Sommersemester 2015 Prof. Dr. Klaus Ries Skript: Grundkurs Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts I.: Einführung / Industrielle Revolution in England / Französische Revolution Wichtige Einführungsliteratur zum 19. Jahrhundert: - KOCKA, Jürgen, Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft (= Gebhardt. Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 13), 10., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart 2002. - NONN, Christoph, Das 19. und 20. Jahrhundert (Orientierung Geschichte), Paderborn 2007. - OSTERHAMMEL, Jürgen, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009. - SCHULZ, Matthias, Das 19. Jahrhundert (1789-1914), Stuttgart 2011. - WIRSCHING, Andreas (Hg.), Neueste Zeit (Oldenbourg Geschichte Lehrbuch), 2. Aufl., München 2009. Einführungen in die Geschichte der Westeuropäischen Doppelrevolution: - FAHRMEIR, Andreas, Revolutionen und Reformen. Europa 1789-1850, München 2010. - FEHRENBACH, Elisabeth, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 12), 4., überarb. Aufl., München 2001. - BUCHHEIM, Christoph, Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung in Großbritannien, Europa und in Übersee, München 1994. 1. Grundfragen und Strukturen des 19. Jahrhunderts – Anfang und Ende - „Langes 19. Jahrhundert“ (Eric J. Hobsbawn) zwischen „Westeuropäischer Doppelrevolution“ und 1. Weltkrieg - Problem: Eurozentrischer Ansatz Charakter des Jahrhunderts: - Jahrhundert der Modernisierung Industrialisierung, Kommunikationsrevolution, wissenschaftlichen Revolutionen und die Herausbildung einer Wissensgesellschaft, sozialer Wandel - Verfassungsstaaten, Nationalstaaten - Moderne und Tradition - OSTERHAMMEL – 5 CHARAKTERISTIKA: asymmetrische Effizienzsteigerung gesteigerte Mobilität Referenzverdichtung (Steigerung interkultureller Wahrnehmungen und Transfers) Spannungsverhältnis zwischen Gleichheitsversprechen der Aufklärung und neuen Hierarchisierungen Emanzipation 2. Die Industrielle Revolution in England Hauptcharakteristika: - Durchsetzung neuer Techniken - massenhafte Nutzung von Rohstoffen - Einrichtung des Fabriksystems und seinen arbeitsteiligen, zentralisierten und mechanisierten Produktionsprozessen - Durchsetzung der freien Lohnarbeit - Kommunikationsrevolution - neue Form des Wirtschaftswachstums Ursachen: - Bündel aus wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen u. politischen Faktoren - Bevölkerungswachstum, Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion - günstige Verkehrsverhältnisse, technische Neuerungen - überseeische Expansion - Schaffung günstiger Rahmenbedingungen durch den Staat - Pionierland der Industriellen Revolution war England - wichtigster Bereich der frühen Industrialisierung Baumwollspinnerei Wichtige Erfinder und Erfindungen: - James WATT (1736-1819): Erfinder der Dampfmaschine mit Drehbewegung 1782 - John KAY (1704-1780): Fliegendes Weberschiffchen zur Beschleunigung des Webens 1733 - James HARGREAVES (1720-1778): Spinning Jenny in den 1760er Jahre - Richard ARKWRIGHT (1732-1792): Spinnmaschine mit Wasser- oder Dampfkraft - Abraham DARBY (1711-1763): Verhüttung von Eisenerz mit Koks statt Holzkohle - Henry CORT (1740-1800): Vereinfachung der Stahlproduktion durch das PuddelVerfahren 1783 3. Die Französische Revolution - Begriff: Früher Umwälzung zur Herstellung früheren Zustands, moderner Begriff „politisch-soziale Totalumwälzung“ Französische Revolution in der Geschichtsschreibung: 1. Konservative Deutungen (Edmund BURKE, Hippolyte TAINE, Pierre CHAUNU) 2. Liberale Deutungen (Adolphe THIERS, Jules MICHELET) 3. Sozialistische Interpretation (Jean JAURÈS, Georges LEFEBVRE, Albert SOBOUL) 4. Moderne strukturanalytische Forschung (François FURET, Denis RICHET) 5. Revolution als Kulturrevolution (Michel VOVELLE): Umbruch der Mentalitäten. Ursachen der Französischen Revolution: - wirtschaftliche und soziale Faktoren im Ursachengeflecht eine wichtige Rolle malthusianische Falle - Unzufriedenheit der Bauern über Feudalsystem, Konflikte zwischen Adel und aufstrebendem Bürgertum nicht auf großen sozialen und wirtschaftlichen Gegensatz (Adel–Bürgertum) zurückzuführen! - mit der Aufklärung einhergehenden geistesgeschichtlichen Umbrüche MONTESQUIEU, ROUSSEAU, DIDEROT, d`ALEMBERT - Radikalisierung des Meinungsstreites trug dazu bei, in breiten Bevölkerungsschichten die Autorität der alten Mächte (Monarchie und Kirche) zu - Krise des absolutistischen Herrschaftssystems Ludwig XVI. (kostspielige Außenpolitik u.a.) - Beschwerdehefte des Volkes („Cahiers de doléances“) trieben den Politisierungsprozess im Winter 1788/89 weiter voran Die drei Revolutionen vom Sommer 1789 1. Die staatsrechtliche Revolution vom Sommer 1789 2. Die städtische Revolution und der Sturm auf die Bastille 3. Bauernrevolution und Abschaffung des Feudalsystems Aufbau und Scheitern der konstitutionellen Monarchie 1789-1792: - Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, Absage an die alte Gesellschaftsordnung. - Beginn der Verfassungsberatungen durch die in Versailles tagende Nationalversammlung. - Neue Unruhen durch anhaltende wirtschaftliche Misere und Zögern des Königs gegenüber den Beschlüssen der Nationalversammlung die Monarchie als Gefangene der Revolution - Oktober 1790: Ersetzung des Lilienbanners durch die Trikolore. - Reformwerk der Nationalversammlung: Verfassung vom 3. September 1791 - gescheiterter Fluchtversuch des Königs vom Juni 1791 ließ neues Misstrauen entstehen - Ausbildung politischer Gruppierungen mit unterschiedlichen Zielen u.a. Jakobinerklub (Gesellschaft der Freunde der Verfassung) - 20. April 1792 Kriegserklärung der Nationalversammlung an Österreich Hoffnung Königs auf die Niederlage Frankreichs, Hoffnung Befürworter des Krieges (vor allem die Girondisten) auf engeres Zusammenrücken der Franzosen und die Festigung der revolutionären Errungenschaften. - Der ungünstige Kriegsverlauf, der Streit um die Kirchenpolitik, soziale Probleme und die wachsende Politisierung der Gesellschaft (Klubs, aktive Rolle von Frauen wie Madame Roland, Olympe de Gouges) führten im August 1792 zum Sturz der Monarchie. - Septembermorde von 1792 Vorgeschichte, Entwicklung und Bedeutung der Jakobinerdiktatur - Wahlen zum Nationalkonvent September 1792 Erfolg der Girondisten, Festigung der durch den militärischen Erfolg von Valmy am 20. September 1792 - Umsetzung Forderungen des 10. August 1792 in die Tat um: offizielle Abschaffung der Monarchie und Errichtung einer Republik in Form eines unteilbaren Einheitsstaates Prozess gegen den König und die Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793. - Anfang 1793 schwere Niederlagen Frankreich sowie innere Unruhen März 1793 Einrichtung eines Revolutionstribunals und die Todesstrafe für Gegenrevolutionäre. Machtkampf zwischen Girondisten Montagnards entschieden am 2. Juni 1793 zugunsten der letzteren - Mit Beginn der Jakobinerherrschaft (Danton, Robespierre) erhielt Frankreich im Juni 1793 eine neue trat jedoch wegen Ausnahmezustand nicht in Kraft - Jakobiner betrieben rigorose Zentralisierung des Staatsapparatesm Versuch durch Wirtschaftslenkung und die Schaffung einer schlagkräftigen Revolutionsarmee die inneren und äußeren Krisen in den Griff zu bekommen. Hauptkennzeichen des neuen Systems Terror - Die wichtigste Unterstützung erhielten Jakobiner von sog. Sansculotten (klein- und unterbürgerliche Pariser Volksbewegung Hauptforderungen Festsetzung von Höchstpreisen und Beschränkungen der Eigentumsrechte. - Krieg und die Gegenrevolution im Inneren festigten Bündnis zwischen Jakobinern und Sansculotten harte Maßnahmen gegen Wucherer drängen (maximum générale 27. September 1793 - Am 10. Oktober 1793 Erklärung des Nationalkonvents Regierung Frankreichs sei revolutionär bis zum Frieden - Militärische Erfolge nach "levée en masse" ermöglichten außenpolitische Stabilisierung - Jedoch trotz der Behauptung gegen äußere und innere Feinde häuften sich seit Oktober 1793 die großen Prozesse gegen die inneren Gegner (Revolutionstribunal unter Ankläger Antoine Fouquier-Tinville wichtigste Opfer im Herbst 1793 Girondisten Brissot und Vergniaud, die ehemalige Königin Marie Antoinette und der Herzog Philippe Égalité. - Höhepunkt Terror zwischen April und dem 27. Juli 1794 Sturz Robespierres, 10. Juni 1794 sog.