Die 3. Bayerischen Ornithologentage in Retzbach Die Benediktushöhe in Retzbach auf einem Felssporn hoch über dem Maintal – Lebensraum der Zippammer und Tagungsort für die 3. Bayerischen Ornithologentage vom 10. bis 12. Februar 2012. Foto: Ingolf Schuphan. Anschließend an die (zum ersten Male außerhalb Münchens abgehaltene) Ordentliche Mitgliederversammlung begrüßte am 10. Februar 2012 der 1. Vorsitzende der OG, Manfred Siering, die inzwischen zahlreich eingetroffenen Gäste. Dann folgte der Einführungs- und Abendvortrag Dr. Stephan Kneitz: Vögel im Großraum Würzburg – ein fotografischer Streifzug. Diese Einführung zeigte die Charakteristika Unterfrankens mit einer Vielzahl von Landschafts- und Vogelfotos verschiedener Autoren und informierte auch über die Organisation und die ornithologischen Aktivitäten in der Umgebung des Tagungsortes Retzbach. Einesteils sind Wasservögel in der eigentlich an Stillgewässern armen Gegend besonders auf den Lauf des Mains und seiner Altarme konzentriert, andererseits sind unter den Bewohnern der Weinbaulagen ornithologische Raritäten, z.B. die Zippammer. Allerdings erkennt man überall die "Modernisierung" der Weinberge durch die Flurbereinigung und weiß, dass viele ehemalige Habitate für Vögel damit verschwunden sind. Eine Zusammenfassung ist in der Zeitschrift „Der Falke“, Band 50, Heft 2 (2012), S. 66-71 erschienen. Am Morgen des 11. Februar folgte dann der erste Übersichtsvortrag: Dr. Einhard Bezzel: Faunenwandel? – Fünf Generationen Vogelbeobachtung in Bayern. Die Spezialität des Referenten sind langfristige Untersuchungen, und nur diese lassen auch Rückschlüsse auf die Gegenwart zu. In der Statistik müssen sorgfältig Null- und Fehlwerte unterschieden und berücksichtigt werden. In frühen vogelkundlichen Druckmaterialien wurden andere Methoden angewendet, als bei fortschrittlichen heutigen Informationsmedien. Im Zeitalter des Monitorings gilt es, Quantitäten in Bezug auf Raum und Zeit darzustellen. Messwerte der Biodiversität sind schließlich immer auf eine Fläche zu beziehen. Vor einem Jahrhundert noch kamen vogelkundliche Kenntnisse über die Jagdbeute. Die Darstellung von Brutvogelarten im Zeitverlauf spiegelt ganz deutlich allgemeine geschichtliche Ereignisse, z.B. Weltkriege, wider. Das Erscheinen des ersten vernünftigen Bestimmungsbuchs, des Peterson, kann man erkennen, auch eine größere Mobilität mit dem Auto und die wesentlich verbesserte Optik. Klimaänderungen mit kontinentaler Tendenz verändern das Spektrum der Wasservögel. Neozoen etablieren sich oder kommen immer häufiger vor. Offene Wasserflächen im Land haben zugenommen. Landwirtschaft, d.h. die so genannte Nutzfläche, spielt schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle. Seltenheiten werden immer besser dokumentiert und Erkenntnisse kommen häufig aus kleinen Regionalfaunen. Erstankunftsdaten von Zugvögeln zu sammeln, war lange beliebt, sie enthalten allerdings viele Täuschungsmöglichkeiten. Schließlich passen sich Vögel selber an, wie die Mönchsgrasmücke mit ihrem verändertem Zugverhalten beweist. Viele Einflüsse sind es, die bei der Entwicklung gültiger Zukunftsmodelle am Computer zu berücksichtigen sind, andererseits muss man sich davor hüten, solche Modelle als letzte Wahrheit anzusehen. Das Tagungsbüro lag bei Jürgen Weckerle in besten Händen. Foto: Helmut Rennau. Nach der Kaffeepause begann der nächsten Vortragsblock mit Dr. Hermann Stickroth: Die versunkene Vogelwelt des ungebändigten Lechs. Der Vortrag wurde angeregt durch zwei Bucherscheinungen in den Jahren 2010 und 2011: Eberhard Pfeuffer (Hg.) (2011): Der ungebändigte Lech. Eine verlorene Landschaft in Bildern Eberhard Pfeuffer (2010): Der Lech. - Wißner-Verlag, Augsburg: 184 S. Chronik der Erforschung der Lechvogelwelt: Johann Friedrich Leu (* 1808 in Augsburg; † 1882 ebenda), Kürschner, Tierpräparator, schrieb „Vögel Europas“ in 102 Bänden (handgeschrieben und eigenhändig illustriert!) ferner die erste Avifauna Schwabens (1855) mit Daten ab 1850 und unternahm Kahnfahrten auf dem Lech. Andreas Wiedemann (1824-1896), Lehrer, Konservator, schrieb die zweite Avifauna Schwabens (1890) und unternahm weitere Fahrten auf dem Lech (teilweise mit Leu). Anton Fischer (1876-1957), Postinspektor, Tierpräparator, „Lehrer“ von Eugen Schumacher; sein Sohn Heinz Fischer verwaltete das Vermächtnis seines Vaters, insbesondere über 900 Bilder des alten Lechs (6x6 cm Format, teilweise Papierabzüge), die auszugsweise in diesem Vortrage gezeigt wurden (Rechte: Stadt Königsbrunn). Fischer gab die „Tierwelt Schwabens“ heraus (v.a. Wirbellose), Dissertation über die Mertinger Höll. unternahm unzählige Kahnfahrten auf dem Lech (siehe Foto unten mit Schnauzbart; aus „Aus meinem Leben“, 17. Ber. der Naturf. Ges. Augsburg, S. 84-130, 1964 posthum); sammelte dabei zahllose Eier aller angetroffene Arten. Der Lech wurde, wie nahezu alle unsere Flüsse im 19. und 20. Jahrhundert „reguliert“, also den menschlichen Bedürfnissen angepasst, gezähmt, seiner Dynamik beraubt, erst begradigt, dann Staustufenausbau. 1852 - 1889: nördlich von Augsburg 1863 - 1937: südlich von Augsburg ab Landsberg am Lech 1898: Bau des Gersthofener E-Werks und des Lechkanals 1906 bis Langweid, 1920 bis Ellgau verlängert 1907: Seitenkanalkraftwerk Kinsau 1911: Hochablass Augsburg 1940 - 50 Staustufen 7 Schongau bis 15 Landsberg 1950 – 1954: Forggensee Lst1 1952 – 1960: Staustufen nördlich von Augsburg bis Lechmündung 1960 – 1971: Staustufen 2 bis 6 (südlich Schongau), Staustufe 5 (Litzauer Schleife) ausgespart 1973-1984: Staustufen 18-23 (zwischen Landsberg und Augsburg) Brutvögel der Kiesbänke: Flussseeschwalben (†1979) Leu (1955): Gemein auf unseren Flüssen, auch unterhalb Augsburg Wiedemann (1890): gesammelte Eier: 1861 50, 1862 110, 1863 58, 1864 60 Rotschenkel (†1930) Leu: „Einer unserer gemeinsten Wasserläufer; sehr häufig an Lech und Wertach.“ Anton Fischer (1926): „1910 fand ich 10 Gelege“, bevorzugt in Flussseschwalbenkolonien Flussregenpfeifer heute im Restlech und auf Inseln der Stauseen, unterhalb Augsburg Ruhezonenkonzept ab 2003 mit nur geringem Erfolg. Problem: Badegäste! Lachmöwe um 1900 mehrere Tausend BP, †1931 Lachseeschwalbe Fischer (1926): zu Leu’s Zeiten viele Hundert, oberhalb und unterhalb von Augsburg, z.B. 1855 Lachseeschwalbe unterhalb Gersthofen ca. 40 Paare (Wiedemann 1890) 1857 L. 70 Eier bei Siebenbrunn, 1860 40 Eier, 1861 91 Eier (Wiedemann 1890) 1884 50 BP oberhalb Siebenbrunn (Wiedemann 1890) Nahrungsflüge der Lachseeschwalbe in die Haiden des Lechfeldes: kein Fischfresser, sondern Insekten, Eidechsen, Wühlmäuse (Fischer 1926) †1932, mind. bis 1937 weitere Beobachtungen aber keine Brutnachweise Bestandsentwicklung der Lachseeschwalbe am Lech Triel (†1936) bis zu 4 BP pro 10 km Birkhuhn vom Donautal hoch bis vor die Tore Augsburgs: Birkhühner, letzte Brutnachweise in der Meringer Au südl. von Augsburg 1925 und im Lechhauser Moor östlich von Augsburg 1933, zu dieser Zeit in der Mertinger „Höll“ und angrenzendem Donauried noch „überall“, wo noch Riede sind, fehlt auch das Birkhuhn nicht“ (H. Fischer 1936), Lech abwärts im Landkreis Augsburg zuletzt 1959 bei Druisheim „kollernd“, 1960 Meliorisierung und ex, in der „Höll“ zuletzt am 9.4.1967 (Beobachtung) Sumpfohreule bei Augsburg †1925, Nördlicher Lech †1960 Lechbegleitende Lebensräume: Lechhaiden, Ersatzlandschaft für wärmeliebende Kiefer-Eichenwälder (verschwunden), heute noch lichte Schneeheide-Kiefernwald oder mit offenen Bereichen; früher Lebensraum von Raubwürger und Ziegenmelker; die Raubwürger wurden durch den Staustufenbau verdrängt. Ziegenmelker: Mitte des 19.Jh „ziemlich häufig in den Wäldern und Anlagen um die Stadt Augsburg“, seit über 100 Jahren ausgestorben Heidelerche: seit 1980er mehrfach singend im Lechfeld, frühere Brutnachweise??? Unterer Lech: Raubwürger †1983 Ziegenmelker † (Autorreferat). Armin Vidal, (Richard Schlemmer und Albrecht Klose): Die Avifauna der Stadt Regensburg im Wandel der letzten drei Jahrzehnte. 2008 führte die OAG Ostbayern unter Federführung von R. Schlemmer eine Revierkartierung der Brutvögel der Stadt Regensburg durch. Die Ergebnisse dieser Erhebung werden mit der Rasterkartierung von F. Leibl aus dem Jahr 1982 verglichen. Dazu werden zunächst die Veränderungen innerhalb des unverändert 81 km² großen Stadtgebietes von Regensburg in den vergangenen Jahrzehnten dargestellt. Am augenfälligsten ist der Rückgang der Agrarflächen um ein Drittel. Neben der überbauten Fläche haben aber auch Wald- und Wasserflächen zugenommen. Im Weiteren wird dargestellt, wie sich die Brutvogelfauna der Stadt gewandelt hat. Es werden Artenzahl (98 gegenüber 96) und Artenspektrum (10 Arten verschwunden, 12 neu) verglichen und einer Analyse unterzogen. Es zeigt sich u.a. dass vor allem Langstreckenzieher vom Rückgang betroffen sind und dass die Brutvögel der Agrarlandschaft starke Einbußen erleiden. Andererseits wandern Rabenvögel, Greifvögel und Falken verstärkt in die Stadt ein, ebenso Wasservögel. Die Verstädterung der Ringeltaube schreitet weiter voran und die Spechte sind im Aufwind. Im Ausblick wird auf den weiteren Planungsdruck auf die verbliebene Agrarfläche und ungenutzte Sonderflächen (wie. z.B. das Klärteichgebiet Irl) hingewiesen, aber auch auf positive Überraschungen, wie die Etablierung einer Nachtreiherkolonie hart an der Stadtgrenze (Autorreferat). Thomas Rödl: Brutvögel in Bayern: Ergebnisse, Probleme und Chancen von ADEBAR & Co. Erfassungsmethodik und Darstellungsweisen von Areal und Bestand bayerischer Brutvogelarten entwickelten sich im Laufe der Zeit weg von rein anekdotischen Hinweisen früher Ornithologen über die ausführliche Chronik der Avifauna Bavariae von Walter Wüst bis hin zu GIS-basierten Verbreitungsatlanten auf Rasterbasis. Ein Vergleich der Ergebnisse aus den letzten zwei Atlaskartierungen soll exemplarisch aktuelle Veränderungen unserer Vogelwelt aufzeigen und dabei auch hinterfragen, wie sehr methodische Unterschiede auf die Ergebnisse und deren Interpretation Einfluss nehmen können (Autorreferat). Die Bücherstände fanden wie immer lebhaften Anklang. Foto: Helmut Rennau. Nach der Mittagspause fand die Exkursion zum Benediktusberg statt. Überfüllte Straßen auf der Retzbacher Benediktushöhe beim Aufbruch zur Exkursion. Foto: Robert Pfeifer. Erwartungsvolle Exkursionsteilnehmer auf dem Weg zum Benediktusberg. Foto: Helmut Rennau. Die Weinberge und Steppen-Kiefernwälder der Mainhänge waren Ziel der Exkursion. Foto: Robert Pfeifer. Trotz eisiger Temperaturen bot die Exkursion Gelegenheit zu lebhaften Diskussionen. Von links: Lothar Kranz, Claudia Pürckhauer, Hermann Stickroth. Foto: Robert Pfeifer. Manfred Siering und Einhard Bezzel (von links). Foto: Robert Pfeifer. Am Nachmittag des 11. Februar standen die Ammern im Mittelpunkt, die in Unterfranken mit mehreren gefährdeten Arten vertreten sind (von links: Manfred Siering, Vorsitzender der OG Bayern; Robert Endres, LBV-Kreisvorsitzender Kitzingen; Robert Pfeifer, Generalsekretär der OG Bayern; Dr. Stephan Kneitz, Vorsitzender der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Unterfranken II im Naturwissenschaftlichen Verein Würzburg e.V.). Foto: Peter M. Pillich. Wolfgang Dornberger: Biologie der Goldammer in Hohenlohe-Franken. Von 1975 bis 2011 wurde die Bestandsentwicklung der Goldammer auf einer 200 Hektar großen Untersuchungsfläche, Gemeindegebiet von Niederstetten, Main-Tauber-Kreis, Nordwürttemberg untersucht. Die Siedlungsdichtewerte liegen zwischen 2,7 und 4,1 Reviere/10 ha. Revierbesetzung ab Mitte Februar; verstärkt ab Mitte März. Die Fortpflanzungsperiode erstreckt sich über sechs Monate(Anfang April bis Mitte September). Hauptbrutzeit in den Monaten Mai bis Juli. Zwei Jahresbruten mit bis zu fünf Nestbaubeginnen. Als Neststandorte dienen überwiegend dornentragende Gehölze. Neststandshöhe im Mittel 61,4 am, Vegetationshöhe 82,8 cm. Nestbauphase vom 2.April bis 6. August. Legebeginn vom 11.April bis zum 15. August. Vollgelege von 1 bis 6 Eier. Im Mittel 3,91.. Mittelwert ausgeflogener Jungvögel 3,26. Die Schlüpfrate betrug 56,3%, der Bruterfolg 38,6%. Verluste durch Witterung, Prädatoren und menschliche Einflüsse. Beringung von Nestlingen und adulten Vögeln. Ein Goldammermännchen wurde im achten Lebensjahr kontrolliert. Erfassung der Großgefiedermauser. Beobachtungen zur Paarbildung, Nahrungserwerb und Winterökologie (Autorreferat). Dr. Manfred Lang: Leben mit der ökologischen Falle – die Grauammer in Franken. Die Grauammer ist in ihrem fränkischen Brutgebiet - neben Ortolan, Schafstelze und Feldlerche - der Gilde „Bodenbrütende Singvögel der Ackerlandschaft“ zuzuordnen. Brutökologisch unterscheidet sie sich von den drei Vergleichsarten aber dadurch, dass ihre Nester mehrheitlich nicht in direktem Bodenkontakt oder gar eingemuldet, sondern mehrere Zentimeter bis zu einem halben Meter hoch in der Vegetation verankert sind. Voraussetzung dafür ist ein weiter fortgeschrittenes Wachstumsstadium der Feldfrucht, mit der Konsequenz eines erhöhten Risikos für Brutverluste durch Mahd. Insbesondere führt der ausgeprägte Habitat-Schwerpunkt Grünland bei den ersten Jahresbruten zum Totalausfall nahezu sämtlicher Bruten an diesen Standorten. In den Jahren 2007 und 2008 befanden sich auf 100 qkm Steigerwald-Vorland östlich Kitzingen mindestens 90% der im Mai kartierten Brutreviere (N=182) im Grünland, davon knapp die Hälfte in Luzerne! Dies trotz des geringen Grünland-Flächenanteils im LKr Kitzingen von derzeit unter 10%. Brutökologische Daten aus den Jahren 1990 bis 1997 ergeben folgendes Bild: Die Population reproduziert sich weitgehend durch die zweite Brutwelle mit Schwerpunkt in der zweiten und dritten Junidekade, zu knapp 80% in Winterweizen. Die immensen Mai-Verluste lassen darauf schließen, dass es sich im Juni vorwiegend um Ersatzbruten handelt, nur in Einzelfällen ließen sich Zweitbruten wahrscheinlich machen (nestbauende Weibchen, die von fast flüggen Jungvögeln angebettelt wurden). Auch die späten Weizenbruten kommen gefährlich nahe an den Erntetermin heran. Wintergerste spielte in der Akzeptanz merkwürdigerweise (und glücklicherweise, wegen der besonders frühen Mahd) eine vernachlässigbare Rolle. Bei den Erbsenfeldern deutet sich - gemessen am verschwindend geringen Flächenanteil - eine mit der Luzerne vergleichbare Attraktivität für die Grauammern an. Die fast undurchdringliche Struktur sowie die späte Ernte gewährleisten hier - im Gegensatz zur Situation in Luzerne - eine Kombination aus hervorragender Akzeptanz und minimalem Verlustrisiko. Ähnliches lässt sich für die (noch selteneren) Phaceliafelder vermuten. Mit dem Habitat-Dilemma mussten die fränkischen Grauammern wohl seit jeher zurecht kommen. Mit der fortschreitenden Verödung der Flur gelingt ihnen das offenbar weniger gut: Auf einer 5,1 qkm großen Probefläche SE Willanzheim ergaben sich im Zeitraum von 15 Jahren folgende Veränderungen: 1993: 389 Parzellen (1,3 ha/Parzelle); mindestens 41 sM (8-10 sM/qkm), 21 Nestfunde + 8x Brutverdacht. 2008: 130 Parzellen (3,9 ha/Parzelle); 17-20 sM (3-4 sM/qkm). Die fortschreitende Verfrühung der Mähreife beim Grünland berechtigt zu der Überlegung, inwieweit durch möglichst weite Vorverlegung der Mahd die Grünland-Bruten verhindert werden könnten. Es ist aber fraglich, ob solche Standorte dann auf Dauer noch akzeptiert werden. Paradoxe Frage: Gibt es ein Überleben der Population ohne die ökologische Falle? (Autorreferat). Dr. Manfred Lang berichtete über die Grauammer und ihre Überlebenschancen in der Agrarlandschaft. Foto: Rainer Jahn. Claudia Pürckhauer und Dagmar Kobbeloer (Ulrich Lanz und Julia Schwandner): aturschutzbezogene Grundlagenforschung am Ortolan in Mainfranken: Bestandsentwicklung und Schutzstrategien. Der Bestand des Ortolans ist in den letzten Jahrzehnten in Bayern dramatisch geschrumpft. In Mainfranken befindet sich das letzte geschlossene Vorkommen dieser Vogelart in Süddeutschland. Eine wichtige Ursache für den Rückgang des Bestandes ist die Veränderung des Lebensraumes. Der Ortolan besiedelt bevorzugt kleinräumig strukturierte Agrarlandschaften mit Streuobstbereichen, Hecken oder Waldrändern, die das Männchen zur Besetzung von Singwarten nutzen kann. Die Nester befinden sich überwiegend in Getreidefeldern. Im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt gewinnt der LBV im Rahmen des „Artenhilfsprogrammes Ortolan“ zahlreiche Landwirte für verschiedene gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Eignung des Lebensraumes, z.B. für den extensiven Getreideanbau mit verringerter Ansaatdichte. Aber wird diese Strategie das Aussterben des Ortolans in Bayern noch verhindern? Erste Ergebnisse aus dem begleitenden Forschungsprojekt, welches interessante Ergebnisse verspricht, werden auf der Tagung vorgestellt (Autorreferat). Prof. Dr. Ingolf Schuphan: Die Zippammer, Wärme liebend und doch Sturm und Kälte trotzend. Seit seiner Jugend hat sich der Referent mit dieser in Deutschland nur lückenhaft verbreiteten Vogelart wissenschaftlich beschäftigt. Die Lage des Tagungsortes Retzbach inmitten eines bekannten Zippammer-Vorkommens auf den südwärts geneigten Weinbauflächen bzw. am Fuße der Muschelkalk-Steilhänge machte dieses Thema aktuell. Auf einer kleinen Exkursion in der Mittagspause bekamen wir einen Eindruck vom Lebensraum der Zippammer. Als Untersuchungsmethode wendete der Referent die Farbberingung an, gefangen wurden die Vögel mithilfe der Klangattrappe. Es ist möglich, dass die in Deutschland fragmentierte Verbreitung der Zippammer, die z.B. auch kleine Gebiete in den Alpen besiedelt, Ausdruck verschiedener Metapopulationen ist. Und ob diese miteinander in genetischem Austausch stehen, ist derzeit ein Untersuchungsziel. Nach der Abendpause folgte der öffentliche Abendvortrag von Dr. Richard Zink: Die Rückkehr ausgestorbener Großvogelarten durch Auswilderung: Bartgeier und Habichtskauz. Der Bartgeier ist ein Vogel der Superlative. Die Möglichkeit, Knochen als Nahrung zu nutzen, ist fast einzigartig in der Tierwelt. In den Alpen wird bereits ab Dezember gebrütet. Beutetiere durch Lawinen stehen während der Wintermonate reichlich zur Verfügung. Warum sich die eigentlich weißen Bartgeier aktiv mit Eisenoxyd-Böden einfärben, weiß man noch nicht genau. Um den Bartgeier wieder anzusiedeln, wurden für das Nachzuchtprogramm ursprünglich 47 Gründertiere ausgesucht. Mittlerweile haben sich in den Alpen und Pyrenäen die Populationen stabilisiert. Gefährlich sind Reste von Bleimunition in Beutetieren, weil sie im Bartgeiermagen in Lösung gehen und zur akuten Vergiftung führen. Unberechenbar sind Windkraftanlagen und überhaupt die Verdrahtung der Landschaft. Schließlich gibt es auch direkte Störungen am Brutplatz. Für die Wiederansiedlung des Habichtskauzes wurde von Wolfgang Scherzinger 1973 ein Zuchtnetzwerk aufgebaut. Die zuvor an Lebendfutter gewöhnten Jungtiere werden nach dem 4. Lebensmonat langsam freigelassen. Dann bietet man Nistkästen an, um damit die Tiere und ihr Schicksal technisch (z.B. Ringe mit RFID-Technologie) zu kontrollieren. Sowohl beim Bartgeier, als auch beim Habichtskauz sind die Bestandstrends viel versprechend. Nach der Diskussion wurden die Teilnehmer in die nächtlichen Nachsitzungen entlassen. Am Sonntag, den 12. Februar 2012 begann das Vortragsprogramm pünktlich um 9.00 Uhr mit dem zweiten Übersichtsvortrag: Thomas Gottschalk: Klima oder Landnutzungswandel – was beeinflusst die zukünftige Verbreitung und Population der Brutvögel Deutschlands? Mehr und mehr wird versucht, mit Computermodellen, in denen komplexe Einflussgrößen (ADEBAR-Daten, Klimadaten, Verwaltungsdaten) verarbeitet werden, einen Blick in die Zukunft zu werfen bzw. überhaupt erst die Gegenwart zu verstehen. Eindimensionale Modelle verzerren und verfälschen viele Probleme. Die Biodiversität wird negativ vor allem durch die Zerstörung der bisherigen Form der Landnutzung beeinflusst: Verkehrsflächen nehmen zu; 22.000 Windenergie-Anlagen sind entstanden; auf 18% der Ackerfläche wird Energiemais angebaut. Kurz: der Stromverbrauch ändert maßgeblich die Landschaft. Aber natürlich gibt es auch unübersehbare Klimaänderungen, z.B. Extrem-Wetterlagen. Für Zugvögel müssen auch neue Verhältnisse in den Überwinterungsgebieten ins Kalkül kommen, bzw. sie sind leider oft unkalkulierbar. Fazit: sowohl die Änderung der Landnutzung bei uns, als auch Klimaänderungen beeinflussen am stärksten die Populationen unserer Brutvögel. Nach der Kaffeepause leitete Armin Vidal den letzten Vortragsblock ein. Markus Unsöld (links) und Dr. Einhard Bezzel im Pausengespräch. Foto: Helmut Rennau. Dirk Tolkmitt (Patrick Franke und Detlef Becker): Bestandstrends und Lebensraumwahl des Wendehalses in Mitteldeutschland. Aufgrund der geringen Siedlungsdichte und artspezifischer Erfassungsprobleme wird der Bestand des Wendehalses Jynx torquilla mit keinem der existierenden Monitoring-Programme zuverlässig ermittelt. Im Jahr 2007 wurde deshalb in Sachsen-Anhalt ein spezielles Programm für die Art gestartet, das auf der Erfassung von Bruten in Nistkastenrevieren basiert. Als Bestand der Kontrollflächen gilt dabei die Summe der in Nistkästen gefundenen Erstbruten. Für insgesamt sieben Kontrollflächen, die zwischen zwei und vier Prozent des Landesbestandes der Art beherbergen, liegen Daten der letzten zehn Jahre vor. Sie belegen die schon aus der Literatur bekannten, teilweise starken jährlichen Schwankungen der Bestandsgröße. Bei einer Berechnung mit TRIM ergibt sich über die Jahre ein nicht signifikanter Trend von -1 %; der Bestand ist also stabil. Das bedeutet allerdings nicht, dass es an Entwicklungen und kleinräumigen Trends fehlte. Vielmehr zeigen sich etwa bei der Habitatwahl massive Verschiebungen der Verbreitungsschwerpunkte hin zu anthropogen stark beeinflussten Flächen wie Truppenübungsplätzen, Bergbaufolgelandschaften oder Industriebrachen. Das belegen auch die vorzustellenden Bestandserfassungen im Ballungsraum Leipzig, wo in den Jahren 2010 und 2011 auf 300 km2 Untersuchungsfläche jeweils mehr als 40 Reviere gefunden werden konnten. Diese liegen im Schwerpunkt zwar in der Bergbaufolgelandschaft, zum Teil aber auch in innerstädtischen Bereichen, wo brachliegende Bahn- und Gewerbeflächen besiedelt werden. Der Bestand der Art im Ballungsraum Leipzig hat sich in den letzten 20 Jahren offenbar mehr als verdreifacht (Autorreferat). Susann Janowski: Die Populationsgenetik birgt außerordentliche Möglichkeiten für den Vogelschutz – Perspektiven am Beispiel der Wiesenweihe. Die Populationsgenetik hat sich mittlerweile fest im modernen Artenschutz etabliert. Durch genetische Untersuchungen mit hoch variablen, genetischen Markern ist die Erforschung von Ökologie und Demographie verschiedener Arten maßgeblich vorangetrieben worden. Abgeleitet aus der Kriminalistik, lassen sich Identitäts- und Vaterschaftsnachweise nicht nur bei Menschen durchführen, sondern auch bei Tieren. Daher bieten DNA-Analysen ganz neue und viel versprechende Perspektiven für den gezielten Artenschutz. Sehr umfangreiche genetische Untersuchungen werden aktuell für eine deutsche Wiesenweihenpopulation in Angriff genommen. Kaum eine andere Greifvogelart in Deutschland ist heute so sehr von gezielten Artenschutzmaßnahmen abhängig, wie die Wiesenweihe Circus pygargus. Die fast ausschließlich in Getreidefeldern angelegten Bruten müssen fast immer vor Erntearbeiten geschützt werden, da die Jungen zum Mahdzeitpunkt i.d.R. noch nicht flügge sind. Durch ein Schutzprogramm im bayerischen Mainfranken befindet sich dort eine besonders produktive Population. Dank der hervorragenden Zusammenarbeit zwischen Vogelschützern und Landwirten zählt sie sicherlich als eine der wichtigsten deutschen Populationen. Um dieses Brutvorkommen dauerhaft zu erhalten und den sehr aufwendigen Nestschutz durch nachhaltigere, effektivere Schutzstrategien abzulösen, sind genaueste Kenntnisse über die Brutbiologie der Wiesenweihen erforderlich. Basierend auf einer weltweit einmaligen Datengrundlage aus Blut- und Federproben von Jungvögeln, die seit dem Jahr 2000 systematisch gesammelt werden, sowie der Blutgewinnung von adulten Brutweibchen, sollen bislang ungeklärte Schlüsselfragen gelöst werden. Über die Erstellung von Lebensläufen werden nicht nur spannende Einblicke in das Leben der Wiesenweihen erfolgen, sondern neu Kenntnisse zur Brutbiologie, zu Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der mainfränkischen Population, zu Rückkehrraten von Jung- und Altvögeln, sowie hinsichtlich der Vernetzungen mit benachbarten Wiesenweihenvorkommen, erlangt werden (Autorreferat). Gerhard Fischl: Der Einfluss menschlicher Störung auf die Territorienwahl und Stressbelastung bei Haselhühnern. Auf vorausgegangenen Stress durch Störungen, z.B. Freizeitaktivitäten, konnte man bei Auerhühnern durch Untersuchung von Kotproben rückschließen. Bei dieser Methode werden CorticosteronAbbauprodukte als Stress-Marker analysiert. Vom Haselhuhn war nichts über Reaktionen auf verschiedene Arten und Grade von Störungen bekannt, weshalb man die beim Auerhuhn bewährte Methode auch auf dieses kleinere Raufußhuhn anwendete. Wie der Referent darlegen konnte, erlaubten seine Untersuchungsergebnisse zum Glück beim Haselhuhn keine Rückschlüsse auf kalkulierte Störungsgrade. Auch die normale Forstwirtschaft wird offensichtlich toleriert. Abschließend bedankte sich der 1. Vorsitzende der OG, Manfred Siering, beim örtlichen Organisator, Dr. Stefan Kneitz mit einem Buchpräsent und schloss die Tagung. Nach dem Mittagessen traten die Teilnehmer hochzufrieden – wie die Auswertung des Tagungsechos zeigte – die Heimreise an. Die 4. Bayerischen Ornithologentage werden 2014 in Oberbayern stattfinden. Robert Pfeifer, Helmut Rennau Manfred Siering (links) bedankt sich beim örtlichen Organisator Dr. Stephan Kneitz für die hervorragende örtliche Organisation der Tagung. Foto: Helmut Rennau. Blick vom Benediktusberg über das Maintal und Zellingen. Foto: Helmut Rennau.