Das interkulturelle Konzept der Kindertagesstätte St. Katharina In Dormagen, in besonderer Weise in unserem Stadtteil Hackenbroich, hat sich in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten eine multikulturelle Gesellschaft etabliert. Menschen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen mit ihren spezifischen Lebensgewohnheiten, ethnischen Traditionen und religiösen Überzeugungen leben in unserem Ortsteil zusammen. Neben den deutschen Familien aus dem alten Ortskern, prägen hauptsächlich unsere türkischen Mitbürger das südliche Hackenbroich. Aber auch wenn die Mehrheit des Bevölkerungsanteiles die deutschen und türkischen Menschen ausmachen, das „Gesicht“ von Hackenbroich zeigt sich in einer Vielfalt unterschiedlichster Nationalitäten: Polen, Tamilen, Thailänder, Kroaten, Russen, Spanier, Griechen, Italiener und viele andere Nationen: Hackenbroich ist vertreten von einer bunten Vielfalt von Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religion und Kultur. Der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist in Hackenbroich 3 bis 8 mal so hoch wie in anderen Stadtteilen Dormagens. In den Vereinen, Gruppen, Gruppierungen und Institutionen ist aus dem Nebenvielerorts ein Miteinander geworden. Viele gemeinsame Lebensräume haben sich entwickelt. Die Kindertageseinrichtungen des „Dorfes“, eine evangelische, zwei städtische und unsere katholische, waren bei diesen Prozessen nicht selten maßgeblich beteiligt. Wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen in Kontakt treten, sich kennen lernen und dabei voneinander lernen und trotz Beibehaltung allen „Andersseins“ beginnen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, redet man von „interkultureller Begegnung“. Dies ist eigentlich in unserer Kindertagesstätte der Alltag! Trotzdem ist das Klima insgesamt in unserem Land rauer geworden. Die gesamtwirtschaftliche Lage, die Situation auf dem Arbeitsmarkt und Ereignisse wie der 11.09.2001 haben dazu geführt, dass Deutsche und Ausländer wieder mehr auf Distanz gegangen sind. Argwohn und Misstrauen finden sich bisweilen auf beiden „Seiten“. Umso größer ist die tagtägliche Verantwortung aller Mitarbeiterinnen der Kindertagesstätte ein Klima des Wohlwollens, des gegenseitigen Respekts und der gegenseitigen Wertschätzung zu schaffen. Sich begegnen und miteinander reden, darüber den anderen kennen und wertschätzen lernen, dies sind unsere Ziele für „unsere“ Kinder und deren Familien. Unsere Einrichtung ist eine konfessionelle. Wir sind eine katholische Kindertageseinrichtung. 1 Daher verstehen wir unsere Arbeit als Dienst am Kind, theologisch formuliert als Diakonie. Die diakonische und pastorale Ausrichtung einer katholischen Kindertageseinrichtung ist stets offen für alle Kinder, parteiisch für diejenigen, die der Unterstützung und Solidarität bedürfen, und deshalb von besonderer Bedeutung für interkulturelle und interreligiöse Erziehung. Darüber hinaus haben wir uns auf den Weg gemacht, als Familienzentrum, neben der Betreuung, Erziehung und Bildung des Kindes, ebenso die gesamte Familie in den Blick zu nehmen. Familien in ihren unterschiedlichsten Daseinsformen, Lebenssituationen, gleich welcher Herkunft, Kultur und Religion möchten wir individuell nach den jeweiligen Bedürfnissen ihrer Gesamtsituation begleiten und unterstützen. Unser interkulturelles Engagement baut auf fünf grundsätzlichen Fundamenten: 1. Das Team arbeitet stetig an der Entwicklung seiner Fremdheitskompetenz. 2. Wir fördern die Zweisprachigkeit der Kinder, denn Muttersprache und Zweitsprache sind „gleichrangig“. 3. Armuts- und Gesundheitsprävention erfordert Bildung für Kinder und Eltern. 4. Der interreligiöse Dialog fördert die Annäherung der Kulturen. 5. Wir kooperieren mit Unterstützungspartnern, die fachlich auf die Begleitung von Familien mit Zuwanderungsgeschichte spezialisiert sind. Das Wissen und Verstehen des kulturell bedingten „Andersseins“ und dessen Akzeptanz und Wertschätzung macht Fremdheitskompetenz aus. Auch wenn nicht die umfassende Kenntnis aller Traditionen und kultureller Hintergründe vorausgesetzt werden können - interkulturelle Auseinandersetzung ist ein lebenslanger Lernprozess! So ist die Grundvoraussetzung für die Arbeit mit Menschen anderer Herkunftsländer die offene und ausdrücklich bejahende Einstellung ihnen gegenüber. Die Gleichberechtigung aller Nationen bedeutet, dass sich Kind wie Eltern in ihrem Menschsein angenommen fühlen. Kinder gehen sehr unvoreingenommen mit „Andersartigkeit“ um und können Erwachsenen damit durchaus Vorbild sein. Wichtigstes Vorbild im Gruppengeschehen ist die Erzieherin, die Toleranz und Respekt vorlebt. Sie soll den Kindern lehren, Unterschiede kennen und schätzen zu lernen. Mit authentischer Haltung lebt sie vorurteilsfreie Begegnung vor. Alle Kinder sollen Selbstsicherheit gewinnen in Bezug auf ihr eigenes und das Erscheinungsbild ihrer Familienmitglieder. Die Aktivitäten der Gruppe gelten alters entsprechend allen Kindern der Gruppe als Angebot: „Allen alles zu lehren“ ist ein Leitsatz unserer (interkulturellen) Arbeit. Die gemeinsamen Aktivitäten ziehen sich also durch alle Spiel- und Lernbereiche des Alltags: Das Freispiel, die Themen bezogene Projektarbeit, die 2 Bewegungsangebote, die Betätigung im künstlerisch- handwerklichen Bereich, das Erleben und Erlernen unterschiedlicher Sprachen, das Erarbeiten von Bilderbüchern und Geschichten, die gemeinsamen Feste und Ausflüge. All diese Angebote verfolgen zwei Ziele: die Entwicklung jedes einzelnen Kindes und das Zusammenwachsen aller Kinder zu einer festen, verlässlichen Gemeinschaft. In Projektwochen werden immer wieder Inhalte über das Kulturgut und die Lebensweise von Menschen anderer Länder bearbeitet. Die Kinder erleben die Unterschiede als etwas Positives, das auch die Gemeinschaft der Gruppe bereichert. Bei Festen und anderen Anlässen haben auch die Eltern Gelegenheit, ihre persönliche Herkunftsgeschichte, Traditionen, Bräuche und Gegebenheiten ihrer Heimat bekannt zu machen. Zweisprachigkeit ist ein wesentliches Merkmal der interkulturellen Erziehung. Auch wenn eine „gemeinsame“ Sprache wichtig für die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls aller Kinder in der Gruppe ist, ist dennoch die Bedeutung der Muttersprache für die Identitätsbildung des einzelnen Kindes grundlegend. Die Identität von Kindern ist immer mit ihrer Herkunft und Geschichte verbunden, mit dem Familiengefüge, in dem sie aufwachsen, und dem kulturellen Kontext, der trotz des Besuches der Kindergartengruppe weiterhin ihr Leben dominiert. Auch im sprachlichen Bereich sind Kinder unvoreingenommen und flexibel. Kinder erkennen sehr schnell unterschiedliche Sprech- Settings, wann etwa sich die Gelegenheit bietet sich muttersprachlich oder eben in der Zweitsprache zu verständigen, auch wenn diese noch nicht so gut beherrscht wird: In der Puppenecke bietet es sich förmlich an, mit Kindern gleicher Herkunftssprache Situationen des Familienlebens nachzuspielen. Findet sich hier ein Grüppchen türkischer Mädchen zur spielerischen gemeinsamen Vorbereitung eines bevorstehenden Familienfestes ist dies ausdrücklich in Ordnung. Finden sich im Morgenkreis alle Kinder zur Besprechung des Tages zusammen, ist die gemeinsame Sprache Deutsch, so weit wie sie eben beherrscht wird. Sprachförderangebote für die Zweitsprache Deutsch gibt es jeden Tag. Auch dieses Setting erkennen die Kinder sehr schnell. Kinder, die sowohl in der Muttersprache als auch in der Zweitsprache Deutsch bereits gute Fortschritte erzielt haben, haben zudem die Gelegenheit spätestens ein Jahr vor dem Wechsel in die Grundschule an regelmäßigen Einheiten in englischer Sprache teilzunehmen. Die Vorteile bilingualer Erziehung macht sich das so genannte „Rucksack“Projekt zu Nutze. In unserer Einrichtung gibt es eine polnische und eine türkische Rucksackgruppe. Ausgebildete Muttersprachlerinnen, die so genannten „Elternbegleiterinnen“ treffen sich einmal wöchentlich mit „ihren“ 3 türkischen oder polnischen Müttern und vermitteln ihnen Unterrichtsstoff für eine gesamte Woche, damit die ausländischen Mütter zuhause mit ihren Kindern in der Muttersprache Tag für Tag vorbereitete Inhalte bearbeiten - spielerisch versteht sich. In den Einheiten lernen sie, wie man mit dem Kind zum Beispiel über das Thema Körper und Körperpflege sprechen kann. Das Kind wird in dieser Woche zuhause mit der Mutter als muttersprachlicher Expertin mit einem bestimmten Vokabular konfrontiert, welches zeitgleich im Kindergartenalltag von den Erzieherinnen mit eben diesen Kindern in der Zweitsprache Deutsch bearbeitet wird. In den beiden Settings häusliches Umfeld und Kindertagesstätte werden also gleiche Inhalte einmal in der Muttersprache und zum anderen in der Zweitsprache Deutsch behandelt. Die betreffenden Kinder erlernen sichtbar schneller und besser Deutsch, weil eben in gleicher Weise ihre muttersprachlichen Kompetenzen gestärkt wurden. Die Grundschule „Burg“ vor Ort in Hackenbroich bestätigt diese Erfolge regelmäßig bei der Einschulung der Erstklässler. Die Rucksackgruppen treffen sich für einen Zeitraum von zehn Monaten, also fast ein ganzes „Kindergartenjahr“ lang. Aber Nutzen haben nicht nur die Kinder: Die ausländischen Mütter werden dabei oft sehr motiviert, selber die Zweitsprache Deutsch zu erlernen, etwa um sich besser mit der Erzieherin über die Entwicklungsfortschrittes des Kindes unterhalten zu können. Vor allem türkische Mütter sind kulturell und sprachlich bedingt sehr an das eigene häusliche Umfeld gebunden. Für die „Ausflüge“ und Treffen in die Kita haben sie nicht nur Beweggründe, ihrem Kind sprachlich helfen zu wollen, sondern sie sehen für sich selbst die Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, sich über Erziehungs- und Alltagsprobleme auszutauschen und einfach mehr Anschluss an andere Kreise zu bekommen und sich damit mehr Autonomie anzueignen. Auch dies ist ein Grundstein der integrativen Arbeit vor Ort. Viele Mütter aus ehemaligen „Rucksack“- Gruppen belegen anschließend den in der Kita stattfindenden fortlaufenden Deutschkurs für ausländische Mütter. Eine türkisch-deutsche Referentin des Familienforum Edith Stein begleitet diese Gruppe dauerhaft. Aber auch die Stärkung der Muttersprache für ältere Kinder ist uns wichtig. Eine dauerhaft eingerichtete Gruppe für tamilische ältere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hat einmal wöchentlich die Möglichkeit hier in unserer Kita ihre Muttersprache zu pflegen, damit diese Sprache nicht verloren geht. Bildungs- und Erziehungsangebote für Eltern mit Zuwanderungsgeschichte sind sehr wichtig, um präventiv gegen Armut und unterschiedlichste Gefahren für die Gesundheit der Kinder zu arbeiten. Die Bildung des Kindes entscheidet grundlegend seine spätere berufliche Zukunft. Bildungsangebote für Eltern zielen darauf ab, eben die Bildung des Kindes so positiv wie möglich zu unterstützen. Bildung wiederum kann nur erworben werden, wenn das Kind 4 körperlich günstige Voraussetzungen für das Lernen mitbringt. Auch darüber werden unsere Eltern informiert. Bei wichtigen Themen, wie zum Beispiel die Entwicklungsphasen des Kindes und die Möglichkeiten der elterlichen Unterstützung, bieten wir unseren ausländischen Eltern Informationsabende in ihrer Muttersprache an. Dolmetscher für Einzelgespräche, Informationsmaterial in anderen Sprachen als Deutsch, aber auch Fremdsprachenkompetenzen einiger Erzieherinnen sind für die effektive Elternarbeit mit ausländischen Eltern sehr hilfreich. Drei Erzieherinnen des Teams sind polnische Muttersprachlerinnen. Die polnischen Familien sind neben den deutschen und türkischen Familien unserer Einrichtung am stärksten vertreten. Aber auch Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch sind Sprachen, die einzelne Kolleginnen von sehr gut bis gut oder in Ansätzen sprechen, sodass zumindest eine Konversation „mit Händen und Füßen“ möglich ist. Eine weitere Hilfe bei der Begleitung von ausländischen Familien sind unsere muttersprachlichen „Babysitter“, die die Kleinkindbetreuung übernehmen, wenn Elternangebote in der Kita laufen. Etwa bei unserem Rucksack-Projekt hätten viele der teilnehmenden Mütter nicht dabei sein können, wenn ihre Babys nicht versorgt würden. Für einen Säugling wäre es allerdings unzumutbar von jemandem betreut zu werden, den es nicht versteht. Eine Unterbringung in der Kindergartengruppe wäre schon aus diesem Grunde nicht in Frage gekommen. Mit einer muttersprachlichen Betreuungsperson kann aber eine Eingewöhnung bedenkenlos durchgeführt werden. Die interreligiöse Arbeit in unserer Kindertagesstätte trägt dafür Sorge, dass Kinder unterschiedlicher Kulturen und Religionen in einer Atmosphäre der Offenheit und Toleranz miteinander umgehen lernen. Sie erleben, dass es Orte und Vorgänge gibt, wo ihre Beobachtungen, Erlebnisse und Fragen bezüglich des Glaubens ihrer Eltern und Familien zur Sprache gebracht werden können. Sie erleben, dass sie von Symbolen und Ritualen erzählen können, und sich darüber austauschen können, was den einen am Glauben des anderen anspricht, was gefällt, was fremd ist oder was vielleicht sogar Angst macht. Wenn Eltern erleben, dass ihr Kind nicht von ihrer Religion entfremdet wird, dass es vielmehr darin Bestätigung und Anteilnahme erfährt und darüber hinaus Einblick gewinnt in das, was die anderen glauben, dann begünstigt dieser interreligiöse Dialog das Zusammenleben insgesamt. In vielen Fragen des täglichen Lebens unserer Eltern mit Zuwanderungsgeschichte sind auch unsere Mitarbeiterinnen der 5 Kindertagesstätte überfordert. Fragen zum Aufenthaltsrecht, Klärung über die Gültigkeit und Anerkennung ausländischer Ausbildungsabschlüsse, das Ausfüllen von Formularen der Ämter und Behörden und die Betreuung bei psychosozialen Problemen, all dies sind Situationen in denen die Mitarbeiterinnen Hilfen von externen Diensten vermitteln oder einen Kontakt zum Migrationsbüro der Caritas herstellen. Einmal wöchentlich, dienstags von 14.00 Uhr bis 15.00 Uhr, bietet die Caritasberatungsstelle den Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eine Beratung in unserem Hause an. 6