39. DGMP Tagung Oldenburg 2008 Unterschätzung der effektiven Dosis des Personals in der Röntgendiagnostik durch die amtliche Personendosimetrie Lachmund, Jörn1; Heiner von Boetticher2, Wolfgang Hoffmann3 1 Abteilung MLO, ATLAS Elektronik GmbH, Bremen für Radiologie und Seminar für Strahlenschutz, Klinikum Links der Weser, Bremen 3 Institut für Community Medicine, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald 2 Institut - Entstanden im Rahmen des Forschungs- und Lehrverbundes SUM - Einleitung Die Strahlenexposition des Personals in der Röntgendiagnostik wird - im Gegensatz zum Bereich der Nuklearmedizin und Strahlentherapie - für viele Strahlenschutzsituationen unterschätzt. Dies beruht darauf, dass die amtliche Personendosis mit Dosimetern gemessen wird, die unter der Schutzkleidung getragen werden müssen, und dieser Messwert im relevanten Dosisbereich mit der effektiven Dosis gleichgesetzt werden darf [1; 2]. Hohe Dosen an den ungeschützten Körperregionen bleiben bei dieser Art der Abschätzung der effektiven Dosis unberücksichtigt. Dies spiegelt sich darin wieder, dass ca. 90 % aller überwachten Personen in medizinischen Arbeitsbereichen als "nicht exponiert" eingestuft werden, da bei ihnen auf diese Weise eine Dosis unterhalb der Nachweisgrenze ermittelt wird. Die große Zahl von Messungen mit dem Ergebnis "Null" führt nicht nur häufig zu einer falschen Einschätzung des Strahlenfeldes bei Röntgenuntersuchungen, sondern auch zu einer geringen Akzeptanz der Personendosimetrie bei Teilen des Personals. In der vorliegenden Studie wird die Variationsbreite ermittelt, mit der die beiden Größen unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren voneinander abweichen. Material und Methode Zur Ermittlung der effektiven Dosis (gemäß RöV auf Grundlage von ICRP 60) und der Tiefen-Personendosis des Personals wurden Untersuchungen an drei typischen radiologischen Arbeitsplätzen für insgesamt fünf unterschiedliche Geometrien von Patient und Personal durchgeführt: an einer Angiographieanlage (Philips Integris V), einem fernbedienten Durchleuchtungsgerät (Siemens Axiom R200 ICONOS) und einem nahbedienten Durchleuchtunggerät (Philips Diagnost 66). Bei der fernbedienten und der nahbedienten Anlage wurden dabei Messungen sowohl in waagerechter als auch in senkrechter Position des Untersuchungstisches vorgenommen. Zur Ermittlung der Strahlenexposition wurden zwei Alderson-Phantome eingesetzt; ein männliches Phantom wurde als Streukörper verwendet, ein weibliches Phantom repräsentierte das Personal, wobei die Anordnung Patient-Personal der typischen Geometrie bei den Patientenuntersuchungen entsprach. Die Dosisbestimmung erfolgte mithilfe von Thermolumineszenzdosimetern; unterschiedliche Ausführungen von persönlichen Schutzausrüstungen wurden rechnerisch einbezogen [3; 4]. Ergebnisse Die Personendosimetrie stellt nur für bestimmte Strahlenschutzsituationen eine konservative Abschätzung dar (Tabelle 1; 2). Bei einem maximalen persönlichen Strahlenschutz (Rundum-Schürze mit Schilddrüsenschutz) erhält man Werte für das Verhältnis der effektiven Dosis zur Personendosis von 0,6 bis 1,25. Bei fehlendem Schilddrüsenschutz unterschätzt die amtliche Personendosis die effektive Dosis systematisch: Für Schutzkleidung mit 0,5 mm Pb ohne Schilddrüsenschutz ist die effektive Dosis um einen Faktor 1,70 bis 3,10 größer als die Personendosis, für Schutzkleidung mit 0,35 mm Pb entsprechend um einen Faktor 1,10 bis 1,82 [4]. Schlussfolgerung Die amtlichen Messvorschriften zur Abschätzung der effektiven Dosis des strahlenexponierten Personals sind nur ungenügend an die Bedürfnisse in der Radiologie angepasst. Es wären Messverfahren wünschenswert, die ein mögliches Unterschätzen der effektiven Dosis vermeiden ließen. Die dargestellten Ergebnisse bieten die Unterschätzung der effektiven Dosis des Personals in der Röntgendiagnostik durch die amtliche Personendosimetrie 1 39. DGMP Tagung Oldenburg 2008 Untertischröhre Angiographie Schutzkleidung 0,35 mm Pb Schutzkleidung 0,50 mm Pb Nahbediente Durchleuchtung in waagerechter Tischposition Schutzkleidung 0,35 mm Pb Schutzkleidung 0,50 mm Pb Nahbediente Durchleuchtung in senkrechter Tischposition Schutzkleidung 0,35 mm Pb Schutzkleidung 0,50 mm Pb Verhältnis von effektiver Dosis zur Personendosis ohne mit Schilddrüsenschutz Schilddrüsenschutz 1,57 2,22 0,95 1,05 1,10 1,70 0,62 0,75 1,82 3,10 0,83 1,10 Tab. 1: Verhältnis von effektiver Dosis zur Tiefen-Personendosis für unterschiedliche Schutzausrüstungen bei Durchleuchtungsuntersuchungen mit Betrieb der Röntgenröhre in Untertischposition Obertischröhre Fernbediente Durchleuchtung in waagerechter Tischposition Schutzkleidung 0,35 mm Pb Schutzkleidung 0,50 mm Pb Fernbediente Durchleuchtung in senkrechter Tischposition Schutzkleidung 0,35 mm Pb Schutzkleidung 0,50 mm Pb Verhältnis von effektiver Dosis zur Personendosis ohne mit Schilddrüsenschutz Schilddrüsenschutz 1,68 2,44 1,02 1,25 1,57 2,39 0,77 0,95 Tab. 2: Verhältnis von effektiver Dosis zur Tiefen-Personendosis für unterschiedliche Schutzausrüstungen bei Durchleuchtungsuntersuchungen mit Betrieb der Röntgenröhre in Obertischposition Möglichkeit, realitätsnähere Werte für die effektive Dosis aus den Dosiswerten der Personendosimetrie abzuleiten. Wird die effektive Dosis auf Grundlage der Wichtungsfaktoren gemäß ICRP 103 (2007) bestimmt, ergeben sich für das Personal höhere effektive Dosen aufgrund der Neubewertung der Relevanz von Organdosen im Kopf-Hals-Bereich. Damit gewinnt das dargestellte Problem noch an Bedeutung [5]. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] Faulkner K, Marshall NW. The relationship of effective dose to personnel and monitor reading for simulated fluoroscopic irradiation conditions. Health Physics 1993; 64: 502-508. Huyskens CJ. Ermittlung der Effektivdosen des Röntgenpersonals. Strahlenschutzpraxis 1995; 1(4): 43-47. Lachmund J. Zur Quantifizierung der biologische relevanten Strahlenexposition von Beschäftigten in der Radiologie und Kardiologie. Dissertation Universität Bremen 2005. Aachen: Shaker-Verlag, 2005. von Boetticher H, Lachmund J, Hoffmann W. Wie konservativ ist die Abschätzung der effektiven Dosis durch die amtliche Personendosimetrie für das Personal in der Radiologie? Fortschr. Röntgenstr. 2007; 179: 728-232 von Boetticher H, Lachmund J, Looe HK, Hoffmann W, Poppe B. Recommendations of the ICRP change basis for estimation of the effective dose: What is the impact on radiation dose assessment of patient and personnel? Fortschr. Röntgenstr. 2008; 180: 391-395 Unterschätzung der effektiven Dosis des Personals in der Röntgendiagnostik durch die amtliche Personendosimetrie 2