Vom Glücksspiel zum Teilen

Werbung
Ökumenische Kampagne 2010
Werkheft Liturgie
___________________________________________________________
Ökumenischer Gottesdienst
Vom Glücksspiel zum Teilen
Autor/innen: Sarah Aebersold, christkatholische Priesterin, Stein/AG;
Martina Gassert, Fachverantwortliche für Liturgie beim Fastenopfer;
Matthias Jäggi, reformierter Pfarrer, Ostermundigen/BE
Dieser Gottesdienst geht vom Spielen mit Lebensmitteln auf dem diesjährigen
Kampagnenplakat aus. Während es nach den Regeln des Glücksspiels und der
Weltwirtschaft zwangsläufig Gewinnerinnen und Verlierer gibt, sollten nach
biblischen Massstäben eigentlich alle gewinnen. Das zeigt das haitianische Bild
der Tischgemeinschaft auf dem Mobile. Wie viele Menschen gewinnen oder
verlieren, hängt von den Spielregeln ab.
Im ersten Teil des Gottesdienstes wird ein Glücksspiel - mit Gewinnern und
Verliererinnen - angespielt. Der biblische Lesungstext Lev 25,14-19 folgt
dagegen ganz anderen Regeln: Alle sollen satt werden und in Sicherheit leben
können. Die Spiel- und Lebensregeln beschäftigen die
Gottesdienstteilnehmenden auch noch beim Kaffee nach dem Gottesdienst: was
tun, wenn die einen mehr und die anderen weniger erhalten?
Ablauf
1. Musik
2. Einführung
3. Gebet
4. Lied: KG 575 /RG 841/CG 909/rise up 047: Gott gab uns Atem
5. Spiel
6. Kyrie
7. Lied: KG 592 /RG 833/CG 899: Komm in unsre stolze Welt oder
KG 202/CG 613: Wer leben will wie Gott auf dieser Erde
8. Lesung: Lev 25,14-19
9. Predigt
10. Musik
11. Fürbitten und Vaterunser/Unser Vater
12. Lied: KG 229/RG 835/CG 896/rise up 047: Gib uns Weisheit, gib uns Mut
oder KG 577/RG 638/CG 330: Herr, gib uns unser täglich Brot
13. Einladung zum Kirchenkaffee
14. Segen
15. Musik
Einführung
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes, der Quelle unseres
Lebens. Er befreit uns in Jesus Christus zu neuer Gemeinschaft. Er ist bei
uns in der Heiligen Geistkraft, durch die wir glaubwürdig leben können.
Wir begrüssen Sie, liebe Mitfeiernde, zu unserem ökumenischen
Gottesdienst. "Ökumene" bedeutet "die bewohnte Erde" oder "die
Menschheit". Sowohl die Kirche als auch die Wirtschaft umfassen diese
"bewohnte Erde" – beide sind globalisiert. Aber sie richten sich nach
unterschiedlichen Werten: Gott oder Geld, Mensch oder Profit, Geschenk
oder Leistung. Daher gelten bei ihnen auch verschiedene Regeln: Wer in
der Wirtschaft zu den Gewinnern zählt, kann - mit dem Massstab des
christlichen Glaubens gemessen – durchaus ein Verlierer sein – und
umgekehrt.
Auf dem diesjährigen Kampagnenplakat sind Menschen aus
verschiedenen Kontinenten um einen Pokertisch versammelt. Sie spielen
nicht um Geld, sondern um Lebensmittel. Dabei sind diejenigen in einer
guten Ausgangsposition, die bereits über viele Lebensmittel verfügen,
während die anderen nur begrenzte Spielmöglichkeiten haben. Wer mit
einem ansehnlichen Kapital startet und ausserdem noch strategisch
geschickt seine Lebensmittel vermehrt, gewinnt. Wer dagegen nur ein
kleines Startkapital einsetzen kann und sich womöglich von den
Wohlhabenden einschüchtern lässt, verliert. - Ein Szenario, das auch an
den Börsen Realität ist: Durch Spekulation mit Lebensmitteln steigen die
Preise für Grundnahrungsmittel, sodass immer mehr Menschen hungern
müssen.
In diesem Gottesdienst wollen wir diesem Spiel auf die Spur kommen und
unseren eigenen Standpunkt überdenken.
Gebet
Gott
Menschen schaffen Gesetze.
Menschen erfinden Regeln.
Menschen ziehen Grenzen.
Menschen ordnen die Erdteile nach ihrer Wirtschaftskraft.
Du schaffst die Erde und die Menschheit.
Du gibst der ganzen Erde eine Sonne.
Du gibst der ganzen Erde Wasser.
Du lädst die Menschen dazu ein,
durch Glauben und Nächstenliebe dir nahe zu sein.
Der Mensch erfindet, was trennt.
Du schaffst, was eint, weil du, Gott, Einheit bist.
Spiel
Die Spielanleitung ist in einem separaten Dokument auf
www.oekumenischekampagne.ch unter „Liturgie“ zu finden.
Sie alle haben nun die Gelegenheit, in einem Spiel zu erleben, wohin die
Spekulation mit Lebensmitteln führt. Auf den Lebensmittelkärtchen, die Sie
am Eingang erhalten haben, ist Ihr „Startkapital“ abgebildet: eine Zwiebel,
zwei Fische, drei Bananen oder vier Pouletschenkel. Sie konnten sich
nicht aussuchen, zu welchem Land Sie gehören. So sind Sie jetzt in einer
guten oder schlechten Ausgangslage und haben mehr oder weniger
Möglichkeiten, durch eine geschickte Spielstrategie Ihre Chance auf einen
Gewinn zu erhöhen.
Wenn um Lebensmittel gespielt wird, gibt es Gewinner und Verliererinnen.
Einige von Ihnen freuen sich sicher über ihren Gewinn. Andere unter
Ihnen ärgern sich vielleicht über ihre Verluste, weil Sie alles auf eine Karte
gesetzt haben und dabei alles verloren haben. Einige von Ihnen fühlen
sich ungerecht behandelt, weil sie eine schlechtere Ausgangslage hatten
als ihre Nachbarin und deshalb gar nicht so viel gewinnen konnten wie sie.
Was bei uns ein Spiel war, ist für viele andere Menschen bittere Realität.
Je nach ihrer wirtschaftlichen Situation verfügen sie über eine bessere
oder schlechtere Ausgangsposition, um auf dem Markt mitzumischen. Auf
dem Weltmarkt bestimmt allerdings nicht das Glück, wer gewinnt und wer
verliert, sondern die Handelsregeln. Dabei gilt der Grundsatz, dass jene,
die Geld haben, die Regeln diktieren. Die Spekulation mit Lebensmitteln
führt zu einer Verschärfung der bestehenden Ungerechtigkeiten: Wer hat,
der häuft spielend noch mehr Reichtum an - und zwar auf Kosten
derjenigen, die wenig haben. - Eine menschenunwürdige Spirale, die sich
immer schneller dreht!
Kyrie
Jesus Christus, bei dir gelten andere Spielregeln als im Welthandel. Du
sagst:
"Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um
meinetwillen verliert, wird es gewinnen." (Mt 10,39)
Herr, erbarme dich.
"Der Grösste unter euch soll werden wie der Kleinste." (Lk 22,26b)
Christus, erbarme dich.
"Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller
sein." (Mk 9,35)
Herr, erbarme dich.
Predigtanregung
Glückspiele funktionieren alle nach einem ähnlichen Muster: Die
Mitspielenden setzen etwas ein; dann kommen Karten, Würfel, Zahlen ins
Spiel. Am Ende haben einige deutlich mehr, die anderen haben ebenso
deutlich weniger oder gehen ganz leer aus. Glückspiele sind somit
gleichzeitig „Pechspiele“. Sie enden in einer „win-lose“-Situation, es gibt
Gewinner und Verliererinnen.
Die Weltwirtschaft ist kein globales Glücksspiel. Aber es gibt Bereiche, die
ähnlich funktionieren: Auch an den Börsen gibt es Gewinnerinnen und
Verlierer. Wenn mit Lebensmitteln spekuliert wird, gibt es Satte und
Hungrige. Zugespitzt gesagt, kämpft der Norden am Schluss gegen
Übergewicht und der Süden gegen Unterernährung. Eine „lose-lose“Situation, Verliererinnen und Verlierer hüben und drüben.
Die biblische Tradition animiert nicht dazu, mit den Gütern dieser Erde zu
spekulieren, sondern diese gerecht zu verteilen. Im Zentrum steht nicht
das eigene Wohl, das „Meinwohl“, sondern das Allgemeinwohl, nicht mein
Glück, sondern das Glück aller. Ganz verschiedene Texte zielen auf eine
„win-win“-Situation, auf Verhältnisse, bei denen niemand auf der Strecke
bleibt.
„Wenn ihr meine Satzungen befolgt“, hören wir Gott sagen, „dann werdet
ihr sicher wohnen im Land, das Land wird seine Frucht geben und ihr
werdet euch satt essen können.“
Gott will nicht ein paar wenige Abzocker und ein Heer von "über den Tisch
Gezogenen", sondern verheisst allen genug zu essen und in Sicherheit zu
wohnen. Dazu werden im Buch Levitikus Regeln entwickelt: Da die Erde
zuerst und zuletzt Gott gehört, wird Privatbesitz zeitlich begrenzt. In jedem
50. Jahr sollen die ursprünglichen Besitzverhältnisse wiederhergestellt
werden. Aus Wohlhabenden und Habenichtsen werden wieder
„Genughabende“; was sich aufgrund der herrschenden Machtverhältnisse
an Ungleichheit entwickelt hat, wird alle paar Generationen wieder
ausgeglichen. Alle sollen sicher und satt sein: „win-win“. Auch in der Zeit
zwischen zwei dieser sogenannten Halljahre gilt: Übervorteilt einander
nicht, handelt fair!
Das Volk Gottes lebte im Laufe der Zeiten selten in solch glücklichen
Verhältnissen. Die biblischen Schriften reden von himmelschreiender
Ungerechtigkeit, von Hungersnöten, von kriegerischen
Auseinandersetzungen. Dieses „win-win“-System blieb oft Vision, von den
Armen herbeigesehnt. Da gibt es nichts zu verklären und zu idealisieren.
Es kann im 21. Jahrhundert auch nicht darum gehen, rückwärtsgewandt
eine Weltwirtschaftsordnung an Levitikus 25 auszurichten. Dazu sind die
Rahmenbedingungen heute viel zu verschieden.
Allerdings können wir uns sehr wohl Gottes grundsätzliche Verheissung in
Erinnerung rufen: Die Menschen werden in Sicherheit leben und sich satt
essen können. Diese Verheissung zieht sich auch durch die weiteren
biblischen Bücher. Die Propheten lassen sich von ihr leiten. Jesus bezieht
sich darauf (vgl. Lk 4,18) und lässt sie die Menschen erleben – in der
Speisungsgeschichte (Lk 9,10-17) und immer, wenn er mit anderen
zusammen bei Tisch sitzt. Die Spur zieht sich weiter durch die
Apostelgeschichte, die in den ersten Kapiteln ganz stark auf das
Allgemeinwohl zielt (vgl. Apg 2,42-47), hinein in die Geschichte der Kirche,
in der regelmässig Menschen aufbrachen, um Frieden zu stiften und
Hunger zu stillen.
Damit Gottes Verheissung heute unter uns Gestalt gewinnt, braucht es
den Einsatz aller. Damit sich unsere Art zu wirtschaften in Richtung „winwin“ entwickelt, sind alle gefragt, ihren Spielraum zu nutzen.
Das tun bereits viele Menschen - sowohl bei uns, im Norden, als auch im
Süden (vgl. Erfahrungsberichte in der Agenda). Jede und jeder von uns
hat Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen und mitzugestalten. Auch als
Kirche können wir unseren Teil dazu beitragen. Das diesjährige
Kampagneplakat zeigt einen Pokertisch, an dem einer alles an sich rafft;
ein Hungertuch-Ausschnitt auf einem der Mobilebilder zeigt einen reich
gedeckten Tisch, an dem geteilt wird. Wenn wir unsere Kirchgemeinde
oder Pfarrei an einem Tisch darstellen würden: Was für ein Bild ergäbe
das? Wer sitzt – im eigentlichen und im übertragenen Sinn – an unseren
Tischen? Wen vergessen wir, wen schliessen wir bewusst oder unbewusst
aus? Warum eigentlich? Und was tischen wir den Menschen auf? Wo wir
uns solche Fragen stellen, entdecken wir mit Bestimmtheit Spielräume,
einen nächsten Schritt zu tun, der uns vom „Meinwohl“ Richtung
Allgemeinwohl führt.
Zuerst und zuletzt gehört die Erde Gott. Die Regeln des Zusammenlebens
und des Wirtschaftens entwickeln aber wir Menschen. Wenn wir uns dabei
am Glückspiel orientieren, gibt es zwangsläufig Gewinnerinnen und
Verlierer, manchmal nur noch Verlierer/innen. Wenn wir aber darauf
vertrauen, dass Gott die Erde so geschaffen hat, dass alle Menschen
sicher wohnen und sich satt essen können, dann verwandelt sich das
„Alle-gegen-alle“ in ein „Alle-miteinander“; dann entwickeln wir Regeln, mit
denen alle gewinnen.
Fürbitten und Vaterunser/Unser Vater
Auf jede Fürbitte antwortet die Gemeinde mit einem Liedruf, siehe KG 69/
RG197/CG362.
Auf dem Mobile ist ein anderes Bild zu sehen als auf dem
Kampagnenplakat: Zwar sind auch hier Menschen verschiedener
Hautfarbe um einen Tisch versammelt und auch auf diesem Tisch liegen
Lebensmittel. Aber die Menschen teilen das Brot und die übrigen
Lebensmittel miteinander. Bei ihnen geht es nicht darum, möglichst viel für
sich zu horten - wie es auf dem Kampagnenplakat zu sehen ist. Nein, ihr
Ziel ist es, dass alle satt werden und miteinander leben und feiern können.
Als Zeichen dafür ist über ihnen ein Regenbogen zu sehen.
So wollen wir uns jetzt an Gott wenden:
Guter Gott, wir danken dir dafür, dass wir genug zum Leben haben, und
bitten dich
-
für alle Menschen, die sich wegen zu hoher Lebensmittelpreise oder zu
geringem Lohn nicht ausreichend ernähren können.
-
für alle Menschen, die in Wirtschaft, Politik und internationalen
Organisationen für die Handelsstrukturen Verantwortung tragen: Dass
sie die Welthandelsregeln zugunsten der Hungernden beeinflussen.
-
für alle Menschen, die von der Wirtschaft ausgeschlossen werden, weil
sie arbeitslos, behindert, krank oder arm sind: Sie gehören zu dir und
sind unersetzlich.
-
für uns selbst: Dass wir immer mehr Produkte aus gerechtem Handel
und aus unserer Region kaufen und so im Kleinen etwas zur
Veränderung des Welthandels beitragen.
-
für unsere Gemeinde/n: Dass gesellschaftlich Ausgeschlossene bei
uns ihren Platz finden und wir nach den Spielregeln Jesu unser
Zusammenleben gestalten.
Darum bitten wir dich, Gott, Freund des Lebens, und beten mit den Worten
eines bolivianischen Bauern:
"Gott, gib uns heute unser Brot – nicht Geld, um etwas zu kaufen.
Schenke uns Gesundheit, um unsere Aufgaben erfüllen zu können – nicht
Medizin.
Gib uns Kraft, um zu arbeiten, nicht um Macht zu haben.
Schenke uns nicht Reichtum, sondern Glück zum Leben."
In diesem Sinn beten wir nun gemeinsam das Vaterunser/Unser Vater.
Einladung zum Kirchenkaffee
Sie alle sind ganz herzlich zum Kirchenkaffee eingeladen. Ob Sie
allerdings einen Kaffee und ein Stück Zopf oder Kuchen geniessen
können, haben Sie heute nicht selber in der Hand. Denn Kaffee, Zopf und
Kuchen gibt es heute nur gegen eine spezielle Bezahlung: Bohnen, die
Sie für Ihre erspielten Lebensmittel am Kirchenausgang und beim Eingang
zum Kirchenkaffee erhalten. Es gilt ein Wechselkurs von einer Bohne pro
Lebensmittel. Wenn Sie also auf Ihrem Kärtchen ein Schlusskapital von
acht Karotten eingetragen haben, erhalten Sie acht Bohnen.
Falls Sie zu den glücklichen Gewinnern gehören, können Sie sich freuen.
Falls Sie alles verloren haben, könnte es sein, dass Sie heute leer
ausgehen...
Eigentlich ist aber genug für alle da. Sie alle haben miteinander genügend
Lebensmittel erspielt, dass jede/r zumindest einen Kaffee trinken kann. Ob
alle einen Kaffee bekommen, hängt jedoch ganz davon ab, wie Sie mit
Ihrem erspielten Reichtum umgehen. Niemand von Ihnen muss seine
Bohnen mit anderen teilen. Aber Sie dürfen aus freien Stücken von Ihren
Bohnen weiterschenken an jemanden, dem das Glück nicht so hold war
wie Ihnen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.
Segen
Der Gott des Lebens
schenke uns den Glauben
an sein Reich der Gerechtigkeit
und öffne unsere Augen
für das Gute in den Menschen und in der Welt.
Jesus Christus, der Befreier,
stärke unsere Hoffnung auf Frieden
und lenke unsere Füsse
über trennende Grenzen hinweg.
Die heilige Geistkraft
befreie uns
zu selbstloser Liebe
und lasse unsere Hände teilen,
damit alle das Leben in Fülle haben.
Das gebe der treue und gütige Gott
der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Herunterladen