Eine Verfassung für ein starkes Europa Beschlossene Textversion

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Eine Verfassung für ein starkes Europa
Beschlossene Textversion der Arbeitsgruppe “European Policy”
Vorgelegt auf der EVP Vorstandssitzung am 6. Dezember 2001 in Brüssel
CK, 12.12.01
Arbeitsübersetzung des englischen Originaltextes
Inhalt:
I. Einleitung
II. Gelebte
Subsidiarität:
Die
Kompetenzverteilung
zwischen
der
Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten
III. Integration der Grundrechtecharta in die Verfassung
IV. Reform
der
Institutionen:
Neue
Lösungen
Transparenz und Bürgernähe
V. Unsere Verantwortung: Reformen jetzt
für
mehr
Demokratie,
I. Einleitung
01. “In dem Bewußtsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die
Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der
Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der
Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt ihres
Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts begründet.“1
02. Wir haben uns entschlossen, gemeinsam zu handeln - als Ergebnis unserer
Erfahrungen aus der Geschichte und als Antwort auf die Herausforderungen der
Zukunft. Mit Hilfe der Europäischen Union wollen wir eine Gesellschaft entwickeln, die im Zeitalter der Globalisierung - eine freie Wirtschaft mit einer solidarischen Gesellschaft
kombiniert. Das ist unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft. Die Europäische Union ist
dem Ausbau und der Konsolidierung von Freiheit und Demokratie, der Menschenrechte,
von Frieden und Wohlstand in ganz Europa verpflichtet und soll aktiv zu mehr Freiheit
und Frieden in der Welt beitragen. Die EVP fordert ein nachhaltiges Gesellschaftsmodell
das die Solidarität mit kommenden Generationen berücksichtigt. Die Völker, die dem
Europäischen Einigungsprozeß auf der Grundlage ihrer freien Entscheidung beigetreten
sind, erklären die Schaffung einer engen und föderalen Europäischen Union und die
Verwirklichung dieser Werte durch Zusammenarbeit. Dies stellt für die EVP die
Grundlage der Europäischen Union dar. Es ist daher unsere Pflicht, eine Europäische
Union zu schaffen, die ihren Namen verdient - auf der Grundlage einer Europäischen
Verfassung.
03. Unsere Vorstellungen von der Zukunft der Europäischen Union gründen sich
auf der erfolgreichen Geschichte der europäischen Einigung in den vergangenen fünf
Jahrzehnten. Die Europäische Volkspartei fühlt sich den historischen Leistungen ihrer
Gründerväter und der christdemokratischen Aufbaugeneration Europas verpflichtet.
Ohne Jean Monnet, Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer wäre
Europa heute nicht das was es ist: ein Garant für Freiheit, Frieden und Wohlstand. Die
Europäische Union mit der Freizügigkeit, dem Binnenmarkt und der Wirtschafts- und
Währungsunion ist das erfolgreichste politische Projekt, das es in Europa jemals
gegeben hat.
1
Grundrechtecharta der Europäischen Union, Präambel
04. Auf diesem Erfolg müssen wir aufbauen. Die EVP ist sich jedoch der
Herausforderung bewußt, die ein erweitertes Europa an die Kohäsion und unsere
Institutionen
stellt.
Die Wiedervereinigung Europas,
wie
die
Beendigung der
unnatürlichen Teilung unseres Kontinents häufig beschrieben wird, ist ein einmaliger
Vorgang – nicht vergleichbar mit den bisherigen Erweiterungsschritten. Daher bedarf es
jetzt auch außergewöhnlicher Anstrengungen um die Europäische Einigung auch in
Zukunft zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Wir wissen, daß es jetzt weitergehender
Reformen bedarf, damit die Ziele der Gründerväter auch in Zukunft erreicht werden
können.
05. Die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung läßt sich nur dann weiter
fortschreiben, wenn wir die Sorgen und Bedenken der Bürger aufgreifen und der
fortschreitenden Skepsis mit einem entschlossenen Konzept für klarere Kompetenzen,
mehr Transparenz und demokratischere Entscheidungsverfahren entgegentreten. Daher
braucht es – wie bereits im Protokoll zum Amsterdamer Vertrag 1997 festgestellt – eine
tiefgreifende Reform. Wir sind der Ansicht, daß wir den Menschen heute sagen müssen,
was sie in Zukunft von Europa erwarten können. Die bisherige Methode der
schrittweisen Integration ohne klar definiertes Ziel ist inzwischen an ihre Grenzen
gestoßen. Wir brauchen Klarheit über Selbstverständnis und Rolle Europas.
06. Die Diskussion um die Grenzen der Europäischen Union ist untrennbar mit dem
Selbstverständnis Europas verbunden. Europa ist seit langem viel mehr als eine
Freihandelszone,
die
wirtschaftliches
Wachstum
sichert.
Die
geographische
Ausdehnung der Union darf ihre Integrationskraft nicht überfordern. Wir fordern daher,
die Grenzen der EU klar, aber offen zu ziehen, z. B. durch das Angebot von Formen
institutionalisierter Kooperation an Staaten, die gegenwärtig nicht als Vollmitglieder
aufgenommen werden wollen oder können. Die EVP schlägt die Schaffung einer
„Europäischen
Partnerschaft“
vor,
die
sich
am
Modell
des
Europäischen
Wirtschaftsraums (EWR) orientieren sollte - jedoch unter Einbeziehung einer politischen
Komponente. Dies würde der Union eine verstärkte und institutionalisierte Beziehung mit
seinen Nachbarländern ermöglichen und damit Frieden und Stabilität in ganz Europa
fördern.
07. In einer immer größer werdenden Union ist die Feststellung notwendig, daß die
Mitgliedsstaaten der Union aus freiem Willen beigetreten sind. Weil die Europäische
Union heute aber viel mehr als eine Freihandelszone ist, muß eine konstruktive Mitarbeit
aller Mitgliedsstaaten zur Erfüllung der Ziele der Union gewährleistet sein.
08. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben im Dezember 2000 in Nizza
eine „Erklärung zur Zukunft der Union“ beschlossen. Diese sieht vor, daß eine
eingehendere und breitere Diskussion über die Zukunft der EU eingeleitet wird, in der
vor allem die folgenden Fragen behandelt werden sollen:
·
Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Nationalstaaten und Europäischer
Union nach dem Subsidiaritätsprinzip;
·
Status der Charta der Grundrechte;
·
Vereinfachung der Verträge im Sinne der Transparenz;
·
Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas.
09. Die Tagesordnung für diese Debatte muß so offen gestaltet werden, daß eine
demokratischere, transparentere und handlungsfähigere EU möglich wird und so die
Defizite von Nizza überwunden werden können.
10. Die Grenzen der intergouvernementalen Methode wurden spätestens durch die
Vorbereitung der institutionellen Reformen und den Ablauf der Regierungskonferenz in
Nizza deutlich aufgezeigt. Die für den Post-Nizza Prozeß gewählte Arbeitsmethode muß
deshalb die volle Beteiligung der Mitglieder des Europäischen Parlaments und der
nationalen
Parlamente
als
demokratisch
gewählte
Vertreter
der
Bürger
der
Europäischen Union sowie auch die Beteiligung der Europäischen Kommission am
Entscheidungsprozeß gewährleisten.
11. Zur Ausarbeitung eines Vertrages, der die Grundlage für eine Europäische
Verfassung darstellt, fordern wir neue Wege der Entscheidungsvorbereitung, z.B.
eine öffentlich tagende Konferenz basierend auf dem erfolgreichen Modell des Konvents
zur
Vorbereitung
der
Grundrechtecharta,
mit
wirksamen
internen
Entscheidungsverfahren unter Einbindung von Experten und der Zivilgesellschaft von
außerhalb über spezialisierte Arbeitsgruppen. Vertreter der Regionen und die
Beitrittskandidaten müssen in das Verfahren als dauernde Beobachter eingebunden
werden. Im zweiten Schritt wird eine Regierungskonferenz die Ergebnisse des
Konventes beraten und einen neuen Vertrag beschließen. Die Einsetzung des
Konventes muß zu Beginn des Jahres 2002 erfolgen und mit einem klaren Mandat,
Zeitplan und Verfahrensgrundsätzen einhergehen. Diese Konferenz sollte ihre Arbeit im
Herbst des Jahres 2003 abgeschlossen haben, so daß eine Regierungskonferenz zum
Jahresende 2003 die notwendigen Beschlüsse fassen kann.
12. Die EVP legt als erste europäische Partei ein umfassendes Konzept für eine
europäische Verfassung vor – als Erben der christdemokratischen Gründerväter
Europas ist dies für uns Herausforderung und Verpflichtung zugleich. Diese Verfassung
soll - in transparenter, allgemein verständlicher Weise - die Kompetenzen zwischen
Union und Mitgliedsstaaten aufteilen sowie die Grundrechte und die Struktur der
europäischen Institutionen umfassen.
II. Gelebte Solidarität: Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union
und den Mitgliedsstaaten
13.
Die
Diskussion
um
eine
Reform
der
Europäischen
Union
ist
kein
Kompetenzkampf zwischen den Mitgliedsstaaten und der Union. Unserer Auffassung
nach sind sie keine Gegensätze – im Gegenteil: Europa und die Nationalstaaten sind in
unserer globalisierten Welt zwei Seiten derselben Medaille. Die Europäische Union baut
auf den Nationalstaaten auf.
14. Allerdings führen uns theoretische Diskussionen über Souveränität in die Irre.
Die Nationalstaaten alleine sind bereits heute nicht mehr in der Lage, Frieden, innere
und äussere Sicherheit, Wohlstand und Wachstum in einer globalisierten Welt
sicherzustellen. Souveränität kann heute vielfach nur noch in grösseren Räumen
ausgeübt werden. Daher geht es nicht um die Abgabe von Souveränität sondern im
Gegenteil darum, die Handlungsfähigkeit in bestimmten Politikbereichen wieder
herzustellen. Durch den demographischen Wandel und den Aufstieg anderer
Weltregionen wird sich dieser Trend weiter verschärfen. In vielen Fällen wird unsere
einzige Alternative lauten: gemeinsam stark oder alleine marginalisiert. In vielen
Bereichen sind die Kompetenzen schon heute aufgeteilt zwischen den Nationalstaaten
und der Europäischen Union. Daher müssen wir – auf der Grundlage des
Subsidiaritätsprinzips – die Politikbereiche, die wir in Zukunft auf Europäischer Ebene
gestalten wollen festlegen. Die Europäische Union muß die Möglichkeit erhalten, diese
Kompetenzen effizient auszuüben. Nur so werden wir in der Lage sein mit anderen
Wachstumsregionen in der Welt Schritt zu halten und das „europäische Modell“
erfolgreich zu erneuern.
15. Auch in Zukunft wird die Verantwortung für Vertragsänderungen bei den
Mitgliedsstaaten verbleiben. Eine Europäische Verfassung macht deutlich, daß die
Europäische Union eine neuartige Form der Zusammenarbeit ist. Diskussionen über die
Staatlichkeit der Union sind nicht zielführend.
16. Transparenz und Demokratie sind die Leitprinzipien unserer Europapolitik. Die
fehlende Transparenz der derzeitigen Aufteilung der Kompetenzen zwischen Europa
und den Nationalstaaten ist einer der Gründe für die abnehmende Akzeptanz des
europäischen Einigungsprozesses. Die Bürger müssen stärker als bisher in der Lage
sein, nachzuvollziehen, welche Ebene für welche Entscheidungen verantwortlich ist.
Daher muß die Kompetenzaufteilung am Anfang der Diksussion über die Zukunft
Europas stehen.
17. Dem Subsidiaritätsprinzip muß die zentrale Rolle bei der Kompetenzaufteilung
zukommen. Im Sinne der Subsidiarität wollen wir nur die Kompetenzen auf
europäischer Ebene ansiedeln, die von den Nationalstaaten nicht ausreichend erledigt
werden können. Daher ist es unsere Aufgabe, die Kernzuständigkeiten der Union zu
definieren. Die Kompetenzverteilung muß in regelmässigen Abständen überprüft
werden.
18. Die Kompetenzen der Union sind in der Verfassung festzuschreiben,
die
Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten jedoch nicht. Überall dort, wo der Union keine
Kompetenz zugewiesen ist, sind automatisch die Mitgliedsstaten verantwortlich.
19. Die Union sollte die Verantwortung für die aktuelle gemeinsame Aussen-,
Sicherheits- und Verteidigungspolitik tragen, sowie für den Gemeinsamen Markt und die
Freizügigkeit, einen funktionierenden Wettbewerb, die gemeinsame Aussenvertretung,
die gemeinsame Währung und eine reformierte Landwirtschaftspolitik. Ausserdem sollte
die Union in den Bereichen Justiz, Einwanderung, innere Sicherheit, Kommunikation
und Infrastruktur, Forschung, Umwelt- und Gesundheitspolitik aktiv werden, wenn
transnationale oder supranationale Dimensionen betroffen sind. Die Union sollte
verantwortlich sein für die Sicherung der Grundfreiheiten der Verfassung. Dies
beinhaltet jedoch keine generelle Kompetenz der Union in diesen Bereichen im
allgemeinen.
20. Die Politikbereiche die zu den gewachsenen Traditionen der Zivilisation und
Kultur gehören und der gesamte Bereich der Zivilgesellschaft sollten in der
Verantwortung
der
Mitgliedsstaaten verbleiben.
Insbesondere
die
interne
Organisation der Mitgliedsstaaten, Familienstrukturen und Soziale Sicherhungssysteme
sowie auch Bildung, Kultur und Sport sollten nicht auf europäischer Ebene behandelt
werden. Die Zusammenarbeit in diesen Bereichen sollte jedoch möglich sein.
21.
Im
Rahmen
Handlungsformen
der
vergemeinschafteten
aufgezählt
und
inhaltlich
Zuständigkeiten
bestimmt
werden.
sollen
die
Bei
den
Einzelermächtigungen sind die zulässigen Handlungsformen und – instrumente
anzugeben.
Den
Handlungsformen
und
Handlungsinstrumenten
sind
dabei
verschiedene Kompetenzkategorien zuzuordnen. Im Vertrag sollen zum einen alleinige
Zuständigkeiten der EU sowie geteilte Zuständigkeiten festgeschrieben werden.
Zielbestimmungen im Vertrag sind im Rahmen der vergemeinschafteten Zuständigkeiten
zu berücksichtigen, bedingen aber keine eigenständigen Befugnisse der Union.
Generelle Richtlinien für Vergemeinschaftete Zuständigkeiten sind zu prüfen und zu
präzisieren um eine unkontrollierte Kompetenzerweiterung zu verhindern. In den
Bereichen, die auch weiterhin intergouvernmental geregelt werden sollen, wird die EU
eine koordinierende Zuständigkeit haben. In dieser Hinsicht werden vor allem die
Möglichkeiten zur verstärkten Zusammenarbeit und Flexibilität stärker genutzt werden.
Für die Handlungsfähigkeit der Union in diesem Bereich wird dies von entscheidender
Bedeutung sein.
22.
Die
Europäische
Integration
basiert
auf
Solidarität
zwischen
den
Mitgliedsstaaten aber auch auf Wettbewerb. Dieser muß verstanden werden als
Suche nach den besten Methoden und Politiken. Daher sind Wettbewerb und Solidarität
als voneinander abhängende Elemente des „Europäischen Modells“ zu betrachten. Der
rasche wirtschaftliche und soziale Wandel verlangt nach einer angemessenen Form von
Flexibilität im Vertrag. Eine Kompetenzverteilung ist nicht so zu verstehen, daß diese
unverrückbar die Aufteilung für immer festschreibt. Vielmehr soll die Transparenz durch
deutlicher im Vertrag zugewiesene Zuständigkeiten vergrössert und die Akzeptanz der
Politik in Europa verbessert werden.
23. Europäische Solidarität sollte das Schlüsselement bei der Reform des
Systems der regionalen und strukturellen Mittelverteilung bleiben. Diese Politik ist
ein grundlegender Bestandteil der Europäischen Integration. In einer erweiterten Union
wird dieses System jedoch nicht mehr effizient sein. Es sollte durch einen
Soldiaritätsfonds ersetzt werden welcher -
auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips,
innerhalb der europäischen Wettbewerbsregelungen und mit der Möglichkeit der
Kontrolle durch die Europäische Union – den weniger reichen Mitgliedsstaaten mehr
Freiheit
einräumt,
die
finanziellen
Mittel
in
der
bestmöglichsten
Weise
für
Investitionszwecke einzusetzen.
24. Es sollte ein Verfassungsgericht oder eine Verfassungskammer des
Europäischen Gerichtshofes eingerichtet werden, um über die Kompetenzverteilung
zu entscheiden.
III. Integration der Grundrechtecharta in die Verfassung
25.
Die
Grundrechtecharta
muß integraler
Bestandteil der
Europäischen
Verfassung werden. Bisher ist sie eine politische Erklärung von Kommission, Rat und
Europäischem Parlament. Zukünftig sollte sie rechtlich bindendende Wirkung haben.
Gerade eine Grundrechtecharta, die die Beziehung zwischen der Union und den
Bürgern regelt, muß ein entscheidender Bestandteil der Verfassung sein. Die
Verankerung der Grundrechte in den Vertrag unterstreicht, daß die Europäische Union
eine Gemeinschaft der Werte ist. Die Grundrechtecharta muß Gültigkeit haben für das
Handeln der Union und der Mitgliedsstaaten, sofern diese in Unionsangelegenheiten
handeln. Der Europäische Gerichtshof und das Gericht erster Instanz müssen mit
entsprechenden Zuständigkeiten ausgestattet werden um die Union und ihren Bezug zu
den Bürgern zu stärken.
26. Die Charta wird die Grundrechte für jeden sichtbar machen. Es ist nicht deren
Zweck, neue Rechte einzuführen, sondern die durch die anerkannten bestehenden
Abkommen
festgeschriebenen
Grundrechte
in
den
Rechtsbestand
der
Union
aufzunehmen. Die Verankerung der Grundrechte in den Vertrag kann so den Anspruch
der EU als Wertegemeinschaft stärken und gleichzeitig den Schutz der Grundrechte
verbessern. Darüber hinaus muß eine konsistente Interpretation der Grundrechte durch
den Europäischen Gerichtshof sowie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
sichergestellt werden. Die EVP strebt den Beitritt der EU zur Europäischen
Menschenrechtskonvention an.
IV. Neue Lösungen für mehr Demokratie, Transparenz und Bürgernähe: Reform
der Institutionen
27. Demokratische Kontrolle muß auf allen Ebenen gleichermassen gelten. Die
Mitgliedsstaaten haben Kompetenzen an die EU abgegeben. Daher muß sichergestellt
sein, daß auf europäischer Ebene ebenso demokratische Regeln gelten wie in den
Nationalstaaten. Daher ist die EVP der Ansicht, daß die Erklärung zur Zukunft der Union
in Nizza die Struktur der Institutionen völlig ausser Acht gelassen hat. Die
bevorstehende Erweiterung um die neuen Mitgliedsstaaten wird
die bereits
vorhandenen Probleme in den Entscheidungsverfahren erheblich vergrössern. Die
Interessen werden stärker divergieren, die Diskussionsprozesse werden mehr Zeit
benötigen und Entscheidungen schwieriger machen. Die EVP weist daher mit
Nachdruck auf die Notwendigkeit der Überwindung dieses Stillstandes hin, weil der
Status quo nicht mehr funktionieren wird.
28.
Die
nationalen
Parlamente
müssen
Kompetenzaufteilung gestärkt werden.
im
Rahmen
einer
klaren
Jedes nationale Parlament sollte seine
Kontrollfuntion im Bereich der europäischen Angelegenheiten gegenüber der Regierung
verstärken.
Eine
spezielle
Rolle
der
nationalen
Parlamente
innerhalb
des
Institutionsgefüges der EU wird jedoch nicht zu unseren Zielen beitragen: mehr
Transparenz, Demokratie und Effizienz der Entscheidungsprozesse. Daher legt die EVP
ein unfassendes Konzept für die Zukunft der Institutionen der Union vor. Auch wenn
diese Vorschläge weit über die Beschlüsse der Erklärung von Nizza hinausgehen, sind
wir der Ansicht, daß jetzt der richtige Zeitpunkt ist um eine umfassende Reform der
Institutionen in Angriff zu nehmen.
29. Die Europäische Union ist weder eine Föderation im klassischen Sinne noch
ein Staat. Diese Tatsache darf uns nicht daran hindern, undemokratische und
intransparente Verfahren zu ändern. Im Mittelpunkt unserer Vorstellungen für Reformen
der
europäischen
Institutionen
steht
der
Bürger
und
dessen
demokratische
Kontrollmöglichkeiten. Aus diesem Grunde muß nach Ansicht der EVP insbesondere die
Vermischung zwischen legislativen und exekutiven Kompetenzen abgebaut werden um
eine transparentere und Union zu schaffen, die die grundlegenden demokratischen
Prinzipien
respektiert.
Ausserdem
muß
die
Europäische
Union
eine
Rechtspersönlichkeit bekommen. Die Bürgerin der EU haben Anspruch auf einen
transparenten Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozeß.
Europäisches Parlament:
30.
Das
Europäische
Parlament
muß
zu
einem
dem
Rat
gleichgestellten
Gesetzgebungsorgan werden. Dies schließt Haushaltskompetenzen mit ein. In den
vergangenen Jahren hat das Europäische Parlament einen deutlichen Machtzuwachs
erfahren. Leider ist es bisher nicht gelungen, diesen hinreichend in einen Einfluß auf die
öffentliche Meinung in Europa umzusetzen. Zukünftig müssen die Europäischen
Politischen Parteien auch eine wichtige Rolle in diesem Bereich spielen.
31. Die Zusammensetzung des Parlamentes sollte möglichst repräsentativ die
Bevölkerungsverteilung
widerspiegeln.
Gleichzeitig
muß
ein
Mindestmaß
an
Repräsentation der kleineren Mitgliedsstaaten sichergestellt werden.
32. Die Anzahl der Abgeordneten ist aus Gründen der Arbeitsfähigkeit dauerhaft auf 700
zu begrenzen. Die Wahl der Abgeordneten sollte auf der Grundlage von gemeinsamen
Prinzipen Europäischer Wahlgesetze erfolgen, wie die proportionale Repräsentation,
regionale Wahlkreise und der Präferenzwahl. Gleichzeitig sollte die Kandidatenauswahl
der politischen Parteien für die Europawahlen demokratisch erfolgen.
33. Parlament und Rat sollten – in allen Fällen, in denen der Rat mit Mehrheit
entscheidet – gleichberechtigte Partner im Entscheidungsprozeß sein.
Rat:
34. Eine Reform des Rates ist längst überfällig: mangelnde Koordinierung zwischen zu
vielen Fachministerräten, komplizierte und undurchsichtige Entscheidungsverfahren und
ineffiziente Debatten sind die wichtigsten Gründe für den Mangel an Transparenz und
Effizienz. Zusätzlich wird der Rat mit unzähligen administrativen Fragen überlastet. Aus
diesem Grund muß die Arbeit des Rates grundlegend auf den Prüfstand. Dies gilt auch
für seine Rolle innerhalb des institutionellen Rahmens. Daher schlagen wir vor:
35. Das Beschlußverfahren innerhalb des Rates muß demokratischer, transparenter und
effizienter gestaltet werden. Bei der Ausübung seiner legislativen Funktion sollte der Rat
öffentlich tagen und die Protokolle sollten veröffentlicht werden.
36. Der Rat soll sich zukünftig – zusammen mit dem Europäischen Parlament – auf
seine legislative Rolle beschränken. Exekutivfunktionen soll der Rat nicht mehr
wahrnehmen.
37. Die Rolle des Rates sollte zukünftig die einer zweiten Kammer sein, die die
Mitgliedsstaten vertritt und die gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die
Gesetzgebung wahrnimmt.
38. Die Mehrheitsentscheidung im Rat sollte generelle Regel werden. Nur bei
Vertragsänderungen, Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten und Entscheidungen über
eigene Ressourcen sowie weitreichender Neuverteilung finanzieller Mittel sollte das
Einstimmigkeitsprinzip beibehalten werden.
39.
Die
Anzahl
der
Fachministerräte
muß
drastisch
gesenkt
werden.
Die
Zusammenführung der Arbeit in einen Rat wird am ehestens dem Anspruch an
Transparenz und kohärente Entscheidungen gerecht.
Kommission:
40. Die Kommission muß zu einer wirklichen Exekutive der Union ausgebaut werden.
Dazu muß die demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament verbessert
und die Verantwortlichkeit der einzelnen Kommissare festgeschrieben werden.
41. Der Präsident der Kommission sollte in Zukunft vom Europäischen Parlament
gewählt werden. Der Rat muß dieses Votum mit Mehrheit bestätigen. Dadurch wird es
den Europäischen Politischen Parteien ermöglicht, mit eigenen Spitzenkandidaten zu
den Europawahlen anzutreten. Dies würde zu einer stärkeren Personalisierung des
Wahlkampfes führen sowie die demokratische Kontrolle und die Akzeptanz der
Kommission erhöhen.
42. Der Präsident der Kommission sollte das Recht haben, die Mitglieder der
Kommission nach seinen Anforderungen auszuwählen. Die gesamte Kommission muß
vom Europäischen Parlament gewählt und vom Rat mit Mehrheit bestätigt werden.
43. Die Exekutivfunktionen der Union müssen von der Kommission wahrgenommen
werden. Die Schaffung weiterer Behörden und Beauftragtenpositionen muß verhindert
werden. Die Aufgabe des Generalsekretariats des Rates sollte von der Kommission
übernommen werden.
V. Unsere Verantwortung: Reformen jetzt
44. Die EVP bleibt mehr als jemals zuvor den Visionen der Gründungsväter des
heutigen Europa verbunden. Visionäre Reformschritte in Europa wurden dann
durchgeführt wenn unsere politische Familie die Verantwortung trug. Wir wollen
Vorreiter für ein klares und kohärentes Konzept für die Zukunft der Europäischen Union
sein. Nur dann läßt sich der Erfolg der Europäischen Einigung fortsetzen und ein
effizientes Europa schaffen – für uns und für kommende Generationen.
45.
Unser
Konzept ist
visionär
–
aber
es
ist nicht utopisch.
Unsere
Reformvorschläge sind konkret und können bis 2004 realistisch in die Wirklichkeit
umgesetzt werden. Um dies zu erreichen, schlagen wir einen konkreten Zeitrahmen
verbunden mit einem klaren und transparenten Verfahren vor.
46. Dies ist unser Beitrag zum Bau eines demokratischeren, transparenteren und
effizienteren Europa. Unser Ziel ist ein Europa, das in der Lage ist Lösungen für die
Herausforderungen einer globalisierten Welt anzubieten und angemessene Antworten
auf die Fragen unserer Bürger zu finden.
47. Institutionen und deren Reformen sind kein Selbstzweck. Aber sie sind
notwendig um ein erweitertes Europa zu bauen, das handlungsfähig ist und Freiheit und
Menschenrechte, Frieden und Wohlstand für alle Bürger gewährleisten kann.
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