AnalysisWachstum - T

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Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
1
Mit Wachstum durch die Analysis
„Wie hat es dir auf dem Kramer-Markt gefallen?“ „Naja, besser als letztes Jahr.“
Mona Körner
Wir gewinnen einen Begriff von einer Sache, indem wir ihren Zustand vorher und
nachher betrachten und aus den Veränderungen ihrer Gestalt auf ihr Wesen schließen.
Ulrich Greiner
Manchmal weiß man nicht, wie schön etwas war oder wie groß der Bestand von etwas
ist, aber man kann Aussagen über die Veränderungen machen, die dann auch wieder
von verschiedenen Dingen abhängen können...
Das Änderungsverhalten ist also häufig eher zugängig und manchmal auch wichtiger als
der Bestand, mathematisch formuliert: Die Ableitung ist wichtiger als der Funktionswert.
Es ist dann naheliegend, die Beschreibung realer Prozesse auch über das vermutete
Änderungsverhalten zu versuchen, wieder mathematisch formuliert: Man weiß etwas
über die Ableitung oder über ihre Beziehung zu f(x).
 Wie ändern sich Bestände von Populationen?
 Wie kann man Modelle an unterschiedliche reale Situationen anpassen?
Dies sind die Leitfragen des hier vorgestellten Konzepts für einen Kurs Analysis. Der
Durchgang ist damit nach einem Problemkontext geordnet und nicht allein nach
innermathematischer Fachsystematik, wie sie größtenteils die curricularen
Rahmenbedingungen bestimmen. Es wird ein sinnstiftender Kontext geschaffen
(Populationsdynamik), der im weiteren Verlauf immer wieder Anlass für
innermathematische Erarbeitungen und Reflexionen darstellt. Weiterhin wird gezeigt,
wie sachgerechte Methodenvariationen Schülerorientierung herstellen. Im Mittelpunkt
stehen dabei Modellierungen und Interpretationen. Es werden alle Standardinhalte
eines Analysiskurses erfasst. So tauchen alle klassischen Funktionsklassen und
diesbezügliche Untersuchungen auf. Das Konzept ist mehrfach in Grund- und
Leistungskursen mit verschiedenen technischen Hilfsmitteln umgesetzt worden,
mindestens ein GTR ist notwendig. In Grundkursen besteht der Kern aus den Modellen
(1) bis (4), Fixpunkte werden dort nicht weiter klassifiziert.
1. Änderung ist proportional zu ...
Aussagen über y ' sind Ausgangspunkt der Überlegungen1; wir modellieren das
Änderungsverhalten also durch Differenzialgleichungen. Das einfachste Modell nimmt
konstante Änderung an („immer 50 Kaninchen dazu“):
(A) y ' = c . Lösungsfunktionen sind dann die linearen Funktionen.
(B) y = c ×t + y 0 , wobei y 0 der Anfangsbestand zum Zeitpunkt t = 0 ist.
Ob 50 Kaninchen mehr viel sind, hängt von der Gesamtzahl, also dem Bestand ab.
Aussagekräftiger ist hier oft die relative Wachstumsgeschwindigkeit
y'
(Intensität),
y
hier also:
(C)
y'
c
=
.
y
c ×t + y 0
Damit erhält man folgende tabellarische Übersicht:
1
Eine ausführliche Behandlung diskreter, ein- und zweidimensionaler Modelle (Räuber – Beute-Modelle)
findet man in [Kör1].
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
(A) Wachstums-DGL.
x-Achse: y ( t )
y-Achse: y '( t )
(B) Wachstumsfunktion
x-Achse: t
y-Achse: y ( t )
(Phasendiagramm)
(1) Lineares Wachstum
y '( t ) = c
Änderung konstant
c > 0 : Zunahme
c < 0 : Abnahme
y ( t ) = c ×t + y 0
Lineare Funktion
y 0 : Anfangsbestand
2
(C) Relative Wachstumsgeschwindigkeit (Intensität)
x-Achse: t
y-Achse:
y '( t )
y(t )
y '( t )
c
=
y ( t ) c ×t + y 0
Hyperbel
(abnehmende Intensität)
Bemerkung:
Diese Tabelle bildet die Grundstruktur des Kurses. Modelliert wird die Wachstums-DGL
(linke Spalte), daraus werden dann die Wachstumsfunktion und die Intensität abgeleitet.
Manchmal ist hier eine Herleitung ‚zu Fuß’ möglich, manchmal braucht man ein CAS und
manchmal scheitert auch dieses, aber dann hat man noch die Richtungsfelder (s. u.).
Wenn die nicht zur Verfügung stehen, können die Wachstumsfunktionen von der
Lehrkraft vorgegeben werden, Schüler können dann den Nachweis führen (Übung im
Ableitungskalkül).
 Konstante Änderungen sind aber nicht nur innerhalb von Populationsentwicklungen
meist unrealistisch. Wo viele Kaninchen sind, werden auch viele geboren. Je mehr
Bestand vorhanden ist, desto stärker wird die Zunahme sein. Die einfachste Art „je mehr
desto mehr“ zu modellieren ist Proportionalität, also: y ' = k ×y .
Welche Bestandsfunktion erfüllt diese DGL?
Für eine grafische Auswertung wählen wir einen beliebigen
Wert für t und veranschaulichen y ' durch ein kleines
Geradenstückchen, nachdem gegebenenfalls noch ein yWert festgesetzt wird. Wir erhalten Richtungsfelder2.
Lösungskurven müssen sich jetzt an diesen
Tangentenstücken (Richtungselemente) so ‚entlangschlängeln’, dass diese Stücke
Tangenten sind.
 Wo fangen wir an? Wir brauchen noch eine Zusatzinformation. Dies leuchtet sofort
ein, wenn man sich überlegt, dass man Mäxchens Mathematiknote noch nicht kennt,
wenn man nur weiß, dass sie sich um zwei Noten verbessert hat.
 Wie geht es weiter? Zum nächsten Tangentenstück, das in Richtung des gerade
erreichten Stückes liegt. Von diesem Stück dann wieder in Richtung des gerade
erreichten Stücks...
2
Stehen Richtungsfelder nicht zur Verfügung, kann man den Weg über die Ableitung der Exponentialfunktion
gehen, wo man an f '( x ) = f '( 0 ) ×f ( x ) vorbeikommt, und dies ist die DGL.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
3
 Ist das exakt? Nein, wir konstruieren eine ‚Kurve’ aus
Geradenstücken (Polygonzüge). Je engmaschiger unser
Richtungsfeld ist, also je kleiner die Differenz der einzelnen
t-Werte ist, desto kurvenähnlicher wird die Lösungskurve.
 Nähert sie sich (immer?) der exakten Lösung beliebig gut
an? Hoffentlich.3
Spätestens hier wird die Vermutung einer Exponentialfunktion als Lösung geäußert.
(2a) Exponentielles Wachstum
y '( t ) = k ×y ( t )
y '( t )
y ( t ) = y 0 ×e k ×t
=k
y(t )
Änderung proportional
zum Bestand
(Ursprungsgeraden)
Exponentialfunktion:
k: Wachstumsfaktor
y 0 : Anfangsbestand
Konstante Funktion
(konstante Intensität)
 Die Änderung kann aber auch allein von der Zeit abhängen. Die einfachste Möglichkeit
ist wieder Proportionalität von Änderung und Zeit.
(3a) Zeitabhängiges Wachstum
y '( t ) = k ×t
y '( t )
2kt
k
= 2
y ( t ) = ×t 2 + y 0
y ( t ) kt + 2y 0
2
Änderung ist
proportional zur Zeit
Parabeln
Beim Phasendiagramm ist zu beachten, dass ein y-y’-Diagramm erstellt werden muss.
2( y - y 0 )
k
Aus y ( t ) = ×t 2 + y 0 wird t = ±
und damit y ' = ± 2k ( y - y 0 )
2
k
Eleganter ist die Arbeit mit einer Parameterdarstellung:
x(t ) = y(t ) =
k
2
×t 2 + y 0
y ( t ) = y '( t ) = k ×t
Bemerkungen:
1. Wichtig für Einsicht sind Interpretationen der Kurven. Man sollte immer wieder
qualitativ aus Phasendiagrammen die Bestandsfunktionen, aus Bestandsfunktionen die
Intensität und umgekehrt, antizipieren lassen.
3
Dies hängt natürlich vom numerischen Verfahren ab.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
4
2. In (1) und (2) tauchen verschiedene bekannte und auch neue Funktionstypen auf,
nicht nach Systematik der Termdarstellung geordnet, sondern nach
Sachzusammenhängen. Hier werden dann Ableitungsregeln behandelt, Polstellen,
Definitionsbereiche, etc. thematisiert, aber nur so weit wie es zum Erfassen des
vorliegenden Sachverhaltes notwendig ist. Da dies alles in den weiteren Modellen
wieder auftaucht, ergibt sich zwangsläufig ein Übungseffekt in sinnstiftenden
Kontexten.
3. Als festigende Übung bieten sich jetzt Modellierungen des Typs „je mehr desto
weniger“ an, also:
(2b) Die Änderung ist umgekehrt proportional zum Bestand.
(3b) Die Änderung ist umgekehrt proportional zur Zeit.
Grundsätzlich sollten immer qualitative Antizipationen gemacht werden: „Was erwarten
wir für einen Kurvenverlauf in den einzelnen Diagrammen?“ Im nächsten Schritt
werden die Richtungsfelder als zentrales heuristisches Hilfsmittel benutzt.
Bei (2b) begegnen uns Wurzelfunktionen, bei (3b) die Logarithmusfunktion.
4. Wenn die Integralrechnung behandelt ist, ist (3a) Erinnerung, ansonsten kann
dieses Modell später zur Einführung in die Integralrechnung benutzt werden. Auch
ohne vorgängig behandelte Integralrechnung lösen Schüler die DGL durch ‚Aufleiten’
und erfassen darüberhinaus, dass es unendlich viele Lösungen gibt, wenn man keinen
Anfangswert festlegt. Stammfunktionen bilden ist Lösen einer DGL! Man geht dann
nur umgekehrt wie in den üblichen Sequenzierungen vor, hier also: Von der
Rekonstruktion des Bestandes aus dem Änderungsverhalten zum Flächenproblem.
 Wir halten kurz inne und ordnen:
Wachstum ist ...
...umgekehrt
proportional zur
Zeit
...umgekehrt
proportional zum
Bestand
...konstant
...proportional zur
Zeit
...proportional
zum Bestand
Alle grundlegenden Funktionstypen tauchen auf, diesmal aber nach einer neuen
Fragestellung geordnet.
2. Nashörner, Leckeringe und Kaffee oder: Das Zufluss-Abfluss-Modell
Nach dieser Systematisierung wenden wir uns nun in Gruppen einigen Problemen aus
verschiedenen Bereichen zu:
1.
2.
Ein Tiergartenbesitzer hat festgestellt, dass ihm seine Zwergnashörner
exponentiell wegsterben mit einer Halbwertzeit von 2 Jahren, wenn er keine
neuen kauft. Da sich Zuchterfolge nicht einstellen, muss er regelmäßig neue
Zwergnashörner dazu kaufen. Wie viele sollte er jährlich kaufen?
Die Nilpferde vermehren sich dagegen mit einer Verdopplungszeit von 8 Jahren.
Wenn man da nicht ständig Ställe bauen will...
Im Tillysee gibt es 2500 Leckeringe. Es ist bekannt, dass Leckeringe sich unter
den Bedingungen, die sie im Tillysee vorfinden, mit einer jährlichen
Wachstumsrate von 30% vermehren. Der Angelverein hatte bisher das jährliche
Abfischen von 700 Leckeringen erlaubt. Nun drängen Vereinsmitglieder auf eine
Erhöhung der Fangmenge auf 800 Leckeringe...
Henning Körner
3.
5
Wann ist frisch gebrühter Kaffee trinkbar? Wann lauwarm? Wann kalt?
Es wird im Abstand von zwei Minuten gemessen:
Zeit
T°
4.
Mit Wachstum durch die Analysis
0
95,0
1
81,5
2
76
3
72
4
68,5
5
65,5
6
62,5
7
60
8
58
9
56
10
54
11
52,5
12
51
13
49,5
Wann hat der Kaffee Raumtemperatur?
Wann ist frisch gebrühter Kaffee trinkbar? Wann lauwarm? Wann kalt?
Wann hat der Kaffee Raumtemperatur? „Je mehr Zeit vergeht, desto langsamer
nimmt die Temperatur ab, ...“
5.
In einen Tank fließt konstant viel Wasser zu. Der Abfluss ist proportional zum
Druck, also zur Höhe h des Wasserstandes. Was passiert langfristig?
6. Wie wächst eine Population, wenn es eine Kapazitätsgrenze gibt?
Wenn die Aufgaben hinreichend offen formuliert sind, werden entsprechend unterschiedliche Fragen und Ansätze in den Blick genommen. Folgendes ist z. B. geschehen:
1. Werden konstante Zu- bzw. Verkäufe getätigt? Wann wird jeweils gekauft bzw.
verkauft? Wie viele sollen es maximal oder minmal sein? Kann der Bestand konstant
gehalten werden? Nach Berechnung des Wachstumsfaktors empfehlen Schüler im
ersten Zugriff meist einen Zukauf von ca. 30% des Bestandes, die DGL gerät nicht in
den Blick. Prägte die Auswertung einer DGL mit Richtungsfeldern den bisherigen
Unterricht, wird auch entsprechend eher eine DGL aufgestellt. Über die Frage nach
Auswirkungen eines erhöhten oder geringeren Zukaufs wird dann spätestens die DGL
motiviert.
2. In welchen ‚Angelintervallen’ („Kommen alle Fischer und fischen binnen eines
Augenblickes genau 700 Fische heraus?!“) wird gefischt? Eine solche Frage ist dann
natürlich Anlass, später im Plenum die Diskretisierungsproblematik zu thematisieren.
3. Hier wird meistens eine Hyperbel in Ansatz gebracht, seltener eine
Exponentialfunktion. Wie findet man eine geeignete Funktion? Es werden immer
mehrere gefunden. Welche ist am besten? Welcher Typ ‚stimmt’ denn?
4. Die DGL für den Abkühlvorgang kann meist von Schülern selbst erarbeitet werden.
Je nach Leistungsfähigkeit der Gruppe, kann hier z.B. ein Hinweis auf die Differenz von
Kaffee- und Raumtemperatur helfen. Die Richtungsfelder zeigen dann die Plausibilität
des Ansatzes, ohne Richtungsfelder muss die DGL gelöst werden (siehe unten).
5. Nicht immer wird sofort Richtiges gefunden, aber Fehler sind meist produktiv. So
wird z. B. folgendes Modell vorgeschlagen: y ' = k ×t - c ×y ×t Eine grafische
Auswertung über Richtungsfelder widerspricht den Vorüberlegungen über mögliche
Wasserstände. Was nun? Eine Reflexion des Ansatzes zeigt, dass hier eine nicht
vorliegende Proportionalität zur Zeit in Ansatz gebracht wurde...
6. Es wird z.B. die DGL y ' = k ×y - f angesetzt. Die Untersuchung der
Richtungsfelder zeigt dann aber, dass weder der qualitativ antizipierte s-förmige
Verlauf noch das zu Beginn vermutete oszillierendes Einpendeln zu beobachten ist.
Erst wird also ein Modell gefunden, das in Teilen der qualitativen Annahmen entspricht;
manchmal sind aber auch diese Annahmen nicht zwingend. Vom Oszillieren wird man
zuerst einmal Abschied nehmen, auf dem s-förmigen Verlauf wird aber beharrt, er wird
später Ausgangspunkt für die Entwicklung eines neuen Modells sein.
 Häufig wird der s-förmige Verlauf postuliert und dann „Änderung proportional zum
Restbestand“ angesetzt, also y '  k (y  G ) . Der Unterschied zwischen anschaulich
antizipiertem Kurvenverlauf und tatsächlich vorliegendem Modellverlauf ist später dann
Motor für die Weiterentwicklung.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
6
 Die Wachstumsrate beim exponentiellen Wachstum wird in eine Geburten- und eine
Sterberate aufgeteilt ( y ' = ( g - s ) y ). Es wird dann die konstante Geburtenrate
kritisiert. Es wird gesagt, dass diese abnimmt, z.B. mit der Zeit. Eine Schülerin schlägt
t
daraufhin y '  (g  k  s )  y mit 0  k  1 (*) vor, ein anderer Schüler
y '  (k  A  y  k )  y (**) mit der Begründung, dass dann der Zuwachs
verschwindet, wenn der Bestand y den Wert A erreicht hat; Die Abnahme der
Geburtenrate ist dann aber abhängig vom Bestand. Ein CAS liefert zu (*) dann eine
st 
gk t
g

ln(k ) ln(k )
komplizierte Funktion ( y  y 0  e
), deren Verlauf aber nicht dem
erhofften entspricht, es kommt immer zum Aussterben (vgl. Modell 8). Hätte man das
t
‚Aussterben’ an der DGL erkennen können? Ja, denn g  k strebt für 0<k<1 gegen 0,
irgendwann gibt es praktische keine Geburten mehr, nur noch Sterben. (**) ist schon
logistisches Wachstum.
 Ein Schüler geht davon aus, dass die Sterberate auf Dauer größer als die
g
 y . Lösungen dieser DGL sind dann
Geburtenrate sein muss, und modelliert: y ' 
s t
g
y  A  t s , also Potenzfunktionen. Diese entsprechen aber auch nicht den
Erwartungen. Obwohl die Wachstumsrate gegen 0 strebt, wächst der Bestand über alle
Grenzen.
Schon während der Präsentationen, aber erst recht in der anschließenden Reflexion
werden Vergleiche vorgenommen und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, die
Gruppen lernen voneinander, die strukturelle Gleichheit wird erfasst. Während in 1.
und 2. Fragen des Langzeitverhaltens im Mittelpunkt stehen, ist 3. und 4. ein Anlass
über deskriptive Modellierung und Modellierung von Wirkzusammenhängen
nachzudenken. Die in 3. vermutete Hyperbel löst nicht die in 4. gefundene DGL! Ist die
Hyperbel falsch oder die DGL? Ein Wirkzusammenang ist ein stärkeres Argument als
die alleinige Passung einer Messreihe. Und wenn dieser Zusammenhang auch noch
Newtonsches Abkühlungsgesetz heißt... Temperaturabnahme und Wachstum einer
Population können strukturell das Gleiche sein. Sollte hier schon das logistische
Wachstum auftreten, wird die andere Struktur der DGL herausgearbeitet und die
weitere Auswertung später vorgenommen.
Zunächst wird aber wieder systematisiert und mehr innermathematisch reflektiert.
y ' = - 0 , 347y + z
1
Zwergnashörner ü
ï
Nilpferde
y ' = 0 , 866y - v
ï
y ' = 0 , 3 ×y - 700
2
Leckeringe
ï gemeinsame Struktur:
ï
y ' = 0 , 3 ×y - 800
ý
ï
y ' = a ×y + b
y ' = - k ×( y - R )
4
ï
Kaffeetemperatur
ï
y ' = - a ×y + z
ï
5
Wassertank
þ
y ' = k ×( G - y )
6
Population
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7
b
. Zur
a
b
b
vollständigen Klassifikation, muss nun die Funktionenschar y = ( y 0 + ) ×e a ×t a
a
Diese DGL lässt sich noch leicht lösen, man substituiert z.B. z = y +
bzw. y = G - ( G - y 0 ) ×e - k ×t untersucht werden. Die Untersuchung einer Schar wird
damit durch die Sache motiviert, der größere Umfang macht wieder eine Erarbeitung in
Gruppen sinnvoll. Sammeln führt dann zu:
(4) Begrenztes Wachstum (Zufluss – Abfluss)
y ' = ay + b
b
b
y = ( y 0 + ) ×e a ×t a
a
bzw.
y' = k(G - y )
bzw.
y = G - ( G - y 0 ) ×e - k ×t
G: Kapazitätsgrenze
y'
a ×b
=
+a
y
( a ×y 0 + b ) ×e a ×t - b
bzw.
y'
k ×G
=
- k
y
G - ( G - y 0 ) ×e - k ×t
Änderung setzt sich additiv aus zum Bestand proportionaler Änderung und
konstanter Änderung zusammen (Zu- und Abfluss) bzw. Änderung ist
proportional zum möglichen Restbestand.
Die Fixwerte sind im Phasendiagramm die Nullstellen. Wenn die Entwicklung des
Bestandes mit zunehmender Zeit betrachtet wird, bewegen die Werte sich einmal auf
den Fixwert zu ( k > 0 ) und einmal von ihm weg ( k < 0 ). Man spricht dann auch von
anziehenden bzw. abstoßenden Fixwerten. Im Fall des anziehenden Fixpunktes liegt
Stabilität vor („Egal, wo man startet, man kommt dem Fixwert beliebig nahe.“),
andernfalls Instabilität („egal, wo man startet, man bewegt sich vom Fixwert weg.“).
Interessant ist der Fall, dass man in der Nähe der Grenze startet: Ein wenig unterhalb
führt zum Aussterben, ein wenig oberhalb zu grenzenlosem Wachstum (vgl.
Leckeringe).
Henning Körner
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8
3. Logistisches Wachstum
Es wird wieder Zeit für Kritik (oder den Bezug zu der Bearbeitung von 6.).
Wir haben mit dem begrenzten Wachstum ( a < 0, b > 0 bzw. k > 0 ) zwar die
Bedingung, dass es langfristig kein unbegrenztes Wachstum geben kann („die Bäume
können nicht in den Himmel wachsen.“) erfüllt, aber dafür passt das Modell am Anfang
nicht so recht zu unseren Vorstellungen. Wir erwarten eigentlich, dass zu Beginn
zunehmendes Wachstum stattfindet und nicht abnehmendes. Dies wurde teilweise
schon bei der Bearbeitung von 6. in Ansatz gebracht. Es sollte zuerst mit
exponentiellem Wachstum losgehen und dann, ab einem gewissen Zeitpunkt t, sollte
es eine ‚Umkehr’ zu abnehmender Zunahme geben. Eine Zielvorstellung über den
erwarteten Verlauf der Wachstumsfunktion haben wir, aber wir kennen keine Funktion,
die einen solchen Verlauf hat. Ein Schüler schlägt vor zu stückeln: Bis t 0 nehmen wir
eine Exponentialfunktion und danach die Funktion des beschränkten Wachstums. Hier
kommen aber sofort Einwände:
1. Der Übergang ist dann beliebig, willkürlich und unabhängig vom sonstigen Prozess.
2. Die Grenze wird sich von Beginn an auswirken, auch wenn diese Auswirkung zuerst
minimal sein mag. Hier würde sie aber abrupt ab einem gewissen Zeitpunkt wirken.
Also wieder: Wenn wir über die Funktion nichts genaueres
wissen, schauen wir uns einmal das Änderungsverhalten an, aber
nicht in Abhängigkeit der Zeit, sondern in Abhängigkeit des
Bestandes, Ausgangspunkt ist also das Phasendiagramm. Bei
einer Stückelung sieht es so aus: Der Schnittpunkt mit der xAchse markiert die Grenze, die ‚Spitze’ den Wendepunkt. Nicht
nur aus Gründen der Modellierung ist dies wenig sinnvoll,
sondern auch aus innermathematischen; stückweise definierte
Funktionen sind nicht so schön.
Gesucht ist also eine ‚runde’ Funktion durch ( 0 / 0 ) und ( G / 0 ) .
Da gibt es aber gute alte Bekannte! Es werden genannt: Parabelbögen, Kreisbögen
und Ellipsenbögen (im L-Kurs). Anschaulich passen alle Funktionen: Zunehmendes
Wachstum bis zum Scheitel, dann abnehmendes, aber durchgehend monotones
Wachsen ( y ' > 0 ). Da die Parabel für uns die ‚einfachste’ und am meisten bekannte
Funktion ist , versuchen wir es mit ihr (Der Kreis ist Hausaufgabe, er liefert einen
‚Sinusbogen’ ; die Ellipse Kür). Es ergibt sich damit folgende DGL: y ' = k ×y ×( G - y ) .
Eine ‚Überprüfung’ im Richtungsfeld zeigt, dass der Ansatz plausibel ist.
Bemerkung:
Die hier dargestellte Diskussion stellt nur ein Beispiel des Diskussionsverlaufs dar. Die
Diskussion um die Herleitung des logistischen Wachstums verläuft meist sehr
unterschiedlich und gehört zu den spannendsten Episoden des Kurses (vgl. auch die
Beispiele der Bearbeitung von Aufgabe 6.) Folgende Gesprächsentwicklungen sind in
Grundkursen vorgekommen:
 So lange der Bestand noch weit von der Grenze entfernt ist, wird eine Population
noch annähernd ungestört wachsen, also exponentiell . Bei zunehmender Näherung an
die Grenze wird diese immer stärker auf das Wachstum wirken, also wird dann
annähernd begrenztes Wachstum vorliegen. In einem Modell, das die Kritik am
begrenzten Wachstum berücksichtigt, müssen also beide Wachstumsformen
(exponentiell und begrenzt) gleichermaßen berücksichtigt und eingearbeitet werden,
also „Proportionalität zum Bestand“ und „Proportionalität zum möglichen Restbestand“,
also:
y '( t ) = k ×y ( t ) ×( G - y ( t )) = kG ×y ( t ) - k ×y ( t ) 2
 Aus dem antizipierten Bestandsverlauf (‚sigmoid’) wird qualitativ die parabelförmige
Gestalt des Phasendiagramms erschlossen mit den Nullstellen x n 1  0 und x n 2  G .
Von hier aus wird dann qualitativ – anschaulich ein t-y-Diagramm entwickelt.
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 Wenn die Wachstumsrate beim exponentiellen Wachstum in eine Geburten- und eine
Sterberate aufgeteilt wird ( y ' = ( g - s ) y ), wird die konstante Sterberate kritisiert. Je
größer der Bestand ist, desto höher wird wohl die Sterberate sein (gegenseitige
Behinderung, Nahrungsmangel). Der einfachste Ansatz ist wieder Proportionalität zum
Bestand, womit man y ' = ( g - sy ) y erhält.
Eine Lösung der DGL ‚zu Fuß’ ist nicht mehr so einfach (im L-Kurs aber möglich), das
y 0 ×G ×e k ×G ×t
CAS liefert aber: y =
y 0 ×e k ×G ×t + G - y 0
Um die Plausibilität des neuen Modells zu überprüfen, überlegen wir uns, wie sich
verschiedene Handlungen in der Realität im Modell widerspiegeln und vergleichen die
Ergebnisse der Modellrechnungen mit den inhaltlichen Erwartungen.
(a) Wachstumsfördernde bzw. –hemmende Maßnahmen: Variation von k .
(b) Vergrößerung bzw. Einengung des Lebensraums:
Variation von G.
(c) Variation des Anfangsbestandes:
Variation von y 0
Die Modellverläufe entsprechen weitgehend den erwarteten
Handlungsfolgen, was das Langzeitverhalten angeht.
Wachstumsfördernde Maßnahmen führen nur zu schnellerem
Annähern an die Grenze, vergrößern diese aber nicht. Erhöhung des
Anfangsbestandes führt zu schnellerer Annäherung an Grenze, die
Entwicklung der Population ist allein phasenverschoben. Der
Modellverlauf bei der Variation der Grenze überrascht allerdings und
passt nicht recht zu den antizipierten Handlungsfolgen. Je weiter die
Population zu Beginn von der Grenze weg ist, desto schneller nähert
sie sich ihr an und desto eher wird sie erreicht?! Dies passt nicht.
Was nun? Es gibt mehrere Möglichkeiten:
k = 0, 1
G =2/ 3/ 5/ 7
y0 =1
(a) Das Modell ist schlecht.
(b) Wir müssen unsere Erwartung korrigieren, die Realität ist so oder wird so sein.
(c) Wir müssen die DGL und ihre Lösungsfunktion genau anschauen.
Der Wachstumsfaktor steht im Exponenten von e und dort tauchte auch das G auf; wir
müssen die DGL modifizieren: y ' = ky ( 1 -
y
) . Im Rückblick erkennen wir, dass diese
G
Problem schon beim begrenzten Wachstum auftrat.
(5) Logistisches Wachstum
y
y 0 ×G ×e k ×t
y ' = k ×y ×( 1 - )
y =
G
y 0 ×e k ×t + G - y 0
( G - y 0 ) ×k
y'
=
y
y 0 ×e k ×t + g - y 0
Änderung ist proportional zum Bestand und proportional zum möglichen
Restbestand.
Für k<0 wird aus der Grenze wieder eine Schwelle, das kennen wir ja schon von (4).
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
10
Die Kopplung von exponentiellem und begrenztem Wachstum führte zum logistischen
Wachstum, aber vielleicht gilt für eine Population auch folgendes:
Das exponentielle Wachstum wird durch die Begegnungen der Art mit sich ‚behindert’,
z.B. durch Kämpfe um nur begrenzt vorhandene Nahrung.
Wie modellieren wir die Begegnungen? Durch y ×y . Natürlich gibt es weniger
Möglichkeiten der Begegnung als y ×y , aber diesen ‚Fehler’ gleicht man mit einem
Faktor aus. Wir erhalten: y ' = c ×y - b ×y 2 . Dies ist wieder logistisches Wachstum!
Verschiedene inhaltliche Modellierungen („Proportionalität zu Bestand und
Restbestand“, „Wachstum minus Behinderung“) sind zuerst einmal unterschiedliche
Konzeptionen für Weiterentwicklungen des exponentiellen Wachstums. Was inhaltlich
unterschiedliche Bedeutungen hat, entpuppt sich aber auf der strukturellen Ebene als
gleichbedeutend! Dies zu erfassen, setzt aber Umsetzung in Terme und einfache
Termumformungen voraus. Erst der abstrahierende Blick und die Formalisierung
schaffen Einblick in Zusammenhänge.
4. Zyperngras und ein seltsamer Datensatz
Das Modell des logistischen Wachstums ist gedanklich entwickelt worden, indem
Wirkzusammenhänge beschrieben worden sind.
 Wie findet man ein passendes Modell für reale Datensätze?
Das Längenwachstum von Zyperngras wird untersucht; es wird alle 4 Tage gemessen:
Zeit in 4 Tagen
0
1
2
3
4
5
Länge in cm
2
3,2
5
8,2
13
20,1
 Begründen Sie, warum logistisches Wachstum ein sinnvolles Modell ist.
 Ermitteln Sie geeignete Lösungsfunktionen.
Zuerst müssen wir diskutieren, was wir denn benutzen wollen, was also bzgl. der
Realsituation bekannt ist. Nur die Messwerte oder kennt man aus Erfahrung die Grenze?
Ist vielleicht ein Wachstumsfaktor bekannt? Entsprechend dem Verlauf der Diskussion
werden unterschiedliche Gruppen gebildet. In der Zusammenschau wird dann erfasst,
dass alleiniges Benutzen der Messwerte zu sehr unterschiedlichen Modellen führen
kann, die Kenntnis der Grenze aber zu stabilen Modellen, mit den Worten einer
Schülerin: „Es ist daher zur Aufstellung einer passenden Gleichung die Kenntnis der
Grenze des Wachstums am sinnvollsten.“ Warum ist das so? Das Wissen um die
Grenze ist ein tieferes Wissen über innere Zusammenhänge und damit mehr als nur ein
Messwert. Dass tieferes Wissen auch nicht immer erfolgreich ist, zeigt die Benutzung
eines Wachstumsfaktors, z.B. k = 0, 55 . Je nach Auswahl der Messwerte liegt die
Grenze manchmal unterhalb des letzten Messwertes. Eine Gruppe versucht eine
Kurvenanpassung am Phasendiagramm. Die sich daraus ergebende Funktion passt aber
nicht gut zu den Daten. Eine Reflexion dieses Schüleransatzes im Plenum liefert
Einsicht: Der Zeitverlauf („Wie schnell wird das Phasendiagramm durchlaufen?“) ist
nicht festgelegt.
Wir fassen zusammen:
Selbst eine Messreihe und ein Wirkzusammenhang (hier: logistisches Wachstum)
garantieren keine eindeutigen Lösungen. Auf der Basis dieses Modells und der
vorhandenen Daten sind verschiedene Prognosen über die Höhe des Grases möglich,
obwohl alle auf Modellen fußen, die gleichermaßen gut passen. Zyperngras ist ja
harmlos, wenn die Daten aber Anzahlen von Personen sind, die an einem Infekt
gestorben sind...!
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
11
Noch einmal einige Daten:
Zeit
Anza
hl
1
0,31
1,25
0,4
1,5
0,5
1,75
0,79
1,8
0,98
1,9
1,65
1,91
1,75
1,92
1,86
1,93
2,07
1,94
2,30
1,96
3,02
1,97
3,70
1
4,45
1,99
5,3
Wir versuchen es mit exponentiellem Wachstum und logistischem Wachstum: 4
Beide Modelle passen
Expo. Wachstum:
Logistisches Wachstum:
nicht besonders gut. Das y = 0 , 2724 ×9, 8051t
117 , 132
y =
+ 0 , 493
logistische passt zwar
1 + 7 , 334 ×e - 17 , 914×t
zum Datensatz, aber die
Grenze liegt bei 117, die
Messreihe zeigt nur die
Anfangsphase.
Was nun?
Ein Schüler bemerkt:
„Das exponentielle Wachstum ist noch zu gleichmäßig, es muss erst
weniger und dann stärker wachsen.“ Dies ist Anlass für eine
Modifikation im Phasendiagramm: Wir suchen eine Funktion, die
zuerst weniger als eine Gerade und dann stärker als eine Gerade
steigt, schnell ergibt sich: y ' = k ×y 2
(6) Hyperbolisches Wachstum
y ' = k ×y 2
y =
- y0
k ×y 0 ×t - 1
- k ×y 0
y'
=
y
k ×y 0 ×t - 1
Änderung ist proportional zum Quadrat des Bestandes. Wachstumsrate ist
proportional zum Bestand.
Auf die Messreihe bezogen, erhalten wir:
( 0 , 7 / 0 , 2); ( 1, 99 / 5, 3)
Diese Modell passt ziemlich gut, aber dann steht
y 0 = 0 , 1313 / k = 3, 7297
Aussterben kurz bevor!
Sind solche Daten realistisch? Gibt es so etwas? Sind sie
charakteristisch für unmittelbar bevorstehendes
Aussterben? Wenn eine Population also ein solches
Wachstumsverhalten zeigt, ist sie dann kurz vor dem
Aussterben?
Der Datensatz gibt die Bevölkerung seit dem Jahr 700 an!!!
Also: Die Menschheit wächst nicht exponentiell! Auf die Gesamtentwicklung bezogen
passt tatsächlich das Modell des hyperbolischen (‚explosiven’) Wachstums am besten.
Erst wenn man jeweils nur einige Daten berücksichtigt (z. B. die letzten zehn Jahre)
passt exponentielles Wachstum einigermaßen gut. Steht also der Weltuntergang
unmittelbar bevor? Nachdem selbst die Zeugen Jehovas sich davon gelöst haben,
sollten wir die gute Passung der Daten als das nehmen, was es ist: ein Modell. 5
4
Angegeben sind hier die vom CAS gelieferten Regressionsfunktionen. Man kann natürlich auch durch
Auswahl geeigneter Messwerte „zu Fuß“ Lösungen finden und diese dann vergleichen; wieder eine Übung zur
Routinisierung und Festigung bekannter Verfahren.
5
Eine andere ‚Inszenierung’ des Datensatzes zur Weltbevölkerung findet man in [Kör2], S. 168.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
12
 Wir üben:
1. Die Änderung ist proportional zur Zeit und zum Bestand. Stellen Sie die zugehörige
DGL auf, ermitteln Sie die Bestandsfunktion und Intensität und untersuchen Sie diese
(CAS) („Hyperexponentielles Wachstum“).
2. Die DGL y ' = at + by soll interpretiert und untersucht werden.
3. Interpretieren, untersuchen und vergleichen Sie:
(A) y ' = a ×sin( t ) ×y
(B) y ' = b ×sin( y ) ×y
0 < b £ 1 ; 0 < y 0 £ 10
- 3 £ a £ 1; 0<y 0 £ 3
5. Gift und Schwellenwerte
Wir haben alle möglichen Wachstumsmodelle kennen gelernt, Wachstum mit den
verschiedensten Intensitäten, Wachstum über alle Grenzen, mit Grenzen, mit
Aussterben, aber immer gab es entweder nur Wachstum oder nur Abnahme. Ist das
realistisch?
 Eine Klausuraufgabe:
a) Warum kann eine Bakterienkultur in einer Petrischale auf Dauer nicht logistisch
wachsen? Wenn eine Grippewelle auf Dauer logistisch wachsen würde, was würde
das bedeuten? Wie sieht Ihrer Meinung nach ein ‚normales’ t-y-Diagramm zu einer
Grippewelle aus?
 Was erwarten Sie für ein y-y’-Diagramm?
 Warum ist nebenstehendes t-k(t)-Diagramm sinnvoll, wenn
man von der DGL y ' = k ( t ) ×y ausgeht?
 Ermitteln Sie damit eine zugehörige DGL.
2
Hinweis: Eine Lösung ist y ( t ) = y 0 ×e kt - st .
b)  Untersuchen Sie die Bestandsentwicklung in Abhängigkeit der Zeit; variieren Sie
die Parameter (Hinweis: Möglicher Ausgangspunkt: k = 0 , 25 / s = 0 , 015 / y 0 = 1 ).
Welche Bedeutung haben diese?
 Ermitteln Sie die charakteristischen Punkte. 6
 Ermitteln Sie ein y-y’ –Diagramm, vergleichen Sie mit ihrer Erwartung aus a).
 Untersuchen Sie die relative Wachstumsgeschwindigkeit.
c) Gegeben ist jetzt folgende Messreihe zu einer Bakterienkultur in einer Petrischale:
( y 0 = 1 ( normiert) ).
t
0
1
2
3
4
y(t)
1
1,083
1,171
1,268
1,366
 Institut A ermittelt allein mit der Messreihe mögliche Werte für k und s . Führen
Sie zwei verschiedene mögliche Rechnungen durch.
 Institut B macht die Annahme, dass der zehnfache Anfangsbestand maximaler
Bestand nach 50 Zeitschritten ist. Zu welchen Wertenkommt dieses Institut.
 Vergleichen Sie beide Modellierungen hinsichtlich ihrer Qualität.
Ein anderer Zugang zu diesem Modell ergibt sich wieder durch Modifikation des
exponentiellen Wachstums in der Form y ' = ( g - s ) ×y . Wenn die Sterberate nicht
konstant ist, sondern mit der Zeit zunimmt (zur Erinnerung: beim logistischen
Wachstum war die Sterberate proportional zum Bestand), dann erhält man, wenn man
wieder vom einfachsten Zusammenhang ausgeht: y ' = ( g - s ×t ) ×y
6
Die Ortskurve der Hochpunkte kann hier zusätzlich oder in einem zweiten Schritt thematisiert werden.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
(8) Wachstum mit Gift
y ' = ( k - 2s ×t ) ×y
y = y 0 ×e kt - st
æy ö
y ' = ± 4s ×ln ç 0 ÷ + k 2 ×y
èy ø
13
2
y'
= k - 2s ×t
y
Wachstumsfaktor setzt sich aus konstanter Wachstumsrate k und zur Zeit
proportionaler Sterberate s zusammen.
Wenn nun für die Realität aber folgendes gilt?7
Todgeweiht ist eine Spezies freilich lange bevor ihr letzter Vertreter auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. So gab es wenige Jahre vor dem Aussterben der Wandertaube
noch einige tausend Vögel, die nicht mehr bejagt wurden. Das waren offenbar zu
wenige, um den Fortbestand dieser Art zu sichern [...]. Wie viele Individuen eine Art
zum Überleben braucht, welcher Schwellenwert über Gedeih oder Verderb einer
Lebensform bestimmt, hängt von den zahllosen Eigenschaften ab: was die Vertreter der
jeweiligen Spezies fressen, wie viel und wie oft; ob sie gesellig leben oder allein, ob sie
ein Revier brauchen oder nicht; wann sie sich fortpflanzen, wie oft und mit wie
vielen Partnern. So entscheidet nicht allein das Ausmaß menschlicher Verfolgung über
das Fortbestehen einer Art, sondern zu einem guten Teil auch ihre biologische
Ausstattung.
Eine Art ‚Schwelle’ ist uns ja schon mehrfach begegnet. Zuerst bei den Nilpferden und
den Leckeringen, wo die Grenze derart als ‚Schwelle’ wirkte, dass Bestände oberhalb
über alle Grenzen wuchsen und Bestände unterhalb der Grenze zunehmend abnahmen
bis zum Aussterben. Auch beim logistischen Wachstum tauchte dies auf ; hier fand dass
Aussterben allerdings ‚asymptotisch’ statt, also mit abnehmender Abnahme.
Beide Modelle taugen aber nicht für unsere neue Realsituation,
weil unbegrenztes Wachstum ausgeschlossen ist. Wir suchen
also ein Modell, bei dem der Bestand oberhalb eines
Schwellenwertes z.B. logistisch wächst und darunter bis zum
Aussterben abnimmt. Die Wachstumsfunktionen müssten
damit folgendes Aussehen haben:
Wer kennt schon eine Funktionenschar, die ein solches
Aussehen hat?
Nein, über die Bestandsfunktionen ist eine erfolgreiche Modellierung nicht zu erwarten.
Aber vielleicht wieder über das Änderungsverhalten und die dazu spezifischen y-y’Diagramme bzw. y-k(y)-Diagramme.
In Gruppenarbeit werden letztendlich zwei qualitativ verschiedene Modelle erarbeitet
und im Plenum verglichen:
(1) y ' = k ×( 1 -
y
S
) ×( 1 - ) ×y
G
y
(2) y ' = ×k ×( y - S ) ×( 1 -
y
) ×y
G
Wie erwartet erhält man in beiden Modellen drei Stabilitätspunkte. Ob der sonstige
Verlauf passt, wird wieder numerisch untersucht.
7
[GMMN], S.102.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
G = 4 / S = 1 / y 0 = { 0 , 8; 2; 6 }
14
G = 4 / S = 1 / y 0 = { 0 , 8; 2; 6 }
Beide Modelle passen zum Text und erfüllen die notwendigen Bedingungen. Die
unterschiedlichen Konvergenzgeschwindigkeiten lassen sich über k regeln. Ein
qualitativer Unterschied liegt in der Modellierung von Beständen unterhalb der Schwelle.
In (1) kommt es zu zunehmender Abnahme (Rechtskurve) mit zügigem Aussterben, in
(2) zu Aussterben durch abnehmende Abnahme mit asymptotischer Annäherung an die
t-Achse. Der Text lässt beide Verläufe zu. Auch ein inhaltliches Abwägen lässt beide
Modelle sinnvoll erscheinen:
(1) Wenn die Population zu gering zum Überleben ist, wird sie auch zunehmend schnell
abnehmen.
(2) Je geringer die Population, desto besser geht es dem noch übrig gebliebenen
Bestand, er wird zunehmend langsamer abnehmen.
Erst der Abgleich mit realen Daten wird hier also (vielleicht) eine Entscheidung
ermöglichen.
 Die y-y’-Diagramme :
(1)
(2)
y ' = 0 , 2 ×( 1 -
y
) ×( 1 -
1
) ×y
4
y
= - 0 , 05 ×( y - 4 ) ×( y - 1)
Eine Parabel! Es handelt sich also
tatsächlich um ‚verschobenes’ logistisches
Wachstum. Was beim logistischen
Wachstum y = 0 ist hier y = S
 Stabilitätspunkte
(1) y = S : abstoßender Fixpunkt
y =G :
anziehender Fixpunkt
y ' = - 0 , 05 ×y ×( y - 4 ) ×( y - 1)
Ein Polynom 3. Grades (entspricht den
Vorüberlegungen).
Zwischen S und G liegt damit nicht reines
logistisches Wachstum vor; eine ähnliche
Situation hatten wir aber schon einmal.
(2)
y =0 :
y =S :
y =G :
anziehender Fixpunkt
abstoßender Fixpunkt
anziehender Fixpunkt
Vermutung:
Die Fixwerte y Fix sind Nullstellen im y-y’-Diagramm.
Wenn die Steigung in ( y Fix / 0 ) negativ ist, handelt es
sich um einen anziehenden Fixwert, wenn die Steigung
positiv ist, um einen abstoßenden.
Analytische Lösungen sind kaum möglich, oder es werden sehr unübersichtliche Terme
geliefert.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
15
Zum Schluss noch einmal der Stammbaum der ganzen Familie der WachstumsDGLn.8
y' =c
y ' = kt
y ' = ky
k = k( t )
k = k( y )
y ' = aty
y' =
k
y
y' =
k
t
y ' = ( a - bt ) y
y ' = ay + b
y ' = ay 2
y ' = ay ( b - y )
y ' = ay ( b - y )( c - y )
8
Eine umfangreiche Sammlung weiterer Modelle und ihrer Analysen findet man z.B. in
[BOS] und in [EBE]. Einige der hier behandelten Modelle werden in [GRE] unter
ähnlichen Gesichtspunkten thematisiert.
Henning Körner
Mit Wachstum durch die Analysis
16
Literatur:
[AUL]
[BOS]
[EBE]
Aulbach, B. – Gewöhnliche Differenzialgleichungen, München 2004.
Bossel, H. – Modellbildung und Simulation, Braunschweig (1992).
Ebenhöh, W. - Mathematik für Biologen und Mediziner, Heidelberg (1975).
[GMMN] Gleich, M./Maxeiner, D./Miersch, M./Nicolay, F. - "Life Counts - Eine globale
Bilanz des Lebens", Berlin (2000).
[GRE] Greger, K. – Einige mathematische Modelle biologischen Wachstums, MNU,
26/5 (1973).
[Kör1] Körner, H. - Populationsdynamik, in: Förster, F./Henn, H.-W./Meyer, J. Materialien für einen realitätsbezogenen Mathematikunterricht, Bd.6
/Hildesheim (2000).
[Kör2] Körner, H. - Modellbildung mit Exponentialfunktionen, in: Henn, H.-W./Maaß,
K. (Hrsg.) – Materialien für einen realitätsbezogenen Mathematikunterricht,
Bd.8 /Hildesheim (2003).
[STE]
Stein, G. – Populationsmodelle im Mathematikunterricht, ZDM 1994/6.
[WIN] Winter, H. - Wachstum und Wachstumsfunktionen, in: Müller, K. P. – Beiträge
zum Mathematikunterricht, Hildesheim (1993).
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