Team Projekt DaZNet Oldenburg THEORIE – INPUT (hierzu gehört die PPP Spracherwerb-Mehrsprachigkeit) Zunächst wird die tabellarische Aufstellung über die Merkmale des Spracherwerbs zwei- oder mehrsprachig aufwachsender Kinder in Kopie (Anlage 1) ausgeteilt, in einer Stillphase gelesen und danach kurz besprochen. Hervorgehoben wird: - Ähnlichkeit, aber Zeitverzögerung - keine homogene sprachliche Umgebung - sprachübergreifende Prinzipien nutzen VORTRAG: Was sind die Besonderheiten des Zweitspracherwerbs bei Kindern mit Migrationshintergrund? Dazu vorweg drei Thesen: Alle Fähigkeiten entwickeln sich in engem Zusammenhang und in Abhängigkeit voneinander. „Sprache (im Unterricht) ist wie ein Werkzeug, das man gebraucht, während man es noch schmiedet“ (Butzkamm, 1989, S.110) Mehrsprachigkeit muss als Bereicherung zweisprachig aufwachsender Kinder verstanden werden und nicht als Hemmnis Es folgen Erkenntnisse aus der Wissenschaft, die unsere Frage beantworten helfen. I. Die Neurolinguistik hat ausgewiesen, dass im Broca Areal unseres Gehirns unsere Fähigkeit mehrere Sprachen zu erwerben angelegt ist. Untersuchungen zeigen, wie bei Frühmehrsprachlern beim Gebrauch verschiedener Sprachen sich die Gehirnaktivitäten weitgehend überlappen. Es gibt nachweislich neurologische Netzwerke, an denen andere Sprachen „andocken“ können, also von existierenden Strukturen Gebrauch machen können. Bis zum 3.- 6. Lebensjahr entwickeln sich syntaktische Strukturen für mehrere Sprachen integriert. Die Zweitsprache wird analog zur Erstsprache ganzheitlich und unbewusst erworben. Daraus folgt: Mutter- und Zweitsprache profitieren voneinander, wenn sie sich mehr oder minder gleichzeitig entwickeln. Das ist ein Argument für die frühkindliche Sprachförderung (Kindergarten, Arbeit mit Eltern während der ersten 3 Jahre etc). Eine gut ausgebildete Erstsprache ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von neuen Sprachen (Unterrichtsangebote in der Erstsprache) II. Zum besseren Verständnis des Zweitspracherwerbs arbeitet man ( nach Cummins, 2000) mit der Unterscheidung von BICS (Basic Interpersonal Communicative Skills = grundlegende Team Projekt DaZNet Oldenburg Kommunikationsfähigkeiten / Prinzip: Mündlichkeit) und CALP (Cognitive Academic Language Proficiency = schulbezogene kognitive Sprachkenntnisse / Prinzip: Schriftlichkeit). Zweitsprachenlerner sind in der Regel nach 2 Jahren flüssig auf BICS Niveau (vorbewusst), für die Entwicklung der CALP Fähigkeiten werden bei günstigen Bedingungen 5-8 Jahre veranschlagt, da die kognitive Intelligenz gefordert wird und das deklarative Gedächtnis einbezogen wird (bewusst, intentional). 10-12 jährige lernen am effektivsten und schnellsten, wenn Erst- und Zweitsprache parallel entwickelt werden, da sie zunehmend ihr deklaratives Wissen für den Spracherwerb nutzen. Mittlerweile geht man davon aus, dass sich eine hohe Sprachkompetenz in der Muttersprache förderlich für den Aufbau der kognitiv-abstrakten Sprachfähigkeit insgesamt, also auch in der Zweitsprache, auswirkt. CALP-Strukturen entstehen nur auf gut entwickelten BICS-Strukturen. Das erklärt, warum viele Migrantenkinder in doppelter Hinsicht Verlierer sind. Oft sind die Bedingungen so, dass sie in der Muttersprache keine festen Grundlagen mehr entwickeln (da die Eltern die Sprache auch nur noch inkonsequent oder bruchstückhaft benutzen), die Zweitsprache aber durch fehlendes sprachliches Umfeld oder Sprachförderung (Kindergarten z.B.) ebenfalls nicht konsequent aufgebaut wird. Ohne diese Grundlage in einer Sprache können die CLAP-Fähigkeiten aber nicht entwickelt werden. Daraus folgt: Unterrichtsangebote in der Erstsprache (Schreib- und Lesefähigkeit) kann die Lücken schließen helfen Nur Langzeitmaßnahmen der Sprachförderung können den CALP-Aufbauprozess realistisch unterstützen, ergo: durchgängige Sprachförderung in alle Fächern Bewusste Entwicklung von Sprache als Medium zum Kenntniserwerb ist erfolgversprechender als bloße Sprachkurse III. Schon vor 20 Jahren haben Studien aus der Praxis gezeigt, was heute immer deutlicher wird. Wenn die Erstsprache nicht als Hemmnis sondern als Basis und/oder Hilfsmittel wertgeschätzt wird, sind die Lernprozesse in allen Fähigkeiten erfolgsgekrönter. Alle Ergebnisse der Forschung weisen darauf hin, dass auch der gleichzeitige Erwerb der Schreibfähigkeit in der Erst-und Zweitsprache keinerlei Nachteile bringt. Zweisprachige Äußerungen von Kindern (code-switching, code–mixing) sind daher normal als Aushilfsstrategie und als Kommunikationsstrategie (etwa ab dem 3. Lebensjahr). Die Beobachtung von Interferenzen hat gezeigt, dass die Kinder durch ihre Zweisprachigkeit brauchbare Strategien des Vergleichs der beiden Sprachsysteme anwenden und sich zu Nutze machen (Weth, 2008). Ähnlich positive Ergebnisse zeigte eine Studie zur Entwicklung der Lesefähigkeit: die Leistungen der Kinder nach einem Jahr Leseförderung sowohl auf deutsch als auf türkisch waren in beiden Sprachen gleich gut (z.B. Nehr, 1988). Der Zweitspracherwerb im Alter nach 6 Jahren muss allerdings durch die kognitive Entwicklung gestützt werden, d.h.die Sprache muss als Medium zum Wissenserwerb erfahren und thematisiert werden. Die Mittel dazu sind dem des Fremdsprachenunterrichts gleich/ähnlich. Die Unterscheidung in BICS- und CALP-Fähigkeiten zeigt, dass Sprachförderung in allen Fächern und Themen der Schule stattfinden muss. Team Projekt DaZNet Oldenburg Als Gelingensgründe sind mittlerweile vorrangig zwei Faktoren nachgewiesen: Unterschiede und Ähnlichkeiten der Sprachsysteme müssen explizit besprochen und thematisiert werden. Eine solche kontrastive Sprachreflektion fördert in hohem Maße das meta-sprachliche Wissen (nötig für den CALP-Aufbau). Interferenzen (Übernahmen aus der Erstsprache) dürfen nicht als falsch abgetan werden, statt dessen müssen sie erkannt und genutzt werden als Stadien und nötige Strategien auf dem Weg zum Ziel. V. Bei gleichmäßigem Input ist der Erwerbsverlauf von Erst – und Zweitsprache sehr ähnlich. Bei sukzessivem Verlauf zeigen sich jedoch gravierende Unterschiede (Wortschatzumfang, grammatische Sicherheit, Erwerbstempo). Dabei ist das Lernpotential zumeist nicht ausgeschöpft, sondern es zeigt sich eine dominante Sprache, je nach dem (ungleichmäßigen) Kontakt/Input. Dieses Dominanzverhältnis ist veränderlich, denn sozial-psychologische und kommunikative Faktoren (z.B. Zugehörigkeitsbedürfnis des Kindes) spielen eine große Rolle. Allgemein gilt jedoch, dass der Erwerbsprozess der Zweitsprache – genau wie bei der Erstsprache – eine sehr hohe individuelle Varianz aufweist. (nach Reich, DJI 2010) Daraus folgt: dem Spracherwerbsprozess gebührt individuelle Aufmerksamkeit (z.B. Diagnose und Förderung) der Faktor Zeit muss Beachtung finden, institutionell wie im Unterricht Aus all diesen Einsichten ergeben sich vielfältige methodischen Konsequenzen für den Unterricht und seine Gestaltung sowie für die Institution Schule. Die wichtigsten Bausteine sind: viel Zeit und Aufmerksamkeit für Sprache Zuwendung Gegenseitige Wertschätzung Konkrete Handlungssituationen schaffen Vielfältige Übungsangebote machen Die geforderte methodische Vielfalt auf unterrichticher Ebene steht im weiteren Verlauf deshalb zentral.