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Freitag, 28. August 2009, NZZ Online
«Hannibal genoss keine diplomatische Immunität»
«Hannibal genoss keine diplomatische
Immunität»
Die Völkerrechtlerin Anne Peters über den
schweizerisch-libyschen Vertrag
Die Staats- und Völkerrechtlerin Anne Peters in der Club-Sendung des Schweizer
Fernsehens vom 25. August 2009. (Bild: Schweizer Fernsehen)
Frau Peters, was müssen wir uns unter einem internationalen Schiedsgericht
vorstellen?
Die Schiedsgerichtspartei ist eine alte Institution in der zwischenstaatlichen
Konfliktbewältigung. 1907 wurde in Den Haag der Internationale Schiedshof errichtet,
als eine Alternative zur damals noch üblichen kriegerischen Beilegung von
Konflikten. Auf die Schiedsregeln von 1907 wurde in dieser Vereinbarung zwischen
der Schweiz und Libyen auch verwiesen. Die Schweiz war schon in zahlreiche solche
Verfahren involviert. Solche Schiedsverfahren sind aber oft vertraulich.
«Die Schweiz ist an den Vertrag gebunden»
Der Vertrag, den Bundespräsident Hans-Rudolf Merz in Tripolis unterschrieben hat,
stösst auf harsche Kritik. Es heisst, die Vereinbarung sei aus rechtsstaatlicher Sicht
nicht bindend. Stimmt das?
Hier muss man unterscheiden zwischen innerstaatlichen Verfahrensverletzungen und
Bindungswirkungen nach aussen - im Völkerrechtsverhältnis. Nach Völkerrecht gilt
der Staats- oder Regierungschef als vertretungsbefugt und kann verbindlich einen
Vertrag unterzeichnen. Und darauf kann sich der Vertragspartner normalerweise auch
verlassen. Die Schweiz ist also an diesen Vertrag gebunden, unabhängig von etwaigen
innerstaatlichen Rechtsfehlern. Völkerrechtliche Vereinbarungen bedürfen teilweise
der Zustimmung des Parlaments, und auch nach dem Völkerrecht ist vielfach ein
zweistufiges Verfahren mit völkerrechtlicher Ratifikation vorgesehen. Das heisst, es
gibt Verträge, wo die Unterschrift alleine nicht ausreicht, wo nachträglich noch eine
Bestätigung erfolgen muss - auch gegenüber dem Vertragspartner. Ein solcher
Vertragstyp ist jener zwischen der Schweiz und Libyen allerdings nicht.
Hat sich die Schweiz - gelinde formuliert - in dieser Affäre selbst ein Ei gelegt?
Das ist eine rein politische Beurteilung. Dazu kann und will ich nichts sagen.
Nüchtern betrachtet kann man aber festhalten: Bei der Polizeiaktion um die
Verhaftung von Hannibal Muammar al-Ghadhafi ist niemand ernsthaft zu Schaden
gekommen. Ist in einem solchen Fall ein internationales Schiedsgericht
verhältnismässig?
Was in der Diskussion immer wieder untergeht: Hannibal Muammar al-Ghadhafi
genoss keine diplomatische Immunität. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte dies
eine schwere Völkerrechtsverletzung bedeutet. Er war weder diplomatischer Vertreter
Libyens noch zwecks Aufnahme von amtlichen, diplomatischen Aufgaben in der
Schweiz gewesen. Hannibal Muammar al-Ghadhafi hatte lediglich einen
Diplomatenpass. Das ist aber ein Dokument, das keine Immunität gewährt. Deswegen
ist das, was die Genfer Polizei gemacht hat, vielleicht unverhältnismässig nach dem
kantonalen Polizeirecht und der Schweizer Bundesverfassung, aber es lag weder eine
Völkerrechtsverletzung noch ein Verstoss gegen die diplomatische Immunität vor.
Trotzdem wird das Vertragswerk umgesetzt. Was heisst das im Detail?
Erstmals muss nun eiligst dieses Schiedsgericht einberufen werden und eine
Entscheidung fällen. Beide Staaten müssen dabei einen diplomatischen Vertreter
bestimmen, die dafür sorgen müssen, dass die zwischenstaatlichen Beziehungen
normalisiert werden. So sollen auch Ein - und Ausreisevisa für die Bevölkerung der
beiden Staaten normal erteilt werden. Dann steht auch noch im Vertrag, falls das
Schiedsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass rechtswidrige Aktionen im Sinne des
nationalen und des Völkerrechts sowie Höflichkeitsverletzungen zwischen den beiden
Staaten vorlagen, sich die Schweiz dazu verpflichtet, jene Personen - also in diesem
Fall die an der Verhaftung beteiligten Genfer Polizisten - in einem Verfahren zur
Rechenschaft zu ziehen.
Änderung der Überschrift
Änderung der Überschrift
zz. Die Gesprächspartnerin legt Wert darauf, dass die ursprüngliche Überschrift,
welche sich aus dem autorisierten Gespräch ergibt, durch eine neue Aussage ersetzt
wird.
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Wie das im Einzelfall ausschaut - der Bund kann dem Kanton Genf hier keine
Vorschriften erteilen -, gestaltet sich äusserst schwierig. Nach Völkerrecht ist es der
Schweiz aber selbst überlassen, wie sie das im Einzelfall ausgestaltet.
«Kein Potenzial für kriegerische Aktionen»
Wo liegen ihrer Ansicht nach Gefahren, oder anders gefragt: Könnte es der Schweiz
gar von Nutzen sein, die Affäre um die Verhaftung von Ghadhafis Sohn Hannibal in
Genf von externen Parteien beurteilen zu lassen?
Auf jeden Fall. Es ist immer ein Gewinn von Glaubwürdigkeit, wenn ein neutrales
Schiedsgericht eingesetzt wird. Die Schweiz hat kein Vertrauen in Libyen und
umgekehrt. Somit sind beide Seiten besser bedient, wenn dies von einer dritten Instanz
beurteilt wird. Für künftige Fälle könnte sich die Schweiz auf diesen Präzedenzfall
berufen. Sie könnte dann auch ein internationales Schiedsgericht fordern. Generell ist
die Schweiz darauf angewiesen, Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen. Der
Bund hat wenig Potential für wirtschaftliche Sanktionen und keine Möglichkeit für
kriegerische Aktionen gegenüber Libyen oder anderen Staaten.
Es ist denkbar, dass hiesiges Recht durch den Entscheid des Tribunals in London
ausgehebelt wird.
Das ist eine schwierige und äusserst delikate Frage. Sie betrifft das Verhältnis von
Völkerrecht einschliesslich der Entscheidungen internationaler Gerichte und
Schiedsinstanzen zum nationalen Recht. Dazu gibt es verschiedene Auffassungen. Die
Schweiz räumt generell dem Völkerrecht den Vorrang ein - vor dem innerstaatlichen
Recht. In der Verfassung steht dazu, dass Bund und Kantone das Völkerrecht beachten
müssen. Die Auffassung vieler Staaten, auch jene der Schweiz, ist, dass das
Völkerrecht Vorrang hat. Das wird aber zunehmend in Frage gestellt, wenn das
Völkerrecht innerstaatliche zentrale Verfassungsprinzipien umstürzen würde. Es kann
sein, dass dies in diesem konkreten Fall relevant wird. Es geht bekanntlich um das
föderale Prinzip, also das Verhältnis zwischen Bund und Kanton. Hier ist zunehmend
die Tendenz erkennbar, dass ein Staat nicht verpflichtet ist, innerstaatliche
Verfassungsgrundsätze über Bord zu werfen, falls dies ein völkerrechtliches Gericht
vorschreiben sollte. Das Schiedsgericht wird in dieser Frage jedoch nur etwas
Allgemeines sagen, der Schweiz ist es dann selbst überlassen, wie sie dies umsetzen
möchte.
Hätte Bern ihrer Meinung nach eine andere Wahl gehabt, die Freilassung der in
Tripolis festgehaltenen Schweizer Geschäftsleute freizubekommen?
Das kann ich nicht beurteilen.
Wie bindend ist ein Entscheid dieses Schiedsgerichts für die Schweiz?
Die Entscheidungen eines völkerrechtlichen Schiedsgerichts sind rechtlich
verbindlich, und die Schweiz ist zur Umsetzung verpflichtet. Wenn es innerstaatliche
Umsetzungsprobleme gibt, kann sie sich normalerweise nicht gegen Libyen darauf
berufen - ausser möglicherweise dann, wenn zentrale Verfassungsprinzipien in Frage
gestellt werden. Aber das ist in der Lehre umstritten und wird auch in der
Staatenpraxis unterschiedlich gehandhabt.
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Das Gespräch mit Anne Peters führte Andrea Hohendahl.
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