65. Mostra Internazionale d‘Arte Cinematografica di Venezia 42. Hofer Filmtage Viennale 2008 DIESE NACHT (NUIT DE CHIEN) Ein Film von WERNER SCHROETER mit PASCAL GREGGORY, BRUNO TODESCHINI, JEAN-FRANÇOIS STEVENIN, MARC BARBE, AMIRA CASAR ERIC CARAVACA, ELSA ZYLBERSTEIN, NATHALIE DELON, BULLE OGIER, SAMI FREY, PASCALE SCHILLER, LENA SCHWARZ, OLEG ZHUKOV Eine Produktion von ALFAMA FILMS (Paris) CLAP FILMES (Lissabon) und FILMGALERIE 451 Saarbrücker Straße 24 | 10405 Berlin | Tel.: 030/ 33 98 28 00 | www.filmgalerie451.de DIESE NACHT Ein Film von Werner Schroeter Frankreich / Deutschland / Portugal 2008 35mm / Farbe / 1: 1, 85 / Dolby Digital / Länge 118 min Regie Drehbuch Eine Produktion von Werner Schroeter, Gilles Taurand und Werner Schroeter nach dem Roman „Para esta noche“ von Juan Carlos Onetti Paulo Branco, Frieder Schlaich Anne Mattatia, Ana Pinhao Moura Thomas Plenert Julia Grégory, Bilbo Calvez Pierre Tucat Eberhard Kloke José Maria Vaz Da Silva Alberte Barsacq Isabel Branco Nuno É. Christian Obermaier, Jochen Jezussek, Martin Langenbach Matthias Lempert Ossorio Martins Vargas Morasan Vilar Barcala Irène Maria de Souza Granowsky Victoria Risso Donna Inês Rosaria Juan Agnes ALFAMA FILMS Paris FILMGALERIE 451 Berlin CLAP FILMES Lissabon Förderungen Medienboard Berlin-Brandenburg und FFA (Produktionsförderung und Deutsch-Französisches Koproduktionsabkommen) Berliner Kinopremiere: 5. März 2009, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Kinostart in Deutschland: 2. April 2009 DIESE NACHT Ein Film von Werner Schroeter Synopsis Santa María, eine Stadt zwischen Leben und Tod. Ossorio, der Held einer gescheiterten Widerstandsbewegung kehrt auf der Suche nach seinen einstigen Freunden und seiner Geliebten zurück in die belagerte Stadt. Aber nicht nur die Lage hat sich verändert, auch seine Freunde: Während eine hemmungslose Miliz die Stadt terrorisiert, versucht jeder nur noch seine eigene Haut zu retten. Es bleibt nur diese Nacht zur Flucht. Regie-Legende Werner Schroeter verfilmt den Roman Juan Carlos Onettis in opulenten Bildern, düster und schönheitstrunken. Ein fesselnder Film Noir, der mit großartigen Darstellern beeindruckt und in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Inhalt Die Hafenstadt Santa María befindet sich am Rande des Abgrunds. Noch leuchten ihre Fassenden majestätisch in der tiefblauen Nacht, doch längst haben Tod und Verfall, Gewalt und Verrat die Stadt in Beschlag genommen. Von einem langen Krieg zermürbt, versinkt Santa María im Chaos: Die Regierung ist geflohen, eine CholeraEpidemie dezimiert die Bevölkerung, und während rivalisierende Gruppen um die Macht ringen, hat die Geheimpolizei ein brutales Terrorregime errichtet. Diese Nacht könnte die letzte Nacht Santa Marías sein: Feindliche Truppen warten vor den Toren darauf, die Stadt einzunehmen. Im Morgengrauen legt das einzig verbliebene Schiff ab – die letzte Fluchtmöglichkeit. In dieser Nacht kehrt LUÍS OSSORIO VIGNALE (Pascal Greggory), Held einer gescheiterten Widerstandsbewegung, nach Santa María zurück, um seine einstige Geliebte zu finden und mit ihr zu fliehen. Doch Clara scheint spurlos verschwunden. So begibt sich Ossorio auf eine nächtliche Irrfahrt, die ihn seinem Ziel nicht näher bringt, ihn jedoch immer tiefer in das Labyrinth aus Machtgier, Angst und zynischem Opportunismus führt, zu dem sich Santa María in seiner Abwesenheit entwickelt hat. Ossorios ehemalige Verbündete und Freunde wollen von ihren einstigen Idealen nichts mehr wissen. So ist Kommandant MARTINS (Jean-François Stévenin) wohl zu jedem Verrat bereit, um die eigene Haut zu retten, und schlägt sich mit seinen Truppen stets auf die Seite des vermeintlichen Gewinners. BARCALA (Sami Frey) hingegen wartet in seinem Versteck darauf, sich mitsamt sämtlicher Schiff-Tickets in die Luft zu sprengen um alle mit sich ins Verderben zu reißen. Ist es ein sentimentales Aufflackern alter Freundschaft, das ihn dazu bewegt, Ossorio mit zwei Tickets zur Flucht zu verhelfen? Zum Dank wird dieser Barcalas Versteck später an MORASAN (Bruno Todeschini) verraten, den gewissenlosen Chef der Geheimpolizei - in der Hoffnung, Barcalas Bomben mögen Morasan gleich mit in den Tod reißen. Im First and Last, dem von MADAME RISSO (Nathalie Delon) geführten Nachtclub, in dem die Bewohner Santa Marías dem Untergang entgegentanzen, war Ossorio zum ersten mal Zeuge von Morasans kalt lächelnder Brutalität geworden – glücklicherweise ohne von diesem erkannt zu werden. Jetzt lässt Morasan jeden foltern, der je mit Ossorio oder Barcala in Verbindung stand, auch die schöne IRÈNE (Amira Casar), die Ossorio eine Unterkunft für die Nacht vermittelt hatte: Die Pension der DONA INES (Bulle Ogier). Dort stößt Ossorio auf Barcalas Tochter VICTORIA (Laura Martin). Er wird sich fortan ihrer annehmen. Unerbittlich schreitet die Nacht voran, nach und nach zerfleischen sich die Akteure des Untergangs-Reigens selbst oder gegenseitig. Schon graut der Morgen, Ossorio und Victoria schlagen sich zum Hafen durch und bahnen sich den Weg zum rettenden Schiff, fast haben sie es geschafft. Doch am Kai wartet VILLAR (Eric Caravaca), der Handlanger Morasans... Über die Notwendigkeit der Utopie Anmerkungen des Regisseurs Werner Schroeter In meinem gesamten kinematografischen Werk (und teilweise auch in meiner Arbeit für das Theater) suche ich die elementaren Kräfte der Liebe, des Todes und des Lebens mit Hilfe vielfältiger Phantasmagorien oder utopischer Formen zu ergründen. Im Werk Juan Carlos Onettis spüre ich viele mir verwandte Ideen, wenn auch gefiltert durch die unerträgliche Erfahrung des Krieges und das typische chauvinistische Temperament der Südamerikaner. Sein Werk mündet letztlich in folgender Frage: Was ist der Mensch? Woher kommt seine Energie, sein Sinn für das Schicksal, und, vor allem, seine Sehnsucht, dieses innere Glühen, in dem sich Melancholie und Begehren vereinen? Meiner Meinung nach muss das Kino neue Wege für die Darstellung jener elementaren Kräfte finden. Sie haben im Grunde viel zu selten Gelegenheit, sich auszudrücken. Die Kommunikation via elektronischer Medien führt zu einer Art Wesensverkümmerung, einer regelrechten Zerstörung. Fernsehfilme sind von oft beeindruckender Banalität. Unaufhörlich wird man mit den immergleichen Thrillern (Action, Suspense) und schwülstigen Melodramen (Emotion) mit ihren oft allzu simplen und seichten Plots konfrontiert. Wie können solche Filme jemals unsere Phantasie nähren? Wie können sie uns helfen, komplexe Utopien zu entwerfen, die den Reichtum unseres Inneren erforschen, die Tiefen unserer Natur ausloten? Dank seiner Hellsichtigkeit als Künstler und sensibler Beobachter ist es Onetti gelungen, ein Werk von großer Komplexität zu schaffen. Sein sehr persönlicher Stil macht ihn zu einem Vorläufer des Existentialismus‘ eines Camus‘ oder eines Sartres, Mit träger Gleichgültigkeit verlässt ein leeres Schiff den Hafen. Die ersten Sonnenstrahlen. Lasset alle Hoffnung fahren. später von Althusser und Foucault. Mit letzterem habe ich einen regen Austausch über die Idee der Leidenschaft gepflegt, die den Menschen antreibt, auch wenn er selbst nicht ganz in Leidenschaft entbrannt ist. Auch Foucault hat oft die Verbindungslinien von Sex und Politik untersucht. Unser Film übernimmt die dramaturgische Struktur Onettis. Der Mensch und der Krieg, der Belagerungszustand, das sind die zentralen Themen sowohl seines als auch unseres Werks, was uns in die spürbare Nähe von Célines Roman Reise ans Ende der Nacht führt. Auch einem verwundeten Menschen bleibt stets die Wahl, sich Gewalt, Brutalität und Bestialität zu widersetzen, doch nur all zu oft fällt auch er ihnen anheim. Und diejenigen, die dieser Gewalt verfallen sind, haben alle utopische Hoffnung fahren lassen - Hoffnung als die einzige Möglichkeit Leben, Liebe und Leidenschaft aufrecht zu erhalten und den Tod mit Würde zu ertragen. Die dichte Atmosphäre der Stadt Santa Maria, die wir in Porto angesiedelt haben, erinnert an zwei kinematografische Meisterwerke, deren Stimmung ich sehr mag: Touch of Evil von Orson Welles und Kiss me deadly von Robert Aldrich. Schließlich sollte man auch Onettis Sinn für Humor nicht vergessen, ein leichter, typisch argentinischuruguayischer Humor, der sein ganzes Werk durchzieht, und es verdient, auf die große Leinwand gebracht zu werden. In der Hitze des Gefechts ein Lächeln wider das Desaster. Biografie Werner Schroeter, geboren 1945 in Georgenthal (Thüringen), verteidigt seit den späten sechziger Jahren eine singuläre Position in der internationalen Filmlandschaft. Schroeters erste Experimentalfilme auf 8mm entstehen 1967. Er zeigt sie auf dem Experimentalfilmfestival von Knokke, wo er Rosa von Praunheim kennen lernt, mit dem er fortan eine intensive künstlerische und persönliche Beziehung unterhält. In einer Phase atemberaubender Produktivität folgen 1968/69 eine Vielzahl weiter Experimentalfilme auf 8mm und 16mm. Schon diese frühen Werken sind geprägt von Werner Schroeters immensen Liebe für die Oper, und insbesondere für Maria Callas, die für Schroeters Leben und Werk von eminenter Bedeutung ist. So lassen sich manche Zeilen aus dem Nachruf, den er 1977 für den SPIEGEL verfasste, wie ein künstlerisches Credo lesen, das wohl bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat: “Schönheit entsteht durch Wahrheit und nicht umgekehrt (...). Die ins Maßlose getriebenen Ausdrucksmomente der Kunst stellen nichts anderes dar als das Bedürfnis, die Zeit anzuhalten. Das heißt, die Endlichkeit der menschlichen Bedürfnisse zu ignorieren und ihnen die Glaubhaftigkeit im Ausnahmefall und damit auch ihren Stolz zu geben.” Wie die Callas auf der Opernbühne versucht Werner Schroeter auf der Filmleinwand in exzessiver Weise „die wenigen total vertretbaren Gefühle: Leben, Liebe, Freude, Hass, Eifersucht und Todesangst in ihrer Totalität und ohne psychologische Analyse vorzutragen.“ Schroeters erster Langfilm Eika Katappa erhält 1969 auf den Internationalen Filmwochen Mannheim den Josef von Sternberg-Preis und erfährt großes Interesse der internationalen Filmkritik. Der Film läutet eine zweite Phase im Werk Werner Schroeters ein, die eine Abwendung vom reinen Experimentalfilm hin zum – zumindest ansatzweise narrativen Spielfilm bedeutet. Mit einem relativ festen Stamm an Darstellern (etwa Christine Kaufmann oder insbesondere Magdalena Montezuma) dreht Schroeter eine Reihe faszinierendextravaganter Filme von opernhafter Theatralität, die fragmentarische „Erzählflöckchen“ (Sebastian Feldmann) zu komplexen allegorischen Bild-Ton-Collagen fügen, etwa Salome (1971), Der Tod der Maria Malibran (1971), Willow Springs (1972-73) oder Flocons d’Or (1973-76). Liebe, Tod, Sehnsucht und Leidenschaft ziehen sich als leitmotivische Themen durch diese schillernden Werke, zu deren größten Bewunderern der französische Philosoph Michel Foucault zählte. Schroeter wird neben Fassbinder, Herzog oder Wenders zu einem der wichtigsten Exponenten des aufstrebenden jungen deutschen Kinos. Als Kosmopolit ohne festen Wohnsitz dreht Schroeter in jenen Jahren in Mexiko, Frankreich, Libanon, Tschechien, Österreich, USA und Italien. Gleichzeitig beginnt er verstärkt und mit großem internationalem Erfolg, für das Theater und die Oper zu inszenieren. Nachdem er 1978 mit Regno di Napoli durch eine Hinwendung zu einem epischeren, realistischeren Stil überrascht hatte, erfährt Werner Schroeter 1980 mit dem dezidiert politischen Tryptichon Palermo oder Wolfsburg seinen bis dahin größten Erfolg. Diese Passionsgeschichte eines sizilianischen Gastarbeiters in der Bundesrepublik wird auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Es folgen weitere Spielfilme wie Tag der Idioten (1982) oder Der Rosenkönig (198486) sowie dokumentarische Essayfilme. Die von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek adaptierte IngeborgBachmann-Verfilmung Malina (1990), mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle, feiert in Cannes Premiere und wird mit Deutschen Filmpreisen unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Beste Regie“ ausgezeichnet. In den neunziger Jahren konzentriert sich Werner Schroeter auf die Theater- und Opernarbeit, so dass nur wenige, dokumentarische Filme entstehen (etwa Abfallprodukte der Liebe, 1996). Im Jahr 2002 feiert er dann auf den Filmfestspielen von Cannes mit Deux ein fulminantes Spielfilm-Comeback, das in seiner höchst fragmentarischen Form das stilistische und thematische Universum Schroeters noch einmal virtuos kondensiert. Eine grandiose Isabelle Huppert brilliert darin in der Doppel-Hauptrolle zweier bei der Geburt getrennter Zwillingsschwestern. Mit Diese Nacht (2008) überrascht Werner Schroeter nach sechsjähriger Abstinenz von der Leinwand noch einmal mit einer neuen Facette seines Schaffens. Basierend auf dem Roman “Para esta noche” des großen lateinamerikanischen Romanciers Juan Carlos Onetti, ist Diese Nacht sicherlich eines der düstersten Werke in Schroeters Filmografie, das ganz Fassbinders Diktum bestätigt, Werner Schroeter habe seinen Platz irgendwo zwischen Lautréamont, Novalis und Louis-Ferdinand Céline. Besonders die Affinität zu letzterem wird deutlich in dieser hochkarätig besetzten Parabel, die sich unverkennbar in die stilistische und thematische Tradition des schroeterschen Oeuvres einfügt, und diesem doch, etwa in ihrer geradezu film-noir-artigen Atmosphäre, ganz neue Dimensionen erschließen vermag. Der Film läuft 2008 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig, wo Werner Schroeter mit einem Goldenen Löwen für Diese Nacht und sein Gesamtwerk ausgezeichnet wird. Filmografie Werner Schroeter (Auswahl) 2008 2002 1996 1990 1986 1982 1981 1980 1978 1976 1975 1973 1972 1971 1970 1969 NUIT DE CHIEN / DIESE NACHT DEUX (Mit Isabelle Huppert, Bulle Ogier, Manuel Blanc, Arielle Dombasle, Annika Kuhl, Robinson Stévenin) ABFALLPRODUKTE DER LIEBE (Mit Anita Cerquetti, Martha Mödl, Rita Gorr, Trudeliese Schmidt, Laurence Dale, Jenny Drivala, Carole Bouquet, Isabelle Huppert) MALINA (Mit Isabelle Huppert, Can Togay, Mathieu Carrière) Deutsche Filmpreise: Bester Film, Beste Regie, Beste Montage, Beste Hauptdarstellerin DER ROSENKÖNIG (Mit Magdalena Montezuma, Antonio Orlando, Mostefa Djadjam) LIEBERSKONZIL (Mit Antonio Salines, Magdalena Montezuma) TAG DER IDIOTEN (Mit Carole Bouquet, Ida di Benedetto, Ingrid Caven, Christine Kaufmann, Magdalena Montezuma) Deutscher Filmpreis: Beste Regie PALERMO ODER WOLFSBURG (Mit Nicola Zarbo, Otto Sander, Magdalena Montezuma) Berlinale: Goldener Bär für den besten Film REGNO DI NAPOLI (Mit Romeo Giro, Antonio Orlando, Maria Antonietta Riegel) Deutscher Filmpreis: Beste Regie, Beste Kamera LES FLOCONS D‘OR (Mit Magdalena Montezuma, Bulle Ogier, Christine Kaufmann) DER SCHWARZE ENGEL (Mit Ellen Umlauf, Magdalena Montezuma) WILLOW SPRINGS (Mit Magdalena Montezuma, Christine Kaufmann) DER TOD DER MARIA MALIBRAN (Mit Magdalena Montezuma, Christine Kaufmann) SALOME (Mit Magdalena Montezuma, Ellen Umlauf) DER BOMBERPILOT (Mit Carla Aulaulu, Mascha Rabben, Magdalena Montezuma) EIKA KATAPPA (Mit Magdalena Montezuma, Gisela Trowe) Aktuelle Projekte DON GIOVANNI (Wolfgang Amadeus Mozart) Inszenierung von Werner Schroeter Oper Leipzig, Premiere 31. Januar 2009 AUTREFOIS et TOUJOURS Photoarbeiten des deutschen Regisseurs und Preisträgers des Goldenen Löwen, Venedig 2008 Jörg Heitsch Galerie, München 15.01.2009 bis 07.02.2009 Diese Nacht Anmerkungen des Drehbuchautors Gilles Taurand Diese Nacht (Para esta noche, 1943) gilt zu Recht als einer der besten Romane des uruguayischen Schriftstellers Juan Carlos Onetti. Die Handlung erstreckt sich über eine Nacht - eine alptraumhafte Nacht, die einige der tragischsten Episoden der jüngsten Geschichte Lateinamerikas erahnen lässt. In einer belagerten Stadt versucht ein jeder verzweifelt, die eigene Haut zu retten. Die große Kunst Onettis liegt darin, den Leser glauben zu lassen, dass ein unsichtbarer Feind die Stadt umzingelt, dem man noch entkommen könnte. Im Hafen wartet ein Ozeandampfer auf das Dämmern des Morgengrauens, um die Anker zu lichten. Bis der Leser schließlich versteht, dass die Stadt ebenso von innen belagert wird. Hinter jedem Gesicht scheint sich nun der Feind zu verbergen.Jede Figur wird zum potentiellen Mörder. Es gibt keine Verbündeten mehr, nur noch kurzlebige Interessengemeinschaften, die sich jederzeit in ihr Gegenteil verkehren können. Wenn derjenige, der dir die Hand reicht, im nächsten Moment ohne ersichtlichen Grund zum Verräter werden kann, herrscht die totale Paranoia. Diese Nacht ist eine außergewöhnlich düstere Erzählung über Paranoia in der Tradition Franz Kafkas. Man fühlt sich an Der Prozess, Das Schloss oder In der Strafkolonie erinnert, an jene Werke, denen es immer wieder gelingt, die schreckliche Logik des Absurden neu zu entwerfen. Beim Lesen des Drehbuchs mag die Frage aufkommen, wo sich diese Stadt befindet und in welcher Zeit die Geschichte spielt. Bei Onetti ist Santamaria eine imaginäre Stadt, eine reines Konstrukt seiner Fantasie, das gleichwohl nichts Beliebiges oder Willkürliches an sich hat. Die universelle Tragweite der Erzählung liegt weniger in ihrem endzeithaften Dekor begründet, als in dem menschlichen Panorama, das sie entfaltet, und aus dem sie mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie konstruiert ist. Deren Hauptfigur ist Ossorio Vignale. Warum er in der Falle sitzt in dieser Stadt, aus der er verzweifelt zu entfliehen versucht, erfährt man in Onettis Roman nicht. Eine meiner ersten Entscheidungen ist es gewesen, ihm eine Vergangenheit zu erfinden. Ich habe aus ihm einen Chirurgen gemacht, der eines Tages angefangen hat, für eine Partei politisch aktiv zu werden, die, wie man schnell begreift, dem Militär entgegenstand, und nun dessen Rache fürchten muss. So hat Ossorio die Truppen des General Fragas in den Bergen des Nordens bekämpft. Er ist als „Kolonel Luis“ zum quasi mythischen Helden geworden. Und doch ist es eine gebrochene Figur, die nach Santamaria zurückkehrt. Die Truppen Fragas belagern eine Stadt voller Flüchtlinge. Der letzte Ansturm steht unmittelbar bevor. Warum kehrt er zurück? Um den Heldentod zu sterben? Onetti gibt darüber keinerlei Auskunft. Aus diesem Grunde habe ich eine weibliche Figur erfunden, die im Roman nicht vorkommt. Ich habe sie Clara Baldi genannt. Eine engagierte Journalistin, die einst Ossorios Geliebte war. Von Anfang an versteht man, dass sie ihn zu Hilfe gerufen hat. Sie hat einen „Plan“, wie sie beide mit dem Fährschiff Bouver fliehen, das bei Sonnenaufgang ablegen soll. Orpheus steigt also in die Unterwelt hinab, um seine Eurydike zu befreien. Doch Eurydike ist verschwunden. Wurde Clara Baldi entführt? Oder spielt sie mit Ossorios Nerven um seine Liebe auf die Probe zu stellen? Hat sie sich womöglich gar in die Arme eines anderen geworfen? Die Figur der verschwundenen Frau ist sicherlich nicht neu im Kino. Antonioni hat daraus ein Meisterwerk gemacht. Es ist ganz einfach so, dass der fehlende Teil eines Puzzles ein komplexes Spiegelspiel mit sich selbst ermöglicht. Eine der großen Herausforderungen dieses Projektes ist es gewesen, die Hauptfigur in eine Handlung zu integrieren, die, gleich einem Thriller, stets im Präsens erzählt wird und in keinem Augenblick an Intensität nachlässt; gleichzeitig aber hier und da fragmentarische Schichten der Vergangenheit Ossorios, Claras, Morasans, Barcalas und anderer freizulegen, ohne dass diese Fragmente je als Schlüssel zum psychologischen Verständnis der Figuren dienen könnten. Eine Nacht auf der Suche nach einer Wahrheit, die sich ständig entzieht. Ansonsten findet man einen Großteil der Figuren und der Orte des Romans Onettis wieder. Besonders großartig scheinen mir all die Frauenfiguren, denen Ossorio begegnet: Resigniert fügen sie sich ihrem Los, außer Stande, den Lauf der Ereignisse zu verändern. Den Männern hingegen, von den man weiß, dass sie nichts so sehr fürchten wie Machtlosigkeit, bleibt nichts mehr anderes übrig, als sich in Allmachtsphantasien zu verlieren, die sie unausweichlich in ein Blutbad reißen werden. Manche Begegnungen sind wesentlicher als andere. Der Roman von Onetti, das intime Universum Werner Schroeters, die kämpferische Willenskraft Paulo Brancos konvergieren derart, dass ich keinen Augenblick gezögert haben, mich dieser Adaption anzunehmen. Gilles Taurand Filmografie Gilles Taurand (Auswahl) 2007 2006 2005 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1994 1981 SUR TA JOUE ENNEMIE von Jean-Xavier de Lestrade 7 ANS von Jean-Pascal Hattu LE PROMENEUR DU CHAMP DE MARS von Robert Guédiguian LES ÉGARÉS von André Téchiné 24 HEURES DE LA VIE D’UNE FEMME von Jean-Pascal Hattu CET AMOUR-LA de Josée Dayan CECI EST MON CORPS de Rodolphe Marconi NOUS DEUX de Christophe Honoré UNE AFFAIRE DE GOUT de Bernard Rapp UN DERANGEMENT CONSIDERABLE de Bernard Stora LE TEMPS RETROUVE von Raoul Ruiz (nach Marcel Proust) AUGUSTIN, KUNG-FU-KÖNIG von Anne Fontaine ALICE UND MARTIN von André Téchiné DORMEZ, JE LE VEUX ! von Irène Jouannet L’HOMME EST UNE FEMME COMME LES AUTRES de Jean-Jacques Zilbermann LES ROSEAUX SAUVAGES d’André Téchiné FRÈRES d’Olivier Dayan HôTEL DES AMÉRIQUES von André Téchiné Pressestimmen zur Premiere in Venedig „Schroeter ist der Cocteau unserer Zeit. Das Kino von Werner Schroeter ist reinste Magie, es erfindet eine neue Welt, eine neue Zeit, voller Künstlichkeit und Schönheit. Bilder aus einem Reich des Imaginären, in dem alles erlaubt ist. Magic Werner, Magic Cinema.“ Libération, 4.9.2008 „Ein opernhaft ausgemalter Höllensturz - mutig, hochaktuell.“ Le Monde, 4.9.2008 „Ein spannender und fesselnder Film. Das Schauspiel überzeugt auf der ganzen Linie, Pascal Gregory als desillusionierter, doch entschlossener Arzt ist großartig. Bilder, die die Augen betören und den Geist herausfordern.“ The Hollywood Reporter, 2.9.2008 „In opernhafter Opulenz und bombastischen Bildern entwirft Schroeter ein erschreckendes Universum im Niemandsland zwischen Leben und Tod. Dazu Musik von Mozart, Rossini und Liszt sowie ein schauspielerisch auftrumpfender Pascal Gregory. Ein furioses Faszinosum des Bösen, das heftig polarisierte.“ film-dienst 20/08 „Werner Schroeter pflegt ein hochartifizielles, aus der Zeit gefallenes Kino, das in seiner Künstlichkeit große Stringenz entwickelt.“ Die Tageszeitung 8.9. 2008 „Die Kamera bewegt sich mit Ossorio durch bühnenhaft barocke Settings, die manchmal zu wundersamen Stillleben einfrieren. Der Suchende stößt immer tiefer ins Machtzentrum einer mysteriösen Welt vor, die Schroeter der richtigen wie die Glaskugel eines Hexers entgegenhält.“ Der Standard „Werner Schroeter schildert in Diese Nacht äußert pathetisch, provokativ und opernhaft die katastrophale Nacht in einer Hafenstadt, die völlig im Chaos der Gewalt versinkt. Ein mit intellektuellem Pathos düster in Szene gesetztes Endzeitmelodram.“ dpa, 2.9.2008 „Ein unverwechselbarer Schroeter: Stilisiert, melodramatisch und hochgradig artifiziell. Ein Paranoia-Thriller mit Anspielung auf Grimms Märchen.“ Mitteldeutsche Zeitung, 3.9.2008 Pressestimmen zum Kinostart in Frankreich „Die letzten Tage einer imaginären Diktatur, erzählt im Ton einer ebenso unheimlichen wie lyrischen Farce. Ein filmischer Dialog mit Pasolinis Salò oder Die 120 Tage von Sodom. Von den ersten, großartigen Einstellungen des nächtlich leuchtenden Portos an, packt der Film den Zuschauer durch seine visuelle Kraft, seine rhythmische Virtuosität sowie durch die lustvolle Grausamkeit, mit der er das Desaster als einen letzten, diabolisch lachenden Tanz ausmalt. Euphorisierend.“ Les Inrockuptibles, Dez./Jan. 08/09 „Ein Film, der mit nichts zu vergleichen ist: raffiniert, frech, opernhaft, lyrisch, sinnlich, düster und frei. Ein Essay über die Freiheit.“ Libération, 07.01.09 „Der Film ist viel mehr als ein apokalyptisches Gemälde menschlicher Verfehlungen: Seine Schönheit liegt darin begründet, dass er eben auch eine Ode an das Leben ist, eine Feier der Schönheit, die in der tiefsten Finsternis strahlt.Schroeter macht aus jeder Szene die Suche nach Perfektion in der affektiven Wirkung. Dies gelingt ihm dank seiner Darsteller, allesamt bewundernswert für ihre Intensität und ihre Sensibilität.“ Les Cahiers du Cinéma, Januar 2009 Filmgalerie 451, Produktion Die FILMGALERIE 451 produziert und veröffentlicht Filme, die inhaltlich und formal etwas wagen. Viele der Regisseure, die mit der Filmgalerie zusammenarbeiten, sind Außenseiter im Filmbetrieb, sie sind innovativ und unangepasst. Dazu gehören Filme von „Klassikern“ des deutschen Films wie Werner Schroeter und Roland Klick, Experimente von Christoph Schlingensief und Heinz Emigholz, ebenso wie junges Kino von Ulrich Köhler, Angela Schanelec, Robert Schwentke und die Filme der Filmgalerie-Macher Irene von Alberti und Frieder Schlaich. Die Stärke der Filmgalerie 451 besteht in der Kombination aus Produktion und Vertrieb und dem daraus entstanden Netzwerk von Filmemachern. Die erste Produktion der Filmgalerie 451 PAUL BOWLES - HALBMOND, wurde 1995 mehrfach ausgezeichnet und lief erfolgreich im Kino, aktuelle Produktionen sind STADT ALS BEUTE, THE AFRICAN TWINTOWERS, MAKING OF KAMIKAZE, TANGERINE und DIESE NACHT. Produktionen (Auswahl) 2008 NUIT DE CHIEN aka DIESE NACHT von Werner Schroeter Koproduktion mit Alfama Films (Paulo Branco) Paris Goldener Löwe für Werner Schroeters Gesamtwerk mit NUIT DE CHIEN auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2008 2008 TANGERINE von Irene von Alberti 95 min, Spielfilm, S16/35 mm In Koproduktion mit Kasbah-films Tangier und dem ZDF – das kleine Fernsehspiel Uraufführung bei den Hofer Filmtagen 2006-08 THE AFRICAN TWINTOWERS von Christoph Schlingensief Experimenteller Spielfilm mit Irm Hermann, Robert Stadlober, Patti Smith Berlinale 2008, Forum expanded 2006 MAKING OF - KAMIKAZE von Nouri Bouzid 115 min, Spielfilm, 35 mm, Koproduktion mit CTV-Productions Tunis Tribeca Film Festival 2007: Bestes Drehbuch, bester Schauspieler Taormina Film Festival 2007: Bester Film „Tauro d’Oro“, bester Schauspieler uva. CAST OSSORIO: PASCAL GREGGORY Filmografie (Auswahl) 2008 Geliebte Clara (Helma Sanders-Brahms) 2007 La môme (Olivier Dahan) 2005 Gabrielle (Patrice Chéreau) 2003 Raja (Jacques Doillon) 2002 La vie promise (Olivier Dahan) 2000 La fidélité (Andrzej Zulawski) 1999 Le temps retrouvé (Raoul Ruiz) 1998 Ce qui m‘aiment prendront le train (Patrice Chéreau) 1993 L‘arbre, le maire et la médiathèque (Eric Rohmer) 1983 Pauline à la plage (Eric Rohmer) MORASAN: BRUNO TODESCHINI Filmografie (Auswahl) 2008 Le bruit de gens autour (Diastème) 2005 Un couple parfait (Nobuhiro Suba) Gentille (Sophie Fillières) 2002 Son frère (Patrice Chéreau) 2001 Va savoir (Jacques Rivette) 1999 Code inconnu (Michael Haneke) 1994 Haut bas fragile (Jacques Rivette) 1991 La sentinelle (Arnaud Desplechin) VARGAS: MARC BARBÉ Filmografie (Auswahl) 2007 Ne touchez pas à la hache (Jacques Rivette) 2007 La môme (Olivier Dahan) 2006 L‘Intouchable (Benoît Jacquot) 2004 Pourquoi (pas) le Brésil (Laetitia Masson) 2002 La vie nouvelle (Philippe Grandrieux) 1998 Sombre (Philippe Grandrieux) BARCALA: SAMI FREY Filmografie (Auswahl) 2007 Il regista di matrimoni (Marco Bellochio) 2002 La repentie (Laetitia Masson) 1994 La fille de d‘Artagnan (Bertand Tavernier) 1990 L‘Africana (Margharete von Trotta) 1985 La vie de famille (Jacques Doillon) 1972 César et Rosalie (Claude Sautet) 1964 Bande à part (Jean-Luc Godard) IRÈNE: AMIRA CASAR Filmografie (Auswahl) 2008 Coupable (Laetitia Masson) 2005 The piano tuner of the earthquakes (Stephen und Timothy Quay) Peindre ou faire l‘amour (Arnaud und Jean-Marie Larrieu) 2004 Anatomie de l‘enfer (Catherine Breillat) 2002 Filles perdus, cheveux gras (Claude Duty) 2001 La vérité si je mens! (Thomas Gilou) Comment j‘ai tué mon père (Anne Fontaine) MARTINS: JEAN-FRANCOIS STEVENIN Filmografie (Auswahl) 2007 Capitaine Achab (Philippe Ramos) 2002 L‘homme du train (Patrice Leconte) Deux (Werner Schroeter) 1998 À vendre (Laetitia Masson) 1995 Noir comme le souvenir (Jean-Pierre Mocky) 1982 Le pont du Nord (Jacques Rivette) 1976 Barocco (André Téchiné) L‘Argent de poche (François Truffaut) 1973 La nuit américaine (François Truffaut) VILLAR: ERIC CARAVACA Filmografie (Auswahl) 2007 La chambre des morts (Alfred Lot) 2006 La raison du plus faible (Lucas Belvaux) 2006 Le passager (Eric Caravaca) 2003 Son frère (Patrice Chéreau) 2002 Novo (Jean-Pierre Limosin) 2001 La chambre des officiers (Francois Dupeyron) 1999 C‘est quoi, la vie? (Francois Dupeyron) MARIA DE SOUZA: ELSA ZYLBERSTEIN Filmografie (Auswahl) 2008 Il y a longtemps que je t‘aime (Philippe Claudel) La fabrique de sentiments (Jean-Marc Moutout) 2004 2003 2000 1994 1991 Pourquoi (pas) le Brésil (Laetitia Masson) Modigliani (Mick Davis) Ce jour-là (Raoul Ruiz) Combat d‘amour en songe (Raoul Ruiz) Farinelli (Gérard Corbiau) Van Gogh (Maurice Pialat) DONA INES: BULLE OGIER Filmografie (Auswahl) 2007 Ne touchez pas à la hache (Jacques Rivette) 2006 Belle toujours (Manoel de Oliviera) 2002 Deux (Werner Schroeter) 1999 Venus beauté (institut) (Tonie Marshall) 1981 Le pont du Nord (Jacques Rivette) 1979 Die dritte Generation (R.W. Fassbinder) 1974 Julie et Céline vont en bateau (Jacques Rivette) 1972 Le charme discret de la bourgeoisie (Luis Buñuel) Produktion und Verleih Filmgalerie 451 Saarbrücker Str. 24 10405 Berlin Telefon: +49 (0) 30 - 33 98 28 00 Fax: +49 (0) 30 - 33 98 28 10 E-Mail: [email protected] Presseagentur mücke filmpresse & werbung Matthias Mücke, Sylvia Müller Telefon: +49 30 41 71 57 23 E-Mail: [email protected] [email protected] Pressebilder unter www.filmgalerie451.de Weitere Informationen unter www.filmgalerie451.de/film/diese-nacht/