DIE ZEIT - CSI Heidelberg

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1. O K TO B E R 2 0 1 4
Analyse und Meinung WIRTSCHAFT 33
D I E Z E I T No 4 1
A
Auf der falschen Spur?
A N A LY S E
Wer ein Elektroauto fährt, soll nach dem Willen der Regierung künftig im Stadtverkehr Privilegien bekommen.
In den Kommunen regt sich Widerstand VON DIETMAR H. LAMPARTER
Die Fahrerin des sparsamen Kleinwagens wundert
sich. Während sie sich morgens Meter für Meter
in die Innenstadt quält, fahren nacheinander ein
großer Porsche Panamera, eine luxuriöse Mercedes
S-Klasse und ein stylischer BMW an ihr vorbei.
Die Szene ist nicht aus der Luft gegriffen. Geht es
nach dem gerade im Bundeskabinett verabschiedeten
Gesetzentwurf, dann könnte sie im Frühjahr Realität
auf deutschen Straßen sein. Denn dann sollen Städte
Sonderspuren, die bislang Bussen, Taxis und
Kranken­transporten vorbehalten sind, für Elektroautos freigeben dürfen. Dabei ist es gleich, ob diese
komplett mit Strom fahren oder nur kürzere Strecken
– mindestens 30 Kilometer – rein elektrisch zurücklegen können. Bei Letzteren handelt es sich um
Zwitterfahrzeuge mit Verbrennungs- und Elektromotor, die auch an der Steckdose aufgeladen werden
können (Plug-in-Hybride). Marken wie Porsche,
BMW, Daimler, Audi, VW, Ford, Mitsubishi oder
Volvo haben solche Plug-ins schon im Programm.
Die Freigabe der Sonderspuren ist Teil eines Gesetzespakets, mit dem E-Autos bessergestellt werden
sollen. Dazu gehören auch kostenlose Parkplätze in
den Innenstädten oder reservierte Flächen vor den
Stromzapfstellen auf öffentlichem Boden.
Der Beweggrund für das neue Gesetz: Der bislang
arg schleppende Einstieg in die Elektromobilität soll
beschleunigt werden. Schließlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich ein ehrgeiziges Ziel
gesetzt, bis zum Jahr 2020 sollen eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sein.
Doch trotz aller Bemühungen wie der Befreiung
von der Kfz-Steuer und zahlreichen regionalen Förderprojekten scheint dieses Ziel in weiter Ferne. Die
Industrie hat zwar – vom kleinen Smart bis zum
Luxusauto Tesla S – rund zwei Dutzend reine Elektroautos im Angebot, doch auf den Straßen sieht man
sie vergleichsweise selten. Die Neuzulassungen von
E-Autos verdoppelten sich im Jahr 2013 gegenüber
dem Vorjahr zwar auf gut 6000, was den Bestand auf
rund 12 000 Fahrzeuge erhöhte (siehe Grafik). Und
in diesem Jahr werden E-Mobile weiter zulegen. Doch
angesichts von jeweils rund drei Millionen neuen Pkw
liegt der Anteil immer noch unter einem Prozent.
Wer einmal am Steuer eines E-Autos saß, ist meist
begeistert. Doch die Gründe, weshalb kaum ein
Mensch einen Stromer kauft, liegen auf der Hand:
Ein E-Auto kostet leicht 10 000 Euro mehr als ein
vergleichbares Modell mit konventionellem Antrieb,
die elektrische Reichweite ist in der Regel auf 150
Kilometer beschränkt, es gibt zu wenige öffentliche
Ladestellen, und ein Aufladevorgang dauert an der
normalen Steckdose rund acht Stunden.
Viele Autohersteller setzen daher verstärkt auf
Plug-in-Hybride. Der Eigner eines solchen Fahrzeugs
muss sein Verhalten nicht grundlegend umstellen und
braucht auf Reichweite nicht zu verzichten. Wenn
die Batterie leer gefahren ist, fährt er einfach mit
seinem kräftigen Benzin- oder Dieselmotor weiter.
Im Monat August lag die Zahl der neu zugelassenen
Mühsamer Weg
zeuge auf den Busspuren den öfPlug-ins mit 620 Pkw sogar schon
fentlichen Nahverkehr verlangsahöher als die der reinen Batteriemen und ihn dadurch weniger
autos (515). Von außen ist freilich Elektromobilität in Zahlen
attraktiv machen. Auch sie sind
nicht sichtbar, ob der Fahrer eines Pkw-Bestand (Stand 1. 1. 2014)
gegen das Gesetz.
Plug-in-Fahrzeugs auf der Busspur
alle Antriebe
Die Kritik geht noch weiter:
gerade elektrisch, mit Verbrenner E-Antrieb
12 156
43 851 230
oder kombiniert fährt. Wer will
Da die Zahl der E-Autos auf jeden
das kontrollieren?
Fall wachsen wird, beanspruchen
Im Benzinbetrieb aber brau- Pkw-Neuzulassungen
sie mehr Parkplätze. Freies Parken
(Jan. bis Aug. 2014)
chen die Plug-ins, die schon auffür Stromer sei angesichts des
grund der höheren Baukosten des E-Antrieb Plug-in- alle Antriebe knappen Parkraums aber kaum
Hybrid*
Doppelantriebs meist in höhervermittelbar, heißt es in den Städ5300
2655
2 021 809
klassigen Fahrzeugen verbaut sind,
ten. Bleiben die – sinnvollen – revon Verbrennungs- und Elektroservierten Ladezonen vor den
deutlich mehr Sprit als sparsame *Kombination
motor, Batterie kann extern aufgeladen werden
Stromzapfstellen.
Kleinwagen mit konventionellem ZEIT-GRAFIK/Quelle: KBA
Antrieb. Deshalb sind viele UmWenn die Politik wirklich mehr
weltschützer gegen das geplante
Elektro-Autos auf die Straße bringesetzliche Privileg. Und sie sind nicht allein: Der gen will, bleiben zwei Alternativen: richtig Fördergeld
Städtetag wie auch die meisten Verkehrsplaner in den in die Hand nehmen oder rigoros nur nachprüfbar
Metropolen befürchten, dass die zusätzlichen Fahr- saubere Autos in die Innenstädte lassen.
Fotos: privat
F O RU M
Geld für Gutes
Billiggeld reicht nicht
Jugendarbeitslosigkeit oder Pflegenotstand: Wie sich mit Investitionen ins
Gemeinwohl Kosten sparen lassen VON VOLKER THEN UND KONSTANTIN KEHL
Die Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank stößt an
Grenzen. Muss Deutschland mehr bezahlen? VON BETTINA SCHULZ
Es wird zu wenig investiert in Deutschland. Das
Die »Lebensräume für Jung und Alt« der Stifsetzt die Zukunft unserer Gesellschaft aufs Spiel. tung Liebenau am Bodensee etwa zeigen, welchen
Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts Ertrag soziale Investitionen haben können: Im
für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor Zusammenleben der Generationen im Quartier
an der Berliner Humboldt-Universität, hat die werden Kräfte nachbarschaftlicher Unterstützung
Investitionsmisere jüngst zugespitzt als »Deutsch- und zivilgesellschaftlicher Solidarität freigesetzt.
land-Illusion« beschrieben. Die ökonomische Und das spart Geld: Rund 30 Prozent niedriger
Stärke sei nur ein Schein, in Wirklichkeit zerfalle liegen die Kosten für die Unterstützung älterer
die Infrastruktur, Bildungsinstitutionen residier- Menschen in solchen Modellprojekten gegenüber
ten in heruntergekommenen Altbauten.
der sonst zu erwartenden Wohn- und LebenssituaDas mag stimmen. Die Illusion hat jedoch tion ihrer Bewohner.
einen zweiten Teil, den der Ökonom nur am
Der Wuppertaler Sozialunternehmer Stefan
Rande anspricht, wenn von Bildung die Rede ist: Schwall hat mit seinem Unternehmen apeiros
Es mangelt auch und insbesoneinen Weg gefunden, wie er dem
dere an sozialen Investitionen – in
Problem der Schulverweigerung
von Jugendlichen, die anschliedie Infrastruktur der Gesellschaft
ßend oft den Weg in die »Hartzund des Zusammenlebens. Auch
hier genießt Konsum zu sehr VorIV-Karriere« gehen, wirkungsvoll
rang gegenüber Investitionen in
zu Leibe rücken kann. Gemeinzivilgesellschaftliche Strukturen,
sam mit Schulen und Verantwortlichen aus der Jugendhilfe
die das Gemeinwohl fördern, das
hat er Ansätze entwickelt, mit
soziale Miteinander und die Sodenen die Zahl der Schulverlidarität stabilisieren. Sie könnten Volker Then ist Gründer
weigerer reduziert und die letzte
viele Probleme entschärfen hel- und Direktor des
Konsequenz der Heimunterfen, wie Experten seit Langem Centrums für soziale
Investitionen und
einhellig predigen.
bringung weitgehend vermieden
Am 15. September erschien Innovationen (CSI) der
werden kann. Die ersparten
Folgekosten sind gewaltig.
dazu die entsprechende Bestands- Universität Heidelberg
aufnahme: Im Vergleich der G-7Zwei Beispiele, eine GeschichIndustrienationen befasste sich ein internationa- te: Investitionen in die Vermeidung von sozialen
les Expertengremium mit dem Thema »Social Problemen können diese entschärfen und FolgeImpact Investing«, oder zu Deutsch: »wirkungs- kosten senken. Es geht um die Steigerung der
orientiertes Investieren«. Ein nationaler Beirat Wirksamkeit, teilweise auch der Effizienz von
erkundete den Stand solcher privater Investitionen Programmen. Investitionen in solche Strukturen
mit sozialem oder ökologischem Ertrag für die erzeugen nachweislich einen sozialen (oder in
Bundesrepublik. Das Ergebnis ist ähnlich desillu- anderen Kontexten: ökologischen) Ertrag.
Doch wie können diese Insionierend wie Fratzschers Gevestitionen gestärkt werden? Eisamtbilanz. Die sozialen Problenerseits braucht es mehr Aufme sind unübersehbar: demograklärung über die Chancen und
fischer Wandel, Personalkrisen
Risiken. Organisationen wie
bei der Betreuung (bei Kindern
Bonventure oder der Social
wie im Alter), JugendarbeitslosigVenture Fund strukturieren sokeit, Schwierigkeiten bei der Jobziale Investitionen als Intermesuche mangels Schulabschluss –
diäre und begleiten Unternehdie Liste ließe sich verlängern.
men, in die sie investieren. Es
Diese Probleme verursachen ge- Konstantin Kehl ist
langjähriger Mitarbeiter
könnte daher hilfreich sein,
waltige Kosten.
solche Risikokapitalgeber zu
Tatsächlich nehmen Bürger des CSI und derzeit
stärken. Zudem erscheinen Indie Aufgaben immer häufiger Gastwissenschaftler an
vestitionsinstrumente wie »Imselbst in die Hand. Sie entwickeln der Copenhagen
pact Bonds« immerhin der Idee
sozialunternehmerische Innova- Business School
nach vielversprechend – das
tionen zur Lösung der Probleme.
Allerdings: Sozialunternehmer ringen um In- sind Finanzierungsformen, bei denen Private
vestitionen. Die gängige Finanzierung der sozialen investieren und die öffentliche Hand aus
Sicherungssysteme ist auf die Unterstützung der nachweislich ersparten Folgekosten oder zuBürger in Notlagen ausgerichtet, nicht aber auf sätzlicher Wertschöpfung in der Gesellschaft
deren Vermeidung. Führende Sachverständige wie die Rückzahlung des Kapitals und dessen
der britische Soziologe Anthony Giddens haben Verzinsung gewährleistet. Selbstverständlich
dieses Dilemma dem Sozialstaat traditioneller kann hierbei nicht ein BereicherungsproPrägung ins Zeugnis geschrieben. Und private gramm auf Kosten der Allgemeinheit das Ziel
Kapitalgeber verstehen häufig nicht, dass soziale sein, sondern ein Instrument zur Schließung
Probleme auch Investitionschancen bieten. So von Investitionslücken bei moderater Rendite­
zögern etwa die deutschen Stiftungen, die insge- erwartung.
Andererseits wäre zu überprüfen, ob die
samt mehr als 100 Milliarden Euro Kapital verwalten, damit, wenigstens einen Teil des Geldes Rahmenbedingungen für solche Investitionen
in die Vermeidung sozialer Probleme zu investie- politisch verbessert werden können – von der
ren. Für kleinere Privatinvestoren fehlt es schlicht zivilrechtlichen Frage des geeigneten Rechtsan Produkten, über die sie sich an solchen In- rahmens für hybride Organisationen mit wirtvestitionen beteiligen könnten. Kurzum: Auch schaftlichem Vorgehen und sozialem Ertrag bis
bei der sozialen Infrastruktur unserer Gesellschaft hin zur steuerlichen Behandlung der Investitionen und der Unternehmen selbst. Ziel muss
herrscht Investitionsnotstand.
Dabei verweisen zahlreiche Projekte darauf, es allerdings bleiben, wirksamere Problem­
dass es sich lohnen kann, Experimentierfelder lösungen zu ermöglichen und nicht die rechtsozialer Innovationen gezielt mit finanziellen lich verbriefte Solidarität in unserer Gesellschaft
Mitteln auszustatten – gerade weil der Staat im neoliberalen Privatisierungsfantasien oder priRahmen von Steuer- und Sozialversicherungs- vater Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit zu opfern.
budgets hier nur begrenzt aktiv werden kann.
Der Plan geht nicht auf: Die Europäische Zentralbank (EZB) legt ein Programm auf, mit dem sich
Banken noch billiger und über noch längere Zeit
Milliardenbeträge ausleihen können. Alles, damit sie
endlich mehr Kredite an die Unternehmen vergeben.
Nur spielen die Banken nicht so recht mit. Die EZB
wartet deshalb mit einem neuen Plan auf: Von Oktober an will sie verbriefte Kreditforderungen von
Banken aufkaufen, in der Hoffnung, sie so zur Kreditvergabe zu bewegen. Außerdem will sie auf diese
Weise Geld in die Märkte pumpen, um der Gefahr
sinkender Preise zu begegnen. Diese aktive Politik
einer Notenbank wird als Quantitative Easing (QE)
bezeichnet, zu Deutsch: Quantitative Lockerung.
Die Analysten der großen Banken sind skeptisch,
ob das Vorhaben von EZB-Präsident Mario Draghi
gelingt. »Man kann nicht davon ausgehen, dass selbst
diese neuen Maßnahmen letztlich ausreichen werden«, heißt es in einer Analyse der Deutschen Bank.
Auch Goldman Sachs ist skeptisch, ob die geplante
Notfallpolitik der EZB ähnliche Wirkung entfaltet
wie in den USA oder in England. »Die Auswirkungen
auf den Anleihemarkt und auf das Wachstum werden
für Europa geringer sein, als dies damals in den USA
oder England zu beobachten war«, warnt die Bank.
Warum aber gelingt es der EZB nicht, anders als
den Amerikanern und den Briten, mit einer expansiven Geldpolitik das Wachstum zu treiben? Die Antwort ist: schlechtes Timing. Die US-Notenbank und
die Bank von England griffen auf dem Höhepunkt
A
A N A LY S E
Weniger Kredite
der Finanzkrise ein, als die Märkte
tische Notenbank frisches Geld in
zusammengebrochen waren und
die Märkte pumpten, waren die
Unternehmenskredite
Aktienkurse im Zuge der FinanzGeld nur extrem teuer zu beschafEurozone in Mio. Euro
fen war. Die Ankündigung, dass
krise tief gefallen. Viele Investoren
EZB-Leitzins in Prozent
die Notenbanken als Käufer von
investierten das frische Geld, soStaatsanleihen auftreten würden, 5000
dass die Kurse sich erholten. Heu4,0
beruhigte die Märkte, sie schätzten
te aber nähert sich der deutsche
3,0
4700
Aktienindex ohnehin einem Rederen Risiko geringer ein, und dakordstand an.
mit fielen auch die Zinsen, die
2,0
Die EZB habe in der jüngsten
Staaten bezahlen mussten. Das 4400
Finanzkrise
2009 vieles richtig
half der Wirtschaft auch insge1,0
4100
samt, weil Anleiherenditen als
gemacht, schreibt Goldman Sachs:
Richtschnur für KreditkonditioSie habe schnell reagiert, die Zin2007 08 09 10 11 12 13 2014
nen gelten.
sen gesenkt, den Banken billig
GRAFIK /Quellen: EU-Kommission,
»Wir haben heute eine ganz ZEITGeld geliehen, strauchelnde EuroEurostat, EZB, Thomas Reuters, Bundesbank
andere Situation«, sagt Dirk Schuländer gestützt und den Euro
gerettet. Die Währungsunion
macher, Chefvolkswirt von Goldman Sachs in Deutschland. »Die EZB war bereits brauchte »nur« vier Jahre, bis der massive Immobisehr erfolgreich damit, die Zinsen zu senken und die lienboom in Irland abgebaut und bereinigt war, in
Finanzierungskonditionen zu erleichtern.« Seit dem Japan dauerte die Erholung nach ähnlichen ProbleSchwur von Draghi im Sommer 2012, den Euro zu men 14 Jahre.
retten, koste es, was es wolle, hat sich die Panik an
Doch nun stößt die EZB-Politik an Grenzen. Um
den Märkten gelegt. Im Umkehrschluss bedeutet das, die Konjunktur anzukurbeln, sagt Chefvolkswirt
dass die neuen Maßnahmen der EZB nun weniger Schumacher, würde Fiskalpolitik derzeit deutlich
Wirkung entfalten dürften. »Dieses Programm wird mehr bewirken als Geldpolitik. Deutschland habe
meines Erachtens das Wachstum nicht sonderlich durchaus Spielraum, die inländische Nachfrage durch
stützen und auch die Inflation nicht viel steigen las- Steuersenkungen oder staatliche Ausgaben anzuregen
sen«, sagt Schumacher.
und mit dem Wachstum dann auch dem Rest der
Auch die Reaktion an den Aktienmärkten wird Eurozone unter die Arme zu greifen. Dies freilich hört
eine andere sein: Als die amerikanische und die bri- man in der Regierung in Berlin nicht gern.
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