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GONDA PICKL, GRAZ
VON PCS ZU MINSPEAK, VOM KOMMUNIKATIONSALBUM
ZUM POWER TALKER
ABSTRACT: Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen über keine oder nur sehr begrenzte verbale
Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, benötigen zur Entwicklung ihrer kommunikativen, kognitiven,
sozialen und emotionalen Fähigkeiten ein System, sei es technischer oder nicht technischer Art, das
sie in ihrer Kommunikation unterstützt. Da sich sowohl die Kapazitäten als auch die Bedürfnisse eines
Kindes mit wachsendem Alter verändern, ist es von großer Bedeutung, sein Kommunikationssystem
dahingehend anzupassen, auszubauen oder zu ändern, wie sich ja auch die Sprache eines Menschen
im Laufe seines Lebens verändert.
Dieser Bericht schildert die Entwicklung eines Mädchens, das mit Bildsymbolen zu kommunizieren
begann und jetzt auf dem besten Weg ist, eine erfolgreiche Benutzerin einer auf der Minspeak Strategie basierenden Hightech – Kommunikationshilfe zu werden.
SCHLÜSSELBEGRIFFE: Integration, unterstützte Kommunikation, Picture Communication Symbols,
Minspeak, Power Talker®.
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Denise
In diesem Beitrag möchte ich ein Mädchen vorstellen, das auf Grund von
ausgeprägter oraler und verbaler Apraxie in seinen lautlichen Ausdrucksmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Trotz der sich daraus ergebenden Problematik
soll im Fokus dieser Arbeit aber nicht die Sprechstörung dieses Mädchens stehen,
sondern vielmehr die kontinuierliche Entwicklung seiner kommunikativen
Kompetenzen. Allerdings müssen wir in diesem speziellen Fall den Begriff
„kommunikative Kompetenzen“ etwas breiter ansetzen, da es hier auch um
verschiedene Formen der unterstützten Kommunikation (UK) gehen wird.
Denise kam im Juni 1993 nach unauffälliger Schwangerschaft und normal
verlaufender Geburt zur Welt, weder ihr älterer noch ihr jüngerer Bruder zeigen eine
körperliche oder kognitive Beeinträchtigung. Die Eltern merkten bald Auffälligkeiten in
der Entwicklung ihrer Tochter, jedoch erst als diese 18 Monate alt war, wurde die
Gehirnmissbildung Schizencephalie festgestellt. „Von außen“ sichtbar wurde die
Schädigung zunächst durch eine rechtsseitige Hemiparese, später zeigte sich eine
massive Beeinträchtigung des Sprach- und Sprechvermögens. Die Apraxie äußerte
sich sowohl im oralen (mangelhafte Kontrolle über Mundmotorik und Speichelfluss)
als auch im verbalen Bereich; was für diese Symptomatik typisch ist, traf auch auf
Denise zu: einige phonetisch komplexe Wörter, besonders, wenn sie emotional
besetzt waren, konnten früher, besser und auch konstanter gebildet werden, als von
der Lautzusammensetzung her einfachere Wörter (DUFFY, 1995): So berichteten
ihre Eltern, dass sie mit vier Jahren (in diesem Alter begann sie die ersten Wörter zu
sprechen) etwa „Badewanne“ und „Halskette“ artikulierte, diese Wörter waren jedoch
nach einigen Monaten nicht mehr abrufbar. In den nächsten Jahren konnten nur
noch die Wörter „Mama“, „Papa“ und „Oma“ nach vielen Suchbewegungen
einigermaßen korrekt artikuliert werden.
Das Mädchen machte im Alter von 13 Monaten ihre ersten Schritte mit
Unterstützung; das freie Gehen war dann von großer Unsicherheit und häufigem
Hinfallen gekennzeichnet, das Gangbild erschien unkoordiniert.
Heute kann sich Denise selbständig sehr gut fortbewegen, jedoch ist die Funktion
der rechten Hand zu stark beeinträchtigt, als dass Gebärden als alleinige
Kommunikationsform in Frage kämen, selbst wenn die linke Hand zur Verdeutlichung
einer Botschaft häufig eingesetzt wird.
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Die schulische Situation
Während all ihrer bisherigen Schuljahre besuchte Denise Integrationsklassen – nach
4 Jahren in einer integrativen VS-Klasse an der Landessonderschule Graz besucht
sie nun die 3. Klasse der HS/NMS Andritz. Sie wurde und wird von einer ständig in
der Klasse anwesenden Sonderschullehrerin nach dem Lehrplan für
schwerstbehinderte Kinder unterrichtet und war schon immer unter ihren
MitschülerInnen gut integriert und akzeptiert. Von Anfang an zeigte Denise gute
Fähigkeiten im visuellen Bereich, sowohl was Diskriminierung als auch symbolisches
Erkennen betraf. Problematischer war und ist der auditive Bereich,
Lautdiskriminierung etwa ist nach wie vor sehr schwierig für das Mädchen. Trotz
intensiven Trainings erlernte Denise in den ersten vier Schuljahren weder
sinnerfassendes Lesen eines zusammenhängenden Textes noch eigenständiges
Schreiben, abgesehen von den Fähigkeiten, einzelne vertraute und häufig geübte
Wörter zu erkennen bzw. zu buchstabieren. Obwohl sich diese Fertigkeiten in den
letzten beiden Schuljahren weiter verbesserten, sind sie doch noch zu eingeschränkt,
als dass die Schülerin ausschließlich über das Ausbuchstabieren ihrer Mitteilungen
kommunizieren könnte.
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Erster Einsatz von unterstützter Kommunikation
Als ich Denise zu Beginn ihres ersten Schuljahres im September 1999 kennen lernte,
verwendete sie 1 Wort-Sätze bzw. kurze Phrasen, doch außer den drei oben
genannten Wörtern, den Namen ihrer Brüder (inkorrekt artikuliert, aber für mit den
Namen vertraute Gesprächspartner zu verstehen) und dem ihrer Hündin „Gina“
waren ihre Äußerungen nahezu unverständlich. Die Lautbildung war meist auf
Vokale reduziert, die jedoch nicht immer korrekt eingesetzt wurden. Zusätzlich zur
verbalen Apraxie zeigte sich die orale Komponente in einer stark eingeschränkten
Zungenmotorik sowie in einer mangelhaften Kontrolle über den Speichelfluss, auch
die Sensorik im orofazialen Bereich war beeinträchtigt.
Bald wurde es offensichtlich, dass die Schülerin ein System der unterstützten
Kommunikation (UK) benötigen würde, um sich erfolgreicher mit ihren
AltersgenossInnen, Lehrerinnen und BetreuerInnen im Tagesheim zu unterhalten
(vor Denise´s Schuleintritt war noch nicht in Richtung UK mit ihr gearbeitet worden,
sie war ausschließlich auf ihre selbst kreierten Gebärden und fragmentarischen
Lautäußerungen angewiesen). Zwar konnten Denise´s Eltern die
Kommunikationsversuche ihrer Tochter vielfach erfolgreich interpretieren, jedoch
mussten auch sie erleben, dass es zu Frustrationserscheinungen auf beiden Seiten
der Kommunikationspartner kam, wenn sich das Mädchen nicht verstanden fühlte.
Beide Elternteile waren sofort mit dem Vorschlag einverstanden, ein unterstützendes
Kommunikationssystem einzuführen, gleichzeitig aber auch an Denise´ verbaler
Sprache weiter zu arbeiten.
Ein ganz wesentliches Ziel von UK besteht darin, dass das System, welches
auch immer gewählt wird, seinem Benutzer/seiner Benutzerin zu einer erhöhten
aktiven Partizipation in allen Alltagssituationen verhelfen soll (BEUKELMAN &
MIRENDA, 1998; SCHLOSSER, 2003), und diesem Grundsatz folgten wir auch bei
der Auswahl eines für Denise passenden Kommunikationssystems. Sowohl von ihrer
kognitiven Situation als auch visuellen Diskriminierungsfähigkeit her wäre die
Schülerin zweifellos eine Kandidatin für das Bliss - Symbol-Kommunikationssystem
(BLISS, 1965; MCDONALD, 1980; ADAM, 1996) gewesen; der Grund, warum wir
uns letztlich für die Mayer-Johnson Picture Communication Symbols (PCS, MAYERJOHNSON, 1982) entschieden hatten, lag darin, dass ihre symbolunkundigen
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MitschülerInnen Denise´s Botschaften nicht hätten entschlüsseln können, solange
sie nicht über die entsprechenden Fertigkeiten verfügten, die Wörter über den
Symbolen zu lesen. Aus organisatorischen Gründen war es mir nicht möglich, die
gesamte Klasse in die Erarbeitung mit einzubeziehen, was freilich der Idealfall
gewesen wäre. Für die erfolgreiche Integration eines alternativ kommunizierenden
Kindes ist es unabdingbar, dass nicht nur Lehrpersonen, sondern auch
MitschülerInnen mit dessen Kommunikationssystem vertraut sein; schließlich ist es
nicht nur von Bedeutung, was ein Kind mit einem Symbol bzw. einer Gebärde
ausdrücken möchte, sondern auch wie dieses Signal von den Kommunikationspartnern interpretiert wird (LINDSTRAND & BRODIN, 2004).
Es sollte sich jedoch herausstellen, dass Denise in ihrer Kommunikation mit
SchulkollegInnen und Freunden ihrer Brüder ihre Kommunikationshilfe eher selten
verwendete; sie bevorzugte nach wie vor ihre Pantomime - ähnlichen Gebärden und
Vokalisationen, um sich einigermaßen verständlich zu machen. Hier stellte die
Schülerin keinen Einzelfall dar: generell tendieren unterstützt kommunizierende
Kinder dazu, auf ihre Kommunikationshilfe zu verzichten, wenn sie sich mit
AltersgenossInnen unterhalten; meist warten sie darauf, dass diese das Gespräch
initiieren bzw. sie mit geschlossenen Fragen konfrontieren, die mit Zustimmung oder
Ablehnung beantwortet werden können (CLARKE & KIRTON, 2003). In der
Kommunikation mit ihren Lehrerinnen (z.B. um ein bestimmtes Thema zu
kommentieren) bzw. um der gesamten Klasse ein Erlebnis zu erzählen, setzte
Denise die Symbole jedoch sehr wohl ein.
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UK in der Integrationsklasse?
Es steht außer Zweifel, dass Denise von Beginn ihrer Schullaufbahn an von der
integrativen Schulform stark profitierte. MCNAUGHTON (2003), eine Expertin der
ersten Stunde auf dem Gebiet der unterstützten Kommunikation, stellt jedoch die
Frage, ob nicht sprechende Kinder hinsichtlich ihrer speziellen kommunikativen
Bedürfnisse in integrativ geführten Klassen ausreichende Förderung erhalten
können, vor allem, wenn sie als einziges Kind eine alternative Kommunikationsform
verwenden. (MCNAUGHTON weiß, wovon sie spricht, ist doch Kanada eines der
Länder mit der längsten Integrationstradition).
Ein Kind lernt Sprache in erster Linie durch deren Verwendung und im
Zusammensein mit Personen, die in dieser Sprache kompetenter sind als das Kind
selbst, also auf implizite Weise. Anders als bei Fremdsprachigkeit kann jedoch eine
Behinderung dazu führen, dass die verbale Sprache selbst im optimalsten Umfeld
nicht erlernt werden kann, das Kind benötigt also eine alternative, unterstützende
Kommunikationsform. Um zu einem in dieser Form erfolgreich kommunizierenden
Menschen zu werden, benötigt es ebenso wie das sprechende Kind Vorbilder, die
sich gleichfalls alternativer Kommunikationsformen bedienen und sich in diesen
effektiv ausdrücken können. Für Denise waren diese Personen während ihrer
Volksschulzeit naturgemäß nur ihre Lehrerinnen und ich selbst als ihre
Sprachheillehrerin. Zwar war sie in diesen Jahren nicht das einzige alternativ
kommunizierende Kind, jedoch war die andere nonverbale Schülerin ein schwerst
mehrfach behindertes Mädchen, das sich noch auf der vorsymbolischen Ebene
befand und daher für sie keine aktive Gesprächspartnerin sein konnte. Denise
erlernte den Umgang mit ihren Symbolen folglich nicht in natürlichem Kontext,
sondern in speziell konstruierten Situationen, somit auf explizitem Weg,
entsprechend etwa der Form des Fremdsprachenlernens, wenn man sich nicht im
Land dieser Sprache befindet.
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VON TETZCHNER (2005) betont wie MCNAUGHTON die Wichtigkeit von „role
models among peers“, also die Vorbilder unter Gleichaltrigen, die somit als Stütze für
die sprachliche Entwicklung fungieren. (Vygotsky, 1962, verwendet in diesem
Zusammenhang den Terminus „scaffolding“, also ein durch die Umgebung gebautes
„Gerüst“ zur Förderung der kindlichen Sprachentwicklung). VON TETZCHNER meint
jedoch, dass diese Vorbildsituationen auch außerhalb der Schulzeit geschaffen
werden könnten (z.B. in Form von Gruppentreffen, wie es sie etwa in Deutschland
gibt, oder Sommercamps wie in Kanada oder den USA für alternativ
kommunizierende Kinder), denn die Vorteile der integrativen Schulform überwiegen
auch für viele nicht sprechende Kinder. Eher als in der doch geschützten Situation
der Spezialklasse, wo meist ein Erwachsener als wichtigste Bezugsperson für die
Kinder fungiert, können sie positive wie auch negative soziale Alltagserfahrungen
sammeln und lernen, mit ihrer alternativen Kommunikationsform darauf zu reagieren.
Allerdings sollten idealer Weise sowohl die LehrerInnen als auch die sprechenden
Kinder kompetent in dieser UK-Form sein, also entweder die Gebärden oder
Bildsymbole kennen und in natürlichem Kontext verwenden; für VON TETZCHNER
ist diese auf allen Seiten vorhandene Kompetenz sogar die wichtigste Voraussetzung
für eine gelungene Integration. Zudem bedürfen alternativ kommunizierende
SchülerInnen einer viel genaueren Planung und einer größeren Unterstützung bei all
ihren kommunikativen Aktivitäten, als dies bei Kindern der Fall ist, die eine verbale
Sprachentwicklung durchlaufen (VON TETZCHNER et al., 2005). Auch nach
BRODIN und LINDSTRAND (2004) zeigen Kinder mit einer Behinderung das gleiche
Muster in ihrer kommunikativen Entwicklung wie nicht behinderte Kinder, benötigen
aber auf Grund von physischen, psychischen, sozialen und emotionalen Faktoren
zusätzliche Hilfe und Unterstützung.
Eine weitere Voraussetzung für gelungene Integration eines alternativ
kommunizierenden Kindes ist die kooperative Zusammenarbeit der Eltern, Lehrkräfte
und TherapeutInnen, um koordiniert auf die besonderen Bedürfnisse dieses Kindes
eingehen zu können (HUNT, P., SOTO, G., MAIER, J., MULLER, E., GOETZ, L.,
2002). Dieses gesamte Team sollte um die Bedeutung des jeweiligen UK-Systems
für das Kind wissen, einen Konsens finden, wie Möglichkeiten in den einzelnen
Bereichen zur Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten geschaffen werden
könnten und über Strategien verfügen, wie dem Kind Fertigkeiten in seinem System
vermittelt werden können, zweifellos eine Herausforderung für alle beteiligten
Personen.
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Die Schwierigkeit, Sprache in Bildern darzustellen
PCS, die wir zur Unterstützung von Denise´s Kommunikation ausgewählt hatten, sind
Bildsymbole, die zur Wiedergabe fast aller Sachverhalte geeignet sind und in ihrer
Darstellung auch sehr individuell auf den Benutzer/die Benutzerin abgestimmt
werden können (ADAM 1996). Die konkrete Umsetzung eines Begriffs in ein Bild ist
zwar von Vorteil in der Arbeit mit Personen, deren repräsentatives Verständnis
begrenzt ist, erweist sich jedoch mit zunehmendem Umfang des Vokabulars auch als
Nachteil: Je abstrakter ein Symbolsystem, desto mehr kann mit einem Symbol und
unter Zuhilfenahme von gewissen Strategien ausgedrückt werden; ein in seiner
Wiedergabe konkretes Bildsymbol drückt eben immer nur genau den Begriff aus, den
es repräsentieren soll (GANGKOFER, 1993). Dies wiederum erweist sich als
problematisch, wenn ein nicht bildproduzierender Begriff - also ein Wort, bei dessen
Gebrauch nicht sofort ein bestimmtes Bild in unseren Köpfen entsteht - dargestellt
werden soll; hier wurde von der Autorin (MAYER-JOHNSON, 1982 bzw. 1985) eine
bestimmte Assoziation hergestellt, die für ein nicht sprechendes Kind jedoch absolut
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nicht relevant sein muss. Die Eigenschaft „langsam“ wird beispielsweise durch eine
Schildkröte repräsentiert: Abgesehen davon, dass ein schwer behindertes oder noch
sehr junges Kind u.U. noch nie seine Erfahrung mit einer langsam krabbelnden
Schildkröte gemacht haben muss, wirkt das Symbol des Tieres im Satz „Das Auto
fährt langsam“ doch etwas deplatziert. Konkrete Bildsymbole stoßen auch immer
dann an ihre Grenzen, wenn es um die Darstellung nicht bildproduzierender Wörter
geht, die aber einen großen Prozentsatz unseres Wortschatzes ausmachen (BAKER,
2004). Wie soll beispielsweise das durchaus häufig verwendete Verb „brauchen“
dargestellt werden? R. MAYER-JOHNSON (1982) bietet als Varianten einen auf den
Tisch klopfenden Finger, einen Kopf mit zerzaustem Haar und darüber
schwebendem Kamm, sowie gegeneinander drückende Knie an. Hier die MayerJohnson - PCS:
MAYER-JOHNSON hatte ihre mittlerweile weltweit in Verwendung stehenden
Symbole ursprünglich kreiert, um ihren kognitiv beeinträchtigten SchülerInnen eher
gerecht zu werden als mit den doch sehr abstrakten Bliss - Symbolen (BLISS, 1965).
Das Bliss - Symbol für das Verb „brauchen“, hier ohne darüber gestellten
Verbindikator, besteht aus einer so weit vorgeneigten Person, dass sie ohne
Unterstützung umfallen würde:
Freilich ist diese Person, dargestellt durch einen schrägen Strich, hochgradig
abstrahiert; ist jedoch das zu Grunde liegende Konzept schwieriger zu verstehen als
MAYER-JOHNSON´S Bildsymbole? Viele cerebralparetische Kinder sind selten in
der Lage, ungeduldig mit dem Finger auf den Tisch zu trommeln, wenn sie etwas
haben möchten (Denise konnte dies mit den Fingern ihrer linken Hand ausführen,
also wurde diese Variante ausgewählt). Kinder werden häufig frisiert, ohne sich zuvor
bewusst zu werden, dass sie jetzt einen Kamm bräuchten, und auch nicht allen im
Rollstuhl sitzenden Kindern ist klar, dass sie einen Keil zwischen ihren Knien
benötigen, um deren Zusammendrücken zu verhindern (meist ist die Sitzversorgung
ohnedies entsprechend beschaffen).
Nicht anders verhält es sich beim ebenso nicht bildproduzierenden Verb „helfen“, hier
zunächst das entsprechende Bliss – Symbol, wieder ohne Verbindikator:
Während dieses in direktem Bezug zum Verb „brauchen“ steht – nun bekommt das
umzufallen drohende Strichmännchen eine Stütze und ist damit stabilisiert – bieten
Mayer-Johnson - PCS folgende Varianten an:
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Die erste Variante repräsentiert die ASL (American Sign Language) - Gebärde für
das Verb „helfen“, müsste also nur durch die entsprechende bei uns gebräuchliche
Gebärde ersetzt werden; die meisten cerebralpretischen Kinder sind jedoch aus
motorischen Gründen nicht in der Lage, Gebärden auszuführen, und haben diese
somit auch nicht erlernt. Die zweite Variante der knienden Person, die offensichtlich
hochgezogen werden möchte, ist wohl für die meisten Kinder, wenn auch bestimmt
nicht für alle, am relevantesten. Das dritte Symbol repräsentiert eine ertrinkende
Person, die hilfesuchend einen Arm hochreckt; hier bleibt nur zu hoffen, dass den
SymbolbenutzerInnen eine diesbezügliche direkte Erfahrung erspart geblieben ist!
Wie weit der vierte Vorschlag, das Symbol des roten Kreuzes, für kognitiv
beeinträchtigte Kinder, die ursprüngliche Zielgruppe für PCS, relevant ist, ist ebenso
fraglich.
Diese beiden Beispiele sollen in keiner Weise als Kritik an PCS gelten, ohne die ich
mir meine Arbeit gar nicht mehr vorstellen könnte, und die für viele Menschen eine
effektive Kommunikationshilfe darstellen; sie sollen lediglich aufzeigen, dass eine
konkrete Darstellung durchaus nicht einfacher zu verstehen sein muss als ein
abstraktes Symbol.
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Eine Kommunikationshilfe wächst mit
Für Denise stellte die Erklärung der Symbole für nicht bildproduzierende Wörter zum
Glück kein Problem dar. Dank ihrer ausgeprägten visuellen Merkfähigkeit fiel ihr auch
das Erlernen und Behalten der Bildsymbole leicht, und das Vokabular wuchs rasch
an. Ihre erste Kommunikationshilfe war eine doppelseitige, später eine dreiteilige
Mappe im A4-Format mit PCS und Fotos, wenn etwa Personen oder Haustiere
dargestellt werden sollten. Die Raster für die Symbole sowie die PCS selbst erstellte
ich mit Hilfe des Computerprogramms Boardmaker® (MAYER-JOHNSON), das nicht
nur verschiedene Darstellungen von über 3000 Symbolen (schwarz-weiß vs. farbig,
volle Figur vs. Strichzeichnung), sondern auch eine unterschiedliche Ausstattung der
einzelnen Symbole erlaubt, um sie individuell bedeutungsvoller zu gestalten.
So eine Mappe ständig mit sich zu tragen, stellt für jedes mobile Kind ein
Problem dar, umso mehr für ein Kind mit Hemiplegie und nur einer voll
funktionsfähigen Hand. Um Denise mit einer Kommunikationshilfe zu versorgen, die
ihr wirklich jederzeit zur Verfügung steht, fertigte ich mit ihr ein nach Themen
geordnetes Album an, wieder mit PCS, Fotos und ausgeschnittenen kleinen Bildern
aus Prospekten, wenn es sich etwa um spezielle Lebensmittel handelte.
Auf diesen Seiten des Kommunikationsalbums sind links Berufe und rechts schulbezogene Begriffe repräsentiert
Dieses Album passte in eine Bauchtasche, war überall mit dabei und wurde von
Denise zu Zwecken der spontanen Kommunikation auch gern und häufig benützt.
Die dreiteilige Mappe kam hauptsächlich im Unterricht oder in Therapiesituationen
zum Einsatz; mit ihrer Hilfe konnte leichter an der Satzbildung gearbeitet werden, da
hier die Symbole nach Fitzgerald angeordnet und die verschiedenen Wortarten in
syntaktischer Abfolge repräsentiert waren (PICKL, 1998).
Zwar konnte Denise ihren GesprächspartnerInnen meist irgendwie
verständlich machen, worum es ihr ging, doch entsprachen ihre Äußerungen denen
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eines hochgradig dysgrammatisch sprechenden Kindes: Sie zeigte entweder
überhaupt auf nur ein einzelnes Symbol oder bot eine lose Aneinanderreihung von
Symbolen an, die nicht der üblichen Syntax entsprach; Präpositionen wurden außer
in Übungssituationen überhaupt nicht verwendet, obwohl sie deren Bedeutung
verstand und dahingehende passive Aufträge („stell etwas auf, unter, vor, hinter,...“)
problemlos ausführen konnte. Dieses Phänomen konnte ich übrigens bei vielen nicht
sprechenden Kindern erleben – sobald sie in ihrem UK-System über ausreichendes
Vokabular verfügen, um neue Inhalte zu erzählen, wird die dysgrammatische
Komponente offensichtlich, die vor der Versorgung mit einem Kommunikationssystem natürlich nicht festgestellt werden konnte. Diese Kinder profitieren dann
ebenso von Übungen zur Behandlung des Dysgrammatismus, nur dass diese eben
angepasst an das jeweilige UK-System erfolgen. Jedoch auch ein weiteres, diesmal
durchaus erfreuliches Phänomen traf auf Denise zu, ebenfalls bei vielen ursprünglich
nicht sprechenden Kindern zu beobachten: Ihre verbalen Äußerungen nahmen
deutlich zu, sobald sie über einen alternativen Modus verfügte, in dem sie sich
mitteilen konnte.
Sowohl während des Sprachheilkurses als auch im Unterricht benützte Denise
gelegentlich das im Eigentum der Schule befindliche digitale Sprachausgabegerät
Tech/Speak® (AMDI, USA, bzw. INCLUSIVE TECHNOLOGY, GB), meist mit
Overlays (Blätter mit den Feldern des Gerätes entsprechendem Raster, die dann in
das Gerät eingeschoben werden, so dass die jeweilige Oberfläche sichtbar ist), die
wieder mit dem Programm Boardmaker® erstellt wurden, um der Schülerin
Kommunikation zu bestimmten Themen oder Spielen zu ermöglichen.
Das Foto zeigt Denise in der 4. Schulstufe bei einem Spiel, wo zu Tiergeräuschen ein Puzzle entstehen soll, gemeinsam mit
ihrer Sonderschullehrerin Frau Dipl. Päd. M. Rumpler; durch Verwendung des Tech/Speak® hatte sie die Möglichkeit, ebenso
rasch wie ihre sprechenden MitschülerInnen das gerade gehörte Tier zu benennen.
Wegen der begrenzten Anzahl der abrufbaren Felder auf einem digitalen
Sprachausgabegerät – in diesem Fall 32 – (ähnlich wie bei einem Recorder wird nur
das wiedergegeben, was zuvor, meist über natürliche Sprache, eingegeben wurde),
wurden zu jedem Symbol entweder Teile einer Phrase oder der entsprechende
Begriff mit dem zugehörigen Artikel auf das Gerät gesprochen. Denise war bei der
Arbeit mit dem Tech/Speak® immer hoch motiviert und genoss sichtlich ihre durch
die Sprachausgabe erhöhten Partizipationsmöglichkeiten.
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Wenn die Worte fehlen...
Im Laufe der Jahre wurden die kommunikativen Bedürfnisse des Mädchens so
komplex, dass sie weder durch Verwendung der Mappe noch des Albums vollständig
erfüllt werden konnten. Hätte Denise mit Bliss - Symbolen gearbeitet, die durch die
weniger bildgebundene Darstellung und Miteinbeziehung verschiedener Strategien
einen breiteren Einsatz des Vokabulars ermöglichen (GANGKOFER, 1993), wäre
das Problem möglicherweise weniger eklatant geworden; diese Vermutung muss
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jedoch im Bereich der Spekulation bleiben, denn im Team kamen wir überein, dass
eine Umstellung nach vier Jahren nicht zielführend wäre.
Als die Schülerin im Herbst 2003 in die 1. Integrationsklasse der HS/NMS
Andritz in Graz wechselte, plötzlich mit neuen Lehrpersonen und MitschülerInnen, die
sie nicht von Klein auf kannten, konfrontiert war, und sich hier nun zu den
verschiedensten Themenbereichen äußern sollte, fand sie mit ihren bisherigen
Kommunikationshilfen einfach kein Auslangen mehr. Dem Album weitere Seiten
anzufügen, wäre weder vom Volumen noch von der Handhabung her praktikabel
gewesen.
Nachdem wir gemeinsam mit Denise in der Beratungsstelle „BUNTE RAMPE“
verschiedene Geräte ausprobiert hatten, entschieden wir uns schließlich für den von
der Prentke Romich Company (in Österreich vertreten durch die Dr. Kurt Wimmer
Betriebsberatung GmbH in Wien) produzierten Power Talker®; dabei handelt es sich
um ein Gerät mit synthetischer Sprachausgabe (es kann zwischen mehreren
Stimmen gewählt werden, die alle von sehr guter Qualität sind) und einer
gleichbleibenden, mit Bildsymbolen (als Icons bezeichnet) belegten Oberfläche, die
dem Benutzer/der Benutzerin eine nahezu unbegrenzte Anzahl an individuellen
Aussagen erlaubt. Denise würde in der Lage sein, die Felder auf dem Deckblatt bzw.
auf dem sich darüber befindlichen Display mit ihrem Finger direkt anzusteuern, was
eine rasche Kommunikation gewährleistet (für motorisch schwerer beeinträchtigte
Menschen stünde auch eine Scanning – Version zur Verfügung, bei der die
Steuerung über einen externen Schalter erfolgt, was für Denise jedoch irrelevant
war). Ein weiteres Auswahlkriterium war die Computerkompatibilität des Gerätes;
Denise würde etwa einen Text mit Hilfe des Talkers erstellen, ihn speichern und
anschließend über den PC ausdrucken können – ein wesentliches Feature im
Hinblick auf die Zukunft des Mädchens!
Abbildung des Power Talkers
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Das Problem der Finanzierung
In Österreich refundieren Versicherungen zwar einen Großteil des Betrags für
Mobilitätshilfen, der Ankauf von Kommunikationshilfen wird jedoch in der Regel nicht
unterstützt, noch dazu ist der Finanzierungsweg von Bundesland zu Bundesland
unterschiedlich. Ein Hightech - Kommunikationsgerät wie der Power Talker® beläuft
sich auf über € 10.000.-, daher stand das Finanzierungsproblem zunächst massiv im
Vordergrund. Zu Beginn beschrieb ich, wie für alle meine SchülerInnen, die zur
Erweiterung ihrer Kommunikationsmöglichkeiten ein Sprachausgabegerät benötigen,
für die zuständige Versicherung die Problematik des Mädchens aus sprachheilpädagogischer Sicht, die speziellen Eigenschaften und Vorteile des Geräts sowie die
Gründe, warum gerade dieses im Hinblick auf Denise´s Zukunft ausgewählt wurde;
dazu kam ein Schreiben der Eltern, ein Kostenvoranschlag sowie ein ärztliches
Attest. Dies alles sind notwendige und unbedingt einzuhaltende Schritte, obwohl mit
einer Ablehnung von Seiten der Versicherung zu rechnen ist. Danach ist das
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Behindertengesetz des jeweiligen Bundeslandes entscheidend; in der Steiermark
beträgt der Selbstbehalt derzeit generell 20 %, in Oberösterreich wiederum liegt eine
detaillierte Liste auf, aus der hervorgeht, was bezahlt wird und was nicht.
Kurz, es dauerte nahezu zwei Jahre und bedurfte unzähliger Schreiben und
Telefonate an verschiedene Institutionen und mögliche Sponsoren, bis Denise im
Oktober 2004 schließlich im Besitz ihres eigenen Talkers war.
In diesem speziellen Fall waren die Sponsoren die Stiftung Kindertraum (dieser
Sponsor wurde von der Dr. Kurt Wimmer Betriebsberatung GmbH aufgetrieben)
sowie Licht ins Dunkel. Einen gewissen Betrag deckte das Magistrat Graz ab, die
Familie des Mädchens leistete einen Eigenbetrag von € 2500.- und schließlich kam
die Dr. Kurt Wimmer Betriebsberatung GmbH der Familie noch preislich entgegen.
Für mich ist es immer schwer zu verstehen, dass es für Menschen, die
ohnedies durch eine Behinderung benachteiligt sind, auch noch einen Unterschied
macht, welcher Nationalität sie sind, selbst wenn es sich um wirtschaftlich und
politisch ähnlich strukturierte Staaten handelt, die sich sogar alle innerhalb der EU
befinden. So werden beispielsweise in Deutschland selbst die so kostspieligen Talker
von Versicherungen übernommen, auch in skandinavischen Ländern ist es eine
Selbstverständlichkeit, dass Personen ohne finanzielle Belastung zu allen Hilfsmitteln
kommen, die sie für eine bestmögliche Entwicklung und Integration in die
Gesellschaft brauchen.
Wenn wir den außereuropäischen Raum betrachten, so garantiert beispielsweise in
den USA der „Individuals with Disabilities Education Act“ (IDEA), dass Kinder und
Jugendliche bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr alle Mobilitäts- und
Kommunikationshilfen erhalten, die sie für eine optimale Entwicklung und
Kompensierung ihrer durch die Behinderung gegebenen Defizite benötigen. Meist
besitzen die Kinder dort die Geräte nicht selbst, sondern sie werden ihnen auf
Leihbasis zur Verfügung gestellt, was auch durchaus Sinn macht: Die Bedürfnisse
und Fähigkeiten eines Menschen ändern sich u.U. im Laufe seiner Kindheits- und
Jugendjahre rapide; wurde erst einmal ein teures Gerät angekauft, muss das Kind
dann oft jahrelang damit auskommen, obwohl es längst mit einer anderen
Kommunikationshilfe besser bedient wäre. Auch in Österreich gibt es Institutionen,
die Geräte zum Ausprobieren verleihen (etwa die schon erwähnte BUNTE RAMPE in
der Steiermark oder LIFE TOOL mit Sitz in mehreren Bundesländern, siehe Anhang),
jedoch handelt es sich dabei um kurze Zeiträume von höchstens einigen Wochen,
danach muss das Gerät über einen Händler angekauft werden.
Bei uns wird gerne auf die Errungenschaft des Pflegegelds hingewiesen, doch bei
Kindern wie Denise kann man den Eltern auch nicht gut vorschlagen, das Gerät aus
dieser Quelle zu finanzieren; der Betrag des monatlichen Pflegegelds ergibt sich aus
der Höhe des Betreuungsaufwands, und der ist bei Denise trotz ihrer Hemiplegie und
ihrer intellektuellen Beeinträchtigung relativ gering, sie kann eben „nur“ nicht
sprechen. Gerade deshalb müsste erkannt werden, dass sie in Zukunft umso
selbständiger und unabhängiger von erst wieder kostspieliger Fremdbetreuung
werden könnte, je effizienter ihre Kommunikationshilfe ist!
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Minspeak: das Prinzip der semantischen Codierung
Mit Hilfe des Talkers zu kommunizieren bedeutete aber auch für alle, die mit Denise
arbeiten würden (in erster Linie für ihre Eltern, ihre Sonderpädagogin und mich
selbst) uns allmählich mit der Minspeak - Strategie vertraut zu machen. Dabei
handelt es sich nicht etwa um ein weiteres Symbolsystem, sondern um eine spezielle
Form der Codierung (BAKER, 1982), deren sich die sogenannten Talker von
unterschiedlicher Kapazität (Min-, Small-, XL-, Power Talker®) bedienen, die mit Hilfe
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der deutschen Wortstrategie über eine grammatikalisch korrekte Sprachausgabe via
Sprachprozessor verfügen. Gewandte Minspeak - AnwenderInnen sind häufig sehr
effizient in ihrer Kommunikation; da aber nun nicht mehr durch bloßes Zeigen auf die
Symbole eine Botschaft ausgedrückt werden kann, sondern eine bestimmte Abfolge
eingehalten werden muss, um eine korrekte verbale Wiedergabe zu erreichen,
erfordert diese Art der Kommunikation eine systematische Einschulung. Das
Vokabular, das zu einem großen Teil bereits im Gerät gespeichert ist, dessen
Zugang aber erst erlernt werden muss, wächst im Umfang, abhängig von der
Merkfähigkeit des Benutzers/der Benutzerin, allmählich an. Eselsbrücken erleichtern
das Merken der Sequenzen, und das Lernen kann durchaus sehr lustbetont sein.
Minspeak ist also keine neue Symbolsammlung, sondern eine Symbolstrategie, die von
dem amerikanischen Linguisten BRUCE BAKER (1982) kreiert wurde, der seinerseits
von den Hieroglyphen der Maya inspiriert wurde, die bereits die Idee der Codierung
aufweisen (z.B.: Mais + Mahlstein = Mehl). Das System ermöglicht durch die Codierung
bestimmter Sequenzen Zugang zu einem großen Wortschatz bei einer gleichbleibender
Oberfläche mit bestimmten Bildern (BAKER bezeichnet sie als Icons, was zwar vom
griechischen Ursprung des Wortes her nichts anderes als „Bilder“ bedeutet, sie jedoch
durch diese Bezeichnung von anderen Bildsymbolen unterscheidet); möglich ist auch
die Kombination mit dem Buchstabiermodus.
Die Icons auf der Talker - Oberfläche dienen lediglich als Merkhilfe, theoretisch
könnten auch andere Bildsymbole verwendet werden; da es sich bei Minspeak um eine
semantische Codierung handelt (BAKER, 1982), ist es jedoch wesentlich, dass das
gewählte Bild die Bedeutung einer Kategorie repräsentiert. Diese sogenannte
sekundäre Ikonizität ermöglicht trotz einer verhältnismäßig geringen Anzahl von
Bildern, in diesem Fall eben BAKER´S Icons, Zugang zu einem durchaus
umfangreichen Vokabular. Mit Icons und Funktionstasten besteht die Oberfläche aus
insgesamt 128 Feldern:
Deckblatt des Power Talkers
Aus den folgenden Beispielen wird ersichtlich, dass etwa der Apfel immer mit „Essen“
zu tun hat, das Bett mit „Schlafen“, Da Vinci´s Proportionsstudie mit unseren
körperlichen Bedürfnissen, etc. Hier einige Beispiele:
ich esse
frühstücken
Küche
Schlafzimmer
müde
Während Charles Bliss seine später nach ihm benannten Symbole von vorn herein
nach dem Gesichtspunkt kreierte, dass sie für möglichst viele Kulturen, unabhängig von
deren Sprachen und Erfahrungen, relevant sein sollten (BLISS, 1965; MCDONALD,
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1980; ADAM, 1996), zeigen BAKER`s Icons teilweise deutlich seine US-amerikanische
Herkunft und mussten für die deutsche Wortstrategie entsprechend adaptiert werden.
So ist etwa auf dem ursprünglichen Icon, welches auch im Verb „sein“ Verwendung
findet, die markante Unterschrift John Hancocks zu sehen, wie er sie unter die
Unabhängigkeitserklärung gesetzt hatte („make your John Hancock“ ist in den USA
quasi ein geflügeltes Wort und bedeutet so viel wie „unterschreibe hier“). Dieses Icon
wurde von den PädagogInnen und LinguistInnen, die an der deutschen Wortstrategie
arbeiteten, durch den Eigennamen „Karl Otto“ übersetzt, wiederum nicht unbedingt
international! Für die deutsche Wortstrategie wurden die Icons außerdem so platziert,
dass sie mit den sich im selben Feld befindenden Buchstaben korrelieren, sollte der
ABC-Modus verwendet werden, z.B. Icon „Ecke“ – Buchstabe „E“, Icon „Umwelt“ –
Buchstabe „U“, etc.
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Die Kunst (oder vielmehr Unmöglichkeit), das Vokabular einer Sprache in
einem technischen Gerät abzuspeichern
Die deutsche Wortstrategie für den Power Talker® beinhaltet einen nach
kommunikativen und linguistischen Aspekten ausgewählten Grundwortschatz von ca.
3000 Wörtern, der durch das Belegen von freien Speicherplätzen noch erweitert werden
kann.
BAKER (1882, 1986) wählte bewusst das Prinzip der semantischen Codierung statt der
bildlichen Übereinstimmung mit Begriffen, und zwar nicht nur auf Grund der
Unmöglichkeit, für jeden Begriff eine bildliche Darstellung zu finden, sondern auch
wegen der bereits erwähnten Tatsache, dass viele Begriffe gar nicht bildproduzierend
sind. Unser gegenwärtiges Deutsch setzt sich aus rund 250.000 Wörtern der
Allgemeinsprache und etwa 85.000 Fremdwörtern zusammen (ZIMMER, 2005).
Forschungsergebnissen zufolge besteht unsere Kommunikation zu 78% aus einem
Kernvokabular von rund 400 Wörtern und nur zu 22% aus dem sogenannten Zusatzoder Randvokabular (HILL & ROMICH, 2000; BANAJEE, DICARLO & STRICKLIN,
2003). Diese Studien zeigen, dass Menschen, selbst wenn sie über unterschiedliche
Themen sprechen, sich mit wenigen Ausnahmen des Kernvokabulars bedienen, woraus
BAKER (1982, 2004) schließt, dass sich Menschen mit Hilfe eben dieses
Kernvokabulars in praktisch allen Lebenslagen verständigen können. Nach BAKER
(2004) erfolgte die Programmierung der Talker auf der Grundlage sowohl dieser
Forschungsergebnisse als auch Untersuchungen, worüber sich Menschen in
bestimmten Situationen unterhielten und welches Vokabular dabei mit hoher Konstanz
verwendet wurde (A
ADAMSON, ROMSKI, DEFFEBACH & SEVCIK, 1992; MARVIN,
BEUKELMAN, BILYEU, 1994; BALANDIN & IACONO, 1999).
Der Studie von HILL (2001) zufolge bestehen 90% des Kernvokabulars aus nicht
bildproduzierenden Wörtern, und nach der Studie von BANAJEE, DICARLO und
STRICKLIN (2003) sind weniger als 5% der von Kleinkindern verwendeten W örter
bildproduzierend. Auf diese Studien bezieht sich BAKER (2004), wenn er die
Sinnhaftigkeit der Verwendung von Bildsymbolen wie etwa PCS in der Arbeit mit
nicht sprechenden Kleinkindern in Frage stellt: Wenn Kinder in ihrer Sprache
vorwiegend nicht bildproduzierende Wörter verwenden, ist es nur logisch, dass ihre
Sprache nicht durch Bilder ersetzt werden kann. Ich möchte aber zu bedenken
geben, dass diese Studien vermutlich nicht eins zu eins in andere Sprachen und
Kulturkreise übertragbar sind:
Ungefähr zur Zeit von BAKERS Präsentation in Wien im Dez. 2004 begann Dominik,
der kleine Sohn meiner Nachbarn, im Alter von 16 Monaten zu sprechen; da wir viel
Zeit zusammen verbrachten und es mich interessierte, ob die oben genannten
Studien auch auf ihn zutreffen würden, hielt ich seine Sprachentwicklung bis zu
12
seinem zweiten Geburtstag fest. Nun ist es mir durchaus klar, dass ein Kind noch
keine Statistik darstellt, jedoch ist Dominik ein sich in allen Belangen normal
entwickelndes Kind; seine Eltern sind begeisterte Leser, sie konfrontierten auch ihren
Sohn früh mit Bilderbüchern und lasen ihm vor. Lange bevor dieser die Begriffe
benennen konnte, war er in der Lage, bekannte Objekte in zweidimensionalen
Darstellungen zu erkennen, auch wenn sie nur teilweise zu sehen bzw. stark
verändert abgebildet waren. „Nein“, begleitet von bestimmtem Kopfschütteln, wurde
früher verbalisiert als „ja“, für Letzteres setzte er anfangs ein breites Lächeln, erst
später ein Nicken ein. Diese sehr frühen Ausdrucksweisen reflektieren ziemlich
genau zwei der PCS - Vorschläge für „ja“ und „nein“ (wobei es auch neutrale
Symbole dafür gibt, denen bei entsprechenden altersbedingten und kognitiven
Voraussetzungen der Vorzug zu geben wäre, um die beiden Begriffe nicht von vorn
herein emotional zu besetzen):
Alle von Dominiks ersten Wörtern, mit der Ausnahme von eben “ja” und “nein”,
Lautimitationen („mjemjem“), Begrüßungen wie „hallo“, Konjunktionen („mit“), „bitte“ und
„danke“, einigen Eigenschaften („kaputt“, „weg“), deiktischen Wörtern („da“) sowie
Präpositionen waren von hoher Ikonizität und hätten, wäre dies notwendig gewesen,
ohne Weiteres in Bildern dargestellt werden können. Die nicht bildproduzierenden
Wörter traten deutlich später als die ikonischen auf, zudem waren die ersten
Äußerungen des Buben von Nomina dominiert; Verben begann er erst mit 20 Monaten
zu verwenden, ein Monat später die ersten Fragewörter („wo“). Seine Sprachentwicklung entspricht im Allgemeinen ZOLLINGERS Untersuchungsergebnissen
(1996), wonach Nomina den Verben vorausgehen, da sie anfangs gleichzeitig auch
eine Handlung repräsentieren können („Auto“ steht beispielsweise sowohl für das
Objekt als auch für die Handlung des Fahrens).
Im Folgenden ein Überblick über Dominiks erste Wörter, wobei ich sie hier aus
Platzgründen meist ohne seine (teilweise höchst originellen) kindlichen Stammelfehler
wiedergebe (die fettgedruckten Buchstaben entsprechen seinen tatsächlichen
Lautproduktionen):
16M
17M
18M
19M
20M
21M
22M
23M
24M
Mama, Papa, nein
Hallo, Tiger, I-A (Esel), TickTack = Uhr, Hund, Papa(gei), mjemjem (beim Spielen mit seinem Auto), hallo.
(R)abe, (R)adio, (W)asser, (Ba)nane, Hatschi Bratschi (Kinderbuchfigur), Zuzu = Schnuller, heia, auweh, Lollo
(Schlafpuppe), ja / Pipi (Hühnchen) Teddy, Dani (Vorname von Mama und Tante).
Apfel, Hase, Hose (auch im Zusammenhang mit voller Windel), Kuh, (Gir)affe, Bär, Tra(k)tor, Auto, auf (als
Präposition, aber auch für „Haus“ und „Rauch“), (D)omini(k), Mann, (Gi)tarre, (L)ampe, Oma, Opa.
ham = essen, haben, Fis(ch), Hexe, (P)uppe, Bu(ch), An(h)än(g)e(r), Flugzeug, Seppi (Onkel), (K)äse, (Str)aße,
hoppala, Lich(t), mit, Sesse(l), S(ch)uh, Loch, Baby, Bu(b), B(r)ille, (ka)putt, Zug, Ba(r)t, , (K)atze, (Mor)gana
(eigene Katze), Merlin (mein Kater), Nondi (Gonda = mein Vorname), Andi (Onkel), gießen, (hi)nein, (r)unter,
Hubschrauber, (Ba)lu, Tis(ch), umigehn, S(ch)aufel, Bagger, weg, da.
Erste 2 Wort Sätze: Mama mit, Auto weg,...
wo, (K)ette, (H)oni(g), Ei, Bus, Käfer, (H)aare, Kugeln, Affe, Patschen, (K)opf, Schiff.
Hand, Milch, B(r)ot, Haube, aufi = hinauf, oben, nein = hinein, (Ka)mel, B(l)ume, (Sch)metterli(ng),
zu(-machen), aus.
Räder, Männer, (H)ände, Autos, Schmetterling, Luftballon, drehen, nass / wet, düdldadl = tatü (Martinshorn),
Schnecke, bitte, danke (nicht immer spontan, meist erst nach Vormodellieren), F(r)au, T(Z)unge, T(Z)ähne,
Aug(e), Ohr, Andere, noch, doch (als Widerspruch), (S)tein , Ke(r)ze, Helm, (S)onne, Mon(d), bumm, zack,
eins, (z)wei, drei.
Erste zusammengesetzte Hauptwörter: Baggerbuch, Autobuch, Traktor-Anhänger, ..., spontane Verwendung
von reg. und unreg. Pluralformen, korrekte Bezeichnung der Mengen 1-3.
Schlange, mäh, muh, Messer, Gabel, Ampel, Moped, Leiter, Kette, ich, meins, deins, lieb, brav, haben, hoch
oben, noch eines.
Verwendung von Verben in Verbindung mit Hauptwörtern, z.B.: Bagger spielen, Auto fahren.
13
Wenn es um die Versorgung eines sehr jungen Kindes mit einem alternativen
Kommunikationssystem geht, scheint also die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, all die
Begriffe, die das Kind eventuell verwenden möchte, in Bildern darzustellen, schwerer zu
wiegen als das Problem der nicht bildproduzierenden Wörter.
Für Denise war vor allem Ersteres, also das Problem, ihr ein ausreichendes Vokabular
in Bildern zur Verfügung zu stellen, ausschlaggebend für den Wechsel zu Minspeak;
was die Problematik der nicht bildproduzierenden Wörter betraf, so erlaubte die
kognitive Situation der Schülerin ihr nach entsprechender Erklärung ein Verstehen derer
Darstellung in Symbolen.
11
Eine neue Kommunikationsform
Als Denise ihren Talker bekam, erhielten sie und ihre Eltern, ihre Sonderschullehrerin
an der HS/NMS Andritz, Fr. Dipl. Päd. Karin Much, und ich selbst eine vierstündige
Einführung in das System durch Frau Mag. Anna Giesinger, unsere Kontaktperson der
Dr. Kurt Wimmer Betriebsberatung GmbH in Wien. Acht Monate später trafen wir uns zu
einem Follow Up, wo es um spezielle Probleme und Fragen ging, die während der
Arbeit mit dem Talker aufgetreten waren. In der Zwischenzeit standen Fr. Mag.
Giesinger und ich in häufigem e-mail - Kontakt.
Wie wir es erwartet hatten, stellte der Wechsel von den PCS zu den Minspeak
- Icons kein Problem für Denise dar, es bestand daher keine Notwendigkeit, das im
Gerät verwendete Deckblatt zu ändern. (Im Prinzip wäre eine Änderung ohne
Weiteres möglich, da Minspeak ja nicht an spezielle Symbole gebunden ist; auch mit
Bliss – Symbolen kommunizierende Personen verwenden das System erfolgreich, es
ist nur darauf zu achten, dass der semantische Gehalt in der Platzierung der
Symbole erhalten bleibt).
Auch war es nicht schwierig, Denise den semantischen Aspekt der einzelnen Icons
zu vermitteln; Oberbegriffe waren ihr bereits geläufig, und sie lernte rasch, hinter
welchen Icons sie verschiedene Begriffe finden konnte.
Zusätzlich zur Sprachausgabe verfügt der Power Talker® über ein dynamisches
Display, auf dem die eingegebenen Wörter in Bild und Text zu sehen sind. Manche
Icons dienen gleichzeitig als Oberbegriffe; so befinden sich hinter dem Apfel diverse
Speisen, hinter dem Saft verschiedene Getränke, hinter dem Zebra Tiere, hinter der
Fabrik Berufe, hinter der Jacke Kleidungsstücke, etc, die dann in der Displayleiste
erscheinen und dort durch Berührung des betreffenden Bildes abrufbar sind. Ohne
dieses semantische Verständnis wäre auch das Erlernen der Codierungen über
Eselsbrücken unmöglich (z.B.: Die Präposition „unter“ wird mit dem Regenschirm
gebildet. Eselsbrücke: Unter dem Schirm werde ich nicht nass!) Anders als bei den
PCS, die immer nur für den jeweils abgebildeten Begriff standen, war nun „breiteres“
Denken notwendig: So repräsentiert beispielsweise das Bild der Sonne nicht nur
diese selbst, sondern ist auch mit Begriffen wie „lachen“, „gelb“, „warm“, „Morgen“
oder „Tag“ verbunden.
Wir hatten aber sehr wohl Bedenken, wie Denise die nötigen
grammatikalischen Voraussetzungen meistern würde. Zwar betont BAKER (2004)
immer wieder das im Vordergrund stehende motorische Lernen bei der Minspeak –
Codierung – er verglich den Akt mit dem des Klavierspielens -, und stützt sich dabei
auch auf wissenschaftliche Studien (WINDECK & LAUREL, 1989; HILL, 2001),
dennoch ist es kaum möglich, alle denkbaren Aussagen und Redewendungen nur
auf der Basis des motorischen Gedächtnisses zu produzieren. Die deutsche
Wortstrategie für den Power Talker® erfolgreich anzuwenden, erfordert nicht nur die
Kenntnis um die Codierung der einzelnen Begriffe (für nur ein Wort kann das
Aktivieren von bis zu drei Icons nötig sein, dazu kommt noch das Icon, das entweder
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die Person oder die Zahl anzeigt), sondern auch das Wissen um die einzelnen
Wortarten und wie diese auf dem Talker abgerufen werden können. So wird ein Wort
nur dann zu einem Verb, wenn es mit einer Person endet. Ein Adjektiv hingegen
endet mit dem Siegerpodest (je nach Steigerungsstufe von 1. – 3. Platz), ein
Hauptwort mit dem Häuptling (oder der Gruppe von Häuptlingen, falls das Wort im
Plural steht) und ein Adverb mit dem Turm. Präpositionen wiederum haben keine
charakteristische Endung, sondern den stets gleich bleibenden Beginn mit der
Wolke. Wo immer eine semantische Verbindung hergestellt werden konnte, wurde
dieses Prinzip von den LinguistInnen, welche die Wortstrategie ins Deutsche
übertragen hatten, befolgt (erwähnt wurde bereits die Bildung der Präposition „unter“
mit dem Schirm, ein weiteres Beispiel wäre die Präposition „im“: hier wird an die
Wolke der Fernseher angefügt – Eselsbrücke: Was ist im Fernsehen?). Fand sich
keine semantische Verbindung, wurde mitunter auf phonetische Aspekte
zurückgegriffen (z.B. wird die Präposition „statt“ mit dem Icon „Stadt“ gebildet, „am“
mit dem Icon „Ampel“, etc.). Sehr viele nicht sprechende Menschen, und Denise
bildet hier keine Ausnahme, haben jedoch große Probleme im auditiven Bereich, sie
sind nicht in der Lage, spontan herauszuhören, dass beispielsweise „am“ gleichzeitig
die erste Silbe des Wortes „Ampel“ ist. In diesem Fall müssen andere Lernwege
gefunden werden, etwa durch das Finden geeigneter Eselsbrücken oder über das
motorische Lernen der Codesequenz.
Schon aus diesen wenigen Beispielen lässt sich ersehen, dass eine auf
Minspeak basierende Kommunikationshilfe stark mit der Sprache verknüpft ist, in der
das System Anwendung finden soll; es bedarf daher sowohl Fachleute aus dem UKBereich als auch aus dem Bereich der Linguistik, um eine auf Minspeak basierende
Wortstrategie in einer bestimmten Sprache zu erstellen. Symbole wie Bliss oder
PCS, um zwei sehr bekannte Systeme herauszugreifen, können „einfach“ in die
jeweilige Sprache übersetzt werden (wenn man von gewissen kulturell bedingten
Bedeutungsunterschieden absieht, die aber meist adaptiert werden können), um
dann in der Syntax dieser Sprache abgerufen zu werden – das funktioniert bei
Minspeak nicht.
Doch um zu unseren Bedenken betreff die grammatikalischen
Voraussetzungen zurückzukehren – zu unser aller Erstaunen stellte sich heraus,
dass Denise durch die kontinuierliche Arbeit mit dem Talker einen unglaublichen
Schub in ihrem Verständnis von Grammatik und Syntax erfuhr. Nach sechs Monaten
war ihr vollkommen klar, was ein Nomen war, und dass dieses nur mit dem Icon des
Häuptlings auch als solches erscheinen würde, oder dass ein Verb das
entsprechende Pronomen am Ende der Sequenz benötigte, um korrekt abgewandelt
zu werden. Sie begann spontan 3 Wort - Sätze zu produzieren, wenn sie etwas
erzählen wollte, zwar nicht immer in korrekter Syntax, aber sie konnte sich „mit
Stimme“ verständlich machen, was jedes Mal ein Erfolgserlebnis bedeutete.
Bis heute, knapp ein Jahr, nachdem sie den Talker erhalten hatte, stellen sowohl
Satzbau als auch Artikel nach wie vor ein Problem für die Schülerin dar, außer bei
sehr gut eintrainierten Nomina versucht sie den Artikel eher zu raten.
Im Englischen bleibt es unverändert beim „the“, was daher auch bei nicht
technischen Kommunikationshilfen ohne Weiteres dargestellt werden kann, als Bliss
– Symbol etwa durch einen kurzen Schrägstrich, in PCS durch einen angedeuteten
Pfeil. Im Deutschen ändert sich der Artikel je nach Kasus, ganz abgesehen davon,
dass natürlich die Artikel für alle drei Geschlechter angeboten werden müssten.
Aus diesen Gründen werden bei uns Artikel auf Kommunikationsmappen häufig
weggelassen, der Gesprächspartner/die Gesprächspartnerin ergänzt diese in der
Verbalisierung der Aussagen der nicht sprechenden Person. So war es auch bei
15
Denise, jedoch hatte ihre von der Apraxie unabhängige Sprachbeeinträchtigung eine
Internalisierung der zu den Nomina gehörigen Artikel verhindert. Die Sprachausgabe
des Talkers bot ihr nun ein direktes Feedback über die von ihr getätigten Aussagen,
es gab keinen unmittelbar korrigierenden und ergänzenden Gesprächspartner mehr,
sie hörte und sah das, was sie zuvor eingegeben hatte.
11.1 Der Talker im Einsatz
Ich kam wöchentlich an die Schule, um jeweils fünfzig Minuten mit Denise zu
arbeiten, was niemals ausgereicht hätte, um Kompetenz in einem so komplexen
System zu erwerben. Zu ihrem großen Glück hat Denise in Frau Dipl. Päd. Karin
Much eine äußerst motivierte und engagierte Sonderschullehrerin gefunden, die der
Situation, in ihrer Klasse eine nicht sprechende Schülerin zu betreuen, von Anfang
an mit großer Offenheit begegnet war und den Talker, sobald dieser zur Verfügung
gestanden war, in den Unterricht miteinbezogen hatte; auch die Eltern agierten sehr
unterstützend. Mit Frau Dipl. Päd. Muchs Hilfe setzte Denise den Talker im Unterricht
ein, wann immer dies möglich war, so artikulierte sie sich mit Hilfe des Geräts
beispielsweise in ihrer Rolle beim Weihnachtsspiel oder gestaltete gemeinsam mit
ihrer Lehrerin ein Buch über das Leben eines Bären. Ihr Selbstvertrauen erlebte eine
riesige Steigerung, als sie vor der Klasse ein Referat über ihre Hündin Gina
präsentierte, das sie zuvor mit dem Talker erarbeitet hatte! Als positiven Nebeneffekt
konnte Frau Dipl. Päd. Much beobachten, dass auch die anderen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die mehr oder weniger große Defizite im sprachlichen
Bereich aufwiesen, von den syntaktischen Regeln, deren Einhaltung das Gerät
erforderte, profitierten: Um ein Verb etwa in das Imperfekt zu setzen, muss zwischen
dem Ausgangsicon und der bezeichneten Person das Icon des Dinosauriers gesetzt
werden, beim Perfekt hingegen das zerbrochene Ei. Das an der Tischkante liegende
Ei kennzeichnet den Konjunktiv, das fallende Ei hingegen das Gerundium;
Grammatik in Bildern! Das Phänomen, dass auch sprechende SchülerInnen von
einem UK-System profitieren können, wurde bereits durch Untersuchungen belegt:
Die Miteinbeziehung einer alternativen Sprachform wirkt sich unterstützend nicht nur
auf die phonematische Wahrnehmung aus, sondern auch auf andere linguistische
Bereiche, was wiederum Grundlagen für eine erfolgreiche Bewältigung des Leseund Schreiberwerbs schafft (BREKKE & VON TETZCHNER, 2003).
Denise mit ihrem Talker.
Neue Situationen bieten immer wertvolle Möglichkeiten zu lernen (NELSON,
1996, spricht in diesem Zusammenhang von „rare event learning“), und solche
Situationen wurden, wann immer sie sich boten, ausgenützt, auch um den
Lernprozess möglichst natürlich zu gestalten. Als etwa neue Studierende an die
Schule kamen, bekam Denise die Gelegenheit, mit ihnen ein Interview zu führen,
was für sie so spannend war, dass das Erlernen von Fragestellungen quasi
16
nebenher erfolgte. Selbstverständlich wurden auch Antworten geübt, damit Denise
auf etwaige Gegenfragen reagieren konnte. Hier einige Beispiele aus dem Interview:
Wie
heißt
Wie
alt
Wann
hast
du
bist
du
?
du
?
Geburtstag
?
Schon im ersten Satz lässt sich ersehen, wie komplex selbst so kurze und häufige
Wörter wie „heißen“ codiert sind: Alles, was mit „sprechen“ zu tun hat, beinhaltet das
„Telefon“ – Icon; darauf folgen im Fall von „heißen“ noch „Karl Otto“ sowie das Icon
für „plus“ (der hochgereckte Daumen), was wiederum ein Bestandteil des Verbs
„haben“ ist; schließlich muss noch das Icon „du“ angehängt werden, um die zweite
Person zu bilden. Es besteht allerdings die Möglichkeit, ganze Sätze abzuspeichern,
was jedoch nicht der eigentliche Sinn von Minspeak ist, das ja eine möglichst freie
und unabhängige Kommunikation garantieren soll. Denise nützte diese Eigenschaft
bisher lediglich für einige Vorstellungssätze betreffend sie selbst sowie ihr Haustier.
Auch Floskeln können durch das Betätigen von nur zwei Icons abgerufen werden
und beginnen immer mit dem Männchen in der Box:
etwa wird zu „hallo“,
zu „guten Morgen“.
Meine Rolle bestand darin, Denise verstehen zu helfen, warum welche Wörter in
einer bestimmten Sequenz oder hinter bestimmten Icons programmiert wurden (also
die so wichtigen „Eselsbrücken“ aufzubauen), mit ihr häufig verwendete Phrasen
einzuüben oder am Erwerb syntaktischer Regeln zu arbeiten. Häufig kamen Rollenoder Gesellschaftsspiele zur Anwendung, für die ich auf Arbeitsblättern die
benötigten Icons in der entsprechenden Reihenfolge vorbereitet hatte; dieses Modell
diente Denise dann als Vorlage während des Spiels und in weiterer Folge als
Übungsgrundlage.
Spiel „Nanu“
Beim „Nanu, wo liegt der Schuh?“ - bzw. Quartett-Spiel
Beispiele aus dem Arbeitsblatt für das „Nanu“ – Spiel (Ravensburger):
Unter
rot
weiß
die
Katze
der
Hund
blau
gelb
orange
liegt
die
Trompete
grün
das Auto
der
Schuh
der
Schirm
das Telefon
17
Hier wurden also neben der Verwendung der Präposition „unter“ spielerisch die
Codierung der Farben und wichtiger Nomina sowie die zugehörigen Artikel geübt.
Beim Quartett-Spiel stand die Automatisierung des häufig
vorkommenden Fragebeginns „hast du...?“ im Vordergrund; die sich daraus
ergebenden Akkusativergänzungen wurden angeboten, werden jedoch von Denise
spontan noch nicht mit der korrekten Artikelform verwendet:
Hast
du
den Schlüssel
die
Schaukel
das
Schiff
?
12
Viele Vorteile, einige Probleme...
Obwohl wir von Frau Mag. Giesinger eine CD-Rom mit den Icons und Unterlagen für
mögliche Spielgestaltungen bekommen hatten, ist das Erstellen der
Arbeitsunterlagen sowohl für Frau Dipl. Päd. Much als auch für mich äußerst zeitund arbeitsintensiv. Gleichzeitig stellen aber das fix vorgegebene Deckblatt und das
bereits gespeicherte Vokabular die größten Vorteile dar, die der Power Talker®
bietet: Anders als bei digitalen Sprachausgabegeräten muss das Deckblatt nicht je
nach Situation ausgewechselt und das Gerät neu besprochen werden, und zum
Unterschied von Geräten mit dynamischen Display besteht keine Notwendigkeit, sich
erst durch Kategorien und Oberbegriffe zu navigieren, um ein bestimmtes Wort zu
finden. Ist der Benutzer/die Benutzerin in der Lage, bestimmte Wörter zu
buchstabieren, so kann er/sie durch Berühren eines einzigen Feldes sofort im ABCModus arbeiten und diesen auch mit der Kommunikation über Icons kombinieren. Für
alle mit dem Kind arbeitenden Personen bedeutet dies, dass sie wenigstens zu
einem großen Teil von der Verantwortung befreit sind, für oder mit dem Kind das
Vokabular für seine Kommunikationshilfe auszuwählen; dieses ist bereits im Talker
gespeichert und muss nur noch durch die entsprechende Codierung, wie sie aus der
mitgelieferten Wörterliste ersichtlich ist, abgerufen werden. Wir müssen nun nicht
mehr ständig neue Overlays erstellen bzw. eine Kommunikationsmappe oder ein
Album durch neue Bildsymbole ergänzen (diese Zeit benötigen wir ohnedies für die
Herstellung der auf Icons basierenden Übungsmaterialien).
Obwohl BAKER während seiner Präsentation in W ien im Dez. 2004
betont hatte, welch große Sorgfalt verwendet worden war, um die deutsche
Wortstrategie für Minspeak zu kreieren, mussten wir doch immer wieder zu unserer
Verwunderung feststellen, dass uns trivial erscheinende Wörter fehlten (etwa
„Bauernhof“, „Schere“, „Schnecke“,...um nur einige Beispiele zu nennen), während
etwa „W imperntusche“ im W ortschatz enthalten und offenbar dem Kernvokabular
zugerechnet worden war. Desgleichen fehlte Vokabular betreffend Sexualität und
damit in Zusammenhang stehende Körperteile (vor allem der weiblichen) und
Körperfunktionen fast völlig – ein absolut heißes Thema unter pubertierenden
Jugendlichen! Dies dürfte aber weniger ein Minspeak- als vielmehr ein USAspezifisches Faktum sein (wenn man das ebenfalls aus den USA stammende
Boardmaker® - Programm zum Erstellen der MAYER-JOHNSON-PCS auf dem PC
installiert, wird man extra gefragt, ob man die Kategorie mit den auf Sexualität
bezogenen Symbolen auch installieren möchte). W ir haben jedoch als sprechende
Personen erstens kein Recht, unseren in alternativen Modi sprechenden
Mitmenschen ihr Vokabular vorzugeben bzw. einzuschränken, und zweitens kann
auch tatsächliche Integration nur gewährleistet sein, wenn sich die sprechbeeinträchtigte Person zu den gleichen Themen äußern kann, über die ihre
sprechenden MitschülerInnen reden. Gleichberechtigt sein bedeutet auch, dass ein
Kind, dessen kommunikative Entwicklung sich über einen alternativen W eg vollzieht,
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über eine gewisse kommunikative Autonomie verfügt, was soviel heißt, dass es von
sich aus und unabhängig von Anderen entscheiden kann, worüber es sich
unterhalten möchte (VON TETZCHNER & GROVE, 2003).
Bereits bei unserer ersten Einschulung wurde uns von Frau Mag. Giesinger
gezeigt, wie neue Begriffe in den Talker programmiert werden können; tatsächlich
gibt es hier durch zusätzliche Speicherplätze kaum Limits, man hat auch die
Möglichkeit, den Bilderleisten neue Bildsymbole hinzuzufügen. Es ist dies jedoch
keine Sache, die rasch bzw. zwischendurch erledigt werden könnte: Um das Erlernen
der Kodierung des neuen Begriffs zu erleichtern und um das Minspeak - System
beizubehalten, sollten Icons verwendet werden, die vom semantischen Gehalt her zu
dem neuen Wort passen. Nun gilt es, eine Sequenz von bis zu drei Icons zu finden,
die in dieser Folge noch nicht belegt ist, danach muss die grammatikalische Struktur
des neuen W ortes (Nomen, Verb, Adverb, Adjektiv,...) bestimmt und dem Gerät
eingegeben werden, wie dieses konjugiert bzw. dekliniert wird. Schließlich ist das
Wort phonetisch zu buchstabieren, was meist mehrere Versuche erfordert, damit die
synthetische Stimme es auch für unsere Ohren deutlich erkennbar und möglichst
natürlich spricht. Denise´s Eltern brachten es auf diesem Gebiet zu wahrer
Meisterschaft; da es sowohl für ihre Lehrerin als auch für mich zeitlich oft nicht
möglich ist, uns dieser Arbeit zu widmen, werden fehlende Wörter ins Elternheft
geschrieben und von den Eltern daraufhin in den Talker programmiert.
Ohne jeden Zweifel ist Minspeak eine äußerst effektive Strategie für
viele nicht sprechende Menschen, und auf einschlägigen Kongressen, etwa von
ISAAC (ISAAC = International Association for Augmentative and Alternative
Communication), zählen Talker – Benutzer/Benutzerinnen zu den am erfolgreichsten
alternativ kommunizierenden Sprechern, nicht Wenige präsentieren sogar mit Hilfe
ihres Geräts Vorträge.
Einer der größten Nachteile von Minspeak ist jedoch, dass die Strategie ohne
Hightech-Gerät nicht anwendbar ist, das ausgeklügelte System ist abhängig von
seiner Implementierung in einen extrem kostspieligen Talker mit synthetischer
Sprachausgabe, dessen Akku stets geladen sein und der auch sonst zuverlässig
funktionieren sollte. (Als Denise´s Gerät nach einigen Monaten in Folge eines
Sturzes nicht mehr gestartet werden konnte und zur Reparatur eingesandt werden
musste, bekam sie glücklicherweise für diesen Zeitraum von der Dr. Kurt Wimmer
Betriebsberatung GmbH ein Ersatzgerät zur Verfügung gestellt, sonst hätte sie
während dieser Wochen mit Sicherheit etliche der bereits erworbenen Fertigkeiten
wieder verloren). Zwar zeigte uns Frau Mag. Giesinger bei unserem letzten Treffen
ein für solche Fälle vorgesehenes nicht technisches Overlay, das die Talker Oberfläche repräsentierte, jedoch ist dessen Verwendung recht kompliziert und
erfordert perfekte Lese- und visuelle Diskriminierungsfähigkeit, denn in den einzelnen
Feldern sind die unterschiedlichen Wörter für die verschiedenen Bedeutungen in
unterschiedlichen Farben und noch dazu sehr klein gedruckt. Jemand, der diese
Tafel erfolgreich verwenden kann, wäre wohl besser bedient, wenn er/sie seine
Mitteilungen auf einer Tafel mit Buchstaben und Häufigkeitswörtern anzeigen würde!
Die kommunikative Abhängigkeit von einem Gerät wie dem Talker stellt für
einen mobilen Menschen ein größeres Problem dar als für einen Rollstuhlfahrer/eine
Rollstuhlfahrerin; in letzterem Fall kann der Talker so am Rollstuhl montiert werden,
dass er für den Benutzer/die Benutzerin jederzeit erreichbar ist, sei es für eine
Anzeige mit dem Finger, einem Kopfstab oder einer Leuchte (der Power Talker®
kann auch so ausgerüstet werden, dass ein Feld über einen Infrarot – Headpointer
mittels Kopfbewegungen angesteuert und ausgelöst werden kann).
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Für ein mobiles Kind wie Denise, die sehr zart und zusätzlich durch ihre Hemiplegie
gehandicapt ist, bedeutet schon der Transport des zwei kg schweren Talkers in
ihrem Rucksack zu und von der Schule eine große Belastung (sie benützt
selbständig öffentliche Verkehrsmittel und muss vom Bus in die Straßenbahn
umsteigen); das Gerät überall dabeizuhaben, wie es für eine Kommunikationshilfe ja
wünschenswert wäre, stellt schon aus diesen Gründen eine Unmöglichkeit dar. In
Situationen, wo Gestik und Vokalisationen nicht zum Erfolg führen, muss sie also
nach wie vor auf ihr PCS - Album zurückgreifen. Nach BEUKELMAN und MIRENDA
(1998) ist eine Voraussetzung für Kommunikation, jemanden zu haben, mit dem man
sprechen kann, und etwas zu haben, worüber man gerne sprechen möchte – beides
ist für Denise in hohem Maß gegeben. Nicht allerdings BRODIN und LINDSTRAND´s
(2004) Postulat betreffend die Technologie: Die Autorinnen vertreten den
Standpunkt, dass ein Kind permanenten Zugang zu seinem technischen Gerät
bräuchte, sollte dieses tatsächlich zu einer im Alltagsleben relevanten
Kommunikationshilfe werden – eben dieser ständige Zugang ist aus oben genannten
Gründen nicht möglich.
Trotz all dieser Bedenken halte ich den Power Talker® dennoch für die bestmögliche Lösung von Denise´s kommunikativen Problemen. Ein neues Gerät allein,
und sei es technisch noch so ausgeklügelt, muss allerdings nicht notwendigerweise
zu Verbesserungen im kommunikativen und somit auch im sozialen und schulischen
Bereich führen; jede Form der alternativen und unterstützten Kommunikation ist ohne
Mitarbeit aller beteiligten Personen zum Scheitern verurteilt, und dies gilt ebenso,
wenn nicht noch mehr für die Arbeit mit Minspeak und einem Talker. Ohne die
Motivation von Denise selbst, ohne die Bereitschaft der Eltern, sich trotz der
eingespielten Kommunikationsformen mit ihrer Tochter auf dieses neue Medium
einzulassen und sich das nötige technische Hintergrundwissen anzueignen (etwa,
um neues Vokabular zu programmieren), ohne das Engagement der Lehrerin, die
das Gerät von Anfang an in den Unterricht mit einbezog, und ohne die Möglichkeit für
mich als Sprachheil- und Beratungslehrerin wöchentlich für eine Einheit mit Denise
zu arbeiten, wäre dieser Weg mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt gewesen.
13
Zukunftsperspektiven
In welchem Ausmaß der Talker Denise in ihrer Zukunft dienen wird, ist natürlich vom
Grad der Unterstützung abhängig, die sie erhalten wird; wir hoffen jedoch, dass sich
ihr spontaner Zugang zum Gerät und ihre selbständige Arbeit damit bis zum Ende
ihrer Schulzeit weiter steigern werden, sodass der Talker schließlich zu einem
selbstverständlichen Bestandteil ihrer Kommunikation werden wird. Glücklicherweise
verfügt Denise über Möglichkeiten, sich auch ohne technische Hilfe verständlich zu
machen (Gestik, Zeichnen, Buchstabierversuche,...), auch ihre Artikulationsfähigkeiten und somit auch ihr aktiver Wortschatz nehmen ständig zu (seit sie mit
dem Talker arbeitet, verbalisiert sie beispielsweise nicht nur die gewählten Begriffe,
sondern auch die Artikel, während sie das entsprechende Feld betätigt; das
konstante visuelle und akustische Feedback kommt ihr gerade bei ihrer
Sprechstörung der Apraxie sehr zugute). Kommunikation umfasst jedoch viele
Bereiche (der angloamerikanische Sprachraum drückt dies so treffend mit „total
communication“ aus), und ein sprechbehinderter Mensch wird von seiner Umwelt
anders eingeschätzt, wenn er über ein Medium verfügt, sich komplex zu möglichst
allen Bereichen zu äußern. Studien belegen, dass Laien einem nicht sprechenden
Menschen mit weniger Scheu begegnen, wenn dieser offensichtlich über eine
Möglichkeit verfügt, in aktiver Form zu kommunizieren; dabei wird eine Unterhaltung
umso eher gesucht, je leichter verständlich und der Naturstimme nahekommend die
20
Sprachausgabe ist, und die Person wird meist kognitiv besser eingeschätzt, je mehr
sie über ihre Kommunikationshilfe kommunizieren kann und je besser diese selbst
technisch ausgerüstet ist (SCHLOSSER et al., 2003). Und wer weiß, vielleicht kommt
in einigen Jahren ja eine Firma mit einem Gerät auf den Markt, das kleiner und für
mobile Personen leichter zu transportieren ist, jedoch über ähnliche Kapazitäten
verfügt, und vielleicht findet sich dann auch wundersamerweise wieder ein Weg,
dieses zu finanzieren – Träumen ist ja immer erlaubt! In diesem Zusammenhang sei
auch auf die ethische Frage verwiesen, wer eigentlich für die Entwicklung von
Hilfsmitteln verantwortlich ist, deren Zielgruppe immer eine relativ kleine sein wird
(BRODIN & RENBLAD, 2000), denn für jede private Firma stellt es ein Risiko dar, ein
Produkt für einen von vorn herein limitierten Markt zu erzeugen. Die Folge daraus ist,
dass eine wenige Firmen den Markt dominieren, und BenützerInnen entsprechend
mehr für ein und das selbe Gerät zahlen, wenn dieses erst über mehrere Verteiler
und Repräsentanten zu ihnen gelangt, die natürlich auch an einer Gewinnspanne
interessiert sind.
Eines unserer Ziele in naher Zukunft ist es, Denise mit anderen kompetenten
Talker-BenutzerInnen zusammenzubringen, deren es leider in Österreich noch nicht
sehr viele gibt (was sich vielleicht mit einer neu überdachten Versicherungspolitik
ändern könnte). Eine Möglichkeit dazu bietet sicher der kommende, noch dazu in
unserer Nähe stattfindende ISAAC – Kongress (31.7.-3.8.2006, Düsseldorf; ISAAC Kongresse werden im Abstand von zwei Jahren meist auf wechselnden Kontinenten
abgehalten, daher der relative Begriff der „Nähe“), wo UK-BenutzerInnen eine
ermäßigte Teilnahmegebühr zahlen, und wo erfahrungsgemäß durch Talker
kommunizierende Menschen nicht nur teilnehmen, sondern sogar selbst referieren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Sprache, und auch eine alternative
Kommunikationsform ist eine solche, erst dann wahrhaft bedeutungsvoll wird, wenn
sie in ihrem natürlichen Umfeld erlebt und gesprochen wird; für unterstützt
kommunizierende Menschen ist dieses Umfeld eben das Zusammensein mit anderen
möglichst kompetenten UK-BenutzerInnen wie auch Sprechern, die auf ebenso
selbstverständliche Weise mit diesen kommunizieren. Um es mit den Worten
WITTGENSTEINS (1953, S.8) auszudrücken: „Sich eine Sprache vorzustellen,
bedeutet, sich eine Lebensform vorzustellen“; lassen wir uns mit Offenheit und
Neugier auf diese Vorstellung ein!
(Alle in diesem Beitrag vorkommende Personen gaben ihr ausdrückliches Einverständnis, unter ihren
tatsächlichen Namen angeführt zu werden.)
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Kontaktadresse:
Gonda Pickl
Berliner Ring 32 / 1
8047 Graz
[email protected]
Daten zur Person:
Gonda PICKL, Dipl. Sonderpädagogin, als Sprachheil- und Beratungslehrerin am
überregionalen sonderpädagogischen Zentrum Graz, Sprachheilschule, tätig.
Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Akademie der Diözese Graz, Eggenberg.
Lehramtsprüfung für Sonderpädagogik und Sprachheilpädagogik an der
Pädagogischen Akademie des Bundes in Wien, graduate studies am Department for
Communicative Disorders, University of Wisconsin, Madison.
Derzeit PhD-Studium am Stockholm Institute of Education, Department of Human
Development, Learning and Special Education. P.O. Box 34103, SE-100 26,
Stockholm, Schweden.
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