Sabine Josefine Brand, Alexander Wudtke Bekämpfung von Textilschädlingen mit Kohlenstoffdioxid Depots im Deutschen Historischen Museum Mehrere Textildepots des Deutschen Historischen Museums waren mit Schädlingen befallen. Für eine Lösung des Problems wurden Beobachtungen gesammelt, Verfahren überdacht, die CO2Begasung durchgeführt und die in zwei verschiedenen Magazinen getroffenen Maßnahmen ausgewertet. Sabine Josefine Brand ist Leiterin der Abteilung Textilrestaurierung am Deutschen Historischen Museum in Berlin, Alexander Wudtke arbeitet als diplomierter Biologe bei der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Berlin-Dahlem. 1-3 Das in Schränken magazinierte Uniformen-Depot: Das Magazin wird bald an einen anderen Ort mit aktuellen musealen Standards umziehen. Restauratoren sehen sich vermehrt mit dem Problem von Schädlingsbefall in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich konfrontiert. Das liegt in erster Linie an der Erwärmung des globalen Klimas. In Konsequenz ergeben sich für zahlreiche Insektengruppen verbesserte Lebens- und Ausbreitungsbedingungen. Gleichzeitig wird -ökologisch begründet - der Einsatz hochwirksamer, weil hochtoxischer Pestizide eingeschränkt. Daher hat beispielsweise die Gefahr des Befalls großer und bedeutender Textilsammlungen durch Fraßschädlinge wie die Kleidermotte (Tineola bisselliella) und verschiedener Gattungen von Speckkäfern deutlich zugenommen. Befall durch Wollkrautblüten-, Pelzkäfer und Kleidermotten Im Laufe eines Jahres wurde an völlig unterschiedlichen Orten der in mehreren Berliner Stadtteilen angesiedelten Textil-magazine zuerst sehr vereinzelt und später gehäuft Schädlingsbefall offensichtlich (Abb. 1-3). Die sich anschließende Untersuchung vorgefundener Reste toter Insekten ergab in der Textilwerkstatt bzw. dem Kurzzeitdepot des benachbarten Ausstellungsgebäudes einen mengenmäßig zunächst noch nicht einschätzbaren Befall durch den Wollkrautblütenkäfer sowie den Pelzkäfer. In einem Außenlager wurde zu einem späteren Zeitpunkt die Kleidermotte nachgewiesen. Anforderungen an eine Bekämpfungsmaßnahme Das von Restauratorenseite für die texti-len Objekte festgelegte Bewahrungsklima fordert einen möglichst konstanten Temperaturwert im Bereich von 18 bis maximal 20 °C und eine relative Luftfeuchte von 55%. Außerdem darf der substanzschädigende ultraviolette Anteil von Tagesoder Kunstlicht während des angestrebten Verfahrens 50 Lux nicht überschreiten. Insbesondere ist sicherzustellen, daß die zu behandelnden Textilien nicht in ihrer chemischen oder physikalischen Struktur angegriffen oder in irgendeiner Weise verändert werden. Vernebelung von Naturpyrethrum? Eine zuerst befragte, ortsansässige Schädlingsbekämpfungsfirma unterbreitete ein Angebot zur Vernebelung von Naturpyrethrum in den befallenen Bereichen. Es wurde nach der Gesundheitsgefährdung des involvierten Personals gefragt sowie nach einer eventuellen Schädigung des textilen Kulturguts. Der weitere Erhalt des unterschiedlich gealterten, das heißt in jedem Falle chemisch abgebauten organischen Materials sollte selbstverständlich gewahrt bleiben. Der Einsatz von Pyrethrum oder Pyre-throiden wurde verworfen, da der Verdacht der Gesundheitsschädigung durch das zu verwendende Kontakt- und Nervengift nicht hinreichend entkräftet werden konnte. Ebenso war auch die Gefahr einer möglichen Schädigung des textilen Materials nicht auszuschließen. Weiterhin konnte die Kontaktmittelanwendung keine durchgreifende vollständige Entwesung gewährleisten: Das üblicherweise als Aerosol-Nebel aufbereitete, aus der Höhe des jeweiligen Raumes auf das Behandlungsgut herabsinkende Mittel hätte entlegenste Ei-Ablagen der Schädlinge nicht erreicht. Dazu gehören beispielsweise jene in den herstellungsbedingten Falten und Umschlägen magazinierter Kleidung (Abb. 1,3). Die Anbieterfirma schlug deshalb eine »Nachbehandlung«, im Klartext: eine Zweitbehandlung desselben Bestandes vor, natürlich wiederum mit den genannten Unsicherheitsfaktoren ...! Begasung mit Stickstoff oder Kohlenstoffdioxid? Wieder neu und verstärkt aufgegriffen wurde daraufhin die Möglichkeit der Begasung befallenen Materials mit inerten Gasen wie z.B. Stickstoff oder Kohlenstoffdioxid. Die Forderung war zu ermöglichen, daß an einem Befallsort eine sehr große Anzahl betroffener Textilien erfolgreich behandelt würde, ohne sie dafür aus Schränken, Kartons und etlichen Schub-vorrichtungen in einen speziellen Raum oder eine Kammer oder einen gasdichten Container umzulagern, was extrem aufwendig wäre. Hausintern hatte man sich 7 Am Linoleum-Boden des Magazinraums erfolgte eine sehr präzise gasundurchlässige Verklebung. 8 In einer zweiten Aktion wurden etwa 250 Einzelkartons unterschiedlicher Größe und verschiedenen Gewichts mit einem Gesamtvolumen von ca. 40 m3 in einem Außenlager behandelt. gegen eine Stickstoffbehandlung ausgesprochen: Hierfür hätte der Sauerstoffgehalt bei höchstens 1% liegen dürfen, was nur mit immensem Aufwand bei einer fast hundertprozentigen Abdichtung zu erreichen gewesen wäre. Kohlenstoffdioxid könnte bei der vorgesehenen Begasung nicht ganz so sauerstoffarm eingesetzt werden wie in anderen Fällen. Doch wird er selbst dann seine hundertprozentige Wirkung nicht verlieren. Während der Behandlung müssen Leckageverluste und eindringender Sauerstoff durch Zugabe von Inertgas wieder ausgeglichen werden. Erfahrungen bei Getreidespeichern Einen großen Schritt voran kamen unsere Überlegungen nach Kontaktaufnahme mit der Firma Buse-Gase, heute Messer Gries-heim, deren Fachleute schon auf jahrelange Erfahrung im Bereich des Vorratsschutzes zurückblicken. Mehrfach hatten sie erfolgreich große Getreidelager ent-west, wobei das zu behandelnde Gut zumeist mit einer kräftigen Polyethylen-Folie komplett abgedeckt wurde. Die Folie beschwerte man am Boden des Lagers mit Dachlatten und vorklebte sie zusätzlich hochgradig gasdicht. In dem in dieser speziellen Form abgeplanten Getreide wurden zur Insektenabtötung über mehrere Wochen ein Stand von mindestens 60% C02 in der Luft gehalten. Übertragbar auf Textildepots? Dieser hohe Kohlenstoffdioxid-Gehalt führt erfahrungsgemäß bei Temperaturen um 20 °C im Laufe von ca. 6 Wochen auch zum Erstickungstod der Insekten in Textilien in allen Lebensstadien. In der Textilabtei-lung des Museums kam es mit Vertretern dieser Firma zu mehreren Vorgesprächen und Begehungen, bis sich bei Berücksichtigung aller relevanten Sicherheitskriterien eine erfolgsversprechende und ökonomische Vorgehensweise ergab. Die Ortstermine in den verschiedenen Textiidepots des zentralen Museumsgeländes mit den Fachleuten der Firma ergaben schließlich, daß eines der betroffenen Magazine, das Uniformendepot mit etlichen objektgefüllten Schränken, die in technischer und praktischer Hinsicht besten Bedingungen für ein etwas modifiziertes C02-Verfahren erfüllte (siehe Abb. 1-3). 9,10 Beim elektronisch geregelten Befüllen der Folienblase mit Kohlenstoffdioxid aus 10 Gaspatronen gab es eine Woche lang keinerlei nennenswerte Leckage (Behandlungsdauer: 21 Tage). CO2-Verfahren für das Uniformendepot Es wurde beschlossen, die gesamte raum-mittig angeordnete Schrankflucht zeltartig mit einer 200 μ starken und 14 m breit liegenden Polyethylen-Folie zu überfangen (Abb, 4). Auf einer Fläche von 10 x 6 m stellte man in Lagerkartons verwahrte Sammlungsobjekte eines ebenso betroffenen kleineren Lagerbereichs in kompakter Form hinzu. Die meisten Textilien blieben jedoch unverrückt in den etwa 3 m hohen, leicht geöffneten Lagerschränken am angestammten Ort. Es handelt sich um Militaria-Bekleidung, die zu großen Teilen aus Wollgeweben gefertigt ist. Insgesamt ergab sich ein zu behandelndes Volumen von etwa 180 m3 (Abb. 5). Die Folie wurde an den Kanten um den Schrank herum verschweißt (Abb. 6) und am Linoleum-Boden des Magazinraums präzise und gasundurchlässig verklebt (Abb. 7). Über eine Gasvorwärmanlage leitete man dann über einen Befeuchter Kohlenstoffdioxid solange in die Folienkammer ein, bis 60% der Luft ausgetauscht war. Das Gas aus externen Flaschenbündeln konnte mit Hilfe eines Magnetventils bei konstanter Konzentration gehalten werden. Die Begasung wurde bei 25 °C und knapp 50% Luftfeuchte durchgeführt und nach 27 Tagen beendet. Einstellen der relativen Luftfeuchtigkeit Wie inzwischen erwiesen, kann bei einer relativen Raumluftfeuchte von mehr als 50% das eingeleitete Gas in Wasser gelöst als Kohlensäure Schäden verursachen. Es ist möglich, daß bei beund gemalten Objekten die Metall enthaltenden Pigmente angegriffen werden oder auch Farben spezieller Textilfarbstoffe. Die MetallKnöpfe und Tressen der Uniformen könnten korrodieren. Deshalb wurde beschlossen, die relative Luftfeuchte während der dreiwöchigen Behandlung niedriger als üblicher auf einen Wert von 45 bis knapp 50 % einzustellen. Die Temperatur hingegen sollte um ca. 5 °C höher bei 25 °C liegen. Erfahrungsgemäß läßt sich dadurch die für die Schadinsekten letale Behandlungsdauer von 4-6 Wochen auf im günstigsten 3 Wochen senken. Dieser Kompromiß erschien angesichts des verringerten Zeitaufwandes akzeptabel. Der frequentierte Sammlungsbestand würde nach kürzerer Zeit wieder zugänglich sein, und die Kosten für den Gasverbrauch verringert werden. Biologische Kontrollmaßnahmen Neben der Kontrolle der physikalischen Parameter erfolgte das Einbringen ge-käfigter Insekten in Zusammenarbeit mit der Biologischen Bundesanstalt für Land-und Forstwirtschaft in BerlinDahlem, um den Erfolg der Maßnahme abzulesen (siehe Abb. 5). Es kamen die Schädlinge in Frage, die in der Art bisher in den Textilien festgestellt worden waren. Von zwei Speckkäferarten wurden je 20 Larven, von einer weiteren Art (Dermestes macu-latus) 10 Käfer, von der Kleidermotte (Tin-eola bisselliella) bis auf die Falter alle Stadien in die Folienblase eingesetzt. Die Käfige in Stoffbeuteln brachte man im hinteren und vorderen Bereich jeweils oben in den Schränken ein. Zwei weitere wurden zur Kontrolle außerhalb der PE-Blase plaziert. In der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft erfolgte das Hinterlegen einer Null-Probe in der Klimakammer bei konstanter Luftfeuchte und Temperatur. Nach dem Öffnen der Kunststoffblase kamen die gekäfigten Insekten zur Auswertung ins Institut für Vorratsschutz der Biologischen Bundesanstalt. In den eingebrachten Versuchsproben hatte keine der Insektenarten überlebt. Die Nullprobe aus dem Institut wies kaum Unterschiede zu den Kontrollproben auf, die außerhalb der PE-Blase positioniert worden waren. Alle Tiere außerhalb der Folie und im Institut blieben lebendig. CO2-Verfahren für Sammlungskartons Nach der erfolgreichen Behandlung dieses sehr großen Textilbestandes sollten nun etwa 250 Einzelkartons unterschiedlicher Größe und Gewichts in einem Außenlager begast werden (Abb. 8). Diese Aktion gestaltete sich in vielen Punkten einfacher: Die Textilsammlung konnte relativ unaufwendig umgelagert werden in einen Raum, der vorher bereits mit der PE-Folie ausgelegt worden war. Alle Kartons wurden entsprechend ihrer Belastungsmöglichkeiten so aufgestapelt, daß sich ein kompaktes 11. Der Kontrolle der einzuhaltenden Parameter dienen Geräte, etwa ein innerhalb der Begasungsblase positionierter Thermohygro-graph. Durch das Sichtfenster sind die Werte ablesbar. 12 Der Kohlenstoffdioxid-Sensor zeigt den C02~Gehalt der Luft an. Gesamtvolumen von ca. 40 m3 ergab. Die entsprechend groß bemessene PE-Plane wurde von der hinteren Stapelbreitseite vorsichtig über den Kartonberg gehoben und abschließend an den offenen Schmalseiten sowie ebenso offenen Stapelfrontseite mit sich selbst verschweißt. Mit diesem besonders akribisch durchzuführenden und folglich zeitaufwendigen Arbeitsschritt durch die Firmenmitarbeiter gelang es, den erforderlichen C02-Wert über einen langen Zeitraum zu halten. Es gab beim elektronisch geregelten Befallen der Folienblase mit Kohlenstoffdioxid aus 10 Gaspatronen eine Woche lang keinerlei nennenswerte Leckage (Abb. 9,10). Nach 21 Tagen Behandlungsdauer konnte der Entwesungsvorgang abgeschlossen werden. Die KohlenstoffdioxidZufuhr wurde beendet, die Restmenge des Inertgases aus dem Zelt abgesaugt und ins Freie aus dem Gebäude geleitet. Nach dem Öffnen der Kunststoffblase untersuchte man die miteingebrachten gekäfigten Probe-Insekten: Auch dieses Mal hatte keines der adulten Tiere überlebt und keine Larve schlüpfte später mehr aus miteingebrachten Ei-Ablagen. Rückschlüsse Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sich unter den gegebenen Umständen die Schädlingsbekämpfung mit Kohlenstoffdioxid bewährt hat. Im ersten Fall handelte es sich um einen ausgesprochen umfangreichen Textilbestand in seinen Lagermöbeln. In dem zweiten Vorgang wurde eine große Zahl spezieller Lagerkartons unterschiedlicher Größe und teilweise beträchtlicher Gewichte behandelt. Die Entscheidung für das Inertgas Kohlenstoffdioxid ergab sich aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen. Es ist nicht prinzipiell zu bevorzugen. Vielmehr sind nach dem derzeitigem Stand der Erkenntnisse und nicht zuletzt auch aus ökologischen Erwägungen heraus andere Verfahren in Betracht zu ziehen. Die Behandlung mit Stickstoff und mit den noch im Erprobungsstadium befindlichen Edelgasen (z.B. Argon) hätte Vorteile: Die Gefahr einer Schädigung, das heißt Veränderung von Metall enthaltenden Objekten oder Pigmenten unter zu feuchter Atmosphäre wäre ausgeschlosssen. Andererseits erfordert die Stickstoff- wie auch die Edelgasbehandlung eine extrem hohe Dichtigkeit der Begasungskammer. Sie besteht in diesen Fällen fast immer aus Metallplatten (Container), seltener einer Spezialfolie. Einen solch hermetisch abgeriegelten Raum zu schaffen, war im Deutschen Historischen Museum nicht möglich. Der Transport und die Umlagerung der gewaltigen magazinierten Textil-güter in eine entsprechend große und dichte Begasungseinrichtung schied aus. Bei der Verwendung von Kohlenstoffdioxid wurde ein besonderes Augenmerk auf die Meß- und Regeltechnik geworfen. Temperatur und Luftfeuchte und die Konzentration des eingesetzten Gases sind in der Folienblase beständig zu halten. Der Kontrolle dieser Geräte dient ein innerhalb der Begasungsblase positionierter Thermohygrograph (Abb. 11) mit davor in die Folie eingeklebtem Plexiglas-Sichtfenster (Abb. 12). Ein außerhalb der Folienkammer in Bodennähe gelagerter Gasfeinfühler mit digitalem WerteDisplay war der Gefahrenmelder für eine etwaige erhöhte Leckage. Gleichbleibende Werte sind die Voraussetzung dafür, daß die Objekte keinen Schaden nehmen. Die Begasungszeiten können verkürzt, die Kosten verringert werden. Dank Für die Unterstützung unserer Arbeiten danken wir Dr. Achim Unger, Rathgen-Forschungslabor Berlin, Dr. Elisabeth Jägers, Dr. Christian Reich-muth, Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Berlm-Dahlem und den Mitarbeitern der Firma Messer Griesheim Hans Gerd Corinth, Horst Köder und Rainer Prokof. Literatur - Mark Gilberg: The Effects of Low Oxygen Atmospheres on Museum Pests, in: Studies in Conservation 1991, 36 (2), S. 93-98 - Heinrich Piening: Die Bekämpfung holzzerstörender Insekten mit Kohlenstoffdioxid sowie die Verträglichkeit des Gases an gefaßten Objekten, Diplomarbeit FH Köln 1993 - Christoph Reichmuth, Wibke Unger, Achim Unger Bekämpfungsmaßnahinen mit Stickstoff oder Kohlenstoffdioxid, Praktischer Schädlings-bekämpfer, Berlin 1994 - Alexander Wudtke: Alternative Methoden zur Bekämpfung von Museumsschädlingen mit inerten Gasen am Beispiel der Kleidermotte (tineola bisselliella), Anzeiger für Schädlingskunde, Berlin 1994