Vision zu einer achtsam-dialogischen Gesprächskultur

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Vision: Entwicklungen im Wir
Gerd Metz
Kommunikation ist der Vorgang, der ein Wir enstehen läßt. Ist die Kommunikation spärlich oder
dysfunktional, entsteht kein wirkliches Wir. Die Qualität eines entstehenden Wir wird umso dichter
und tiefer, je dichter und tiefer die Kommunikation wird. Die Dichte und Tiefe der Kommunikation
hängt unmittelbar von der aktuellen bewusstseinsmäßigen Verfasstheit der beteiligten Individuen ab
(Gestimmtheit und Aufmerksamkeit), von deren persönlicher Reife, plus deren Kenntnis und
Geübtheit in denjenigen Elementen „guter Kommunikation“, die erfahrungsgemäß ein empathisches
Verstehen der Innenwelten der Kommunikationspartner ermöglichen (Gedankengänge, Gefühle,
Bedürfnisse, Intentionen), die also dazu beitragen, dass die Innenwelten der Gesprächspartner
miteinander in Resonanz treten.
Dies braucht eine zweifache Fähigkeit und Bereitschaft:
Vom Sender: seine Gedanken, Gefühle und Intentionen - also sein Inneres - so tranparent und
gleichzeitig auf's Wesentliche konzentriert mitzuteilen, dass es für andere nicht allzu schwer ist, ihn
oder sie empathisch zu verstehen.
Vom Empfänger: Die Bereitschaft und Fähigkeit, die Mitteilungen ganz aufzunehmen, mit ganzer
Aufmerksamkeit und emotionaler Offenheit, also mit tiefem Zuhören unter vorläufiger
Suspendierung innerer Reaktionen, Argumentationen und Bewertungen.
Beides braucht viel Übung und ein gewisses Maß an Persönlichkeitsentwicklung.
Mit Persönlichkeitsentwicklung ist hier u.a. gemeint, die eigene kognitiv-emotionale Reaktivität im
Hören und Sprechen wahrnehmen zu können und zunehmend von einem inneren Wesenskern her
liebevoll umfassen und steuern zu lernen, sodass kommunikative Austauschprozesse mehr die
Chance haben, sich in einer Weise miteinander zu verbinden, dass daraus ein autopoetischer,
überindividueller Tanz entstehen kann, der fruchtbar ist und die Beteiligten zutiefst befriedigt.
Eine häufige und schmerzliche Erfahrung in Gruppenkommunikationsprozessen ist, dass die
individuellen Intentionen und Bedürfnisse, mit denen die einzelnen Teilnehmer anwesend sind,
nicht ausreichend effektiv und transparent in ein kollektives Bewusstsein gehoben werden können,
geschweige denn in einer kohärenten und zufriedenstellenden Weise zueinander in Bezug gesetzt
und miteinander verhandelt werden können.
Damit einher geht dann meist ein Gefühl der Fragmentierung des Kommunikationsprozesses selbst
als auch der Zielausrichtung der Gruppe. Eine weitere Folge ist die Fragmentierung der
Aufmerksamkeitsfokussierungen der einzelnen Teilnehmer. D.h. dadurch, dass meine persönlichen
Bedürfnisse und Intentionen nicht ausreichend im kollektiven Bewusstseinsraum „ankommen“
(nicht voll gehört und wahrgenommen werden), fragmentiert sich meine Aufmerksamkeit zwischen
der Beschäftigung mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen einerseits und dem was im kollektiven
Raum gerade geschieht und gesprochen wird andererseits und pendelt hin und her.
Umso mehr dies der Fall ist und mehrere Gruppenteilnehmer betrifft, umso mehr verliert die
kollektive Themenfokussierung der Gruppe an Kraft und der kollektive Austauschprozess an
kreativer Stringenz und Ausrichtung.
Eine wie magnetisch wirksame Integration der kollektiven Aufmerksamkeitsfokussierungen und
Zielausrichtungen (alle sind wie „angezogen“ von der gemeinsamen Bewegung) gelingt dann erst
gar nicht oder zersplittert leicht wieder in fragmentierte Energien, wenn entsprechende
Kompetenzen und Haltungen nicht ausreichend geübt werden und zur Anwendung kommen.
Eine „integrale Kommunikationskunst“ würde also darin bestehen, Inklusion zu ermöglichen,
d.h. alle für den Gruppenprozess wichtigen emotionalen Energien und Intentionen im kollektiven
Bewusstseinsraum „sichtbar werden und ankommen“ zu lassen und bewusst damit umzugehen.
Integral bedeutet hier aber auch, im Dienste der Wirklichkeit und kollektiven Wirksamkeit über die
grüne Haltung der prozessualen Gleichberechtigung aller Themen und Energien hinauszuwachsen
und Prioritäten anzuerkennen, Führung anzubieten und zu praktizieren als auch Führung
anzunehmen, Wichtigkeits- und Wertunterscheidungen zu treffen. Das bedeutet, dass neben der
Inklusionsfähigkeit und -bereitschaft, auch die Bereitschaft zur flexiblen Über- und Unterordnung,
zum flexiblen Einschliessen und Ausschliessen (im Sinne von „gehört hier her - gehört jetzt nicht
hier her“) vervollständigend hinzukommen muß.
Diese Fähigkeit kann bedeuten, dass ich in mir Impulse zurückstelle noch bevor ich sie ausspreche,
wenn ich, bewustseinsmäßig verankert in meinem wachen inneren Wesenskern, erkenne, dass dieser
aktuelle Impuls nicht gerade besonders gut zur übergeordneten kollektiven Bewusstseinsfokussierung und Zielausrichtung passt, und daher mehr zur Fragmentierung als zu einer Kohärenz des
Flusses beitragen würde.
Des weiteren kann diese Fähigkeit bedeuten, ausgesprochene Impulse, Anregungen oder Bedürfnisse ankommen zu lassen (also dem Sprecher zu zeigen, dass man sie hört), aber sie ebenso bewusst, im Sinne einer Wahl und kollektiven Prioritätensetzung, wenn nötig nicht oder zunächst
nicht weiter zu verfolgen.
Eine integrale Kommunikationskunst wäre also die Kunst, kohärent gemeinsam zu denken und im
Fühlen miteinander in Resonanz zu gehen. Eine Folge davon wäre ein zunehmendes kollektives
alignment (stimmige Kopplung) individueller Intentionen. Das fängt an bei den abwechselnden
Intentionen von Sprechen und Zuhören, führt über die Kopplung der individuellen Intentionen
bezüglich einer einzelnen Gruppensitzung, bis hin zur Kopplung der Intentionen darüber warum
und wofür wir überhaupt regelmäßig und vielleicht über Jahre in dieser Gruppe, mit diesen
Menschen zusammenkommen. Die transparente Klärung der Intentionen und in wieweit sie
stimmig und zufriedenstellend innnerhalb einer bestimmten Gruppenzusammensetzung miteinander
gekoppelt werden können, kann natürlich dazu führen, dass der eine oder die andere sich sagt, dass
dies nicht meine Gruppe ist, dass ich mich mit meinen Intentionen darin nicht gut angekoppelt fühle
und meine wertvolle und begrenzte Zeit und Lebensenergie lieber in andere Verbindungen
einbringen möchte. In einer bewussten, transparenten und wertschätzenden Handhabung wäre auch
dies integral.
Wenn wir diese systemischen Vernetzungen - wieder einmal - an der so hilfreichen integralen
Landkarte der Wilber-Quadranten abbilden, dann könnte man das vielleicht so beschreiben
(OL = oben links; UL = unten links; OR = oben rechts; UR = unten rechts ):
Individuelle Intentionen (OL) so miteinander teilen (mitteilen), dass sie alle im Begegnungsraum
(UL) „sichtbar“ werden (Kunst des klaren Sprechens, der Selbstoffenbarung und des tiefen
Zuhörens).
In dialogischen und achtsamen Austauschprozessen eine fliessende, möglichst kollektive
Aufmerksamkeitsfokussierung generieren, d.h. zum Teil fliessend intuitiver und zum Teil kognitivbewusst entschiedener Konsens bezüglich der kollektiven Aufmerksamkeitsrichtung im Hier und
Jetzt (OL und UL)
Daraus folgt, dass die individuellen Handlungen der Teilnehmer an der Kommunikation (OR,
die Handlungen des Sprechens) sich so aufeinander einstimmen und koordinieren, dass daraus ein
„gemeinsames Denken“ entstehen kann.
Gelingende Kommunikation bedeutet: Die Prozesse der Innenwelt und der Orientierung nach innen
(Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, Intentionen) mit den Prozessen der Außenwelt und der
Orientierung nach aussen (Hören und Sprechen) zwischen zwei oder mehr Menschen erfolgreich zu
koppeln.
Der im Zeitkontinuum fliessende Sprech- und Interaktionsfluss in einer Gruppe ist gleichzeitig ein
im Aussen wahrnehmbares kollektives Verhaltensereignis (UR) mit einer ganz spezifischen
Verlaufsgestalt und ein kollektives Bewusstseinsphänomen von „Atmosphäre“, sowie
Ausprägungsgrad von kollektiver bewusstseinsmässiger kohärenter Ausrichtung versus
Fragmentierung (UL).
Unter Umständen können dann aus solchen gelingenden kommunikativen Kopplungsprozessen
über die Gruppensitzungen hinausreichende effektive Handlungskopplungen (also Aktivitäten)
einzelner oder aller Gruppenmitglieder entstehen (UR). „Alone, a man can do very little“
So wie der in ein Kontinuum ausgedehnte vierte Bewusstseinszustand (das Bewusstsein das sich
jetzt seiner Bewusstheit bewusst ist), der nächste große Sprung in der Menschheitsevolution im
Bereich des individuellen Bewusstseins seit der Entwicklung des Denkvermögens ist, so gibt es
auch im Bereich des Wir und der Kommunikation einen evolutionären Sprung:
Dieser besteht darin, dass die an einer Kommunikation beteiligten Individuen lernen auch die
Kommunikationsprozesse während der Kommunikation wahrzunehmen (nicht nur die Inhalte) und
sich mit diesen dienend zu verbinden. D.h. sie vermindern das reaktive „Hineinwerfen“ von
Inhaltspaketen in den Raum (auf die andere z.T. wieder knopfdruckartig reagieren; downloading
und Aneinanderreihung von statements), sondern “sehen“ und spüren sensibel den lebendigen Fluß,
der die Kommunikation trägt, in ihnen selbst und im kollektiven Zwischen.
Was könnte ein geeigneterer Ort sein, diese entwickelteren Wir-Fähigkeiten zu trainieren als unsere
Salontreffen?
Und wenn wir irgendwann dort genügend Erfahrungen, Fertigkeiten und begriffliche Werkzeuge
dazu gesammelt haben, können wir anfangen, daran zu denken, dies vielleicht auch weiterzugeben.
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