Die schwachen Verben Eine Arbeit von Bettina Frieske Fidan Öz Larissa Lorenz 1 Inhaltsverzeichnis: Die schwachen Verben ..................................................................................................................... 1 1 Kennzeichen schwacher Verben und der Unterschied zu den starken Verben .................... 3 2 Aufbau von schwachen Verben............................................................................................ 4 2.1 Flexionsformen der schwachen Verben im Althochdeutschen ............................................ 6 2.2 Semantische Funktionen der Suffixe –jan, -ōn, -ēn ............................................................. 6 2.3 Unterschied zwischen den schwachen Verben im Althochdeutschen und im Mittelhochdeutschen............................................................................................................. 7 2.4 Die Einteilung der schwachen Verben im Mittelhochdeutschen ......................................... 9 2.5 Die Flexionsformen der schwachen Verben im Mittelhochdeutschen ............................... 10 2.6 Bildung des Präsens der schwachen Verben ...................................................................... 10 3 Übungsaufgabe ................................................................................................................... 12 3.1 Übungsaufgabe zu althochdeutschen Texten ..................................................................... 12 3.2 Tatian 12,1-9 ...................................................................................................................... 12 3.3 Übersicht über die schwachen Verben im Althochdeutschen ............................................ 13 3.4 Das Nibelungenlied, 1. Âventiure ...................................................................................... 14 3.5 Übersicht zu den schwachen Verben im Mittelhochdeutschen .......................................... 15 4 Lösungen ............................................................................................................................ 15 4.1 Zu Tatian 12, 1-9 ................................................................................................................ 15 4.2 Zum Nibelungenlied 1. Âventiure ...................................................................................... 16 5 Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 17 2 1 Kennzeichen schwacher Verben und der Unterschied zu den starken Verben In der Linguistik unterscheidet man zwischen den starken und den schwachen Verben. Die starken Verben werden auch Primärverben genannt, im Sinne von ursprünglich und nicht abgeleitet. Sprachhistorisch stammen sie aus dem alten indogermanischen Sprachstand. Die schwachen Verben werden auch als Sekundärverben bezeichnet, die „nominale oder verbale Ableitungen jüngerer Zeit“ sind.1 Der Unterschied zwischen den starken und den schwachen Verben liegt in der Bildung des Präteritums 2, sodass die starken und schwachen Verben zwei Flexionsklassen bilden (in denen alle Lexeme aufgeführt werden, „die ihr Paradigma nach dem gleichen Bildungsprinzip aufbauen“3), die unterschiedliche Flexionsregeln beinhalten. Bei den schwachen Verben wird die “additive Flexionsregel“ angewandt, die „zu einer Vermehrung der phonologischen Substanz“ führt.4 D.h., dass die schwachen Verben die Präteritalform vor allem durch die Suffixflexion in Form eines Dentalsuffixes (-t-) bilden, während die starken Verben die Präteritalform durch die Wurzelflexion mit einem Ablaut hervorbringen.5 Die Bezeichnung „schwache“ Verben geht auf Jakob Grimm zurück, der sie so nannte, „weil sie in ihrer Überzahl aus starken Verben oder Nomina hergeleitet sind“6 und weil sie ihre „Tempusstämme nicht aus sich selbst bilden“7 können, wie es die starken Verben tun. Das Germanische teilt die schwachen Verben in vier Klassen auf, denen eine bestimmte Aktionsart zugeordnet ist und die regelmäßig ein Dentalpräteritum und Dentalpartizip des Präteritums bilden.8 Inhaltsverzeichnis 1 Vgl. Theobald, Elke: Sprachwandel bei deutschen Verben. S. 29 Schweikle, Günther: Germanisch-deutsche Sprachgeschichte im Überblick. S. 158 3 Ebd. S. 15 4 Ebd. S. 15f 5 Vgl. Schweikle, Günther. S. 158 6 S. Tschirch, Fritz: Grundlagen der Germanistik. S.68 7 S. Schweikle, Günther. S. 180 8 Vgl. Sonderegger, Stefan: Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. S. 90 2 3 Schwache Verben „gleichbleibender (oder umgelauteter, nicht ablautender!) Stammvokal“9 „drei Tempus-Stammformen: Präsens – Präteritum – Partizip Präteritum“11, „bilden damit einen Verbalstamm, der durch alle Formen hindurchgeht“12 „Bildung des Präteritums und des Partizip Präteritum durch Dentalsuffix (nicht durch Ablaut)“14 sehr produktiv aufgrund Bildungsprinzipes17 2 des Starke Verben „verwenden zu ihrer Formbildung den Ablaut des Wurzelvokals“10 „haben keinen durchgehenden Verbalstamm, lediglich die Wurzel ist allen Formen gemeinsam.“13 „bilden ihr Präteritum mit Hilfe des Wurzelvokalablautes ohne ein besonderes Präteritalsuffix“15 und „benutzen zur Bildung des Partizip Präteritums ein n-Suffix“16 additiven eher unproduktive Flexionsklasse18 Aufbau von schwachen Verben Anhand der Präteritumformen lassen sich die Verben antlingōn, fastēn, hungiren und araugen als Beispiel vergleichen. Die Flexionsendung der Verben ist bei allen Formen -ta. „Die zum Teil durch Präfixe erweiterten Grundmorpheme heißen antling-, fast-, hungir- und araug-„19. Zwischen dem Grundmorphem und der Flexionsendung befindet sich jeweils ein anderes Element. Die einzelnen Bestandteile der Wortformen werden folgendermaßen bezeichnet: Inhaltsverzeichnis 9 S. Schweikle, Günther. S. 180 S. de Boor, Helmut; Wisniewski, Roswitha: Mittelhochdeutsche Grammatik. S. 119 11 S. Schweikl, Günther. S. 180 12 S. de Boor, Helmut; Wisniewski, Roswitha: Mittelhochdeutsche Grammatik. S. 119 13 S. Ebd. 14 S. Schweikl, Günther. S. 180 15 S. de Boor, Helmut; Wisniewski, Roswitha: Mittelhochdeutsche Grammatik. S. 119 16 S. de Boor, Helmut; Wisniewski, Roswitha: Mittelhochdeutsche Grammatik. S. 120 17 Vgl. Theobald, Elke, S. 31 18 Ebd. 19 S. Rolf Bergmann/ Peter Pauly: Alt- und Mittelhochdeutsch. S. 35 10 4 Wurzel ( = Grundmorphem, z.T. mit Präfix ant-lingfasthungirar-aug- Stammvokal Bindevokal Themavokal (= Wortbildungsmorphem) Stamm -ō-é-i-ø- DentalSuffix Flexionsendung ( = Flexionsmorphem) -t-t-t-t- -a -a -a -a (Quelle: Rolf Bergmann und Peter Pauly: Alt- und Mittelhochdeutsch. S. 35) „Die auf die Grundmorpheme folgenden Vokale sind die Suffixe (Ableitungsmittel) der schwachen Verben“20. Vom Substantiv fasta ist mit Hilfe des ē-Suffixes das schwache Verb fastēn abgeleitet worden. Vom Substantiv wuntar ist mit Hilfe des ó-Suffixes das schwache Verb wuntarōn abgeleitet. Im Hinblick auf ihre Infinitivendung bezeichnet man sie als ōn- und -ēnVerben. Die Suffixvokale ō und ē werden auch als Bindevokale, Themavokale oder Stammvokale bezeichnet. Sie sind in sämtlichen Flexionsformen dieser Verben enthalten, wodurch sich diese Formen zu den –ōn- und -ēn- Verben zuordnen lassen. Die Infinitivformen von hungirita und araugta lauten hungiren und araugen. Aufgrund dieser Endungsgleichheit im Infinitiv werden die Verben im Präteritum –i- und -ø-(= Nullelement) einer Klasse zugewiesen. Die Infinitivendung –en ist durch Abschwächung aus voralthochdeutsch -ja-n entstanden. Nach dieser Endung des Suffixes wird diese Klasse der schwachen Verben als –jan- Verben bezeichnet. „Das j des Suffixes erscheint zwischen Konsonanten als i und ist in dieser Form bei einer Gruppe der -jan- Verben im Präteritum erhalten (hungir-i-ta), bei einer anderen Gruppe dagegen weggefallen (araug-ta)“21. Das Fehlen eines vorhandenen Elements wird durch das Nullzeichen ausgedrückt, wie z.B. araug-ø-ta. Die –jan-Verben werden nach diesen zwei Formen des i im Präteritum in zwei Unterklassen unterteilt, danach ob das i im Präteritum erhalten ist oder nicht. Der Vokal i ist in der Regel nach kurzer Wurzelsilbe erhalten (z.B. ahd. nerian nerita) und nach langer Wurzelsilbe weggefallen (z.B. vorahd. hôrjan/ ahd hôren – hôrta) Wurzelsilben gelten als lang, wenn sie einen Langvokal oder Diphthong enthalten, auf mehrfache Konsonanz ausgehen oder mehrsilbige Wurzeln haben. Inhaltsverzeichnis 20 21 Ebd. Ebd. S.36 5 Es lassen sich somit drei Verbklassen der schwachen Verben unterscheiden, die -jan-, -ōn-, und -ēn-Verben. 2.1 Flexionsformen der schwachen Verben im Althochdeutschen Die Flexion der –jan-Verben stimmt im Präsens Indikativ und Konjunktiv mit der Flexion der starken Verben überein. Es heißt beispielsweise: ih zellu, dū zelis, er zelit ... „Die –ōn- und -ēn- Verben haben außer in der 1. Person Singular Indikativ Präsens ebenfalls dieselben Endungen, denen jeweils die charakteristischen Suffixvokale ō und ē vorausgehen“22. Es heißt z.B. dū salbōs, habēs. Die 1. Person besitzt dagegen eine eigene Endung auf –n, wo ebenfalls der Suffixvokal vorausgeht. Im Präsens Konjunktiv haben alle schwachen Verben den charakteristischen Vokal ē, der aber nach den Suffixvokalen ē oder ō wegfallen kann. Es heißt beispielsweise salbōs statt salbōēs oder habēs statt habēēs. Die drei schwachen Verbklassen haben im Präteritum Indikativ und Konjunktiv die gleichen Endungen. Im Indikativ Präteritum lauten sie: ta, -tōs, -ta, tun, -tut –tun. „Im Konjunktiv Präteritum steht als Moduskennzeichen durchgehend der Endungsvokal ī, der im Auslaut zu i gekürzt wird: -ti, tīs, tīmés, -tīt, - tīn“23. 2.2 Semantische Funktionen der Suffixe –jan, -ōn, -ēn Ein Vergleich zwischen den Bedeutungen von schwachen Verben mit den Bedeutungen der Wörter, von denen sie abgeleitet sind, führt zu folgendem Ergebnis: trenken leiten fuoren tuomen heilen ´tränken´ ´führen´ ´führen´ ´urteilen´ ´heilen´ trinkan līdan faran tuom heil ´trinken´ ´fahren´ ´gehen´ ´Úrteil´ ´gesund´ salbōn lobōn´ dankōn mihhilōn ´salben´ ´loben´ ´danken´ ´preisen´ salba lob dank mihhil ´Salbe` ´Lob` ´Dank´ ´groß´ heilēn ´heil werden´ heil ´gesund´ fūlēn ´faulen´ fūl ´faul (Quelle: Rolf Bergmann und Peter Pauly: Alt- und Mittelhochdeutsch. S. 38) Inhaltsverzeichnis 22 23 Ebd. Ebd. 6 „Die Umschreibung der Bedeutung der abgeleiteten Wörter unter Verwendung der Bedeutung der zugrundeliegenden Wörtern“24 führt zu drei Bedeutungsspektren der schwachen Verben: 1. Die -jan-Verben ersetzen in vielen Fällen eine Umschreibung mit „machen“. Beispiel: „tränken“ = trinken machen. Verben mit dieser Bedeutungsverschiebung bezeichnet man als Faktitiva oder auch Kausativa. Faktitiva kommt vom lateinischen Wort „facere“, was machen bedeutet. 2. Die –ōn-Verben können häufig durch „versehen mit“ wiedergegeben werden. Beispiel: „loben“ = mit Lob versehen. Diese Verben bezeichnet man als Ornativa, was vom lateinischen Wort „ornare“ abgeleitet ist, und schmücken bedeutet. 3. Die -ēn-Verben werden oft mit „werden“ umschrieben. Beispiel: „heil werden“ = gesund werden. Diese Verben nennt man Inchoativa, das vom lateinischen „inchoare“ abgeleitet ist. Dieses Wort wird mit anfangen übersetzt, und bezeichnet den Beginn eines Prozesses. 2.3 Unterschied zwischen den schwachen Verben im Althochdeutschen und im Mittelhochdeutschen Der Vergleich zwischen den althochdeutschen und mittelhochdeutschen Flexionsformen der schwachen Verben „zeigt Abschwächungen der Nebensilbenvokale und Verkürzungen von Endungen“25. Diese Abschwächungen sind besonders bei den althochdeutschen Verben auf -ōn und auf -ēn der durchgehenden Langvokale –ō und –ē in den Endungen deutlich. Beispiel: salbōn er salbōt er salbōta salben salbet salb(e)te lebēn er lebēt er lebēta leben leb(e)t leb(e)te Inhaltsverzeichnis 24 Ebd. S.38 S. Rolf Bergmann / Peter Pauly: Alt- und Mittelhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte. 1993.S. 86 25 7 Abgeschwächt hat sich auch das -j- der jan-Verben zum zurückgehenden -i-. Das -j- ist bei den -jan-Verben zwar im Mhd. nicht mehr vorhanden, hat jedoch bei den umlautfähigen Stämmen im Infinitiv und Präsens einen Umlaut bewirkt. Im Präteritum hat die Stammform /j/ keinen Begleitvokal und wird im Germanischen zu -i- vokalisiert. „Diese Stammform –i- bleibt im Präteritum der kurzwurzligen jan-Verben zwischen der Wurzel und Dentalsuffix erhalten, und bewirkt dadurch einen Umlaut“26 Da bereits im Althochdeutschen das Suffix germ. –ja zu ahd. –e geworden ist und infolge der allgemeinen Endsilbenabschwächung im Mittelhochdeutschen auch ahd. –ô und –ê im Mhd. zum farblosen –e abgeschwächt sind, lässt sich die Einordnung der schwachen Verbklassen kaum noch unterscheiden. Diese Endsilbenabschwächung führt außerdem zu einer Veränderung der Klasseneinteilung. Die drei althochdeutschen schwachen Verbklassen auf –en, -ōn und –ēn fallen in einem Verbtyp mit –en im Infinitiv zusammen. Nur die rückumlautenden –jan- Verben, d.h. eine Unterklasse der ahd. schwachen Verben auf –en, bleiben im Mittelhochdeutschen von den übrigen Verben getrennt. Diese Untergruppe der -jan-Verben hat sich im Verhältnis zum Althochdeutschen durch die Durchsetzung des Umlautes im Präsens bei allen umlautfähigen Vokalen vergrößert. Dadurch gibt es im Mittelhochdeutschen bei relativ vielen Verben eine Parallele: kuste hôrte wânte gruozte troumte küssen hoeren waenen grüezen tröumen Im Neuhochdeutschen sind die Parallelen umgelauteter (tröumen) und nicht-umgelauteter Formen (troumte) vom Typ träumen – träumte in den meisten Fällen zugunsten des Umlautes ausgeglichen worden: träumen – träumte. „Nur bei einer kleinen Gruppe von Verben ist ein Nebeneinander von Umlaut -e im Präsens und nicht- umlautenden Vokal a im Präteritum im Neuhochdeutschen erhalten: kennen- kannte, rennen, wenden, senden“27. Inhaltsverzeichnis 26 27 S. Hilkert Weddige: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung.1996. S. 47-48. Rolf Bergmann / Peter Pauly S. 87 8 2.4 Die Einteilung der schwachen Verben im Mittelhochdeutschen Die erste Âventiure des Nibelungenlied enthält eine Vielzahl von Präteritumsformen, die in der Zuordnung zu ihren Infinitiven zwei Klassen besitzt, von denen eine wiederum zwei Unterklassen hat. „Klasse I der schwachen Verben hat im Präteritum denselben Wurzelvokal wie im Infinitiv und im Präsens“28: wonten gehört zu wonen diente gehört zu dienen sagete gehört zu sagen lebte leben gehört zu (Quelle: Rolf Bergmann und Peter Pauly: Alt- und Mittelhochdeutsch. S.85) Die beiden Unterklassen dieser Klasse unterscheiden sich voneinander, „ob zwischen dem Grundmorphem des Verbs und der Präteritalendung ein Bindevokal –e- steht oder nicht“29. Eine strenge Verteilungsregel gibt es nicht, allenfalls eine Tendenz: Demnach tritt nach kurzer Wurzelsilbe häufig der Bindevokal auf, während er nach langer Wurzelsilbe häufig fehlt. Beispiel: sag-e-te oder dien-te. Lange Wurzelsilben kommen vor, wenn der Vokal in der Wurzelsilbe ein Langvokal oder auch ein Diphthong ist (wie z.B. bei diente), und wenn die Wurzelsilbe auf mehrfache Konsonanz endet oder mehrsilbig ist. Die Formen lebeten oder woneten30 passen beispielsweise nicht zu dieser Regel, da man auch die besonderen Verhältnisse einer Versdichtung berücksichtigen muss. Die Klasse II der schwachen Verben hat im Präteritum einen umlautlosen Wurzelvokal, während hingegen im Infinitiv und im Präsens ein Umlaut vorkommt: tröumen – troumte. Diese Verben treten immer ohne Bindevokal auf. „Das Nichtauftreten des Umlautes im Präteritum umlautender schwacher Verben heißt Rückumlaut“31. Die schwachen Verben der Klasse II werden deshalb rückumlautende Verben genannt. Inhaltsverzeichnis 28 Ebd. S.85 Ebd. 30 Ebd. 31 Ebd. 29 9 Klasse I ohne Rückumlaut Infinitiv Präteritum Klasse II mit Rückumlaut mit Bindevokal ohne Bindevokal Ohne Bindevokal sagen sag-e-te dienen dien-te tröumen troum-te (Quelle: Rolf Bergmann und Peter Pauly: Alt- und Mittelhochdeutsch. S. 86) 2.5 Die Flexionsformen der schwachen Verben im Mittelhochdeutschen Die Flexion der schwachen Verben im Mhd. ist in beiden Klassen gleich. „Die Endungen des Indikativ Präsens stimmen mit den Endungen der starken Verben überein: -e, -est, -et, -en, -et, -ent“32. „Im Konjunktiv Präsens unterscheiden sich nur die Formen der 3. Person im Singular und im Plural vom Indikativ“33: 3. Pers. Sing. Ind. Präs. er leb(e)t - Konj. er lebe 3. Pers. Plur. Ind. Präs. sie lebent - Konj. sie leben Im Präteritum sind die Endungen der schwachen Verbformen im Indikativ und im Konjunktiv gleich: -te, -test, -te, -ten, -tet, -ten. 2.6 Bildung des Präsens der schwachen Verben Das Präsens der schwachen Verben wird, genau wie das der starken Verben, im Indikativ mit Primärendungen und im Optativ mit Sekundärendungen gebildet. „Ihrer Präsensbildung nach zerfallen die schwachen Verben ursprünglich in drei Klassen, der jan, ôn und ên-Verben, wobei dieser Unterschied im Mhd. größtenteils beseitigt ist“34. „Bei den -jan-Verben hat das j des stammbildenden Suffix´ bzw. das i einen Umlaut des Wurzelvokals im ganzen Präsens bewirkt, Inhaltsverzeichnis 32 Ebd. S.86 Ebd. 34 Vgl. Karl Helm: Abriss der Mittelhochdeutschen Grammatik. 1996. S.51 33 10 z.B. ich hoere, wir hoeren“35. Die ôn-, ên-Verben haben immer unumgelautete Formen, wie z.B. ich salbe, wir salben. Das Partizip Präsens und der Infinitiv sind dem starken Verb entsprechend gebildet. Präteritum: Sg. Pl. Indikativ: mhd. 1. salb-e-te 2. salb-e-test 3. salb-e-te 1. salb-e-ten 2. salb-e-tet 3. salb-e-ten ahd. salb-ô-ta salb-ô-tôst salb-ô-ta salb-ô-tum salb-ô-tut salb-ô-tun Sg. Sg. Konjunktiv: mhd. 1. salb-e-te 2. salb-e-test (usw. = Indikativ) ahd. 1. salb-ô-ti 2. salb- ô-tîst usw. (Quelle: Dr. Helmut de Boor/ Roswitha Wisniewski: Mittelhochdeutsche Grammatik. S.134) „Die Bildung des schwachen Präteritums mit einem Dentalsuffix ist eine Neuschöpfung des Germanischen“36. Damit wird das Dentalsuffix kennzeichnend für die Präteritalformen der schwachen Verben. Seine Entstehung ist nicht eindeutig geklärt, aber der Indogermanist Franz Bopp nahm bereits vor über 100 Jahren an, dass sich der präsentische Verbstamm mit der Präteritalform des idg. Verbs „tun“ zusammensetzt37 und durch die Enklise zum Präteritalsuffix geworden ist.38 Diese Annahme gilt auch heute noch als sehr wahrscheinlich. Inhaltsverzeichnis 35 S. Dr. Helmut de Boor/ Roswitha Winiewski: Mittelhochdeutsche Grammatik. 1998. S. 134 Ebd. 37 Vgl. Fritz Tschirch, S.71 38 Vgl. Günther Schweikle, S.180 36 11 3 Übungsaufgabe 3.1 Übungsaufgabe zu althochdeutschen Texten Bestimmen Sie die Klassen der schwachen Verben im Text Tatian 12,1-9 [Seminarmaterial 4-3(Ü)] mithilfe der Übersicht über die schwachen Verben [Seminarmaterial 4-2]. 3.2 Tatian 12,1-9 1. Ther kneht uuārlīcho vvuohs inti strangēta fol spāhidu, inti gotes geba uuas in imo, inti fuorun sīne eldiron giiāro in Hierusalem in itmālemo tage ōstrōno. 2. Inti mit thiu her uuard giuuortan zuelif iāro, in ūfstīgantēn zi Hierusalem after thero giuuonu thes itmālen tages, gifultēn tagun mit thiu sie heim vvurbun, uuonēta ther kneht Heilant in Hierusalme, inti ni forstuontun thaz sīne eldiron. 4. Uuard thō, after thrīn tagun fundun inan in themo temple sizzantan untar mittēn thēn lērārin, hōrantan thie inti frāgēntan. 5. Arquāmun thō alle thie inan gihōrtun ubar sīnan uuīstuom inti sīn antvvurti, inti sehente vvuntorōtun. 6. Thō quad sīn muoter zi imo: “sun, ziu tāti thū uns sō? ih inti thīn fater sērēnte suohtumēs thih.“ 7. Inti her quad zi in: “ uuaz ist thaz ir mih suohtut? 3. Uuāntun in uuesan in thero samantferti, quāmun eines tages uueg inti suohtun inan untar sīnen māgun inti sīnen kundon inti inan ni findanti fuorun uuidar zi Hierusalem inan suochenti. Inhaltsverzeichnis 12 3.3 Übersicht über die schwachen Verben im Althochdeutschen -jan Inf. Part. Präs. Part. Prät. Infinite Formen Finite Sing. 1. ih 2. dū For3. er men: Präs. Plur. 1. wir Ind. 2. ir 3. sie Präs. Sing. 1. ih 2. dū Konj. 3. er Plur. 1. wir 2. ir 3. sie Prät. Sing. 1. ih Ind. 2. dū 3. er Plur. 1. wir 2. ir 3. sie Prät. Sing. 1. ih 2. dū Konj. 3. er Plur. 1. wir 2. ir 3. sie Imp. Sing. 2. zellen suochen -ōn salbōn -ēn habēn zellenti suochenti salbōnti habēnti gizelit gisuochit gisalbōt gihabēt zellu zelis zelit zellemēs zellet zellent zelle zellēs zelle zellemēs zellēt zellēn zelita zelitōs zelita zelitun zelitut zelitun zeliti zelitīs zeliti zelitīmēs zelitīt zelitīn zeli suochu suochis suochit suochemēs suochet suochent suoche suochēs suoche suochemēs suochēt suochēn suohta suohtōs suohta suohtun suohtut suohtun suohti suohtis suohti suohtīmes suohtīt suohtīn suochi salbōn salbōs salbōt salbōmēs salbōt salbōnt salbōe salbōēs salbōe salbōēmēs salbōēt salbōēn salbōta salbōtōs salbōta salbōtun salbōtut salbōtun salbōti salbōtis salbōti salbōtīmēs salbōtīt salbōtīn salbo habēn habēs habēt habēmēs habēt habēnt habēe habēēs habēe habēēmēs habēēt habēēn habēta habētōs habēta habētun habētut habētun habēti habētis habēti habētīmēs habētīt habētīn habe UebungTatian Inhaltsverzeichnis 13 3.4 Das Nibelungenlied, 1. Âventiure39 Bestimmen Sie die Klassen der schwachen Verben im Textabschnitt aus dem Nibelungenlied mithilfe der Übersicht zu den schwachen Verben im Mittelhochdeutschen. 1. Uns ist in alten mæren von heleden lobebæren, von fröuden, hôchgezîten, von küener recken strîten […] 3. wunders vil geseit von grôzer arebeit, von weinen und von klagen, muget ir nu wunder hœren sagen. Der minneclîchen meide triuten wol gezam. ir muoten küene recken, niemen was ir gram âne mâzen schœne sô was ir edel lîp. der juncvrouwen tugende zierten ándériu wîp. 4. Ir pflâgen drîe künege Gunther unde Gêrnôt, und Gîselher der junge, diu frouwe was ir swester, 5. Die herren wâren milte, von arde hôhe erborn, mit kraft unmâzen küene, die recken ûz erkorn. dâ zen Búrgónden sô was ir lant genant. si frumten starkiu wunder sît in Étzélen lant. [...] 8. 9. edel unde rîch, die recken lobelîch, ein ûz erwelter degen. die fürsten hetens40 in ir pflegen. Die drîe künege wâren, als ich gesaget hân, von vil hôhem ellen. in wâren undertân ouch die besten recken, von den man hât gesaget, stárk únd vil küene, in scarpfen strîten unverzaget. Daz was von Tronege Hagene und ouch der brouder sîn, Dancwart der vil snelle, von Metzen Ortwîn, die zwêne marcgrâven Gêre und Ekkewart, Volkêr von Alzeye, mit ganzem ellen wol bewart. [...] 13. In disen hôhen êren tróumte Kriemhíldè, wie si züge einen valken, starc,scœ´n’ und wíldè, den ir zwêne arn erkrummen. daz si daz muoste sehen, ir enkúnde in dirre werlde leider nímmér gescehen. Inhaltsverzeichnis 39 40 S. Karl Bartsch und Helmut de Boor. S. 3 ff hetens ist zusammengezogen aus heten si 14 14. [...] 18. 3.5 Den troum si dô sagete sine kúndes41 niht besceiden “der valke, den du ziuhest, in welle got behüeten42, ir muoter Úotén. baz der gúotèn: daz ist ein edel man. du muost in sciere vloren hân.” Kriemhilt in ir muote sich minne gar bewac. sît lebte diu vil guote vil manegen lieben tac, daz sine wesse niemen, den minnen wolde ir lîp. sît wart si mit êren eins vil küenen recken wîp. Übersicht zu den schwachen Verben im Mittelhochdeutschen Infinitiv: hoeren Indikativ Konjunktiv Partizip Imperativ 4 1. 2. 3. 1. 2. 3. Präsens Präteritum Sg.ich hoere Pl.wir hoeren hôrte hôrten Sg.du hoerest Pl.ihr hoeret hôrtest hôrtet Sg.er hoeret Pl.sie hoerent hôrte hôrten Sg.ich hoere Pl.wir hoeren hôrte hôrten Sg.du hoerest Pl.ihr hoeret hôrtest hôrtet Sg.er hoere Pl.sie hoeren hôrte hôrten hoerende gehoeret, gehôrter Singular: hoere Plural: hoeret Lösungen 4.1 Zu Tatian 12, 1-9 Strophe 1,2: strangēta - 3. Person Singular Indikativ Präteritum des schwachen Verbs strangēn; Verbklasse: -ēn-Verben (wegen des Bindevokals ē). Strophe 2,6: uuonēta - 3. Person Singular Indikativ Präteritum des schwachen Verbs wonēn; Verbklasse: -ēn-Verben (wegen des Bindevokals ē). Strophe 3,1: uuāntun - 3. Person Plural Indikativ Präteritum des schwachen Verbs wānen; Verbklasse: -jan-Verben mit langer Wurzelsilbe (ohne Bindevokal). Strophe 3,3: suohtun - 3. Person Plural Indikativ Präteritum des schwachen Verbs suohhen; Verbklasse: -jan-Verben mit langer Wurzelsilbe (ohne Bindevokal). Inhaltsverzeichnis 41 42 kundes ist kontrahiert aus kunde es ‘Wenn Gott ihn nicht beschützt’ 15 Strophe 5,2: gihōrtun – 3. Person Plural Indikativ Präteritum des schwachen Verbs gihōren ; Verbklasse: -jan-Verben (ohne Bindevokale ). Strophe 5,3: vvuntorōtun – 3. Person Plural Indikativ Präteritum; Verbklasse: -ōn-Verben (wegen des Bindevokals ō). Strophe 7,2: suohtut – 2. Person Plural Indikativ Präteritum des schwachen Verbs suohhen; Verbklasse: -jan-Verben (ohne Bindevokal). UebungTatian 4.2 Zum Nibelungenlied 1. Âventiure Strophe 1,1: geseit - Partizip Präteritum des schwachen Verbs sagen: gesaget > kontrahiert zu geseit.. Strophe 1, 4: sagen – Infinitiv. Strophe 3,1: muoten – 3. Person Plural Indikativ Präteritum des schwachen Verbs muoten (begehren); verkürzt aus muo[te]ten. Strophe 3,4: zierten – 3. Person Plural Konjunktiv Präteritum des schwachen Verbs zieren (sich preisen, schmücken, verzieren), Bestimmung als Konjunktiv nicht an der Form erkennbar, aber aus dem Kontext zu entnehmen (,hätten [auch] andere Frauen geschmückt`). Strophe 5,3: genant – Partizip Präteritum des schwachen Verbs nennen (nennen, erwähnen). Strophe 8,1 u. 3: gesaget – Partizip Präteritum des schwachen Verbs sagen. Strophe 9,4: bewart – 3. Person Singular Präsens des schwachen Verbs bewarnen (acht geben auf, sorgen für, bewahren). Partizip Präteritum bewern Strophe 13,1: tróumte –3. Person Singular Indikativ Präteritum des schwachen Verbs troumen, tröumen (träumen). Strophe 13,3: muoste -3. Person Singular Indikativ Präteritum des schwachen Verbs müezen (müssen). Strophe 14,1: sagete – 3. Person Singular Indikativ Präteritum des schwachen Verbs sagen. Strophe 18,2: lebte – 3. Person Singular Indikativ Präteritum des schwachen Verbs leben (leben, erleben, sich benehmen). UebungNibelungenlied Inhaltsverzeichnis 16 5 Literaturverzeichnis Bartsch, Karl, Boor, Dr. Helmut de (Hg): Das Nibelungenlied. 22. Auflage. F.A. Brockhaus. Mannheim. 1988. Bergmann, Rolf; Pauly, Peter: Alt- und Mittelhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte. 4. Auflage/ bearbeitet von Rolf Bergmann und Claudine Moulin-Frankhänel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993. Boor, Dr. Helmut de; Wisniewski, Dr. Roswitha: Mittelhochdeutsche Grammatik. 10. Auflage in Zusammenarbeit mit Helmut Beifuss. Berlin/ New York: Walter de Grugter 1998. Helm, Karl: Abriß der mittelhochdeutschen Grammatik. 3. Auflage. Bearbeitet von Ernst A. Ebbinghaus. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1966. Schweikle, Günther: Germanisch-deutsche Sprachgeschichte im Überblick. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart. Sonderegger, Stefan: Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Diachronie des Sprachsystems. Band I Einführung – Genealogie – Konstanten. Walter de Gruyter Verlag. Berlin, New York. 1979. Theobald, Elke: Sprachwandel bei deutschen Verben. Flexionsklassenschwankungen starker und schwacher Verben.Gunter Narr Verlag. Tübingen. 1992. Tschirch, Fritz: Grundlagen der Germanistik. Geschichte der deutschen Sprache. I. Die Entfaltung der deutschen Sprachgestalt in der Vor- und Frühzeit. Erich Schmidt Verlag. Weddige, Hilkert: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. München: C.H: Beck 1996. Inhaltsverzeichnis 17