Zur Frage der Qualität und Qualitätssicherung - technokratische versus pädagogische Ansätze in der Qualitätssicherung Wer nämlich zwischen dem Wahren und dem Falschen zu unterscheiden weiß, muss eine angemessene Idee des Wahren und Falschen haben. (Benedictus de Spinoza) Als ich 1997/98 den Auftrag zur Erarbeitung eines Ansatzes für die Qualitätssicherung unserer Hochschule übernahm, begab ich mich auf die Suche nach ausgearbeiteten Systemen, die sich aus der Wirtschaft auf eine Bildungsinstitution transformieren ließen, so dass zugleich auch ein gemeinsames Denken bzw. ein Organisationsentwicklungsprozess in die Wege geleitet wird. Diese Vorstellung erwies sich jedoch als utopistisch, da ich nach langwieriger Beschäftigung mit der ungarischen und der deutschsprachigen Fachliteratur zur Überzeugung gelangt bin, dass bereits meine Problemstellung falsch war: aus Produktionsprozessen lassen sich keine Qualitätsindikatoren und Verfahren für Bildungsprozesse ableiten. Dies zu illustrieren, habe ich zwei Typen von Transformationsversuchen ausgewählt; in der einen Tabelle wird der Versuch unternommen, die industrielle Qualitätssicherungsregelung DIN ISO1 9001 für Bildungseinrichtungen nutzbar zu machen: 1 ISO: International Organization for Standardization. DIN: Deutsches Institut für Normung. Die Normenreihe DIN ISO 9000 zur Vereinheitlichung von Qualitätssicherungssystemen wurde 1987 veröffentlicht. QS-Element der DIN ISO 9001 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Übersetzung für Bildungseinrichtungen Verantwortung der obersten Leitung Führungsaufgaben Qualitätssicherungssystem Qualitätsmanagementssystem Vertragsüberprüfung Werbung und Prüfung der Verträge Designlenkung Neu-und -Weiterentwicklung von Bildungsmaßnahmen Lenkung der Dokumente Dokumentation des Qualitätsmanagementssystems Beschaffung Beschaffung von Produkten und Leistungen Vom Auftraggeber beigestellte Vom Kunden eingebrachte Produkte Leistungen Identifikation und Kennzeichnung der Rückverfolgbarkeit von Produkten Bildungsmaßnahmen Prozesslenkung Durchführung von Bildungsmaßnahmen Prüfungen Prüfungen Prüfmittel Prüfmittel Prüfstatus Prüfstatus Lenkung fehlerhafter Produkte Fehlerbehandlung Korrekturmaßnahmen Korekturmaßnahmen Handhabung, Lagerung, Handhabung, Lagerung, Verpackung, Versand Verpackung, Versand Qualitätsaufzeichnungen Qualitätsaufzeichnungen Interne Qualitätsaudits Interne Qualitätsaudits Schulung Schulung Kundendienst Kundendienst Statistische Methoden Statistische Methoden a b c X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X a = problemlos übertragbar, b = Interpretation notwendig, c = nur teilweise relevant (Geißler 1997, S. 106) Nach einem genaueren Hinblick auf die Tabelle wird relativ schnell klar, dass sich hier (eher ein lineares) Managementdenken durchgesetzt hat und die bereits transformierten Punkte der zweiten Kolonne sich fast ausschließlich auf das Management der Bildungsinstitution beziehen können, kaum aber auf den Unterrichtsprozess. Die Trennung zwischen den verschiedenen Funktionen wie Management und Produktion fällt im Gegensatz zu den diversen Bildungsinstitutionen in der Wirtschaft leicht. Darüber hinaus ist der QS-Bereich an Bildungseinrichtungen sensibler zu behandeln, weil - wie die Forschungen öfters bewiesen haben Lehrpersonen dazu neigen, die Arbeit, die Ergebnisse und Absichten (wie z.B. Fortbildungswille - vgl. Landert 1999, Perjés et al. 2001) der Kollegen weniger wichtig und wertvoll als die eigene einzuschätzen. Als Nutzen der Einführung des oben erwähnten ersten Typs der Qualitätssicherung kann in der Zukunft der bewusstere Umgang der Bildungsinstitutionen mit Zuständigkeiten und Verantwortungen zugerechnet werden. Den zweiten Typ der Qualitätsicherungsversuche für Bildungseinrichtungen kann man am Beispiel von Firmen demonstrieren, die wie z.B. der IBM über eigene Aus- und Weiterbildungsabteilungen verfügen. Sie gehen mit der Problematik Qualitätskontrolle vorsichtiger um und versuchen, statt verbindlicher statischer Prüfelemente kundenfreundliche, den gültigen Gesetzen und internationalen Standards entsprechende Handlungsabläufe zu beschreiben. Es ist leicht einzusehen, dass das Aufstellen von Maßstäben, das Beantworten von entsprechenden Entscheidungsfragen nicht gerade schwierig ist wie z.B.: bei der Master Package: Gibt es ausreichende Materialien für die TeilnehmerInnen? Sind alle Kopiervorlagen in der Package vorhanden? Ist die Druckqualität der Vorlagen gut? Während über den Unterricht(sprozess) selbst, die Fort- und Weiterbildung, worum es letztlich doch gehen sollte, kaum die Rede ist, wie es bei dem IBMSystem der Fall ist: Das IBM CEP (Customer Education Prozess) System Marktchancen ermitteln Marktchancen erkennen Marktchancen untersuchen und auswählen Geschäftsfeld untersuchen und bewerten Schulungsangebote entwerfen Curriculum entwickeln (grob) Curriculum entwickeln (fein) Durchführung entscheiden Preise festlegen Schulungsdurchführung planen Ressourcenbedarf festlegen Durchführungsplan entwickeln Einzelpläne zusammenführen und überprüfen Finanzierungs- und Durchführungsplan erstellen und verabschieden Ressourcen beschaffen Marketing durchführen Schulungsangebote ankündigen Schulungsleistungen vermarkten Schulungen entwerfen Adressaten und Tätigkeiten analysieren Lernziele festlegen (Grobziele) Lehrmethode festlegen Aufgaben und Lernerfolgskontrollen formulieren Kursablauf bestimmen Schulungen entwickeln Lernziele detaillieren Lernschritte und Lernaktivitäten festlegen Unterlagen und Materialien auswählen Lehrgangsunterlagen erstellen oder überarbeiten Master Package zusammenstellen Testunterricht durchführen Leistungen erbringen Verfahren verfügbar halten und optimieren Lehrgänge steuern Schulplanung bearbeiten Lehr- und Lernmaterialien bereitstellen Schulungen durchführen (Wunderer/Kuhn 1995, S. 520) Von dieser Art der Qualitätsüberlegungen können Bildungseinrichtungen lernen, wie sie Organisationsabläufe gleichen Charakters auf einem anspruchsvollen Niveau automatisieren können. Meines Erachtens führen jedoch all die Wege, die ein aus dem Bereich der Wirtschaft entlehntes Qualitätssicherungssystem, sei es Total Quality Management (TQM) oder ISO X, Y, in den Mittelpunkt stellen, in die Sackgasse, weil sie den Ausgangspunkt, nämlich was soll Qualität in der Pädagogik im weitesten Sinne bedeuten, zu definieren vergessen. Im Jahre 2000 startete das ungarische Bildungsministerium die landesweite staatliche Qualitätssicherungsoffensive für Schulen: Comenius 2000. Diese wurde mit erheblichem finanziellen Aufwand ins Leben gerufen, mit zahlreichen Publikationen und Aktionen unterstützt, aber einem ernsthaften Versuch, pädagogische Qualität zu bestimmen, bin ich in den zugänglichen Unterlagen nicht begegnet. Dem ungarischen Hochschulakkreditierungsverfahren ist das Managementdenken auch nicht fremd, das System ist jedoch besser durchdacht und auf pädagogische und wissenschaftliche Leistungen ausgerichtet. Diese inhaltlichen Ergebnisse habe ich 1998 meinem Auftraggeber präsentiert und die ersten Schritte eines Organisationsentwicklungsplans vorgelegt, welcher jedoch mit der Begründung, dies zu realisieren würde es zu lange dauern und keine messbaren Ergebnisse bringen, abgelehnt wurde zugunsten eines angeblich "für unsere Kunden" transparenten, für die Hochschulleitung statistisch gut analysierbaren Mischsystems. Aus den obigen ist - etwas vereinfacht - darauf zu schließen, dass im Bildungssektor zurzeit unter dem Begriff Qualität vielerorts Folgendes verstanden wird: Qualität ist, was man verbessern kann/muss Jede Qualität kann man verbessern Jede Qualität kann man auf die gleiche oder zumindest auf ähnliche Weise verbessern Daten, Fakten, messbare Ergebnisse helfen uns, die pädagogische Qualität zu verbessern Qualitätsaktionen verhelfen uns zur Qualität Bildung und Lernen funktioniert strukturell ähnlich, wie die Produktion von z.B. Bohrmaschinen In den letzten Zeiten werden aber auch Meinungen laut, die nicht auf Grund des prinzipiellen Ablehnens und in Unkenntnis der verschiedenen wirtschaftlichen Qualitätssicherungssysteme ihre Skepsis bekunden, sondern anhand von Analysen der bisherigen Ergebnisse und Systeme im QS-Begriffssystem differenzierte Fragen und Probleme formulieren und den Aktionismus in Professionalismus zu verwandeln versuchen. Einen bedeutenden Beitrag zu dieser Art des Problemverständnisses hat im deutschsprachigen Raum Rolf Arnold (Herausgeber) mit dem Band Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung (1997) geleistet, der Beiträge präsentiert, die für alle Bildungseinrichtungen von Nutzen sein können. In seinem Vorwort wirft Arnold die Kernfragen der Problematik auf wie z.B. Wieso gelingt in der Wissenschaft ohne Qualitätssicherung Qualität zu erzeugen und was bedeutet diese Tatsache für Bildungsprozesse? Welchen Nutzen kann die Qualitäts-Modewelle der Erwachsenenbildung bzw. dem Bildungssektor bringen? Wie kann Qualität anders als mit Checklisten und Rastern gesichert werden? Ist die Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung mit dem Nachdenken über erwachsenenpädagogische Professionalisierung identisch? Wie kann Qualitätssicherung als kooperative Aufgabe zwischen allen Beteiligten wie Staat, Träger, Einrichtungen, Trainer verstanden werden? Was bringen Evaluationen für die Erwachsenenbildung? Inwiefern kann man im Falle von TeilnehmerInnen in der Weiterbildung von Kunden sprechen? Was ist Erfolg und Misserfolg in der Weiterbildung? Was bedeutet die Übernahme von modifizierten ISO-Normen außer der Vermehrung von Überwachungs- und Dokumentationspraktiken? Ich möchte von den Fragestellungen einige für Ungarn relevante und daher überlegenswerte hervorheben und zur Diskussion stellen. Als Ausgangspunkt soll zunächst festgelegt werden, dass - wie dies auch Rolf Dubs, (Professor für Wirtschaftpädagogik an der Fachhochschule St. Gallen und Qualitätssicherungsexperte) in seinem Vortrag an der Internationalen Tagung der DeutschlehrerInnen im August 2001 in Luzern betont hat, bis dato kein pädagogischer Qualitätsbegriff zur fachlichen Diskussion gestellt wurde. Somit sollen nun Teilbereiche angerissen werden, die meines Erachtens einerseits hinsichtlich der Begriffsdifferenzierung im Bereich der Qualitätsproblematik relevant sind, andererseits Argumente für einen bewussteren Umgang mit Modeerscheinungen liefern können. Genauso wie es im Volksmund heißt, Wer aufgehört hat, besser zu sein, hat aufgehört gut zu sein, weist Oelkers in seinen Überlegungen auf die Relativität der Qualität und auf die aktuelle Gültigkeit der Kernbegriffe der pädagogischen Leistungsmessung wie Objektivität, Validität, Reliabilität und Transparenz hin, Qualität definiere ich als Relation, die sich graduieren läßt. „Besser“ oder „schlechter“ können enger oder weiter auseinanderliegen, aber Standards müssen immer nach unten abgegrenzt sein. Sie müssen das Schlechtere je unter sich haben, und der Abstand muß sich begründet nachweisen lassen, also verlangt unabhängige Beobachtungen und Bewertungen. Qualität entsteht im Vergleich, die Güte nach oben ist unbegrenzt. (Oelkers 1997, S. 14) Oelkers erweitert den Horizont durch seine prinzipiellen polemischen Überlegungen über die Messbarkeit von Bildung, Ausbildung und Weiterbildung wobei er die Problematik der Theorie und Praxis der Lehrerbildung außer Acht lässt: Wie kann pädagogische Qualität erzeugt werden, wenn die Ausbildung fast alles, was zum Dual von „Mensch“ und „Bildung“ paßt, zuläßt? Die empirische Antwort ist, eine solche Qualität wird gar nicht erzeugt, wenigstens nicht in der Ausbildung, die mit den gegebenen Standards weitgehend nur auf die eigenen Bedürfnisse reagiert. Von der Praxis für die Praxis ist eine Formel, die selbst die seminaristische Ausbildung von Lehrern belastet, nicht etwa anleitet. Die Formel bestätigt kurzschlüssige Effekterwartungen und entwertet dadurch die Ausbildung, während sich zugleich jede Maßnahme der Ausbildung mit dieser Formel sanktionieren läßt. Man kann immer sagen, eine bestimmte Lektüre, eine Übung oder ein Selbstversuch diene „der Praxis“, solange diese nicht als Ernstfall in Augenschein genommen werden muß. Tritt der Ernstfall ein, kann das Ausbildungswissen vergessen werden, ohne daß dies der Ausbildungsinstitution negativ verrechnet wird. Das bedeutet, die Ausbildung hätte auch nicht stattfinden müssen, wenn die entscheidende Vorbereitung auf den Beruf der Beruf selbst ist, steht wenigstens die pädagogische Ausbildung vor dem Problem, was sie denn als Qualität vermittelt, das nur ihr zuzuschreiben ist und zugleich ernsthafte Bedeutung für den Beruf hat. (ebd. S.23-24) Man wird sich wohl zum weiteren Nachdenken veranlasst fühlen, wenn man den Bereich der Erziehungstheorie verlassend zwei oft formulierte Kernfragen aufgreift, nämlich: welche Wandlungen in der Bildung auf individueller bzw. gesellschaftlicher Ebene wohl eintreten werden, wenn man ihre Ergebnisse von Anfang an als zu vermarktende "Produkte" zu konzipieren versucht, und wie sich das traditionelle (Selbst)Verständnis der Bildung verändern wird, wenn man nicht mehr über Lernende, sondern grundsätzlich über "zu gewinnende Kunden" spricht, die durch ein gut konzipiertes Bildungsmarketing angesprochen werden müssen. Arnold empfiehlt nachdrücklich einen kritischen Umgang mit solchen Termini (oft Worthülsen), die aus der Wirtschaft übernommenen worden sind, Qualität, Bildungscontrolling und ähnliche Marktbegriffe sind Begriffe, die – gemessen an der pädagogischen Codierung des Themas – nichts bzw. wenig oder möglicherweise das Falsche begreifen, und ISO sichert ein System der Qualitätssicherung, nicht die Qualität selbst. Die ISO-Norm sichert „eine bloße Methodik von Qualitätsmanagement“ (Severin), sie liefert jedoch keine inhaltlichen Kriterien für die Qualitätsbeurteilung selbst. Aus diesem Grunde ist es „durchaus möglich, daß Unternehmensabläufe zertifiziert werden, durch die permanent ein schlechtes Produkt erzeugt wird“ (Sauter). Die Sicherung von Qualität erfordert demgegenüber zwingend inhaltliche Kriterien, auf deren Basis es möglich ist, Lernangebote, Lernzumutungen und Lernprozesse inhaltlich zu bewerten. (Arnold 1997, S. 57) und fokussiert auf inhaltliche Kriterien, die vor der jeweiligen Maßnahme bestimmt und für alle Beteiligten zugänglich gemacht werden sollten. Die Kunden vs. Lernende Problematik wird in ihrer Komplexität von Dieter Nittel sehr einleuchtend dargestellt. Daß in der Warenwelt eine wesentlich größere Erwartungssicherheit als im erwachsenenpädagogischen Verhältnis existiert, hat gute Gründe. Dienstleistungen in der Konsumwelt sind zeitlich limitiert, räumlich begrenzt und in sozialer Hinsicht eindeutig zurechenbar. Der Vollzug von „Dienstleistungen“ in der Sphäre des erwachsenenpädagogischen Handelns ist zeitlich nicht genau prognostizierbar (es kommt auf die Lerngeschwindigkeit und die Intelligenz des einzelnen Akteurs an), räumlich ungebunden (der Aneignungskontext ist beim Lernen ein anderer als der Anwendungskontext) und sozial nicht eindeutig zurechenbar. Als bona-fide-Konsument kann ich erwarten, daß ich „kundenorientiert“ behandelt werde, das heißt, daß mir außer dem Akt des Begleichens der Geldschuld andere Unannehmlichkeiten, wie z.B. der Transport des gekauften Produkts oder das Öffnen der Tür, abgenommen werden. Dem Teilnehmer in einer pädagogischen Interaktion der Erwachsenenbildung werden demgegenüber systematisch und aus guten Gründen zum Teil beträchtliche Eigenleistungen abverlangt. .... (Nittel 1997, S. 171) Erwachsenenbildungsprozesse sind relational und dialogisch; Personen, die sich auf Bildungsprozesse einlassen, folgen einem Anspruch, einer Anforderung und einem Interesse, das zur Eigenleistung, Eigenaktivität und zur Eigenentwicklung herausfordert und investieren Zeit, Geld, Interesse, Aktivität, Emotionen, Kraft in diese Eigenentwicklung, woraus nur Teile in Form von beobachtbaren Ergebnissen wie Zertifikate, Produkte sichtbar werden können. Nittel führt in seinen Überlegungen ebenfalls weitere Gründe auf, die eindeutig gegen die VerkäuferKunden-Beziehung, sprechen. Im Verhältnis zu dem hochkomplexen und extrem störanfälligen pädagogischen Verhältnis weist die Käufer-Kunden-Beziehung einen wesentlich einfacher strukturierten Bauplan auf. Diesem liegt eine komplementäre Rollenkonfiguration zugrunde: der Käufer signalisiert durch Worte oder Gesten Kaufbereitschaft, und der Verkäufer schließt den Handlungsbogen mit dem Akt des Verkaufens bzw. die Entgegennahme des entsprechenden Geldes ab. Rechte und Pflichten sind eindeutig verteilt, und da es sich um eine wechselseitig ergänzende Rollenkonfiguration handelt, weiß der eine durch das, was der andere tut, wie er sich selbst „folgerichtig“ zu verhalten hat. Diesem Rollenverständnis ist ein durch und durch strategischer Charakter eigen, weil die Interessenlage des Käufers (er will viel Ware für möglichst wenig Geld) und die des Verkäufers (er will viel Geld für möglichst wenig Ware) diametral unterschiedlich sind. Natürlich wird das pädagogische Verhältnis auch durch eine Vielzahl strategischer Aktivitätsmuster überlagert, und dies trifft vor allem auf das Handeln in größeren Organisationen zu. Von seiner Grundstruktur beruht pädagogisches Handeln jedoch auf einer kommunikativen Struktur, das Leitmotiv ist Verstehen und nicht die bloße Durchsetzung utilitaristischer Interessen. Komplementarität und strategisches Handeln sind also Bauformen im KäuferKunden-Setting, während kommunikatives Handeln und das Gebot der Reziprozität die Substanz des (erwachsenen) pädagogischen Handelns darstellen. (ebd. S. 173) Wie auch von Nittel formuliert, können wir im Falle einer erwachsenenbildnerischen bzw. pädagogischen Situation weder über eine Dienstleistung, noch über eine Kunden-Verkäufer-Beziehung sprechen, und auch die Ausrichtung der erwachsenenpädagogischen Maßnahmen (im Gegensatz zu dem Bildungsinstitutionsmanagement) auf Kundenorientierung wäre kaum der richtige Weg: Die modernen Sozialwissenschaften (Interaktionismus, radikaler Konstruktivismus) lehren uns, daß es bloßen Wissenskonsum gar nicht geben kann und produktive Aneignungsprozesse auf spontane Eigenleistungen des „I“ angewiesen sind (Mead). Was geschähe, würde man die pädagogische Handlungslogik auf die Verkäufer-Kunden-Beziehung applizieren? Der Käufer des Pkws müsste nachdrücklich aufgefordert werden, sich an der Erstellung, am Produktionsprozeß des Pkws selbst zu beteiligen. Kundenorientierung bedeutet, den potentiellen Käufer von Unannehmlichkeiten oder Nebentätigkeiten, die vom Kaufen ablenken könnten, zu entlasten, eine Art Unterforderungssituation herzustellen. (ebd. S. 172) Schon die scheinbar einfache Frage zu entscheiden, ob der Kursabbruch eines Teilnehmers als Misserfolg (der Kurs war für den Betreffenden nicht anspruchsvoll genug) oder vielmehr als Erfolg (der Teilnehmer hat seine verfehlte Kursauswahl erkannt und eine entsprechende Entscheidung getroffen), zu betrachten ist, fällt oft nicht leicht. Das Eindringen der Begriffe Kunden- und Produktorientierung statt der geläufigen und auch nicht altmodischen Begriffe wie Teilnehmer- und Zielorientierung in die Sprache der Erwachsenenpädagogik kann Türen für strategische und utilitaristische Handlungslogiken öffnen. Die Erwachsenenbildung und die Lehrerfortbildung können aus der Diskussion über Qualitätssicherung möglicherweise eine stärkere Zuwendung seitens der Öffentlichkeit und damit der öffentlichen Mittel gewinnen, um den Prinzipien der Teilnehmerorientierung auf allen Ebenen gerecht zu werden. Wolfgang Becker (Becker 1991, S. 29-32) befürwortet diese Konzeption, indem er feststellt, dass Qualitätssicherung nur als Ausdruck staatlicher Sorge um begründete Mittelverwendung verstanden werden kann, keineswegs aber als normative Bildungskategorie. Die Qualitätsdiskussion kann auch dazu beitragen, dass der Gedanke des qualitätvollen Handelns, das professionell verantwortet wird, andiskutiert wird. Aus den in der Erwachsenenbildungs- und Lehrerfortbildungsszene herrschenden divergierenden Meinungen kristallisieren sich folgende Richtungen heraus: a Manche betrachten die QS-Diskussion als eine Abbildungserscheinung der gesellschaftlichen Entwicklung und glauben fest an die Transformierbarkeit und somit an die Brauchbarkeit der in der Wirtschaft und teilweise im Dienstleistungssektor funktionierenden Normen; b Einige halten die Qualitätsentwicklung quasi für einen spielerischen Ausdruck postmoderner Entwicklungsverläufe (Gieseke 1997), an denen man sich beteiligt, von denen man sich aber gleichzeitig auch distanziert; c Andere sehen in der QS-Diskussion eine Chance, um die Professionalisierungsproblematik mit Modernisierungs-, Strukturierungs- und Rationalisierungsfragen in einem Kontext andiskutieren zu können und sie tragen mit neuen Impulsen zu einer Diskussion bei, die die Etikette der QS-Sicherung trägt, aber letztendlich Grundsätzlicheres thematisiert; d Weitere warten seriös arbeitend und geduldig darauf, bis auch diese aktuelle Modewelle abklingt, was nach Rolf Dubs (Sommer 2001) in Europa spätestens in etwa 5 Jahren wohl der Fall sein wird. In meinen Ausführungen habe ich mich den ersten drei Einstellungen zugewandt und der vierten Gruppe keine Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl letztere m. E. trotz der erkennbaren Abwehrhaltung bezüglich des Themas ebenfalls einen wertvollen Beitrag zur QS-Diskussion geleistet hat. Ein Vertreter dieser vierten Gruppe, Hans Rudolf Lanker, Vorsteher der Zentralstelle für Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung des Kantons Bern, erweiterte den von Theodor Heuss geprägten Qualitätsbegriff, demnach Qualität mit dem Anständigen gleichzusetzen wäre, und schuf damit einen für seine, aber auch für andere Institutionen und Personen brauchbaren Qualitätsbegriff: Qualität ist das Anständige gegenüber BerufskollegInnen, Auftraggeber, Anstellungsbehörde, Eltern, SchülerInnen, StudentInnen, Fachlichkeit und mir selber. (Lanker, Unterlagen der IDT 2001) Dieser Begriff definiert zwar nicht die pädagogische Qualität, beinhaltet aber eine indirekte Stellungnahme zu den bis jetzt Skizzierten und bindet den selten berücksichtigten ethischen Aspekt in den Zusammenhang ein, da hohe Bildungsqualität sich dadurch auszeichnet, dass sie statt Urteile differenzierte, konstruktive bzw. ethische diagnostische Fragen immer in den Bildungskontext aufnimmt. Wenn die Frage gestellt wird, wem gegenüber man anständig, bzw. verantwortlich (seriös) sein soll, dann sind institutionelle und individuelle Ansprüche und Erwartungen im Raum, die sich nicht notwendigerweise widersprechen müssen, aber im Kontext der Lehrerfort- und -weiterbildung auch Konfliktzonen und ethische Grenzen aufzeigen. Für die weiteren Überlegungen im Bereich der Qualitätsproblematik der Lehrerfort- und -weiterbildung sind von den oben erwähnten Punkten b, c und d von Bedeutung, da sie aus einem pädagogischen Ausgangspunkt argumentieren, im wesentlichen nicht preskriptiv sind und die größtmögliche Transparenz erzielen. In diesem Sinne sollte statt des alten Qualitätsbegriffs der sog. Rückspiegel-Perspektive, der durch abschließende Erfolgskontrollen, nachträgliche Beseitigung von Qualitätsmängeln, penible Zufriedenheitskontrollen und isolierte Seminare gekennzeichnet ist, der neue Qualitätsbegriff, die sog. Vorsorgeperspektive gekennzeichnet durch Selbstverantwortung, Selbststeuerung, Vermeidung von Qualitätsmängeln im voraus, Ganzheitliches Erfolgsbewusstsein, Problemlösungen vor Ort und die Auffassung der Weiterbildung als ganzheitlicher Prozess, in den Vordergrund rücken. Abgestützt auf die Arbeiten von Arnold, Faulstich, Krämer-Stürzl, Bohnenkamp und Gieseke lässt sich das Wesentliche ihrer Gedanken in der folgenden Tabelle zusammenfassen: Input-Qualität Aspekte, die im Vorfeld der eigentlichen Maßnahme gesichert werden müssen Konzeption Selbstverständnis expliziert Erwachsenenpädagogisch begründet Planung Bedarfsgerecht Bedürfnisbewusst Teilnehmerorientiert Wissenschaftlich Flächendeckend, zugänglich Angebot Transparent Kontinuierlich (inhaltlich) breit Formenvariant Träger Dienstleistungsorientiert Entwicklungsfähig Wirtschaftlich/rechtlich gesichert Erfahren Throughput-Qualität Aspekte, die während der eigentlichen Maßnahme wirksam werden Infrastruktur Lernfördernd Versorgernd Professionalität Fachkompetent Pädagogisch qualifiziert Beratend Intensiv Didaktik Motivierend Erwachsenengemäss Erfahrungsorientiert Handlungsorientiert Reflexiv lernend Ausgewogen Zielgerichtet Output-Qualität Aspekte, die nach der eigentlichen Maßnahme wirksam werden Abschluss Zielerreichend Verwendbar Transparent Zufriedenheit Berufsbezogen Kompetenzerweiternd Karrierewirksam Anregend Persönlichkeitsentfaltung Selbstverwirklichend Stabilisierend Schlüsselqualifizierend Wirtschaftlichkeit Transparent Rentabel Die in der Tabelle angegebenen Bereiche weisen auf wichtige Punkte unserer Problematik hin und streben eine Systematik an, die sich m. E. beim gründlicheren Hinschauen allerdings als fragwürdig erweist. Darüber hinaus, dass einige Merkmale für die Lehrerfort- und -weiterbildung (leider) nur bedingt zutreffen (wie Karrierewirksamkeit, schlüsselqualifizierend) gibt es welche, die bis jetzt fast keinen Eingang in die Konzeptentwicklung gefunden haben, wie Rentabilität im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeit oder eine Selbstverständnis explizierte Konzeption. Die Teilung der Teilbereiche in Input-Qualität, Throughput-Qualität und Output-Qualität sollte vielleicht nochmals überlegt werden; die klassische Einteilung wie Planung, Durchführung und Evaluation der Fortbildungsmassnahme wird hier auf eine abstrakte Ebene transferiert und somit wird die Problematik der Akteure und der Zuständigkeiten eliminiert, wobei doch all die genannten Bereiche und Merkmale der Tabelle bei der Behandlung der Qualitätsthematik von grosser Bedeutung sind und die Quintessenz der Ausführungen des zweiten Kapitels unterstützen. Die obige Tabelle kann nun in ein Modell integriert werden, das sowohl praktisch (Majorosi/Perjés 1999) als auch als Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung (Perjés et al. 2001) eingesetzt werden kann. Das Urbild des Modells wurde 1995 von der Firma CLAC in der Schweiz entworfen und diente zur Planung von Lehrerfort- und weiterbildungsveranstaltungen. Nach kleineren Modifizierungen wurde das Modell zur Evaluation von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen brauchbar und eine empirische Untersuchung im Komitat Fejér im Jahre 1999/2000 unter LehrerInnen über die Wahrnehmung der ungarischen Lehrerfortbildungssituation bewies, dass es in der Erforschung von Lehrerfort- und -weiterbildung nützlich sein kann. Metaphorisch kann man bei diesem Modell von einer dreischichtigen „Hochzeitstorte“ sprechen, die in zehn Stücke geschnitten wird. Qualität (Effektivität) einer Fortbildungsmaßnahme kann ermittelt werden, wenn die zehn „Schnitte dieser dreischichtigen Torte“ vertikal wie horizontal einander entsprechen. Die „Torte“ hat vertikal folgende drei Schichten: Ebene A (die kleinste und oberste Torte) Bildungspolitische Ebene Ebene B (die mittlere Torte der dreischichtigen Hochzeitstorte) Ebene des gesamten Kursangebots bzw. eines Fortbildungsinstituts Ebene C (die unterste und somit größte Torte) Ebene der konkreten Kurse Jede Tortenebene hat folgende zehn Schnitte (Sektoren) Sektor 1: Bedarf und Bedürfnisse Sektor 2: Zielsetzungen Sektor 3: Form Sektor 4: Inhalt Sektor 5: Teilnehmer Sektor 6: Kursanbieter Sektor 7: Zertifizierung Sektor 8: Qualitätskontrolle Sektor 9: Organisation Sektor 10: Finanzen Meines Erachtens ist eine solide Qualität eine Lehrerfort- bzw. - weiterbildungsmaßnahme dann gesichert, wenn sowohl in der Planungsphase als auch in der Durchführungs- und Evaluationsphase horizontal wie auch vertikal eine mindestens 80%ige Kompatibilität nachzuweisen ist. So sollen die gesetzlichen Vorgaben auf der bildungspolitischen Ebene eindeutig, den zehn Sektoren zuordnbar formuliert werden (vgl. Majorosi 1999, S.263-271 sowie Vorgaben der ungarischen Akkreditierungskörperschaft), und ebenfalls klar und sektorenspezifisch sollen auf der landesweiten Kursangebotsebene bzw. der entsprechenden Institutionsebene die Maßstäbe und entscheidenden Fragestellungen (vgl. Keller/Paul 1995, S. 12-19 bzw. Leitbild und Jahresplanung des OKI PTI2 bzw. PTMIK NYeTI3) und auf der Kursebene die konkreten Vorgaben für die einzelnen Kursausschreibungen und Veranstaltungserfolgsfragebögen (vgl. z.B. PTMIK NyeTI) bestimmt werden. Da die erwähnten Unterlagen zugänglich und auch zur Zeit gültig sind, verzichte ich darauf, diese hier beizufügen und konzentriere mich auf das fachliche Selbstverständnis, das neben dem Tortenmodell für die fachliche Qualität Rechnung trägt, die in den sog. Fachkriterienkatalogen manifestiert und das 2 Das ehemalige Pädagogenfortbildungsbüro des ungarischen Landesbildungsinstituts (1995-1999). Institut für Moderne Fremdsprachen der landesweiten Lehrerfort –und –weiterbildungszentrale, Nachfolger des OKI PTI.. 3 heimliche Konzept des Berufes d.h. die fachliche Konsens eines Bereiches bzw. eines Bildungsgebietes beschreiben und als fachliche Kriterien- und Empfehlungssammlung für die Planung und Evaluation von Fortbildungsveranstaltungen gelten. Bis dato wurden Fachkriterienkataloge für die Fortbildung von Fremdsprachenpädagogen, für KlassenlehrerInnen und für den Bildungsbereich "unsere Erde und Umwelt" publiziert. Was die Reichweite der Gültigkeit betrifft, das Tortenmodell selbst kann eins zu eins, die verschiedeneren Konzepte betr. der Kursangebotsebene, der Kursebene und die verschiedenen Fachkriterienkataloge können in jedem Land unabhängig von den bildungspolitischen Rahmenbedingungen adaptiert übernommen werden. Mit der Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen im Jahr der Sprachen (2001) wurden die Grundlagen für die Schaffung einer gesamteuropäischen, sprachübergreifenden Fremdsprachendidaktik publiziert, die gleichzeitig als Ausgangspunkt für die Erstellung eines modifizierten Fachkriterienkatalogs zur Planung und Evaluation von Fortbildungsveranstaltungen für Sprachpädagogen fungieren kann. Der Bereich der Fremdsprachen ist zurzeit der einzige, wo ein europaweit akzeptiertes Lernzielkatalogssystem dem Unterricht zugrunde gelegt werden konnte. Literatur: Arnold, Rolf/Gieseke, Wiltrud/Nuissl, Ekkehard: Erwachsenenpädagogik. Hohengehren: Schneider Verlag 1997. Arnold, Rolf: Qualität durch Professionalität - zur Durchmischung von Utilität und Zweckfreiheit in der Qualität betrieblicher Weiterbildung. In: Arnold, Rolf (Hrsg.): Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung. Opladen: Leske+Buderich 1997. Becker, Franz Josef E.: Qualität in der betrieblichen Weiterbildung - Thesen zum Forschungsbedarf. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 1991/20. Das IBM CEP (Customer Education Prozess) System. In: Ischebeck, Wolfgang/von Arx, Siegfried.: Aus- und Weiterbildung als eigenständige Bildungsgesellschaft bei IBM. In: Wunderer, Rudolf/Kuhn, Theo (Hrsg.): Innovatives Personalmanagement: Theorie und Praxis unternehmischer Personalarbeit. Berlin: Neuwied1995. Geißler, Harald: Konsenspflichtige pädagogische Kriterien für die berufliche Weiterbildung. In: Rolf Arnold (Hrsg.): Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung. Opladen: Leske+Buderich 1997. Keller, Alois/Paul, Rainer: Memorandum a magyar továbbképzés nemzeti szintű megszervezéséről. Memorandum über das landesweite System der Lehrerfortbildung in Ungarn In: Magyar Felsőoktatás Ungarisches Hochschulwesen 1995/8. Landert, Charles: Lehrerweiterbildung in der Schweiz. Chur/Zürich: Verlag Rüegger 1999. Majorosi, Anna/Perjés, István (Hrsg.): Brennpunkte der Lehrerfort- und -weiterbildung. A pedagógustovábbképzés problématára. Budapest-Székesfehérvár: OKKER-Kodolányi János Főiskola 1999. Nittel, Dieter: Teilnehmerorientierung-Kundenorientierung-Desorientierung ...? Votum zugunsten eines „einheimischen“ Begriffs. In: Rolf Arnold (Hrsg.): Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung. Opladen: Leske+Buderich 1997. Perjés, István/Ollé, János/Majorosi, Anna: Tanárok iskolája. Fejér megyei pedagógusok a tanártovábbképzésről. Schule der Lehrpersonen. Ergebnisse einer Untersuchung unter Lehrpersonen im Komitat Fejér. Székesfehérvár: Kodolányi János Főiskola 2001. Oelkers, Jürgen: Was bedeutet „Qualität“ in der Pädagogik? In: Rolf Arnold (Hrsg.): Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung. Opladen: Leske+Buderich 1997.