1 Woche 12./13.4.11 Theoretische Physik II (Quantenmechanik I), Bachelor-Physik, SS 11 1. Schrödinger´sche Wellenmechanik 1.1 Einführung Die Quantenmechanik (QM) stützt sich auf ein widerspruchsfreies abstraktes Denkgebäude, das aus der Sicht der klassischen Physik wenig intuitiv ist. Aus diesem Grunde gilt die QM als konzeptionell schwierig; eine quantenmechanische Intuition" wird sich erst im Zuge der intensiven Auseinandersetzung entwickeln. QM muss aber sein, da eindeutige experimentelle Befunde (nicht nur aus dem atomaren Bereich) klassisch nicht erklärt werden können: ■ Stabilität der Atome, scharfe Spektrallinien des von Atomen absorbierten oder emittierten Licht (→ Liniencharakter der atomaren/molekularen Absorptions- und Emmissionsspekten) ■ Photo- und Compton-Effekt ■ Beugung von Kathodenstrahlen ■ Supraleitung, Superfluidität ■ spektrale Energieverteilung der Wärmestrahlung ■ Wärmekapazität fester Körper bei niedrigen Temperaturen ■ … (weitere Beispiele vgl. Kap. 1.2) 1.1 Experimentelle Grundlagen. Lichtteilchen und Materiewellen. Welle-TeilchenDualismus A: Licht als Welle Welle aus der Experimentalphysik/Elektrodynamik vertraut nicht lokalisiertes Objekt mit Wellenvektor k und Frequenz ω. ■ ebene Welle in x-Richtung: u( x, t ) = u 0 ei (kx −ωt ) 1 D: Elektronen als Wellen Experimente von Davisson und Germer (1927) zur Elektronenbeugung am Kristallgitter (Ni) ergaben ein Interferenzbild, sobald die Wellenlänge der e- in den Bereich der Gitterkonstanten o o von einigen A gelangte 1 A = 10 −10 m . „Welleneigenschaften“ anderer „Teilchen“: Anton Zeilinger hat 1988 Interferenzbilder bei der Beugung von Neutronen (mn ~ 2000 me) am Doppelspalt mit Gitterkonstanter a ~ 0.1 mm (makroskopisch!) und im Jahre 2000 unter Verwendung von Fullerenen (Bälle aus 70 C-Atomen) nachgewiesen. Fazit: de Broglie (1923): Welle-Teilchen-Dualismus quantenmechanischer Objekte Alle „Teilchen“ haben „Welleneigenschaften“ (und umgekehrt). Für freie Teilchen wird die Zuordnung E = h ω , p = h k " Teilchenbild" ⎫ ⎪ ⎬ de Broglie-Relationen i ( k⋅r −ωt ) ψ(r, t ) = ψ 0 e " Wellenbild" ⎪⎭ (1.1) postuliert. In Abhängigkeit von der experimentellen Situation werden das Teilchenbild mit Impuls und Energie der Teilchen des Strahls oder das Wellenbild mit Frequenz und Wellenzahl der Welle zur Erklärung der experimentellen Befunde herangezogen. „Wellenexperiment“ „Teilchenexperiment“ z.B. Beugung am Doppelspalt z.B. Compton- oder Photoeffekt ω, k mit ω = c k Licht Elektron ω= p h k2 E , k = mit ω( k ) = h h 2m e E = h ω , p = h k mit E = c p E, p mit E = p2 oder E = m o2c 4 + c 2 p 2 2m e 4 numerische Abschätzungen: ■ Sandkorn: v ≈ 1 mm s −1 , m ≈ 10 −6 g ergibt λ = h ≈ 6 ⋅ 10− 22 m . Zum Vergleich: p Protonendurchmesser ≈ 10-15 m → makroskopische Körper haben extrem kleine de BroglieWellenlängen ■ niederenergetische e- mit o h p2 ≈ 1eV … λ = ≈ 10 −9 m ≈ 10 A → solche e- können bei p 2m e o Beugung an Kristallen mit Gitterkonstanten von einigen A Interferenzbilder erzeugen. 1.2 Die Schrödinger-Gleichung (SG) A: (Kräfte)freie Teilchen Eine (1D)ebene Welle u( x, t ) = u 0 ei (kx −ωt ) löst die lineare Wellengleichung (EH-Dynamik im E p ∂ 2u 1 ∂ 2u ( iω ) 2 2 = c oder E = − 2 2 = 0 , wenn (ik ) − 2 = 0 , also ω = c k bzw. Vakuum) 2 h h ∂x c ∂t c c p gilt. Das ist die relativistische E-p-Beziehung für Teilchen ohne Ruhemasse, wie die Photonen. Frage: Welche Form besitzt eine Wellengleichung für freie nichtrelativistische Teilchen mit der E-p-Beziehung E = p2 , deren Lösung ebene de Broglie-Wellen ψ( x, t ) = ψ 0 ei ( k⋅x −ωt ) 2m sind? p2 ist wegen E = h ω und p = h k nicht wie oben ω ~ k , sondern ω ~ k 2 . Deshalb Für E = 2m ∂ 2ψ ∂ψ versuchen wir den Ansatz −α = 0 . Für α ergibt sich (ik ) 2 + iαω = 0 . Daraus folgt 2 ∂x ∂t 2m h k 2 h2k 2 p2 hω = = , also h ω = E = d.h. i αh = 2m somit α = − i. iα i αh i αh h 5 Insgesamt erhalten wir ih p2 ∂ψ h 2 ∂ 2ψ h k2 i ( k⋅x − ωt ) ( k ) E =− mit der Lösung ψ ( x , t ) = ψ e für bzw. = . ω = 0 2m ∂x 2 2m 2m ∂t Diese Gleichung beschreibt ein freies nichtrelativistisches „quantenmechanisches Teilchen“ (qmT) als ebene Welle mit der nichtlinearen Dispersionsrelation ω( k ) = de Broglie-Relationen die gewünschte Energie-Impuls-Beziehung E = B: h k2 , der wegen der 2m p2 entspricht. 2m Schrödinger-Gleichung für die Bewegung eines qmT im äußeren Potenzial U(r,t). Statistische Interpretation der Wellenfunktion Erwin Schrödinger postulierte für diese Situation die Gleichung ih ∂ ψ( r , t ) h2 2 =− ∇ ψ ( r , t ) + U ( r , t )ψ ( r , t ) 2m ∂t → Schrödinger-Gleichung (1.2) für die i.a. komplexe Wellenfunktion (WF) ψ( r, t ) . Welcher Zusammenhang besteht zwischen der komplexwertigen WF und dem qmT? • Statistische Interpretation der Wellenfunktion (WF) als Wahrscheinlichkeitsamplitude Max Born, 1927: 2 ψ( r , t ) d 3 r = ψ ( r , t ) ψ ∗ ( r , t ) d 3 r (1.3) ist die Wahrscheinlichkeit, das qmT zum Zeitpunkt t im Volumenelement d3r am Ort mit dem Radiusvektor r aufzufinden/nachzuweisen. Wegen dieser statistischen Interpretation interessieren uns nur die normierbaren Lösungen ψ( r, t ) der SG (1.2), für die 6 ∫ V d 3 r ψ( r , t ) 2 = 1 (für alle t) (1.4) gilt, wobei V der zugängliche Raumbereich ist. Da mit ψ( r, t ) auch const ⋅ ψ( r, t ) Lösung von (1.2), ist die Forderung der Normierbarkeit unproblematisch, solange ψ( r, t ) quadratisch integrabel ist. Die statistische Interpretation der Wellenfunktion ist eine der Ursachen der „konzeptionellen Schwierigkeiten“ der QM (vgl.: Unschärferelation, s.u.) • Statistische Interpretation und Zeitinvarianz KM: NBG m d2 r = F für die Bahnkurve r(t) ist invariant gegen Zeitumkehr t → -t : Mit der dt 2 Bewegung r(t) („Film vorwärts“) verstößt auch die Bewegung r(-t) („Film rückwärts“) gegen kein einziges Gesetz der KM. QM: Mit ψ( r, t ) ist auch ψ∗ ( r,− t ) (nicht jedoch ψ( r,− t ) !) Lösung der SG, denn diese ist invariant unter t → -t bei gleichzeitiger komplexer Konjugation. Damit ist die für die Messung relevante Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte invariant gegenüber Zeitumkehr, denn t → −t ψ( r, t ) ψ∗ ( r, t ) → ψ( r,− t ) ψ∗ ( r,− t ) = ψ∗ ( r,−( − t )) ψ∗∗ ( r,−( − t )) = ψ∗ ( r, t ) ψ( r, t ) . Damit beschreibt auch die SG eine reversible Zeitentwicklung. • Kontinuitätsgleichung für die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte Nach einfachen Umformungen erhält man aus der SG ∂ ∗ ih ( ψ ψ)= ∇ ⋅ (ψ ∗ ∇ψ − ψ ∇ψ ∗ ) ∂t 2m also 7 ih ∂w + div j = 0 mit w := ψ∗ψ und j = ∇ ⋅ (ψ∇ψ∗ − ψ∗ ∇ψ ) . 2m ∂t (1.5) Gleichung (1.5) ist die Kontinuitätsgleichung für die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte w, d.h. j gibt die Wahrscheinlichkeitsstromdichte an. Die Kontinuitätsgleichung kann als lokale Formulierung der Normierungsbedingung (Erhaltung der Wahrscheinlichkeit) interpretiert werden. Beweis: Übung • Bewegung im zeitunabhängigen Potenzial/konservativen Feld ( ∂ ψ(r, t ) h2 2 ( ( SG: ih =− ∇ ψ ( r , t ) + U ( r )ψ ( r , t ) ∂t 2m Zur Trennung der Variablen Separationsansatz: ( ψ (r, t ) = ψ(r ) T( t ) ⎞ 1 dT 1 ⎛ h 2 2 = ⎜⎜ − ∇ ψ + U ψ ⎟⎟ = const =: E : ψ T ≠ 0 → ih ψ ⎝ 2m dt 1 4T 24 3 1 444 424444 3⎠ r − unabhängig h2 dT 2 =− ih ψ T∇ ψ + UψT dt 2m t − unabhängig Linke Seite der Gleichung: ih i − Et 1 dT = E → T( t ) = T0 e h . T dt Vergleichen wir das mit dem de-Broglie-Postulat ψ (r, t ) = ψ 0 e i ( k⋅r −ωt ) für das freie qmT folgt E = h ω , d.h., die Separationskonstante entspricht der Energie. Der r-abhängige Anteil der Wellenfunktion genügt der Gleichung (rechte Seite) h2 2 − ∇ ψ(r ) + U(r ) ψ(r ) = E ψ(r ) 2m → stationäre Schrödinger-Gleichung (1.6) i ~ (r, t) = ψ (r) e − h E t , FAZIT: Bei Bewegung im zeitunabhängigen Potenzial ist die WF ψ wobei ψ(r ) die Lösung der stationären SG und E die (zulässigen Werte für die) Energie des qmT sind. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte ist zeitunabhängig 8 i i ~ (r, t ) 2 = ψ ~ (r, t ) ψ ~ ∗ (r, t ) = ψ(r ) e − h E t ψ∗ (r ) e + h E t = ψ (r ) ψ∗ (r ) = ψ(r ) ψ 2 → stationäre Zustände FAZIT: (1.2) bis (1.4) bilden die Basis der Schrödinger´schen Wellendynamik. Es hat sich gezeigt, dass sie nichtrelativistische Teilchen ohne Spin korrekt, also im Einklang mit dem Experiment, beschreiben. 9