was bedeutet „ethische verständigung zwischen kulturen“

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WAS BEDEUTET „ETHISCHE VERSTÄNDIGUNG ZWISCHEN
KULTUREN“?
EIN PHILOSOPHISCHER PROBLEMZUGANG AM BEISPIEL
DER AUSEINANDERSETZUNG MIT DER FORSCHUNG AN
MENSCHLICHEN EMBRYONEN IN CHINA
Von Ole Döring
1 KULTURELLE WELTEN?
Die aktuellen Debatten um die ethische Interpretation und Regelung der
biomedizinischen Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen werden
in China, im „Westen“ und zwischen Ethikern unterschiedlicher Herkunft intensiv
geführt. In diesem Zusammenhang wird häufig die Frage gestellt, ob die
moralischen und ethischen Vorstellungen aus „verschiedenen Kulturen“ miteinander zwanglos zu vereinbaren sind, oder ob die Bioethik sich womöglich
darauf einzurichten habe, mit fundamental „anderen ethischen Kulturen“ friedlich
zusammen zu leben – und eine solche Koexistenz normativ zu gestalten. Zuweilen
wird die Erlaubtheit einer bestimmten Praxis in der biopolitischen Diskussion mit
dem ungehinderten Geschehen eben dieser Praxis begründet: Geht es
beispielsweise nach dem amerikanischen Biowissenschaftler Gregory Stock, dann
ist China eine treibende Kraft bei der Erosion ethischer Maßstäbe in der
Biomedizin. Kritikern der Aufweichung moralischer Grenzen hielt er jüngst
entgegen, dass reproduktives Klonen von Menschen, verbrauchende und selektive
Embryonenforschung ohnehin bald grenzenlos möglich seien. „Wenn wir darauf
verzichten, wird es eben in China gemacht, das ist unausweichlich“1.
Wenn innerhalb Europas prima facie kontroverse moralische Grundannahmen aufeinander prallen, wie im Falle der Würde- geleiteten Diskurse gegenüber den
Nutzen- geleiteten Diskursen über die Zulässigkeit der Forschung an menschlichen
Embryonen, entsteht zuweilen der Eindruck, mit Hinweis auf eine im Wesen
andere Kultur in der Ferne solle versucht werden, ein wirklich (nämlich
vermeintlich essenziell) Kontradiktorisches durch Auslagerung in die weite Welt
und vermittels der Suggestion einer noch tieferen – nämlich „kulturellen“ – Ebene
der Divergenz gewissermaßen zu abstrahieren und für den Moment zu entschärfen.
In einem online-Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde in diesem
Sinne Chinas Biowissenschaft jüngst „eine krude Mischung aus mittelalterlicher
1
Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.05.2002,
http://research.mednet.ucla.edu/pmts/Stock.htm.
Nr.
114:
Seite
41;
s.a.
Medizin und Science-fiction-Horror“ unterstellt2. Solchen Allüren kulturalistischer
Arroganz korrespondieren auf der anderen Seite Zitate fremdländischer
Wissenschaftler3, die gelegentlich im Namen einer neo-panasiatischen moralischen
Makro-Identität kulturrelativistisch geformt werden: So meint der Präsident der
Asiatischen Bioethikvereinigung, Hyakudai Sakamoto, in explizit apologetischer
Absicht zum Tiananmen-Massaker von 1989, der „Besonderheit des asiatischen
Geistes auch in bioethischen Fragen“ beziehungsweise einem „Asian Ethos”
zufolge müsse man „die allgemeine und die gesellschaftliche Ordnung höherwertig
einstufen als Interessen und die Würde des Einzelnen”4.
Offensichtlich eignet sich diese Verwendung von „Kultur“ zur Erhöhung des „Yukfactors“ im polemischen Kampf um Emotionen, aber nicht zur ethischen
Verständigung, weder innerhalb von noch zwischen Kulturen. Eine vitalistische
Metaphorik des Kulturellen trägt, gerade im Kontext der „Lebenswissenschaften“,
nicht zur Aufklärung bei, indem sie sich schon im Ansatz einem anachronistischen
– und im übrigen schon zu seiner Zeit als anti-aufklärerisch erkannten5 – Weltbild
ausliefert. Insbesondere werden sämtliche Brücken zur Verständigung, die ein
paternalistischer Relativist im Grundsatz anerkennt, abgebrochen: Man sieht nicht
einmal mehr ein, wodurch die Schutzwürdigkeit und Achtung gegenüber Menschen
anderen Glaubens überhaupt zu begründen sein soll. Feiert hier ein zu den Akten
gelegter „Kulturenkampf“, Spengler oder Huntington, gleichwohl eine unerwartete
populäre Wiederauferstehung?6 Schon wissenssoziologisch wäre dies ein
spannender Untersuchungsgegenstand.
Der Titel des Beitrags von Christian Schwägerl, „China ist das Land der grenzenlosen
Embryonennutzung“, FAZ am 4.10.2002, S. 42, verstärkt offenbar den hier erzeugten
Abgrenzungseffekt.
3
Im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der Erzeugung von Mensch-Hasen-Hybriden zitiert
die Frankfurter Rundschau Zhao Nanyuan von der Pekinger Qinghua Universität: „Der eine hat
diese Ethik, der andere eine andere. Bei Ethik gibt es keine gemeinsamen Werte.“ (in Harald
Maas, China finanziert Kreuzung menschlicher Zellen mit denen von Tier, FR 20.9.2001).
4
Hyakudai Sakamoto, „The Edmonton Lecture”, nachgedruckt in: Proceedings of the Second
Asian Bioethics Seminar, Global Bioethics from Asian Perspectives II (24-25 November, 1999
Nihon University, Tokyo), Comprehensive Study on East Asian Culture Project, University
Research Center, Nihon University, Tokyo 2000.
5
Einen aufklärerischen Gegenentwurf legte schon 1923 exemplarisch Albert Schweitzer vor, mit
seinem bemerkenswert aktuellen Werk „Kultur und Ethik“, neu aufgelegt München (C.H. Beck)
1996. Für unseren Zusammenhang interessant ist Schweitzers posthum erschienene Arbeit zur
„Geschichte des chinesischen Denkens“, München (C.H. Beck) 2002. Zusammengenommen
ergeben beide Werke eine erfrischende Perspektive für die kulturell verstehende Bioethik. Vgl.
das Nachwort von Heiner Roetz, „Albert Schweitzer über das chinesische Denken. Eine
sinologische Anmerkung“, in Schweitzer 2002: 331-348.
6
Vgl. Hans-Martin Sass, Menschliche Ethik im Streit der Kulturen, Bochum (Medizinethische
Materialien: Heft 132) 2002.
2
2 KULTUR UND KULTUREN IN EINER WELT
Diese Frage stellt sich für die Bioethik allerdings auf eine bestimmte Weise.
Angesichts des massiven Hineindrängens biowissenschaftlicher Forschung und
pharmazeutisch-biotechnischen Engagements in die Märkte und zu den
biowissenschaftlichen Ressourcen der Entwicklungs- und Schwellenländer kann sie
auf die der Legitimitätsfrage vorgelagerte Problematik der Perspektive auf „den
anderen“ kaum weniger erhebliche Auswirkungen haben als eine politischideologisch begründete Sortierung der Welt nach „Blöcken“, wie während des
Kalten Krieges. An die Stelle der Guten und Bösen werden hierbei die Grade
kultureller Verwandtschaft beziehungsweise Fremdheit gesetzt; und, im Falle der
Hinzunahme einer Prämisse kulturell-normativer „Prägung“, werden entsprechende
Gefälle beziehungsweise Gräben zwischen Regionen der (binnenmoralischen)
Verbindlichkeit gleich mit gesetzt. Die Dringlichkeit einer Vergewisserung über
die Bedeutung des Kulturellen ergibt sich im Zeitalter der Biomedizin zudem
überaus konkret.
Zumindest in zweierlei Hinsicht zeigen sich Unterschiede zur geopolitischideologischen Verständigung, die für die Auswirkungen des Kulturverständnisses
bedeutsam sind: Erstens finden die relevanten Interaktionen und Interpretationen
beziehungsweise die Formulierungen und „Anwendungen“ bioethischer Normen
nunmehr auf einer Ebene unterhalb beziehungsweise jenseits der staatlichen
(einschließlich demokratisch bestätigter) Machtmonopole statt. Die Globalisierung
von Wissenschaft, Wissen, Technik, Wirtschaft, Kommunikation, Vernetzung,
persönlicher und institutioneller Wirkmacht usw. führt zu Tendenzen der
Virtualisierung und Diversifizierung von Subjekten der Verständigung und zum
Aufbrechen etablierter Strukturen und Prozeduren des Konfliktmanagements; die
„Blöcke“ werden bereits auf der Ebene der Biopolitik aufgeweicht, ausgehöhlt und
aufgelöst. Dies schlägt sich in einer Entwicklung nieder, welche die rechtsförmige
Regulierung zu einer kooperativen Aufgabe der internationalen Bioethik macht,
unter Beteiligung von „Experten“, Interessenvertretern, Nichtregierungsorganisationen und Administratoren, die durchaus aufgrund ihres persönlichen
Engagements oder anderer kontingenter Faktoren legitimiert sein können, aber
eben nicht notwendig repräsentativ für eine fachliche Elite, ein Land – und schon
gar nicht für „eine Kultur“ – sein müssen. Was dies für die Ausgangslage einer
(meiner Ansicht nach noch nicht existierenden) kulturübergreifenden Bioethik, als
für eine genuin ethische Disziplin beziehungsweise einen ethischen Diskurs
bedeutet, ist hier noch nicht einmal inbegriffen. Gegeben ist damit jedoch ein
pragmatischer Zwang zu mehr Realismus, zu größerer Beachtung des Empirischen
und zu einer höheren Achtung gegenüber dem scheinbar Trivialen; andererseits
empfiehlt schon die Klugheit, angesichts der neuen Unübersichtlichkeit jeden
intellektuellen Hochmut abzulegen und die Kultur aus ethischem Interesse neu zu
rekonstruieren7. Die Bioethik steht, unabhängig von der Praktikabilität ihrer
kulturellen Aufklärung, vor grundsätzlichen methodischen und theoretischen
Herausforderungen. Ob die bisherige Praxis, Kompetenzen überkommener Fächer,
von Theologie bis Humangenetik, von Jurisprudenz bis Soziologie, oder von
Sinologie bis Philosophie, als Zulieferer für einen (damit weitestgehend
politisierten oder sozialisierten) konjunkturbestimmten Diskurs abzurufen, geeignet
ist, der bioethischen Problematik auf der Höhe des fachlichen Sachstandes
angemessene interdisziplinäre Synergien zu schaffen, oder ob stattdessen zu
wünschen sei, die jeweiligen Aspekte zu einer neuen Metadisziplin einer „kulturell
aufgeklärten Bioethik“ zu transformieren, ist weniger entscheidend als die
Bereitschaft aller Teilnehmer, sich den immer gegebenen jeweiligen disziplinären
Begrenzungen und übergreifenden Desideraten zu stellen. Die bloße Schaffung
eines neuen Faches mit dem Namen „Bioethik“ oder von entsprechenden
Forschungszentren könnte, sofern sie nicht in Gestalt eines offen und angemessen
breit angelegten Forschungsprogrammes erfolgt, eher kontraproduktiv sein.
Zweitens ist die globale Entwicklung im Umfeld der Biomedizin für die Frage der
Kultur und Verständigung relevant, weil sie im Hinblick auf die Akteure in diesem
unübersichtlichen Handlungsfeld ein größeres Maß an praktikabler Freiheit und
Verantwortung erlaubt und einfordert. Dem Einzelnen kommt in dieser
Betrachtung eine größere kulturelle Bedeutung zu als man unter den Bedingungen
vermeintlich wohlgeordneter geopolitischer Kulturkoordinaten wahrhaben musste.
Wenn die nominelle Zugehörigkeit zu einer „Kultur“ keinen zwingenden
Aufschluss über das subjektive Verhältnis des jeweiligen Akteurs ( zum Beispiel
als Mitglied in einer Ethikkommission, als Arzt oder als Patient) zu deren
konventionellen Werten und Normen zulässt, gleichzeitig die moralische
Souveränität und Verantwortung des Einzelnen als eines Interpreten, Gestalters und
Mitschöpfers von Kultur zu achten ist, kann das ausschlaggebende Subjekt auch in
7
Mit einer ähnlichen Intention hat der Literaturwissenschaftler Eagleton vorgeschlagen, den
singulären und regulativen Inbegriff der Kultur der Menschheit beziehungsweise der
Kultiviertheit (durch Kapitalschreibung KULTUR) von den vielen (ggf. auch unkultivierten)
Kulturen heuristisch zu unterscheiden, die das Menschsein hervorgebracht hat. „Der Witz an der
KULTUR ist, daß sie kulturlos ist: Ihre Werte sind nicht die irgendeiner besonderen Lebensform,
sondern einfach die des menschlichen Lebens selbst. ... KULTUR (hat) ein paradoxes Verhältnis
zu ihrem historischen Milieu: Wenn sie zu ihrer Verwirklichung dieses besonderen Rahmens
bedarf, so ist sie doch KULTUR nur darum, weil sie ihn in Richtung auf das Allgemeine
überschreitet.“ Terry Eagleton, Was ist Kultur?, München (C.H. Beck) 2001: 76; (deutsche
Übersetzung des englischen Titels The Idea of Culture, Oxford (Blackwell) 2000).
kultureller Hinsicht kein Kollektiv, sondern nur ein Individuum sein8. Das gilt auch
dann, wenn sich Individuen in beziehungsweise durch Gruppen als Kollektive
normativ betätigen und dabei gegebenenfalls die Einstellung ihrer Mitglieder
verändern. Damit ist natürlich nichts über die Inhalte der jeweiligen normativen
Ausrichtung gesagt; so ist es beispielsweise vollkommen unproblematisch, wenn
der Einzelne aus eigenem moralischen Urteil in seiner Entscheidung einer
Autoritätsperson (zum Beispiel dem Arzt) oder einer Person des Vertrauens (zum
Beispiel Freund oder Verwandten) folgt; sie darf ihm nur nicht von anderen in
diesem Sinne abgezwungen oder durch Täuschung beeinflusst werden 9. Auch ist
nicht gefordert, dass jeder Mensch sich in seiner Willensbildung besonders
„rationalen“ Zwecken unterwirft. Der philippinische Philosoph Leonardo de Castro
hat jüngst mehrfach am Beispiel der affektiven Ablehnung mancher Arten
biomedizinischer Forschung seitens ethischer Laien und öffentlicher Meinung auf
das konstruktive Potenzial des Empfindens moralischer Ablehnung (repugnance)
hingewiesen und es, in seinen klaren Intuitionen ebenso wie in seinen irrationalen
Reflexen, mit dem Respekt vor der lebendigen Verschiedenheit der Kulturen
verknüpft10.
3 VON WERT UND KULTUR
Ebenfalls von richtungsweisender Bedeutung ist die grundsätzliche Klärung,
welcher normative Status dem eingängigen Hinweis auf kulturelle Verschiedenheit
eigentlich zukommen soll und welche semantische Bedeutung er besitzt.
3.1 KULTURELLE STANDARDS?
Zugespitzt lautet eine der Kernfragen an die Forschung: Wenn in einem Land V
etwas verboten ist, das in einem anderen Land E nicht ausdrücklich verboten
beziehungsweise ausdrücklich erlaubt ist, wird man es als zulässig behandeln,
wenn aus V heraus dort verbotene Handlungen in E erfolgen? Für das Szenario der
Kollision zweier konkurrierender normativer Sachverhalte hat Robert Veatch,
8
Auf die Frage der Anerkennung des Individuums als Souverän kulturschöpferischer Akte gehe
ich ausführlich ein in meinem Aufsatz „Verstehen als Anerkennen. Überlegungen zu einer
zeitgemäßen Kulturhermeneutik am Beispiel der Medizinethik im heutigen China“, Bochumer
Jahrbuch zur Ostasienforschung Band 25 2001, Bochum (Iudicium), 2002: 9-52.
9
Unter die unerlaubten Zwänge fällt auch der – wie auch immer plausibel gemachte – „Verzicht“
auf unveräußerliche Menschenrechte; wobei wiederum kontrovers bleiben kann, welches diese
unveräußerlichen Rechte sind und wie sie interpretiert werden müssen, sofern sie in ihrem
regulativ-idealen Gehalt anerkannt werden.
10
Zum Beispiel: Leonardo de Castro, „Reproductive Cloning: Moral repugnance and knee-jerk
reactions“, in Lee Shui-chuen (ed.) Proceedings of the Third International Conference of
Bioethics: ‚Ethics, Legal and Social Issues in Human Pluri-potent Stem-cells Experimentation‘,
Chungli (Taiwan) 2002: R01-R06.
meiner Ansicht nach überzeugend, im Falle länderübergreifender medizinischer
Menschenversuche dafür plädiert, keinesfalls doppelte Standards (oder gar die
Suspendierung beziehungsweise Nivellierung von Standards) zuzulassen.
Stattdessen vertritt er eine Strategie „zweifacher Standards“ (two-standards policy),
wonach die Standards beider beziehungsweise sämtlicher involvierter Länder
anzuwenden sind und im Falle einer relativen Unterregulierung die jeweils
stärkeren, das heißt schutzmächtigeren Standards, hier also V, gelten sollen11.
Hierin ist übrigens eine implizite normative Aussage enthalten: Die Gutwilligkeit
und die ehrliche Absicht, den Versuchsteilnehmer nicht zu schädigen, wird jenseits
kultureller Spezifikationen als universale Forderung (neben weiteren)12
vorausgesetzt.
Offensichtlich bezieht sich dieses Beispiel auf Länder und nicht eigentlich auf
Kulturen. Dies ist kein Zufall. Schon die trennscharfe Identifikation einer „Kultur“
ist überaus problematisch, was die Etablierung „einer Kultur“ als unmittelbaren
ethischen Akteur praktisch ausschließt. Ein Land dagegen lässt sich, insbesondere
bei einem Interesse an Verständigung in normativen Fragen, einigermaßen
unproblematisch unter Zuhilfenahme rechtlicher und politischer Kategorien so
beschreiben, dass verantwortliche Akteure und normative Ansprüche positiv
identifiziert und zugeschrieben werden können. Der Ansatz auf einer kulturellen
Makro- oder Meso-Ebene ist demnach offensichtlich ungeeignet und wird auch gar
nicht benötigt, um die Subjekte kultureller Ethik-Verständigung überhaupt zu
erfassen. Hier kommt die Bioethik ohne das enorm beweislastige Postulat einer
spezifisch und essenziell eigenförmigen Ebene „kultureller Vorprägung“ aus;
ethische und rechtliche Verbote „in einem Land“ erfolgen zwar unter anderem aus
ordnungspolitischen Gründen, vor allem aber begrenzen sie die Handlungsfreiheit
Einzelner zum Schutze der Grundrechte Einzelner. Der einzelne Mensch bestimmt
als Souverän der Schaffung, Interpretation und Praxis von Kultur immer aktuell,
welcher Kultur er angehört und wie er sie praktisch versteht. Diese
Selbstbestimmung darf nicht in einem Akt der deskriptiven Zuordnung zu einer
Kultur aufgehoben werden oder dieser womöglich präskriptiv untergeordnet
werden, soll der Grund der Möglichkeit von Kultur respektiert werden. (Wo dies
dennoch geschieht, sei es aus Unachtsamkeit, Bequemlichkeit oder Vorsatz, ist es
die Aufgabe einer kulturell aufgeklärten Ethik, immer wieder auf die damit
Robert M. Veatch, „A Response to Melody H. Lin“, in Division of Health Policy Research,
National Health Research Institutes, Taipei, (ed.), Proceedings of the 2001 Taiwan International
Symposium on Applied Ethics in Human Research – Subject Protection, Taipei 2001: 103-111,
hier S.105 und Veatch, „Remaining Problems in Human Subject Protection: Learning across
cultures“, das.: 112-116.
12
Robert M. Veatch, The Patient as Partner – A Theory of Human Experimentation Ethics,
Bloomington (Indiana University Press) 1987, besonders: 210f..
11
verbundenen Probleme hinzuweisen). Die absolute Achtung eben dieser
Souveränität meint man wohl auch, wenn man von einer europäischen oder
weltbürgerlichen „Wertegemeinschaft“ redet. Deren Voraussetzung ist mithin
bereits ein universal präskriptiver Begriff von Kultur beziehungsweise
Kultivierung. Kulturelle Verschiedenheit entsteht historisch tatsächlich und
entfaltet sich in idealer Weise als Werk von Einzelnen, (sei es als Einzelnen oder
als Einzelnen in Gruppen,) innerhalb dieses Horizontes. Damit wird der Einzelne
gerade nicht von seiner Kultur entfremdet und gegen sie ausgespielt. Vielmehr wird
deutlich, wodurch der Mensch überhaupt, vor allen sprachlichen, sozialen und
sonstigen empirischen Einflüssen, ein kulturelles Wesens ein kann.
Warum ist das so? Ein Blick auf die Bedeutung von „Kultur“ soll hier zunächst die
Semantik klären. Ich unterscheide zwei Bedeutungen von „Kultur“13. In ihrem
kreativen Aspekt bedeutet „Kultur“ etwas Gemachtes mit Bezug auf eine
Vorstellung vom „Guten“ im weitesten Sinne. In ihrem kontextualen Aspekt
bedeutet Kultur die konkrete (soziale, politische, moralische usw.) Umwelt, in der
der Mensch seinen Sinn findet, reflektiert und handelt. In der Zusammenschau ist
„Kultur“ der Inbegriff aller schöpferischen menschlichen Leistungen, die als
wertvoll aufgefasst werden (unabhängig davon, ob sie mit guten Gründen als
wertvoll gelten). „Kulturen“ sind unter diesen Begriff fallende Produkte des
menschlichen Geistes, als deren Autoren sich Kollektive in einem
zeitübergreifenden Prozess (traditionell) verstehen. Damit ist weder behauptet, dass
Kultur immer oder überhaupt wertvoll sei, oder dass das jeweilige Kulturprodukt
jetzt von irgend jemandem als wertvoll angesehen werden müsse. Damit ist
allerdings ein Kulturbegriff vorgestellt, der es zuallererst möglich macht, kulturelle
Leistungen als normative Ansprüche anzusehen und sich in ethischer Absicht auf
Kultur zu beziehen14. Für eine ethische Beurteilung bedarf es über die deskriptive
Zuordnung normativer Ansprüche hinaus deren Reflexion anhand eines
präskriptiven Maßstabes, auf den ich oben bereits mit dem Akt der Anerkennung
hingewiesen habe.
3.2 ANERKENNUNG ALS INITIAL EINER KULTURGENESE
Welchen Zusammenhang von Kultur und Normativität dürfen wir nun aber
zugrunde legen, etwa im Falle eines nicht ausdrücklichen Verbotes
13
Anders als die vertikale Unterscheidung von KULTUR und Kulturen mit ihrem normativen
Horizont der „Menschheit“, wie bei Eagleton, ist diese horizontale Unterscheidung einfach
deskriptiv, selbst wenn sie normative Zuschreibungen beschreibt.
14
Diese Überlegungen entwickeln Gedanken aus meinem Aufsatz „Introducing a ‚Thin Theory’
for Cross-Cultural Hermeneutics in Medical Ethics. Reflections from the Research Project
Biomedicine and Ethics in China’“, Eubios Journal of Asian and International Bioethics Vol 11,
September 2001: 146-152, darin besonders Abschnitt 3.
beziehungsweise einer ausdrücklichen Erlaubnis? Ethisch folgt aus der
Abwesenheit einer positiven Norm oder Rechtsklausel keine Generalvollmacht.
Das gilt insbesondere dann, wenn ein etablierter Deutungsrahmen vorhanden ist
(wie etwa die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage des
Schutzes frühen menschlichen Lebens in Deutschland15). Nicht einmal ein
expliziter Kodex steht in einem eindeutigen Verhältnis zur ethischen Einstellung
der Bevölkerung oder den jeweiligen konventionell-kulturellen Grundannahmen:
Ethische Regeln sind beispielsweise häufig das Ergebnis der Beratung in speziellen
Expertengremien, Gesetze formulieren das Ergebnis eines politischen Prozesses,
der überhaupt keine Rücksicht auf Kultur und Ethik nehmen muss. In beiden
Beispielen wird nicht unmittelbar oder auch überhaupt nicht sichtbar auf eine
bestimmte Kultur rekurriert. Es lässt sich allenfalls ex post beschreiben, ob
kulturelle Faktoren Einfluss genommen oder welche kulturellen Entwicklungen
gegebenenfalls stattgefunden haben. Davon daß „Kultur“ oder „kulturelle
Vorstellungen“ die Gestaltung ethischer Kodizes in irgendeinem verständlichen
Sinne verursacht oder bewirkt haben, ist also nicht einmal metaphorisch zu
sprechen. Die seit Sommer 2002 bestehende deutsche Gesetzeslage zum Import
human-embryonaler Stammzelllinien konnte niemand antizipieren, auch nicht unter
Veranschlagung eines „Kulturfaktors“. Ebenso offen ist aus heutiger Sicht, welchen
Lauf eine Generalrevision der Gesetzgebung zum Embryonenschutz in
Deutschland nehmen und welche Bedeutung „Kultur“ dabei haben wird.
Ethische Normen erhalten ihren „Wert“ durch Akte der Anerkennung
beziehungsweise werden als intellektuelle Konstrukte gemacht, weil bestimmten
praktischen Grundsätzen ein hoher Wert beigelegt wird, wobei Rücksichten auf den
jeweiligen Kontext in die moralische Urteilsbildung mit eingehen. Auf diesen
Sachverhalt hat sich beispielsweise der Biologe Hubert Markl bezogen16,
wenngleich unter Verkennung der mit demselben verbundenen transzendentalen
Voraussetzungen, die eine biologistische Verkürzung des Menschseins apodiktisch
ausschließen17. Hannah Ahrend hat darauf hingewiesen, dass diese Spannung
zwischen einer in der Welt bescheidenen Freiheit des „Guten Lebens“ und
Dazu z.B. Ernst-Wolfgang Böckenförde, „‚Die Frucht einer verbotenen Tat‘.
Embryonenforschung verstößt gegen das Grundgesetz“, Süddeutsche Zeitung, 28.01.2002; oder
Jutta Limbach, „Der Mensch wird nie ohne Makel sein. Der vom Bundestag beschrittene Ausweg
ist nicht ohne Widerspruch: Zur Lage der Gentechnik in Deutschland“, Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 25.02.2002, Nr. 47: 51.
16
Zusammengefasst in: Hubert Markl, Schöner neuer Mensch?, München (Piper Verlag), 2002.
17
So auch in aller Deutlichkeit Gerold Prauss, „Das Tier in uns ist auf dem Vormarsch. Es leiht
sich Menschensprache, um uns das Menschsein auszureden: Was die Debatte über die Bioethik
über unsere Herkunft und Zukunft verrät“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.07.2001, (Nr.
153): 45.
15
pragmatischem Zwangsdenken aus Bedürftigkeit bereits seit der europäischen
Antike formuliert wird18. Dies deckt sich mit dem für das antike China zu
konstatierenden Befund einer ethisch geforderten Unterordnung des Nutzendenkens
unter die Prämissen einer deontologischen Vorstellung vom guten Leben19. Es
kommt aus ethischer Sicht darauf an, nicht dass sie gemacht werden, sondern wie
Werte qualitativ bestimmt und praktiziert werden. Ein naturwissenschaftlich oder
utilitaristisch verkürztes Menschenbild reduziert dabei den Horizont intellektueller
Kreativität. Ohne den Mut zu übergreifenden Entwürfen aus genuin ethischem
Interesse zerfällt das Unternehmen der Ethik in moralischen Dezisionismus und in
dessen Konsequenz in ethischen Relativismus. Ebenso schlüssig folgt die
Verdrängung, zuweilen die explizite anti-aufklärerische Diffamierung, einer
couragierten Ethik durch Tendenzen zu bloß instrumentell kalkulierendem Denken.
So wird die ethische Kunst des kritischen Nach- und Hinterfragens zu einer
gänzlich sophistischen Übung im Antworten entwertet.
3.3 ETHISCH HEISST ES NICHT „WOHER?“, SONDERN „WARUM?“
Diese disparate kulturelle Situation ist bereits mit Blick auf das relativ
kleinräumige mitteleuropäische Deutschland nicht durch Einsichten in das
vermeintliche Wesen „unserer Kultur“ aufzulösen. Wenn beispielsweise der
Beijinger Medizinethik-Historiker Zhang Daqing behauptet, „Western medical
ethicists insist that it is a universal moral imperative to be truthful to the patient.
For, if truth is hidden, the patient’s individual decision-making is jeopardized.
Traditional Chinese medicine, however, points out that it is most important to help
the patient“20, oder wenn der Shanghaier Philosoph Shen Mingxian mit Bezug auf
die heutige Situation feststellt, „The Holy Bible is the most important cultural
resource and authority of Western culture“21, dann ist die Unzulässigkeit einer
solchen kulturalistisch verallgemeinernden Deutung für den (damit eben nicht
zutreffend beschriebenen) „Westler“ offensichtlich. Wie sollte dies bei ethnisch
und sozial komplexen Ländern wie China, oder gar im multinationalen und
interkulturellen Geflechten, in umgekehrter Betrachtung, einfacher oder überhaupt
18
Hannah Arendt, Vita Activa, München (Piper) 2002: 35-42; (engl. Original: The Human
Condition, Chicago (University of Chicago Press) 1958).
19
Vgl. Heiner Roetz, Die chinesische Ethik der Achsenzeit, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1992: 265300. S. dazu auch meinen Beitrag, „Maßstab im Wandel. Anmerkungen über das Gute und die
Medizinethik in China“, in Ralf Elm und Mamoru Takayama (Hg.): Zukünftiges Menschsein:
Ethik zwischen Ost und West, Baden-Baden (Nomos-Verlag, Schriftenreihe des Zentrum für
Europäische Integrationsforschung Bd. 55) 2002: 319-353.
20
Zhang Daqing, „Medicine as virtuous conduct: Assessing the tradition of Chinese Medical
Ethics“, in Döring and Chen 2002:233-254: 253.
21
Shen Mingxian, „Euthanasia and Chinese Traditional Culture“, in Döring and Chen 2002: 255265: 264.
erlaubt sein? Was Verständigung in diesem Kontext bedeuten kann, hängt davon
ab, wer sich aktuell mit wem zu verständigen hat, also von den Subjekten
„kulturell“ genannter Verständigung. Dabei tritt die Kulturalität als Problem
grundsätzlich an eine nachgeordnete Stelle des ethischen Interesses. (Der
Gegenstand der Verständigung kann hier zunächst außer Acht gelassen werden.)
Pointiert lässt sich das Gesagte so zusammenfassen: Für die Frage, ob im Rahmen
einer kulturellen Analyse untersuchter Übermittlungszusammenhänge die
vorgefundenen praktischen Normen nicht nur als genetisch interpretierbare Fakten
plausibel sind, sondern auch als ethisch akzeptabel gelten können, ist eben diese
Genese selbst völlig unmaßgeblich. Zur ethischen Beurteilung müssen sie in die
Perspektive des übergeordneten Sollens gestellt werden. Gerade weil man den
anderen Menschen im Interesse des Verstehens und der Verständigung als
moralischen Souverän anerkennen muss, verbietet sich dessen vorgängige
Substantivierung zu einem „Anderen“.
Welche Positionen im Namen einer Kultur jeweils vertreten und wie diese
begründet werden, hängt nicht von Etiketten ab, sondern kommt in den explizit und
implizit anerkannten Vorannahmen und Interessen zum Ausdruck. Mit dem
kantischen Ausdruck: Die moralische Position ergibt sich aus Inhalt und
Anordnung der Maximen, die man tatsächlich als die seinigen anerkennt (und die
nicht nachweisbar mit denen identisch sind, die man zu haben glaubt). Denn nur
diese sind vom Souverän der Kultur tatsächlich so gemeint, dass sie mit dem
Selbstverständnis der jeweils „eigenen Kultur“ und auch mit der Haltung
gegenüber jeweils „anderen Kulturen“ zusammengehören.
4 ZUM NORMATIVEN SPEKTRUM DER KULTUREN DER ETHIK
Wo verlaufen demnach die Grenzen zwischen „Kulturen der Ethik“? Wodurch
werden sie konstituiert? Diese Grundfragen führen auf das Thema der
Verständigung zwischen Kulturen. Was macht diesen Zwischenraum der
Unterschiedlichkeit von Kulturen aus? Was geschieht zwischen Kulturen, wenn sie
Verständigung praktizieren?
4.1 SZENARIEN DER VERSTÄNDIGUNG
Um zu gelingen, verlangt Verständigung nicht völlige Übereinstimmung oder
Gleichförmigkeit. Sie kann sogar ohne den Anspruch auf ein völliges Verstehen
des anderen auskommen, sofern dieser die Verständigung anerkennt. Durch einen
solchen Akt der (man möchte sagen: wohl informierten und freien) Zustimmung
wird gerade der Verzicht auf die Forderung nach der Vollständigkeit des
Verstehens (in sämtlichen Tiefen und Details) legitimiert. Für den Umgang mit den
Konsequenzen und Implikationen der Verständigung für die jeweilige „eigene
Kultur“, ebenso wie für die Einforderung von „Nachbesserungen“ an Inhalt und
Form der konkreten Verständigung im Falle von Mängeln, sind deren Angehörige
jeweils als Kultursubjekte selbst zuständig – es geht nur darum, die beteiligten
Souveräne als mündig zu behandeln und ihnen die erforderlichen Interpretationsund Handlungsspielräume in der Praxis zu lassen. Wiederum ist damit auch
maßgeblich, welches Bild der Mensch von „seiner“ Kultur hat und welchen Platz er
darin einnimmt beziehungsweise einnehmen möchte. Auch im Hinblick auf den
fundamentalen und konstitutiven Charakter dieses Grundvertrauens unterscheidet
sich die Struktur einer kulturell aufgeklärten Verständigung zu bioethischen Fragen
demnach nicht wesentlich von denen einer demokratisch- zivilgesellschaftlichen
Kultur von Verantwortung, Engagement und Achtung.
Ich schlage vor, drei Arten von kultureller Verständigung typologisch zu
unterscheiden, die den Horizont der Szenarien von Verständigung nach Maßgabe
der Haltung der Teilnehmenden bestimmen. Allen Arten von Verständigung
gemeinsam ist, dass sie eine Übereinstimmung hinsichtlich bestimmter Interessen,
Absichten, Ansichten, Interpretationen oder (insbesondere) gegenseitiger
Verpflichtung formulieren. Vor diesem Hintergrund bestehen folgende
Unterschiede:
(a) Eine Verständigung in Anerkennung des anderen im Sinne eines äußerlichen
Aktes der Übereinkunft, die gemäß der geltenden praktischen Normen erfolgt, ist
rechtsförmig. Sie kann rechtsförmiger Ausdruck einer ethischen Verständigung
sein, durch die sich alle Teilnehmer dauerhaft bestimmten äußerlichen Regeln
unterwerfen.
(b) Eine Verständigung aus Anerkennung des anderen bezieht die Gründe der
ethisch-systematischen Voraussetzungen von (a) in ihre Absichten mit ein. Insofern
sie damit aus Achtung erfolgt, ist sie genuin moralisch und begründet die
Teilnahme am eigentlichen ethischen Diskurs. Form und Inhalte der Verständigung
sind im Toleranzbereich des überhaupt Ethischen variabel.
(c) Eine Verständigung ohne echte Anerkennung des anderen gemäß der geltenden
Normen, beziehungsweise bei einer nur strategischen oder deklaratorischen
„Anerkennung“, widerspricht der Möglichkeit einer allgemeinen Verständigung,
indem sie das Potenzial von Verständigung auf strategische Bündnisse reduziert.
Das Vorliegen dieses Falles ist daran zu erkennen, dass Handlungen den
deklarierten Maximen im Kontext der Menschheit regelmäßig signifikant
widersprechen und selbst bei gelegentlicher Rechtsförmigkeit auf eine
Mentalreservation schließen lassen. Als Ausnahme in einer rechtlichen oder
moralischen Gemeinschaft verhalten sie sich parasitär, indem sie von der
Anerkennung anderer profitieren, ohne ihrerseits den anderen Achtung zu erweisen.
Sobald diese Maxime aber Geltung beansprucht, will sie die legitimen
Schutzsphären individueller Kulturen verdrängen und beginnt jede ethische Vision
jenseits der Binnenmoral zu zerstören22.
Hier soll noch ein in kulturübergreifenden Debatten anzutreffender Spezialtyp der
Verständigung genannt werden, der bestimmte (Meta-) Prinzipien zwar faktisch für
alle bindend anerkennt und einfordert, es jedoch ablehnt, diese explizit als universal
auszuweisen – und als universale auf die eigene Argumentation zu beziehen.
Namentlich trifft dies zu für (paternalistisch-) kulturrelativistische Standpunkte, die
zwar die universale Gültigkeit ethischer Normen bestreiten, sich allerdings
gleichwohl hierbei auf Prinzipien wie die Achtung und Schutzpflicht von
Menschen anderer Kultur, Weltanschauung und Lebensweise – sofern eben diese
keine Bedrohung darstellen, sondern als bedrohte zu gelten haben – wie als auf
allgemein gültige berufen. Verständnis und Verständigung wird hier jedenfalls im
Sinne des Typs (a) angestrebt, steht aber auch in Einklang mit (b). Bei dieser
einigermaßen weit verbreiteten Denkfigur handelt es sich offensichtlich um ein
performatives Selbst-Missverständnis, ein Verständnis, das sich selbst im
Bewußtsein bester ethischer Absichten hinsichtlich der eigenen Voraussetzungen
irrt23. Dieses Missverständnis wird durch die Unscheinbarkeit transzendental22
Die klassische Metapher in der chinesischen und europäische Philosophie hierzu ist die
Räuberbande. Der Unterschied zwischen dem Inbegriff des Räubers („Scharrfuß“ Zhi) und dem
des Kulturheroen (Shun) ist der zwischen dem Streben nach Nutzen und Streben nach dem Guten.
Nur beim Streben nach dem Guten geht der andere als Selbstzweck in die Kalkulation mit ein. So
Mengzi 7.1.25; (vgl. James Legge (Hrsg.), The Works of Mencius, New York (Dover) 1970: 464).
Daoisten, die bereits in der Moral eine instrumentelle Vergewaltigung des Guten sehen, treiben
diese Kritik auf die Spitze. „Die größte aller Räuberbanden nun, die sich der Moral als eines
wirksamen Mittels bedient, ist der Staat“. Roetz 1992: 401.
23
Ein prominenter Vertreter dieser Sichtweise scheint mir H. Tristram Engelhardt Jr. zu sein.
Deutlich weist er den ethischen Kulturrelativismus zurück und verlangt historische und kulturelle
Rücksichten von der Bioethik. Indem er die universal maßgeblichen Prinzipien, vor allem das
„Prinzip der Erlaubnis“ (permission), aber als frei von moralischem Gehalt (contentless)
bezeichnet, obwohl es doch unübersehbar einen ganzen Katalog (meta-) ethischer Inhalte
voraussetzt, insbesondere dasjenige der Achtung und Anerkennung des anderen, verzichtet
Engelhardt auf die naheliegende Einordnung seiner Theorie in das Spektrum der transzendentaldeontologischen Ethikentwürfe und läuft Gefahr, entweder als inkonsequent aufgefaßt oder als
Relativist missverstanden zu werden. Vgl. H. Tristram Engelhardt Jr., The Foundations of
Bioethics, Oxford/New York (Oxford UP) 41996. Engelhardt‘s chinesischer Schüler Fan Ruiping
übernimmt diese Ambivalenz in seinen Beiträgen zur „konfuzianischen Bioethik“ als einer
spezifisch ostasiatisch geprägten Schule und führt sie zu offensichtlichem Widerspruch von
kulturrelativistischen Argumenten und Konzepten und expliziter Ablehnung des
Kulturrelativismus weiter. Dazu siehe meine Analyse in „Verstehen als Anerkennen.
Überlegungen zu einer zeitgemäßen Kulturhermeneutik am Beispiel der Medizinethik im
heutigen China“, Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung Band 25 2001, Bochum (Iudicium),
2002: 9-52, besonders: 28-39.
deontologisch-aufklärender Beiträge zur ethischen Heuristik und einer Dominanz
utilitaristischer, empirischer und juridischer Ansätze in der Hauptströmung der
internationalen Bioethik strategisch begünstigt.
Angesichts des destruktiven Potenzials des Typs (c) muss zum Schutz des
Gelingens der Verständigung anderer, (die (a) oder (b) anerkennen,) eine mit
Zwangsmitteln bewehrte rechtliche Ordnung verlangt werden. Ein Weltbild, das
dieses Szenario für typisch hält, entspricht dem Menschenbild im Hobbes’schen
Naturzustand. Ein Desinteresse am Moralischen schlechthin ermöglicht es in
kulturellen Diskursen, sich unter Verzicht auf die fundamentale Anerkennung des
anderen willkürlich auf den anderen zu beziehen, zum Beispiel durch dessen
kulturalistische Vereinnahmung und Vorurteile, durch sprachliche oder
intellektuelle Gewalt. Selbst bei deklarierter ethischer Themenstellung findet dann
lediglich ein Machtdiskurs statt, in dem der andere als ein Anderer dem Kreis der
Humanität entfremdet wird24. Es liegt an den Teilnehmern des ethischen Diskurses,
sich auf die Determinanten des Unternehmens „ethische Verständigung zwischen
Kulturen“ zu verständigen. Es gibt keinen ethischen Grund, sich dabei vorgängig
auf die enge Perspektive des Typs (c) einzuschränken. Im Gegenteil, im Interesse
der Gültigkeit und empirischen Tragfähigkeit ethischer Normen sollte die
bedingungslose Anerkennung des anderen als Souverän seiner Kultur und Moral
gefördert werden.
Demnach gehört eine ethische Verständigung programmatisch in ein aufklärendes
Verstehen. Das aufklärende Verstehen kann dem Anspruch gerecht werden, den
anderen und eine andere Kultur überhaupt zu verstehen, indem es den Anspruch
des Verstehens systematisch begrenzt: Der andere wird nicht behandelt wie ein
gläsernes Exemplar einer Kultur, sondern ist eingeladen, die entscheidenden
Kundgaben seiner Bestimmtheit selbst zu formulieren und einzubringen. Darauf
kann etwa auch ein Unternehmen aufbauen, „besser zu verstehen“.
Mit der Anerkennung des anderen setzt die ethische Verständigung eine
Perspektive voraus, durch die zugleich ein übergreifendes Interesse postuliert wird,
das zunächst als Interesse an der Möglichkeit der Verständigung zu fassen ist.
Damit weist die Verständigung in ihrem Vorsatz transzendental bereits über ihre je
besonderen Intentionen hinaus und auf eine gemeinsame qualitative
Weiterentwicklung des kulturellen Verstehens im Sinne einer qualitativen
24
Ganz in diesem Sinne heißt es bei dem Sinologen Roger Ames, die Chinesen säßen am
„entgegengesetzten Ende des Tisches der Menschheit“; vgl. Ames, Roger T. (1992), „Chinese
Rationality: An Oxymoron?“, in: Journal of Indian Council of Philosophical Research, Vol.IX,
no.2 1992: 95.
Verständigung hin. Das akademische Austauschen von Informationen und
Meinungen kann in diesem Verfahren durch die interaktive Weiterentwicklung
eigenen gemeinsamen Wissens und Verstehens ergänzt werden. Die Teilnehmer an
einer ethisch inspirierten Verständigung erkennen die Perspektive der eigenen
Veränderung und der Veränderung des anderen im Sinne einer gemeinsamen
Lernentwicklung, eines Erkenntnis- und Überzeugungsprozesses von vornherein
an25, denn es geht ja nicht darum zuerst „Recht zu haben“, sondern ein „gutes
Leben“ möglich zu machen. Hinsichtlich ihrer ersten Zielsetzung, das ist Einigkeit
darüber zu erreichen, zu verstehen was der andere meint und sich konstruktiv auf
eine gemeinsame Ansicht zu verstehen, sowie das grundsätzliche Zutrauen in
diesen, im Hinblick auf eine bestimmte Interessen- oder Problemperspektive in der
Lage und gegebenenfalls auch gewillt zu sein, mich zu verstehen und
gegebenenfalls gewähren zu lassen, unterscheidet sich die Verständigung zwischen
Individuen nicht von der zwischen „Kulturen“. Eine Verkürzung des Konzeptes
von Verständigung auf instrumentellen Zwang und Überredung ist für beide Fälle
ausgeschlossen.
4.2 WIE VERSTÄNDIGEN SICH KULTUREN ETHISCH?
Der wohl wichtigste zeitgenössische chinesische Theoretiker einer kulturellen
Hermeneutik in der Bioethik, Nie Jingbao, nähert sich der Kulturalität in der
Bioethik mit einem narrativen Ansatz. Demnach ist „Kultur“ ein weiter, regulativer
Begriff. Die deskriptiv bezeugten Kulturen geben reiches Material empirischer
Befunde und präskriptiver Ansprüche. Es liegt jedoch am Einzelnen, eigene
Anstrengungen des aktualisierenden Verstehens und Einschätzens des ethisch
Richtigen sowie die Fortentwicklung des eigenen Urteils im ethischen Diskurs zu
unternehmen. Verständigung wird dabei zu einem Prozess, für den die Haltung des
unvoreingenommenen Zuhörens und Einfühlens in den anderen eine wichtige Rolle
spielt. Dass man sich auf etwas verständigen kann, darf nicht grundsätzlich
bezweifelt werden; es ist auch überhaupt nur dann zu thematisieren, wenn
Probleme auftreten, wie etwa Normenkonflikte, Missverständnisse oder nur
scheinbares Verstehen. So werden auch die kulturell relevanten Normen der
Medizinethik aktuell in einer konkreten Praxis generiert; die medizinethische
Meinungsbildung wird so zu einem Generator des kulturellen Lebens. Nie sieht
keinen anderen Zugang zu den Kulturen der Medizinethik als sie im Nachhinein
durch ihre „Geschichten“ narrativ zu entziffern26. Ethisch maßgeblich sind diese
Vgl. Apels Explikation des „Maßstabs, der für alle gilt“, sobald man sich zur transzendentalen
Reflexion entschließt; Sic et Non, Dialog mit Karl-Otto Apel im Juli 1997 in Bamberg ,
http://www.sicetnon.cogito.de/artikel/aktuelles/apel.htm.
26
„How to appreciate the plurality and complexity of medical morality? An answer of mine to
this is ‚thick description‘ or thick narrative“, so Nie Jingbao in seinem Aufsatz (Nie 2000: 239260: 259). Er bezieht sich namentlich auf die kulturhermeneutischen Arbeiten von Clifford
25
kulturellen Normen noch nicht, sie erhalten aber einen Anspruch auf Anerkennung
und vernünftige Prüfung, wenn sie im Verständnisprozess thematisiert werden.
Dabei unterliegen sie (bereits logisch-systematisch) der allgemeinen Heuristik und
den regulativen Postulaten jeder Ethik. Folglich ist die Verständigung selbst
Ausdruck und Beitrag zu einer Kultur der Menschheit, ob es sich bei den
Gegenständen der Verständigung nun um ethische Probleme, ästhetische
Betrachtungen oder strategische Verabredungen handelt. (Bei einem Interesse, das
sich auf bloß beschreibende Komparatistik oder Verhaltens- und Volkskunde usw.
beschränkt, bleibt das Kulturelle außerhalb der Ethik, Verständigung wird dann
eine bloß pragmatische Angelegenheit oder eine Frage des Geschmacks.) Gerade
mit diesem universalen Deutungsrahmen wird die Möglichkeit gewürdigt, dass die
individuelle Besonderheit Kultur konstituiert27.
Nie Jingbao hält den Begriff der Kultur für problematisch, sobald Kulturen stark
normativ auftreten. Durch Verknüpfung der Gültigkeit von praktischen Normen mit
der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur werden dem Verstehen
unüberwindliche Hürden setzt. Nie setzt dagegen einen normativ schwachen
Kulturbegriff, der moralische Vielfalt und Verschiedenheit faktisch koexistieren
lasse, und verweist auf die interne Diversität sogenannter Kulturen. „Es ist ein
gewöhnliches interkulturelles Phänomen, dass die Menschen in verschiedenen
Kulturen die gleichen oder ähnliche ethische Normen aus unterschiedlichen
moralischen Gründen annehmen. Sogar innerhalb derselben Kultur können
bestimmte ethische Normen durch unterschiedliche moralische Weltanschauungen
gerechtfertigt werden.“28 So zeige ein Beispiel aus der Medizinethik die
Haltlosigkeit starrer kulturalistischer Koordinaten: „Es scheint mir, daß die
informierte Zustimmung nicht nur mit dem Geist mancher konfuzianischer
Tradition und der traditionellen chinesischen Medizinethik gut kompatibel ist,
sondern auch mit Hilfe indigener moralischer Ausdrücke wie ‚Ren‘
(Menschlichkeit oder Humanität), ‚Yi nai renshu‘ (Medizin als eine Kunst der
Geertz (The Interpretation of Culture: Selected Essays. New York: Basic Books, 1973), Arthur
Kleinmann (Patients and Healers in the Context of Culture. Berkeley: University of California
Press, 1980; und Social Origins of Distress and Disease. New Haven: Yale University Press,
1986), Ronald A. Carson („Interpretive Bioethics: The Way of Discernment“ Theoretical
Medicine 11: 51-59, 1990, und „Interpetation,“ in Warren T. Reich (ed.), Encyclopedia of
Bioethics, Revised Edition, New York: Simon & Schuster Macmillan, 1995: 1287) und Martha C.
Nussbaum (Cultivating Humanity, Cambridge, MA: Harvard University Press, 1997: 127-8: 117).
27
Vgl. auch z.B. die Beiträge von Tsai Fu-chang, Lee Shui-chuen oder Chen Rongxia in Döring
und Chen 2002.
28
Nie 2001: 72.
Menschlichkeit oder Humanität) und ‚Cheng‘ (Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit)
gerechtfertigt werden kann.“29
Anders als im Falle der „Ethik der Kulturen“ zeigen sich in „Kulturen der Ethik“
individualisierte Konfigurationen der Grundhaltung zur Möglichkeit einer Ethik.
Hier unterscheiden sich im Großen zum Beispiel deontologische und utilitaristische
Systeme und im Kleinen die entsprechenden Entwürfe und Deutungen in
individuellen Beiträgen weitaus signifikanter von einander als etwa „chinesische
und westliche“ Ethik, ja sie bringen Kultur in der Ethik überhaupt erst zur Sprache
und in eine Situation hinein, in der Verständigung erforderlich und möglich ist.
Innerhalb einer Kultur der Ethik finden Beiträge ganz unterschiedlicher Herkunft
ihren Platz, die gewohnheitsmäßig nach Tradition oder Region bestimmten
„Kulturen“ zugeordnet werden. Es gibt innerhalb dieser „Kulturen“ allerdings eine
Streuung von Grundhaltungen zur Möglichkeit einer Ethik: So zieht sich eben
gerade der fundamentale Konflikt zwischen Utilitaristen und Idealisten, oder der
zwischen epistemischen Realisten und Konstruktivisten, oder der zwischen
moralischen Optimisten und Pessimisten, durch den Konfuzianismus in China.
Hiermit wird vor allem verständlich, wie sich ein Konfuzianer zugleich auch als
Christ selbst verstehen und derselbe einem anderen Konfuzianer mit größter
Fassungslosigkeit begegnen kann. Grenzen zwischen „Kulturen der Ethik“
verlaufen äußerlich fließend, weil sie qualitativ bestimmt sind und primär von
Akten individueller Anerkennung ausgehen.
Wer „Kulturen“ lediglich als „Blöcke“ behandelt, gibt darüber hinaus eine
Ressource zum konstruktiven Umgang mit Problemen der Verständigung auf.
Wiederum Nie weist darauf hin, dass der Kulturalismus nicht in der Lage ist, „das
Vermögen von kulturellen ‚Regionen‘ angemessen zu würdigen, in sich eine
Vielfalt von Wertesystemen zu integrieren und nebeneinander existieren zu lassen.
Dadurch werden gegebene Strategien und Erfahrungen auf dem Gebiet der
normativen kulturübergreifenden Verständigung ignoriert.“30 Die Simplifizierung
und Entstellung der Kultur bedeutet eine kulturelle Verarmung, die gerade dort zu
Degeneration ethischer Kreativität führt, wo Kultur aus reflektierter Erfahrung ein
Potenzial zum souveränen Umgang mit Differenzen und zum Abbau kulturell
begründeter Spannungen besitzt.
In diesem Sinne kann die radikale These, dass Ethik nicht sei, als kulturell, aber
nicht als Ausdruck von KULTUR gelten. Man kann sich auf sie nicht eigentlich
29
Nie 2001: 72.
30
Nie 2001: 68.
verständigen. Hier ergibt sich das grundsätzliche Problem des ethischen Umgangs
mit Positionen, die sowohl der Verständigung als auch der Ethik selbst mit
Nichtachtung oder offener Gewalt begegnen. Wie im oben genannten Fall (a)
gezeigt, ist es allerdings möglich, dass sich die Ethik hier mit dem Recht verbündet,
das heißt sie muss dem Recht dabei helfen, sich ethisch auszurichten, um nicht
illegitimer Gewalt zu erliegen.
5 EIN BLICK IN DIE AKTUELLE DISKUSSION
Die Regulierung der Stammzellforschung in Ostasien eröffnet aktuelle
Perspektiven für die Verständigung in der internationalen Medizinethik. Wie soll
man angesichts vermeintlich grundverschiedener ethischer Standards auf eine
Verständigung hoffen? Oder sollten „wir“ uns doch lieber, im Interesse des
Fortschritts, darauf verständigen, in Fragen der Bioethik zum Beispiel „etwas
chinesischer“ zu werden, weil uns das Vorurteil leitet, chinesische Moral sei eben
faktisch eine fundamental andere?
5.1 VERSTÄNDIGUNG MIT WEM?
Der Blick in die Wirklichkeit ergibt ein anderes Bild, sowohl was die
vermeintliche „Kultur des Westens“ anbelangt als auch mit Blick auf Ostasien.
Eher als China übernehmen in den letzten Jahren Länder wie Australien, England,
Israel und Singapur eine permissive Vorreiterrolle in dieser Richtung31. In den
USA erlaubt die Verknüpfung der Verbindlichkeit aktueller Regelungen zur
Embryonenforschung mit der Reichweite öffentlicher Finanzströme zumindest
theoretisch das Entstehen einer Kultur des „freien“ privaten Interesses, die im
Prinzip global ausgerichtet ist und sich für Standards vorzugsweise aus
instrumentellen Gründen oder zur Umgehung derselben zu interessieren scheint.
Die Volksrepublik China ist trotz erheblicher Anstrengungen in den vergangenen
zwei Jahrzehnten noch immer weit davon entfernt, eine umfassende Infrastruktur
oder gar eine Kultur des Rechts etabliert zu haben. Ins normative Brachland
hinein entstehen nach und nach entsprechende Strukturen, gemäß
ordnungspolitischer und pragmatischer Notwendigkeiten, aber häufig ohne den
zur landesweiten Umsetzung erforderlichen administrativen Apparat. Dabei
sollen parallel internationale Standards anerkannt werden – schon weil diese in
der Regel in Zusammenarbeit mit Chinesen zustande gekommen sind, aber auch
weil Gesetzgebung auf dem Gebiet der Biomedizin die globalen Verflechtungen
der Wissenschaft und Wirtschaft einbeziehen muss.
Zu Singapur siehe Christian Schwägerl, „Singapur will zur Weltspitze in der Gentechnik
aufrücken“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.10.2002, Nr. 247: 42
31
Nachdem seit einem Erlass des chinesischen Gesundheitsministeriums aus dem
Jahre 1998 jede Form menschlichen Klonens als verboten galt32 – ein längst
durch die wissenschaftliche Praxis überholtes Verbot – liegen den Ministerien für
Gesundheit und Wissenschaft seit dem Sommer 2001 zwei Entwürfe zur
Gesetzgebung vor. Sie stimmen darin überein, dass der Embryo ein
schutzwürdiges menschliches Lebewesen sei. Experimente und Eingriffe können
nur durch hochrangige medizinische Zwecke gerechtfertigt werden und dürfen
auch dann nur bis zum vierzehnten Lebenstag des Embryos durchgeführt werden.
Kommerzielle Anreize für „Spender“ werden nicht akzeptiert, die „informierte
Zustimmung“ gilt als zwingend.
Vorgelegt wurden die Empfehlungen von den führenden Expertengremien
Chinas. In Beijing ist das eine interministerielle Arbeitsgruppe, deren Mitglieder,
um die Nestoren Qiu Renzong, Li Benfu und Peng Ruicong, der Akademie
Medizinischer Wissenschaften angehören. Formuliert wurde der Text von Wang
Yanguang, Bioethikprofessorin an der Akademie der Sozialwissenschaften. Eine
öffentliche Debatte fand nicht statt. In Shanghai hatte eine Gruppe um den
Moralprofessor Qiu Xiangxing am Südchinesischen Genomforschungszentrum
ebenfalls einen Regelungskatalog vorgelegt33. Dieser liegt nach Angabe des
Philosophen Shen Mingxian, einem der Autoren, den Shanghaier Behörden vor
und wartet nun auf den Gang durch das nationale Gesetzgebungsverfahren. Damit
sind, unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens, Akteure beziehungsweise
Gruppen benannt, die als Partner der Verständigung zu diesen Fragen
angesprochen werden können.
Welche Rolle spielt hier die Kultur? Für die Verständigung über Inhalte dieser
Vorlagen kommt es offensichtlich nicht darauf an, inwieweit sie repräsentativ für
„die chinesische Kultur“ sind. Allerdings treten sie offen mit einem starken
normativen Anspruch auf, denn sie wollen ja in ganz China zur Geltung kommen.
In Form und Inhalt sind sie signifikant verschieden voneinander. Unterschiede
zwischen den beiden chinesischen Vorlagen zeigen sich zunächst im moralischen
Duktus. Dem nüchtern und knapp gehaltenen Beijinger Sieben-Punkte-Plan steht
eine moralisch auftrumpfende Shanghaier Vorlage in 20 längeren Abschnitten
gegenüber, in der die Medizin nach altväterlicher Moral als „Kunst der
Menschlichkeit“ hochgehalten wird. Beijing bezieht sich auf die
Vgl. dazu meinen Artikel, „Entwicklung und Ethik: die biomedizinische Spitzenforschung in
China will den Kontakt zur Gesellschaft halten, die Medizinethik sucht nach passenden Regeln“,
China aktuell, Februar 2002 (02/02): 151-164.
33
Vgl. Carina Dennis, „Stem cells rise in the East“, Nature 419 (26 September 2002): 334-336.
Der Wortlaut wurde veröffentlicht in Zhongguo yixue lunlixue (Chinese Medicine and
Philosophy) 6, (2001): 8-9.
32
Schutzwürdigkeit des Menschen, Shanghai führt „allgemein anerkannte
moralische Grundsätze“ als leitend an. Ein zentraler inhaltlicher Unterschied ist
die Grenze erlaubter Grundlagenforschung: Geht es nach Shanghai, wo die
Entwicklungsbiologin Shen Huizhen mit Experimenten an Mensch-Tier-Hybriden
von sich reden macht, soll die Übertragung von menschlichen Zellkernen in
tierische Zellhüllen erlaubt werden. Diese Experimente sind begrenzt auf die
medizinische Grundlagenforschung. Jegliche klinische Anwendung wird
ausgeschlossen. Es soll streng verboten werden, sie in den menschlichen Körper
einzupflanzen. Die Beijinger Ethikkollegen dagegen wollen die Rekombination
menschlicher und tierischer DNA in der Grundlagenforschung im Labor zulassen.
Insgesamt gibt sich Shanghai optimistischer als Beijing, was die Aussichten auf
medizinische Erfolge durch Stammzellforschung angeht – und entfernt sich
weiter vom konservativen Konsens.
Soweit sich die Gesetzgeber von den durch sie berufenen Ethikern beeindrucken
lassen, dürfte demnach voraussichtlich im Jahr 2003 in der Volksrepublik China
eine Regelung auf dem Papier stehen, die eine grundsätzliche Schutzwürdigkeit
des natürlichen menschlichen Erbgutes und menschlicher Embryonen deklariert.
Diese Entwicklung entspricht neben dem früheren Verbot des Klonens von
Menschen auch den ebenfalls 1998 erlassenen Richtlinien zum Umgang mit
biologischen Rohstoffen menschlichen Ursprungs in China. Während die
Gesetzgebung dann eine klare Bereitschaft zur Regelung zeigt, ergeben sich
massive Probleme bei der Umsetzung in der Praxis. Die ernüchternde
Rechtswirklichkeit, in der namentlich die „informierte Zustimmung“ nicht die
Regel ist, und ein ausgeprägter medizinischer Paternalismus stellen vor allem die
Absicht, die Aufklärung und Achtung des Patienten zu gewährleisten, vor schier
unüberwindliche Hürden. Wie ernst China seine voraussichtlichen
Selbstverpflichtungen nimmt, wird sich an dem Nachdruck und der Gründlichkeit
ermessen lassen, mit denen es den Patientenschutz, die Aufklärung und die
Überwachung der Forschung auf allen administrativen Ebenen vorantreibt – bis
hinein in die Praxis in Klinik und Labor – davon also, wie weit es gelingt, den
Respekt vor dem Einzelnen zu einem selbstverständlichen Bestandteil der
Lebenswirklichkeit in China werden zu lassen. Das Bemühen um Verständigung
wird sich neben den Normen im engeren Sinne vor allem der Bedeutung ihrer
Folgen für die betroffenen Menschen annehmen, insbesondere dann, wenn es sich
um eine kulturell interessierte Verständigung handeln soll. Bei aller Kritik an den
bestehenden Problemen kann eine solche Verständigung nur gelingen, wenn sie
den vorliegenden Regelungsentwurf als Ausdruck aufrichtigen Bemühens um
eine menschlichere Kultur anerkennt34.
5.2 VERSTÄNDIGUNG DISKURSIV
In Taiwan, der Republik China mit dem Anspruch, die eigentliche chinesische
Kultur zu tradieren35, fanden im Sommer 2002 zwei internationale Konferenzen
zur Ethik in der Stammzellforschung statt. Im Unterschied zur Volksrepublik, die
hier politisch korrekt als „das Festland“ bezeichnet wird, regeln in der Republik
China bislang keine gesetzlichen Bestimmungen die Forschung an menschlichen
Embryonen beziehungsweise an embryonalen Stammzellen. Ch’ang Lan-yang,
ein führender Bioinformatiker am Institut für Biomedizin an der Akademie der
Wissenschaften, die unmittelbar der Regierung untersteht, betont gleichwohl das
soziale Gewissen der Wissenschaftler: „Wir Forscher drängen auf eine baldige
Gesetzgebung. Wir wollen sehen, welche moralischen Grenzen die Gesellschaft
uns setzt“, erklärte er den Konferenzteilnehmern.
Taiwan steht gerade am Beginn einer geregelten Einführung der Forschung an
menschlichen Embryonen und Stammzellen an öffentlichen und privaten
Instituten. Kürzlich veranstaltete die Taiwanesische Gesellschaft für
Reproduktionsmedizin hierzu landesweit drei öffentliche Anhörungen und
Diskussionsveranstaltungen. Anders als auf dem Festland soll der Gesetzgeber
die Bürger konsultieren. Das Gesundheitsministerium hat auf der Grundlage der
gesammelten Argumente und Meinungen seine Ethikkommission beauftragt,
einen Regulierungsentwurf zu erarbeiten. Der Arzt und Medizinethiker Daniel
Fu-chang Tsai aus Taipei, selbst Mitglied in diesem Gremium, fasst den Tenor so
zusammen: „Reproduktives Klonen wird verboten. Unter der Aufsicht einer
Ethikkommission kann an Stammzellen aus legal abgetriebenen Feten und IVFEmbryonen geforscht werden. Über die Zulässigkeit der Herstellung von
Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen durch Klonen ist noch nicht
entschieden. Es wird mehr Diskussionen geben. Bis auf weiteres gibt es hierzu
34
Ein Beispiel für ein konstruktives Gelingen kritischer Verständigung bietet die Acht-PunkteErklärung des Eugenik-Workshops im Rahmen des 18. Weltkongresses der International
Genetics Federation in Beijing im Sommer 1998. Vgl. Ole Döring, „‚Eugenik‘ und
Verantwortung: Hintergründe und Auswirkungen des ‚Gesetzes über die Gesundheitsfürsorge für
Mütter und Kinder‘“, China aktuell August 1998 (08/98): 826-835.
35
Diesen Anspruch halten besonders die Neu-Konfuzianer in der Nachfolge des Philosophen
Mou Zongsan hoch. Vgl. Lee Shui-chuen (Li Ruiquan), „A Confucian Perspective on Human
Genetics“, in Chinese Scientists and Responsibility, Ole Döring (ed.) Mitteilungen des Instituts
für Asienkunde Nr. 314, Hamburg, 1999: 187-198, sowie Lee Ming-huei (Li Minghui), Der
Konfuzianismus im modernen China, Leipzig (Leipziger Universitätsverlag) 2001.
ein Moratorium. Wir sind noch weit von einem Konsens entfernt“36. Kulturell im
Sinne von repräsentativ für die moralischen Ansichten „der Taiwanesen“ wird das
Ergebnis aber nicht sein. Tsai beklagt, die öffentliche Beteiligung sei überaus
dürftig, so dass letztlich doch die „Experten“ zum Zuge kämen.
5.3 EINBLICKE IN EINEN PROZESS DER VERSTÄNDIGUNG
Worum geht es aus der Sicht chinesischer Medizinethiker? Die Diskussionen der
Taiwaner Konferenzen gewähren hier einen komprimierten Einblick. Der
Vorsitzende der Hongkonger Gesellschaft für Bioethik, Derrick Au Kit-sing,
erklärt das ethische Problem der Forschung an Embryonen so: „Gewisse Leute
behaupten, man dürfe oder solle eine Raupe umbringen, weil sie noch kein
Schmetterling ist“. Koalitionen haben sich gebildet aus Verkündern des
besonderen Heilungspotenzials embryonaler Stammzellen, die das Töten
rechtfertigen und Philosophen, die das Potenzialitätsargument in der Ethik
ablehnen. „Der potenzielle medizinische Fortschritt wird gegen das Potential, ein
lebensfähiger Mensch zu sein, ausgespielt“, meint Au nicht ohne Ironie.37
Die von John Harris (England) und Julian Savulescu (Australien), zwei von Au
angesprochene Ethiker, mit Verve vorgetragene Rationalität des Nutzens stieß in
der Debatte auf Vorbehalte. Die Forderung, „überzählige“ Embryonen nicht
wegzuwerfen, sondern sie „kannibalistisch“ (Savulescu) zu verwerten, macht es
unnötig leicht, das Gewissen einer kompromittierten Praxis nachzuordnen. So
werden selbst Verstöße gegen allgemein anerkannte ethische Grundprinzipien
kulturalistisch überhöht. Missverständnisse, wie die angebliche Unvermeidbarkeit
der Herstellung „verdammter“ Embryonen bei der künstlichen Befruchtung
(IVF), werden zur Grundlage ethischer Argumente, ohne dass mit Ernst und
Fantasie nach praktischen Alternativen gefragt würde. Der beschränkte Horizont
des Vergleichens und Abwägens von Vergleichbarem und Wägbarem, also der
Modus der Kalkulation von Präferenzen und Nutzen, kann das Unfaßbare sui
generis nicht fassen. Das ist nichts Neues. Ein Problem entsteht erst, wenn die
Beschränkung sich zur Beschränktheit mit totalitärem Geltungsanspruch aufwirft,
nämlich die Würde des Menschen biologistisch veräußerlicht38.
Diese Hybris zeigt sich in der Verknüpfung des Anspruchs, den moralischen
Status des Embryos zu klären (Harris) mit der Weigerung darzulegen, woran man
den ethischen Wert von Werturteilen, Interessen und Entscheidungen ermessen
36
Laut Korrespondenz mit dem Autor vom 8.3.2002.
Die Stimmen in diesem Abschnitt beruhen auf meinen Mitschriften der Beiträge zu den
genannten Konferenzen.
38
Vgl. Prauss 2001.
37
können soll. Die Frage „Was soll ich tun?“ wird fundamental unverständlich,
wenn Präferenzen das letzte Wort sind, weil die Bedeutung moralischer
Ansprüche und die Aufgabe ihrer Bewertung einfach ausgeblendet werden. Eben
dies geschieht, sobald die Deutung von moralischen Symbolen den Bioethiker
erklärtermaßen (Savulescu) nicht interessiert. An diesem Punkt schlägt die
(methodologisch noch begründbare) biologistische Reduktion, zum Beispiel des
Naturverständnisses, um – in eine systematische Nichtachtung des anderen sofern
er sich dem Begriffenwerden entzieht, hinter der nicht nur chinesische
Teilnehmer rationalistische Arroganz vermuten durften. Der Hongkonger
Philosoph Yu Kam-Por entgegnete: „Es ist besser, den Menschen dadurch zu
verbessern, daß man das gute Potenzial seiner Natur ausschöpft anstatt seine
Natur zu verändern“. Kulturelle Verständigung wird durch die Verweigerung der
Anerkennung des Unbegreiflichen im anderen, etwa seines „guten Potenzials“,
vor allem in ethischen Belangen unmöglich. Der somit programmatische Verzicht
auf intellektuelle Fantasie und Kreativität provoziert alternative Entwürfe, die
zum Beispiel der Reduktion auf naturalistische Lesarten des Lebens entgegen
treten.
Nicht zuletzt für die chinesische Zuhörerschaft zeigt sich hier ein Exempel der
Verstiegenheit biopolitischer Hilfsargumente, die ihren legitimen Bereich
verlassen und unversehens Ansprüche allgemein gültiger ethischer Normativität
erheben wollen. Im Schatten dieser Überheblichkeit gewinnt die Vision, den
Demiurgen der Bioethik könne letztgültige Entscheidungshoheit und Allmacht
zufallen, eine für China erschreckende neue Qualität. Ethik in China hat einen
besonders schweren Stand, weil sie ihre Arbeit im Dienst vernünftiger Humanität
von der Übermacht staatstragender Moraldogmatik abgrenzen und gegenüber
pragmatischen Zwängen behaupten muss. Es ist kaum vorstellbar, dass sie einer
weiteren Front von Apologeten biotechnischer Machbarkeit im Gewande der
Bioethik standhalten kann. Ohne klare konzeptionelle Alternativen zu
dogmatischen oder utilitaristischen Konzepten geht vom Import spezieller
Ansichten und Strategien des „Westens“ eine praktische Bedrohung für China
aus. Es wäre zynisch, die möglichen Opfer biomedizinischer Hybris zu
potenziellen Tätern aus kulturellen Motiven zu erklären, um dadurch den
wirklichen Akteuren zu erlauben, eben diese Gefahr zu vergrößern. Als
Einfallstor für eine ungebremste Erforschung und Verwertung menschlicher
Embryonen eignet sich China nicht. Der Löwenanteil der Forschung findet, in
China wie in Deutschland, an nicht-embryonalen Stammzellen statt. Gerade
geschichtsbewusste Chinesen sehen, dass man schon aus Klugheit zurückhaltend
gegenüber den Versprechen und Risiken der Technologie sein sollte.
Hier brachte H. Tristram Engelhardt Jr. die Debatte zurück auf die Bahn der
kulturellen Verständigung, da er an eine fundamentale Wahrheit erinnerte: Kein
Argument kommt ohne einen Standpunkt und ohne historischen und kulturellen
Kontext aus. Ebenso wichtig, wie sich über die Inhalte moralischer Ansichten
klar zu werden, ist es, die Implikationen des vernünftigen Interesses an einem
guten (Zusammen-) Leben aller für ethische Mindeststandards zu verstehen.
Damit könnte immerhin die Sprachlosigkeit des ethischen Kulturrelativismus im
Ansatz vermieden und der Blick auf die eigentlich vordringliche Problematik der
neuen Eugenik39 konzentriert werden. Im Zusammenhang der akademischen
Diskussion des moralischen Status und der Schutzwürdigkeit des Embryos
betonen konfuzianische Positionen40 die Pflicht moralisch gebildeter
Mitmenschen, sich für Schutzbedürftige, auch am Ende und Anfang des Lebens,
besonders einzusetzen. Die Grundhaltung menschlicher Sympathie schließt eine
Perspektive der Vernutzung aus.
Schon diese wenigen Ausschnitte aus der realen interkulturelle Debatte zeigen
eine (im Sinne dieses Aufsatzes kulturelle) Kontroverse in der Bioethik, deren
Allianzen jede traditionelle und regionale Rücksicht aus Gründen des ethischen
Anliegens überspielen und die Verständigung zwischen Kulturen der Ethik
innerhalb sogenannter Kulturräume vor nicht geringere Herausforderungen stellen
als die Kultur der Menschheit insgesamt.
5.4 EIN BEISPIEL CHINESISCHER SELBSTVERSTÄNDIGUNG
Wenn sich heute ein chinesischer Bioethiker, in Kenntnis des internationalen
Diskussionsstandes und mit einem besonderen Interesse an relevanten Aussagen
aus dem Fundus der Ethik in China zu Wort meldet, so ist dies ein Beitrag zur
Kultur der Menschheit. Selbstverständlich liegt es an der Bioethik, sich dem
Verstehen dieser Aussagen zu öffnen und sich über ihre Bedeutung zu
verständigen. Hierzu kann, solange der Autor ein Zeitgenosse ist, die
Verständigung mit ihm ein Schlüssel sein. Der oben bereits erwähnte Altmeister
der chinesischen Bioethik, Qiu Renzong, ist zugleich ein erfahrenes Mitglied in
zahlreichen internationalen Gremien der Bioethik. Er hat kürzlich eine
„chinesische Perspektive“ auf die Schutzwürdigkeit des unvollständig
entwickelten Menschen beschrieben. Dabei geht er auch auf das naheliegende
Problem der Übersetzung ethischer Termini ein.
39
Vgl. Jürgen Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Wege zur liberalen
Eugenik? Frankfurt/M. (Suhrkamp), 2001.
40
Zum Beispiel Lee Shui-chuen, „A Confucian perspective on ELSI: Genetic determinism,
eugenics and gene therapy“, in Darryl R.J. Macer, (ed.), Ethical Challenges as we approach the
end of the Human Genome Project, Christchurch 2000: 64-68.
Qiu Renzong erklärt darin die Bedeutung der Person „aus chinesischer
Perspektive“ so: „Für Chinesen beginnt das Shenghuo des Neugeborenen mit der
Geburt und nicht nur das Shengming. Obwohl sowohl Shenghuo als auch
Shengming im Englischen als ‚life‘ übersetzt werden, ist ihre Bedeutung doch
sehr verschieden. Shengming bedeutet das Leben im biologischen Sinne, aber
Shenghuo meint das Leben im Sinne der Gesellschaft (social sense). Das
Shenghuo des Individuums muss sich in interpersonalen Beziehungen entfalten.
Es gibt kein Shenghuo, wenn es keine Beziehung zwischen dem Einzelnen und
den Anderen gibt. Konfuzianer schenken diesen interpersonalen Beziehungen
größere Beachtung und formulieren aus ihnen moralische Normen, wie etwa Xiao
(kindliche Pietät) und Ci (Güte) zwischen Kindern und Eltern, Di (Brüderlichkeit)
zwischen Brüdern und Schwestern, Xin (Vertrauenswürdigkeit) und Yi
(Rechtlichkeit) zwischen Freunden, Ren (Gutherzigkeit) und Hui (Wohlwollen)
zwischen Ärzten und Patienten, usw.. Im Chinesischen bezeichnet der Ausdruck
Lunlixue (Ethik) die Normen interpersonaler Beziehungen. Die beiden anderen
chinesischen Ausdrücke, Xingming und Rensheng, weisen ebenfalls auf etwas
Wichtiges hin. Xingming ist das biologische Leben, alle Lebensformen haben ihr
Xingming. Aber nur eine Person hat ihr jeweiliges Rensheng (persönliches
Leben). Rensheng beginnt mit dem Leben nach der Geburt. (...) Die biologischen
und die psychologischen Dimensionen sind notwendig dafür, dass aus einem
Seienden eine Person wird, und die soziale Dimension ist eine hinreichende
Bedingung dafür, dass es eine Person sein kann.“41
Aus der Unterscheidung zwischen biologischer Existenz (Shengming) und
sozialem Leben (Shenghuo), sowie zwischen der natürlichen Verfassung
(Xingming) und dem individuellen Lebenslauf (Rensheng), ergibt sich nun für die
Frage des Lebensanfangs folgende Überlegung, die Qiu anhand des Klonens und
der Abtreibung erläutert: „Das oben vorgestellte Konzept der Personalität
bedeutet, dass das Kind (gemeint ist hier: der Klon, O.D.), wenn es aufwächst,
nicht dieselbe Person sein wird wie der Spender. Denn das Shenghuo oder
Rensheng und die interpersonalen Beziehungen des Kindes werden anders sein
und daher wird auch seine Persönlichkeit und sein Bewusstsein sich von dem
Qiu Renzong, „Reshaping the Concept of Personhood: A Chinese Perspective“ in Gerhold K.
Becker (Ed.): The Moral Status of Persons: Perspective on Bioethics; Amsterdam and Atlanta
2000; hier: 138-9. Meine Übersetzung. Die Übersetzungen der vom Autor im Chinesischen
belassenen Termini in den Klammern habe ich an dessen eigener englischer Übersetzung
orientiert. Zum Beispiel gibt er Ren, das gewöhnlich als „Menschlichkeit” übersetzt wird, mit
„Gutherzigkeit” wieder. Interessant ist Qiu’s Übersetzung von Di als „fraternity“ anstatt wörtlich
als „Gehorsam gegenüber dem älteren Bruder“. Qiu bemüht sich hier offenbar um eine
Modernisierung des klassischen Tugendkanons im Sinne der Stärkung des Gedankens einer
zwischenmenschlichen bzw. einer geschwisterlichen Gleichrangigkeit.
41
Spender unterscheiden, obwohl ihr menschliches Genom das gleiche ist. (...) Nur
in der Verknüpfung mit dem moralischen Urteil, dass ein Kind, welches nicht
eine natürliche Frucht der Liebe, der Ehe und des Familienlebens, sondern
stattdessen hergestellt, produziert oder gebaut worden ist, schlecht für die Familie
oder Gesellschaft sei, kann man den Schluss ziehen, dass das menschliche Klonen
moralisch unannehmbar ist. Deshalb ist es unangemessen, eine Politik bloß unter
dem Gesichtspunkt eines Konzeptes der Personalität zu formulieren. Stattdessen
ist moralisches Urteil und moralische Einschätzung erforderlich.“42 Qiu
entkoppelt demnach die Frage des Personenstatus des Embryos, Fetus und
Kleinkindes von eigentlichen Fragen der Moral. Sie zielt auf einen deskriptiven
Sachverhalt. Schon aus der bloßen Beschreibung ergebe sich allerdings, dass der
Klon verschieden von seinem genetischen Doppelgänger ist. Dies allein zur
Grundlage ethischer Überlegungen zu nehmen, wäre eine Reduktion auf ethisch
aussagelose biologische oder darauf bezogene juristische Sachverhalte. Die
moralische Dimension tritt erst ein, sobald dieser Mensch als Subjekt für andere
in Beziehungen vorhanden ist beziehungsweise andere für diesen Menschen 43.
Beim Personenstatus geht es lediglich um einen bestimmten Teilaspekt dessen,
was die Schutzwürdigkeit des Menschen ausmacht. In seinen vielfältigen sozialen
Beziehungen erwirbt der Mensch einen moralischen Wert, der über den der
Personalität hinausgeht.
Für die philosophische Verständigung wäre hier wichtig zu erfahren, wodurch
und in welchem Sinne die „Beziehungen“ aus konfuzianischer Sicht moralisch
konstitutierend wirken. Darauf geht Qiu nicht ein – womit ein Problem benannt
ist, welches im Vollzug der Verständigung gelöst werden kann44. Folgt man Qiu
zunächst einmal, so kommt es ihm darauf an zu betonen, dass es in jedem Falle
eines eigenen sozialen Erfahrungsaktes und eines moralischen Urteilsaktes
bedarf, der nicht notwendig (oder überhaupt) auf biologische Fakten rekurrieren
muss. Hier werden neben dem Beziehungskriterium auch andere Gründe der
Wertschätzung zugeschrieben. „Der Fetus ist keine Person, aber doch immerhin
eine biologische Lebensform. Wenn wir eine moralische Prämisse formulieren,
wonach alle Formen biologischen Menschenlebens heilig sind, dann folgt daraus
der moralische Schluss, dass Abtreibung moralisch unakzeptabel ist. (...) Zwar
können, gemäß der traditionellen chinesischen Medizin, abgetriebene Feten zu
einer stärkenden Medizin verarbeitet werden, das chinesische Gesetz untersagt
42
Qiu Renzong 2000: 141.
Vgl. ähnlich auch Lee Shui-chuen, „A Confucian Assessment of 'Personhood”“, in Ole Döring
and Chen Renbiao (ed.), Advances in Chinese Medical Ethics. Chinese and International
Perspectives, Hamburg 2002: 167-177.
44
Vgl. zur Frage der konfuzianischen Moralbildung in Beziehungen Roetz 1992: 207-241,
besonders: 211f.
43
aber die Benutzung von Feten als Medikament oder Nahrung. Dem liegt die
Annahme zugrunde, dass der Fetus, auch wenn er keine Person ist, doch eine
menschliche Lebensform ist, die einen gewissen Wert hat. (...) Ausnahmen
hiervon besagen, dass Embryonen zu Forschungszwecken benutzt werden dürfen
oder dass man Hirngewebe abgetriebener Feten benutzen darf, um damit die
Parkinson’sche Krankheit zu behandeln. Hierin schlägt sich die Abwägung
zwischen Werten nieder, nämlich der Wert des Nutzens für die Patienten und die
Gesellschaft und der des angemessenen Respektes gegenüber dem menschlichen
Leben. (...) Es folgt daraus aber keineswegs, dass sie getötet werden dürften, ohne
dass eine ethische Rechtfertigung erforderlich wäre.“45
Der ungeborene Mensch verdient, wie die sozial aktivierte Person, Achtung und
Schutz; der Status dieses Schutzes ist im Unterschied zum letzteren aber nicht
unbedingt oder unveräußerlich. Er erlaubt in Ausnahmefällen einen Zugriff zu
bestimmten medizinischen Zwecken, sofern sie als höherwertig gelten können46.
Die Begründung dieser Wertigkeit und der Kriterien einer Wertzumessung hat
jeder Ethiker verständlich zu machen; er muss also vernünftig argumentieren,
ganz unabhängig von dem Ort oder der Zeit seines Wirkens. Qiu erwähnt hier
außerdem zwei Beobachtungen, die für die ethische Verständigung interessant
sind. Er sagt zum einen, dass moralische Urteile allgemein von Prämissen
abhängen (nicht primär vom Kulturbestand). Entsprechend bezieht die
Verständigung sich auf die Argumentation und unterstellt nicht „dem Chinesen“
oder „dem Katholiken“ schlechterdings eine bestimmte ethische Kultur. Zum
anderen zeigt er, dass die Praxis immer wieder neue Bewertungen und
gegebenenfalls Ausnahmen verlangt. Auch dies ergibt sich allgemein (nicht etwa
nur für gewisse Kulturen), als Plädoyer für aufgeklärtes Augenmaß anstelle
dogmatischer Starrheit. Ein Problem, über das man sich zu verständigen hat, ist,
wie man Augenmaß von bloßen Konzessionen an bestimmte Interessen oder eine
weit verbreitete unmoralische Praxis klar unterscheiden soll. Hierbei dürfte die
konfuzianische Grundüberzeugung eine Rolle spielen, wonach die Kompetenz zu
ethischen Urteilen an die persönliche moralisch-praktische Kompetenz (man
möchte sagen: Weisheit) des Urteilenden geknüpft ist.
45
Qiu Renzong 2000: 141.
Diese Argumentationsfigur ähnelt stark den Plädoyers für einen „abgestuften“
Embryonenschutz oder einen relativierten Würde-Begriff, wie sie im Rahmen der deutschen
Debatte zum Beispiel von Dieter Birnbacher vorgebracht worden sind: „Je nach dem Grad an
Personalität haben einige Wesen mehr Rechte als andere, und haben Menschen verschieden
weitgehende Rechte in verschiedenen Lebensphasen.“ So Birnbacher unter Berufung auf Ludwig
Siep, in „Das Dilemma des Personenbegriffs“, Vortragspapier zum Symposium „Menschenleben
– Menschenwürde“, Bochum, 2.-3. November 2001.
46
An diesem Aufriss schon zeigt sich, dass die Verständlichkeit ethischer Konzepte
zwischen China und Europa keine grundsätzlich anderen kulturellen
Schwierigkeiten aufwirft als diejenige zwischen den vielfältigen ethischen
Stimmen innerhalb Europas beziehungsweise des „Westens“, zumal die Frage der
Übersetzbarkeit angesichts der erheblichen hermeneutischen und linguistischen
Kompetenzen zweier alter „Kulturräume“ zweifellos gelöst werden kann.
Vor fast zweieinhalb Jahrtausenden erwachte der Philosoph Zhuangzi aus einem
Traum. War er ein Schmetterling, der träumt, ein Mensch zu sein – oder ein
Mensch, der träumt, ein Schmetterling zu sein? Es gibt Fragen, auf die positiv zu
antworten unnötig, unkultiviert, gefährlich oder schlicht unmöglich ist. Sie
entziehen sich der Verständigung, ohne uns dadurch zu schaden. Von der Natur
des Menschen gibt es keine einfachen Wahrheiten. Die chinesische Debatte um
die Ethik der Stammzellforschung bezeugt, dass Menschen auch in fernen
Regionen diese Haltung teilen. Vertreter einer am Kulturellen interessierten Ethik
verbindet die Einsicht, nicht letzthin sagen zu können, was wir sind, ob als
Embryo oder als Erdenbürger und zum Tode. Wir dürfen davon „träumen“,
welches Leben ein gutes ist und versuchen uns im Handeln daran zu erinnern.
6 KULTUR UND VERSTÄNDIGUNG IN DER BIOETHIK – WOHIN GEHT
DIE REISE?
Hans-Martin Sass hat in seinen „Anmerkungen aus der Vogelperspektive“ den
deutschen Sonderweg in der Bioethik, am Beispiel des deutschen
Embryonenschutzgesetzes, kritisiert47. Die Metapher der Vogelperspektive eignet
sich für die Annäherung an kulturübergreifende Verständigung, besonders dann,
wenn man, wie von Sass gefordert, dem Blick, mit der entsprechenden Schärfe für
die Details, Perspektivität und Tiefen, unausgesetzte Bodenhaftung abverlangt.
Hierfür ist das sprichwörtliche Adlerauge zweifellos schon aufgrund seines
dynamischen „Stand“-Ortes weitaus besser geeignet als die in den
Kulturwissenschaften lange Zeit weit verbreitete „ornithologische“ Perspektive des
(zum Beispiel:) China-watchers mit ihrem von der Metaphorik des Kompass
geprägten Koordinatensystem48.
Hans-Martin Sass, „Besonderheiten deutscher Diskurse in Sachen Bioethik. Anmerkungen aus
der Vogelperspektive“. Vortrag DFG-Förderinitiative „Bioethik: Zur Selbstaufklärung der
Bioethik“, Münster, 23.6.2000.
48
Dazu Ole Döring, „Hermeneutische Kompetenz in der Krise? Eine Vorüberlegung zum
Ausgang der Asienwissenschaften aus ihrer selbstverschuldeten Unsichtbarkeit“, Asienkrise,
Demokratie, Nationalismus. Neue Wechselwirkungen zwischen Politik und Ökonomie in
Ostasien, Gudrun Wacker und Christoph Müller-Hofstede (Hrsg.) BIOst, Köln, 1999: 157-162.
47
Sass beklagt, wir lebten heute „in einer ethisch unakzeptabel heiklen und unstabilen
Situation der Pseudoharmonisierung und Pseudotoleranz nach dem Prinzip des
‚cujus regio, ejus religio‘.“ Die in der Bundesrepublik lebenden Menschen werden
politisch „in der Würde ihrer Gewissensentscheidung nicht ernstgenommen“, so
dass sie „in andere europäische Länder reisen, um dort ethisch zu verantworten,
was bei uns kriminalisiert ist“, etwa um PID vornehmen zu lassen. Ergänzen
könnte man aus heutiger Sicht: Manche Forscher drohen in Anbetracht unserer
vergleichsweise restriktiven Embyonenschutzgesetzgebung mit der Fortsetzung
ihrer Karriere in England, Singapur oder den USA. Sass erinnert an das historische
Vorbild des Westfälischen Friedens: Dieser politische Kompromiss „sah einerseits
für die Obrigkeiten Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit für Werte und Ethik
vor, für die Bürger nur unter der Bedingung der Migration, akzeptierte aber
andererseits auch die jeweils andere Position als ‚nicht vom Teufel‘, als
akzeptierbar oder tolerierbar“. Es bestand also eine fundamentale Anerkennung des
anderen im Sinne einer Wertegemeinschaft. Diese solle konsequent unter Abbau
politischer Bevormundung weitergeführt werden. „Heute ist uns die Pluralität
individueller religiöser Glaubenshaltungen und der Respekt vor dem religiösen
Gewissen des anderen selbstverständlich“49.
Jenseits des heute politisch Machbaren kann diese Forderung ethisch nach dem
Weltbürgergedanken ins Globale übertragen werden – als Gegenthese zum
ethischen Kulturrelativismus. Entsprechend schlägt Sass vor: „Solange Staaten, die
zur europäischen Wertegemeinschaft zählen und die sich selbst dazurechnen,
unterschiedliche rechtliche und ethische Bewertungen und Regulierungen
bioethischer Entscheidungskonflikte haben, sollten diese Staaten in der
Respektierung der Würde des Gewissens europäischer Bürgerinnen und Bürger
Gewissensklauseln in ihren Gesetzen und Verordnungen vorsehen, welche im
Einzelfall die Abkopplung des individuellen Gewissens von der nationalen
Bevormundung im Rahmen der europäischen Wertegemeinschaft erlaubt“. Hier
sieht Sass eine „konzeptionelle Bringschuld der Bioethik“ und einen
unverzichtbaren Gegenstand bioethischer Selbstreflexion. Ins Weltbürgerliche
gewendet entspricht diese Forderung dem Desiderat einer dezidiert
kulturübergreifenden Bioethik. In diesem Sinne war es kein Zufall, dass Sass nicht
nur als erster Deutscher eine Bioethik-Professur in China angenommen hat,
sondern auch mit einem Projekt zur „Gesundheitsmündigkeit“ an einer soeben
angelaufenen Forschergruppe „kulturübergreifende Bioethik“ beteiligt ist50.
49
Sass ebd.
Vgl. Hans-Martin Sass, „Invitation for Advice and Cooperation – A Cross-cultural Project on
Health Literacy – Gesundheitsmuendigkeit“, EJAIB 12 (Sep. 2002): 202-203. Sass ist seit 1988
Gastprofessor des Instituts für Softscience der chinesischen Volksuniversität in Beijing.
50
Die aktuelle Lage ist nach politischen Kategorien partikularisiert. Wie soll sich
die Ethik hier verhalten? Unter Hinweis auf Hans Jonas‘ „maximale
Merkmalsbestimmung“, entwickelt am Beispiel der Grenzziehung zwischen
Leben und Tod, fordert Sass: „Wer unter der Maxime der direkten und
unmittelbaren Beseelung der Zygote naturrechtlich zwischen ‚Rechten‘
vorgeburtlichen Lebens und menschlichen Zellen unterscheiden will, muß ehrlich
bleiben und darf die Maximaldefinition aus ethischen Gründen nicht verlassen.“
Offensichtlich zwingen historische Erfahrungen und moralische Überzeugungen
den deutschen Gesetzgeber bislang, in der Tendenz eine solche
Maximalforderung zu favorisieren. Ist das Bestehen auf einer
Minderheitenposition oder gar auf einem singulären Standpunkt im
internationalen Kontext notwendiger Weise Ausdruck der Gängelung? Wenn, wie
im von Sass mit Recht kritisierten Fall des Kompromisswerkes ESG,
rechtssystematische Unstimmigkeiten, Widersprüche und unpraktikable
Forderungen mit der Rechtswirklichkeit einhergehen, kann dieser Anspruch in
der Tat als eine Zumutung empfunden werden, besonders auf Seiten der um
Vernunft und Verantwortung bemühten Bürger. Dies ist vor allem dann zu
erwarten, wenn den politisch Entscheidenden nicht ohne weiteres zugetraut wird,
primär in ethischer Absicht und aus eigener moralischer Integrität zu handeln,
wodurch ein allgemeiner Eindruck praktischer Inkompetenz oder sogar der
Unehrlichkeit hervorgerufen wird. Eine unklare und in sich widersprüchliche
Gesetzeslage ist dann geeignet, diesen Eindruck noch zu bestätigen. Andererseits
kann sich der Wert ethischer Argumente nicht nach politischen Konjunkturen,
einer kompromittierten Praxis oder moralischen Stimmungen richten. Der
paternalistische Aspekt der Ethik ist gerade in der Medizin unverzichtbar, will sie
nicht den Anspruch allgemeiner Verantwortung und Präskriptivität aufgeben –
und damit den eben noch gestärkten Weltbürgergedanken im Sinne ethischen
Relativismus konterkarieren.
Vor diesem Hintergrund verdient Sass‘ Kritik auf der politischen Ebene
Unterstützung: Doppelte Standards nach innen und außen, selbstgefällige
Verlogenheit angesichts des Auseinanderklaffens hehrer moralischer Ansprüche
und der sozialen Realität, fehlende Ermutigung und Stärkung der Bürger zu
moralischer Kompetenz und moralisch kompetenter Lebensgestaltung, müssen
ethisch entlarvt und zurückgewiesen werden. Die Zumutung der aufgeklärten
Moral an den Staat, seine Bürger in Frieden und Freiheit „nach ihrer Facon selig
werden“ zu lassen, muss offenbar stärker eingefordert werden. Gleichwohl sollen,
gerade im Sinne der Ermöglichung einer ethischen Kultur, einige Reserven
gegenüber der hier formulierten Diagnose und Therapie zur Sprache kommen.
Wir kennen ja die Gefahren der Einmischung von Motiven wie Manipulation,
Selbsttäuschung, Angst und Bequemlichkeit in die Willensbestimmung zu gut,
um mit dem Ausstellen eines Pauschalkredites an uns selbst und unsere Mitbürger
als vernunftbegabte Wesen nicht skeptisch zu sein. Zwar darf die Gewährung
politischer Rechte nicht von moralischen Meriten abhängig gemacht werden, wie
es etwa manche Lesart des Konfuzianismus nahe legt. Schon aus moralischem
Realitätssinn und aus Fairness gegenüber moralisch Strebenden und zum Schutz
vor der Willkür moralisch uninteressierter beziehungsweise unmoralischer
Mitmenschen sind rechtliche Dämme und eine klare ethische Sprache nötig.
Außerdem können alle berechtigten Einwände gegen paternalistische
Bevormundung nicht die Verantwortung gegenüber uns selbst, unseren
Mitmenschen und Nachkommen aufheben. Die Anerkennung des Mitbürgers
setzt ja bereits voraus, dass dieser sich vor demselben „Gerichtshof der Vernunft“
zu rechtfertigen hat wie ich selbst und die Menschheit. Hier sehe ich keine
ethische Unklarheit oder Kontroverse. Ethisch betrachtet geht der genannten
Zumutung an den Staat eine moralische Anmaßung des beziehungsweise
Zumutung an den Einzelnen voraus: Das ist der Wille zur und das tätige Streben
nach Mündigkeit im Sinne des Ausgangs aus der Unmündigkeit, soweit sie
selbstverschuldet ist.
Die Sass’sche Stoßrichtung ist in der Tat eine politische: Welche Befugnis hat ein
Staat gegenüber seinen Bürgern, und worauf gründet deren Legitimität? Diese gilt
es immer neu zu bewähren, nicht nur durch die Beachtung der Regeln einer
formalen Demokratie, sondern vor allem anderen durch Courage zur moralischen
Wahrhaftigkeit. Der bürgerliche Konsens bedarf einer Aktualisierung durch eine
nicht bloß rituelle Verständigung. Der Preis des geforderten Gewährenlassens
(aber nicht: der Achtung, denn diese hat Wert ohne Preis) des anderen erscheint
hoch – wir müssten das Telos einer allumfassenden und alles durchdringenden
ethisch aufgeklärten Kultur der Wahrhaftigkeit jedenfalls anstreben, in Wort und
Tat. Politische und entsprechende rechtliche Vorgaben müssten im Angesicht
(aber nicht unbedingt: auf) der Höhe der Wissenschaft und passend zur
gesellschaftlichen Realität beziehungsweise im Rahmen der Zumutbarkeit
erfolgen. Erwägungen der Nützlichkeit und Instrumentalität müssten dabei in den
Hintergrund treten. Dies impliziert eine Verpflichtung jedes Mitbürgers, sich nach
besten Kräften intellektuell zu rüsten und an diskursiven und
Entscheidungsprozessen zu beteiligen... Wo es um den Schutz von Hilf- und
Wehrlosen geht, hat diese Verpflichtung sich gegebenenfalls gerade unter
Suspendierung eigener Interessen zu entwickeln und zu bewähren. Keinesfalls
kann die Ohnmacht eines Mitmenschen, seine Interessen wahrzunehmen, zur
Unterstützung einer rücksichtslosen Verfolgung von Eigeninteressen ins Feld
geführt werden. Die Zumutungen der Ethik an die Bereitschaft des Einzelnen,
sich selbst zu vervollkommnen, sind von Philosophen Chinas und Deutschlands,
von Konfuzius und Plato bis Kant und Zhu Xi, von alters her offen ausgesprochen
worden. Sie mit der politischen Wirklichkeit in Einklang zu bringen, ist eine
Herausforderung der Ethik an die Demokratie als der moralisch anspruchsvollsten
Form bürgerlicher Selbstorganisation.
Ein solches Ideal ist ohne Zweifel mit einer konfuzianischen Vorstellung der
Selbstkultivierung (xiu shen) kompatibel. „Der Konfuzianer“ war jedoch ein
ethischer Idealist ebenso wie ein pragmatischer Realist: Selbstkultivierung kann
man niemandem aufzwingen. Sie beruht wesentlich auf eigenem moralischem
Empfinden, eigenem Entschluss, moralischer Erfahrung und kontinuierlicher
Arbeit in Praxis und Reflexion. Dieser (im transzendental-philosophischen
Sinne:) autonome Wille bleibt wohl ein ewiges praktisches Rätsel. Er macht die
Ethik in gewisser Weise einfach. Er gibt ihr einen theoretischen Schlußstein und
eine systematische Ausrichtung. Damit wird eine Aussöhnung von Anspruch und
Wirklichkeit, zumindest im Ansatz, möglich, weltanschauliche Offenheit wird
praktikabel. Ohne diese fundamentale Anerkennung im Sprung des praktischen
Entschlusses jedoch hat weder eine ethische Kultur noch die ethische
Verständigung zwischen Kulturen eine Perspektive. Was politisch gefordert
werden soll: ernst zu machen mit der Achtung der Würde, durch die politische
Anerkennung der Mündigkeit des Einzelnen in der Demokratie, stößt auf einen
konstruktiven ethischen Vorbehalt in Form einer Aufgabe. Eine ethisch gemeinte
Verständigung ohne Klärung und Anerkennung ihrer normativen
Voraussetzungen und impliziten Verbindlichkeiten für alle muss bereits im
Ansatz scheitern, denn sie kann kulturelle Diversität nicht in einem ethischen
Sinn deuten. Die kulturelle Verständigung beginnt mit der Anerkennung des
Einzelnen als eines Gliedes der Kultur der Menschheit.
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