Einführung in die Globalgeschichte ANNALES & FERNAND BRAUDEL 1. Grundsätze Wofür sie stehen: - analytische, problemorientierte Geschichte - historischer Längsschnitt (longue durée) - Trends, Zyklen, Strukturen - Beachtung aller Ebenen des meschlichen Handelns (histoire totale) - Geschichte auf allen räumlichen Ebenen (histoire globale) - interdisziplinäre Zusammenarbeit (“Trennwände einreißen”) - Mut zum Experiment Auftreten gegen: - Historismus - Positivismus - Beschränkung auf politische und Nationalgeschichte 1 Methodische Grundsätze, Schlüsselbegriffe und Analyseinstrumente ZEIT – RAUM in Übereinstimmung bringen Zeithorizonte: - Ereignisgeschichte – Momentaufnahme, kurze Dauer - Konjunkturgeschichte – Abläufe mittlerer Dauer, Zyklen - Strukturgeschichte – Abläufe langer Dauer - Das Werden der zukünftigen Welt Raumhorizonte: - Alle Ebenen von lokal – regional – national bis global - Zentren – Peripherien - (Welt-)Städte – Nationalstaaten - Zivilisationen (Landschaft, Geschichte, Kultur) - Weltwirtschaften BEOBACHTUNG “jenseits aller Theorie” VERGLEICH im Weltmaßstab 2 2. Personen und Institutionen Akteure nach Generationen: 1930er Jahre: Lucien Febvre, Marc Bloch u.a. 1950er, 60er Jahre: Fernand Braudel, Clemens Heller u.a. 1980er Jahre: Jacques Revel, Bernard Lepetit u.a. 1990er Jahre: Sanjay Subrahmanyam, Serge Gruzinski u.a. Zufälle, Bekanntschaften, Netzwerke Projekte und Institutionen: Annales Histoire Economie Société 1929 ff Ecole Pratique des Hautes Etudes, 6e section 1947 (ab 1975 EHESS) Centre de Recherche Historique 1949/50 “Aires culturelles” Kontinuität in der Direktion: Clemens Heller - Maurice Aymard Vom Rand ins Zentrum der französischen Geschichtswissenschaft, vor dem Hintergrund der geopolitischen Situation: Unterstützung aus den USA 3 Konjunkturen und Geschichtsschreibung (am Beispiel der Annales): - Gründergeneration und Aufbau - “Schule” mit eigenen Begriffen und Methoden - Zersplitterung und “tournant critique” (1988/89) “Comment échapper au poids des traditions accumuleés, comment oublier les catégories mentales recues, ces ‚prisons de la longue durée‘, pour produire un savoir neuf?” * Mikrohistorie * Debatte über die Wahl der geeigneten Analyseebene - Neuorientierung auf allgemeine Perspektiven und zurück “zum globalen Maßstab”: Interaktion – Akkulturation – Métissage “Konjunkturen” der Annales korrespondieren mit Biographien, Generationenwechsel, Gruppenprozessen vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen “Konjunkturen” in der Welt. 4 3. Fernand Braudel (1902 – 1985) Biographie und Oeuvre: - die ländliche Erfahrung - die afrikanische Erfahrung - die brasilianische Erfahrung - die Erfahrung im Gefängnis - Ehefrau Paule Braudel Hauptwerke: - La Mediterranée et le monde mediterranéen à l’èpoque de Philippe II. (1949, 1966) - Grammaire des Civilisations (1963) - Civilisation, économie et capitalisme, XVe - XVIIIe siècle (1967-79) 5 Verwendete Begriffe und Konzepte: Zivilisation: - Überlegenheit versus Vielfalt - Selbstverständnis und Abgrenzung - Beziehungen innerhalb und zwischen Zivilisationen - Einbettung in Raum und Zeit: Vergleich und Interaktion Mittelmeer: - Raum-Zeit-Einheit mit mehreren Zivilisationen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: - materielle Zivilisation (Grundlagen der Subsistenz) - (Markt-)Wirtschaft (Warenproduktion und Austausch) - Kapitalismus (kapitalistische Weltwirtschaft) 6 4. Rezeption, Verbreitung, Kritik Unterschiedliche Rezeption von Braudel in den verschiedenen Staaten und “Zivilisationen” Gegner und ihre Argumente Anknüpfen an Braudel, z. B. Immanuel Wallerstein, Fernand Braudel Center for the Study of Economies, Historical Systems, and Civilizations in Binghamton, New York Zeitschrift: Review 1979 ff z.B. Michael Mitterauer, WISO-Wien Von der historischen Sozialwissenschaft zur historischen Anthropologie André Gunder Frank: Eurozentrismus-Vorwurf an Braudel und Wallerstein 7 8 Ausgewählte Literatur über Annales & Braudel: Aguirre Rojas Carlos A., Fernand Braudel und die modernen Sozialwissenschaften. Leipzig Univ. Verlag 1999. ders., L’histoire conquérante. Un regard sur l’historiographie francaise. Paris Harmattan 2000. Audoin-Rouzeau Stephane (ed.), Les historiens. Paris Colin 2003, darin bes. Jacques Poloni-Simard, Braudel. Burke Peter, Offene Geschichte. Die Schule der «Annales». Berlin Wagenbach 1991. Ferro Marc, Geschichtsbilder. Wie die Vergangenheit vermittelt wird. Ff u.a. Campus 1991. Frank Andre Gunder, The Modern World System Revisited: Re-Reading of Braudel and Wallerstein, in: Journal of Modern History (1994), neuere Version auf der Homepage von A. G. Frank http://csf.colorado.edu/agfrank/braudel.html Gemelli Juliana, Fernand Braudel. Ed. Paris Odile Jacob 1995. Kronsteiner Barbara, Zeit – Raum – Struktur. Fernand Braudel und die Geschichtsschreibung in Frankreich. Wien – Salzburg Geyer 1989. Landsteiner Erich, Materielle Zivilisation, Marktwirtschaft und Kapitalismus, in: Aufrisse 4/1988. Müller Bertrand, Lucien Febvre, lecteur et critique. Bibliotheque Albin Michel Paris 2003. Raphael Lutz, Die Erben von Bloch und Febvre. AnnalesGeschichtsschreibung und nouvelle histoire in Frankreich 1945-1980. Stuttgart klett cotta 1994. Wallerstein Immanuel, Braudel, in: Die Sozialwissenschaft ”kaputtdenken”. Die Grenzen der Paradigmen des 19. Jahrhunderts (Weinheim 1995) 223-270. Zeitschriften: Annales Histoire, Sciences Sociales. Edition de l’Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (EHESS). Paris Armand Colin. 9 Review Fernand Braudel Center. Binghamton University. New York. 10