1 Christian Petry BBE-Newsletter 3/2010 Religion und Demokratie

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Christian Petry
BBE-Newsletter 3/2010
Religion und Demokratie
Fünf Thesen zu einem Stiftungsprojekt
1. Das Verhältnis von Religion und Demokratie ist ambivalent, Religion kann
bei der Gestaltung demokratischer Kultur ein Teil des Problems und ein Teil
der Lösung sein.
Dass alle großen abrahamischen Religionen negativ auf die Akzeptanz demokratischer Kultur wirken können, hat zunächst einmal eine große historische Plausibilität.
Ihr Wahrheitsanspruch kann, auch gegen ihre eigenen Lehren, als Angebot zur
Selbsterhöhung und Abgrenzung, ja Diskriminierung anderer führen. Die Suche nach
religiöser Wahrheit ist politisch gut zu nutzen: für die Stärkung der je eigenen Seite in
nationalen und in Gruppenkonflikten, für die Stabilisierung beschädigter Identität und
als Kompensation für pathologische Anerkennungsverhältnisse. Religionen lassen
sich politisch und gesellschaftspolitisch leicht kidnappen und jeder Blick in das Geschichtsbuch oder in die Zeitung liefert dafür Belege. Dies gilt in besonderer Weise
für ihre fundamentalistischen, besser gesagt, für ihre extremistischen Varianten, die
sich in allen der drei großen abrahamischen Religionen, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam, finden.
Demokratie hat als ihren Grundwert die Würde des Menschen als Kern der Menschenrechte und die sich daraus ergebende Vorstellung der Gleichwertigkeit aller
Bürger. Die Versuchung der Religionen ist, und dies ist es, was sich nutzen lässt,
dass die Zugehörigkeit zu einer durch Glaubenswahrheit bestimmten Gruppe das
Entstehen einer Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen begünstigen kann.
Dies aber ist genau das Gegenteil von dem, was die eigene Lehre verlangt, denn für
das Christentum zum Beispiel sind die „Gottesebenbildlichkeit“, die „Family of Men“
und die Freiheit die Grundlagen seines Menschenbildes und damit auch eine der
wichtigsten Quellen für die Entwicklung der Menschenrechte.
Die Weihnachtsansprachen und die Predigten ihrer Vertreter, die Stellungnahmen
der Kirchentage sind voll von Beschwörungen, Forderungen und Erklärungen dafür,
was diese Grundwerte für die Gestaltung unseres Lebens in der demokratischen Gesellschaft verlangen. Und das gilt für die anderen Religionen in ähnlicher Weise.
Wem es um die Gestaltung demokratischer Kultur geht, der wird die meisten der verantwortlichen Vertreter der Religionen auf seiner oder ihrer Seite finden. Es bleibt
das Gefühl der irritierenden Ambivalenz, denn die Religionen sind Opfer und Täter
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zugleich. Sie sind Opfer, wenn man sich die Geschichte des Antisemitismus, der
Christenverfolgung und auch der in den vergangenen Jahrzehnten gewachsenen
Islamfeindlichkeit anschaut und man findet religiöse Motive, wenn man die Geschichte von Gewalt und gewalttätigen Konflikten betrachtet.
Diese Irritation hat das Network of European Foundations, eine Gruppe privater Stiftungen, vor einigen Jahren dazu veranlasst, sich mit dem Thema „Religion und Demokratie“ zu beschäftigen. In diesem Rahmen haben die Groeben Stiftung und die
mit ihr verbundene Freudenberg Stiftung zwei empirische Studien initiiert, in denen
sowohl den negativen wie den positiven Wirkungsmöglichkeiten der Religion nachgegangen wird.
2. Menschen, die sich zum Christentum bekennen, zeigen mehr Vorurteile als
andere
Dies ist das Ergebnis einer empirischen Studie von Beate Küpper und Andreas Zick,
Universität Bielefeld, in sieben europäischen Ländern.
Es handelt sich hierbei um eine Sonderauswertung eines großen, überwiegend von
europäischen Stiftungen finanzierten Forschungsprojekts zur Erfassung „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, eines Syndroms von Vorurteilen, das von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie bis zur Haltung gegenüber
Behinderten und sexistischen Stereotypen reicht. Das Projekt ist als Langzeitstudie
angelegt. Es hat vor acht Jahren in Deutschland begonnen und endet nach zehn
Jahren. Unterstützt wird das deutsche Projekt unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld von einem Stiftungskonsortium (Volkswagen Stiftung, Möllgaard Stiftung und Freudenberg Stiftung). Über die Ergebnisse wird jährlich
in einem vom Suhrkamp Verlag produzierten Buch, „Deutsche Zustände“, berichtet.
Es handelt sich hier nach dem Selbstverständnis aller Beteiligten um eine zivilgesellschaftliche Initiative. Das gilt auch für die im vergangenen Jahr erstmals erhobene
europäische Vergleichsstudie. Deren Ergebnisse sind bis auf den hier berichteten
Teil zur Vorurteilsbelastung der christlichen Bevölkerung in Europa noch nicht publiziert. Und auch dieser liegt bisher nur auf Englisch vor: Beate Küpper, Andreas Zick:
Religion and Prejudice in Europe. New empirial Findings. NEF 2010.
Befragt wurden in den beteiligten Ländern je etwa 1000 zufällig ausgewählte Personen. Die Beschränkung auf die christliche Bevölkerung erklärt sich aus dem geringen
Anteil anderer Religionszugehörigkeiten im europäischen Durchschnitt, der keine
Aussagen erlaubt, die man gegen den Zufall absichern könnte. Die Ergebnisse zeigen folgendes, für die Forschung zwar nicht überraschendes, aber doch erschreckend eindeutiges Bild: Die Vorurteilsbelastung in der erfassten europäischen Bevölkerung ist hoch. Die krisenhaften Zustände führen generell zu einer hohen Bereitschaft, Menschen mit ausgewählten Merkmalen abzuwerten, Dabei sind in den ver2
schiedenen Ländern durchaus unterschiedliche Vorurteile im Fokus. Wenn man
Menschen fragt, die sich als religiös bezeichnen, dann bekennen diese sich stärker
als andere zu vorurteilsbelasteten Aussagen und zwar in allen Dimensionen, vom
Rassismus bis zur Abwertung von Behinderten und zum Sexismus. Und wenn man
fragt, ob sie sich als sehr religiös einschätzen, dann steigt die Vorurteilsbereitschaft
noch einmal. Und nur am Ende, bei außerordentlich hohem religiösen Engagement,
sinkt die Kurve der Vorurteile wieder etwas ab, aber auch nicht unten den Level der
Nicht-Religiösen und auch nicht bei Einstellungen gegenüber Homosexuellen und
Frauen. Bei der Auswertung haben die Autoren geprüft, ob es sich vielleicht um Effekte des Bildungsstands oder der sozialen Lage handelt. Und in der Tat kann ein
Teil der Vorurteilsbelastung damit erklärt werden, aber nicht alles: Religion trägt danach faktisch zur Ideologie der Ungleichwertigkeit in Europa bei.
Diese Ergebnisse wurden im Rahmen eines von der civis medienstiftung veranstalteten „Civis Dialogs“ von Journalisten, Experten und Politikern beiderlei Geschlechtes
und Vertretern der drei Religionen in Wien in der Hofburg und im erzbischöflichen
Palais im Herbst vergangenen Jahres diskutiert. Als Resultat ist folgendes festzuhalten:
3. Es gibt aktive religiöse Milieus in allen abrahamischen Religionen, die zur
Gestaltung demokratischer Kultur beitragen.
Über solche Milieus weiß die Öffentlichkeit wenig. Der Erzbischof von Wien, Kardinal
Schönborn z. B. machte in der Diskussion darauf aufmerksam, dass von denjenigen
Christen, die regelmäßig und engagiert am Gemeindeleben teilnehmen, zwei Drittel
weniger als der Durchschnitt der Bevölkerung die Partei Haiders gewählt hätten. Der
Großmufti von Slowenien an seiner Seite plädierte für ein Islamverständnis, das den
Austritt leicht macht, denn „wir wollen doch niemanden halten, der nicht glaubt und
aus freiem Willen mitwirkt“.
Vor allem die religiösen Milieus des Islams in Österreich und den Staaten des ehemaligen K.u.K.-Europas verdienen öffentliche Beachtung. Der Großmufti von Sarajewo, Ceric, sagte bei einer privaten Veranstaltung der Theodor Heuss Stiftung: „Wir
bitten nachdrücklich darum, uns in der europäischen Öffentlichkeit besser anzuerkennen. Sie fragen nach einem europäischen Islam. Es gibt ihn seit 600 Jahren; aber
dieser steht unter Druck. Es wäre schön, wenn Sie uns unser Leben wenigstens nicht
schwerer machen würden.“
Großmufti Ceric konnte an dem Civis Dialog nicht teilnehmen, weil er von Präsident
Obama am gleichen Tag zu einer Veranstaltung über den Islam in Europa eingeladen war. Auch sein Schüler, der Mufti von Slowenien, und der Bundespräsident von
Österreich sagten, dass die Lage dieser für Europa positiven islamischen Tradition
bedroht sei: durch ethnische und politische Angriffe. Im Klartext: z. B. durch die Tür3
kei und Saudi Arabien. Was nehmen wir von solchen Stimmen in der Öffentlichkeit
wahr?
Zu den wahrnehmungswerten religiösen Milieus gehören auch solche, die, in ihrer
Orthodoxie ruhend, es nicht nötig haben, andere Religionen abzuwerten, sondern
einen für alle Beteiligten fruchtbaren Austausch gestalten können. Das dies möglich
ist, war bei dem Civis Dialog mit Händen zu greifen. Unterstützt wurde diese Veranstaltung durch die Herbert Quandt-Stiftung und wieder durch die Groeben Stiftung in
Verbindung mit der Freudenberg Stiftung. Auch dieser Anstoß für die Meinungsbildung in den Medien sehen die Beteiligten als zivilgesellschaftliche Initiative.
Diskutiert wurden auch die Ergebnisse einer weiteren empirischen Studie über den
Bau von Moscheen und Minaretten in Europa. Im Auftrag des Network of European
Foundations hat Stefano Allievi (Institut Ethnobarometer, Rom und Universität Padua) in 24 Städten in sieben Ländern Konflikte untersucht, die beim Bau von Moschee und Minaretten entstanden sind (Stefano Allievi: Conflicts over Mosques in
Europe. Policy issues and trends. NEF 2009).
4. Es gibt gute Konflikte und schlechte beim Bau von Moscheen und Minaretten. Wie sie ausfallen, hängt unter anderem ab von aktiven und offenen religiösen Milieus.
Konflikte um Moscheen und Minarette sind nach Professor Allievi und Ethnobarometer im Grunde Konflikte über den Islam. Und hinter dem Konflikt um den Islam steht
eigentlich die fehlende Anerkennung der Tatsache, dass die europäischen Gesellschaften sich von monoreligiösen zu multireligiösen und multikulturellen Gesellschaften entwickelt haben.
Es ist aus meiner Sicht eine der zentralen Aufgaben der Bürgergesellschaft und der
Medien, auf diese Entwicklung immer wieder hinzuweisen und deutlich zu machen,
dass diese unumkehrbar ist.
Die Vergleichsstudie von Allievi über Konflikte um den Bau von Moscheen und Minaretten in 24 Städten und sieben europäischen Ländern zeigt, dass es trotz einer generellen islamfeindlichen Hintergrundmusik in allen europäischen Gesellschaften
höchst unterschiedliche Konfliktverläufe und -ergebnisse geben kann. In der einen
Hälfte der Städte hat der Konflikt zu einem friedlichen Ende und einer Integration der
Moslems geführt, in der anderen Hälfte zu nachhaltigem Unfrieden und zu deren Exklusion. Warum die einen Stadtgesellschaften feindselig reagieren, die anderen nicht,
ist unaufgeklärt. Die Antwort Allievis: Es existieren unterschiedliche lokale politische
Kulturen, die den Ausschlag geben. Dort, wo es christliche Milieus gibt, die in der
Lage sind, andere Religionen als gleichwertig willkommen zu heißen, und muslimische, die offen für den Dialog sind, und wo man dabei auf eine weltoffene, gut moderierende Stadtspitze trifft, ist die Chance für einen guten Ausgang des Konflikts groß.
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5. Die Frage, ob die Gesellschaft die wachsende kulturelle und religiöse Pluralität akzeptiert, wird in hohem Maße auf der lokalen Ebene entschieden.
Die lokale demokratische Kultur wird aber weder politisch noch medial sehr beachtet. Ein Oberbürgermeister oder lokaler Kirchenvertreter oder Moschee-Vereine, die
gut zueinander finden, werden selten öffentlich anerkannt und wer sozusagen den
Konflikt in den Sand setzt, muss keine allgemeine negative Öffentlichkeit fürchten.
Hier liegt eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe der Zivilgesellschaft und der
Medien, denn die Entwicklung lokaler politischer Kultur hat in wachsendem Maße
gesamtgesellschaftliche Bedeutung.
Christian Petry war von 1984 bis 2009 Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung in
Weinheim. Er ist Vorstandsmitglied der Theodor-Heuss-Stiftung, der Deutschen Nierenstiftung und der Schule Birklehof, Mitglied des Kuratoriums der Freudenberg Stiftung und des Bündnisses für Demokratie und Toleranz, Board Member des Roma
Education Funds und Gesellschafter der civis medienstiftung.
Kontakt: [email protected]
Bestell- und Downloadmöglichkeiten der erwähnten empirischen Studien unter: http://www.nefic.org/
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