Völkerrecht und neue Kriege

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Völkerrecht
I.
Probleme des gerechten
Krieges
II. Das Völkerrecht und die
modernen Kriege
1. Michael Walzer, Just and
Unjust Wars (1977)
2. Völkerrechtliche
Bestimmungen
3. Die „neuen Kriege“ (Herfried
Münkler)
Mc Dezember 2009
Folie 1
Franz-Josef Jung, Bundesmin. d.
Verteidigung 2005-2009. Am
27. November 2009 trat er wegen
der Affäre um einen Luftangriff in
Afghanistan von seinem Posten als
Arbeitsminister zurück.
Folie 2
I. Probleme des gerechten Krieges
Voraussetzungen:
• Gewalteinsatz von Individuen und Gruppen (Staaten) gegen
andere Individuen und Gruppen kann gerechtfertigt sein
(einschließlich Tötung).
• Hauptgrund: Alternative wäre Unterwerfung unter einen
Aggressor, der zu allen möglichen Untaten zwingen kann
(Folgen des Pazifismus)
• Krieg kann durch Regeln (Verbote, Erlaubnisse, Rechte,
Pflichten) eingeschränkt werden (gegen „inter arma silent
leges“, „war is hell“).
Gilt als einer der Ursprünge
des neuzeitlichen
Völkerrechts: Der
Westfälische Friede 1648
Unterscheidung „gerechter Krieg“
• Durch Gründe auch für Feinde und Dritte zu rechtfertigender
Krieg (bellum justum).
• Krieg für eine gerechte Sache (justa causa), für die Verbreitung
der Gerechtigkeit (auch: die Abschaffung des Krieges), unter
Umständen auch durch Angriff.
Folie 3
Unterscheidungen der Arten des Kriegs- bzw. Völkerrechts
1. Recht zum Krieg (jus ad bellum)
2. Recht im Krieg (jus in bello)
3. Recht nach dem Krieg (jus post bellum)
4. Recht im Frieden
Hugo Grotius 1582-1645
Ad 1: Kriegsgründe
Regeln: Verteidigung gegen Angriff, Ahndung von Schädigung und
Rechtsverletzung, Gewaltsame Wiedergutmachung bzw. Rückeroberung. Kriegserklärung durch rechtmäßige Autorität, Zustimmung der Bevölkerung (Republik). Schaden abschätzen,
Vermeidungsmöglichkeiten ausschöpfen (ultima ratio).
Folie 4
Ad 1: Kriegsgründe (Forts.)
Probleme: Wer entscheidet über die Rechtsverletzung? Wie weit muss man
zurückgehen (z.B. bei Rückeroberung)? Darf man bei schwerem
Unrecht (Tyrannis, Völkermord, Menschenrechtsverletzung)
intervenieren? Wie weit geht das Recht auf Prävention? Wer ist zur
Kriegserklärung berechtigt? Verteidigung bei Überraschung und
gegen nicht erklärte Angriffe?
Ad 2: Recht im Krieg
Regeln:
Rechte der Zivilisten und Kombattanten unterscheiden. Den
Gegner in seinen Rechten achten (u. U. von dessen Unschuldsüberzeugung ausgehen).
Bestimmte Waffen nicht benutzen (Gift, Biowaffen, Nuklearwaffen etc.). Sich an Absprachen halten, keine Rache erzeugen,
Frieden ermöglichen.
Probleme: Nicht beabsichtigte Nebenschäden. Druck auf die Bevölkerung
zur Kriegsverkürzung. Krieg gegen Übermacht (Besatzung)
bzw. gegen nicht-unterscheidbare Feinde (Partisanen etc.). Extreme
Bedrohung (Nuklear).
Folie 5
II. Das Völkerrecht und die modernen Kriege
1. Michael Walzer (Just and Unjust Wars, 1977)
Moralphilosoph, USA,
geb. 1935
Allgemeine Voraussetzung:
Krieg kann gerechtfertigt sein, aus verschiedenen Gründen (Verteidigung,
Befreiung etc.). Soldaten können also aus subjektiv berechtigten Gründen Krieg
führen (sind keine „Mörder“). Es gibt Regeln, an die man sich halten muss. Die
wichtigste: Kämpfer von Nicht-Kämpfern zu unterscheiden und letztere zu
schonen.
Besondere Probleme der Moderne:
A. Bombenkrieg („Massenvernichtungswaffen“) und Zivilbevölkerung
B. Partisanen-, Guerilla- und Befreiungskriege
C. Terrorismus
D. Nukleare Abschreckung
Folie 6
B. Partisanen-, Guerilla-, Befreiungskriege
Problem:
Können in einem unerklärten Krieg der Schwachen gegen die Starken (Besatzer) alle
Mittel der Überraschung und der Täuschung benutzt werden?
Kriegsrechtliche Unterscheidung zwischen Kriegs-, Waffenstillstands- und Friedenszeit
verleiht den Kämpfern „Kombattanten-Status“ und den Zivilisten Rechtsgarantien. Die
Aufhebung berechtigt die Überfallenen, Zivilisten wie Kämpfer zu behandeln und
Gefangene wie gewöhnliche Verbrecher (Vorrecht der Kriegsgefangenen: Keine Straftat,
„benevolent quarantine“).
Walzer: Die Unterscheidung kann eingeschränkt aufrechterhalten werden, wenn die
Kämpfer politische und militärische Einrichtungen bzw. Personen attackieren.
(Beispiele: Mao, Cuba – vgl. Walzer 181).
Folie 7
B. Partisanen-, Guerilla-, Befreiungskriege (Forts.)
Walzer:
1. Wenn Guerillakämpfer die Unterstützung der Bevölkerung haben, steht
ihnen die Anerkennung als Kriegsrechtssubjekte zu.
2.
Wenn das ganze Volk sich am Befreiungskrieg beteiligt, dürfen die Besatzer nicht mehr Krieg führen (weil keine kriegsrechtliche Unterscheidung möglich ist).
Beispiel: Der amerikanische Krieg in Vietnam unterschied am Ende nicht
mehr zwischen Guerillas, Unterstützern (supporters) und neutraler Zivilbevölkerung, sondern bekämpfte undifferenziert die Landbevölkerung.
An dieser Stelle wird die Unterscheidung Recht zum Krieg vs. Recht im Krieg
aufgehoben: Zu einem solchen „kriegsrechtlosen“ Krieg gibt es kein Recht mehr.
Ein Krieg direkt gegen die Zivilbevölkerung hat kein Recht „gewonnen zu werden“
(196).
Folie 8
Madrid, 11. März 2004
C. Terrorismus
Terror ist die Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten, um durch Angst und
Schrecken (terror) Druck auf Bevölkerungen und Regierungen (evtl. Besatzungsmacht und „Stellvertreterregierung“) auszuüben („Fortsetzung des Kriegs mit
politischen Mitteln“).
Wahllose Tötung zufällig an einem Ort befindlicher Menschen wegen Zugehörigkeit
zu einem Regime, Volk, Rasse, Glauben („Ungläubige“).
Terror kann ausgeübt werden:
a) von Staaten gegen die eigene Bevölkerung (Jakobiner, Faschismus, „Todesschwadrone“)
b) von Staaten gegen Zivilbevölkerung anderer Staaten (unbegrenzter U-Bootkrieg, Bombenkrieg, Atombombenabwurf)
c) von Guerillakämpfern bzw. –organisationen (Irische Aufständische und
russische Anarchisten im 19./20. Jh., seit dem 2. Weltkrieg verbreitet in allen
Erdteilen)
Folie 9
C. Terrorismus (Forts.)
Kriegsrechtliche und moralische Bewertung (nach Walzer):
Irreguläre Gewalt, sogar geplante Tötung kann eingeschränkt moralisch respektiert werden, wenn sie sich gegen militärische oder hochrangige politische
Träger einer unterdrückenden Macht richtet (Problem der Objektivierung der
Kategorie „Unterdrückung“).
In dem Maße, in dem sie den Kreis ausweitet (alle Staatsbeamten, alle Unterstützer, alle Steuerzahler, alle Angehörigen des unterdrückenden Staates, eines
Volkes, einer Religion, einer Rasse), verliert der Kampf jede kriegsrechtliche
Rechtfertigung und Anspruch auf moralische Billigung (völlige Instrumentalisierung von Menschen).
„In seiner modernen Form ist Terror die totalitäre Form von Krieg und Politik“
(203).
Revolutionärer Kampf zeichnet sich dagegen durch Selbstbeschränkung in der
Wahl der Mittel und der Feinde aus. Befreiungskrieger müssen sich zumindest
teilweise an das Kriegsrecht halten und sich moralischen Gesetzen unterstellen.
Folie 10
2. Völkerrechtliche Bestimmungen (1)
Quellen des Völkerrechts sind
Gewohnheitsrecht und Verträge zwischen
den Staaten.
Wichtige Beispiele:
Pariser Seerechtsdeklaration (1856)
Genfer Konvention von 1864, Genfer
Abkommen von 1925, 1929 und 1949
Haager Abkommen von 1899
(„Landkriegsordnung“) und 1907
Völkerbund (1919) und UN-Charta (1949),
UN-Resolutionen
Abrüstungsverträge zwischen USA und
UDSSR, Verbot der Antipersonenminen von
1997, Urteile des Internationalen
Gerichtshofes (IGH)
Internationaler Strafgerichtshof,
Den Haag
Folie 11
2. Völkerrechtliche Bestimmungen (2)
UN-Reformgruppe, Vorschlag 2005: Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit in
den Staaten (vor allem: Minderheitenverfolgung) kann die UNO gewaltsam
intervenieren. Dabei müssen alle Bestimmungen des Kriegsrechts eingehalten
werden. Humanitäre Intervention ist gegeben, wenn:
-ein Staat, eine Gruppe von Staaten oder eine internationale Vereinigung Militär in
ein fremdes Staatsgebiet entsendet, um die Bevölkerung des fremden Staates vor
schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen.
- Es müssen „grundlegende Menschenrechte“ verletzt sein,
1. deren Verletzung „für die Betroffenen unmittelbar mit schwerem Leid verbunden
sind“ (Leben, körperliche Unversehrtheit, elementare Freiheiten)
2. deren Gewährleistung Voraussetzung dafür ist, dass Personen überhaupt Rechte
haben.
3. Ohne die eine „minimal achtbare politische Ordnung nicht vorliegt“
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3. Die neuen Kriege
Begriff: „Neue“ Kriege
a) nicht mehr von Staaten gegen andere Staaten
b) überwiegend unter Verletzung von Kriegsrecht
Historisch:
In der europäischen Geschichte und dem Völkerrecht ist vom Ende des
30jährigen Krieges bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts der Krieg „zivilisiert“
(„gehegt“ etc.) worden. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gibt es eine
Regression:
Zunahme an antikolonialen Befreiungskriegen, Bürgerkriegen, Stammeskriegen, gewaltsamen ethnischen und religiösen Konflikten.
Die Kriegführung in diesen Kriegen wird ohne hohen technischen Aufwand und
Kosten für die Rekrutierung und Entlohnung von Soldaten geführt.
Ihre Hauptabsicht ist oft der Druck auf die Zivilbevölkerung bis hin zu
systematischer Folter (Vergewaltigung etc.).
(Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg 2002)
Folie 13
3. Die neuen Kriege (Forts.)
Bedingungen:
a) Politisch: Zerfall staatlicher Gewaltmonopole. Rückkehr der Macht von
religiösen Verbänden in säkularisierten Staaten (Gegensätze von
Stammesreligionen oder von Konfessionen). Möglichkeit der Medienbeeinflussung (Druck auf die Weltöffentlichkeit).
b) Ökonomisch: Möglichkeit der Kriegführung mit technisch einfachen („leichten“) und preiswerten Waffen (Pick-up, Kalaschnikoff, Handy, PC). Reservoir
arbeits- und perspektivloser Jugendlicher. Einnahmen durch Plünderung und
Erpressungsgelder (Schutz von Hilfsgüterkonvois, Flüchtlingslager).
Unterstützung durch Glaubensgenossen (Petrodollars), Finanzierung durch
Rauschgifthandel. Teilnahme an internationalen Finanz- u.
Rohstoffspekulationen.
c) Psychologisch: Erniedrigung durch Ausschluss von ökonomischem und technischem Fortschritt. Zusammenprall von Kulturen (liberal-säkular vs. traditionellreligiös, Patriarchat vs. Emanzipation). Verlust historischer Bedeutung (arabische
Welt, Türkei, Sowjetunion).
Folie 14
Literatur
Ludwig Siep, Praktische Philosophie II. Einführung in die politische Philosophie.
Universität Münster 2009:
http://www.unimuenster.de/imperia/md/content/philosophischesseminar/mitglieder/siep/vorlesung/prak
tische2/vorlesung_10_-_internationale_gerechtigkeitneu.ppt
Bernhard Sutor, Politik. Paderborn 1994. S. 361-367
Der Spiegel (49/2009)
Wikipedia: Völkerrecht, Humanitäres Völkerrecht, Hugo Grotius, Guerrilla Warfare,
Internationaler Strafgerichtshof
Folie 15
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