1 > Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – 2 Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 3 4 Wörter: ca. 26‘000 Zeichen (inkl. Leerschläge – erlaubt max. 24‘000); Unterstrichen: Glossarbegriffe 5 6 Sonia Angelone, Roland Fäh, Armin Peter, Christoph Scheidegger, Anton Schleiss 7 8 Die Fliessgewässer sind in den letzten Jahrhunderten durch die intensive menschliche Nutzung 9 weltweit stark verändert worden. Die nachteiligen Auswirkungen auf die Ökologie sind so vielseitig, 10 dass Fliessgewässer heute zu den gefährdetsten Ökosystemen zählen. Diese Merkblattserie fasst 11 Ergebnisse des Forschungsprojekts „Flussgebietsmanagement“ (Eawag, WSL, LCH, VAW) in 12 praxisorientierter Form zusammen, so dass diese bei der Planung und Umsetzung von 13 Revitalisierungsprojekten und wasserbaulichen Projekten einbezogen werden können.f. 14 15 Titelbild 16 17 Verändertes Abflussregime 18 Die Dynamik der meisten Fliessgewässer wurde in der Schweiz durch 19 Hochwasserschutzverbauungen und andere Infrastrukturanlagen wie Kraftwerke stark reduziert. Dabei 20 bildet die Energiegewinnung in rund 1600 Wasserkraftzentralen mit etwa 55% der Hauptpfeiler der 21 Schweizer Stromversorgung (Abb. 1). Problematisch sind dabei vor allem Speicherkraftwerke, die 22 Wasser von Stauseen über längere Triebwassersysteme umleiten und den Wasserhaushalt eines 23 Einzugsgebietes wesentlich verändern. Es entstehen Restwasserstrecken, deren Abflüsse oft unter 24 dem natürlichen Pegelstand liegen und den landschaftlichen Wert und die ökologische 25 Funktionsfähigkeit der Fliessgewässer beinträchtigen. Das im Speicher zurückgehaltene Wasser wird 26 zu Zeiten des höchsten Strombedarfes turbiniert und in die Fliessgewässer eingeleitet, was zu 27 künstlichen Abflussspitzen führt. Die Folge sind unnatürliche, sich abwechselnde Schwall/Sunk- 28 Erscheinungen, die regelmässig und mit hoher Frequenz auftreten (Abb. 2). Der Abfluss steigt und 29 sinkt dabei sehr viel schneller als bei einem natürlichen Hochwasser und durch den unvorhersehbaren 30 Abflusswechsel bleibt den Lebewesen wenig Möglichkeit zur Anpassung. Folglich werden sie bei 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 31 Schwall regelmässig weggeschwemmt oder stranden bei Sunk an trockengelegten 32 Flachuferbereichen. Die negativen Folgen vom Schwall/Sunk-Betrieb betreffen rund 25% der mittleren 33 und grösseren Fliessgewässer und sind teilweise bis weit unterhalb der Speicherkraftwerke 34 bemerkbar. Statt ausschliesslich und ausführlich auf Schwall-Sunk einzugehen -> weitere 35 Auswirkungen der Wasserkraftnutzung kurz ansprechen: Restwasserstrecken (auch ohne S-S), 36 Fragmentierung durch Wehre und Restwasserstrecken, Geschiebedefizit v.a. durch Kraftwerke in 37 grossen Gewässern, Veränderung der natürlichen Fliessdynamik (Aare, Hochrhein = Abfolge von 38 Staustufen von Flusskraftwerken). 39 40 Naturferne Gewässermorphologie, fehlende Dynamik, gestörte Vernetzung 41 Im Mittelland wurden zahlreiche Massnahmen getroffen, um Landflächen für die Landwirtschaft zu 42 gewinnen und Siedlungen vor Hochwasser zu schützen. Die Massnahmen beinhalteten hauptsächlich 43 die Kanalisierung und Verbauung von Flüssen oder die Trockenlegung und Eindolung von Wildbächen 44 (Abb. 3). Dadurch gingen rund 90% der Auenflächen verloren und die vielfältigen Uferstrukturen 45 wurden zerstört. Um die Flussbetteintiefung und die Flusssohlenerosion zu vermeiden, sind innerhalb 46 begradigter Strecken unzählige Abstürze und Schwellen unterschiedlicher Höhe eingebaut worden 47 (Abb. 4). Auch die Einmündungen von Seitengewässern sind für ähnliche Zwecke kanalisiert und mit 48 Abstürzen ausgestattet worden. Heute weisen nur noch etwa 15% der Schweizer Fliessgewässer 49 einen naturnahen, dynamischen Zustand auf und landesweit zählen sich rund 100’800 künstliche 50 Querbauten mit einer Höhe von über 50 cm. Querbauten stellen einschneidende Wanderhindernisse 51 für die aquatische Fauna dar und unterbinden die ökologisch unerlässlichen Funktionen der 52 Vernetzung. 53 54 Fazit: Wasserbauliche Eingriffe haben die Fliessgewässer in morphologisch monotone und ökologisch 55 verarmte Gerinne mit wenig Spielraum für natürliche, dynamische Veränderungen verwandelt. 56 57 Neuorientierung im Hochwasserschutz 58 Die Häufung extremer Hochwasserereignisse ab 1987 haben deutlich gezeigt, dass der 59 ungenügenden Fliessgewässerraum der Schweiz mit zunehmender Besiedelung eine Bedrohung für 60 die Sicherheit der Bevölkerung darstellt. Gerade in eingeengten, kanalisierten Gerinnen erhöht sich 61 der Abfluss schneller und dadurch verschärfen sich die Hochwasserspitzen im Unterlauf der 2 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 62 Gewässer. Wenn zu wenig Rückhalteflächen zur Verfügung stehen, bahnt sich das heranströmende 63 Wasser seinen eigenen Weg – mit fatalen Folgen in dichten Siedlungsgebieten (Abb. 5). Die Häufung 64 von Extremereignissen zwangen die Akteure, die Nutzung der Gewässer grundsätzlich zu überdenken 65 und neue Strategien im Hochwasserschutz zu entwickeln. Dies führte zur Einsicht, dass 66 Fliessgewässer mehr Raum und eine ökologische Aufwertung benötigen. Somit gingen neue 67 Hochwasserschutzprojekte immer häufiger mit Flussrevitalisierungen einher und dadurch sind 68 zahlreiche Flussaufweitungen entstanden (Abb. 6). 69 70 Rechtlicher Rahmen 71 1991 ist das revidierte eidgenössische Gewässerschutzgesetz in Kraft getreten (SR 814.20 GSchG). 72 Es bezweckt neben der Reinhaltung der Gewässer die Sicherung angemessener Restwassermengen 73 und die Verhinderung und Behebung anderer nachteiliger Einwirkungen auf Gewässer. Wie das 74 Gewässerschutzgesetz fordert auch das Wasserbaugesetz (SR 721.100 WBG), dass wasserbauliche 75 Eingriffe in die Gewässer naturnah ausgeführt werden müssen (Art. 37 GSchG, Art. 4 WBG). Für den 76 Vollzug dieser Bestimmungen sind die Kantone verantwortlich. Die unbefriedigende Situation in 77 verschiedenen Bereichen des Gewässerschutzes veranlasste den Schweizerischen Fischereiverband 78 SFV, im Sommer 2006 die Initiative „Lebendiges Wasser“ zu lancieren. Auf Initiative der 79 ständerätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie erarbeitete der Ständerat den 80 indirekten Gegenvorschlag „Schutz und Nutzung der Gewässer“, welcher Ende 2009 vom Parlament 81 angenommen wurde. Daraufhin zog der SFV die Initiative zurück. Das revidierte 82 Gewässerschutzgesetz trat am 1. Januar 2011 in Kraft (Box 1), die revidierte 83 Gewässerschutzverordnung (SR 814.201 GSchV) ist seit 1. Juni 2011 in Kraft.. 84 85 Praxisorientierte Forschung in der Schweiz (evtl Ausblick international geben) 86 Der grosse Handlungsbedarf hat längst auch die Forschung erfasst. Hervorgehoben werden hier die 87 Leistungen zweier Projekte mit hoher Praxisrelevanz, die von Projektpartnern verschiedener 88 Fachrichtungen des ETH-Bereichs und dem BAFU getragen wurden. Im „Rhone-Thur-Projekt“ 89 befassten sich Wasserbau- und Umweltingenieure sowie Naturwissenschaftler und Soziologen 90 ausführlich mit den Themen Schwall/Sunk, Flussaufweitungen, Erfolgskontrollen und 91 Entscheidungsfindungen bei Revitalisierungsprojekten. Das Projekt wurde mit mehreren 92 wissenschaftlichen Publikationen, Syntheseberichten für die Praxis und einer Homepage 3 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 93 abgeschlossen (Box 2). Im Folgeprojekt „Integrales Flussgebietsmanagement“ steht die Förderung 94 dynamischer und vernetzter Flusslandschaften mit höchstmöglicher Lebensraum- und Artenvielfalt im 95 Zentrum. Da Flusslandschaften aber den hohen Ansprüchen des Hochwasserschutzes gerecht 96 werden müssen, sind innovative Konzepte im Flussbau gefragt. Die Umsetzung innovativer 97 Massnahmen bedingt einen laufenden Austausch zwischen Experten aus der Forschung, Verwaltung, 98 Praxis und politischen Ämtern. Diese Merkblattsammlung soll einen Beitrag zu diesem Austausch 99 leisten und neue Ansätze blablabla … aufzeigen. Die Merkblätter entstanden im intensiven Dialog 100 zwischen am Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftlern und Vertretern von Behörden 101 verschiedener Fachbereiche von Bund und Kantonen (Wasserbau, Gewässerschutz, Fischerei, Natur- 102 und Landschaftsschutz, etc.) 103 104 105 Die Merkblattsammlung 106 Hier werden die Merkblätter mit je 1-2 Sätzen vorgestellt (Lead wird übernommen). Neben jedem MB 107 wird Titelbild in Kleinformat platziert. 108 109 Merkblatt 1: Dynamik 110 Merkblatt 2: Biodiversität in Fliessgewässern 111 Merkblatt 3: Der hydromorphologische Index der Diversität 112 Merkblatt 4: Vernetzung von Flussökosystemen 113 Merkblatt 5: Lokale Aufweitung von Seiteneinmündungen 114 Merkblatt 6: Blockrampen 115 Merkblatt 7: Numerische Fliessgewässermodellierung 116 Merkblatt 8: Monitoring Fliessgewässerrevitalisierung – Ziele und Vorgehen 117 118 Literatur (rechtliche Grundlagen sind im entsprechenden Kapitel ausreichend erwähnt) 119 120 WEL-Artikelserie (Sammlung erscheint vor Produktion der MB) 121 122 4 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 123 #TEXTE FÜR BOXEN# 124 125 Box 1 Das revidierte Gewässerschutzgesetz verpflichtet die Kantone 126 127 -den Gewässerraum zu sichern, der benötigt wird, um die natürlichen Funktionen der Gewässer, den 128 Hochwasserschutz und die Gewässerntzung zu gewährleisten. Der Gewässerraum muss an allen 129 Gewässern ausgeschieden werden, unter gewissen in der Gewässerschutzverordnung geregelten 130 Bedingungen können die Kantone jedoch auf die Festlegung des Gewässerraums verzichten. 131 132 -Revitalisierungsprogramme zu erstellen und umzusetzen. Über die nächsten 80 Jahre wird die 133 Wiederherstellung von 4‘000 km der 15‘000 km verbauten Wasserläufen angestrebt. Der Landbedarf 134 wird auf 2‘000 Hektaren und die Kosten auf rund 60 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. 135 In Programmvereinbarungen soll festgelegt werden, welche Leistungen die Kantone erbringen und 136 welche der Bund finanziert. 137 138 -bei bestehenden und neuen Wasserkraftanlagen innert 20 Jahren eine Reihe von 139 Sanierungsmassnahmen zu planen und umzusetzen. Es handelt sich um die Beseitigung von 140 Beeinträchtigungen durch Schwall und Sunk, die Verbesserung des Geschiebehaushaltes sowie 141 die Wiederherstellung der Fischgängigkeit. Die Kosten werden auf rund 50 Millionen Franken pro 142 Jahr geschätzt und werden durch einen Zuschlag von max. 0.1 RP/kWh auf die Übertragungskosten 143 der Hochspannungsnetze finanziert. 144 145 146 Box 2 Übersicht praxisbezogener Publikationen der Projektpartner im Revitalisierungsbereich 147 148 Rhone-Thur-Projekt 149 Handbuch für die Erfolgskontrolle bei Fliessgewässerrevitalisierungen 2005 150 Integrales Gewässermanagement – Erkenntnisse aus dem Rhone-Thur Projekt 2005 151 Synthese Schwall/Sunk 2005 152 Wasserbauprojekte gemeinsam planen. Handbuch für die Partizipation und Entscheidungsfindung 153 bei Wasserbauprojekten 2005 5 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 154 BAFU (bisher) 155 Hochwasserschutz an Fliessgewässern 2001 156 Leitbild Fliessgewässer Schweiz 2003 157 Auendossier: Faktenblätter 2001-2008 158 Strukturen der Fliessgewässer in der Schweiz: Zustand von Sohle, Ufer und Umland 159 (Ökomorphologie) 2009 160 Ingenieurbiologische Bauweisen im naturnahen Wasserbau 2010 161 Empfehlung zur Erarbeitung kantonaler Schutz- und Nutzungsstrategien im Bereich 162 Kleinwasserkraftwerke. 2011 163 Einzugsgebietsmanagement EGM 2011 164 Methoden zur Untersuchung und Beurteilung der Fliessgewässer (www.modul-stufen-konzept.ch): 165 166 BAFU: Vollzugshilfe „Renaturierung der Gewässer“: Eine Umsetzungshilfe für den Vollzug des 167 revidierten GSchG / GSchV in den Bereichen Revitalisierung und Sanierung Wasserkraft zu Handen 168 der Kantone. Die Vollzugshilfe ist modular aufgebaut, die Module sind verfügbar auf der WebSite: 169 www.bafu.admin.ch/vollzug-renaturierung 170 171 Weitere Publikationen auf www.rivermanagement.ch/publikationen und 172 www.bafu.admin.ch/publikationen 173 174 175 176 ALPHABETISCHES GLOSSAR 177 Das Glossar beschreibt die wichtigsten Begriffe, die in der vorliegenden Merkblättersammlung 178 verwendet werden. Die Begriffe sind in allen Merkblättern im Text hervorgehoben. 179 Quellen: Handbuch für die Erfolgskontrolle bei Fliessgewässerrevitalisierungen, BAFU-Homepage, 180 Wikipedia 181 182 Biodiversität 183 Die Biodiversität beschreibt die biologische Vielfalt und drückt die Anzahl, Verschiedenheit und 184 Variabilität der lebenden Organismen aus. Sie umfasst drei Ebenen: Die Vielfalt zwischen den Arten 6 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 185 (Artenvielfalt), innerhalb der Arten (genetische Vielfalt) und die Vielfalt zwischen Ökosystemen 186 (Ökosystem- oder Lebensraumvielfalt). Als funktionale Biodiversität wird die Vielfalt der 187 Wechselbeziehungen innerhalb und zwischen den anderen drei Ebenen beschrieben. 188 189 Blockrampe 190 Die Blockrampe ist eine mit Steinblöcken befestigte Fliessgewässerstrecke mit erhöhtem Gefälle und 191 dient der Sohlenstabilisierung. Die Blockrampe wird als Alternative zu Absturzbauwerken wie 192 Schwellen gebaut, mit dem Ziel, die Durchgängigkeit für Fische und aquatische Kleinlebewesen 193 wiederherzustellen. -> wasserbauliche Vorteile erwähnen 194 195 Dynamik, dynamisch 196 Unter Dynamik wird in der vorliegenden Merkblättersammlung die stetigen Schwankungen des 197 Wasser- und Geschiebeflusses verstanden, die laufend die Lebensräume innerhalb von 198 Flusslandschaften verändern. Dynamische Vorgänge sind beispielsweise das Entstehen und 199 Verschwinden von neue Gerinnen oder Kiesbänken. Die zeitliche und räumliche Dynamik ist für viele 200 flussbegleitende Arten lebensnotwendig, weil sie daran angepasst sind. 201 202 Erfolgskontrolle 203 Eine Erfolgskontrolle überprüft, ob die Zielsetzungen eines Projekts erreicht wurden. Sie dient der 204 Überprüfung von Wirkung, Umsetzung und Verfahren eines Vorhabens oder von Massnahmen. Im 205 Vordergrund steht dabei ein Vorher-Nachher-Vergleich oder eine in-situ Beobachtung (z.B. Verhalten). 206 Wurden die Ziele nicht erreicht, müssen die Ursachen ausfindig gemacht werden. Als Grundlage für 207 die ökologische Erfolgskontrolle dienen abiotische und biotische Indikatoren. 208 209 Flussaufweitung 210 Die Flussaufweitung dient primär der Geschiebebewirtschaftung in einem Fluss. Die ökologischen 211 Vorteile sind vielfältig: Flussaufweitungen lassen die Entwicklung dynamischer, verzweigter Gerinne 212 zu, gewährleisten die Wanderung von Fischen und Kleinlebewesen und bieten neue Lebensräume für 213 flussbegleitende Tier- und Pflanzenarten. Ausserdem sind natürliche Flussverläufe wichtige, prägende 214 Elemente einer naturnahen Kulturlandschaft. 215 7 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 216 Flussmorphologie, flussmorphologisch 217 Die Morphologie ist die Lehre der Beschaffenheit und Form von Organismen und Lebensräumen. Die 218 Flussmorphologie beschreibt die strukturellen Eigenschaften von Fliessgewässern. 219 Flussmorphologische Eigenschaften werden beschrieben durch das Quer-und Längsprofil des 220 Flussbettes, die Form und das Gefälle der Flusssohle, der Schwebstoff- und Geschiebehaushalt oder 221 die geomorphologischen Prozesse, die die Flusslinienführung verändern. 222 223 224 225 226 Flusssohle 227 Die Flusssohle ist der Grund des Gewässers. Sie wird im Wasserbau durch die Bodenfläche zwischen 228 den Uferbereichen definiert, die normalerweise vom Wasser benetzt ist. Während Trockenperioden 229 und in Restwasserstrecken kann die Flusssohle vorübergehend sichtbar werden. 230 231 Genfluss 232 Der Begriff Genfluss wird in der Populationsgenetik für den genetischen Austausch zwischen zwei 233 Populationen einer Art verwendet. Der Genfluss wird über wandernde Individuen und deren 234 Fortpflanzungserfolg gesteuert. 235 236 Genetische Differenzierung 237 Der Begriff genetische Differenzierung wird in der Populationsgenetik für die Gliederung der 238 genetischen Vielfalt auf mehrere Ebenen verwendet. Man spricht von genetischer Differenzierung 239 innerhalb oder zwischen Populationen derselben Art sowie zwischen mehreren Arten. Als Faustregel 240 gilt: Je geringer die Differenzierung ausfällt, umso ähnlicher sind sich die Individuen, Populationen 241 oder Arten. 242 243 Genetische Struktur 244 Der Begriff genetische Struktur wird in der Populationsgenetik für die Gesamtheit aller Genotypen und 245 deren Frequenz in einer Population verwendet. Die Genfrequenz beschreibt die genetische Vielfalt 246 einer Population. 8 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 247 248 Genetische Verarmung 249 Der Begriff genetische Verarmung wird in der Populationsgenetik verwendet, wenn die genetische 250 Vielfalt reduziert ist. Besonders oft betroffen sind kleine und isolierte Populationen. Ist die genetische 251 Verarmung sehr stark, kann dies zu Inzuchtproblemen führen. 252 253 Geschiebe 254 Der Begriff Geschiebe wird im Wasserbau für die mineralischen Feststoffe (Sande und Kiese bis hin 255 zu Blöcken) verwendet, die von einem Einzugsgebiet abgetragen und vom Fliessgewässer 256 flussabwärts transportiert werden. Durch die gegenseitige Reibung werden die Gesteinskörner 257 abgerundet und mit zunehmender Transportdistanz immer kleiner. Ins Wasser eingetragene feine 258 Partikel sowie die abgeriebenen Feinanteile werden als Schwebstoffe bezeichnet und verteilt über die 259 ganze Abflusstiefe in suspendierter Form transportiert. 260 261 Geschiebetransport 262 Der von der Strömung angetriebene Geschiebetransport findet gleitend, rollend oder springend auf 263 der Gewässersohle statt. Im Wasserbau wird der Geschiebetransport durch die Masse des 264 Geschiebes definiert, das pro Zeiteinheit durch den gesamten Gewässerquerschnitt transportiert wird. 265 266 Hydraulik, hydraulisch 267 Die Hydraulik ist die Lehre vom Strömungsverhalten der Flüssigkeiten. Im Wasserbau sind dabei die 268 Wechselwirkungen zwischen Abfluss, Geschiebetransport und Flussmorphologie zentral. 269 Flussbauliche Massnahmen in Fliessgewässern beruhen grundsätzlich auf 270 Beeinflussungsmöglichkeiten dieser Wechselwirkungen. 271 272 Indikator 273 Ein Indikator bezeichnet allgemein einen Hinweis auf einen bestimmten Sachverhalt oder für ein 274 Ereignis. Da biologische Sachverhalte schwer zu fassen sind, werden in der Ökologie Indikatoren als 275 messbare Ersatzgrößen verwendet, um den Zustand oder die Prozesse eines Ökosystems zu 276 beschreiben. Die vorliegende Begriffsbestimmung beruht auf dem Handbuch für die Erfolgskontrolle 277 bei Flussrevitalisierungen, worin 50 Indikatoren beschrieben sind. 9 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 278 279 Lebensraumvielfalt 280 Die Lebensraumvielfalt bezeichnet die Anzahl, Vielgestaltigkeit und Variabilität der verfügbaren 281 Lebensräume einer Fläche oder Ökosystems. Sie bildet neben der Artenvielfalt und der genetischen 282 Vielfalt die dritte Stufe der Biodiversität. In Abgrenzung zu den ersten beiden Stufen werden nur 283 geographische und nichtbiologische Eigenarten des Lebensraumes herangezogen. 284 285 286 287 288 Makrozoobenthos 289 Das Makrozoobenthos sind wirbellose Tiere, die auf dem Gewässergrund leben und mit blossem 290 Auge sichtbar sind. Wichtige Vertreter in Fliessgewässern sind beispielsweise Insektenlarven, Krebse, 291 Würmer, Egel, Schnecken und Muscheln. 292 293 Metapopulation 294 Eine Metapopulation beschreibt eine Gruppe von Teilpopulationen, zwischen denen Genfluss 295 stattfindet. Der genetische Austausch hängt unter anderem von der Wanderung und dem 296 Fortpflanzungserfolg einzelner Individuen ab und ist somit nicht gleichmässig zwischen allen 297 Teilpopulationen verteilt. Je nach Qualität und Zustand der Lebensräume in den Teilpopulationen und 298 der Vernetzung zwischen den Lebensräumen neigen Individuen eher zu Ab- oder Zuwanderung, was 299 zu sogenannten Quellen-Senken- oder lokalen Aussterbens-Wiederbesiedlungsdynamiken führen 300 kann.. 301 302 Monitoring 303 Die Begriffe Monitoring, Langzeitbeobachtung und Umweltbeobachtung werden synonym verwendet 304 und stehen für eine systematische Erfassung von Zuständen oder Prozessen. Zentral dabei ist die 305 wiederholende Durchführung eines Monitorings, mithilfe dessen Veränderungen in Natur und 306 Landschaft verfolgt werden können. Das Monitoring ermöglicht somit eine Früherkennung von 307 Veränderungen oder Problemen, welche dann mit anderen Methoden näher untersucht oder gesteuert 308 werden können. 10 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 309 310 Numerische Simulation 311 Der Begriff numerische Simulation wird für die computergestützte Nachbildung von Prozessen 312 verwendet. Die Strömungs- und Transportvorgänge in Gewässern werden mittels Bilanzgleichungen 313 beschrieben, die für praktische Anwendungen nicht analytisch gelöst werden können. Die 314 Bilanzgleichungen können numerisch nur angenähert auf der Basis von diskreten Raumelementen 315 und Zeitschritten gelöst werden. 316 317 318 319 Ökoton 320 Ein Ökoton (auch Saumbiotop oder Randbiotop genannt) beschreibt in der Ökologie ein 321 Übergangsbereich zwischen zwei verschiedenen Ökosystemen. Oft sind diese besonders artenreich 322 und weisen eine höhere Artenvielfalt auf als die Summe der Arten, die in den angrenzenden Gebieten 323 vorkommen. 324 325 Population 326 Eine Population ist eine Gruppe von Lebewesen der gleichen Art, die sich untereinander paaren und 327 sich gleichzeitig in einem einheitlichen Areal aufhalten. 328 329 Quellpopulation 330 Die Quellpopulation ist eine Teilpopulation einer Metapopulation, die den umliegenden 331 Teilpopulationen als Quelle dient. Aus der Quellpopulation finden häufig Abwanderungen von 332 Individuen statt. 333 334 335 Revitalisierung (engl. rehabilitation) 336 Die Flussrevitalisierung strebt die Wiederherstellung wesentlicher Schlüsselprozesse und -elemente 337 entlang von Fliessgewässern an. Neben Strukturen und Funktionen werden auch physikalische, 338 morphologische und hydrologische Bedingungen sowie eine gute Gewässerqualität wieder hergestellt. 339 Es wird ein sich selbst erhaltendes System angestrebt, mit eigendynamischen Prozessen und 11 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 340 Vernetzungen des Lebensraums. Revitalisieren heisst auch, die biologische Vielfalt und eine 341 standortgerechte Lebensgemeinschaft wieder herzustellen. Mit der Revision des 342 Gewässerschutzgesetzes (GSchG, SR814.20) vom 11. Dezember 2009 wurde der Begriff in das 343 GSchG aufgenommen und wird in Artikel 4 Buchstabe m definiert als: „Wiederherstellung der 344 natürlichen Funktionen eines verbauten, korrigierten, überdeckten oder eingedolten oberirdischen 345 Gewässers mit baulichen Massnahmen“. 346 Schwebstoff 347 Der Begriff Schwebstoff wird im Wasserbau für Materialien verwendet, die so feinkörnig sind, dass sie 348 schwebend transportiert werden. Bei kleiner Strömungsbelastung lagern sich die gröberen Körner ab 349 und werden als Geschiebe auf der Flusssohle transportiert. 350 351 Sedimenttransport 352 Der Sedimenttransport beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten der Verteilung von Materialien an 353 Land, im Wasser und in der Luft. Der Sedimenttransport in Fliessgewässern wird in Schwebstoff- und 354 Geschiebetransport aufgeteilt. 355 356 Seitenerosion 357 Die Seitenerosion beschreibt die Abtragung von Ufermaterial aufgrund der Strömungskraft von 358 Fliessgewässern. Dabei wird zuerst der Unterwasserbereich des Ufers unterspült, bis Teile der 359 Uferböschung ins Wasser abstürzen. Das abgetragene Ufermaterial wird vom Fluss aufgenommen 360 und in unterliegende Abschnitte abtransportiert. Durch Seitenerosion verbreitet sich das Flussbett und 361 dabei können Seitengerinne oder Mäander entstehen. 362 363 Schwall/Sunk 364 Mit dem Begriff Schwall wird der kurzfristige, künstlich erhöhte Abfluss in einem Fliessgewässer 365 bezeichnet, der in der Regel während des bedarfsorientierten Turbinierbetriebes eines 366 Speicherkraftwerks entsteht. Der Begriff Sunk steht für den verringerten Basisabfluss zwischen den 367 Schwällen. Der Minimalabfluss wird oft auch als Sockelabfluss bezeichnet, das Maximum als Peak. 368 Die gesamte Abfolge, d.h. der mehr oder weniger regelmässige Wechsel zwischen den 369 unterschiedlichen Abflusszuständen, wird Schwall/Sunk-Betrieb oder kurz Schwallbetrieb genannt. 370 12 1 Merkblattsammlung des Projektes Flussgebietsmanagement – Erkenntnisse aus der Forschung für die Praxis 371 Strahlwirkung 372 Die Strahlwirkung beschreibt die positive Wirkung eines Strahlursprungs auf angrenzende 373 Gewässerbereiche. Als Strahlursprünge werden Gewässerabschnitte mit Lebensgemeinschaften 374 und/oder Populationen bezeichnet, die als Quellpopulationen für die Besiedlung geeigneter 375 angrenzender Lebensräume dienen. Der Ausbreitungsweg der Organismen wird auch Strahlweg 376 genannt, welcher durch die Schaffung von Verbindungs- oder Trittsteinelementen verlängert oder 377 intensiviert werden kann. 378 379 Sukzession 380 Der Begriff Sukzession wird in der Biologie als Vorgang an einem Standort verwendet, bei dem sich 381 mit der Zeit verschiedene Lebensgemeinschaften nacheinander ablösen. Eine Sukzession findet in 382 Ökosystemen statt, die aufgrund von Störungen aus dem ökologischen Gleichgewicht geraten sind 383 und hat zum Ziel, die Störung wieder aufzuheben. Je nach Umweltbedingungen können Sukzessionen 384 schneller (Wochen, Monate) oder langsamer (Jahre, Jahrzehnte) voranschreiten. 385 386 Vernetzung (seitlich, längs, senkrecht) 387 Die Vernetzung beschreibt die Austauschprozesse und Interaktionen innerhalb von aquatischen 388 Lebensräumen sowie zwischen aquatischen und terrestrischen Lebensräumen. Es werden drei 389 Dimensionen unterschieden: Die seitliche Vernetzung, welche den Austausch zwischen Flussgerinne, 390 Uferbereich, Auen und der weiteren Umgebung beschreibt. Die Längsvernetzung, welche die 391 Durchgängigkeit innerhalb des Flussgerinnes für Wasserorganismen, insbesondere Fische, flussauf- 392 und abwärts beschreibt, inklusive dem Austausch mit Seitenbächen. Die senkrechte Vernetzung, 393 welche den Austausch zwischen dem Fluss- und Grundwasser durch die Flusssohle beschreibt. 13