Philosophische Probleme der QT Johannes Röhl 05.05.04 Einführung III Teilchen und Wellen Wie in der letzten Stunde gesehen zeigen einerseits Lichtwellen teilchenartiges Verhalten (diskrete Energieportionen in Plancks Strahlungsformel, beim Photo-Effekt und bei der Compton (=Photon-Elektron)-Streuung), andererseits kann man Interferenzeffekte, also ein typisches Wellenphänomen, bei Materiepartikeln, z.B. Elektronen beobachten. Ob ein System die Eigenschaften klassischer Wellen oder klassischer Teilchen aufweist, scheint mithin von den experimentellen Situationen abzuhängen, mit denen man ein System untersucht; daher spricht man oft auch vom „Dualismus“ von Welle und Teilchen bei Quantenobjekten, bzw. vom „Wellen-“ oder „Teilchenbild.“ De-Broglie-Beziehungen Bereits bekannt ist uns für Lichtquanten die Beziehung E =hν; aus der speziellen Relativitätstheorie kennen wir E2= p2c2, (bzw. aus der Beziehung für die Geschwindigkeit einer Welle: c = λν), d.h. für den Photonenimpuls p = E/c = hν/c =h/λ (wegen c = λν) oder nach der Wellenlänge aufgelöst λ = h/p Analog können wir nun materiellen Teilchen eine Wellenlänge zuordnen: λ = h/p = h/mv = h/√2mE (für freie Teilchen mit kinetischer Energie Ekin= ½mv2 = p2/2m) Anschaulich kann man sich im Bohrschen Atommodell Materiewellen als „stehende Wellen“ vorstellen, d.h. man muß immer ganze Zahlen von Wellenlängen auf der „Umlaufbahn“ unterbringen (vgl. Tafelbild): 2πr= nλ So kann man die Atomzustände als „stationäre Zustände“ eines Wellenfeldes verstehen; man erhält dann mit p= h/λ daraus das Bohrsche Postulat der Drehimpulsquantelung: L = p r = m v r = n h/2π Bsp. für De-Broglie-Wellenlängen: Auto in Tempo-30-Zone: m= 1000kg, v = 10m/s, h = 6,6 ∙10-34 Js [kgm2/s] → λ(Auto) = 6,6 ∙10-39m daher klar, daß man keine Interferenzeffekte bei makroskopischen Systemen beobachten kann Elektron im Grundzustand des H-Atoms: E ~ 10 eV, me= 5,11 105 eV/c2 ca. (h = 4,14 ∙10-15 eV) /sqrt(10) 103 eV/c; c = 3∙108 m/s λ(Elektron) ca. 4 10-10 m Das entspricht atomaren Dimensionen, daher prinzipiell Interferenz von Elektronenstrahlen an einen Kristallgitter herstellbar zum Vergleich: λ (sichtbares Licht) ca. 4 - 8 10-7 m Diese heuristischen Überlegungen sollen gemeinsam mit den Ergebnissen von z.B. Doppelspaltversuchen mit Elektronen hinreichend plausibel machen, dass eine mathematische Beschreibung von Teilchen als Wellen sinnvoll und möglich ist, ohne auf technische Details einzugehen. Man beschreibt ein Elektron also durch eine Wellenfunktion , die die sogenannte Schrödingergleichung erfüllt: i H t mit H = Hamiltonoperator, anschaulich so etwas wie die Energie des Teilchens z.B. für freies Teilchen in einer Raumdimension (E: i ( x, t ) 2 d 2 ( x, t ) t 2m dx 2 Mit diesem Ansatz ist eine erfolgreiche Beschreibung einer großen Klasse von Problemen möglich (freies Teilchen, Teilchen im Kasten, Oszillator, H-Atom, allgemein Einteilchenprobleme) Es bleiben nun allerdings Fragen offen: Wellenfunktion i.A. komplex, physikalische Meßwerte aber reell Wie wird „Teilchenaspekt“ dargestellt? Mehrteilchensysteme? Was genau ist die Bedeutung der Wellenfunktion (WF)? „Wahrscheinlichkeitswellen“ Einen ersten naheliegenden Ausweg aus dem Problem des Dualismus von Welle und Teilchen bietet das Konzept der „Wahrscheinlichkeitswellen“: die Wellenfunktion ψ(x,t) gibt eine Wahrscheinlichkeitsamplitude für den Aufenthaltsort des Teilchens an; das Betragsquadrat ( x, t ) der Wellenfunktion gibt die Wahrscheinlichkeits2 verteilung über den Raum an, d.h. bei einer Ortsmessung ist ein Teilchen mit der Wahrscheinlichkeit (x 0 ) am Ort x0 zu finden. 2 (daher auch Normierung (x) dV ; das Teilchen muß irgendwo im Raum sein) 2 V Wahrscheinlichkeitsamplitude bedeutet hier, dass etwa beim Doppelspaltexperiment die Amplituden wie bei Wellen addiert/superponiert werden müssen, um die korrekte Wahrscheinlichkeitsverteilung am Schirm zu erhalten: Schirm ( Spalt 1) ( Spalt 2) ( S 1) ( S 2) * ( S1) ( S 2) ( S1) * ( S 2) 2 2 ( S 1) ( S 2) 2 2 2 2 Wichtig: Die Amplituden, nicht die Wahrscheinlichkeiten werden addiert! Die Interpretation der Wellenfunktion (bzw. allgemein der mathematischen Darstellung eines quantenmechanischen Systemzustandes) im dem Sinne, daß sie eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für bestimmte Meßergebnisse angibt ist so etwas wie ein Minimalkonsens, der den meisten Deutungen der Theorie gemeinsam ist bzw. eine Minimalinterpretation, mit der auch alternative Deutungen verträglich sein müssen. Umstritten ist jedoch z.B., ob eine objektive Wahrscheinlichkeitsdeutung möglich ist, oder ob die WF nur unsere subjektive Kenntnis des Systems angibt. Der entscheidende Streitpunkt dürfte aber der sogenannte „Kollaps der Wellenfunktion“ (oder das „Projektionspostulat“) bei der Messung sein. Bevor wir dieses Problem in Angriff nehmen können, soll allerdings noch die formal-mathematische Beschreibung der Zustände von Quantensystemen skizziert werden. Systemzustände in der klassischen Physik Ein System der klassischen Mechanik wird durch eine Hamilton-Funktion H(pi,qi,t) (qi und pi sind 3n Komponenten der Orts- und Impulskoordinaten eines Systems mit n Teilchen (bzw. 3n Freiheitsgraden) beschrieben. Anschaulich interpretiert ist die Hamiltonfunktion die Gesamtenergie des Systems. Zu jedem Zeitpunkt t lässt sich der Zustand des System durch einen Punkt (q(t), p(t)) in einem abstrakten Raum, dem sogenannten Phasenraum darstellen; das System ist in den Werten dieser Eigenschaften (Ort, Impuls) also zu jeder Zeit vollständig determiniert. Die Zeitentwicklung eines System wird durch die Hamiltonschen Gleichungen für die pi und qi, dq/dt = ∂H/∂p ; dp/dt = -∂H/∂q, bestimmt, damit kann ihm eine eindeutige Bahn im Phasenraum zugeordnet werden. Vektoren und Zustandsbeschreibung in der Quantenmechanik Basisdarstellung: Im Falle eines zwei- oder dreidimensionalen anschaulichen Vektorraumes können Vektoren als „Entwicklung“ in Komponenten und Basis ausgedrückt werden: a = ai ei. Der Vektor selbst ist basisunabhängig, man kann immer auf eine andere Basis transformieren. Mit einem einfachen zweidimensionalen Bsp.: Nehmen wir zunächst als Basis I (rot) die Einheitsvektoren in die x- und y-Richtung, dann eine um 45° gegen die Uhr gedrehte Basis II (blau) so hat ein Vektor der Länge 1 in Richtung der negativen y-Achse in der ersten Basis die Komponenten (0;-1), in der Basis II die Komponenten 1/2(-1 ; -1) (vgl. auch die im Seminar aufgelegten Zeichnungen) Transformationen (anschaulich z.B. Drehungen) kann man durch Operatoren beschreiben, die entweder den Übergang von einer Basis auf eine andere liefern. Man steckt also die Komponenten bezüglich der alten Basis hinein und bekommt die Komponentendarstellung in der neuen Basis. Oder sie beschreiben die Drehung (Transformation) eines Vektors im Raum auf einen anderen Vektor des Raumes. I.A. gibt es beliebig (unendlich) viele gleichwertige Basen in einem V-Raum. Eigenvektoren Eine bestimmte Drehung/Transformation kann bestimmte Vektoren auf sich selbst abbilden, d.h. sie werden durch die Drehung nur in ihrer Länge (Betrag), nicht in der Richtung, geändert: Ôx = λx Diese Vektoren nennt man Eigenvektoren des Operators, die Zahlen, um die sich ihr Betrag durch die Transformation ändert, Eigenwerte. Inneres Produkt In den Vektorräumen, die uns interessieren, gibt es eine sogenanntes inneres Produkt (auch Skalarprodukt oder Punktprodukt) von je zwei Vektoren. Man kann also zwei Vektoren miteinander multiplizieren und erhält eine Zahl (in der QM i.d.R. eine komplexe Zahl). Anschaulich bedeutet das innere Produkt die Projektion eines Vektors auf den anderen. Daraus ist einsichtig, dass das innere Produkt von zwei aufeinander senkrecht stehenden Vektoren gleich Null ist. Als Basis nimmt man daher i.d.R. einen Satz von wechselseitig orthogonalen (und auf die Länge eins normierten) Vektoren (Orthonormalsystem). Die Entwicklungskoeffizienten eines Vektors in einer Basis erhält man durch die jeweiligen inneren Produkte des Vektors mit den Basisvektoren: v vi ei und vi v ei i Systemzustände in der Quantenphysik Ein quantenmechanisches System wird durch Zustände und sogenannte Observable beschrieben. In der mathematischen Formulierung entsprechen den Zuständen des Systems Vektoren eines abstrakten i. A. vieldimensionalen Raums, eines sog. Hilbertraums. Auch Funktionen können in dieser Formulierung als Vektoren (mit unendlichen vielen Einträgen) beschrieben werden, vgl. Fourierreihen bei Schwingungen. Die physikalisch interessanten Systemgrößen werden durch (unitäre) Operatoren auf diesem Hilbertraum dargestellt. Operatoren mit bestimmten mathematischen Eigenschaften bezeichnet man als Observable, sie stehen für (determinable) Eigenschaften des Systems, z.B. Impuls p, Energie E (H), Spinkomponente. („determinable“ betdetut hier, dass die Eigenschaft noch näher bestimmt werden kann, man fasst gewissermaßen ein Klasse von Eigenschaften zusammen: eine determinierte Eigenschaft wäre ein bestimmter Ort x0, „Ort“ allgemein ist eine Determinable, da sie alle möglichen Werte für den Ort zusammenfaßt. Mögliche Messwerte der Systemeigenschaften sind durch Erwartungswerte der die Observablen repräsentierenden Operatoren gegeben: O O Eine besonders einfache Zuordnung von Wert, Operator und Systemzustand ist gegeben, wenn sich das System in einem sogenannten Eigenzustand (Eigenvektor) befindet: Eigenzustände eines Operators sind anschaulich gesprochen Zustände, die durch die Wirkung des Operators nur mit einer Zahl multipliziert auf sich selbst abgebildet werden (also nicht „verdreht“, sondern nur „verlängert“). Diesen Zahlenfaktor nennt man Eigenwert des Operators. Unter bestimmten Bedingungen bilden die Eigenzustände eines Operators eine vollständige Basis, man kann dann alle Zustände in dieser Basis ausdrücken. Man nennt das Ausdrücken von Zuständen oder Operatoren in einer bestimmten Basis X oft die X-Darstellung. Der allgemeine Zustand eines Quantensystems ist also als Entwicklung in die Zustände einer bestimmten Basis gegeben; die Entwicklungskoeffizienten sind die jeweiligen inneren Produkte des Zustandes ψ mit den einzelnen Basiszuständen. Ein spezieller Fall liegt vor wenn sich das System schon in einem Eigenzustand einer bestimmten Basis befindet, also alle Koeffizienten außer einem Null sind. Der Regelfall ist jedoch eine „Superposition“, d.h. eine Überlagerung aus den Basiszuständen mit entsprechenden Amplituden. Die oben beschriebene Wellenfunktion ψ(x) ist somit die Ortsdarstellung eines abstrakten Systemzustandes ψ: x x dx ; die Werte der WF sind die (kontinuierlichen) Entwicklungskoeffizienten des abstrakten Zustandes in der kontinuierlichen Basis x Messung Formal wird nun ein „Meßvorgang“ so ausgedrückt, dass man das System in einem allgemeinen Superpositionszustand auf eine Eigenzustand der Observablen, die man messen möchte „projiziert“, d.h. man bestimmt die Entwicklungskoeffizienten nach dieser Basis; das Betragsquadrat dieser Koeffizienten gibt die Wahrscheinlichkeit, das System in dem spezifischen Zustand zu messen. Zeitentwicklung Die zeitliche Entwicklung entspricht der Anwendung eines unitären Operators U(t) auf den Anfangszustand. Entscheidend ist, dass sich das System in seiner zeitlichen Entwicklung wieder als Entwicklung nach einer Basis von Eigenzuständen darstellen läßt: iE n mit ( x, t ) ann ( x) exp n Entwicklungskoeffizienten an n (t 0) ; die Wahrscheinlichkeit nach einer Zeit t das System im Zustand n zu messen, ist durch die Betragsquadrate des Entwicklungskoeffizienten an gegeben. Aus einen scharfen Zustand bei der „Präparierung des Systems“ entwickelt sich das System zeitlich in einen Superpositionszustand, beobachtet bzw. gemessen wird dann aber ein bestimmter Zustand bzw. Meßwert, keine Überlagerung. „Das System springt bei der Messung in einen Eigenzustand“ Damit zwei Arten von Zustandsentwicklung: (1) Schrödingerdynamik („Vorgang 2“) linear deterministisch, aus (0) ist (t ) durch die Zeitentwicklung nach der Schrödingergleichung eindeutig gegeben kein fester Wert, Superposition von Zuständen reversibel gilt für isolierte Systeme (2) Von-Neumann-Dynamik („Vorgang 1“) nichtlinear indeterministisch, das System „springt“ aus der Superposition in einen der möglichen Zustände, aber man kann nur eine Wahrscheinlichkeit dafür angeben, in welchen. Diese Wahrscheinlichkeit ist im einfachsten Fall das Betragsquadrat des Entwicklungskoeffizienten. „Projektionspostulat“, „Kollaps der Wellenfunktion“ damit eindeutiger Meßwert irreversible Zustandsänderung beschreibt Systemverhalten im Kontakt mit Meßapparatur, also nichtisoliertes System Übersicht: Vektoren und quantenmechanische Systemzustände „Gewöhnliche“ Vektoren Vektor in Komponenten und Basisvektoren ausgedrückt: a ai ei i Zustandsvektoren in der Quantentheorie Allg. Systemzustand nach Basiszuständen entwickelt: cn n n Der Vektor selbst ist basisunabhängig, man kann immer auf eine andere Basis transformieren. Abstrakter Zustand und physikalisch wichtige Eigenschaften sollen basisunabhängig sein. Entwicklungskoeffizienten eines Vektors in einer Basis: innere Produkte des Vektors mit den Basisvektoren: Entwicklungskoeffizienten, gegeben durch Projektionen auf Basiszustände. ai a ei Anschaulich sind das die Projektionen des Vektors auf die Basisvektoren. ci i Wahrscheinlichkeit, das System bei einer Messung im Zustand j zu finden, gegeben durch 2 P(i ) c j j 2 Mögliche Meßwerte physikalischer Größen (Observabler) sind Eigenwerte der Operatoren, die die physikal. Größen repräsentieren.