Universität Bern November 1997 Historisches Institut 3. Semester Abt. Neueste Geschichte Proseminararbeit im Fach Geschichte Legitimation der Sansculottenbewegung (1793-1795). Dargestellt am Beispiel der wirtschaftlichen Forderungen und verglichen mit der Legitimation von Konflikten in der Frühen Neuzeit Eingereicht bei PD Dr. Heinrich Richard Schmidt von Andreas Hieber Andreas Hieber Waldheimstr. 36 3012 Bern Tel.: 031-301 97 32 1 INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG ....................................................................................................................................................3 1.1. FORSCHUNG ......................................................................................................................................................3 1.1.1. Die Darstellung vor Soboul .......................................................................................................................3 1.1.2. Die Darstellung Sobouls ............................................................................................................................4 1.1.3. Die Rezeption Sobouls ...............................................................................................................................4 1.1.4. Forschungsstand und Streitpunkte .............................................................................................................5 1.2. MATERIALLAGE ...............................................................................................................................................5 1.3. FRAGESTELLUNG ............................................................................................................................................ 5 1.4. VORGEHENSWEISE ...........................................................................................................................................6 2. DIE HISTORISCHE LAGE ZWISCHEN JUNI 1793 UND MAI 1795 ........................................................6 2.1. DER AUFSTIEG DER SANSCULOTTENBEWEGUNG ..........................................................................................6 2.2. DIE WOHLFAHRTSDIKTATUR UNTER ROBESPIERRE.......................................................................................8 2.3. DAS ENDE DER SANSCULOTTENBEWEGUNG ....................................................................................................8 3. DIE WIRTSCHAFTLICHEN FORDERUNGEN DER SANSCULOTTEN ................................................9 3.1. FORDERUNGEN DER SEKTION“SANS-CULOTTES” AN DEN KONVENT (2. SEPTEMBER 1793) ....................10 3.2. DIE FORDERUNGEN DES BŸRGERS DUPRŽ AN DEN NATIONALKONVENT ...................................................10 3.3. ABSCHRIFT EINES ENTWURFS ........................................................................................................................11 4. LEGITIMATION ........................................................................................................................................11 4.1. DAS ‘WOHL DER GEMEINSCHAFT’ ALS LEGITIMATION ...............................................................................11 4.1.1. Das ‘allgemeine Wohl’ als BegrŸndung ..................................................................................................12 4.1.2. Die christliche Ethik ................................................................................................................................12 4.1.3. HintergrŸnde und weiterfŸhrende Gedanken ..........................................................................................13 4.2. DIE REPUBLIK ALS LEGITIMATION ...............................................................................................................13 4.2.1. Die ‘Verteidigung der Revolution’...........................................................................................................13 4.2.2. Abgrenzung gegenŸber der aristokratischen Ordnung ............................................................................14 4.2.3. Die Ehre...................................................................................................................................................15 4.2.4. HintergrŸnde und weiterfŸhrende Gedanken ..........................................................................................15 4.3. DAS RECHT AUF LEBEN ALS LEGITIMATION.................................................................................................16 4.3.1. HintergrŸnde und weiterfŸhrende Gedanken ..........................................................................................16 5. GEGENŸBERSTELLUNG DER LEGITIMATION DER SANSCULOTTENBEWEGUNG MIT DER LEGITIMATION VON VERSCHIEDENEN AUSGEWŠHLTEN UNRUHEN AUS DER FRŸHEN NEUZEIT..............................................................................................................................................................17 5.1. DER KONFLIKT IM “EIGEN” ROTTENBUCH ..................................................................................................17 5.1.1. Ursachen und Verlauf ..............................................................................................................................17 5.1.2. Legitimation .............................................................................................................................................18 5.2. DIE ZWŠLF ARTIKEL AUS OBERSCHWABEN ..................................................................................................19 5.2.1. Ursachen und Forderungen .....................................................................................................................19 5.2.2. Legitimation .............................................................................................................................................19 5.3. DIE UNRUHEN IM FŸRSTBISTUM BASEL .......................................................................................................20 5.3.1. Der Konfliktverlauf ..................................................................................................................................20 5.3.2. Legitimation .............................................................................................................................................21 5.4. GEGENŸBERSTELLUNG UND GEISTESGESCHICHTLICHE EINORDNUNG .......................................................21 6. ZUSAMMENFASSUNG .................................................................................................................................24 7. BIBLIOGRAPHIE ...........................................................................................................................................26 7.1. QUELLENVERZEICHNIS ..................................................................................................................................26 7.2. LITERATURVERZEICHNIS ...............................................................................................................................26 2 1. Einleitung 1.1. Forschung 1.1.1.Die Darstellung vor Soboul Die Rolle der städtischen Volksmassen von Paris war von Anfang an ein mehr oder weniger bedeutender Bestandteil der historischen Darstellung der Französischen Revolution. Michelet stellte in den 1850er Jahren als erster das Volk – allerdings als undefinierte Masse – sogar in den Mittelpunkt seiner Revolutionsgeschichte 1 . Michelet sah im Volk eine homogene, revolutionäre Masse mit sozialistischen Idealen und interpretierte die Aktionen der Pariser Bevölkerung aus der Perspektive seiner Zeit und somit auch vor dem Hintergrund der von Marx und Engels geprägten Epoche. Auch Ernest Meillé sah 1898 im Klassenkampf zwischen Arbeitern und der bourgeoisen Schicht die revolutionäre Triebfeder für die Aufstände der Pariser Sektionen 2. Der gleiche Ansatz diente Daniel Guérin 1946 3 . Er interpretierte den Kampf der Pariser Sektionen als Versuch einer proletarischen Revolution und stellte ihn in den Zusammenhang der Theorie der permanenten Revolution. Verbindendes Element dieses historiographischen Ansatzes ist die Betonung der politischen Motivation der Volksbewegung zum Einen und die geringe Bedeutung des Kampfes gegen die Aristokratie zum Andern. Die ökonomischen Interessen der Sektionen, ihre versorgungspolitischen Forderungen sowie die Zwangswirtschaft waren lediglich das kämpferische Mittel und nicht originärer Bestandteil der Interessen der Volksmassen. Die Geschichtsschreiber Mortimer-Ternaux und Taine bildeten mit ihrem Ansatz einen zeitgenössischen Gegensatz. In ihren Werken, die in den 1860er respektive den 1880er Jahren erschienen, traten sie der Volksbewegung mit Verachtung gegenüber. Sie sahen in ihr lediglich eine unkontrollierte, destruktive Masse4. Weder Michelet noch Meillé noch die anderen Autoren des 19. Jahrhunderts, welche ihr Augenmerk auf das Volk, die Sektionen, die Sansculotten - oder wie immer die städtischen Volksmassen von Paris jeweils genannt wurden – gelegt hatten, gestanden dieser einen eigenständigen und spezifischen, sowohl von den Interessen der besitzenden Oberschicht, als auch von denjenigen der abtretenden Aristokratie abgrenzbaren, Charakter zu. Die Volksmassen blieben in den Darstellungen des 19. Jahrhunderts eine zwar starke, aber stets passive und reagierende Macht, der es letztlich nicht gelang, eine autonome Politik zu formulieren oder durchzusetzen. Die Geschichte der Sektionen blieb die Geschichte der Revolution. 1911 erst vermochte Braesch diese spezifischen und eigenständigen Züge der Sansculotten anhand der Geschichte der Kommune herauszuarbeiten 5. Er konzentrierte sich in seiner Darstellung auf die politischen Bestrebungen der Sansculotten und vernachlässigte ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen. Albert Mathiez beschäftigte sich in der Folge mit Fragen der Versorgung und zeigte den Unterschied auf zwischen den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Sansculotten und der 1 Michelet, Jules: Histoire de la Révolution française. (Die vollständige bibliographische Angabe steht jeweils in der Bibliographie am Ende der Arbeit. Die verwendeten Abkürzungen werden in der Bibliographie kursiv geschrieben.) 2 Meillé, Ernest: Les sections de Paris. 3 Guérin, Daniel: Klassenkampf. 4 Mortimer-Ternaux, Michel.: Histoire de la Terreur. Sowie: Taine, Hippolyte: Les origines de la France. 5 Braesch, F.: La Commune. 3 Oberschicht des dritten Standes 6. Er machte deutlich, dass die Sansculotten der Handelsfreiheit die Zwangswirtschaft und dem Recht auf Eigentum das Recht auf Leben gegenüberstellten. Analog zu Braesch vernachlässigte Mathiez hingegen die politischen Aspekte7. 1.1.2.Die Darstellung Sobouls Sobouls Monographie zur Sansculottenbewegung des Jahres II der Republik (September 1793 – September 1794) stellte eine Zäsur in der Erforschung der Geschichte der Volksmassen dar 8 . Ausgangspunkt seiner Darstellung war die Frage nach der Zusammensetzung der Sansculotten. Anhand von Sitzungsprotokollen, politischen Schriften und ähnlichen Quellen zeigte er, dass sich das Kader der Bewegung aus Handwerkern, Ladenbesitzern, Gesellen, Schriftstellern und Künstlern rekrutierte. Er zeigte auf, wie die Wortführer der Sektionen zum einen gegen die Aristokratie und ihre politischen Strukturen kämpften und zum andern ein soziales Ideal, geprägt von den wirtschaftlichen Strukturen des vorindustriellen Zeitalters (geschützte Märkte, Zünfte, Preisabsprachen) verfolgten. Soboul sah in der Bereitschaft der Sansculotten, die Revolution mit allen Mitteln zu verteidigen, sowie im hartnäckigen Versuch, die Wirtschaft, wenn nicht vollständig zu lenken so doch stark zu kontrollieren, den Ausdruck dieser beiden Hauptinteressen. Als Bewegung lässt sie sich dadurch von den Interessen der “Bourgeoisie” 9 mit ihren liberalen Interessen abgrenzen. Der eigenständige Charakter geht bei Soboul über die wirtschaftlichen Anliegen hinaus. Die Sansculotten hatten mit dem Modell einer basisdemokratisch regierten Republik der bürgerlichen Vorstellung eines Representativsystems auch auf politischem Gebiet eine Alternative entgegenzuhalten. Soboul stützte seine These mit den Ereignissen des Jahres II der Republik. Er machte deutlich, dass die Sansculotten, unterstützt durch die wirtschaftliche Not, welche die Massen zu mobilisieren vermochte, die Revolutionsregierung zur Umsetzung ihrer Ideale zwang. Gegen den Willen der “Bourgeoisie” gelang es der Pariser Sansculotterie, die Zwangswirtschaft sowie die Verteidigungsmassnahmen durchzusetzen. 1.1.3.Die Rezeption Sobouls Die These Sobouls ist von Anfang an auf sehr viel Zustimmung gestossen und löste eine Reihe nachfolgender Arbeiten aus, welche seine Standpunkte stützten und verifizierten (Rudé, 1959) 10 und diese auch für spätere (Tonesson, 1959) 11 oder frühere (Rose, 1980)12 Phasen der Französischen Revolution, sowie für Aspekte der Revolutionsgeschichte, bei der die Sansculotten eine führende Rolle übernommen hatten, wie zum Beispiel die Revolutionsarmee, bestätigten (Cobb, 1963) 13. Auch die neuere Forschung basiert auf der These Sobouls aus dem Jahre 1958. Kennzeichnend für den grössten Teil der neueren Forschung ist die Konzentration auf Teilaspekte der Bewegung. So wurde das Augenmerk auf die Welt der Arbeit und der Berufe (Gourden, 1988) 14 , die Sprache (Sewell, 6 Mathiez, Albert: La vie chère. Zur Darstellung vor Soboul siehe: Soboul, Albert: Franzšsische Revolution und Volksbewegung, S. 9 - 15. 8 Soboul, Albert: Les Sans-culottes parisiens. 9 Zitat: Soboul, Albert: Franzšsische Revolution und Volksbewegung, S. 14. 10 Rudé, George: Die Massen. 11 Tonesson, Kare : La défaite. 12 Rose, Richard B.: The making. 13Cobb, Richard: Les armées révolutionaires. 14 Gourden, Jean-Michel: Gens de métier. 7 4 1980) 15 oder einzelne Persönlichkeiten (Gayot, 1996) 16 und Redner (Monnier, 1995) 17 der Sansculottenbewegung gelegt. Festhalten lässt sich, dass Sobouls These der überwiegenden Mehrheit der Arbeiten als ‚historische Wahrheit‘ zu Grunde liegt. Dies insbesondere auch seit Soboul zusammen mit Monnier die These verifizierte, als er eine Prosopographie der Kader der Sansculotten veröffentlichte18. 1.1.4. Forschungsstand und Streitpunkte Fundierte Kritik und ernsthaften Zweifel an den Hauptthesen Sobouls übte Richard Andrews 198519. Kernpunkt seiner Kritik ist die These Sobouls, dass es sich bei den revolutionären Aktionen der Sansculotten um einen Aufstand des einfachen Volks handelte 20. Ausgangspunkt von Andrews Kritik ist eine genaue Überprüfung der Kader der Sansculotten. Er stellte fest, dass es sich bei ihnen keineswegs um Kleinbürger mit bescheidenen Produktionsverhältnissen, sondern um meist wohlhabende Arbeitgeber handelte, rekrutiert aus der immensen Masse an Emigranten, welche im ausgehenden 18. Jahrhundert Paris als Zufluchtsort aufsuchten, um eine neue Existenz aufzubauen 21. Weniger das Ideal, als vielmehr der Zwang zur Neuorientierung sei ausschlaggebendes Handlungsmotiv gewesen. Andrews attestierte dieser sozioökonomischen Gruppe der Kader zwar durchaus einen patriotischen Kampfgeist und eine Hingabe für die Ziele der Revolution, sieht aber hinter den Aktionen der Sansculotten, namentlich dem Kampf für stabile Preise und der daraus resultierenden Zwangswirtschaft, andere Motive als Soboul. Die wirtschaftliche Gleichheit, die bei Soboul Motiv und Ziel der Sansculottenbewegung ist, interpretierte Andrews als propagandistische Formel der sansculottschen Oberschicht mit dem Ziel, die Inflation zu bekämpfen, die Wirtschaft zu stabilisieren und die arbeitslosen Massen von der Strasse wegzubringen. Weitergeführt bedeutet dieser Gedanke bei Andrews, dass die Sansculottenkader nicht die Reglementierung der Wirtschaft, sondern die Schaffung einer Arbeitsmoral als gemeinsames Ziel hatten. Anders ausgedrückt: Hauptfeind der Sektionsführer war die unproduktive und doch vermögende Bevölkerungsgruppe, die aristokratische Schicht auf der einen, sowie die Nutzniesser der wirtschaftlichen Misere, die Wucherer und Börsenhändler auf der anderen Seite. Indem sie die Spekulation mit dem Mittel der Zwangswirtschaft zu verunmšglichen suchten, könnten drei Ziele der Sansculottenkader verwirklicht werden: Die normalisierte Wirtschaft sicherte ihnen Arbeit und Einkommen, die wirtschaftliche Konkurrenz der Wucherer und des Kapitals konnte ausgeschaltet und die Revolution könnte mit Hilfe der mobilisierten, weil ernährten Volksmassen vorangetrieben werden 22. Der Vorwurf von Andrews an Soboul war, dass dieser die Quellen zuwenig nach ihrem politischen Gehalt untersuchte und statt dessen die Propagandaschriften eins zu eins als Programm der Bewegung 15 16 17 18 19 20 21 22 übernahm. Andrews Conclusio ist dann auch derjenigen Sobouls Sewell, William: Work and revolution. Sowie: Sonennscher, Michael: rethinking the language. Gayot, Gérard: Les Sans-Culottes de Sedan. Monnier, Raymonde: Cordeliers, Sans-Culottes et Jacobins. Monnier, Raymonde: Répertoire. Andrews, Richard M.: Social structure. Ebd., S. 71f. Ebd., S. 83 - 91. Ebd., S. 92 - 98. 5 diametral entgegengesetzt. Die revolutionäre Phase des Jahres II war keine “Revolution von unten”, sondern eine des werktätigen Bürgertums23. 1.2. Materiallage Das Quellenmaterial zur Sansculottenbewegung aus der Zeit der Revolutionsregierung kann in drei Gruppen zusammengefasst werden. Die umfangreichste Quellengruppe bilden die öffentlichen, an ein breites Publikum gerichteten Dokumente: Petitionen, Reden, Sitzungsprotokolle sowie Anordnungen und Lageberichte der Kommissare. Eine zweite Quellengruppe könnte mit dem Oberbegriff ,interne Dokumente’ beschrieben werden. Darunter fallen die Polizeiberichte und –Akten, welche mit dem Zweck erstellt wurden, Unruhen und politische Tendenzen innerhalb der Sansculottenbewegung festzustellen. Auch diese Quellengruppe ist umfangreich und ergiebig. Die letzte und zahlenmässig kleinste Gruppe von Quellen bilden Selbstaussagen und persönliches Material der Sansculotten, wie Briefe oder Tagebücher24. Die Erforschung der Sansculotten wird dadurch erschwert und für gewisse Fragen verunmöglicht, dass grosse Quellenbestände während des deutsch – französischen Krieges 1871 durch Brände im Rathaus und im Gebäude der Polizeipräfektur vernichtet wurden 25. 1.3. Fragestellung In der vorliegenden Arbeit geht es darum aufzuzeigen, wie die Sansculotten ihre wirtschaftlichen Forderungen legitimierten. Das zentrale wirtschaftliche Anliegen der Sansculottenbewegung war die gesetzliche Regelung der Lebensmittelpreise, oftmals verbunden mit der umfassenden Forderung nach einer staatlich gelenkten Wirtschaft. Im Zentrum der Arbeit stehen jedoch nicht die Forderungen selber, sondern deren Legitimation. Nicht die Ansprüche, sondern die Argumente, welche die Sansculotten heranzogen, um diese zu begründen, zu rechtfertigen und zu legitimieren, sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Die ökonomischen Forderungen eignen sich für diese Frage besonders gut, weil sie sehr häufig und über den ganzen Zeitraum hinweg auftauchen. Die Zeit, die betrachtet wird, dauert vom Sommer 1793 bis zum Frühjahr 1795. Die Debatte um die Festsetzung der Lebensmittelpreise wurde in der Volksbewegung schon vor der von uns behandelten Zeit geführt26. Das Thema war also nicht neu. Von Interesse für unsere Fragestellung ist der gewählte Zeitraum jedoch darum, weil er die Zeitspanne umfasst, in der die Sansculottenbewegung ihren Höhepunkt erreichte und darauf vollständig zusammenbrach. Eine zweite Frage, welche in dieser Arbeit gestellt wird, ergibt sich aus einem Vergleich der Legitimation der Sansculottenbewegung mit der Legitimation von Konflikten aus der Frühen Neuzeit: Lässt sich bezŸglich der Legitimation eine Kontinuität mit früheren Jahrhunderten feststellen oder wurde im Zusammenhang mit der Französischen Revolution auch in diesem Punkt mit der Tradition gebrochen? 23 Ebd., S. 100. SvP., S. XII - XIV. Sowie: Soboul, Albert: Franzšsische Revolution und Volksbewegung, S. 18f. 25 Die Werke der Autoren des 19. Jahrhunderts haben oft grössere Passagen aus den benutzten Quellen abgeschrieben. Viel Material steht daher heute noch zur Verfügung. 26 Siehe dazu: Petersen, Susanne: Lebensmittelfrage. 24 6 1.4. Vorgehensweise Eingeführt wird die Arbeit mit einer Darstellung der historischen Lage. Dabei wird das Augenmerk speziell auf den politischen Einfluss der Sansculottenbewegung und auf die wirtschaftlichen Umstände gerichtet. Anschliessend werden drei Dokumente vorgestellt, in denen die Sansculotten ihre Forderungen formulierten. Exemplarisch wird dabei das Spektrum der wirtschaftlichen Anliegen der Volksbewegung skizziert. Dadurch soll der Zusammenhang zur Hauptanalyse, der Frage nach der Legitimation sichtbar gemacht werden. Insgesamt siebzehn Dokumente bilden die Grundlage für die Untersuchung der Legitimation. Es handelt sich um Petitionen, Protokolle von Sektionsversammlungen, politische Manifeste, Reden und ähnliche Zeugnisse jener Bewegung aus der Zeit zwischen Juni 1793 und Mai 1795. Ich stütze mich bei dieser Arbeit auf eine herausgegeben wurde 27 . Quellensammlung, welche von Walter Markov und Albert Soboul Sämtliche Texte in der Dokumentensammlung, welche Massnahmen im Zusammenhang mit Lebensmitteln forderten, wurden in die Analyse einbezogen und auf die Begründung hin untersucht, einer Kategorie zugeordnet und quantitativ erfasst. Dadurch soll ein repräsentatives Bild möglich gemacht werden. Im zweiten Teil wird anhand von drei Konflikten, welche für gewisse Merkmale der frühneuzeitlichen Legitimation exemplarischen Charakter haben, eine Gegenüberstellung mit früheren Epochen erfolgen. Ich stütze mich bei der Darstellung der Konflikte auf die entsprechende Literatur, arbeite in diesem Teil also nicht mit Quellen. Zum Schluss werden die Resultate zusammenfassend dargestellt. 2. Die historische Lage zwischen Juni 1793 und Mai 1795 2.1. Der Aufstieg der Sansculottenbewegung Am 2. Juni 1793 umstellte ein 80'000 Mann starkes Kommando der Nationalgarde den Konvent und erzwang die Verhaftung einiger Führer der Gironde Partei. Dieses Ereignis, ausgelöst durch den Zorn der Volksmassen von Paris, besiegelte das Ende der Gironde-Herrschaft im Konvent. Sowohl auf militärischem, als auch auf wirtschaftlichem Gebiet hatte die Partei versagt. Weder vermochte sie die Versorgungs- und Inflationsprobleme zu lösen, noch brachte sie es zustande, die nationale Bedrohung durch die angreifenden Mächte abzuwehren28. Dieser 2. Juni kennzeichnet den Beginn einer “neuen revolutionären Ära” 29: Die kurze Herrschaft der Pariser Sansculotten. Der im April gegründete Wohlfahrtsausschuss wurde am 10. Juli von den gemässigten Kräften gesäubert und trat von diesem Datum an mit einer veränderten Besetzung in Erscheinung, namentlich mit Saint-Just, Saint-André und, ab dem 27. Juli, Robespierre. Robespierre gelang es, die politische Autorität vollständig auf den Wohlfahrtsausschusses zu übertragen. Zur selben Zeit breitete sich in den Departements im Westen des Landes, aber auch in Marseille, Toulon und Lyon die Konterrevolution aus. Die geflohenen girondistischen Führer setzten sich vielerorts an die Spitze der Erhebungen. Zeitgleich mit den konterrevolutionären Bestrebungen in den insgesamt 60 Departements gerät auch der Krieg in der Vendée 30 in die entscheidende und kräftezehrendste Phase. Die Gefahr einer Invasion von aussen wurde ebenfalls immer bedrohlicher. 27 28 29 30 SvP. Es handelt sich um eine zweisprachige Ausgabe. Vgl.: Soboul, Albert: Die Grosse Französische Revolution, S. 268 - 277. Zitat: Ebd.: S. 276 März - September 1793. Vgl.: Furet, François: Kritisches Wörterbuch der Franz. Revolution, S. 269 - 287. 7 Im Norden die Engländer und Österreicher, die Holländer und Hannoveraner bei Dünnkirchen, die Preussen im Osten sowie die Piemonteser im Süden bekämpften die französische Revolution von aussen31. Ende Juli 1793 ist die Nation also kurz vor dem Zerfall, die Revolution so gefährdet wie kaum zuvor. In dieser Situation kommt es in Paris zum Schulterschluss der Bergpartei mit den Sansculotten. Die Sektionen, die organisierte Volksmasse, bilden in dieser revolutionär-republikanischen Koalition die Basis und die Stosskraft, der Konvent und der Wohlfahrtsausschuss die Regierung. Diese Allianz sicherte den Sansculotten eine Machtbasis, mit welcher sie ihre politischen und sozialen Forderungen zumindest vorübergehend durchzusetzen vermochten. Im Juni 1793 führte die unzureichende Gelddeckung zu einer Assignatenentwertung 32. Das Kapital wurde, um nicht an Wert zu verlieren, anderweitig angelegt. Kapitalexport sowie Immobilien- und Warenkäufe boten sich als Möglichkeiten an. Das Horten von Waren sowie der Schwarzmarkt führten im Juli 1793 zur Aufhebung des ‘kleinen Maximums’, einer im Mai desselben Jahres beschlossene Preisfestsetzung. Es machte keinen Sinn Lebensmittelpreise festzusetzen, wenn als Folge davon nicht mehr ausreichend Nahrungsmittel erhältlich waren. Die starke Inflation schlug sich insbesondere in den Lebensmittelpreisen nieder. Zwischen Juni und September erhöhte sich der Weinpreis von zehn auf sechzehn Sous pro Liter. Ein Pfund Butter kostete im Juni 26,5 Sous, im September 35. Noch drastischer verteuerten sich Eier, Kaffee, Zucker und Seife. Die Preissteigerung betrug 25 % für Kaffee, 100% für Eier sowie 200 % für Seife 33. Eine zusätzliche Belastung für den Grossteil der Bevölkerung waren die plötzlichen Preisschwankungen34. Ein Mehlmangel sowie die starke Belastung durch die Inflation führten im Juli zur Schliessung zahlreicher Bäckereien. Die Hungersnot wurde drückender und die Regierung sah sich gezwungen, verschiedene Massnahmen zu ergreifen. Am 21. Juli 1793 liess sie in Paris Lebensmittelkarten verteilen und am 26. Juli erliess sie ein strenges Gesetz gegen den Wucher 35. Ende Juli verbesserte sich die Situation daher vorübergehend. Doch bereits im August kam es in der Hauptstadt erneut zu einer Verknappung des Brotes. Der Konvent und der Wohlfahrtsausschuss wussten, wie wichtig die Unterstützung der Sansculotten in dieser kritischen Phase der Revolution war. Das entscheidende Mittel, den Rückhalt bei den Volksmassen zu sichern, war ihre ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln. Auf Beschluss des Konvents wurden Vorratslager errichtet. Die Massnahme entpuppte sich aber als “fadenscheinige Konzession an die Forderungen des Volkes” 36. Die Teuerung, eine der Hauptursachen, wurde dadurch nicht geringer. Ende August waren die drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme noch immer nicht gelöst. Keine der Massnahmen zeigte die erhoffte Wirkung. Gleichzeitig wehrte sich der Konvent gegen die Forderung der Sansculotten, die Lebensmittel zu taxieren und zu reglementieren. 31 Soboul, Albert: Die Grosse Französische Revolution, S. 285. Die Assignaten lösten die Francs als Währung ab. Vgl. dazu: Soboul, Albert: Die Grosse Französische Revolution, S. 287. 33 Alle Daten: Rudé, George: Die Massen, S. 167. 34 Ebd. 35 Der Konvent beschloss die Verordnung zur Einführung der Todesstrafe für Händler, die ihre Lagerbestände an Grundnahrungsmittel nicht vorschriftsgemäss anmeldeten. 36 Soboul, Albert: Die Grosse Französische Revolution, S. 292. 32 8 2.2. Die Wohlfahrtsdiktatur unter Robespierre Erst der Druck des Volkes, der mit den Septemberunruhen seinen Kulminationspunkt hatte, vermochte die entscheidenden Wohlfahrtsmassnahmen zu erzwingen: Das Massenaufgebot 37 , die damit zusammenhängende Zwangswirtschaft und in der Folge auch die Schreckensherrschaft 38. Die wichtigste Komponente der Zwangswirtschaft war das Gesetz vom 29. September welches ein allgemeines Maximum festsetzte. Sowohl die Preise für die wichtigsten Lebensmittel wie auch die Löhne wurden festgesetzt. Die Massnahme zeigte unmittelbare Wirkungen. Die Inflation wurde geringer und das Bündnis zwischen Sansculotten und Revolutionsregierung gefestigt. Die ausreichende Versorgung war für kurze Zeit gewährleistet. Bereits im Frühjahr des Jahres 1794 wussten aber die landwirtschaftlichen Produzenten sowie die Zwischenhändler die Gesetze der Zwangswirtschaft zu umgehen. Der Schwarzmarkt und höhere Preise waren die Folgen. Die Regierung war ausserstande das allgemeine Maximum zu handhaben. Zwei Reaktionen waren möglich. Entweder intensivierte sie die Gewalt oder aber sie musste die Gesetze lockern. Das hiess die Gewinnanteile der Bauern und Händler heraufsetzen. Sie entschied sich für letzteres und kehrte somit dem sozialen Programm der Sansculotten den Rücken. Die Einheit zwischen Robespierre und der Volksbewegung war gebrochen. Die Hinrichtung Héberts und seiner Mitkämpfer am 22. März 1794 sowie die Auflösung der Revolutionsarmee waren Ausdruck dieses Bruchs. Zwischen März und Juli stiegen die Preise weiter, während die Löhne nur leicht erhöht wurden. Verschiedentlich kam es zu Unruhen. Vor allem Arbeiter aus den verschiedenen regierungseigenen Betrieben forderten angemessene Lohnerhöhungen. Ausschlaggebendes Ereignis für den Sturz Robespierres am 26. Juli 1794, dem 9. Thermidor war die Bekanntgabe der neuen Lohnsätze für Paris. Der angekündigte Lohn war immer noch gleich hoch wie im ursprünglichen Gesetz zum allgemeinen Maximum festgeschrieben und trug den Preissteigerungen der vorangegangenen Monate in keiner Weise Rechnung. Die grosse Mehrheit im Konvent war seit längerem unzufrieden mit der Politik des Schreckens und nutzte den Unmut grosser Teile der Volksbewegung um Robespierre und seine Gefolgsleute zu verhaften und hinzurichten. Die Sektionen von Paris verweigerten Robespierre ihre Unterstützung. Die Revolution trat in eine neue Phase. 2.3. Das Ende der Sansculottenbewegung Der 9. Thermidor bedeutete das Ende der Wohlfahrtsdiktatur unter Robespierre. Die Kader der ehemaligen Revolutionsregierung wurden ausgeschaltet, das Regierungssystem der Schreckensherrschaft zerfiel. Die Regierungsgewalt war nicht mehr konzentriert, sondern wurde auf 16 verschiedene Ausschüsse verteilt. Im Konvent war die Bergpartei in der Minderheit, und die Sektionsversammlungen durften nur noch einmal pro Dekade 39 abgehalten werden. Von Oktober 1794 bis März 1795 verstärkten die Thermidorianer den Kampf gegen die Jakobiner und die Sansculotten. In 37 der 48 Sektionen wurden Kommissionen geschaffen, die das Verhalten der früheren Sektionsfunktionäre zu überprüfen hatten. Die Pariser Kommune wurde abgeschafft und die Sektionen gesäubert, zweihundert ehemalige Kämpfer unter Anklage gestellt. Grosskaufleute, Beamte 37 38 Die “levée en masse” vom 23. August 1793. Soboul, Albert: Die Grosse Französische Revolution, S. 291. 9 und freiberuflich Tätige traten in den Sektionen an die Stelle der Handwerker und Kleinhändler. Die Sansculotten hatten ihre wichtigste Organisationsstruktur und faktisch ihre Handlungsfähigkeit verloren40. Zum wirtschaftlichen Konzept der Thermidorianer gehörte die Aufhebung der Zwangswirtschaft. Sie stand im Widerspruch zum Postulat der Handels- und Produktionsfreiheit. Zwischen August und Dezember 1794 wurde deshalb sukzessive die freie Wirtschaft wieder eingeführt. Die Inflation, während der Schreckensherrschaft als Folge der gelenkten Wirtschaft gebändigt, setzte wieder ein, nachdem am 24. Dezember 1794 das allgemeine Maximum aufgehoben wurde. Ein enormer Preisanstieg war eine der direkten Konsequenzen der liberaleren Politik. Die Assignaten besassen im Dezember 1794 noch 20 und im Mai noch 7,5 Prozent ihres Nominalwertes. Zum Vergleich: im Dezember 1793 war sie wieder auf 50 Prozent ihres ursprünglichen Wertes gestiegen. Auch die Preise für Lebensmittel waren betroffen von dieser Geldentwertung. 41 Zwischen Dezember und Mai 1795 verschlechterte sich die Lage ununterbrochen und die Regierung sah sich gezwungen, das Brot und das Fleisch zu rationieren. Die Regierung war jedoch nicht imstande die versprochene und für die Rationierung notwendige Menge Brot und Fleisch anzubieten, so dass zunehmend auch diese Güter dem freien Markt und damit der Inflationsspirale überlassen wurden. 42 Die wirtschaftliche Not sowie die anhaltenden politischen Demütigungen der Thermidorianer gegenüber den ehemaligen Machthabern (Jakobiner und Sansculotten) schufen ein Klima, in dem die Unzufriedenheit des einfachen Volkes sich zu Verzweiflung und Widerstandsbereitschaft entwickelte 43 . Dies ist der Hintergrund, vor dem die Aufstände des 1. April und des 20. bis 23. Mai 1795 stattfanden. Ein letztes Mal bewaffneten sich die Sansculotten einiger, nicht vollständig gesäuberten Sektionen, besetzten den Konvent und forderten die Verfassung des Jahres 1793, die Freilassung der gefangengehaltenen Jakobiner und Massnahmen zur Kontrolle der Lebensmittelversorgung 44. Den Demonstranten fehlte jedoch die politische Führung und ein klarer Aktionsplan, so dass es der Regierung nach heftigen Kämpfen gelang den Aufstand zu unterdrücken, die Massen zu entwaffnen, die gegenwärtigen sowie die, für die Zukunft in Frage kommenden Führer zu beseitigen und dadurch dem politischen Einfluss der Sansculottenbewegung ein für alle Mal ein Ende zu setzen 45. 3. Die wirtschaftlichen Forderungen der Sansculotten Nachfolgend werden drei Dokumente als Beispiele von Forderungen vorgestellt. Sie sollen illustrieren welche Vorstellungen die Sansculotten bezüglich der Verteilungs- und Preispolitik vertraten und welche Massnahmen sie vorschlugen, um die Versorgungsprobleme zu lösen. Die beiden ersten Dokumente wurden im Spätsommer / Herbst des Jahres 1793 verfasst. Zu einer Zeit also, als die Volksbewegung ihren Höhepunkt erreicht hatte und ihr Einfluss am stärksten war. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit dem Gesetz des allgemeinen Maximums, welches wenige Wochen später, auf Druck des Volkes erlassen wurde. Das dritte Dokument wurde am Ende des betrachteten 39 40 41 42 43 44 45 Eine Dekade bezeichnete im Revolutionskalender eine 10 Tage dauernde Woche. Rudé, George: Die Massen, S. 177. Ebd., S. 192. Ebd. Ebd. S. 193. Ebd. S. 202 - 210. Vgl. zum Ende der Sansculottenbewegung auch: Markov, Walter: Volksbewegungen, S. 140 – 162. 10 Zeitraums erstellt und steht daher im Zeichen des letzten Aufstandes, des letzten Versuches der Sansculotten, ihre Ideale und Ziele noch zu erreichen. Kurze Zeit danach verschwand die Bewegung der Sansculotten. 3.1. Forderungen der Sektion “Sans-Culottes” an den Konvent (2. September 1793) 46 Am 2. September 1793, also unmittelbar vor den Septemberunruhen vom 4. und 5. September fordert die Sektion “Sans-Culottes” den Konvent auf, Gesetze zu erlassen um der gegenwärtigen Krise entgegenzuwirken. Hauptanliegen der Sektion war, die Wirtschaftsfreiheit zu beschränken. Ausgehend von der Forderung, die Preise aller Hauptnahrungsmittel “unveränderlich auf den Preis der sogenannten “früheren Jahre” 1789 bis 1790 festzusetzen” 47, entwickelt die Sektion ein umfassendes Modell, um wieder zu “Ruhe und Überfluss” 48 zu gelangen. Die Rohstoffpreise, die Industrie- und Handelsgewinne sowie die Löhne sollten gesetzlich geregelt werden. Zuschüsse vom Staat an die Departemente sollten einen einheitlichen Lebensmittelpreis gewährleisten. Vorgeschlagen wurde auch eine Art Risikogarantie für die Bauern: Im Falle einer Missernte sollten sie entschädigt werden. Mit diesen Massnahmen sollte die Versorgung der Bevölkerung gesichert werden. Daneben forderte die Sansculotten in der Adresse eine sehr strenge Begrenzung des Eigentumsrechts. Der Konvent solle ein “Maximum für Vermögen” 49 , also eine Vermögenshöchstgrenze festsetzen. Insbesondere die Produktionsmöglichkeiten waren davon betroffen: “Keiner soll mehr Ländereien pachten dürfen, als für eine festgesetzte Anzahl von Pflügen gebraucht wird.” 50 Zudem soll jeder Bürger nur eine Werkstatt oder einen Laden besitzen dürfen. Die Sektion versprach sich dadurch langfristig eine Nivellierung der Vermögen. Das Eigentum wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt, die Eigentumsregelung aber sollte den spezifischen wirtschaftlichen Bedürfnissen der Sansculotten angepasst werden51. 3.2. Die Forderungen des Bürgers Dupré an den Nationalkonvent 52 Die zweite Quelle ist eine Petition an den Nationalkonvent. Diesmal nicht von einer Sektion, sondern einem einzelnen Bürger. Der Autor, ein gewisser Dupré, entwirft darin ein volkswirtschaftliches Modell, mit dem Frankreich endlich seine Probleme dauerhaft lösen könnte. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die desolate Versorgungslage, verbunden mit der Erkenntnis, dass es sich hierbei um ein prinzipielles Problem handelt und nicht um eine vorübergehende Krise. Der Verfasser legt einen Plan vor, aufbauend auf dem Grundgedanken eines kontrollierten Handels mit festgesetzten Margen und einer indirekten Staatssteuer, mit dem Frankreich “neu aufgebaut” 53 werden soll. Der Staat kauft nach Dupré die Güter bei den Produzenten zu einem angemessenen Preis auf und verkauft sie weiter mit kleinem aber festgesetztem Gewinn, mit dem die Staatsausgaben gedeckt werden. Auch der Gross-, sowie der Einzelhändler sind an einen vorgeschriebenen Gewinnsatz gebunden. Ziel dieser Politik ist zum einen, dass “Getreideexport, Wucheraufkauf und Börsenwucher 46SvP., 47 48 49 50 51 52 53 Nr. 31 (2. 9. 1793), S. 136 - 141. Ebd., S. 139. Ebd., S. 141. Ebd., S. 139. Ebd., S. 141. Ebd. SvP., Nr. 35 (Datum fehlt) S. 156 - 163. Ebd., S. 159 11 unterbunden werden” 54 sowie, dass sich die Republik “ohne Anleihen, ohne Steuern 55 und vor allem, ohne (...) Lebensmittelmangel (...) erhalten” 56 kann. Weiter verspricht sich der Autor eine langfristig stabile sowie international handelsfähige Volkswirtschaft. Dauerhaft soll “eine Stärkung der Republik und die Liebe zu ihr”57 erreicht werden. 3.3. Abschrift eines Entwurfs58 Am 14. Mai 1795 legte der Bürger Journet der Abteilung Ernährung des Wohlfahrtsausschusses einen Wirtschaftsentwurf vor. Er forderte darin die Regierung auf abzuklären, ob es sich bei der Lebensmittelkrise um einen tatsächlichen Mangel handelt oder ob die Versorgungskrise nicht vielmehr das Produkt einer böswillig produzierten Not ist. Für den Fall, dass dies so sei, und eigentlich genügend Lebensmittel vorhanden wären, um das Land zu ernähren, forderte er die Regierung auf, alle Nahrungsmittel in der ganzen Republik aufzukaufen und zu verteilen. In elf Artikeln entwarf er einen Plan, wie die Regierung dabei vorgehen sollte. Ziel des Programms war die Sicherung der Versorgung bis zur nächsten Ernte. Als erstes sollten die “Grundbesitzer, Landwirte, Händler und Privatleute”59 in Frankreich dazu verpflichtet werden, alle Nahrungsmittel in ihrem Besitz zu deklarieren. Anschliessend sollten im ganzen Land Kontrollen durchgeführt werden. Das nicht deklarierte Gut würde beschlagnahmt und deren Besitzer zum Tode verurteilt. Alle Lebensmittel, ausser das für den Eigenbedarf Notwendige, sollten den Besitzern zum Tagespreis abgekauft werden. Die Ware sollte anschliessend in gleich grosse Rationen aufgeteilt und an die Bevölkerung weiterverkauft werden. Die reichen Bürger hätten dabei den vollen, die Bedürftigen den halben Preis, den die Regierung bezahlt hätte, aufwerfen müssen. Wein, Holz und Kohle war ebenfalls zu rationieren. Der Plan schien ihm geeignet um die Republik bis zur nächsten Ernte mit dem Notwendigsten zu versorgen. 4. Legitimation In einem zweiten Teil der Quellenanalyse möchten wir untersuchen, wie die Forderungen legitimiert wurden. In unserem Zusammenhang bezeichnet der Begriff Legitimation den argumentativen Hintergrund von Aktionen und Forderungen der Sansculottenbewegung. Die Frage, die uns im folgenden interessiert, lautet also: Welche Ideale, Grundsätze, Vorstellungen und Implikationen lagen den Forderungen zu Grund und sollten diesen Ausdruckskraft und Durchsetzungsvermögen verleihen? 4.1. Das ‘Wohl der Gemeinschaft’ als Legitimation Eine vielschichtige Legitimation ist das ‘Wohl der Gemeinschaft’. Das Glück der Gesamtheit des Volkes ist im Verständnis der Sansculotten zum Einen der Zweck der Republik und zum Anderen auch eines der Hauptargumente zur Legitimation ihrer Forderungen. Der Begriff 54 55 56 57 58 59 Ebd. Gemeint sind hier wohl direkte Steuern. SvP., Nr.35 (Datum fehlt) S. 159. Ebd., S. 161. SvP., Nr. 108 (14. 5. 1795) S. 486 - 491. Ebd., S. 489. 12 ‘Wohl der Gemeinschaft’ bezeichnet jedoch eine Oberkategorie welche wir im folgenden zu gliedern versuchen, um verschiedene Unterkategorien sichtbar zu machen. 4.1.1. Das ‘allgemeine Wohl’ als Begründung Der Schutz des Eigentums wird dahingehend relativiert, als es einem gesamtgesellschaftlichen Interesse untergeordnet werden sollte. “Aber wissen sie nicht (...), dass Eigentum nur soweit gut ist, als es den Bedarf des einzelnen befriedigt?” 60 Das Eigentum, der Besitz ist also nicht mehr à priori “heilig” und “unverletzlich”, wie dies bis anhin vertreten worden war, sondern ist der Existenzsicherung der Bürger untergeordnet. Der Schutz der Allgemeinheit ist oberste Prämisse. Ähnlich verhält es sich mit der Freiheit, eines der Hauptpostulate der Revolution. Zwar wird die Freiheit als Grundrecht des Menschen akzeptiert, damit sie jedoch nicht zur Gefahr wird, müssen Gesetze die Freiheit “zum Wohle der Allgemeinheit regeln”61. Auch die Kontrolle des Handels, um den Wucher zu unterbinden wird dadurch legitimiert, dass bisher der einzelne seinen Profit auf Kosten der Allgemeinheit gemacht hat62. Der Verzicht auf Überfluss, ist für “wirkliche Brüder” die zwangsläufige Konsequenz bei denen immer die Allgemeinheit prioritär ist63. Die Wendung ‘zum Wohle der Allgemeinheit’ ist eine positive Formulierung. Analog zur positiven Verwendung, gibt es verschiedentlich Fälle bei denen die Sansculotten ihre Forderungen im Prinzip zwar gleich, von der Formulierung her jedoch umgekehrt legitimieren. Das Elend, die Armut, die Verzweiflung64 oder der Hunger werden als Gründe angeführt, um die Verteilung der Lebensmittel sowie deren Preise festzusetzen 65 . Im Zentrum der Legitimation steht das Glück und das Wohlergehen des Volkes, der Allgemeinheit. Das “Elend der Allgemeinheit” 66 ist die negative Formulierung, eine sprachliche Variante. Die Legitimation mit dem Wohl der Allgemeinheit wurde in acht Fällen verwendet67. 4.1.2. Die christliche Ethik Eine weitere Grundlage, auf der die Forderungen legitimiert werden und die im Zusammenhang mit dem Wohl der Gemeinschaft steht, bilden die christlichen Wertvorstellungen. Zwar wird in keinem Fall auf die Religion oder auf die Bibel direkt Bezug genommen, vielmehr werden vor allem bei negativ besetzten Begriffen moralische Kriterien, die stark ans Evangelium erinnern, impliziert. Rücksicht auf den Nächsten als Leitfaden des selbständigen Handelns wird gefordert. Keiner soll etwas tun dürfen, was dem andern Schaden könnte68. Die neu gewonnene wirtschaftliche Freiheit muss Hand in Hand gehen mit dem Gebot der Nächstenliebe. Am deutlichsten sichtbar und aufs schärfste verurteilt wird dieses Verhalten anhand der Figur des Hamsterers welcher für die landesweite Hungersnot 60 Ebd., S. 139. Ebd., S. 157. 62 Ebd., S. 159. 63 Ebd., S. 157. 64 SvP., Nr. 28 (19. 8. 1793) S. 129. 65 SvP., Nr. 11 (31. 5. 1793) S. 65 66 SvP., Nr. 40 (29. 9. 1793) S. 177. 67 SvP., Nr. 11, S. 67; Nr. 22, S. 103; Nr. 28, S. 129; Nr. 35, S. 157; Nr. 40, S177; Nr. 42, S. 185; Nr. 67, S. 303; Nr. 108, S. 487. 68 SvP., Nr. 31 (2. 9. 1793) S. 139. 61 13 verantwortlich gemacht wird69. Der Hamsterer, bös- und eigenwilliger Nutzniesser und Verursacher der Versorgungskrisen, profitiert, indem er die Lebensmittel zurückhält, um sie dann zu überhöhten Preisen auf den Markt zu bringen. Er ist die Personifizierung des Bösen. “Was gibt es schändlicheres, als willkürlich einen Preis für die Lebensmittel zu verlangen, den sieben Achtel der Bürger nicht aufbringen können?”70 Auch die “offene Beraubung” kommt vor, der “gierige Kaufmann” tritt an die Stelle des Wucherers71. Die Vermutung, dass die christliche Ethik den Hintergrund für die Forderungen liefert und dadurch als Begründung betrachtet werden muss, wird auch im folgenden Fragesatz bekräftigt: “Wie lange noch werdet ihr es dulden, dass (...) Anmassung, Egoismus, Intrige und Geiz (...) unsere Grenzen der Tyrannei ausliefern und überall Verwüstung und Tod verbreiten?” 72 Genau die gegenteiligen moralischen Kriterien gelten in einem christlichen Umfeld als Tugendhaft: Gewissenhaftigkeit, Bescheidenheit, Loyalität, Grosszügigkeit, Altruismus und Verzicht 73 . Forderungen werden in insgesamt fünfzehn Fällen mit ethischen Grundsätzen begründet 74. 4.1.3. Hintergründe und weiterführende Gedanken Das Wohl der Gemeinschaft ist die am häufigsten verwendete Legitimation. In allen siebzehn Dokumenten wurden die Forderungen entweder implizit (christliche Ethik) oder explizit (das allgemeine Wohl) mit dem Wohle der Gemeinschaft begründet. In allen Fällen wurde also damit argumentiert, dass der Gemeinnutzen den privaten Interessen übergeordnet ist. Die starke Betonung der Allgemeinheit erinnert an eines der Hauptpostulate der Revolution und ist eines der Wesensmerkmale der Ideale der Sansculotten: die Brüderlichkeit. 4.2. Die Republik als Legitimation Neben dem ‘Wohl der Gemeinschaft’ gab es noch eine weitere Oberkategorie, einen weiteren zentralen Begriff, der in vielfältiger Form als Legitimation Verwendung fand: Die Republik. Drei Unterkategorien möchten wir voneinander trennen. 4.2.1. Die ‘Verteidigung der Revolution’ Die Absetzung von König Ludwig XVI und die Verfassung vom 24. Juni 1793 besiegelten das formale Ende der Monarchie und des Feudalsystems. Die neue republikanische Staatsform war jedoch noch nicht gefestigt. Die Angriffe der Nachbarländer sowie die ‘konterrevolutionären’ Kräfte im Innern bedrohten die Revolution. Aus diesem Umstand ergab sich eine Legitimation, die wir mit dem Begriff ‘Verteidigung der Revolution’ beschreiben wollen. In einer Rede vom 28. Juni fordert ein Redner namens Lacroix vor der Sektion “Unité” den Staat auf, grosse Mengen von Lebensmittel aufzukaufen, 69 SvP., Nr. 31 (2. 9. 1793) S. 139. Ebd. 71 SvP., Nr. 35 (Datum fehlt) S. 157 - 159. 72 Ebd. 73 Zur Legitimation von Forderungen mit der christlichen Ethik siehe auch: Andrews, Richard M.: Social structure, S. 94 - 96. Er vermutet, dass die moralischen Werte welche von den Sansculottenkader impliziert wurden, dem Zweck dienten eine Arbeitsmoral aufzubauen. 74 SvP., Nr. 11, S. 67; Nr. 22, S. 103; Nr. 28, S. 129; Nr. 31, S. 137; Nr. 35, S. 157; Nr. 36, S. 165; Nr. 40, S. 177; Nr. 52, S. 227; Nr. 61, S. 275; Nr. 63, S. 283; Nr. 72, S. 331; Nr. 87, S. 379; Nr. 100, S. 425; Nr. 101, S. 427; Nr. 108, S. 487. 70 14 um die Versorgung sicherzustellen. Er begründete dies unter anderem damit, dass “die Republik an den Rand des Grabes gebracht” worden sei und dass die Revolution nun endlich beendigt und die republikanische Verfassung gesichert werden müsse 75 . Als Begründung für die Herabsetzung des Brotpreises führte der Jakobinerklub in einer Petition das Argument an, dass “die gewaltige Macht der Unterdrücker” gebrochen werden muss76. Die Legitimation mit der Verteidigung der Revolution fand ihren Niederschlag zusammenfassend in den Wörtern ‘Verrat’ und ‘Konterrevolution’. Die Forderung, die Versorgungswirtschaft staatlich zu kontrollieren, wurde mit dem Hinweis legitimiert, dass dadurch den Verrätern und der Konterrevolution die wichtigste Waffe entzogen würde, nämlich der Hunger des Volkes 77 . Auch in der Rede Lacroix’ wurde die Ansicht vertreten, dass durch den Aufkauf der Lebensmittel “der Plan der Gegenrevolution”, nämlich das Volk auszuhungern, zerschlagen würde 78. Die Verteidigung der Revolution wurde in der “Instruktion”, einem umfangreichen Schreiben, welches die Sansculotten über die Ziele der Republik informieren sollte, sogar in einen religiösen Zusammenhang gestellt. An die Stelle der Kirche tritt die Republik. Der Republikaner soll keine andere “Gottheit” als sein Vaterland, kein “anderes Idol als die Freiheit” kennen. Daher entstand für den Patrioten die Pflicht, sich für sein Land aufzuopfern 79 . Als Gegenleistung für seinen Blutzoll und Einsatz wird er mit dem Lebensnotwendigen versorgt 80. Der ‘Handel’ zwischen dem Volk, welches die Republik verehrt und verteidigt, und der Republik, die dafür die Bevölkerung ernährt, erinnert sogar ein wenig an die Ständeordnung. Das Volk tritt an die Stelle des Wehr- und Betstandes, die Republik an diejenige des Nährstandes. Der Vergleich hinkt jedoch, weil Volk und Republik sich nicht trennen lassen. Die Verteidigung der Republik wird in neun Dokumenten als Begründung angeführt 81. 4.2.2. Abgrenzung gegenüber der aristokratischen Ordnung Der neuen Staatsform stellten die Sansculotten das alte System, das Ancien régime gegenüber. Die Monarchie verkörperte die gegenteiligen Werte der Republik: Die Ständeordnung setzte durch die Dreiteilung der Gesellschaft die Idee der Ungleichheit voraus, die Feudalherrschaft gründete auf einseitiger Abhängigkeit, die Freiheit war nicht gewährleistet. Die ungerechte Verteilung der Güter allgemein, und der Lebensmittel speziell, brachten die Sansculotten mit der aristokratischen Ordnung in Verbindung. Die unzureichende Versorgung war Ausdruck der als ungerecht empfundenen Verteilung. Solche Zustände mussten als mit der Aristokratie verbunden bekämpft, und der, im Umfeld der königlichen Höfe gedeihende Luxus ausgemerzt werden. Das vorgeschlagene Mittel war die Kontrolle des Handels 82 . Die in negativen Zusammenhängen verwendeten Begriffe “Aristokratie”, “Royalismus”, “Tyrannei” oder “Fanatismus” symbolisierten die Abgrenzung zur aristokratischen Ordnung 83 . Sehr treffend illustriert wurde dieser Bruch mit der herkömmlichen Ordnung in der “Instruktion” am Beispiel der Kirche. Die Priester und der “Fanatismus” seien verantwortlich für die 75 SvP., Nr. 22 (28. 6. 1793) S. 101. SvP., Nr. 28 (19. 8. 1793) S. 129. 77 SvP., Nr. 52 (16. 11. 1793) S. 231. 78 SvP., Nr. 22 (28. 6. 1793) S. 105. 79 SvP., Nr. 52 (16. 11. 1793) S. 233 f. 80 SvP., Nr. 31 (2. 9. 1793) S. 139. 81 SvP., Nr. 22, S. 103; Nr. 28, S. 129; Nr. 31, S. 137; Nr. 35, S. 157; Nr. 40, S. 177; Nr. 52, S. 227; Nr. 63, S. 283; Nr. 67, S. 303; Nr. 100, S. 425. 82 SvP., Nr. 35 (Datum fehlt) S. 157. 83 SvP., Nr. 52 (16. 11. 1793) S. 233 - 235. 76 15 Ursachen der “Leiden”, die Frankreich so lange habe ertragen müssen. Durch Lehre und Dogma habe die Kirche eine “Zwingburg” aufgebaut und den Geist der Menschen “ihren einfältigen Glaubenssätzen unterjocht.”84 Die Sansculotten legitimierten ihre Forderungen also zum Einen, wie wir gesehen haben, mit christlichen Werten und bekämpfen gleichzeitig deren institutionelle Form, die Kirche. Dies ist jedoch nur scheinbar ein Widerspruch. Die alte Kirche war im verhassten Königreich nicht nur eine starke und einflussreiche Macht, sondern lieferte der feudalen Ordnung auch die moralische Legitimation. Die Kirche gab der Monarchie den Segen, als Lohn wurde ihr Einfluss aufrechterhalten und verteidigt. Die Negierung der Kirche ist lediglich eine zwingende Konsequenz, resultierend aus dem Kampf gegen die Aristokratie. Die Begründung mit dem Kampf gegen die Aristokratie kommt in sechs Fällen vor 85. 4.2.3. Die Ehre Die Republik ist der Stolz der Sansculotten. Neben der Volkssouveränität, die sie gewährt, stiftet sie auch Identifikation. Der Stolz und das Ehrgefühl sind verletzt, wenn sich ein Misstand im Vaterland bemerkbar macht. Die Ehre musste gerettet, und der Stolz durfte nicht gebrochen werden. Die Unfähigkeit der republikanischen Regierung, die Volksmassen hinreichend zu versorgen, empfanden die Verfasser der Adresse als Schmach und Erniedrigung. Aus diesem Grund musste der mangelhafte Zustand mit Hilfe eines allgemeinen Maximums behoben werden. “Beeilt Euch, die Zeit drängt...Die ganze Welt sieht auf Euch, die Menschheit wirft Euch die Leiden vor, die die französische Republik heimsuchen; und die Menschen kommender Jahrhunderte werden Eure Namen für immer brandmarken, wenn Ihr nicht sofort Abhilfe schafft.” 86 Die Ehre als Legitimation fand in vier Dokumenten Verwendung87. 4.2.4. Hintergründe und weiterführende Gedanken Die Republik als Legitimation für die Reglementierung der Lebensmittelpreise wird, unter Berücksichtigung aller drei Unterkategorien, in zehn Fällen verwendet; also in ungefähr sechzig Prozent der Dokumente. Sie ist dahingehend naheliegend, als der Kampf gegen die Aristokratie und den königlichen Absolutismus schon seit Beginn der Revolution immer zu den Motiven und Triebfedern des Sansculottschen Widerstandes gehörte 88. Die Republik war die Alternative und die neue Hoffnung. Die Republik liefert aber noch eine weitere, nicht angeführte und nicht auf wirtschaftliche Anliegen beschränkte, Legitimation: An die Idee der Republik wurde unweigerlich die Volkssouveränität geknüpft, was, im Verständnis der Sansculotten, gleichbedeutend war mit der Übertragung der Regierungsverantwortung von wenigen auf alle. Als Konsequenz ergab sich daraus das Recht, die politischen Entscheide zu lenken und mit zu gestalten. Nicht Widerstandsrecht, sondern die Umsetzung basisdemokratischer Vorstellungen war in verschiedenen Fällen die Begründung dafŸr, dass die Sansculotten überhaupt Forderungen stellten, Programme entwarfen und 84 SvP., Nr. 52 (16. 11. 1793) S. 233 - 235. Dieser Text wurde zur Zeit abgefasst als die Dechristianisierung eine Radikalisierung erfuhr. Siehe dazu: Furet, François: Kritisches Wörterbuch der Franz. Revolution, S. 27 - 48. Hier S. 39. 85 SvP., Nr. 22 (28. 6. 1793) S. 303, Nr. 28 (19. 8. 1793) S. 129, Nr. 31(2. 9. 1793) S. 137, Nr. 35 (undatiert) S. 157, Nr. 42 (31. 10. 1793) S. 185, Nr. 52 (16. 11. 1793) S. 233, Nr. 63 (18. 2. 1794) S. 283. 86 SvP., Nr. 31 (2. 9. 1793) S. 137. 87 SvP., Nr. 22, S. 103; Nr. 31, S. 137; Nr. 40, S.177; Nr. 67, S. 303. 16 sich als durchführende Kraft zur Verfügung stellten89. Somit steht die Legitimation mit der Republik stellvertretend für eine weitere Eigenheit und ein weiteres Merkmal der Volksbewegung: Die Basisdemokratie. 4.3. Das Recht auf Leben als Legitimation Der Begriff, an dem sich die Geister der beiden Linksfraktionen schieden, war die Gleichheit. Während für Robespierre, den Wohlfahrtsausschuss und die Konventsmehrheit die Gleichheit als ‘égalité de droit’ verstanden wurde, sahen die Wortführer der Volksbewegung die Gleichheit auch als ‘égalité de fait’, dies vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Von der Gleichheit der Lebenshaltung führten die Sansculotten den Gedanken weiter und forderten die Beschränkung des Eigentumsrechts. Sie stellten dadurch das Recht auf Leben über die Wirtschaftsfreiheit. Zwei Ausdrucksformen der Forderung nach Beschränkung des Eigentumsrechts kamen vor. In der “Adresse” an den Konvent wurde, wie wir oben sahen, eine Vermögenshöchstgrenze und die Beschränkung des Eigentiums an den Produktionsmitteln gefordert. Diese umfassende Form der Begrenzung des Besitzes findet sich allerdings nur in einem Dokument90. Die zweite Ausdrucksform ist die Forderung, das Eigentumsrecht der landwirtschaftlichen Produzenten zu beschränken. Es wurde argumentiert, der Bauer sei lediglich der Verwalter des Bodens und das Volk, die Republik, der eigentliche Besitzer. In der bereits zitierten “Instruktion” heisst es, dass “die Erzeugnisse Frankreichs gegen eine dem Bauer zustehende Entschädigung den Franzosen gehören; Das Volk hat also ein erwiesenes Recht auf die Früchte, die es selbst hervorgebracht hat”.91 Das Eigentumsrecht des Bauern wurde beschränkt. Er sollte über seine Ernte keine volle Verfügungsberechtigung haben. Gegen eine Entschädigung hat er die Früchte des Bodens an den Staat weiterzugeben. Aus diesem Verständnis erwuchs als Konsequenz das Recht, die Lebensmittel zu taxieren und zu reglementieren 92. “Da die Erzeugnisse der Erde von der Natur für alle ihre Kinder bestimmt sind, hat das Volk das unbestreitbare Recht, die Habgier der reichen Grundbesitzer und die Hamsterer in gerechte Grenzen zurückzuweisen und den Preis der notwendigsten Lebensmittel festzusetzen.” 93 Auch ein allgemeines Recht auf Dasein koppelten die Sansculotten an diese Auslegung der Gleichheit der Lebenshaltung. Niemand soll fürchten müssen, dass seine Existenz von der “Laune eines anderen” gefährdet ist 94 . Die Sektion “Sans-Culottes” schrieb in einem Beschluss, dass die Preise der Lebensmittel festgesetzt werden sollen, damit sie leben können95. Die Legitimation mit dem Recht auf Leben findet sich in elf Fällen 96. 88 Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 15. Als Beispiel für die Beteiligung der Sansculotten an der Durchführung versorgungspolitischer Massnahmen seien hier die Lebensmittelkommissare sowie die Überwachungsausschüsse angeführt. Zum Begriff der Volkssouveränität bei den Sansculotten vgl.: Guérin, Daniel: Klassenkampf, S. 11 - 30. Sowie: Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 123 - 135. 90 Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 76. 91 SvP., Nr. 52 (16. 11. 1793) S. 231. 92 Siehe dazu: Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 70 - 89. 93 SvP., Nr. 22 (28. 6. 1793) S. 105. 94 Ebd. 95 SvP., Nr. 11 (31. 5. 1793) S. 67. 96 SvP., Nr. 11, S. 67; Nr. 22, S. 103; Nr. 31, S. 139; Nr. 40, S. 177; Nr. 52, S. 231; Nr. 61, S. 275; Nr. 63, S. 283; Nr. 67, S. 303; Nr. 100, S. 425; Nr. 108, S. 487. 89 17 4.3.1. Hintergründe und weiterführende Gedanken Ursprung dieser Legitimation war das philosophische Gedankengut von Rousseau. Die Gleichheit der Lebenshaltung war für Rousseau die Bedingung für die Freiheit 97. Der Gemeinwille (volonté générale) lenkt die Kräfte des Staates gemäss dem Gemeinwohl. Er erstrebt immer das allgemein Beste und kann nicht irren, im Gegensatz zum Gesamtwillen (volonté de tous), der die Summen der Einzelinteressen vertritt. Nur der Gemeinwille, als eine Art Interessenausgleich, wird immer das bestmögliche erreichen. Damit der Gemeinwille sich allerdings durchsetzen kann, darf keiner so reich sein, dass er einen anderen kaufen kann, und keiner so wenig besitzen, dass er sich verkaufen muss98. Ausgehend von diesem Konzept, übernahmen auch verschiedene, nicht aus den Reihen der Sansculotten stammende Wortführer der Revolution diese Argumentation. Robespierre ordnete zum Beispiel, in einer Rede vom 2. Dezember 1792 dem Recht auf Leben alles andere unter 99 . Die Argumentation war im Sommer 1793 sogar sehr weitverbreitet 100 . Das neue Moment dieser Begründung ist also weniger die Idee selber, als der konsequente Versuch das gesellschaftliche Ideal durchzusetzen, der Regierung aufzuzwingen und dadurch zeichnet sich die Sansculottenbewegung des Jahres II auch aus101. Soviel zu den Begründungen welche die Sansculotten zur Durchsetzung ihrer Forderungen verwendeten. Damit lässt sich der erste Teil der anfänglich gestellten Frage beantwortet. Halten wir vorerst einmal folgendes fest: Die Sansculotten argumentierten bei ihren Forderungen auf drei Ebenen; einer politischen, einer sozialen und einer ethisch – philosophischen. Die drei Ebenen widerspiegeln gleichzeitig auch spezifische Wesensmerkmale der Bewegung. Im politischem Sinne ist dies der Kampf gegen die Aristokratie sowie die Vorstellung einer basisdemokratischen Republik. Auf sozialem Gebiet wird dies sichtbar in der Bedeutung des allgemeinen Wohls und auf ethisch – philosophischem Gebiet wurde das Recht auf Leben zum obersten Prinzip erklärt. 5. Gegenüberstellung der Legitimation der Sansculottenbewegung mit der Legitimation von verschiedenen ausgewählten Unruhen aus der Frühen Neuzeit Drei Konflikte aus drei verschiedenen Jahrhunderten vor der Französischen Revolution werden im folgenden skizziert. Um einen Vergleich möglich zu machen, liegt das Augenmerk auf der Legitimation. Bei allen drei Konflikten geht es um wirtschaftliche Mehrbelastungen oder Einschränkungen von Seiten der Obrigkeit gegenüber den Bauern. Die Beispiele wurden so gewählt, dass sie für eine bestimmte Art der Legitimation oder für eine Entwicklung exemplarischen Charakter haben. Ziel der Gegenüberstellung ist es, die Legitimation der Sansculottenbewegung in einen geistesgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen, um dadurch den zweiten Teil der eingangs gestellten Frage zu beantworten, inwiefern nämlich im Umfeld der Französischen Revolution auch hinsichtlich der Argumentation ein Bruch mit der Tradition festzustellen ist. 97 Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 83. Fenske, Hans: Geschichte der politischen Ideen, S 342 - 344. 99 Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 83. 100 Ebd., S. 84. 101 Soboul, Albert: Französische Revolution und Volksbewegung, S. 84 f. 98 18 5.1. Der Konflikt im “Eigen” Rottenbuch102 5.1.1. Ursachen und Verlauf Das Augustiner-Chorherrenstift Rottenbuch ist der Schauplatz eines Konfliktes zwischen dem Prälaten des Klosters, Probst Georg Siessmaier, und den im Eigen Rottenbuch angesiedelten Bauern. In einem Eigen waren alle Personen (Eigenherr und Eigenleute) sowie die Güter zusammengehörig. Der Herr hatte die Fürsorgepflicht für die Eigenleute, welche ihrerseits der Gehorsamspflicht nachkommen mussten. Die Bauern mussten die Güter des Eigens bebauen. Zu diesem Zweck teilte der Probst den Bauern die Höfe zu. Die ursprüngliche Rechtsform sah vor, dass die Grundholden abgestiftet, das heisst von ihrem Gut abgezogen und auf ein anderes gesetzt, werden konnten. Der Probst hatte auch das Recht, die Abgaben zu erhöhen. Zwischen dem ausgehenden 14. Jahrhundert und dem Ende des 16. Jahrhunderts, hatte sich die Praxis im Kloster jedoch verändert. Zum einen war es nicht mehr üblich, dass Bauern abgestiftet wurden und zum andern war es Usus, dass die Verfügungsgewalt Ÿber die beweglichen Güter, wie Werkzeuge oder Vieh, beim Tode der Eltern auf die Kinder überging. Zudem gab es kaum mehr eine Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungen. Faktisch wurde die Existenzgrundlage weitervererbt. Die Rechtsvorstellung der Bauern war von der Unveränderbarkeit der Eigentumsverhältnisse 103 , sowie der Zusammengehörigkeit der Eigenleute geprägt. Diese Eigentumsordnung war jedoch nirgends schriftlich festgehalten und hing vom guten Einvernehmen zwischen den Eigenleuten und dem Prälaten ab. Dieser Konsens wurde gleich nach Amtsantritt Probst Georg Siessmaiers von ihm in Frage gestellt. Ursprung der Unruhen war die Erhebung einer Weihsteuer im Eigen. Die Bauern wehrten sich anfänglich, gewährten jedoch kurz darauf die Hälfte des geforderten Betrages. Der Erfolg ermunterte den Prälaten und führte 1613 zu einer Reihe von Massnahmen, welche die Bauern wirtschaftlich höher belasteten und deren Freiheitsrechte einschränkten. Die Bauern reichten beim Herzog in München Klage ein. Aus diesem Ereignis entwickelte sich ein lang andauernder Streit zwischen den Bauern und dem Probst. 5.1.2.Legitimation Die Haltung der Rottenbucher Bauern war während des Konflikts eher Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie vor der Zeit des Regierungsantritts defensiv. Die Probst Georg Siessmaiers üblich waren, war das Ziel der Untertanen. Entsprechend legitimierten sie ihre Klagen mit dem Alten Herkommen. Mittel dieser Legitimation war ein herzöglicher Spruchbrief aus dem Jahre 1470. Der Probst wies den Vorwurf, er habe gegen das alte Recht gehandelt, nicht ab, verwies aber seinerseits auf den ursprünglichen Status der Bauern. Diese seien eigentlich Freistifter und hätten daher kein Anrecht auf den Klosterbesitz. Die klagenden Bauern mussten auf dieses Argument hin ihre Beziehung im Herrschaftssystem definieren. Die Bauern belegten darauf ihr Recht, nicht Bei der Darstellung des Konflikts im “Eigen” Rottenbuch stütze ich mich auf: Blickle, Renate: “Spenn und Irrung”. Sowie: dieselbe: Agrarische Konflikte. 103 Im Grunde gab es zwei Eigentümer: Der Grundherr war Obereigentümer (dominus directus) und der Bauer war Nutzeigentümer (dominus utilis). Der Eigentumsanspruch des Bauern war daher das Recht, das Gut und den Hof zu benutzen. Siehe dazu: Blickle, Renate: Agrarische Konflikte, S. 174 - 177. 102 19 abgestiftet werden zu können, da dieses Recht, seit über hundert Jahren nicht mehr gehandhabt worden sei. Sie hätten also das Recht “ersessen”104. Die Legitimation mit dem Alten Herkommen oder dem alten Recht war typisch in der überwiegenden Mehrheit der Unruhen während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Im traditionalen Rechtsverständnis der Bauern waren die Rechtsregeln Gottes Werke. Einmal gesetzt, galten sie als heilig und unveränderbar. Entsprechend seinem göttlichen Ursprung hatte solches Recht ewig zu halten. Den herrschaftlichen Versuchen, Recht aus eigener Macht zu schaffen, stellten die Untertanen die Würde der Überlieferung entgegen, welche sich nicht einseitig verändern liess.105 5.2. Die zwölf Artikel aus Oberschwaben 5.2.1.Ursachen und Forderungen Stellvertretend für die Zeit des Bauernkrieges und des Übergangs vom Mittelalter zur frühen Neuzeit, wollen wir die oberschwäbischen Zwölf Artikel betrachten und nach der angeführten Legitimation fragen 106 . Die Zwölf Artikel gelten als das Kerndokument des deutschen Bauernkriegs. Sie waren “Beschwerdeschrift, Reformprogramm und politisches Manifest zugleich” 107 . Die Beschwerden, die darin zum Ausdruck kamen, müssen vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise des Feudalismus gesehen werden. Die ländliche Armut, hervorgerufen durch die Ausdehnung des Zehnten, die hohen Steuern, Missernten sowie neue Steuern, die als Folge des entstehenden Territorialstaates erhoben wurden, bildeten die wirtschaftliche Komponente der Krise. Die hohen Belastungen der Höfe führte zu einer Landflucht, wodurch auch die Existenz vieler kleiner Feudalherren gefährdet wurde. Diese versuchten, der Abwanderung entgegen zu wirken und verstärkten die Bindungen zu ihren Leibeigenen. Die wirtschaftlichen Belastungen für die Bauern wurden grösser und die Freizügigkeit eingeschränkt108. Die feudale Ordnung war zu jenem Zeitpunkt in ihren Grundfesten gefährdet. Dieser Krisenkomplex fand sich in reziproker Form in den Zwölf Artikeln wieder. Gefordert wurde die freie Wahl des Pfarrers, die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie zahlreiche wirtschaftliche Entlastungen. Die Forderungen, welche die Bauern geltend machten, müssen als Resultat einer vielschichtigen Krise des Feudalismus und als Ausdruck der wirtschaftlichen und sozialen Not der Bauern verstanden werden. Die Legitimation der Forderungen muss hingegen vor dem Hintergrund der Reformation als theologisch - ideelle Umwälzung jener Zeit analysiert werden. 5.2.2.Legitimation Im ausgehenden 15. Jahrhundert stiessen die Bauern bei der Durchsetzung ihrer Interessen mit dem Alten Herkommen an Grenzen. Mit der Ausbildung des Territorialstaats verwendete die Obrigkeit vermehrt das Satzungsrecht, das römische Recht oder des gemeine kaiserliche Recht. Blickle, Renate: “Spenn und Irrung”, S. 100. Bierbrauer, Peter: Bäuerliche Revolten im alten Reich, S. 42. 106 Für die Ausführungen der zwölf Artikel stütze ich mich auf: Blickle, Peter: Die Revolution von 1525. Sowie: Buszello, Horst: Der deutsche Bauernkrieg. 107 Zitat aus: Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, S 21. 108 Verbot des freien Schutzherrn; Verbot der Verbürgerung; Verbot von ungenossen Ehen. Siehe dazu: Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, S. 39 - 50. 104 105 20 Diesem Recht konnte der Bauer nicht mehr mit dem traditionellen Recht entgegnen. Er fand als Folge der Reformation im Evangelium eine neue Begründungsebene: Das göttliche Recht. Damit war es möglich, Forderungen zu stellen, welche aus der Bibel hergeleitet werden konnten. Das göttliche Recht vermochte auch die ständischen Schranken aufzuheben, welche Bauern und Stadtbewohner bisher trennten. Erst die neue Legitimation machte es möglich, dass der Konflikt sich über die territorialen Grenzen hinweg ausdehnte. Nicht mehr das enge Bezugsfeld Bauer und Herr war entscheidend, sondern die gesamte feudale Ordnung und ihre Strukturen konnten mit dem göttlichen Recht in Frage gestellt werden. Sowohl die Erhebung als ganzes, wie auch die einzelnen Forderungen wurden in den Zwölf Artikeln aus dem Evangelium begründet. Das göttliche Recht kann, im Gegensatz zum alten Recht, weder durch Rückgang in die Vergangenheit gefunden werden, noch basiert es auf dem Argument der Billigkeit, des Verstandes oder der Vernunft. Es lässt sich ausschliesslich auf die Bibel zurückführen. Genau dadurch liess sich das göttliche Recht vom alten Recht abgrenzen. Folgerichtig wurde im zwölften Artikel des Dokuments explizit darauf hingewiesen, dass eine Forderung nichtig wäre, falls nachgewiesen werden könnte, dass sie im Widerspruch zur Lehre des Evangeliums steht. “Im Evangelium und/oder göttlichen Recht fanden die Aufständischen eine absolute, tragfähige und mitreissende Legitimation ihres Handelns” 109. 5.3. Die Unruhen im Fürstbistum Basel 5.3.1.Der Konfliktverlauf Der Konflikt im Fürstbistum Basel (1726 - 1740) hatte seinen Ursprung in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts.110 Der amtierende Bischof verstärkte auf wirtschaftlichem Gebiet seine Ansprüche und führte absolutistische Reformen durch, welche seinen politischen Einfluss verstärkten. Höhere Steuerforderungen, sowie die partielle Entmachtung der Landstände 111 destabilisierten das gewohnte Gefüge. Die Unzufriedenheit der Bauern in der Landvogtei Elsgau verwandelte sich in offenen Protest und Widerstand als unerwartet ein altes, für verschollen gehaltenes Rechtsdokument im bischöflichen Archiv gefunden wurde. Es handelte sich um den Landrodel der Landvogtei Elsgau aus dem Jahre 1517. Die Kunde des Vorhandenseins solcher schriftlich fixierten bäuerlicher Rechte und Freiheiten war der Ursprung der Unruhen in der Landvogtei. Es gab zwei Hauptgründe für die überragende mobilisierende Wirkung sowie die politische Sprengkraft des Dokuments. Erstens: Als Folge der bischöflichen Reformen war seit Jahren ein Gefühl der Rechtsunsicherheit gewachsen. Dies liess bei den Bauern den Wunsch nach fixierten Rechten wach werden. Zweitens: Der Rodel mit seinen Jahrhunderte alten Rechtsvorschriften und Normen lieferte den Aufständischen eine historische Legitimation für ihren Widerstand. Das bäuerliche Rechtsempfinden erhielt mit dem Dokument eine rationale und juristisch abgestützte Argumentationsbasis. Ausgehend von diesem Ereignis erlebten die Landvogtei Elsgau und weitere Gebiete des Bistums Basel mehr als ein Jahrzehnt bäuerlicher Aufstände. Zwischen dem Ausbruch der Unruhen 1726 und ihrem Ende 1740 gab es mehrere Versuche, den Konflikt friedlich zu lösen. Der Kaiser wie auch 109 Zitat aus: Buszello, Horst: Der deutsche Bauernkrieg, S 286. Für die Darstellung des Konflikts stütze ich mich auf: Suter, Andreas: “Troublen” im Fürstbistum Basel. Sowie: Derselbe: Absolutismus als repressive Antwort. 111 Die Landstände waren politische Institutionen in der alle drei Stände vertreten waren. Im Fürstbistum Basel besassen die Landstände ein Steuerbewilligungsrecht welches ihnen der Bischof im Rahmen der Reformen entzog. Siehe dazu: Suter, Andreas: “Troublen” im Fürstbistum Basel, S. 42 f. 110 21 aussenstehende Gerichte scheiterten mit ihren Schlichtungsbemühungen an der Unnachgiebigkeit der Konfliktparteien. Die kostspieligen Prozesse, welche die Bauern gegen die Obrigkeit führten, verliefen schleppend und zäh. Die Fronten verhärteten sich zunehmend. Im Jahr 1733 erfuhr die Unruhe eine Radikalisierung. Die Bauern verteidigten ihre alten Rechte vermehrt auch mit Gewalt. Beendet wurde der Konflikt schliesslich 1740 als Frankreich auf bischöfliche Bitte hin Truppen ins Bistum schickte und die rebellierenden Bauern zur Aufgabe zwang. 5.3.2.Legitimation Es ist interessant, dass es den beiden Parteien trotz mehrerer Versuche nicht gelang, den Konflikt auf friedliche Weise beizulegen. Eine mögliche Erklärung dafür finden wir, indem wir dem bäuerlichen Begründungsmuster die Legitimation der Obrigkeit gegenüberstellen. Ihre Begründung unterschied sich nicht von derjenigen anderer Konflikte in der Frühen Neuzeit. In den meisten Fällen rechtfertigten sie ihre Ansprüche mit dem Alten Herkommen. Die Bauern argumentierten damit, dass älteres Recht, entsprechend seinem göttlichen Ursprung, jüngeres Recht ausser Kraft setze. Der Bischof dagegen legitimierte die Verwaltungsreform des Jahres 1726 nicht mehr mit dem Alten Herkommen, sondern mit dem Zweck und den Zielen dieser Reform. In der abschliessenden Betrachtung zum Reformwerk hielt der Bischof fest, dass die Reformen “aus unserer väterlicher Sorge und unserem Bestreben, die Wohlfahrt der Untertanen zu befördern” entstanden seien 112 . Massnahmen mit dem Zweck des allgemeinen Wohles zu begründen, ist im 18. Jahrhundert sehr verbreitet. Mehr noch: Der Zweck hat vielerorts das alte Recht als Legitimation ersetzt. Diese Veränderung kommt in ihrer ganzen Schärfe in einem Brief des Bischofs an den Kaiser zum Ausdruck. Der Bischof bezeichnete darin die Rechte des Rodels als “verrostete Freiheitsbriefe” 113. Voraussetzung für das bischöfliche Urteil ist ein neues Rechtsverständnis, welches sich grundsätzlich von der traditionalen Rechtsauffassung der Bauern unterscheidet. Das weltliche Prinzip der Zweckbestimmtheit ersetzt die Prämisse des göttlichen Ursprungs. Grundlage der obrigkeitlichen Argumentation ist das im 16. Jahrhundert entstandene Naturrecht, welches zwischen positivem und natürlichem Recht unterschied. Während im traditionalen Rechtsverständnis unterschiedslos alle Gesetze ewig gültig und göttlich waren, zerlegte das Naturrecht die Gesetzesvorschriften in “vergängliche, menschliche Satzungen” 114 einerseits und ewig geltende, unveränderliche Gesetzesnormen anderseits. Entsprechend ordnete der Bischof die Rechte, welche die Bauern geltend zu machen suchten, dem positiven Recht zu und entzog ihnen dadurch die Legitimation. In einigen wenigen Fällen rechtfertigen aber auch die Bauern ihre Ansprüche nicht mehr ausschliesslich mit dem Alten Herkommen. Für die gewaltsame Nutzung privatisierter Bergweiden führten die Bauern neben der altrechtlichen Begründung auch die Existenzsicherung als Legitimation an. Die Unruhen im Bistum Basel wiesen auf einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel hin, der in der Folge nicht nur die Rechtsauffassung verändern sollte. 112 113 114 Zitiert nach: Suter, Andreas: “Troublen” im Fürstbistum Basel, S. 391. Zitiert nach: Ebd., S. 393. Zitat: Ebd., S. 392. 22 5.4. Gegenüberstellung und geistesgeschichtliche Einordnung Hauptargument der bäuerlichen Legitimation während der Frühen Neuzeit war – die “Zwölf Artikel aus Oberschwaben” einmal ausgenommen – das Alte Herkommen. Die Orientierung der Argumentation war also rückwärtsgewandt, in die Vergangenheit blickend. Das alte Recht, die Gewohnheit und die Tradition waren die Grundlage der Verständigung und der Begründung. Genau das gegenteilige Kriterium diente den Sansculotten als argumentativen Rückhalt: Veränderung, Aufbruch, und Abschied von der Tradition. Nichts durfte so bleiben wie es war. Die bisherige Obrigkeit, die Aristokratie hatte abzutreten, die Ressourcen mussten nach einem neuen Schlüssel verteilt werden. Diese Neuorientierung wird am deutlichsten sichtbar bei der “Legitimation mit der Republik”. Formell unterstrichen wurde diese epochale Zäsur mit der Einführung einer neuen Datierung und dem Versuch, neue religiöse Kulte einzuführen. Die Sansculotten negierten also den Hauptbestandteil der Argumentation der Frühen Neuzeit, nämlich das Alte Herkommen und ersetzten diesen mit seinem Gegenteil. So gesehen stellte die Legitimation der Sansculotten durchaus ein Bruch mit der Begründungsstruktur der Vergangenheit dar. Bleibt zu fragen, ob es nicht noch andere Interpretationsmöglichkeiten gibt? Voraussetzung dafür, dass eine Forderung oder ein Anliegen erfolgreich vertreten werden kann, ist die Autorität der Instanz auf welche sich die Begründung beruft. Die Rechtsgrundlagen sowie die allgemeinen moralischen Wertungen sind Ausgangspunkt jeder tragfähigen Legitimation. Wie aus den drei Beispielen von Konflikten sichtbar wurde, war in der Frühen Neuzeit Gott der Ursprung des Rechts und dadurch auch die anerkannte letztinstanzliche Autorität. Zum Ausdruck kommt dieses Verständnis insbesondere darin, dass Recht nicht geschaffen, sondern lediglich durch Rückgang in die Vergangenheit ,gefunden’ werden konnte. Der göttliche Ursprung des Rechts galt sowohl für das alte Recht wie auch für das göttliche Recht. Bei der Legitimation der Sansculotten stellten wir nicht mehr eine göttliche, sondern eine irdische, säkulare Instanz fest. Der Zweck oder besser, die Vernunft – Ausdruck findend im Prinzip des allgemeinen Wohls und der Ausformulierung eines Rechts auf Leben – war ein Schwerpunkt der sansculottschen Argumentation und dadurch auch, um dieselbe Metapher anzuwenden, die letztinstanzliche Autorität. Die Verlagerung der Autorität von Gott auf die Vernunft des Menschen hatte, wie wir sahen, ihren Ursprung in der Unterscheidung von positivem und natürlichem Recht im 16. Jahrhundert und fand als solche während des 18. Jahrhunderts auch praktische Anwendung. Der Bischof des Bistums Basel legitimierte seine Reformen mit einem rationalen also ,vernünftigen’ Argument. In dieser Hinsicht ist die Legitimation der Sansculotten während der Französischen Revolution das Resultat einer Entwicklung welche im 16. Jahrhundert erkennbar und durch die Aufklärer vorangetrieben wurde. Stellte die Legitimation der Sansculotten also weniger ein Bruch mit der Vergangenheit dar, als vielmehr die Radikalisierung eines Prozesses, der drei Jahrhunderte früher seinen Anfang genommen hatte? War die Vernunft aber tatsächlich die letztinstanzliche Autorität? In 15 von 17 Dokumenten bildeten christliche oder allgemeine ethische Grundsätze eine Grundlage der Legitimation. Die Vermutung, dass die moralische Instanz, ähnlich wie in den Konflikten der Frühen Neuzeit, zwar nicht mehr 23 ausdrücklich, aber stillschweigend dieselbe, also göttlich blieb, wäre naheliegend und ist zumindest für diverse Dokumente vertretbar. Der Problemkomplex könnte aber auch aus einer leicht veränderten Perspektive betrachtet werden: Festzustellen war, dass die Sansculotten in sechzig Prozent der Dokumente die Republik als Legitimation heranzogen. Die Republik war einerseits zwar ein irdisches, nach rationalen Kriterien gestaltetes Modell, anderseits aber war sie durchaus auch verbunden mit einem irrationalen, metaphysischen Moment. Schicksal und Verhängnis, Glück und Leid der Gesamtheit der Republik waren in der Argumentation der Sansculotten eine wichtige Komponente. Die Vorstellung eines Vaterlands in Harmonie und Brüderlichkeit ist nicht mehr nur rational erklärbar und bedingt eine das Individuum übergreifende Vision. Den Schluss, den wir aus dieser Betrachtung ziehen müssten, wäre also, dass der Kern der sansculottschen Argumentation nicht die Vernunft und nicht Gott gewesen sein könnte, sondern vielleicht eine Konstellation, in der beide enthalten waren, nämlich die Vision einer Einheit, der Wunsch sich in ein grosses Ganzes einzuordnen und dieses nach eigenen Kräften zu gestalten. Die Republik war die neue “Gottheit” der Sansculotten. Zum Schluss soll noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit aufgezeigt werden, die mehr als Hypothese verstanden werden will. Bei einem direkten Vergleich der sansculottschen Revolution des Jahres II der Republik und der “Revolution von 1525” 115, deren ideologische Stossrichtung in den “Zwölf Artikeln” dargelegt wurden, sind gewisse Parallelen festzustellen. Beide Revolutionen wurden durch politische Umwälzungen und wirtschaftliche Krisen eingeleitet. Im 16. Jahrhundert mit der Bildung des Territorialstaates, 1793 mit dem Ende der Aristokratie. Sowohl 1525 als auch in den Revolutionsjahren in Frankreich verschlechterten die wirtschaftlichen Krisen die Lebensbedingungen und setzten dadurch die Hemmschwelle für Protest und Widerstand herunter. Kern der Gemeinsamkeiten dürfte jedoch weder die wirtschaftliche Not, noch der politische Umbruch, sondern die jeweils neue geistige Grundlage der beiden Epochen sein. Sowohl die Ideen der Reformation, als auch diejenigen der Aufklärung eröffneten den Zeitgenossen neue Horizonte. Der Widerstand bekam eine allgemeine, programmatische Richtung, ein vages Ziel. Bezogen auf unsere Fragestellung und auf das Problem der Legitimation bleibt dies nicht ohne Konsequenzen. Sowohl der Bauern- wie auch der Volksbewegung stand ein Fundus an Ideen zur Verfügung, der politisch verarbeitet werden konnte. Die geistige Revolution löste die Legitimation aus ihrem engen, konsensgebundenen Rahmen. Analog zu den Forderungen, die sich nicht mehr am Gewesenen, sondern an einer neuen Vorstellung der Zukunft orientierten, wurde auch der Legitimation eine neue Rolle zugewiesen: Die Legitimation wurde zur Trägerin der ideellen, geistigen Revolution. Nicht Verständigung, sondern Konfrontation wurden in den beiden Bewegung angestrebt, eine Veränderung, die über das Bisherige hinausging, war das Ziel 116. Wo wird dieser Neuanfang, der revolutionŠre Charakter des Aufstands deutlicher sichtbar als in der Legitimation? Die Frage, ob die Art wie die Sansculotten ihre Forderungen legitimierten, nun im Zeichen der Kontinuität oder eines Bruches mit der Vergangenheit stand, lŠsst sich also folgendermassen beantworten: Im Zuge der Französischen Revolution löste sich die Legitimation von ihrem herkömmlichen Schema. Die Argumente waren nicht mehr gebunden an eine gemeinsame 115 116 Der Begriff “Revolution von 1525” wird in Anlehnung an Peter Blickle als Arbeitsbegriff verwendet. FŸr die Zwšlf Artikel vgl.: Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, S. 135 - 142. 24 Verständigungsbasis zwischen der Obrigkeit und dem dritten Stand. Verschiedene Strömungen aufnehmend, machte sich die Legitimation selbständig und entwickelte, in Verbindung mit den revolutionären Forderungen, eine neue Dynamik. Entsprechend vereinten sich in der Legitimation der Sansculotten herkömmliche sowie geistesgeschichtlich neue Elemente. Sowohl irrationale, an den göttlichen Ursprung moralischer Werte erinnernde Momente, wie auch rationale, aufklärerische Ideen vermengten sich. In dieser Hinsicht darf die Legitimation der Sansculotten als Bruch mit der Vergangenheit verstanden werden. Ziehen wir jedoch die Vermutung, dass die Revolution des Jahres II der Republik, was die Legitimation betrifft, in der “Revolution von 1525” ein historisches Pendant findet, in die Analyse ein, könnten wir hingegen argumentieren, dass, über einen grossen Zeitraum hinweg, eine Kontinuität, eine Wiederkehr des Gleichen festzustellen ist. 6. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Sansculotten ihre Forderungen auf drei verschiedene Arten legitimierten. Zählt man die Texte, in denen mit christlichen oder allgemeinen ethischen Kriterien argumentiert wird, zur Oberkategorie ‘Wohl der Gemeinschaft’, gibt es keine Forderung, in der die Legitimation mit dem ‘Wohl der Gemeinschaft’ fehlt. In allen Fällen wird also implizit oder ausdrücklich damit argumentiert, dass der Gemeinnutzen den privaten Interessen übergeordnet ist. Die starke Betonung der Allgemeinheit erinnert an eines der Postulate der Revolution: Die Brüderlichkeit. Solidarität statt Wirtschaftsfreiheit also? Die Republik als Legitimation für die Reglementierung der Lebensmittelpreise wird, unter Berücksichtigung aller drei Unterkategorien (Ehre, Verteidigung der Revolution, Abgrenzung gegenüber der Aristokratie) insgesamt in zehn Fällen verwendet, also in ungefähr sechzig Prozent der Dokumente. Die Legitimation mit der Republik ist dahingehend naheliegend, als der Kampf gegen die Aristokratie und den königlichen Absolutismus schon seit Beginn der Revolution immer zu den Motiven und den Triebfedern des Widerstandes der Sansculotten gehörte. Die Republik war die Alternative und die neue Hoffnung. Wie eng die emotionale Bindung mit der Republik war, kommt insbesondere bei der Begründung mit der Ehre zum Ausdruck. Die dritte Oberkategorie, die festgestellt werden konnte, ist die Legitimation mit dem Recht auf Leben. In insgesamt elf Fällen wird diese angeführt. Der Handelsfreiheit setzten die Sansculotten die Zwangswirtschaft entgegen, dem Recht auf Eigentum, das Recht auf Leben. Diese Art der Legitimation macht deutlich, dass die Sansculotten ein eigenständiges soziales Ideal hatten, welches sie bereit waren durchzusetzen. Die Idee des sozialen Ausgleichs und der Beschränkung der Wirtschaft, zugunsten des Rechts auf Dasein hatte ihren Ursprung im philosophischen Gedankengut des von Rousseau geprägten Zeitalters. Es war auch nicht neu, dass dieses Gedankengut in politischen Zusammenhängen Verwendung fand. Neu hingegen, und dies war der Verdienst der Sansculotten, war der Versuch dieses Ideal konsequent durchzusetzen. Letztlich muss die Zwangswirtschaft und das allgemeine Maximum als Resultat des politischen Willens der Sansculotten betrachtet werden. So erklärt sich die relativ häufige Verwendung dieser Legitimation. Auffallendstes Merkmal der sansculottschen Legitimation ist, dass sie sich nicht auf eine Stossrichtung konzentrierte. Verschiedenartige Elemente und Strömungen prägten die Argumentation 25 der Sansculotten. Neben ‘vernünftigen’, den Ideen der Aufklärung und der Revolution entsprungenen Begründungen, stellten sich irrationale und auf christliche Werte zurückzuführende Begründungen. Insbesondere die Legitimation mit der Republik verband diese beiden Aspekte sehr anschaulich. In der Frühen Neuzeit war die Berufung auf das Alte Herkommen, also die Vorstellung, dass das Recht göttlichen Ursprung habe und dadurch ewig zu gelten hatte, Grundlage der Legitimation. Das alte Recht war sowohl für die Obrigkeit als auch für die Untertanen die gemeinsame Verständigungsebene und Verhandlungsbasis zugleich. Wesensmerkmale des alten Rechts war die Betonung des Überlieferten. Im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg und den damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen verlor die altrechtliche Legitimation an Bedeutung. An ihre Stelle trat das göttliche Recht. Das Evangelium, das Wort Gottes wurde zur neuen Quelle der Argumentation und der Rechtsvorstellungen der Bauern. Dieser Bruch mit der Tradition eröffnete den Aufständischen neue Möglichkeiten und definierte dadurch auch den Rahmen der Forderungen neu. Nach der Zerschlagung der Bauernbewegung durch die Obrigkeit verschwand die Legitimation mit dem göttlichen Recht und das Alte Herkommen wurde, bei der grossen Mehrheit der Konflikte, wiederum zur Grundlage der Legitimation. Im 18. Jahrhundert war es dann die Obrigkeit, die mit dieser Tradition einseitig brach und ihrerseits den Zweck als Argument zur Durchsetzung ihrer Interessen anführte. Die Legitimation mit dem Zweck geht zurück auf die im 16. Jahrhundert aufgetretene, Unterscheidung von positivem und natürlichem Recht. Erstes bezeichnete Rechtsvorschriften und Normen welche menschlichen Ursprung hatten und dadurch auch von Zeit zu Zeit anders aussehen konnten. Die natürlichen Rechtsnormen dagegen hatten göttlichen Ursprung und galten ewig. Beim Versuch, die Legitimation der Sansculotten geistesgeschichtlich einzuordnen und die Frage zu beantworten, inwiefern diese eine Kontinuität oder einen Bruch mit der Vergangenheit darstellte, konnten je nach Betrachtungsweise verschiedene Schlüsse gezogen werden. Gerade die unterschiedlichen Momente, welche die Sansculottenbewegung aufgegriffen hatte, um ihren Forderungen Ausdruckskraft und Durchsetzungsvermögen zu verleihen, führte dazu, dass diese Frage letztlich nicht eindeutig zu beantworten war. Ein Versuch wurde trotzdem gewagt: Das Hauptmerkmal der frühneuzeitlichen Legitimation, das Alte Herkommen, die Tradition ersetzten die Sansculotten mit der Perspektive der Zukunft. Was bisher war, hatte keine Bedeutung mehr. An diese Stelle trat die Vision einer Republik, welche sie nach ihren Kräften zu gestalten hatten. So gesehen stellte die Art wie die Sansculotten ihre Forderungen legitimierten einen Bruch mit der Vergangenheit dar. Ursprung der Rechtsvorstellung war, jedenfalls vordergründig, nicht mehr Gott, sondern die Vernunft. In dieser Hinsicht ist die sansculottsche Legitimation auch Ausdruck der skizzierten Entwicklung, in der der Zweck den metaphysischen Charakter der Rechtsnormen zu ersetzen begann. Bei genauerer Betrachtung stellte sich jedoch heraus, dass die Sansculotten keineswegs nur rationale, aufgeklärte Begründungen anführten und noch weniger implizierten. Der Republik wurde in der Argumentation der Sansculotten ein höherer Wert zugesprochen. Die Republik war die neue “Gottheit” der Sansculotten. Bei einem direkten Vergleich der “Revolution von 1525” mit der Revolution von 1793, konnten verschiedene Parallelen festgestellt werden. Beide AufstŠnde fanden in Zeiten des politischen 26 Umbruchs sowie wirtschaftlicher Krisen statt und standen beide unter dem Einfluss von neuen geistigen Stršmungen. Die jeweils neuen geistigen Impulse, 1525 das Gedankengut der Reformation und im ausgehenden 18. Jahrhundert die AufklŠrung, trugen dazu bei, dass die Legitimation den herkšmmlichen, Konsens gebundenen Rahmen sprengte und eine neue Dynamik entwickelte. Die Legitimation orientierte sich nicht mehr an der VerstŠndigung zwischen Obrigkeit und Untertanen, sondern an der Konfrontation und am Neuanfang. Entsprechend vermengten sich verschiedene Momente und Stršmungen in der Legitimation der Sansculotten. Rationale Argumente traten neben irrationale, an den gšttlichen Ursprung moralischer Werte erinnernde Momente. So ist es auch erklŠrbar, dass je nach Perspektive ein anderer Schluss gezogen werden konnte. Insgesamt betrachtet und unter BerŸcksichtigung der neuen Rolle welche die Legitimation einnahm, kann jedoch von einem Bruch mit der Tradition gesprochen werden. Die Vermutung, dass wŠhrend der “Revolution von 1525” die Legitimation, Šhnlich wie 1793 zur TrŠgerin der geistigen Revolution wurde und ebenfalls eine neue Rolle einnahm, liess den Schluss oder zumindest die Hypothese zu, dass die sansculottsche Revolution, was die Legitimation betrifft, im Bauernkrieg des 16. Jahrhundert ein historisches Pendant findet. Insofern konnte Ÿber einen grossen Zeitraum hinweg eine KontinuitŠt, eine Wiederkehr, ein revolutionŠres Muster festgestellt oder zumindest vermutet werden. 7. Bibliographie 7.1. Quellenverzeichnis - Markov, Walter / Soboul Albert: Die Sansculotten von Paris. Dokumente zur Geschichte der Volksbewegung 1793 – 1794, Berlin 1957. Bei der Quellenarbeit wurde die folgende AbkŸrzung verwendet: SvP., Nummer des Dokuments (Datum), Seitenzahl. 7.2. Literaturverzeichnis - - - - Bierbauer, Peter: Bäuerliche Revolten im Alten Reich. Ein Forschungsbericht, in: Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, herausgegeben von Peter Blickle u. a., München 1980, S. 1 – 68. Blickle, Peter: Die Revolution von 1525, München 1975. Blickle, Peter / Buszello, Horst (Hgg.) : Der deutsche Bauernkrieg, Paderborn 21991. Blickle, Renate: Agrarische Konflikte und Eigentumsordnung in Altbayern. 1400 – 1800, in: Geschichte und Gesellschaft. Bochumer historische Studien, herausgegeben von Winfried Schulze, Bd. 27, Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu bäuerlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeitlichen Europa, Stuttgart 1983, S. 166 – 187. Dies.: “Spenn und Irrung” im “Eigen” Rottenbuch. Die Auseinandersetzungen zwischen Bauernschaft und Herrschaft des Augustiner-Chorherrenstifts, in: Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, herausgegeben von Peter Blickle u. a., München 1980, S. 69 – 145. Braesch, F.: La Commune du 10 août 1792. Etude sur l’histoire de Paris du 20 juin au 2 décembre, Paris 1911. Cobb, Richard: Les armées révolutionaires. Instrument de la terreur dans les départements. Avril 1793 – Floréal an II, 2 Bde., Paris 1961. Fenske, Hans / Reinhard, Wolfgang (Hgg.) : Geschichte der politischen Ideen. Von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 31995. Furet, François / Ozouf, Mona (Hgg.): Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, 2 Bde., Frankfurt am Main 1996. 27 - - - - - - Gayot, Gérard: Les Sans-Culottes de Sedan. Le brave soldat Hernandez, le manufacturier millionnaire et le Général La Fayette, in: Annales Historiques de la Révolution Française, Bd. 306 (1996), S. 704 – 711. Gourden, Jean-Michel: Gens de métier et Sans-Culottes. Les artisans dans la révolution, Paris 1988. Guérin, Daniel: Klassenkampf in Frankreich. Bourgeois et “bras nus” 1793 – 1795, übersetzt aus dem Französischen von Jürgen Hoch, Frankfurt a. M. 1979. Markow, Walter: Volksbewegungen der Französischen Revolution, herausgegeben von Manfred Hahn, Frankfurt a. M. 1976. Mathiez, Albert: La vie chère et le mouvement social sous la Terreur, Paris 1927. Méille, Ernest: Les sections de Paris pendant la Révolution française (21 mai 1790 – 19 vendémaire an IV). Organisation. Fonctionnement, Paris 1898. Michelet, Jules: Histoire de la Révolution française, 7 Bde., Paris 21868. Monnier, Raymonde: Cordeliers, Sans-Culottes et Jacobins, in: Annales Historiques de la Révolution Française, Bd. 300 (1995), S. 249 – 260. Monnier, Raymonde / Soboul, Albert: Répertoire du personnel sectionnaire parisien en l’an II, Paris 1985. Mortimer-Ternaux, Michel: Histoire de la Terreur 1792 – 1794, d’après les documents authentiques et inédits, Bd. 1, Paris 31868. Petersen, Susanne: Lebensmittelfrage und revolutionäre Politik in Paris 1792 – 1793. Studien zum Verhältnis von revolutionärer Bourgeoisie und Volksbewegung bei der Herausbildung der Jakobinerdiktatur, in: Ancien Régime, Aufklärung und Revolution, herausgegeben von Rolf Reichhardt u. a., Bd. 2, München 1979. Rose, Richard B.: The making of the sansculottes. Democratic ideas and institutions in Paris, 1789 – 1792, Manchester 1983. Rudé, George: Die Massen in der Französischen Revolution, übersetzt aus dem Französischen von Angela Hillmayr und Rudolf Bischoff, Wien 1961. Sewell, William H.: Work and revolution in France. The language of labor from the old régime to 1848, New York 1980. Soboul, Albert: Les Sans-Culottes parisiens en l’an II. Histoire politique et sociale des sections de Paris. 2 juin 1793 – 9 Thermidor an II, La Roche-Sur-Yon 1958. Titel der deutschen Ausgabe: Ders.: Französische Revolution und Volksbewegung: die Sansculotten. Die Sektionen von Paris im Jahre II, herausgegeben von Walter Markov und übersetzt von Claus Werner, Berlin 1978. Ders.: Die Grosse Französische Revolution. Ein Abriss ihrer Geschichte (1789 – 1799), Teil 2, übersetzt aus dem Französischen von Joachim Heilmann und Dietrich Krause-Vilmar, Frankfurt a. M. 1973. Sonenscher, Michael: The sans-culottes of the Year II: rethinking the language of Labor in revolutionary France, in: Social History, Bd. 9 (1984), S. 301 – 328. Suter, Andreas: Absolutismus als repressive Antwort auf Probleme der Staatsbildung: Das Fürstbistum Basel als Beispiel, in: Schweiz im Wandel. Studien zur neueren Gesellschaftsgeschichte, herausgegeben von Sebastian Brändle u. a., Festschrift zum 60. Geburtstag von Rudolf Braun, Basel 1990, S. 281 – 304. Ders.: “Troublen” im Fürstbistum Basel (1726 – 1740). Eine Fallstudie zum bäuerlichen Widerstand im 18. Jahrhundert, Göttingen 1985. Taine, Hippolyte: Les origines de la France contemporaine. La Révolution, Bd. 3, Paris 1885. Tonesson, Kare D.: La défaite des Sans-Culottes. Mouvement populaire et réaction bourgeoise en l’an III, Oslo 1959. 28