 9 der UN-BRK genannten Aspekte der Barrierefreiheit, sondern u.a. auch den Zugang zu Gesundheitsleistungen (Artikel 25 der UN-BRK) oder den Zugang zu Habilitations- und Rehabilitationsdiensten bzw. –programmen (Artikel 26 der UNBRK). Insbesondere der barrierefreie Zugang zu den Gesundheitsleistungen, Habilitations- und Rehabilitationsdiensten und -programmen ist ganz wesentlich abhängig von der barrierefreien Gestaltung der Verwaltungsverfahren und des Verwaltungshandelns der Sozialleistungsträger. Das den Trägern dabei dem Grunde nach belassene pflichtgemäße Ermessen ist gebunden durch Vorschriften des SGB X über das Verwaltungsverfahren und den Verwaltungsakt, aber auch durch vielfältige Verfahrensregelungen des SGB IX bzw. anderer SGB (z.B. §§ 8-14 SGB IX, §§ 7 a, 18, 31 SGB XI), die z.T. die Zugänglichkeit zu den Leistungen, Diensten und Programmen erheblich erschweren. Es ist geboten, das gesamte Verwaltungs- und Verfahrensrecht der Sozialgesetzbücher auf Zugangsbarrieren zu überprüfen und ggf. durch barrierefreie Verfahrensregelungen zu ersetzen. Dies könnte zugleich ein maßgeblicher Beitrag zur Entbürokratisierung sein. (18) § 63 SGB IX / Klagerecht der Verbände Das 2001 ins SGB IX eingeführte Klagerecht der Verbände, das den Behindertenverbänden die Geltendmachung von Rechtsverletzungen von Menschen mit Behinderungen im Wege der Prozessstandschaft ermöglicht, ist bisher nur selten wahrgenommen worden. Grund dafür mag sein, dass es sich eben um kein echtes Verbandsklagerecht handelt und insoweit ein Vorteil gegenüber einer Vertretung in der Regel nicht gegeben ist. Eine Ausgestaltung als echtes Verbandsklagerecht wie es beispielsweise in § 13 BBG enthalten ist, wäre daher zweckmäßig, allerdings unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende Klage nicht nur auf Feststellung eines Rechtsver15 stoßes gerichtet ist (so wie in der genannten Vorschrift), sondern auch die Möglichkeit zur Anfechtungs-, Leistungs- und Unterlassungsklage besteht. Hierin wäre eine wirksame Ausprägung des in Artikel 13 der UN-Konvention festgeschriebenen „Zugangs zur Justiz“ zu erkennen. (19) Statistik und Datensammlung – Artikel 31 der UN-Konvention Artikel 31 der UN-BRK (Statistik und Datensammlung) verpflichtet die Vertragsstaaten zur Informationssammlung zur Teilhabe behinderter Menschen. Danach ist die Schaffung angemessener Datengrundlagen für Entscheidungen über die künftige Organisation und Bereitstellung von sozialen Leistungen zur Durchführung der UN-BRK zwingend notwendig, auch unter dem Gesichtspunkt der Evaluation der Wirkung von getroffenen Maßnahmen. Die bisher erhobenen Daten (Mikrozensus, Schwerbehindertenstatistik) und der Teilhabebericht der Bundesregierung sind dafür nicht ausreichend. Die Schaffung solcher Datengrundlagen zur Teilhabe ist auch als Forschungsaufgabe anzusehen. Hier sollten entsprechende Regelungen in das SGB IX aufgenommen werden, möglichst unter Hinweis auf das Klassifizierungssystem ICF. Datenerhebungen, die von Behinderten- / Selbsthilfeorganisationen selbst durchgeführt werden und der Weiterentwicklung und Optimierung des gesetzlichen Leistungsangebots dienen, sind staatlich zu fördern. (20) Bewusstseinsbildung – Artikel 8 der UN-Konvention – Nach Artikel 8 der UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten zur Ergreifung von Maßnahmen, um in der gesamten Gesellschaft das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen und deren Fähigkeiten zu schärfen und zu fördern. Beispielhaft für solche Maßnahmen nennt Abs. 2 u.a. die dauerhafte Durchführung von Kampagnen zur Bewusstseinsbildung, die Förderung von Schulungsprogrammen sowie die Förderung der positiven Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen und eines größeren gesellschaftlichen Bewusstseins ihnen gegenüber. Insoweit ist gerade von denjenigen Trägern bzw. Behörden, die die Vorgaben des SGB IX umsetzen oder zumindest von diesem Regelungswerk tangiert sind, eine besondere Verpflichtung zur Förderung der Bewusstseinsbildung zu erwarten. Die Bewusstseinsbildung bzw. -intensivierung soll zum einen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im eigenen Haus stattfinden. Zum anderen können diese aufgrund ihrer Erfahrung in der täglichen Arbeit das Bewusstsein auch bei Externen fördern, wie zum Beispiel bei anderen Behörden und öffentlichen Einrichtungen. Eng im 16 Zusammenhang mit der Bewusstseinsbildung steht im Übrigen das Prinzip des sog. Disability Mainstreaming, d.h. die UN-Konvention und ihre Zielvorgaben sollen auch dort thematisiert werden, wo die Perspektive Behinderung (scheinbar) nicht vorkommt. Ähnliches gilt für den Aspekt des sog. Universal Design, wonach Produkte, Materialien, Gebäude etc. so zu gestalten sind, dass sie möglichst vielfältigen Anforderungen gerecht werden. Vor diesem Hintergrund ist zumindest eine entsprechende Grundregelung im SGB IX sinnvoll, um die Bedeutung und Notwendigkeit einer Bewusstseinsbildung bzw. –änderung hervorzuheben und vor Augen zu führen. Denkbar ist darüber hinaus die konkrete Verpflichtung zur Durchführung von Schulungen, Kampagnen und Veranstaltungen, aber auch die enge Zusammenarbeit mit Schulen, Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften bzw. Betriebsräten sowie das Verbreiten von Informationsschriften u.a. Darüber hinaus erfordert die Bewusstseinsbildung insgesamt ein stärkeres Engagement und eine verstärkte finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite. Ziel muss es sein, einen kontinuierlichen Abbau der „Barrieren in den Köpfen“ der Menschen zu betreiben und so langfristig eine notwendige gesellschaftliche Veränderung zu erreichen. Düsseldorf, im April 2014 17