Ich liebe unsere Sprache Englisch ist ein Muß, Deutsch ist ein Plus: Plädoyer für eine aktive deutsche Sprachpolitik – im Inland wie im Ausland/ Von Jutta Limbach In seiner „Ode an die deutsche Sprache" schreibt Jörge Luis Borges „Die kastilische Sprache ward mir zum Schicksal /.., Dich aber, süße Sprache Deutschlands / Dich habe ich erwählt und gebucht, ganz von mir aus. / In Nachtwachen und mit Grammatiken, / aus dem Dschungel der Deklinationen, / das Wörterbuch zur Hand, das nie den präzisen Beiklang trifft, / näherte ich mich Dir. / Meine Nächte sind mit Virgil angefüllt; / So sagte ich einmal; / Ich könnte aber auch gesagt haben: / Mit Hölderlin und Angelus Silesius. / Heine gab mir seine Nachtigallenpracht; / Goethe die Schickung einer späten Liebe, / gelassen sowohl wie bereichernd; / Keller die Rose, gelegt von der Hand / in die eines Toten, der die Blume liebte / und der nie wissen wird, ob sie weiß oder rot ist. / Du, Sprache Deutschlands, bist Dein Hauptwerk; / Die verschränkte Liebe der Wortverbindungen, / die offenen Vokale, die Klänge, / angemessen dein griechischen Hexameter, / und Deine Wald- und Nachtgeräusche. / Dich besaß ich einmal. Heute, am Saum der müden Jahre; / Gewahre ich Dich in der Ferne; /Unscharf wie die Algebra und den Mond!" Jörge Luis Borges hat diese Liebeserklärung an die deutsche Sprache in hohem Alter verfaßt, „am Saum der mieden Jahre", wie er es poetisch ausdrückt. Das erklärt die Feme und Unschärfe, mit der er sein Hohelied ausklingen läßt. Gegenwärtig sind es in Deutschland eher Angehörige der jüngeren Generationen, deren Verhältnis zur deutschen Sprache unterkühlt ist. Wer hätte derzeit die Stirn, von der „süße(n) Sprache Deutschlands" zu sprechen? Diskutieren wir doch gerade die Frage, ob der Bundespräsident in der Knesset in seiner Müttersprache oder besser Englisch sprachen sollte. Die deutsche Sprache wird von den Überlebenden der Schoa noch immer als eine aggressive, gewalttätige Sprache erinnert, die sie automatisch an den Holocaust denken läßt. Deutsch war eben auch die Sprache der Gestapo, der Konzentrationslager und der „Volksschädlings-Verordnung". Allenthalben begegnet uns dieser Tage, da wir der Befreiung von Auschwitz vor sechzig Jahren gedenken, das barbarische Vokabular des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Die deutsche Sprache ist durch (Besen Sprachverfall, vor allem durch die damit auf den Begriff gebrachten Menschheitsverbrechen, nicht diskreditiert. Keine Sprache ist davor gefeit, von Menschenfeinden mißbraucht zu werden. Wer die Sprache liebt, so Heinrich Böll, weiß, daß sie das Menschlichste am Menschen ist und darum auch schrecklichster Ausdruck seiner Unmenschlichkeit werden kann. Der sich auch im Mißbrauch der Sprache äußernde Zivilisationsbruch der Jahre 1933 bis 1945 hat die Anfänge der deutschen auswärtigen Kulturpolitik bestimmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst Bescheidenheit gefordert. Es ging darum, mit den Nachbarn überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen. Eine Haltung, die auch die Sprachpolitik beeinflußt hat. Nicht nur in Israel war das Deutsche verpönt. Es hat fast zwei Jahrzehnte gedauert, bis das Goethe-Institut die deutsche Sprache als ein Mittel einzusetzen begann, um die Aufgeschlossenheit und Sympathie für Deutschland zu fördern. Das gilt im gleichen Maße für die Außenpolitik, die in diesen Jahren - aus respektablen Gründen versäumt hat, im Prozeß der europäischen Integration den Stellenwert der deutschen Sprache zu behaupten. Das ist um so ärgerlicher, als die deutsche die in der Europäischen Union am häufigsten gesprochene Muttersprache ist. Trotz dieser Tatsache müssen wir uns aber damit abfinden, daß Englisch zur Weltsprache geworden ist. Mehrsprachigkeit bildet Ob einer Sprache der Status der lingua franca zuwächst, hängt nicht zuerst davon ab, mit welcher Häufigkeit sie als Müttersprache gesprochen wird. Laut David Crystal zählt nur ein Grund für den Aufstieg einer Sprache zur Weltsprache: die Macht der Leute, die diese Sprache sprechen. Damit sind unterschiedliche Dinge gemeint: die politische Macht, die technologische, die wirtschaftliche, die kulturelle Macht. Bismarck soll 1888 gefragt worden sein, was er für den entscheidenden Faktor in der modernen Geschichte halte. Er antwortete: daß die Nordamerikaner Englisch sprechen. An diesen Macht- und Zahlenverhältnissen wird sich in absehbarer Zeit wenig ändern. Das Englische nüchtern als Weltsprache anerkennend, hat sich das Goethe-Institut daher der Devise verschrieben: Englisch ist ein Muß, Deutsch ist ein Plus. Trotz der überragenden Bedeutung der englischen Sprache ist die Lehre der deutschen Sprache im Ausland ein vorrangiges Politikziel. Aber wie überzeugt man jene, die bereits mit ihrer ersten Fremdsprache Englisch weltweit kommunizieren können, davon, daß das Erlernen der deutschen Sprache gleichwohl bereichert? Zunächst mit einem Argument, das für jede andere Sprache auch gilt - daß Mehrsprachigkeit bildet. Sprache ist nicht nur ein Mittel der Kommunikation. Sprache ist Kultur. Schon die Tatsache, für welche Kaum ein Land hat ein so kühles, distanziertes Verhältnis zur eigenen Sprache wie Deutschland. Während Franzosen auf internationalen Konferenzen ganz selbstverständlich ihre Muttersprache sprechen, radebrechen Deutsche bei gleicher Gelegenheit vorzugsweise in einem fehlerhaften, variantenarmen Englisch. Statt sich gedankenreich und nuanciert des Deutschen zu bedienen, wollen sie offenbar lieber ihre Weitläufigkeit demonstrieren. Wie angesichts dieser Distanz zum Deutschen eine aktive Sprachpolitik aussehen könnte, beschreibt Jutta Limbach, ehedem Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, jetzt Präsidentin des Goethe-Instituts, in ihrem Plädoyer für eine Wiederentdeckung des Reichtums und der Schönheit unserer Sprache. Unser Beitrag ist die gekürzte Fassung einer „Berliner Lektion", die Frau Limbach unlängst in der Hauptstadt gehalten hat F.A Z, Sachverhalte, Befindlichkeiten und Eigenschaften eine Sprache Worte besitzt, teilt etwas über kulturelle Eigenheiten mit. Der Geist einer Sprache, so Marie EbnerEschenbach, offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten. Für die deutsche Sprache sei auf die Gratwanderung, das Fingerspitzengefühl, das Waldsterben, den Weltschmerz, die Schadenfreude hingewiesen - alles Worte, für die es in anderen Sprachen keine entsprechenden Vokabeln gibt. Sprache ist, so Wilhelm von Humboldt, Ausdruck der Verschiedenheit des Denkens. Jede Sprache ist „auch eine Ansicht von der Welt". Zudem regt das Erlernen einer Fremdsprache dazu an, über die Eigenheiten der eigenen Sprache nachzudenken. Wer fremde Sprachen nicht lernt, so Goethe, keinnt sei- ne eigene nicht. Eine aktive deutsche Sprachpolitik ist angesichts des unterkühlten Verhältnisses der Deutschen zu ihrer Muttersprache freilich nicht immer leicht. Denn viele Deutsche empfinden keine besondere Freude an ihrer Muttersprache. In einigen großen deutschen Unternehmen wird selbst in den in Deutschland gelegenen Zentralen englisch gesprochen. Für die Franzosen hingegen ist es selbstverständlich, ja eine Herzenssache, den Stellenwert der französischen Sprache in der Welt zu festigen. Offensiv treten französische Politiker dafür ein, ihre Muttersprache in den internationalen Organisationen - insbesondere in der Europäischen Union -aufzuwerten. Wir dagegen müssen uns immer wieder von unseren französischen Kollegen bei der Hand nehmen lassen, auf daß wir - gemeinsam stark - unsere Sprachen neben der Weltsprache Englisch behaupten. Und wie häufig tadeln unsere französischen Freunde unsere geradezu anbiedernde Bereitschaft, auf internationalen Zusammenkünften auf den Gebrauch der eigenen Sprache zu verzichten? Wir sprechen beflissen englisch, statt uns wortreich und damit gedankenreich in der vertrauten Muttersprache darzustellen. Wir Deutschen ziehen es vor, durch den Gebrauch des Englischen Weltoffenheit, Modernität und das Gefeitsein vor dem Nationalsozialismus zu demonstrieren. So sehr uns die Franzosen in ihrer Liebe zur Muttersprache ein Vorbild sind, so wenig verdient ihre auf Verbote erpichte sprachpuristische Politik unsere Gefolgschaft. Fremdwörter bereichern unsere Sprache. Charme, Engagement oder Fairneß Sind Begriffe, die unsere Sprache nicht nur ergänzen. Sie sind vielmehr mit Assoziationen verknüpft, die das entsprechende deutsche Wort nicht aufweist. Mitunter bringen sie einen vielschichtigen Tatbestand besser auf einen kurzen Begriff. Vergessen wir bitte auch nicht, in welchem Maße unsere Sprache mit ihrem reichen Wortschatz das Ausdrucksvermögen anderer Sprachen bereichert. Man denke nur an Kindergarten, Rechtsstaat, Angst, Kitsch. Das französische Beispiel lehrt, daß man das stattliche Wachstum von Anglizismen nicht mit einer militanten staatlichen Sprachpolitik aufhalten kann. Gesetzliche Austreibungsversuche scheiden schon deshalb aus, weil man Kultur nicht administrieren kann. Kultur kann ihrem Wesen nach nicht staatlich verwaltet werden. Das beeinträchtigte ihre Autonomie. Treffend hat Jean-Francois-Revel festgestellt, daß der gesetzlich verordnete Kampf gegen ausländische Wörter nur in Diktaturen erfolgreich sein könne. Lassen wir also dem Bundeskanzler seinen „Girls Day", der Jugend ihr „cool" und einer Geschäftskette ihr „come in and find out". Die deutsche Sprache wird nicht an dem Gebrauch von Anglizismen zugrunde gehen. Statt uns gegen etwas zusammenzutun, sollten wir uns für etwas gemeinsam stark machen. Das Goethe-Institut hat sich aus dieser Einsicht heraus mit zwei anderen der deutschen Sprache dienenden Institutionen dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und der Gesellschaft für Deutsche Sprache - zum Deutschen Sprachrat verbunden, um das Feingefühl der deutschen Öffentlichkeit und Politik für die deutsche Sprache zu beleben. Uns geht es im Deutschen Sprachrat nicht um den Kampf gegen Anglizismen und Fremdwörter anderer Herkunft; auch nicht um eine Rivalität mit der englischen Sprache. Wir wollen vielmehr die Freude an der deutschen Sprache wieder beleben. Unser gemeinsamer Wettbewerb um das schönste deutsche Wort im vergangenen Jahr diente diesem Ziel. Die Aufmerksamkeit sollte auf den Reichtum der deutschen Sprache gelenkt werden. Und die Pflicht, die Wahl des kostbarsten Wortes zu begründen, sollte den Sprachdiskurs beleben. Was in der Tat geglückt ist, weil sich die deutschen Medien in unerwarteter Weise an diesem Spiel beteiligt haben. ist, das ich lebenslang gesucht habe. Bis ich angefangen habe, Deutsch zu lernen, habe ich dieses Gefühl nicht benennen können. Es ist komisch, etwas zu spüren, und kein Wort dafür zu haben." Besser kann gar nicht zum Ausdruck gebracht werden, warum Deutsch ein Plus ist. Eine aktive Sprachpolitik im Innern wie außerhalb unseres Landes steht nicht nur im Einklang mit der künftigen europäischen Verfassung, laut der die Union den Reichtum der kulturellen und sprachlichen Vielfalt wahren soll. Frankreich und Deutschland kommt in der Abwehr einer sprachlichen Monokultur eine tragende Rolle zu. Kraft der Bedeutung ihrer Sprache sind beide Länder m besonderer Weise für den Erhalt der Mehrsprachigkeit in Europa verantwortlich. Denn die Entwicklung der Sprachen verläuft nicht naturgesetzlich, sie ist beeinflußbar. Wir müssen alles daransetzen, daß das von Gerd Stickel gezeichnete Zukunfts-Szenario Fiktion bleibt, wonach in fünfzig bis siebzig Jahren „Französisch, Deutsch, Italienisch und Finnisch ... nur noch in der Familie und mit Freunden in der Freizeit gesprochen Werden". In allen anderen Situationen des Lebens werde eine Art „kreolisiertes Englisch" gesprochen werden, während die europäischen Hochsprachen, einschließlich der englischen, nur noch auf Folklore-Nischen beschränkt sein könnten. Auch die Engländer gilt es daher davon zu überzeugen, daß Weltmeister des Gefühls Mehrsprachigkeit bereichert und bildet. Ein slowakisches Sprichwort sagt: „Mit jeder Wenig überraschend haben deutsche Worte der Empfindsamkeit den Sieg davon- neu erlernten Sprache erwirbst Du eine neue getragen. Offenbar sind wir Deutschen Seele." Die erste Seele gewinnt der junge Mensch Weltmeister im Erfinden gefühlsbetonter Wörter wie Weltschmerz, Heimweh und mit dem Erlernen der Muttersprache. Die mit Fernweh, die häufig in deutscher Wortgestalt der Sprache gegebene Fähigkeit, Gedanken auch in anderen Sprachen verwendet werden. auszudrücken, wenn nicht überhaupt zu Auch Sir Simon Rattle, der in den denken, prägt den Menschen von Orchesterproben der Berliner Philharmoniker Kindestagen an - sowohl als Individuum wie noch immer Englisch spricht, weiß, daß es auch als geselliges Wesen, Die Mutfür das Wort „innig" keinen angemessenen tersprache stiftet Identität und gesellschaftlienglischen Ersatz gibt. Hier schließt die chen Zusammenhalt. Weit mehr als die terdeutsche Sprache Lücken des Ausdrucksvermögens anderer Sprachen. Eise ritoriale Bodenhaftung läßt die Sprache eine spanische Teilnehmerin unseres Wettbe- „geistig-emotionale Heimat erwachsen" werbs, die sich für „Fernweh" entschieden (Fritz Nies), Heine, der bekanntlich viele hat, schrieb: „Dieses Wort ist für mich das Jahre unfreiwillig in Paris verbracht hat, wird gern als Zeuge für diese Bindekraft der schönste deutsche Wort, weil es das Wort Sprache angerufen. In seinen Klagen wird der Zusammenhang von Sprache und Heimat deutlich, etwa wenn er feststellt: „Wenn ich Deutsch schrieb, so konnte ich mir einbilden, ich sei in der Heimat, bei der Mutter." Wer also patriotische Gefühle pflegen will, der wende seine besondere Aufmerksamkeit der deutschen Sprache zu. Prof. Dr. Jutta Limbach: Biografie geboren am 27.03.1934 in Berlin verheiratet, drei Kinder März 1994 Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Vorsitzende des Zweiten Senats 1994 - 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Am 17. Januar 2002 Wahl zur Präsidentin des GoetheInstituts Inter Nationes