www.hilfe-fuer-maedchen.de Das Konzept der Onlineberatung des Mädchenhaus Bremen e.V. Warum Beratung im Netz? .................................................................................................. 4 Struktur der Onlineberatung 1 Angebot............................................................................................................................. 5 1.1 Offenes Forum ............................................................................................................. 5 1.1.1 Austausch.............................................................................................................. 5 1.1.2 Sicherheit .............................................................................................................. 5 1.1.3 Übersichtlichkeit .................................................................................................... 5 1.1.4 Archiv .................................................................................................................... 5 1.2 Geschützter Bereich/Safe Area .................................................................................... 6 1.3 Meine Zone/personalisiertes Benutzerinnenkonto ........................................................ 6 1.4 „Schnell weg“ der Notfallbutton .................................................................................... 6 1.5 Contentabhängige Hilfen.............................................................................................. 6 1.6 Infobox ......................................................................................................................... 7 1.6.1 Interessante Themen ............................................................................................. 7 1.6.2 Onlineberatung ...................................................................................................... 8 1.6.3 Hilfen vor Ort ......................................................................................................... 8 1.7 Anmelden..................................................................................................................... 8 1.8 Zielgruppe .................................................................................................................... 8 1.9 Team ........................................................................................................................... 8 1.10 Backend ..................................................................................................................... 8 2 Beratungsfrequenz ........................................................................................................... 9 2.1 Wie schnell antworten wir auf ein neues Beratungsanliegen? ...................................... 9 2.2 Wie oft antworten wir in einem bestehenden Beratungsverlauf? .................................. 9 3 Arbeitsabläufe der Beraterinnen ..................................................................................... 9 3.1 Welche Kollegin ist für was zuständig? ........................................................................ 9 3.2 Aufteilung der Arbeit innerhalb einer Woche ................................................................ 9 3.3 Wie erfahren die anderen, wenn sie etwas tun müssen? ............................................. 9 3.4 Wie erfahren die Anderen, dass ich noch einen Tag mit dem Antworten warten will? .10 3.5 Urlaubs- und Krankheitsvertretung ..............................................................................10 3.6 Selbstorganisation/Arbeitszufriedenheit der Beraterinnen ...........................................10 Die Beratung (Prozessqualität) 4 Erstkontakt ......................................................................................................................10 4.1 Begrüßung ..................................................................................................................10 4.2 Datenschutz ................................................................................................................10 5 Beratungsthemen ............................................................................................................10 5.1 Für welche Themen fühlen wir uns zuständig? ...........................................................10 5.2 Bei welchen Themen bestehen wir schnell auf einen Kontakt zu Hilfen vor Ort? .........11 5.3 Welche Themen vermitteln wir schnell an andere Internetangebote?..........................11 5.4 Umgang mit Suizid- oder Gewalttatenankündigungen .................................................11 6 Beratungshaltung ............................................................................................................11 6.1 Menschenbild ..............................................................................................................11 6.2 Dialogisches Konzept nach Bettina Zenner .................................................................12 6.3 Wertschätzende Konfrontation nach Birgit Knatz ........................................................12 7 Beratungsstil ...................................................................................................................13 7.1 Das Verfassen einer Beratungsantwort .......................................................................13 7.2 Sprach- und Schreibstil ...............................................................................................13 7.3 Umgang mit Textbausteinen .......................................................................................13 7.4 Wann unterschreiben wir mit Namen? ........................................................................13 7.5 Wann schreiben wir „wir“, wann schreiben wir „ich“ in einer Beratungsantwort? .........13 2 8 Beratung und Moderation im Offenen Forum ................................................................14 8.1 Kommunikation und Beratung in Foren .......................................................................14 8.2 Editieren/Zensur..........................................................................................................14 8.2.1 Sensibler Umgang mit persönlichen Daten ...........................................................14 8.2.2 Regelverletzungen................................................................................................15 8.3 Welche Themen bearbeiten wir nur in der Safe Area? ................................................15 9 Beratungsverlauf .............................................................................................................15 9.1 Wovon machen wir abhängig, ob ein positiver Beratungsprozess zu verzeichnen ist? 15 9.2 Wovon machen wir es abhängig, ob wir uns auf einen längeren Beratungsprozess einlassen? ........................................................................................................................15 9.3 Wie gehen wir mit Stagnation im Beratungsverlauf um? .............................................15 9.4 Umgang mit Inszenierungen .......................................................................................16 9.5 Identische Anfragen im Forum und in der Safe Area ...................................................16 9.6 Umgang mit „Endlos“-Anfragen ...................................................................................16 10 Sicherung der Beratungsqualität .................................................................................16 10.1 Umgang mit den eigenen Gefühlen als Beraterin ......................................................16 10.2 Dokumentation in der Klientinnenmappe ...................................................................16 10.3 Qualitätsentwicklung .................................................................................................17 10.4 Sporadische Selbstevaluation ...................................................................................17 Anhang 3 Warum Beratung im Netz? Das Internet ist in den letzten Jahren zum Leitmedium der Jugend geworden. Hier verbringen sie einen großen Teil ihrer Freizeit, hier werden Freundschaften geschlossen, Informationen recherchiert und Unterhaltung konsumiert. Die Anlauf- und Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. hat 2004 mit www.hilfe-fuermaedchen.de eine Onlineberatung als Ergänzung zur Einzelberatung vor Ort entwickelt. Ziel war es, Mädchen den Zugang zu professioneller Hilfe zu erleichtern und Hemmschwellen abzubauen. Schwerpunkte des Konzeptes waren der Austausch der Mädchen untereinander in einem vorab-moderierten Forum und die direkte Beratungsmöglichkeit im geschützten Bereich. Die Vorteile der Onlineberatung liegen in der Niedrigschwelligkeit. Das Angebot kann anonym, ortsungebunden und selbstbestimmt genutzt werden. Es ist kostenlos und die Nutzerinnen steuern die Kontaktaufnahme, Kontaktlänge und den Kontaktabbruch vollkommen selbstbestimmt. Die Moderation im Forum schützt alle Nutzerinnen vor unpassenden Zuschriften und Übergriffen und ermöglicht bei Bedarf eine sofortige Beratungsantwort. Onlineberatung basiert auf der Annahme, dass das Schreiben an sich als reflexiver Prozess genutzt werden kann: „Wer schreibt, schaut sich selbst beim Denken zu“. Verstärkt wird dieses durch die Asynchronität der Veröffentlichung und Beantwortung im Forum und in der webbasierten Einzelberatung. Die Nutzerin reflektiert während des Schreibens die eigene Situation, führt einen eigenen inneren Dialog und beginnt so bereits vor dem Beratungsbeginn einen Prozess der Bewusstwerdung und der Klärung. Die Beraterin unterstützt und begleitet diesen Prozess mit fachlichen Interventionen, Hinweisen auf Hilfsmöglichkeiten vor Ort und bei Bedarf auch mit Informationen zu Symptomen und Krankheitsbildern (Psychoedukation). 2010 konnte die Onlineberatung unterstützt durch Gelder der Initiative „Ein Netz für Kinder“ des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BmFSFJ) umfassend evaluiert und entsprechend der Evaluationsergebnisse und der neuesten Veröffentlichungen über Onlineberatungen überarbeitet werden. Die Nutzerinnenbefragung hat ergeben, dass das Alter der Nutzerinnen der Onlineberatung im Durchschnitt bei 15,6 Jahren liegt. Im Vergleich dazu war 2009 eine Nutzerin der persönlichen Beratung vor Ort in der Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. durchschnittlich 17,4 Jahre alt. Das bedeutet, über das Medium Onlineberatung können Mädchen 1,8 Jahre früher erreicht werden. Dieser Zeitraum bietet gerade im Bereich der Primär- und Sekundärprävention wertvolle Möglichkeiten. Mädchen können früher über Hilfesysteme informiert werden, der Chronifizierung entwicklungsschädigender Symptome wie Essstörungen oder Selbstverletzendes Verhalten kann erheblich früher entgegen gewirkt werden. 40% aller befragten Nutzerinnen gaben an, dass die Onlineberatung für sie der erste Kontakt mit professioneller Unterstützung sei. Sie haben sich mit ihren Fragen nicht an die Vertrauenslehrerin oder die Kinderärztin gewandt, sondern suchen Unterstützung im Netz. Umso wichtiger ist es, dass ihnen jugendgerechte, fachlich einwandfreie Unterstützung im Netz angeboten wird. Für den Relaunch standen deswegen neben der Barrierefreiheit der Seiten die Usability und die inhaltliche Neugestaltung der redaktionellen Seiten im Vordergrund. Auf dem Fachforum Onlineberatung im September 2010 in Nürnberg forderte Prof. Dr. phil. Nadia Kutscher in ihrem Vortrag zur Qualitätsentwicklung in der Onlineberatung, dass Aushandlungs- und Weiterentwicklungsprozesse zwischen Angebot, NutzerInnen und AnbieterInnen systematisch zu verankern seien. Wir glauben, dass wir mit der Nutzerinnenbefragung, der begleitenden Kommunikation im Top Thema und mit dem Usabilitytest dieser Forderung Rechnung getragen haben und werden auch weiterhin die Mädchen aktiv in die Weiterentwicklung der Seiten mit einbeziehen. 4 Struktur der Onlineberatung 1 Angebot 1.1 Offenes Forum 1.1.1 Austausch Das Offene Forum bietet Mädchen eine Plattform, sich zu ihren Themen auszutauschen. Sie können ihre eigenen Anliegen formulieren oder anderen Mädchen antworten. Die Seiten sind für alle NetznutzerInnen offen zugänglich, zur aktiven Nutzung ist eine Anmeldung notwendig. Der offene Charakter des Forums lässt sich mit dem Phänomen der Selbsthilfegruppen vergleichen. Interessierte können Beratungsanfragen und Antworten lesen und darin ihre eigenen Themen wiederfinden, ohne diese selbst aktiv formulieren zu müssen. 1.1.2 Sicherheit Das Forum wird durch die Mitarbeiterinnen der Anlauf- und Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. vorab-moderiert. Das bedeutet, dass alle Zuschriften vor dem Veröffentlichen von den Beraterinnen gelesen werden. So können jeglicher Missbrauch der Seiten, jede Form von Übergriffen im Forum und alle datenschutzrelevanten Probleme ausgeschlossen werden. 1.1.3 Übersichtlichkeit Eine klare Struktur der Forumsliste, eine Tagg Cloud und ein farbiges Hervorheben der Antworten der letzten zehn Tage ermöglicht es den Nutzerinnen, schnell, die für sie interessanten Themen zu finden. Über die 42 Schlagworte in der Tagg Cloud lässt sich die Liste aller Threads nach dem entsprechenden Stichwort sortieren. Die Schlagwörter werden von den Nutzerinnen beim Schreiben des Beitrages selbst vergeben. Je Thread können bis zu drei Schlagwörter vergeben werden. Sortierung des Forums mit Hilfe der Tagg Cloud 1.1.4 Archiv Themen im Offenen Forum, die länger als drei Monate keine neuen Beiträge erhalten haben, werden in das Archiv verschoben. Dort sind die Diskussionen und Beratungsverläufe weiterhin nachlesbar, es kann jedoch nicht mehr geantwortet werden. 5 1.2 Geschützter Bereich/Safe Area Im geschützten Bereich, der sogenannten Safe Area, kann sich ein Mädchen direkt an eine Mitarbeiterin der Anlauf- und Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. wenden. In Form von webbasierter Einzelberatung, geschützt durch eine SSL-Verschlüsselung, kann das Mädchen sein Beratungsanliegen anonym versenden und erhält die Beratungsantwort über ihren persönlichen Account auf den Seiten von www.hilfe-fuer-maedchen.de. Für diesen Vorgang muss sich das Mädchen einmalig anmelden, um dann über das Login den Zugang zu ihrem Account zu erhalten. 1.3 Meine Zone/personalisiertes Benutzerinnenkonto Jedes Mädchen, das sich auf den Seiten von www.hilfe-fuer-maedchen.de angemeldet hat, erhält ein personalisiertes Benutzerinnenkonto. Dort hat jede Userin die Möglichkeit, über individuell zusammenstellbare Listen Forenverläufe zu beobachten, einen Überblick über ihre eigenen Beiträge zu behalten und die eigenen unveröffentlichten Beiträge einzusehen. Jedes Mädchen kann für sich diesen Bereich individuell nach ihren Nutzerinnenwünschen gestalten. Das personalisierte Benutzerinnenkonto dient der höheren Identifikation mit den Seiten, der Erleichterung der Navigation und Übersichtlichkeit und soll eine schnellere Wiederauffindbarkeit von Beiträgen ermöglichen. Meine Zone 1.4 „Schnell weg“ der Notfallbutton Über den deutlich sichtbaren Button „Schell weg“ kann sich die Nutzerin ausloggen und gelangt auf eine unverfängliche Seite. Diese Option stammt aus den Anfangszeiten von www.hilfe-fuer-maedchen.de, als statistisch die meisten Nutzerinnen noch keinen eigenen Internetzugang besaßen und auf Internetarbeitsplätze in öffentlichen Räumen wie Schulen, Jugendfreizeitheimen oder Internetcafes angewiesen waren. Auch wenn inzwischen die meisten Nutzerinnen über einen eigenen Internetzugang verfügen und so nicht mehr der sozialen Kotrolle an öffentlichen Orten ausgesetzt sind, kann es immer noch Situationen geben, in denen Mädchen diesen besonderen Schutz benötigen. Darüber hinaus ist der Notfallbutton im Laufe der Jahre zu einem Markenzeichen der Seiten geworden und wurde von anderen Seiten vielfach kopiert. So haben wir uns entschlossen, ihn auch auf den neuen Seiten zu einzubinden. 1.5 Contentabhängige Hilfen Über die Registerkarte „So funktioniert´s“ erhält die Nutzerin direkt die im entsprechenden Bereich nötigen Hilfen. Im Offenen Forum werden dort die Forenfunktionalitäten erklärt, in der Safe Area wird der Zugangsweg zur Einzelberatung erklärt und in Meiner Zone werden 6 die unterschiedlichen Ordnungs- und Beobachtungsfunktionen erklärt. Grafiken der jeweiligen Listen und Buttons unterstützen die erklärenden Texte visuell. Contenthilfe im Bereich Meine Zone 1.6 Infobox 1.6.1 Interessante Themen Unter der Registerkarte „Interessante Themen“ sind alle Themenbereiche subsumiert, zu denen in der Onlineberatung beraten wird und zu denen es darüber hinaus redaktionell zusammengestellte Informationen und bei Bedarf einen Verweis zu anderen fachlichen Seiten gibt. Das Spektrum reicht von Familienkonflikten und Gewalt über Identität, Körper und Sexualität bis hin zu Essstörungen und Selbstverletzendem Verhalten. Auf 41 Bildschirmseiten werden umfassende Informationen angeboten. 58 externe Links verweisen auf die Webseiten andere Einrichtungen, die sich fachlich kompetent mit bestimmten Themen beschäftigen. Die Zusammenstellung der Themen dient der Recherche von Mädchen und MultiplikatorInnen und soll vor allem ermutigen, schambesetzte Themen benennen zu können und auch in scheinbar auswegslosen Situationen Unterstützung zu erhalten. Ein Erfahrungsbericht eines Mädchens schildert eindrücklich den Weg über die erste Kontaktaufnahme in der Onlineberatung, Gespräche in einer Beratungsstelle, einen Klinikaufenthalt bis hin zu der Unterstützung in einer stationären Maßnahme. Registerkarte „Gewalt“ in der Infobox 7 1.6.2 Onlineberatung In der Rubrik „Onlineberatung“ wird das Angebot, die Zielgruppe, die Erreichbarkeit und das Beratungsteam vorgestellt. In mädchengerechter Sprache, transparent und gut strukturiert werden der Ablauf einer Onlineberatung, die Zuständigkeiten und auch die Grenzen virtueller Beratung vermittelt. Großen Raum nehmen die Informationen über Anonymität und Schweigepflicht aber auch über das rechtlich notwendige Procedere bei Suizid- oder Fremdgefährdungsankündigungen ein. 1.6.3 Hilfen vor Ort Bei schwerwiegenden Beratungsanliegen ist es das Ziel, die Nutzerin in ein Hilfsangebot vor Ort zu vermitteln. Die Nutzerinnen erhalten auf diesen Seiten umfassende Informationen über den Ablauf eines Beratungsgespräches in einer Beratungsstelle, Adressen und Kontaktmöglichkeiten in Bremen, zum Mädchenhaus Bremen, zum Jugendamt und zur Polizei. Bundesweit wird über eine Beratungsstellendatenbank und einen bundesweit einheitlichen Notruf auf fachliche Hilfen vor Ort verwiesen. 1.7 Anmelden Zur ersten aktiven Nutzung der Seiten ist eine Anmeldung erforderlich. Das Mädchen wählt einen Nicknamen, den sie noch nicht auf anderen Seiten im Netz nutzt und ein Passwort. Die Nutzerin bleibt darüber hinaus vollkommen anonym, sie muss keine persönlichen Angaben von sich preis geben. Vor der Anmeldung muss das Mädchen den allgemeinen Nutzungsbedingungen (s. Anhang) zustimmen. Über den persönlichen Account kann das Mädchen nun alle Funktionen im Offenen Forum, in der Safe Area und in Meine Zone nutzen. 1.8 Zielgruppe Mädchen zwischen zwölf und 21 Jahren Lurkerinnen: Mädchen, die die Seiten nur lesend nutzen und selbst keine Fragen stellen oder Beiträge schreiben würden, können von den im offenen Forum veröffentlichten Beratungsverläufen profitieren und so indirekt ebenfalls beraten werden. Die Onlineberatung wendet sich explizit an Mädchen, die noch nie professionelle Hilfe in Anspruch genommen haben. Sie kann aber gleichermaßen auch ein Ort sein, an dem Mädchen begleitend zu Hilfsangeboten vor Ort Unterstützung erhalten. 1.9 Team Die drei Mitarbeiterinnen der Anlauf- und Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. betreuen zu gleichen Teilen die Onlineberatung. Zwei Kolleginnen sind DiplomPsychologinnen und Psychologische Psychotherapeutinnen, eine Kollegin DiplomSozialpädagogin. Alle Mitarbeiterinnen verfügen über therapeutische Zusatzausbildungen und mehrjährige Beratungserfahrungen. 1.10 Backend Alle Zuschriften von Nutzerinnen werden von den Beraterinnen über ein passwortgeschütztes Backend verwaltet. Im Backend werden die Zuschriften für das Offene Forum gegengelesen, veröffentlicht und bei Bedarf redigiert und beantwortet. Zwei Listen weisen aktuelle Zuschriften im Offenen Forum und in der Safe Area aus. Alle Threads des Offenen Forums und der Safe Area werden hier archiviert und können über das Backend verwaltet werden. Über die Klientinnenmappe (s. 10.2) findet eine Archivierung der Informationen zu Nutzerinnen und Beratungsanliegen statt. 8 2 Beratungsfrequenz 2.1 Wie schnell antworten wir auf ein neues Beratungsanliegen? Montags bis donnerstags werden neue Beiträge im Forum in der Regel innerhalb von 48 Stunden veröffentlicht und neue Beratungsanliegen im geschützten Bereich der Safe Area innerhalb von 48 Stunden beantwortet. Freitags bis sonntags ist die Beratungsstelle geschlossen, alle eingegangenen Postings werden in der Regel im Laufe des Montags bearbeitet. Neue Threads im Forum werden veröffentlicht und, wenn kein dringender Beratungsbedarf besteht, nicht sofort beantwortet. Dies soll die Userinnen ermutigen, sich untereinander zu unterstützen. Sofortige fachliche Beratungsantworten können im offenen Forum für andere Mädchen einen hemmenden Charakter haben, „da dann schon alles gesagt ist“. Hat ein Mädchen nach einer Woche noch keine Antwort erhalten, so antwortet die zuständige Mitarbeiterin. In jedem Verlauf eines Threads antwortet eine Beraterin mindestens einmal, damit auch über diese Antworten deutlich wird, dass es sich um ein fachliches Medium handelt, die Beraterinnen das Forum im Blick haben und informiert sind über die Gesprächsverläufe. 2.2 Wie oft antworten wir in einem bestehenden Beratungsverlauf? Bei längeren Beratungsverläufen vor allem im geschützten Bereich der Safe Area antwortet die Beraterin in der Regel zweimal in der Woche, in Krisensituationen kann auch täglich oder mehrmals täglich geantwortet werden. 3 Arbeitsabläufe der Beraterinnen 3.1 Welche Kollegin ist für was zuständig? Jede Klientin hat eine feste Beraterin. D.h. wenn das Mädchen einen neuen Thread im Forum eröffnet oder einen neuen Thread in der Safe Area postet, ist immer dieselbe Kollegin zuständig. Die Zuständigkeit wird über eine Statusangabe in der Klientinnenmappe kenntlich gemacht. Beiträge, die Mädchen in Threads anderer Mädchen posten, veröffentlicht die Kollegin, die für den Thread zuständig ist und informiert die für dieses Mädchen zuständige Kollegin nur im Ausnahmefall (wichtige Detailinfos zum Mädchen, auffälliges Verhalten). Ansonsten lässt sich das Kommunikationsverhalten eines Mädchens in den Threads anderer Mädchen für eine Beraterin jederzeit im Backend über die Historie in der Klientinnenmappe nachvollziehen. Wichtige Hinweise zu einzelnen Mädchen werden durch die zuständige Kollegin am betreffenden Wochentag per Mail oder Zettel und als kurze Notiz in die Klientinnenmappe weitergegeben. Bei Verdacht auf Doppelaccounts oder Fakes wird sofort eine kurze Notiz in die entsprechenden Klientinnenmappen eingetragen, der Verdacht wird bei der nächsten Fallbesprechung thematisiert. 3.2 Aufteilung der Arbeit innerhalb einer Woche Je nach Wochentag ist eine Kollegin für alle neuen Threads neuer Nutzerinnen zuständig. 3.3 Wie erfahren die anderen, wenn sie etwas tun müssen? Jede Kollegin loggt sich einmal am Tag ins Backend ein und vergewissert sich, ob eine ihrer Klientinnen sich gemeldet hat. 9 3.4 Wie erfahren die Anderen, dass ich noch einen Tag mit dem Antworten warten will? Da jede Kollegin jeden Tag die Beratungsbedarfe klärt, obliegt ihr alleine die Antwortfrequenz. 3.5 Urlaubs- und Krankheitsvertretung Eine Vertretung oder Beratungspause wird je nach Klientin und Situation geklärt. Es gibt die Möglichkeit, dass Klientinnen von Kolleginnen übernommen werden, es gibt aber auch die Möglichkeit, dass eine Klientin über die Beratungspause informiert wird. 3.6 Selbstorganisation/Arbeitszufriedenheit der Beraterinnen Täglich einen kurzen Zeitraum einplanen, um sich einen Überblick zu verschaffen, mehrmals wöchentlich einen festen Zeitraum ohne andere Aufträge einplanen, um die anstehenden Beratungen in Ruhe schreiben zu können. Reduktion des Datenüberflusses durch Selbstbegrenzung; klar strukturiert zu bestimmten Zeiten die Onlineberatung öffnen und bearbeiten Antworten nur während der Arbeitszeiten veröffentlichen Klar definierte Zeiträume für fachlichen Austausch, Fallbesprechung, Supervision Guter Kontakt im Team Verbindliche und transparente Regeln für die Arbeitsabläufe Die Beratung (Prozessqualität) 4 Erstkontakt 4.1 Begrüßung Wenn es angemessen ist, stellt die Beraterin In der Einzelberatung im geschützten Bereich der Safe Area zu Beginn der ersten Beratungsantwort die Rahmenbedingungen des Onlineberatungsangebotes kurz vor. Die Klientin soll erfahren, dass sie von einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. beraten wird und in welchem Zeitrahmen die Beratungsantworten erfolgen. Diese Orientierung und die Transparenz der Struktur sollen die Eigenverantwortlichkeit der Klientin stärken und eine erste Stabilisierung bewirken. 4.2 Datenschutz Bei einer Neuanmeldung muss der Nickname durch eine kurze Suchmaschinenrecherche auf Datenschutzsicherheit geprüft werden. Falls die Nutzerin einen unsicheren Nicknamen verwendet, wird sie darauf aufmerksam gemacht und ihr wird die Änderung des Nicknamens nahegelegt. Die Änderung erfolgt in Absprache mit der Nutzerin manuell durch die Beraterin bzw. durch die Agentur, die die Seiten hostet. 5 Beratungsthemen 5.1 Für welche Themen fühlen wir uns zuständig? Die Onlineberatung soll Mädchen einen Ort bieten, sich zu den Problemen und Themen auszutauschen, die ihnen in ihrem Leben begegnen. Als klassische Opferschutzeinrichtung stehen die Themen Gewalt, Konflikte und Grenzverletzungen an erster Stelle. Doch auch entwicklungsrelevante Themen wie Körper, Identität und Sexualität oder Fragen zu mädchenspezifischen Symptomen wie Essstörungen und Selbstverletzendem Verhalten wollen wir bewusst Raum geben. Mit dem Wissen um sogenannte Testfragen beantworten wir auch scheinbar belanglose oder deplazierte Anfragen angemessen. Nutzerinnenbefragungen haben bestätigt, dass zum Erstkontakt oft unverfängliche Themen gewählt werden. Darüber kann die Nutzerin sich 10 einen Eindruck über die Verlässlichkeit des Angebotes, über den Umgang mit Ratsuchenden und über den Beratungsstil verschaffen und dann in einem zweiten Schritt entscheiden, ob sie sich mit ihrer Anfrage an diesem Ort richtig aufgehoben fühlt. 5.2 Bei welchen Themen bestehen wir schnell auf einen Kontakt zu Hilfen vor Ort? Suizidankündigungen anzunehmende oder mitgeteilte schwere psychische Störungen angedrohte oder akute Gewalt/sexuelle Gewalt (d.h. es ist dringend Schutz nötig) Auszug, je nach Bedrohung oder Gefahr Unklare körperliche Symptomatik (medizinische Abklärung) Verhütungsunfälle, Fragen zu möglicher Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch Widersprüchlichkeiten oder große Verwirrung bei mir als Beraterin, Zweitmeinung im face-to-face-Kontakt Vorsicht bei zu schneller oder zu dringlicher Weitervermittlung, die Klientin kann sich schell überfordert oder „abgeschoben“ fühlen. Weitervermittlung ist in der Regel erst nach einem mehrmaligen Austausch und auf Grund einer bestehenden Vertrauensbasis/Problemeinsicht erfolgversprechend. Eine Vermittlung in Vor-OrtAngebote ist eher bei älteren Klientinnen erfolgreich. 5.3 Welche Themen vermitteln wir schnell an andere Internetangebote? allgemeine Fragen zu Verhütung, Schwangerschaft und Sexualität Fragen zu körperlicher und geistiger Beeinträchtigung Essstörungen (wir bieten Information und Austausch im Forum) Vermittelt wird generell nur an Fachangebote, die Zuständigkeit für bestimmte Themen und die Erreichbarkeit recherchieren wir. 5.4 Umgang mit Suizid- oder Gewalttatenankündigungen Entwicklungspsychologisch gehören das Erkennen der eigenen Endlichkeit und die Bewusstwerdung über die Möglichkeit der Selbsttötung zum jugendlichen Entwicklungsprozess. Wir wollen Mädchen einen Raum geben, sich auch über diese Gefühle und Gedanken austauschen zu können und dazu fachliche Beratung zu erhalten. Bei konkreten Suizidankündigungen, die wir als ernstzunehmend einstufen (z.B. konkrete Angabe von Ort, Zeitpunkt und Tötungsart) sind wir als Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen e.V. verpflichtet, der Klientin zu helfen und sie mit unseren Möglichkeiten daran zu hindern. Eine Selbsttötungsankündigung oder auch eine Ankündigung eines Mordes oder Amoklaufes heben die Schweigepflicht in einer Beratung auf. Das bedeutet, dass die Polizei umgehend informiert wird. Die Polizei erhält von dem technischen Anbieter der Seiten die IP-Adresse, mit einem richterlichen Beschluss ist die Polizei berechtigt, den Standort des Rechners zu ermitteln. Dann werden sich MitarbeiterInnen der Polizei und wenn möglich auch des Sozialpsychiatrischen Dienstes mit der Betroffenen und den Eltern in Verbindung setzen. 6 Beratungshaltung 6.1 Menschenbild Ausgehend von dem Menschenbild in den therapeutischen Zusatzausbildungen der Mitarbeiterinnen basiert die Beratungshaltung auf der humanistischen und wertschätzenden Haltung, die in der systemischen Therapie und in der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie vermittelt wird. Wir gehen davon aus, dass jede Anfragende Expertin für ihre eigene Situation ist und wir sie bei der Lösung ihrer Probleme fachlich begleiten. Jeder Mensch hat das Potential, ein gesundes und bereicherndes Leben zu 11 führen, Beratung kann eine Möglichkeit sein, die eigenen Ressourcen zu entdecken oder zu stärken. 6.2 Dialogisches Konzept nach Bettina Zenner (auf der Basis der Theorien des sozialen Konstruktionismus) Der Fokus liegt auf der Beziehung Wirklichkeiten werden im Austausch erschaffen, es gibt viele Wirklichkeiten Haltung des „Nicht-Wissens“, das eigene Wissen als hinterfragbar, veränderbar annehmen, Lernende bleiben Gleichberechtigte Partnerinnen im Gespräch Gemeinschaftliche Themen- und Problemerkundung Die Beraterin ist die Expertin für den Gesprächsprozess Die eigenen Stimmen erkennen und dann bewusst in den Hintergrund treten lassen Neugierig auf und interessiert sein an der Reaktion der Klientin Die Klientin in ein anderes Beziehungsszenario einladen Keine schnelle Antwort geben, sondern in einen Dialog einladen („Ich habe die Idee….“, „Ich habe das so verstanden, liege ich da richtig?“) 6.3 Wertschätzende Konfrontation nach Birgit Knatz (Bezug nehmend auf Carl Rogers, Irvin Yalom, Ruth Cohn) “Wie wirklich ist die Wirklichkeit?” Beziehung ist das Entscheidende in der Beratung, Beratung auf Augenhöhe, als gemeinsam „Reisende“ (Yalom) Authentizität und Respekt als Grundhaltung Subjektive Formulierungen Konfrontation als Gegenüberstellung von Sichtweisen, ich stelle meine Wahrnehmung und mich selbst dar (Ich-Botschaften!) Konfrontation durch das Angebot einer anderen Deutung, einer anderen Interpretation („Wie findest du das, wenn ich das jetzt schreibe?“; „Ich merke, dass …, kennst du das aus anderen Kontakten?) Immer im Dialog bleiben, um Rückmeldung bitten, wie es der Klientin mit der Intervention geht Suizidalität immer ansprechen, wenn es zwischen den Zeilen lesbar scheint; „Es scheint mir, dass du manchmal darüber nachdenkst….“; die Klientin erfährt dadurch, das die Beraterin keine Angst vor dem Thema hat, die Beraterin erhält Gewissheit Bei dem Gefühl, getestet zu werden, dies immer offen ansprechen, dann aber ehrlich auf die Frage eingehen Konfrontation bedeutet: wenn sie gelingt, vertieft sich der Beratungskontakt, es entwickelt sich möglicherweise ein längerer Prozess, daraus resultiert auch mehr Arbeit Positiv für den Beratungsverlauf: Biographisches, lebensweltorientiertes Arbeiten Lösungsorientiert (Aufgaben, Hausaufgaben, die realistisch/bewältigbar sind) Strukturgebend Offene Fragen stellen („Wie erlebst du…?“, Wie beurteilst du…?“) Wertschätzung auf Augenhöhe Reaktion auf die Bitte um Ratschläge: anbieten, gemeinsam Lösungen zu entwickeln („Wir können gemeinsam schauen, was du brauchst, was ansteht“) Wertschätzung des Mutes, dass sich jemand gemeldet hat, nur dann, wenn sie vorher Unsicherheit benannt hat 12 Erschwerend für den Beratungsverlauf: „Warum“, „Wieso“, „Weshalb“-Fragen Ratschläge Lob (erzeugt Hierarchie) „Wegtrösten“ („Wird schon wieder“, „Zeit heilt Wunden“ etc.) 7 Beratungsstil 7.1 Das Verfassen einer Beratungsantwort Franz Eindenbenz und Joseph Lang haben in ihrem Integrativen Qualitätssicherungsmodell (IQSM) eine sehr übersichtliche Vorgangsweise zur Beantwortung einer Beratungsanfrage entwickelt: „Folgende Fragen sollen helfen, einen Vorgehensplan und eine Systematik bei der Beantwortung der Fragestellung zu entwickeln: Fokus: welches ist der Hauptgrund, auf den ich achten möchte? Priorität: Welchen Aspekt oder Punkt werde ich nicht prioritär berücksichtigen oder weglassen? Ressourcen: Was will ich positiv verstärken? Informationen: Welche Sachinformationen möchte und kann ich vermitteln? Perspektive: Welche weiterführenden Fragen könnte ich formulieren? Angebot: Welche Angebote empfehle ich? Mail, Links, Adressen etc.“ (Eidenbenz, Franz (2009) Standards in der Onlineberatung, in Kühne/Hintenberger, Handbuch Online-Beratung, S.224, Vandenhoeck + Ruprecht) 7.2 Sprach- und Schreibstil Sorgfältiger Umgang mit Sprache; Sprache und Begrifflichkeiten angemessen zum Sprachstil der Anfrage wählen. In der Regel Sachverhalte möglichst einfach und verständlich ausdrücken, damit sich andere Leserinnen nicht ausgegrenzt fühlen. Dem Schreibstil der Klientin entsprechend angemessen kurz antworten und nur einzelne Beratungsaspekte aufgreifen oder ausführlich mit komplexeren Interventionen auf das Beratungsanliegen eingehen. Bewusst geschlechtersensible und geschlechterreflektierte Formulierungen wählen 7.3 Umgang mit Textbausteinen Jede Anfrage und jede Nachricht hat eine Absenderin. Beratung ist ein individueller und persönlicher Prozess. Das bedeutet, dass Standardantworten und Textbausteine möglichst vermieden werden sollen. Nutzerinnen sollen in ihrer Individualität ernst genommen werden. Allgemeine Informationen werden über eine kurze individuelle Erklärung und den entsprechenden Link auf die Infoboxseite weitergeben. 7.4 Wann unterschreiben wir mit Namen? Wenn bewusst Kontakt und Bindung hergestellt werden soll Wenn ansteht, dass eine Userin zur persönlichen Beratung in die Beratungsstelle des Mädchenhauses kommen wird (damit sie den Namen der Beraterin weiß und sich bei der Terminabsprache darauf beziehen kann). 7.5 Wann schreiben wir „wir“, wann schreiben wir „ich“ in einer Beratungsantwort? „wir“ schützt „wir“ verdeutlicht die allgemeine Mädchenhaushaltung „ich“ nutzen wir eher im längeren Kontakt im geschützten Bereich der Safe Area 13 8 Beratung und Moderation im Offenen Forum 8.1 Kommunikation und Beratung in Foren Im Offenen Forum findet für die gesamte Netzöffentlichkeit sichtbare Beratung statt. Das bedeutet, Beratungsantworten müssen sorgfältig nach fachlichen und gegebenenfalls auch rechtlichen Standards formuliert werden. Die Pädagogin Dr. Alexandra Klein hat 2007 in ihrer Dissertation „Soziales Kapital Online“ Wirkweisen und Mechanismen in Jugendberatungsforen analysiert und daraus Forderungen für fachlich angemessene Jugendonlineberatungen entwickelt. Ihre Analyse besagt, dass sich im Netz die gleichen Ausgrenzungs- und Schließungsprozesse wiederfinden lassen, die auch in anderen zwischenmenschlichen Kontakten zu finden sind. Sie widerlegt die Annahme, dass das Netz aus sich selbst heraus ein hierarchiefreier Raum sei, in dem sich alle Nutzenden egalitär bewegen könnten. Ihre Analyse hat ergeben, dass gerade statusniedrige Menschen mit wenig formalem Bildungshintergrund oft auch im Netz Abwertung und Ausgrenzung erfahren. Ihre Forderung ist, dass fachliche Seiten diesen Mechanismen durch Gestaltung, Programmierung, Sprachwahl und Moderation bewusst entgegen wirken sollen. Zusammenfassend lassen sich aus ihren Analysen folgende Anhaltspunkte für die Moderation und Beratung im Offenen Forum ableiten: Austausch in informellen Zusammenhängen: Es gibt Zugangsbarrieren, NutzerInnen erzeugen gemeinsam Exklusivität. Dies führt zu Homogenisierungsprozessen, daraus entstehen soziale Schließungsprozesse und Selektivitätsphänomene. Private Ressourcen entscheiden darüber, ob Onlineberatung hilfreich sein kann. D.h. als Beraterinnen müssen wir Schließungsprozessen und Ausgrenzung aktiv entgegenwirken. Es ist besonders wichtig, sich um die „Ausgegrenzten“ zu bemühen, da die Mitglieder der „virtuellen Mehrheitsgesellschaft“ auch an anderen Orten Hilfe finden und in informellen Zusammenhängen gut unterstützt werden. Aufgaben der Beraterin: Kommunikatives Klima schaffen Unterstützung durch Information Aufbrechen von Reziprozitätsanforderungen Intervention in Homogenisierungsprozessen Zugänglichkeit für sozial heterogene Nutzerinnengruppen gewährleisten Chancen der Onlineberatung: Kontakt zu statusverschiedenen Individuen Ermöglichung von Zugang zu alternativen Informationen, Handlungsoptionen, Ressourcen Klein, Alexandra (2007) Soziales Kapital Online. Soziale Unterstützung im Internet. Eine Rekonstruktion virtualisierter Formen sozialer Ungleichheit, Fundort 20.12.2010: http://bieson.ub.unibielefeld.de/volltexte/2008/1260/pdf/Klein_Alexandra_Dissertation.pdf 8.2 Editieren/Zensur 8.2.1 Sensibler Umgang mit persönlichen Daten Beiträge für das Offene Forum werden vor der Veröffentlichung auf datenschutzrelevante Inhalte überprüft. Falls Mädchen detaillierte Angaben zu ihrer Person oder zu anderen Personen und Ort machen, werden diese über die „Bearbeiten“-Funktion im Backend von den Mitarbeiterinnen editiert und durch neutrale Namen oder Begrifflichkeiten ersetzt. Mit Hilfe der „Kommentar“-Funktion erläutert die Beraterin den veränderten Text. Diese 14 Transparenz des Editionsprozesses soll zur aktiven Medienkompetenzvermittlung beitragen. Schreiberin und Leserinnen erfahren am konkreten Beispiel, wie man „sicher“ im Internet kommunizieren kann. 8.2.2 Regelverletzungen Beiträge, die einzelne Textpassagen enthalten, die nicht im Offenen Forum veröffentlicht werden, z.B. Beleidigungen, Abwertungen, Mailadressen, URL´s, detaillierte Beschreibungen von Sexualpraktiken oder Selbstverletzungen können ebenfalls über die „Bearbeiten“Funktion editiert/zensiert werden und mit der entsprechenden deutlichen Erklärung im offenen Forum veröffentlicht werden. Eine kurze Notiz über den Vorgang wird in der Klientinnenmappe vermerkt. 8.3 Welche Themen bearbeiten wir nur in der Safe Area? Beiträge werden manuell in den geschützten Bereich der Safe Area verschoben, wenn die Userin dies wünscht. Inhalte, die andere Userinnen erschrecken, überfordern, retraumatisieren, triggern können Voyeuristische Beschreibungen von Sexualpraktiken Detaillierte Beschreibungen von essgestörtem Verhalten oder Selbstverletzungen Beiträge, die die Anonymität gefährden (Datenschutz) Wenn wir unsicher sind, ob der Beitrag von einem Mädchen geschrieben wurde (Fake). Beiträge werden nicht in die Safe Area verschoben, um die Beraterin zu schützen. D.h. wenn eine Beraterin sich mit ihrer Beratungsantwort unsicher fühlt, bittet sie eine Kollegin, die Antwort gegenzulesen oder wartet die nächste Fallbesprechung ab. 9 Beratungsverlauf 9.1 Wovon machen wir abhängig, ob ein positiver Beratungsprozess zu verzeichnen ist? ein Prozess ist spürbar es gibt ein Beratungsziel, der Beratungsauftrag ist mit der Klientin abgeklärt Es gab eine Klärung im Netz, Beratung ist „schnell“ beendet Hilfen vor Ort oder andere Prozesse (Gespräch mit Eltern/FreundInnen) konnten initiiert werden Userin findet ihre Frage beantwortet wenn Userin sich bei erneutem Hilfebedarf wieder meldet Anstöße zum Nachdenken gegeben Gute Beendigung einer Beratung „auslaufende“ Beratung (Kontakte werden angemessen seltener) 9.2 Wovon machen wir es abhängig, ob wir uns auf einen längeren Beratungsprozess einlassen? Prozess ist langsam aber positiv Entwicklung von Introspektionsfähigkeit Die Onlineberatung ist genau der richtige Ort, z.B. keine Alternativen möglich, da besonderes Thema oder begrenzte Mobilität Dringender noch ungeklärter Hilfebedarf Ein langer Beratungsprozess darf nicht negativ systemstabilisierend werden 9.3 Wie gehen wir mit Stagnation im Beratungsverlauf um? Offene Fragen formulieren Gemeinsam mit der Klientin Teilziele formulieren 15 Auftragsklärung provozieren Konfrontation Psychoedukation zum Störungsbild Anderes Themenfeld öffnen (z.B. „Fallen dir andere Dinge leicht?“) Direkte Ansprache: „Was denkst du, was dir helfen könnte?“ Kolleginnen „mitlesen“ lassen, Fallbesprechung, Supervision Abschluss; Hilfe im Netz ist begrenzt Bei sehr langen Beratungsverläufen besteht die Möglichkeit, nach einem halben Jahr einen Beraterinnenwechsel zu vollziehen: das Mädchen wird über den Wechsel informiert, sie soll den Beratungsverlauf zusammenfassen und eine neue Beratungsanfrage stellen, die dann von einer anderen Mitarbeiterin bearbeitet wird. 9.4 Umgang mit Inszenierungen Hinter jedem Fake kann sich ein Anliegen verbergen Inszenierungen der Mädchen authentisch beraten Wenn überhaupt, dann wertschätzende und sensible Realitätsüberprüfung Konfrontation bzw. Beweisführung nur bei unangenehmen Heavyuserinnen, die Beratungsressourcen verbrauchen Nutzerinnen, von denen wir annehmen, dass sie Erwachsene sind, mit dieser Annahme konfrontieren Mehrfachaccounts offen ansprechen 9.5 Identische Anfragen im Forum und in der Safe Area Bei zeitgleichen, gleichlautenden Beratungsanfragen wird ein Ort für die Antwort gewählt. In der Regel sollte die Antwort im Forum veröffentlicht werden, die Klientin erhält dann in der Safe Area einen Hinweis auf die Antwort an anderer Stelle. Enthält die Anfrage oder die Antwort datenschutzrelevante Inhalte, so wird die Antwort im geschützten Bereich der Safe Area gepostet. Im Forum wird ein Kommentar veröffentlicht, der diese Entscheidung für die Klientin und für andere Nutzerinnen transparent macht. 9.6 Umgang mit „Endlos“-Anfragen Bei sehr langen Zuschriften, werden einzelne Themen oder Aussagen aufgegriffen, der Klientin wird eine Fokussierung angeboten. Dieser Vorgang wird der Klientin kommuniziert und es wird abgefragt, ob die Klientin sich auf die Fokussierung einlassen kann oder einen anderen Schwerpunkt benennen möchte. 10 Sicherung der Beratungsqualität 10.1 Umgang mit den eigenen Gefühlen als Beraterin Reflexion der eigenen Reaktion Asynchronität nutzen, um die eigenen Gefühle und Anteile zu überprüfen FWVT-Regel (Finger weg von den Tasten), bewusster Umgang mit schnellen Antworten und Entschleunigung von Prozessen durch niedrigere Antwortfrequenz Bewusster Umgang mit Übertragungs- und Gegenübertragungsgefühlen Interpretationen vermeiden, bei Irritationen nachfragen 10.2 Dokumentation in der Klientinnenmappe Alle Beraterinnen arbeiten im Backend mit sogenannten Klientinnenmappen. Diese sind in vier Registerblätter unterteilt und dienen der Stringenz des Beratungsprozesses und der Dokumentation. Für alle Bereiche gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit. Name und Adresse werden nie erfragt, die IP-Adressen werden nicht im Backend abgelegt, sondern müssen bei Bedarf über die Datenbank der Agentur erfragt werden. 16 In der Rubrik „Sozialdaten“ können Angaben der Klientin zu Alter, Wohnsituation, Bildung, Lebensform, soziokulturellem Hintergrund und Wohnort gesammelt werden. Alle Angaben werden anonymisiert erfasst. Dort sind auch das erste Login, das letzte Login und die Loginhäufigkeit abgelegt. Im „Profil“ werden die Beratungsanliegen, diagnostische Hinweise, das Beratungsziel, und Informationen zur Weitervermittlung dokumentiert. In der „Historie“ sind für die Beraterin alle Zuschriften einer Klientin im Forum und in der Safe Area chronologisch sortiert auf einen Blick sichtbar. Über die Registerkarte „Nachrichten“ kann eine Beraterin ihrer Klientin außerhalb eines Beratungskontaktes Informationen zukommen lassen, z.B. bei größerem Rechercheaufwand, Urlaub oder Krankheit der Beraterin. Über die Klientinnenmappe besteht die Möglichkeit, eine Userin als „brisant“ zu markieren. Ihr Nickname wird im Backend in allen Zuschriften farbig markiert, damit die zuständige Beraterin sofort erfährt, ob sich das betreffende Mädchen wieder gemeldet hat. Diese Option bietet in Krisensituationen wie z.B. Suizidalität eine bessere Übersicht und schnelle Reaktionsmöglichkeit. Klientinnenmappe mit Registerkarte Profil 10.3 Qualitätsentwicklung Wöchentliche Fallbesprechungen im Team Supervision im Team der Beratungsstelle, acht Termine im Jahr Intervisionsgruppe mit KollegInnen, die in ihren Einrichtungen Onlineberatung anbieten (Wildwasser Oldenburg, Pro Familia Bremen, Jungenbüro Bremen) Optional: Schneller Austausch mit Kolleginnen, „mitlesen“ lassen, Rückmeldung zu Beratungsantworten und bei Bedarf gemeinsames Formulieren von Beratungsantworten 10.4 Sporadische Selbstevaluation Mehrmals jährlich überprüft jede Beraterin an Hand der von Franz Eidenbenz und Joseph Lang im Integrativen Qualitätssicherungsmodell (IQSM) entwickelten Fragebögen ihre Beratungs- und Prozesskompetenz. Eidenbenz, Franz (2009) Standards in der Onlineberatung, in Kühne/Hintenberger, Handbuch Online-Beratung, S.224, Vandenhoeck + Ruprecht 17