Prof. Dr. Hans-Werner Hahn WS 2012/13 Vorlesung: Gesellschaftlicher Wandel und politischer Aufbruch: Europäische Geschichte 1830-1848 2. Deutsche Verfassungsfragen und Repressionspolitik des Deutschen Bundes: 1832-1837 I. Das Hambacher Fest: J. Kermann/G. Nestler/D. Schiffmann (Hg.), Freiheit, Einheit und Europa. Das Hambacher Fest von 1832. Ursachen, Ziele, Wirkungen, Ludwigshafen 2006. V. Valentin, Das Hambacher Nationalfest, 1932, Neudruck Frankfurt a. M. 1982. Die Teilnehmer des Festes, zu dem pfälzische Mitglieder des verbotenen Pressvereins aufgerufen hatten, kamen zum größten Teil aus der Rheinpfalz, wo vor allem die miserable wirtschaftliche Situation für eine breite Unterstützung des politischen Radikalismus sorgte (nicht zuletzt die Weinbauern). Teilnehmer kamen aber auch aus anderen süddeutschen Staaten. Vertreten waren ferner polnische und französische Delegationen. Am 27. Mai 1832 zog ein großer Festzug zur Hambacher Schlossruine. Die Hauptredner waren August Georg Wirth und Philipp Jakob Siebenpfeiffer. Beide gaben ein klares Bekenntnis zur deutschen Einheit ab, die allein die Freiheitsrechte und politischen Mitwirkungsrechte des Volkes sichern könnte. Das Fest, das mit 20- bis 30000 Teilnehmern die bis dahin größte Demonstration für Deutschlands Freiheit und Einheit war, hatte einerseits seine Ursache in den innerbayerischen Verfassungskämpfen, machte jedoch dann andererseits neben den freiheitlichen Aspekten vor allem auch die nationalen Erwartungen der entschiedenen Opposition deutlich. Die schwarzrot-goldene Fahne und die wichtigsten Reden unterstrichen dieses nationalpolitische Anliegen. Nationale Einigung war aber kein Selbstzweck. Sie war vielmehr die Voraussetzung freiheitlicher Entwicklungen. Darüber hinaus verstand sich die deutsche Nationalbewegung als Teil der europäischen Nationalbewegungen. Es wurden in Hambach auch polnische und französische Flaggen gezeigt. Man feierte die polnischen Freiheitskämpfer und stellte somit den eigenen Kampf um die Einigung Deutschlands in die Tradition der europäischen Nationalbewegungen, bekannte sich zur gegenseitigen Solidarität der Nationen. Allerdings sorgten Wirths Warnungen vor französischen Expansionsgelüsten (linkes Rheinland) für Missklang. Wichtig waren ferner auch sozial- und wirtschaftspolitische Forderungen (Rechtsgleichheit, Zollfreiheit in Deutschland) und ein von Siebenpfeiffer abgegebenes Bekenntnis zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau. Insgesamt orientierte sich das Hambacher Fest – stärker als das Wartburgfest von 1817 – am westeuropäischen Politikmodell und nahm auch weniger auf „altdeutsche“ Traditionen bezug, wie sie vor allem bei den Anhängern Jahns 1817 der Fall war. Nachdem das Hambacher Fest im Deutschen Kaiserreich von 1871 wenig Beachtung gefunden hatte und die HambachErinnerungsfeiern von Linksliberalen und Sozialdemokraten von den Behörden argwöhnisch beobachtet worden waren, spielte die Hambach-Tradition nach 1945 sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle (Gedenkstätte im Schloss seit 1982). Das Hambacher Fest gilt auch heute als wichtiges Traditionselement für die demokratische Kultur unseres Staates und als „Weg zu einem vereinten Europa“. Der Historiker sollte allerdings alle Versuche einer Vereinnahmung des Festes und seiner Traditionen durch die unterschiedlichsten politischen Lager stets kritisch prüfen. 1 Die Forderungen der wichtigsten Hambacher Führer waren entschiedener als die der gemäßigten Liberalen. Die wichtigsten Führer des so genannten Kammerliberalismus (gemeint sind liberale Abgeordnete in den Landtagen wie Rotteck, Gagern usw.) hatten auch nicht am Hambacher Fest teilgenommen. Im Lager des gemäßigten Liberalismus lehnte man es ab, enger mit den schwer zu steuernden sozialen Protestbewegungen im Umfeld des Festes zu kooperieren, und fürchtete zudem, dass das Fest mit möglicherweise zu radikalen Parolen einen neuen Gegenschlag der Regierungen einleiten könnte. Obwohl die Mehrheit der führenden "Hambacher" Aufrufe zum bewaffneten Kampf ablehnten und legal (freie Presse) für ihre Ziele kämpfen wollten, nahmen Metternich und andere das Hambacher Fest in der Tat dann zum Anlass, eine neue Welle bundespolitischer Repression zu starten. II. Folgen des Hambacher Festes: Nach dem Hambacher Fest gab es unter den Initiatoren und Hauptrednern des Festes Streit über das weitere Vorgehen. Die Mehrheit befürwortete eine legale, aber entschlossene Opposition. Eine Minderheit verlangte den bewaffneten Kampf für die politischen Ziele. Die wichtigsten deutschen Regierungen nahmen das Hambacher Fest zum Anlass, eine neue Welle politischer Repression zu starten. Sie sahen sich in ihrer Revolutionsfurcht vor allem dadurch bestätigt, dass im Gefolge von Hambach zahlreiche andere politische Feste stattfanden und es besonders in der Rheinpfalz, aber auch in anderen Gebieten zu Unruhen kam. Diese Unruhen zeigten im Übrigen aber, wie groß teilweise die Missverständnisse und auch Interessengegensätze zwischen liberal-demokratischen Politikvorstellungen und den sozialen Protestbewegungen der Basis war. III. Reaktionen der Regierungen Zur Politik des Deutschen Bundes: E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830-1850, 3. wesentl. überarb. Aufl., Stuttgart 1988. R. Zerback (Bearb.), Reformpläne und Repressionspolitik 1830-1834, Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes Abt. II, Bd. 1, München 2003. Nachdem Bayern und auch Preußen hart gegen die Unruhen im linksrheinischen Deutschland eingeschritten waren, setzte vor allem Metternich alles daran, um vom Deutschen Bund aus die politische Repression zu verschärfen. Wichtigster Partner dieser Politik war erneut Preußen. Beide Großmächte des Deutschen Bundes waren von der Aufstandswelle im Gefolge der Julirevolution nur wenig erfasst worden (Aachener Unruhen im August 1830, Straßendemonstrationen in Berlin im September 1830) und hatten rasch wieder Ruhe und Ordnung hergestellt. In Preußen setzten große Teile des Bürgertums noch immer auf die Reformkräfte innerhalb der Bürokratie. Allerdings behielten die hochkonservativen Kräfte am Ende die Oberhand. Preußen blieb im Fahrwasser der beiden anderen konservativen Ostmächte Österreich und Russland (Nikolaus I.). Am 28. Juni und 5. Juli 1832 setzten Preußen und Österreich neue Beschlüsse des Deutschen Bundes durch. Sie zielten auf eine Beschränkung landständischer Rechte, blockierten vor allem jegliche Parlamentarisierungstendenzen und unterbanden damit weitere einzelstaatliche Verfassungsfortschritte. Ferner wurde die Zensur verschärft, und man beschloss die Einrichtung einer neuen Überwachungskommission des Deutschen Bundes. Die liberalen Westmächte England und Frankreich protestierten als vermeintliche Garantiemächte der 2 Deutschen Bundesakte (Anspruch wurde vom Deutschen Bund zurückgewiesen) gegen diese Schritte! IV. Neue Proteste und die Verschärfung der Repression 1833/34: R. Görisch/Th. M. Mayer (Hg.), Untersuchungsberichte zur republikanischen Bewegung in Hessen 1831-1834, Frankfurt a. M. 1982. Trotz der neuen Repressionsmaßnahmen kehrte in Deutschland noch keine Ruhe ein. 1833 kam es gerade in der Pfalz zu Protesten, die durch die Prozesse gegen die Hambach-Führer noch angeheizt wurden. Am 3. April 1833 fand der so genannte "Frankfurter Wachensturm" statt, der vom studentischen Radikalismus getragen wurde. Die jungen Revolutionäre wollten durch Eroberung der Frankfurter Stadtwachen die Kontrolle über die Stadt gewinnen, den Bundestag stürzen und die deutsche Republik ausrufen, um eine Revolutionswelle in Gang zu setzen. Das schlecht vorbereitete Unternehmen scheiterte schon in den Anfängen, nicht zuletzt auch an der fehlenden Unterstützung aus der Bevölkerung. Die Folge war eine weitere Verschärfung der Repression. Am 30. April 1833 wurde vom Deutschen Bund eine Zentralbehörde für politische Untersuchungen geschaffen ("Schwarzes Buch" politisch verdächtiger Personen). Besonders hart ging man in Preußen gegen den studentischen Radikalismus vor. Am 12. Juni 1834 folgten die geheimen Beschlüsse der Wiener Konferenzen des engeren Rates der Bundesversammlung, in denen Zensur, Überwachung der Universitäten sowie Beschränkungen der einzelstaatlichen Gerichtsbarkeit und des Verfassungslebens bekräftigt, beziehungsweise verschärft wurden. Diese tief in die einzelstaatliche Souveränität eingreifende Beschlüsse wurden den süddeutschen Staaten von den Großmächten geradezu aufgezwungen. V. Der Hessische Landbote und das Junge Europa: Die repressive Grundhaltung des Deutschen Bundes erleichterte es den einzelnen Regierungen, hart gegen missliebige politische Entwicklungen einzuschreiten, die auch nach dem Sommer 1834 noch festzustellen waren. Im hessen-darmstädtischen Oberhessen, wo der Gießener Medizinstudent Georg Büchner im Winter 1833/34 nach französischem Vorbild eine "Gesellschaft der Menschenrechte" ins Leben gerufen hatte, sorgte der von Büchner und dem Butzbacher Pfarrer Weidig verfasste "Hessische Landbote" im Winter 1834/35 für großes Aufsehen. Die Flugschrift richtete scharfe Attacken gegen die Fürstenherrschaft, kritisierte den gemäßigten Kurs des Kammerliberalismus und forderte die gewaltsame Veränderung des politischen Systems. Bei den vor allem angesprochenen Bauern fand der Landbote aber nicht die nötige Resonanz. Im Frühjahr 1835 wurde der Büchner-Weidig-Kreis durch Verrat aus den eigenen Reihen zerschlagen. Büchner floh in die Schweiz und starb schon 1837, Weidig beging im gleichen Jahr im Gefängnis Selbstmord. Die radikalen Kräfte der Opposition konnten seit Mitte der dreißiger Jahre nur noch in der Emigration für ihre Ziele wirken. Frankreich und die Schweiz waren die wichtigsten Aufnahmeländer. Hier schloss sich ein Teil der Emigranten als "Junges Deutschland" Mazzinis "Jungem Europa" an, das einen europäischen Bund demokratischer Nationalstaaten anstrebte. Daneben existierte das "junge Deutschland" der Literaten, die wie Heine, Börne, Gutzkow oder Laube heftige Kritik an den politischen Zuständen Deutschlands übten. Im Dezember 1835 verbot der Bundestag die Verbreitung der Schriften dieser Literaten. 3 VI. Anhaltende politische Repression und ihre Folgen: Der Verfolgungsdruck traf im Übrigen nicht nur den demokratischen Radikalismus. Auch der gemäßigte Kammerliberalismus sah sich nach 1833/34 harter Repression ausgesetzt. In vielen Verfassungsstaaten schufen sich die Regierungen durch politische Unterdrückung willfährige Kammern. In Kurhessen versuchte die liberale Opposition zunächst noch standzuhalten und setzte dem Kurfürsten sowie seinem konservativen Minister Hassenpflug heftigen Widerstand entgegen (ausführlich: E. Grothe, Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt. Das Kurfürstentum Hessen in der ersten Ära Hassenpflug 1830-1837. Berlin 1996). 1837 hatte aber auch hier der Kurfürst die Dinge wieder in der Hand. Erfolglos blieb auch der Protest, den die Liberalen im Königreich Hannover und hier vor allem die "Göttinger Sieben" (u.a. Dahlmann, Brüder Grimm, Gervinus, die alle dem gemäßigt liberalen Spektrum angehörten) dem Verfassungsbruch des 1837 auf den Thron kommenden König Ernst August entgegensetzten. Der König setzte die 1833 von seinem Vorgänger bewilligte Verfassung außer Kraft und entließ den Landtag. Auf den Protest der Göttinger Sieben reagierte er mit der Entlassung der Professoren, drei von ihnen mussten sogar das Land Hannover verlassen. Dahlmann lebte dann für einige Zeit in Jena. Die Politik des reaktionären Monarchen stieß zwar auch bei anderen deutschen Regierungen auf Kritik, fand am Ende aber die Unterstützung des Deutschen Bundes. 1840 erhielt Hannover eine neue Verfassung, die deutlich hinter den von 1833 zurückblieb. (M. Saage-Maaß, Die Göttinger Sieben – demokratische Vorkämpfer oder nationale Helden? Göttingen 2007). FAZIT Trotz des Scheiterns des 1830 einsetzenden politischen Aufbruchs hatten die politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungen und Oppositionsbewegungen mehrere wichtige Folgen: 1. 2. Sie stärkten in weiten Teilen Deutschlands die Verfassungsidee. Sie führten im Lager der Einheits- und Freiheitsbewegung zu einer deutlichen politischen Differenzierung: gemäßigte Liberale (Rotteck, Gagern) - demokratisch-liberale Richtung (Wirth/Siebenpfeiffer) - Radikalismus mit revolutionären Zielsetzungen (Büchner). 3. Sie förderten die Nationalisierung der Verfassungsfrage, also eine stärkere Ausrichtung der Opposition auf das Ziel der nationalen Einheit. 4