REHABILITATIONSRECHT

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REHABILITATIONSRECHT
I. Überblick über das allgemeine Sozialrecht
1. Begriff des Sozialrechts
Sozialrecht ist das Recht der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit, welches
diese Ziele durch die Gewährung von Sozialleistungen zu verwirklichen sucht.
Diese Ziele sind Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips (Artikel 20, 28 GG).
Soziale Gerechtigkeit verlangt vor allem ausgleichende Hilfe für Menschen, die aus eigener
Kraft nicht in der Lage sind, die in den Grundrechten garantierten Freiheiten zu nutzen.
Hierzu gehört auch die Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums.
Im Rahmen der sozialen Sicherheit soll dem Einzelnen Schutz vor bestimmten Lebensrisiken
gewährt werden.
Sozialleistungen werden aufgegliedert in Geldleistung, Sachleistungen und Dienstleistungen.
Sie werden auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften von den so genannten Sozialleitungsträgern gewährt. Die Sozialeistungsträger unterfallen der öffentlichen Verwaltung.
Keine sozialrechtlichen Leistungen sind die sogenannten betrieblichen Leistungen wie z. B.
die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, welche vom Arbeitgeber gewährt wird. Zu den
Sozialleistungen gehören auch nicht sozialpolitisch motivierte Steuervergünstigungen.
Wesentliche gesetzliche Grundlage ist das Sozialgesetzbuch, kurz SGB.
Dieses unterteilt sich in einzelne Bücher.
Erstes Buch:
Zweites Buch:
Drittes Buch:
Viertes Buch:
Fünftes Buch:
Sechstes Buch:
Siebtes Buch:
Achtes Buch:
Neuntes Buch:
Zehntes Buch:
Elftes Buch:
Zwölftes Buch:
Allgemeiner Teil (SGB I)
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
Arbeitsförderung (SGB III)
Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV)
Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)
Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI)
Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)
Soziale Pflegeversicherung (SGB XI)
Sozialhilfe (SGB XII)
Das erste und das zehnte Buch des SGB enthalten Bestimmungen, die grundsätzlich für alle
Bereiche des Sozialgesetzbuches gelten. In gerichtsverfahrensrechtlicher Hinsicht gilt
entsprechendes für das Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gleiches gilt für das SGB IV, in dem
sich gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung finden.
© 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler
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2. Wichtige allgemeine Regelungen
a) § 36 SGB I Handlungsfähigkeit
§ 36 SGB I bestimmt die sog. sozialrechtliche Handlungsfähigkeit, die mit Vollendung des
15. Lebensjahres beginnt.
Grund hierfür ist, dass auch für Minderjährige Sozialleistungen, wie z.B. Ausbildungsförderung, in Betracht kommen. Die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit umfasst nicht nur
das Recht, Anträge zu stellen und sie zu verfolgen, sondern auch Leistungen entgegen zu
nehmen.
Für die Verwendung der erhaltenen Leistungen gelten allerdings die allgemeinen
zivilrechtlichen Regelungen des BGB.
b) § 32 SGB I Verbot nachteiliger Vereinbarungen
Nach § 32 SGB I sind privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von den Vorschriften des SGB abweichen, nichtig.
c) §§ 13–17 SGB I Betreuungs- und Informationspflichten
Nach §§ 13–15 SGB I ist der Leistungsträger zur Aufklärung, Beratung und Auskunft verpflichtet.
§ 13 SGB I gibt dem einzelnen Bürger allerdings kein individuelles Recht, sondern bezieht
sich vielmehr auf die Allgemeinheit, so z.B. bei Merkblättern, Broschüren und Informationsveranstaltungen.
Der sog. sozialrechtliche Herstellungsanspruch scheidet in der Regel in diesem Zusammenhang aus.
Die in § 15 SGB I normierte Auskunftspflicht geht über die in § 14 SGB I normierte Beratungspflicht hinaus. Die Auskunft setzt eine gezielte Fragestellung voraus und bezieht sich
nur auf diese.
Die Beratung dagegen ist eine umfassende Aufklärung auch über einen größeren Kreis von
Rechten und Pflichten und setzt keine gezielte Frage voraus.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Beratungsanspruch nach § 14
SGB I nur gegenüber dem Leistungsträger der in Betracht kommenden Sozialleistung
besteht und zur Auskunft aller in dieser Norm genannten Stellen verpflichtet sind.
§§ 16 und 17 SGB I normieren weitere Betreuungspflichten gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten. Gem. § 16 Abs. 3 SGB I sind die Leistungsträger verpflichtet, darauf
hinzuwirken, dass klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben
ergänzt werden.§ 17 SGB I dient der schnellen Ausführung der Sozialleistungen.
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d) Der sog. sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch
Der sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch knüpft an § 14 SGB I an und soll den
tatsächlichen, früheren Zustand herstellen, der bestanden hätte, wenn der Leistungsträger
seiner Aufklärungs- und Beratungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre.
Hat eine Sozialleistungsbehörde durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen
für die Rechtstellung des Versicherten herbeigeführt und können diese durch rechtmäßiges
Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden, so hat die Behörde dem Berechtigten die
Rechtsposition einzuräumen, die er gehabt hätte, wenn von Anfang an ordnungsgemäß
verfahren worden wäre.
Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruches sind daher:




Vorliegen eines Nachteils oder Schadens beim Leistungsberechtigten
Verhalten eines Sozialleistungsträgers (Tun oder wie häufig Unterlassen)
Rechtswidrigkeit bzw. Pflichtwidrigkeit dieses Verhaltens, wobei die Pflicht dazu
dienen muss, den Nachteil zu verhindern (sog. Schutzzweckzusammenhang)
Ursächlichkeit des Verhaltens für den Eintritt des Schadens
d) Mitwirkung des Leistungsberechtigten §§ 60 ff SGB I
In §§ 60 ff SGB I sind die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten normiert.
Nicht selten verweigern Sozialleistungsträger Leistungen unter Berufung auf eine Verletzung
der Mitwirkungspflicht. Nachdem die Mitwirkungsvorschriften dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegen, führt nicht jegliche fehlende Mitwirkung zu einer Untersagung der Leistung.
§ 65 SGB I beinhaltet die Grenzen der Mitwirkungen.
Die Folgen einer fehlenden Mitwirkung regelt § 66 SGB I. In § 67 SGB I ist die Nachholmöglichkeit der Mitwirkungshandlung festgeschrieben.
Die Regelungen der §§ 60–62 SGB I haben den Zweck, die Sachverhaltsaufklärung zu erleichtern.
Wer eine Leistung beantragt, muss alle erforderlichen Angaben machen und gegebenenfalls
sich persönlich vorstellen, um diese Leistungen erhalten zu können.
Erheblich weitreichender sind die Pflichten nach §§ 63 und 64 SGB I, die die Unterziehung
einer Heilbehandlung oder die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben
vom Antragsteller fordern.
Voraussetzung für die Versagung einer Leistung nach § 66 SGB I ist jedoch ein Hinweis auf
die Folgen der fehlenden Mitwirkung und einer Fristsetzung.
Sobald die Mitwirkung nachgeholt wird, sind die Leistungen wieder zu gewähren.
e) Rechtswege
Für Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Sozialrechts ist der Rechtsweg zu den
Sozialgerichten oder den Verwaltungsgerichten gegeben.
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Sozialleistungsbereiche, in denen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist:
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

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Sozialversicherung
Arbeitsförderung
Soziale Entschädigung (mit Ausnahme des Bereichs der Kriegsopferfürsorge)
Schwerbehindertenrecht (Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit und
der Versorgungsämter)
Erziehungsgeld
Kindergeld nach dem BKGG
Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen
Grundsicherung für Arbeitsuchende (ab 01.01.2005)
Sozialhilfe (ab 01.01.2005)
Sozialleistungsbereiche, in denen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist:








Ausbildungsförderung
Wohngeld
Unterhaltsvorschuss
Kinder- und Jugendhilfe
Kriegsopferfürsorge (im Rahmen der sozialen Entschädigung)
Schwerbehindertenrecht (Zuständigkeitsbereich der Integrationsämter)
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (bis 31.12.2004)
Sozialhilfe (bis 31.12.2004)
f) Weg der Entscheidung
1.
2.
3.
4.
5.
Antrag
Bescheid
Widerspruch
Widerspruchsbescheid
Klage
II. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
1. Allgemeines
Die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist in SGB IX geregelt. Das SGB IX
besteht aus zwei Teilen.
In Teil I (§§ 1 – 67 SGB IX) sind die Rechtsvorschriften enthalten, die für mehrere
Sozialleistungsbereiche einheitlich gelten (gesetzliche Unfallversicherung, gesetzliche
Krankenversicherung, gesetzliche Rentenversicherung, Kinder und Jugendhilfe, Sozialhilfe)
In Teil II (§§ 68 – 160 SGB IX) befindet sich das Schwerbehindertenrecht.
Das Rehabilitations- und Schwerbehindertenrecht ist Teil des allgemeinen Sozialrecht (§ 10
SGB I)
Konkretisiert wird § 10 SGB I durch die Vorschrift des § 29 SGB I, welcher die einzelnen
Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen auflistet. Die Leistungsträger bestimmt § 29 II SGB I.
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Das Schwerbehindertenrecht des Teil II des SGB IX ist eine in sich geschlossene Regelung,
währenddessen sich das Rehabilitationsrecht aus Teil I des SGB IX und anderen Sozialgesetzen (SGB III, V,VI, VII, VIII und XII) zusammensetzt. Behinderten Menschen stehen alle
allgemeinen Sozialleistungen genauso wie nicht behinderten Menschen zu.
ACHTUNG:
Teil 1 des SGB IX beinhaltet für alle Rehabilitationsträger einheitlich geltende
Vorschriften über Art und Umfang der Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen.
Diese allgemeinen Regelungen des SGB IX sind jedoch gegenüber den spezifischen Regelungen der einschlägigen Leistungsgesetze nachrangig.
Zu dem befinden sich in Teil 1 des SGB IX allgemeine Bestimmungen, welche
verschiedentlich in SGB I getroffenen Regelungen überlagern bzw. verdrängen, wie z.B. Begriffsdefinitionen, allg. Grundsätze und Verfahrensnormen.
Teil 2 des SGB IX dagegen stellt eine in sich geschlossene Regelung des
Schwerbehindertenrechtes dar. Ein wie für Teil 1 des SGB IX vorhandenes
Ergänzungsverhältnis zu anderen Leistungsgesetzen gibt es hier nicht.
2. Grundbegriffe
- Behinderung =
Unterscheidung in körperlich behindert und geistig behindert
bzw. seelisch behindert. Auch Möglichkeit der Mehrfachbehinderung § 2 SGB IX
- Rehabilitation und Teilhabe = Ziel und Gesamtheit der Leistungen, die diesem Ziel dienen.
- Rehabilitationsleistung =
Sozialleistungen (§ 11 SGB I), welche dem Ziel der Rehabilitation dienen. § 4 SGB IX kennzeichnet sie als Leistungen
zur Teilhabe.
Nach § 5 SGB IX werden Rehabilitationsleistungen in vier
Leistungsgruppen unterteilt:
- Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
- unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen
- Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft
- Rehabilitationsträger =
ACHTUNG
Leistungsträger (§12 SGB I), welche für die Rehabilitationsleistungen zuständig sind § 6 SGB IX (lesen!)
Keine Rehabilitationsträger sind die Integrationsämter. Diese gewähren zwar
begleitende Hilfe im Arbeitsleben gehören jedoch zu den besonderen Regelungen in Teil II des SGB IX. Die Aufgabe des Integrationsamtes ergibt sich
aus § 2 SGB IX
3. Übergreifende Regelungen
Nach dem im Rehabilitationsrecht die Zuständigkeit für Leistungen auf verschiedene Träger
verteilt ist, finden sich in den Sozialgesetzbüchern übergreifende Regelungen, die einer verbesserten Beratung des Leistungsberechtigten, einer Koordination der Leistungen und einer
schnellen Zuständigkeitsklärung dienen sollen.
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a) Beratung, Antragstellung
Zur Intention des SGB IX zählt die Verbesserung der Beratung und Unterstützung von
behinderten Menschen.
Dementsprechend sind die Rehabilitationsstellen zur Schaffung einer gemeinsamen
Servicestelle verpflichtet (§ 22 SGB IX). Diese steht auch den Personenberechtigten zur
Verfügung (§ 60 SGB IX).
Der Servicestelle obliegt auch die Klärung, welcher Rehabilitationsträger zuständig ist, hat
jedoch keine eigene Entscheidungsbefugnis. Auch klärt die Servicestelle den Hilfebedarf
entsprechend Teil II des SGB IX (§ 21 I Satz 3 SGB IX).
Unabhängig davon besteht eine Verpflichtung der Leistungsträger zur Beratung gemäß
§§ 14, 15 SGB I (siehe auch § 22 Abs. 2 SGB IX).
Die Betroffenen sind nicht verpflichtet, die Servicestelle in Anspruch zu nehmen. Sie können
sich jederzeit an den für sie zuständigen Rehabilitationsträger wenden.
b) Zuständigkeitserklärung §§ 14, 15 SGB IX
Nachdem das unübersichtlich gegliederte System des Sozialrechtes schwierig zu verstehen
ist, wurde § 14 SGB IX geschaffen, um dem Interesse behinderter und von Behinderung
bedrohter Menschen zur raschen Klärung von Zuständigkeiten Rechnung zu tragen.
Gem. § 14 SGB IX muss der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang
des Antrages feststellen, ob er hierfür zuständig ist. Sollte dies nicht der Fall sein, ist er verpflichtet, den Antrag unverzüglich an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten.
Hält sich der Rehabilitationsträger für die beantragte Leistung für zuständig, so hat er den
Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX), spätestens
jedoch innerhalb einer Frist von drei Wochen.
Sollte hierfür ein Gutachten erforderlich sein, hat eine Entscheidung innerhalb von zwei
Wochen nach Vorliegen des Gutachtens zu erfolgen (§ 14 Abs. 2 S. 4 SGB IX).
Wird der Antrag weitergeleitet, ist der zweite Rehabilitationsträger an die Entscheidung des
zuerst angegangenen Rehabilitationsträgers gebunden und kann sich nicht mehr auf eine
anderweitige Zuständigkeit berufen. Der zweite Rehabilitationsträger muss daher innerhalb
einer Frist von drei Wochen über den Bedarf entscheiden.
Etwas anderes gilt nur, wenn die beantragte Leistung nicht in das Leistungsspektrum des
zweiten Rehabilitationsträgers fällt. In diesem Fall muss der zweite Rehabilitationsträger unverzüglich mit dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger eine Klärung
herbei führen (§ 14 Abs. 2 S. 3 SGB IX).
Gem. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist der Rehabilitationsträger verpflichtet, dem Leistungsberechtigten unter Angabe von Gründen rechtzeitig mitzuteilen, wenn nicht fristgerecht innerhalb der in § 14 Abs. 2 SGB IX genannten Fristen entschieden werden kann.
Insoweit normiert § 15 SGB IX auch eine Erstattungspflicht bei selbstbeschafften Leistungen.
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Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Selbstbeschaffung für den Leistungsberechtigten mit
dem Risiko finanzieller Einbußen verbunden ist, wenn sich z.B. die selbstbeschaffte Leistung
bei nachträglicher Prüfung durch den Rehabilitationsträger als nicht erforderlich erweist.
c) Koordinierung und Ausführung der Leistungen
Wenn ein Anspruchsberechtigter Leistungen von verschiedenen Leistungsträgern beantragt
oder erhält (§§ 5, 6 SGB IX) sind diese gem. § 10 SGB IX entsprechend zu koordinieren.
§ 10 SGB IX ergänzt die relevanten Vorschriften des allgemeinen Sozialrechts (§§ 17 SGB I,
86 SGB X).
Für die Koordination ist der nach § 14 SGB IX zu leistende Rehabilitationsträger verantwortlich.
§ 10 SGB IX stellt eine Ergänzung zu § 4 SGB IX dar, in dem festgelegt ist, dass der
einzelne Rehabilitationsträger die Verpflichtung hat, die Leistungen so frühzeitig wie möglich
festzustellen und festzulegen. Ergänzt werden diese Vorschriften durch §§ 11 und 12 SGB
IX.
Kapitel 2 des SGB IX (§§ 17 bis 21) beinhaltet Vorschriften zur Ausführung von Leistungen
und betreffen in erster Linie Dienst- bzw. Sachleistungen.
d) Vorrang der Leistungen zur Teilhabe § 8 SGB IX
Nach § 8 SGB IX haben Leistungen zur Teilhabe grundsätzlich Vorrang.
Zudem haben die Rehabilitationsträger unabhängig von der Entscheidung über eine
Sozialleistung zu prüfen, ob Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich erfolgreich sind.
Absatz 1 gilt auch dann, wenn durch Leistungen zur Teilhabe Pflegebedürftigkeit zu
vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten ist
(§ 8 Abs. 3 SGB IX).
§ 8 SGB IX ist im Zusammenhang mit § 3 SGB IX zu sehen, wonach die Prävention
vorrangig ist.
e) Überblick über die einzelnen Leistungen
Kapitel 4 – 7 des SGB IX enthalten Vorschriften über die Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen, welche nachfolgend überblicksmäßig kurz dargestellt werden sollen.
Zu beachten ist hierbei, dass sich bei §§ 26 – 59 SGB IX um sozialleistungsbereichübergreifende Vorschriften handelt, welche jedoch nur Anwendung finden, soweit sich aus
den speziellen Leistungsgesetzen nichts anderes ergibt.




Leistungen zur medizinischen Rehabilitation §§ 26 – 32 SGB IX
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben §§ 33 – 43 SGB IX
Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen §§ 44 – 54 SGB IX
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft §§ 55 – 59 SGB IX
Hierbei handelt es sich um die sog. übergreifenden Leistungsvorschriften.
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Es gibt jedoch auch Vorschriften über Leistungen zur Teilhabe in den speziellen
Leistungsgesetzen:

Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
Die wesentlichen Vorschriften finden sich hier im SGB V.Leistungsberechtigt sind die in
der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte (§§ 5, 9, 10 SGB V).
Ziel der medizinischen Rehabilitation ist es, Behinderung und Pflegebedürftigkeit
abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 11 Abs. 2 SGB V).
Die medizinische Rehabilitation greift erst bei bereits bestehender Krankheit und grenzt
sich von der Vorsorge und Akutbehandlung ab.
Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und die ergänzenden Leistungen gem.
§ 27 Abs. 1, S. 2 Nr. 6 SGB V werden durch die §§ 40 – 43 SGB V näher konkretisiert.
§ 43 SGB V verweist insoweit auf §§ 44 Abs. 1 Nr. 2 – 6, 53, 54 SGB IX und ermöglicht so
darüber hinaus die Erbringung sonstiger ergänzender Leistungen.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung
sind insbesondere:






ambulante und stationäre Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen
nach § 40 SGB IV
die medizinische Rehabilitation für Mütter nach § 41 SGB IV
die Belastungserprobung und Arbeitstherapien nach § 42 SBG IV
nicht ärztliche sozialpädriatische Leistungen nach § 43 a) SGB IV
die Stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX bzw. § 74 SGB IV
Rehabilitationssport, Reisekosten und Haushaltshilfe nach § 43 Abs. 1 SGB V in
Verbindung mit §§ 44, 53 und 54 SGB IX
Die Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden nur gem.
§ 19 SGB IV auf Antrag erbracht.

Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der Arbeitsförderung SGB III und SGB
IV
Hier wird unterschieden in die „allgemeinen Leistungen“ wie z. B. die Förderung der
Aufnahme einer Beschäftigung, die Förderung der Berufsausbildung und die Förderung
der beruflichen Weiterbildung (§ 100 SGB III), die unter den gleichen Voraussetzungen
wie für Nichtbehinderte gewährt werden und in die besonderen Leistungen, die mit
Rücksicht auf die spezifischen Belange ausgestaltet sind, wie zum Beispiel:
- Maßnahmen in besonderen Einrichtungen § 102 Abs.1 SGB III
- Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen §§ 40 SGB IX, 102 Abs. 2
SGB III
- Übergangsgeld §§ 103, 160 ff SGB III, §§ 46 ff SGB IX
- Ausbildungsgeld §§ 104 ff SGB III
- Übernahme von Teilnahmekosten für eine Maßnahme §§ 103, 109 ff SGB III, 33,
44, 53, 54 SGB IX.
Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfordern einen Antrag § 19 SGB IV, §§ 323
ff SGB III.
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
Teilhabe und Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung
SGB VII und SGB IX
Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der medizinischen
Rehabilitation sind im SGB VII und SGB IX geregelt (§ 26 Abs. 1 SGB VII).
Anspruch auf Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung haben
Versicherte (§ 2 SGB VII) nach Eintritt des Versicherungsfalles (§§ 8 ff SGB VII).
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind der Heilbehandlung zugeordnet,
weswegen § 27 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII auf die Leistungen nach § 26 SGB IX verweist.
In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt der Grundsatz der Rehabilitation mit allen
geeigneten Mitteln (§ 26 Abs. 2 SGB VII).
Vorrangiges Ziel ist es, den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen
zu mildern sowie den Versicherten einen Ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern.
Auch sind in der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen zur Teilhabe am Leben in
der Gemeinschaft vorgesehen § 26 Abs. 1 SGB VII, §§ 55 – 58 SGB IX sowie ergänzende
Leistungen, hier in erster Linie das Verletztengeld und das Übergangsgeld (§§ 44 Abs. 1
Nr. 1, 45 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX, §§ 45 – 48, 52 SGB VII und §§ 46 – 51 SGB IX, §§ 49 – 52
SGB VII).
Dazu gehören auch die Haushaltshilfe, Reisekosten, Kraftfahrzeughilfe und sonstige
Leistungen zur Erreichung und Sicherstellung des Erfolges der Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation und Teilhabe (§§ 44 Abs. 1 Nr. 2 – 6, Abs. 2, 53, 54 SGB IX,
§§ 39 – 43 SGB VII).
Die Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen ist in § 27 Abs. 1,
Nr. 6 SGB VII festgelegt sowie in § 33 SGB VII.
§ 27 Abs. 1, Nr. 7 SBG VII verweist hinsichtlich der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auf das SGB IX.
Hinsichtlich der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verweist § 35 Abs. 1 SBG VII auf
die §§ 33 – 38, 40 und 41 SGB XI
Im Gegenzug zu den Teilhabe- bzw. Rehabilitationsleistungen in der Arbeitsförderung und
in der gesetzlichen Krankenversicherung ist in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht
notwendig, dass ein Antrag gestellt wird. Die Leistungen werden von Amts wegen gem.
§ 19 S.2 SGB IV erbracht.
Die Unternehmen haben gemäß § 193 SBG VII eine Anzeigepflicht, die sicherstellt, dass
die Unfallversicherungsträger vom Versicherungsfall Kenntnis erlangen.

Teilhabe und Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
Die hier einschlägigen gesetzlichen Vorschriften finden sich im SGB VII und SGB IX.
Die Leistungen zur Teilhabe in der gesetzlichen Rentenversicherung zielen darauf ab den
Auswirkungen einer Krankheit oder Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegen zu treten und zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der
Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Er-
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werbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder
einzugliedern (§ 9 Abs. 1 SGB VI).
Auch hier finden sich wieder zahlreiche Verweisungen hinsichtlich der medizinischen
Rehabilitation. So verweist § 15 Abs. 1 SGB VI auf §§ 26 – 31 SGB IX.
Medizinische Leistungen bestimmen sich nach den §§ 12-15 SGB VI.
Hinsichtlich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wird nach § 16 Abs. 1 SGB VI
auf die §§ 33-38, 40 SGB IX verwiesen. Hierzu gehören im Einzelfall:
- Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes
- berufliche Anpassung und Weiterbildung
- medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit sie zur Erreichung des Rehabilitationszieles notwendig sind
- Behindertenwerkstätten
Die wichtigsten ergänzenden Leistungen sind:
- Übergangsgeld §§ 20 SGB VI, 44 ff SGB IX
- Haushaltshilfe, Reisekosten
- Übernahme der Kosten für arbeitsfördernde Maßnahmen §§ 44,53,54
SGB IX
Die Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden auf Antrag
erbracht (§ 19 Satz 1 SGB 4)

Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der sozialen Entschädigung bei
Gesundheitsschäden
Die hier wesentlichen Leistungen finden sich im BVG (Gesetz über die Versorgung der
Opfer des Krieges) sowie den SGB IX.
Anspruchsberechtigt ist, wer einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen der
Staat einstehen muss.
Die wesentlichen Aufgaben sind
-
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
ergänzende Leistungen
 im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
wie z.B. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, Reisekosten
und Versehrtenleibesübungen.
 im Zusammenhang mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Die Leistungen der sozialen Entschädigung werden grundsätzlich auf Antrag gewährt.
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
Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe
Die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften finden sich im SGB XIII und SGB IX. Die
Leistungen der Jugendhilfe sind nach nachrangig gegenüber entsprechenden Leistungen
anderer Sozialleistungsträger nach § 10 Abs. 1 SGB XIII.
Jugendhilfeleistungen für seelisch behinderte Menschen haben jedoch Vorrang gegenüber den Leistungen der Sozialhilfe.
Die Leistungen der Kinder und Jugendhilfe werden nur auf Antrag gewährt.

Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der Sozialhilfe
Die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften finden sich im SGB XII und im SGB IX
Anspruchsberechtigt sind Personen, die durch eine Behinderung i.S.d. § 2 SGB IX
wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben , eingeschränkt sind.
Ziel ist es eine drohende Behinderung zu verhüten oder zu beseitigen oder zu mildern
(§ 53 Abs.3 SGB XII).
Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind hier nachrangig gegenüber anderen
entsprechenden Leistungen anderer Leistungs- bzw. Rehabilitationsträger
(§ 2 Abs. 1 SGB XII), mit Ausnahme der Eingliederungshilfe für körperlich oder geistig
behinderte junge Menschen. Hier gehen die Leistungen der Sozialhilfe vor.
4. Die Rechtsstellung behinderter Menschen
Rechtsfähigkeit =
Fähigkeit Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Die
Rechts fähigkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt
(§ 1 BGB) und endet mit dem Tod.
Geschäftsfähigkeit =
Fähigkeit selbständig im Rechtsverkehr aufzutreten und
wirksam Erklärungen abzugeben.
Geschäftsunfähigkeit =
Wer aufgrund geringen Lebensalters (§ 104 Nr. 1 BGB)
oder aufgrund krankhafter Störung der Geistestätigkeit
(§ 104 Nr. 2 BGB) nicht fähig ist im selbständigen
Rechtsverkehr aufzutreten und wirksam
Erklärungen abzugeben.
Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist
nichtig (§ 105 BGB).
Geschäftsunfähige benötigen zur Teilnahme am Rechtsverkehr einen gesetzlichen Vertreter.
Bei Kindern sind es in der Regel die Eltern
(§§ 1626, 1629 BGB), dies kann jedoch auch ein
Vormund oder ein Pfleger sein (§§ 1793, 1915 BGB)
Bei Volljährigen kommt als gesetzlicher Vertreter
ein rechtlicher Betreuer in Betracht (§ 1902 BGB).
Hat der geschäftsunfähige Volljährige als er noch
geschäftsfähig war, einem anderen Vollmacht erteilt,
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kann ihn der Bevollmächtigte im Rechtsverkehr vertreten.
Beschränkte
Geschäftsunfähigkeit =
Wer das siebte Lebensjahr vollendet (§ 104 Nr. 1 BGB) oder
wer sich in einem die freie Willensbestimmung
ausschließenden Zustand krankhafter Störung der geistiges
Tätigkeit befindet (§ 104 Nr. 2 BGB).und das 18. Lebensjahr
noch nicht vollendet hat (§§ 2, 106 BGB).
Dies bedeutet, dass der beschränkt Geschäftsfähige Willenserklärungen abgeben kann, wenn er durch sie lediglich einen
so genannten rechtlichen Vorteil erlangt. Ist dies nicht der Fall,
bedarf er der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters
nach § 107 BGB.
Wenn der beschränkt Geschäftsfähige ohne die erforderliche
Einwilligung des gesetzlichen Vertreters einen Vertrag schließt,
wird dieser wirksam, wenn er nachträglich vom gesetzlichen
Vertreter genehmigt wird (§ 108 BGB). Eine Einwilligung bzw.
Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn der beschränkt
Geschäftsfähige Rechtsgeschäfte im Rahmen seines Taschengeldes abschließt (§ 110 BGB).
Um volljährigen Geschäftsunfähigen die Teilnahme am
Rechtsverkehr zu erleichtern wurde darüber hinaus § 105 a
BGB geschaffen, welche eine Regelung über die Geschäfte des
täglichen Lebens eines volljährigen Geschäftsunfähigen betrifft.
Im Zusammenhang mit dem § 105 a BGB wurde auch der §
131 Abs. 5 SGB IX geschaffen, in dem festgelegt wird, dass ein
Werkstattvertrag als wirksam gilt, selbst wenn der volljährige
behinderte Mensch zum Zeitpunkt seiner Aufnahme in der
Werkstatt geschäftsunfähig war.
Ehefähigkeit =
Eine Eingehung der Ehe ist grundsätzlich nur
volljährigen und geschäftsfähigen Personen möglich
(§ 1304 BGB).
Testierfähigkeit =
§ 2229 BGB: Mit Vollendung des 16. Lebensjahres kann
ein Testament errichtet werden. Dies gilt nicht, wenn eine
krankhafte Störung der Geistestätigkeit, eine Geistesschwäche
oder eine Bewusstseinsstörung vorliegt und somit die
Bedeutung der abgegebenen Willenserklärung nicht erfasst
werden kann.
Deliktsfähigkeit =
Fähigkeit für sein eigenes schadensverursachendes Handeln
verantwortlich gemacht zu werden.
Deliktsunfähigkeit =
wer nicht das 7 Jahr vollendet hat ist für einen Schaden, den er
einem anderen zufügt, nicht verantwortlich
(§ 28 Abs. 1 BGB) 0 – 6 Jahren.
Beschränkte Deliktsfähigkeit = wer das 18 Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist,
sofern seine Verantwortlichkeit nach Abs. 1 oder 2.
ausgeschlossen ist für den Schaden, den er einem andern
zufügt nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der
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schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der
Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht hat.
Parteifähigkeit=
Fähigkeit Partei in einem Rechtsstreit zu sein § 50 ZPO.
Prozessfähigkeit =
Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit Prozesshandlungen selbst
vorzunehmen und entgegenzunehmen § 51 ZPO.
Handlungsfähigkeit
im Sozialrecht =
Wer nach dem bürgerlichem Recht geschäftsfähig ist, ist
gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X in Verwaltungsverfahren
handlungsfähig.
Für Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres
besteht jedoch eine erweiterte Handlungsfähigkeit.
§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, § 36 SGB I.
Diese Personen können ohne Zustimmung des
gesetzlichen Vertreters, Anträge auf Sozialleistungen
stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen
annehmen.
III. Patientenrechte
Auszug aus „Patientenrechte in Deutschland“ vom Bundesministerium der Justiz
Das Behandlungsverhältnis
Durch wen kann sich der Patient behandeln lassen? Der Patient hat grundsätzlich das
Recht, Arzt und Krankenhaus frei zu wählen und zu wechseln. Der Patient kann eine
ärztliche Zweitmeinung einholen. Den begründeten Wunsch, einen weiteren Arzt
hinzuzuziehen oder eine Zweitmeinung einzuholen, soll der Arzt nicht ablehnen. Die
Behandlungsunterlagen sind dem mitbehandelnden Arzt zu übermitteln. Der Patient sollte
sich vorher über eventuelle Kostenfolgen bei dem Arzt oder dem Kostenträger (z. B.
gesetzliche Krankenkasse) informieren.
Welche Qualität muss eine medizinische Behandlung haben?
Der Patient hat Anspruch auf eine qualifizierte und sorgfältige medizinische Behandlung
nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Sie umfasst eine qualifizierte Pflege und
Betreuung. Stehen die erforderlichen organisatorischen, personellen oder sachlichen
Voraussetzungen für eine Behandlung nach dem medizinischen Standard nicht zur
Verfügung, ist der Patient an einen geeigneten Arzt oder ein geeignetes Krankenhaus zu
überweisen.
Arzneimittel oder Medizinprodukte, die zur Behandlung eingesetzt werden, müssen die
gesetzlich vorgeschriebenen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen erfüllen. Dafür tragen
die pharmazeutischen Unternehmer bzw. Hersteller, bei falscher ärztlicher Verordnung oder
Anwendung auch der behandelnde Arzt oder das Krankenhaus, die Verantwortung.
Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen haben Anspruch auf die ärztliche Behandlung,
die zur Verhütung, Früherkennung sowie Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der
ärztlichen Kunst ausreichend, zweckmäßig sowie wirtschaftlich ist. Nicht notwendige
Leistungen, für die eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht besteht, können nur
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gegen Übernahme der Kosten durch den Patienten erbracht werden. Die Krankenkasse
muss den Patienten auf dessen Wunsch individuell über die Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherungen beraten. Auch der öffentliche Gesundheitsdienst erfüllt durch die
Gesundheitsämter Beratungsaufgaben. Bei Behinderungen erfolgt die Beratung
durch die im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) vorgesehenen Servicestellen. Auch
die Sozialleistungsträger haben die Pflicht, über sozialrechtliche Ansprüche allgemein
aufzuklären.
Was bedeutet die Einwilligung des Patienten?
Der Patient hat das Recht, Art und Umfang der medizinischen Behandlung selbst zu
bestimmen. Er kann entscheiden, ob er sich behandeln lassen will oder nicht. Der Patient
kann eine medizinische Versorgung also grundsätzlich auch dann ablehnen, wenn sie
ärztlich geboten erscheint. Kommen mehrere gleichwertige medizinische Behandlungen oder
Behandlungsmethoden in Betracht, muss der Arzt über Chancen und Risiken umfassend
aufklären. Der Patient kann die anzuwendende Behandlung wählen. Kann zwischen Patient
und Arzt kein Konsens über die Behandlungsart und den Behandlungsumfang hergestellt
werden, ist der Arzt - von Notfällen abgesehen – berechtigt, die Behandlung abzulehnen.
Alle medizinischen Maßnahmen setzen eine wirksame Einwilligung des Patienten voraus.
Eine Einwilligung kann nur wirksam sein, wenn der Patient rechtzeitig vor der Behandlung
aufgeklärt wurde oder ausdrücklich darauf verzichtet hat. Wirksam einwilligen kann nur, wer
die nötige Einsichtsfähigkeit besitzt. Die nötige Einsichtsfähigkeit können auch Minderjährige
und Betreute haben. Insbesondere bei schweren Eingriffen kann auch bei vorhandener
Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen zusätzlich zu dessen Zustimmung die Zustimmung des
gesetzlichen Vertreters – dies sind in der Regel die Eltern – erforderlich sein. Verfügt der
Patient nicht über die nötige Einsichtsfähigkeit, muss der gesetzliche Vertreter bzw. ein vom
Vormundschaftsgericht bestellter Betreuer der Behandlung zustimmen. Er hat dabei den
mutmaßlichen Willen des Patienten zu beachten. Die Bestellung eines Betreuers ist
entbehrlich, wenn der Patient rechtzeitig eine Person seines Vertrauens für die Zustimmung
in Gesundheitsangelegenheiten bevollmächtigt hat (Vorsorgevollmacht). Bei besonders
schwerwiegenden Eingriffen bedarf die Einwilligung durch einen Betreuer oder
Bevollmächtigten der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, sofern es sich nicht um
einen Notfall handelt, der keinen Aufschub duldet. Wenn der Patient nicht ansprechbar ist,
reicht bei lebens– und gesundheitserhaltenden Notfallbehandlungen seine mutmaßliche
Einwilligung aus. Der mutmaßliche Wille des Patienten sollte dabei aufgrund von Auskünften
naher Angehörigeroder enger Freunde ermittelt werden.
Selbstbestimmung am Ende des Lebens
Auch bei der Behandlung Sterbender hat der Arzt das Selbstbestimmungsrecht und die
menschliche Würde des Patienten zu berücksichtigen. Patienten im Sterben haben das
Recht auf eine angemessene Betreuung, insbesondere auf schmerzlindernde Behandlung.
Sie können über Art und Ausmaß diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen selbst
entscheiden. Patienten, die entscheidungsfähig sind, können den Behandlungsabbruch oder
das
Unterlassen
lebensverlängernder
Maßnahmen
verlangen.
Eine
gezielte
Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben
beschleunigen sollen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch wenn der Patient sie
verlangt.
Bei Patienten, die nicht entscheidungsfähig sind, muss auf ihren mutmaßlichen Willen
abgestellt werden. Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens sind insbesondere frühere
schriftliche oder mündliche Äußerungen des Patienten und seine sonstigen erkennbaren
persönlichen Wertvorstellungen zu berücksichtigen. Eine wesentliche Rolle nimmt dabei die
Befragung von Ehepartnern oder Lebensgefährten, Angehörigen und Freunden sowie von
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anderen nahestehenden Personen über die mutmaßlichen Behandlungswünsche des
Patienten ein.
Patienten können für den Fall, dass sie nicht mehr entscheidungsfähig sind, vorsorglich im
Rahmen
einer
sogenannten
Patientenverfügung
auf
lebenserhaltende
oder
lebensverlängernde Maßnahmen verzichten. Der in einer Patientenverfügung niedergelegte
Wille ist für den Arzt im Grundsatz bindend.
Bei einer Patientenverfügung muss der Arzt im Einzelfall jedoch genau prüfen, ob die
konkrete Situation derjenigen entspricht, die sich der Patient beim Abfassen der Verfügung
vorgestellt hatte, und ob der in der Patientenverfügung geäußerte Wille im Zeitpunkt der
ärztlichen Entscheidung nach wie vor aktuell ist. Der Patient kann in einer
Patientenverfügung Vertrauenspersonen benennen und den Arzt ihnen gegenüber von der
Schweigepflicht entbinden.
Informationen
zu
Patientenverfügungen
können
beispielsweise
bei
Landesgesundheitsbehörden, Ärztekammern, Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbänden,
Verbraucherzentralen, Patientenorganisationen oder Sozialstationen angefordert werden
Was ist hinsichtlich der Aufklärung und Information des Patienten zu beachten?
Der Arzt hat den Patienten rechtzeitig vor der Behandlung und grundsätzlich in einem
persönlichen Gespräch über Art und Umfang der Maßnahmen und der damit verbundenen
gesundheitlichen Risiken aufzuklären und die Einwilligung des Patienten dazu einzuholen.
Formulare und Aufklärungsbögen ersetzen das Gespräch nicht. Der aufklärende Arzt muss
nicht notwendigerweise der behandelnde Arzt sein. Die Haftung für eine mangelhafte
Aufklärung trägt indessen immer der behandelnde Arzt. Eine wirksame Einwilligung setzt
eine so umfassende und rechtzeitige Aufklärung des Patienten voraus, dass dieser aufgrund
seiner persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, Art, Umfang und Tragweite der Maßnahme
und der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken ohne psychischen Druck zu ermessen
und sich entsprechend zu entscheiden. Zu unterrichten ist auch über Art und
Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Risiken im Verhältnis zu den Heilungschancen und
über alternative Behandlungsmöglichkeiten. Der Umfang und der Zeitpunkt der Aufklärung
richtet sich auch nach der Schwere und der Dringlichkeit des Eingriffs. Der Patient muss
durch die Aufklärung in die Lage versetzt werden, beurteilen zu können, was die konkret
vorgesehene Behandlung für ihn persönlich bedeuten kann. Auf Fragen des Patienten hat
der Arzt wahrheitsgemäß, vollständig und verständlich zu antworten. Aufklärung und
Beratung müssen auch für Patienten, die sich mit dem Arzt sprachlich nicht verständigen
können, verstehbar sein. Der Patient hat das Recht, auf die ärztliche Aufklärung zu
verzichten und zu bestimmen, wen der Arzt außer ihm oder statt seiner informieren darf oder
soll.
Versuchsbehandlungen
Vor einer möglichen Teilnahme an sog. Versuchsbehandlungen, deren Wirksamkeit und
Sicherheit wissenschaftlich noch nicht abgesichert sind, muss der Patient umfassend über
die
Durchführungsbedingungen,
über
Nutzen
und
Risiken
sowie
über
Behandlungsalternativen aufgeklärt werden. Der Patient hat das Recht, die Mitwirkung an
der medizinischen Forschung oder Lehre abzulehnen. Ihm dürfen aus der Ablehnung keine
Nachteile bei der medizinischen Versorgung erwachsen.
Welche medizinischen Maßnahmen sind zu dokumentieren?
Die
wichtigsten
diagnostischen
und
therapeutischen
Maßnahmen
(z.B.:
Diagnoseuntersuchungen, Funktionsbefunde, Medikation, ärztliche Hinweise für und
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Anweisungen an die Funktions- und Behandlungspflege, Abweichung von einer
Standardbehandlung) und Verlaufsdaten (z.B.: Aufklärung bzw. der Verzicht auf eine
Aufklärung durch den Patienten, Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Besonderheiten im
Behandlungsverlauf) sind zu dokumentieren. Eine Aufzeichnung in Stichworten reicht aus,
sofern diese für die mit- oder nachbehandelnden Ärzte verständlich sind.
Routinehandreichungen und Routinekontrollen müssen grundsätzlich nicht dokumentiert
werden. Die Dokumentation ist vor unbefugtem Zugriff und vor nachträglicher Veränderung
zu schützen.
Kann der Patient in die Behandlungsunterlagen einsehen?
Der Patient hat das Recht, die ihn betreffenden Behandlungsunterlagen einzusehen und auf
seine Kosten Kopien oder Ausdrucke von den Unterlagen fertigen zu lassen. Der Patient
kann eine Person seines Vertrauens mit der Einsichtnahme beauftragen. Der Anspruch auf
Einsichtnahme erstreckt sich auf alle objektiven Feststellungen über den
Gesundheitszustand des Patienten (z.B. naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde,
Ergebnisse von Laboruntersuchungensowie von Untersuchungen am Patienten wie EKG,
Röntgenbilder usw.) und die Aufzeichnungen über die Umstände und den Verlauf der
Behandlung (z.B. Angaben über verabreichte oder verordnete Arzneimittel,
Operationsberichte, Arztbriefe und dgl.). Das Einsichtsrecht erstreckt sich nicht auf
Aufzeichnungen, die subjektive Einschätzungen und Eindrücke des Arztes betreffen. Weitere
Einschränkungen des Einsichtsrechts können bestehen im Bereich der psychiatrischen
Behandlung und wenn Rechte anderer in die Behandlung einbezogener Personen (z.B.
Angehörige, Freunde) berührt werden.
Was ist im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz und die Vertraulichkeit von
Patientendaten zu beachten?
Die den Patienten betreffenden Informationen, Unterlagen und Daten sind von Ärzten,
Pflegepersonal, Krankenhäusern und Krankenversicherern vertraulich zu behandeln. Sie
dürfen nur mit Zustimmung des Patienten oder auf der Grundlage gesetzlicher
Bestimmungen weitergegeben werden. Die ärztliche Schweigepflicht besteht auch
gegenüber anderen Ärzten. In Datenbanken gespeicherte Angaben über den Patienten sind
technisch und organisatorisch vor Zerstörung, Änderung und unbefugtem Zugriff zu
schützen. Sie sind nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist zu löschen. Bei stationären
Behandlungen soll der Patient darüber informiert werden, wer ihn in Behandlung und Pflege
betreut. Bei therapeutischen Gesprächen ist Vertraulichkeit zu gewährleisten. Grundsätzlich
darf der Gesundheitszustand des Patienten auch Angehörigen nicht offenbart werden. Der
Patient kann jedoch den Arzt ermächtigen, anderen Personen Auskunft über seinen
Gesundheitszustand zu geben. Die benannten Personen können von dem Arzt Auskunft
über den Gesundheitszustand des Patienten verlangen.
Im Schadensfall
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht auf einem anerkannt hohen Niveau. Neben
der qualifizierten medizinischen Ausbildung der Ärzteschaft wird insbesondere auf die
Qualitätssicherung ärztlicher Berufsausübung großer Wert gelegt. Trotzdem kann es zu
Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern kommen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass nicht
immer dann, wenn der gewünschte Behandlungserfolg ausbleibt, ein verschuldeter ärztlicher
Behandlungsfehler vorliegt. In Fällen einer fehlerhaften Behandlung oder unzureichenden
Aufklärung stehen dem Patinten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zu. Bei
Schäden, die durch Arzneimittel oder durch ein Medizinprodukt (z. B. Röntgengerät)
verursacht worden sind, können auch Ansprüche gegen den pharmazeutischen
Unternehmer bzw. den Hersteller bestehen. Besteht Grund zu der Annahme, dass ein
Behandlungsfehler vorliegt, sollte der Patient zunächst das Gespräch mit dem behandelnden
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Arzt oder einer Beratungsstelle suchen und Einsicht in die Behandlungsdokumentation
nehmen bzw. sich Kopien anfertigen lassen. Im stationären Bereich steht dem Patienten
außerdem die Möglichkeit offen, sich an die Krankenhausleitung zu wenden. Darüber hinaus
ist im Schadensfall im Allgemeinen folgendes zu beachten:
Wo kann sich der Patient beraten lassen und wie kann der Patient eventuelle
Ersatzansprüche verfolgen?
Beratung
Mit Beschwerden und Beratungsanliegen kann sich der Patient an die Ärzte- bzw.
Zahnärztekammern,
Krankenkassen
oder
an
freie
Patientenberatungsund
Patientenbeschwerdestellen, Verbraucherzentralen und Selbsthilfeorganisationen wenden.
Patientenbeschwerdestellen sind vielfach bereits in den Krankenhäusern eingerichtet
worden. Sinnvoll kann es auch sein, sich durch einen Rechtsanwalt beraten zu lassen.
Spezialisierte Rechtsanwälte sind bei den Anwaltskammern oder -vereinen zu erfragen.
Kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, ist es für die Patienten ratsam, sich zügig
beraten zu lassen, um zu vermeiden, dass die Ansprüche wegen Verjährung nicht mehr
geltend gemacht werden können.
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
Schadensersatzansprüche können außergerichtlich oder gerichtlich geltend gemacht
werden:
Die Ärzte- und Zahnärztekammern haben Gutachter- und Schlichtungsstellen eingerichtet,
die es den Beteiligten erleichtern sollen, Streitfälle in Arzthaftpflichtsachen außergerichtlich
beizulegen. Die Gutachter- und Schlichtungsstellen sind in der Regel durch Ärzte und
Juristen besetzt; ihre Einschaltung ist freiwillig. Gutachter- und Schlichtungsstellen greifen
Fälle auf, die noch nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sind und in der Regel
nicht länger als 5 Jahre zurückliegen. Ihre Stellungnahme zur Frage eines
Behandlungsfehlers oder eines Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach ist für die
Beteiligten und ein eventuell anschließendes gerichtliches Verfahren nicht bindend. Auf
Wunsch des Versicherten beraten und unterstützen die gesetzlichen Krankenkassen
kostenlos ihre Versicherten bei der Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche
wegen
eines
Behandlungsfehlers
(z.
B.
durch
Einholung
medizinischer
Sachverständigengutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen). Darüber hinaus
hat der Patient die Möglichkeit, vor dem Zivilgericht eventuelle Ersatzansprüche einzuklagen.
Im Arzthaftungsprozess muss der Patient grundsätzlich die ärztliche Pflichtverletzung, den
eingetretenen Schaden, die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden sowie das
Verschulden des Schädigers darlegen und im Bestreitensfalle auch beweisen. Unter
Umständen, etwa bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, greifen aber zugunsten
des Patienten Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr, d. h. der Schädiger
muss den Gegenbeweis antreten. Der Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung des
Patienten obliegt in streitigen Fällen dem behandelnden Arzt. Bei Dokumentationsmängeln
wird zulasten des Arztes vermutet, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme unterblieben
ist.
Kosten
In der Regel ist es kostenlos, sich bei den Patientenberatungs- und
Patientenbeschwerdestellen zu informieren und Ansprüche bei den Gutachter- und
Schlichtungsstellen geltend zu machen. Die Beratung durch Rechtsanwälte ist
kostenpflichtig. Wer die Kosten hierfür nicht aufbringen kann, kann Beratungshilfe in
Anspruch nehmen. Auch bei der Rechtsverfolgung vor den Zivilgerichten entstehen Kosten.
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Wer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel für die Prozessführung verfügt, kann
Prozesskostenhilfe beanspruchen.
Auszug aus der Verbraucherzentrale Bremen:
Patienten haben Rechte. Trotzdem nehmen sie diese Rechte oft nicht wahr. Das liegt
oftmals an der Angst vor den Halbgöttern in Weiß. Teilweise liegt es aber auch daran, daß
das Wissen darüber, welche Rechte man als Patient hat, nicht weit verbreitet ist und klein
gehalten wurde. Erst in den letzten Jahren gibt es hier einen Wandel.
Wenn man sich Ärzten, Krankenkassen, Arzneimittel-Herstellern usw. nicht hilflos
ausgeliefert fühlen will, muß man sich zum kritischen und selbstbewußten Patienten
fortbilden. Jeder sollte seine Rechte als Patient kennen und wissen, wie er sie im Streitfall
durchsetzen kann: außergerichtlich oder gerichtlich. Dieses Kleine Lexikon der
Patientenrechte soll mit einigen knappen Stichworten einen groben Überblick über die
Patientenrechte geben und dabei helfen, ein selbstbewußter und informierter Patient zu
werden.
Arzneimittel,
Arzttermin,
Arzthaftung,
Aufklärungspflicht,
Behandlungsfehler,
Betreuungsverfügung, Beweislast, Datenschutz, Dokumentation, Einsichtsrecht, Heilmittel,
Hilfsmittel,
Gesetzliche,
Private,
Krankenunterlagen,
Patientenverfügung,
Patiententestament,
Pflege,
Schadenersatz,
Schmerzensgeld,
Schweigepflicht,
Selbstbestimmungsrecht, Verjährung, Vorsorgevollmacht, Wartezeit, Zahnbehandlung.
Arzneimittel
Ein Arzt ist verpflichtet, dasjenige Medikament zu verschreiben, das den Behandlungserfolg
am besten gewährleistet. Ein Patient hat Anspruch auf notwendige und ausreichende
Versorgung. Allerdings muß der Arzt das Gebot der Verhältnismäßigkeit und der
Wirtschaftlichkeit beachten. Außerdem beschränkt sich der Anspruch auf die in der „Liste
verordnungsfähiger Arzneimittel“ angeführten Produkte.
Siehe auch: Heilmittel und Hilfsmittel.
Arzttermin
Wer als Patient bei einem Arzt einen Behandlungstermin fest ausmacht, sollte auch
erscheinen. Unter Umständen kann der Arzt nämlich Schadensersatz verlangen, falls man
nicht rechtzeitig absagt oder nicht erscheint. Allerdings ist das in der Judikatur umstritten.
Manche Gerichte gehen davon aus, daß Arzttermine nur den Arbeitsablauf in der Arztpraxis
erleichtern sollen. Bei einem Zahnarztbesuch wird man dagegen nicht ohne weiteres davon
ausgehen können, daß andere Patienten zur Verfügung stehen, die den geplatzten Termin
auffangen können. In jedem Fall aber muß der Arzt den Schaden, den er erlitten hat, konkret
darlegen und beweisen, was nicht leicht ist. Das schafft Raum für eine gütliche Einigung.
Siehe auch: Wartezeit.
Arzthaftung
Wenn man einem Arzt einen Behandlungsfehler oder Aufklärungsfehler nachweisen (siehe:
Beweislast) kann, haftet der Arzt für den entstandenen Schaden (siehe: Schadenersatz).
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Eventuell kann man auch ein Schmerzensgeld beanspruchen. In diesem Fall bestehen
mehrere Möglichkeiten:
Zunächst kann man versuchen, sich selber mit dem Arzt zu einigen. Dies ist für beide Seiten
die schnellste und kostengünstigste Art der Einigung.
Ein wenig empfehlenswerter Weg ist, ein Privatgutachten darüber einzuholen, ob ein
Behandlungsfehler vorliegt. Diese Vorgehensweise hat entscheidende Nachteile: Solche
Gutachten sind kostspielig, und es besteht die Gefahr, daß man auf den Kosten sitzen bleibt.
Wenn man später ein Gerichtsverfahren einleitet, wird das Gericht ohnehin ein eigenes
Gutachten einholen.
Dann besteht auch die Möglichkeit, die Krankenkasse um Unterstützung zu bitten, denn die
Gesetzlichen Krankenkassen können ihre Versicherten bei der Verfolgung von
Schadensersatzansprüchen in geeigneter Weise unterstützen, wie es das Sozialgesetzbuch
formuliert. In der Praxis allerdings reißen sich die Krankenkassen zum Wohle der Patienten
kein Bein aus, obwohl die Klärung von Behandlungsfehlern und deren Folgeschäden
eigentlich in ihrem ureigenen Interesse liegen müßte.
Eine in der Praxis sehr wichtige Möglichkeit ist, eine Schlichtungsstelle einzuschalten. Die
Schlichtungsstellen sind bei den regionalen Ärztekammern eingerichtet. Ein Arzt kann zwar
nicht gezwungen werden, sich auf dieses Verfahren einzulassen, erklärt er sich allerdings
dazu bereit, bietet dieses Verfahren einige Vorteile: Das Verfahren ist meist kostenfrei. Die
Haftpflichtversicherer der Ärzte erkennen die Entscheidung der Schlichtungsstelle in der
Regel an.
Wenn das Verfahren vor der Schlichtungsstelle ungünstig ausgeht, kann man immer noch
Klage beim zuständigen Zivilgericht erheben. Während das Schlichtungsverfahren läuft, ist
die Verjährung gehemmt, so daß man nicht unter zusätzlichen Zeitdruck gerät. Eine solche
„normale“ Klage zu erheben, ist teuer und kompliziert. Ohne anwaltliche Hilfe ist das nicht zu
bewerkstelligen. Wenn man verliert, muß man sämtliche Kosten übernehmen. Aber auch
dann, wenn man sich während des Gerichtsverfahrens vergleicht, muß man erhebliche
Kosten einkalkulieren.
Schließlich gibt es noch den Weg, ein Strafverfahren gegen den Arzt einzuleiten, indem man
ihn anzeigt. Das Verfahren ist kostenfrei und ersetzt – rechtsphilosophisch betrachtet – die
private Rache. Den eigenen Schadensersatzanspruch kann man auf diese Weise aber nicht
durchsetzen. Das Strafgericht spricht nur eine Strafe gegen den Arzt aus, dem Geschädigten
jedoch keinen Ersatz zu. Die Einleitung eines Strafverfahrens erschwert eine vernünftige
Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche in einem so hohen Maße, daß davon unbedingt
abgeraten werden muß.
Siehe auch unter: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Beweislast,
Schadenersatz, Schmerzensgeld, Selbstbestimmungsrecht, Verjährung.
Dokumentation,
Aufklärungspflicht
Der Patient selbst muß sich für oder gegen eine ärztliche Behandlung entscheiden (siehe:
Selbstbestimmungsrecht) und die Einwilligung zu einer Behandlung erklären. Ansonsten ist
die Vornahme einer Behandlung rechtswidrig, und ein Arzt macht sich strafbar. Die
Einwilligung oder die Nichteinwilligung ist für einen Patienten als medizinischem Laien eine
der schwierigsten Entscheidungen überhaupt. Der Arzt hat deshalb eine Aufklärungspflicht.
Damit soll die Entscheidungsfreiheit des Patienten sichergestellt werden. Der Arzt muß
seinem Patienten Informationen an die Hand geben, damit dieser eine Entscheidung treffen
kann. Diese Informationen müssen verständlich und umfassend sein. Der Arzt muß in einem
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persönlichen Gespräch, in dem er den Patienten aufklärt, über folgende Themen informieren:
Über seine jetzige Situation, das heißt, die Krankheit, an der er leidet (Diagnose); über die
verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten (Therapie) und deren Erfolgschancen; über
alternative Therapien, über die Risiken und Nebenwirkungen und möglichen Folgen der
Behandlung. Ein Arzt muß auf alle Fragen, die ihm ein Patient stellt, verständlich und
umfassend antworten. Das Aufklärungsgespräch kann keinesfalls dadurch ersetzt werden,
daß der Arzt Merkblätter aushändigt und sich Formulare unterschreiben läßt. Die Aufklärung
muß so rechtzeitig erfolgen, daß der Patient noch im Vollbesitz seiner
Entscheidungsfähigkeit ist. Eine Aufklärung, die eine Stunde vor der Operation oder sogar
erst im Operationssaal erfolgt, ist eindeutig zu spät. Dem Patienten muß, es sei denn, die
Behandlung ist unaufschiebbar (schwerer Unfall), bis zum Eingriff eine angemessene
Überlegensfrist verbleiben. In der Regel gelten ein bis drei Tage als angemessene
Aufklärungsfrist. Bei besonders schweren Eingriffen oder wenn mit schweren oder häufigen
Komplikationen zu rechnen ist, das heißt: wenn man als Patient das Für und Wider eines
Eingriffs und seiner Folgen (hohes Risiko) umfassend abwägen muß, sind 24 Stunden zu
kurz.
Allgemein bekannte Risiken, wie etwa Infektionen, Narbenbrüche oder Embolien, die bei
jeglichen Operationen auftreten können, müssen nicht erwähnt werden. Der Arzt muß auch
nicht auf jede Möglichkeit einer Komplikation hinweisen. insbesondere nicht auf solche
Komplikationen, die für die beabsichtigte Operation nicht typisch sind. Nicht nur völlig
untypische Komplikationen sind von der Aufklärungspflicht ausgenommen, sondern auch
fernliegende Komplikationen mit einer Komplikationswahrscheinlichkeit von unter 1%. Je
notwendiger die Behandlung ist, desto weniger muß aufgeklärt werden. Je weniger
notwendig eine Behandlung ist, desto mehr muß aufgeklärt werden. Das gilt etwa für
Schönheitsoperationen. Die Aufklärung muß gleichfalls umfassender sein, je weiter sich ein
Arzt vom schulmedizinischen Standard (veraltete Therapie, alternative Therapie) entfernt.
Und schließlich gilt als Faustregel: Je schwerer die Behandlung und die zu erwartenden
Risiken und eventuellen Komplikationen sind, desto umfangreicher muß aufgeklärt werden.
Siehe auch unter: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Beweislast,
Schadenersatz, Schmerzensgeld, Selbstbestimmungsrecht, Verjährung.
Dokumentation,
Behandlungsfehler
Unterläuft einem Arzt oder seinen Angestellten schuldhaft ein Behandlungsfehler
(„Kunstfehler“), muß er Schadenersatz leisten. Ein Arzt schuldet eine Behandlung nach den
Regeln der ärztlichen Kunst. Er muß sich fortbilden, um sein Wissen auf dem neuesten
Stand zu halten. Und er muß auch seine Grenzen erkennen, das heißt, wenn er nicht weiter
weiß, muß er die Patienten zu einem Spezialisten weiterverweisen.
Einige Beispiele für Behandlungsfehler:



Bei Verdacht auf Krebs wird das Gewebe nicht zur Untersuchung eingeschickt; ein
Röntgenbild wird falsch gedeutet.
Wird eine Injektion derart fehlerhaft ausgeführt, daß im Gesäßbereich Narben
zurückbleiben, und gestaltet sich der Heilungsprozeß langwierig, so haftet der Arzt.
Behandelt ein Arzt einen Muskelfaserriß, so begeht er einen groben
Behandlungsfehler,
wenn
er
nicht
auf
die
Notwendigkeit
weiterer
Kontrolluntersuchungen hinweist.
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20


Kann ein Verdacht auf eine Blinddarmentzündung nicht mit Sicherheit
ausgeschlossen werden, so ist das Hinauszögern einer Operation ein
Behandlungsfehler.
Ein vergessener Tupfer bei einer Operation ist gleichfalls ein Kunstfehler.
Das große Problem des Arzthaftungsrechts ist allerdings, daß der geschädigte Patient in der
Beweislast steht, die falsche Behandlung und den Schaden zu beweisen. Hiervon gibt es
jedoch eine Ausnahme: den sogenannten groben Behandlungsfehler. Ein grober
Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn der Arzt gegen elementare Behandlungsregeln oder
Erkenntnisse der Medizin verstoßen hat. Desgleichen, wenn ihm ein Fehler unterläuft, der
einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Beispielsweise ist ein grober
Behandlungsfehler dann anzunehmen, wenn ein Arzt trotz des Verdachts auf Malaria keine
Blutuntersuchung anordnet, obwohl sich der inzwischen bewußtlose Patient zuvor in einem
Malariagebiet aufgehalten hat. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, kehrt sich die
Beweislast um, das heißt: nun muß der Arzt beweisen, daß ihn keine Schuld trifft.
Siehe auch unter: Arzthaftung, Aufklärungspflicht,
Schadenersatz, Schmerzensgeld, Verjährung.
Beweislast,
Dokumentation,
Betreuungsverfügung
1990 ist an die Stelle des Gesetzes der Vormundschaft über Volljährige (Entmündigung) das
Betreuungsgesetz getreten. Das Betreuungsgesetz regelt die rechtliche Ausgestaltung von
Betreuungsverhältnissen. Für ältere Menschen wird eine Betreuung vorgesehen, wenn zu
befürchten ist, daß diese tatsächliche und rechtliche Fürsorge benötigen. Über die Frage, ob
ein Betreuungsverhältnis sinnvoll und notwendig ist, urteilt das zuständige
Vormundschaftsgericht. Das Vormundschaftsgericht entscheidet dann zugleich, welche
Person die Betreuung wahrnehmen soll.
Hier kann man unliebsamen Überraschungen vorbeugen, indem man eine
Betreuungsverfügung oder eine Vorsorgevollmacht verfaßt. In einer Betreuungsverfügung
kann man nicht nur regeln, wer als Betreuer eingesetzt oder wer keinesfalls eingesetzt
werden soll, sondern auch, welche Wünsche vom zukünftigen Betreuer unbedingt respektiert
werden sollen. Denkbar sind zudem Bestimmungen für den Fall dauernder Bewußtlosigkeit
oder einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit. Hier sollte dann aber als
Vorausverfügung auf die Varianten der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung
(siehe dort) zurückgegriffen werden.
Siehe auch: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht.
Beweislast
Die Beweislast ist in der juristischen Praxis sehr wichtig. Oft scheitert eine Partei vor Gericht
selbst dann, wenn sie im Recht ist, nur aus dem Grund, daß sie ihren Anspruch nicht
beweisen kann. Nach den allgemeinen Beweisregeln muß grundsätzlich derjenige, der von
einem anderen etwas beansprucht, die dafür notwendigen Tatsachen vor Gericht vortragen.
Das ist in einem Arzthaftungsprozeß zunächst nicht anders. Allerdings gibt es einige
Besonderheiten.
Fordert ein Patient beispielsweise wegen unterlassener Aufklärung einen Schadenersatz, so
muß der Arzt darlegen, daß er den Patienten rechtzeitig, korrekt, verständlich und vollständig
aufgeklärt hat. Gelingt ihm das nicht, muß wiederum der Patient darlegen, weshalb er bei
Kenntnis der Umstände, das heißt: wenn er aufgeklärt worden wäre, die Behandlung
abgelehnt haben würde. Er muß im Einzelnen die Gründe anführen, die sein Verhalten im
Falle der ordnungsgemäßen Aufklärung nachvollziehbar erscheinen lassen.
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Der allgemeine Grundsatz der Beweislast gilt zunächst auch für Schäden, die durch ärztliche
Behandlungsfehler entstehen. Hier muß der Patient sämtliche Voraussetzungen für die
fehlerhafte Behandlung beweisen. Allerdings gibt es hier eine Besonderheit: Liegt ein
schwerer (grober) Behandlungsfehler vor, kehrt sich die Beweislast um. Dann muß der Arzt
beweisen, daß der Schaden nicht auf seinem eigenen Fehler beruht.
Siehe auch: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Dokumentationspflicht.
Datenschutz
Hochsensible Patientendaten gehen niemanden etwas an. Ärzte und Krankenhäuser dürfen
Daten von Patienten nicht ohne weiteres von fremden Firmen archivieren lassen. Die
Archivierung durch externe Firmen ist nur zulässig, wenn die Daten anonymisiert werden.
Ansonsten verletzt die Offenbarung der Patientendaten die ärztliche Schweigepflicht, weil
bereits die Tatsache eines Arztbesuches oder einer Behandlung im Krankenhaus ein
Geheimnis aus dem persönlichen Lebensbereich der Patienten ist. Ein Arzt darf einen
Anspruch auf Schadensersatz, den er gegen einen Patienten hat, nicht abtreten, wenn zu
dessen Berechnung die Patientendaten öffentlich gemacht werden müssen. Wird eine
Arztpraxis verkauft, muß der Arzt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs die Zustimmung
von seinen Patienten einholen, bevor er die Patientendaten weitergibt. Ist man damit nicht
einverstanden, kann man die Rückgabe seiner Patientendaten verlangen. Bei Briefen an
Ärzte in einem Krankenhaus sollte man den Arzt eindeutig als Empfänger angeben und
zusätzlich den Vermerk „persönlich - privat“ hinzufügen. Schreibt man nur „zu Händen“,
gefolgt von dem Arztnamen, darf das Krankenhauspersonal den Brief öffnen.
Die Problematik des Datenschutzes und der Schweigepflicht überschneiden sich, sind aber
nicht deckungsgleich. Siehe deshalb auch: Schweigepflicht.
Dokumentation(-spflicht)
Ärzte und Krankenhäuser sind verpflichtet, die Behandlung zu dokumentieren. Das bedeutet,
daß der Behandlungsablauf in der Krankenakte festgehalten werden muß. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich auf die Untersuchungen, den Befund, die
Behandlungsmaßnahmen, den Operations-bericht, das Narkoseprotokoll, Zwischenfälle,
Heilungs-verlauf und auch die Art und Dosierung der Medikamente etc. Damit soll
sichergestellt werden, daß jeder mit- und nachbehandelnde Arzt imstande ist, sich über den
Patienten, die Diagnose, die Behandlungsmaßnahmen und deren Erfolg oder Nichterfolg ein
Bild zu machen.
Die Dokumentation ist auch von großer Bedeutung, um festzustellen, ob ein
Behandlungsfehler vorliegt. Ist die Dokumentation lückenhaft, trägt der Arzt die Beweislast
dafür, daß Diagnose und Behandlung der ärztlichen Kunst entsprachen.
Siehe auch: Einsichtsrechte in die Krankenunterlagen, Beweislast.
Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen
Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, daß Patienten grundsätzlich ein Einsichtsrecht in ihre
Krankenunterlagen zusteht. Dieses Recht ist auch durch die höchstrichterliche
Rechtsprechung abgesichert: Bundesgerichtshof (BGH), in: Neue Juristische Wochenschrift
(NJW) 1983, S. 328ff., S. 330ff. u. S. 2627ff.; Bundes-verfassungsgericht (BVerfG) NJW
1999, S. 1777f. Lediglich bei Verdachtsdiagnosen, subjektiven Wertungen oder psychischen
Erkrankungen kann dieses Recht teilweise eingeschränkt werden.
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22
Der Arzt ist allerdings nicht verpflichtet, die Originalunterlagen auszuhändigen. Er darf
deshalb pro Kopie einen halben Euro berechnen. Mehr allerdings nicht, und ganz besonders
nicht die Zeit, die er benötigt, um die Kopien herzustellen. Röntgenbilder stehen im Eigentum
des Arztes. Verlangt man auch hier Duplikate, muß man dafür gleichfalls die Kosten
übernehmen.
Das Anschreiben für die Einsicht in die Behandlungsunterlagen könnte folgendermaßen
lauten:
[...]
Ich war bei Ihnen in Behandlung von (...) bis (...). Ich wünsche Einsicht in
alle bei Ihnen über mich existierenden Krankenunterlagen. Ich bitte Sie,
von den kompletten Behandlungsunterlagen leserliche Fotokopien anzufertigen
und mir diese zu übersenden. Zugleich bitte ich Sie um die Versicherung,
daß es sich um die vollständigen Unterlagen handelt. Die Kosten für die
Fotokopien und den Versand übernehme ich. Falls Sie keine Möglichkeit haben
sollten, die Kopien für mich anzufertigen, bin ich auch damit
einverstanden, wenn Sie mir die Originalunterlagen zur Einsichtnahme
übersenden. Auch insoweit übernehme ich die Übersendungskosten und
versichere Ihnen, daß ich Ihnen die Originalunterlagen wieder zukommen
lassen werde.
Rein vorsorglich möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß auf die von
mir geltend gemachte Art und Weise der Einsichtnahme in die
Krankenunterlagen ein Rechtsanspruch besteht. (BGH NJW 1983, S. 328ff.,
S. 330ff. u. S. 2627ff.; BVerfG NJW 1999, S. 1777f.) Ich gehe davon aus,
daß sich mein Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen innerhalb von
drei Wochen realisieren läßt. Etwaige Hinderungsgründe bitte ich, mir
rechtzeitig mitzuteilen. Ich erwarte, daß Sie mir die Behandlungsunterlagen
bis zum (konkretes Datum einfügen) zugesandt haben werden. Sollte diese
Frist fruchtlos verstreichen, bin ich gezwungen rechtliche Schritte
einzuleiten, das heißt: gegebenenfalls muß ich dann einen Rechtsanwalt damit
beauftragen, Klage auf Herausgabe meiner Behandlungsunterlagen zu erheben.
[...]
Heilmittel
Bei Heilmitteln handelt es sich beispielsweise um Massagen, medizinische Bäder,
Krankengymnastik oder Ergotherapie. Die Heilmittel müssen vom Arzt verordnet werden.
Außerdem müssen die Heilmittel notwendig sein. Das ist der Fall, wenn sie eine Krankheit
oder die mit ihr verbundenen Beschwerden lindern; eine Schwächung der Gesundheit, die in
absehbarer Zeit zu einer Krankheit führen könnte, beseitigen oder Pflegebedürftigkeit
vermeiden oder mindern.
Siehe auch: Arzneimittel und Hilfsmittel.
Hilfsmittel
Medizinische Hilfsmittel, die jeder kennt, sind beispielsweise: Rollstühle, Gehhilfen, Windeln,
Prothesen, Kunstaugen und Blutdruck- und Blutzuckermeßgeräte. Seh- und Hörhilfen,
Körperersatzstücke, orthopädische und andere medizinische Hilfsmittel. Diese werden von
den Krankenkassen übernommen, wenn sie erforderlich sind, um einer drohenden
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Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche
Behinderung auszugleichen (§ 33 SGB V). Das ist vor allem dann der Fall, wenn das
Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Funktionen (zum Beispiel Greifen, Gehen,
Hören, Sehen) ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt. Reine Gebrauchsgegenstände
sind hingegen keine Hilfsmittel. Der Anspruch umfaßt nicht nur das Hilfsmittel selbst,
sondern auch eine notwendige Änderung und Ersatzbeschaffung, sowie die Ausbildung im
Gebrauch. Die Krankenkassen dürfen gebrauchte Hilfsmittel zur Verfügung stellen oder die
Hilfsmittel leihweise überlassen.
Ist ein Hilfsmittel aus beruflichen Gründen notwendig, wird unterschieden, ob es benötigt
wird, um überhaupt einen Beruf auszuüben, oder ob es darum geht, daß ein ganz spezieller
Arbeitsplatz übernommen werden soll. Im ersten Fall übernimmt die Krankenkasse die
Kosten des Hilfsmittels. Im zweiten Fall sind die Träger der Sozialhilfe im Rahmen der
Eingliederungshilfe zuständig. Für Schwerbehinderte kommen auch Hilfen nach dem
Schwerbehindertengesetz in Betracht.
Die Versorgung mit sogenannten Pflegehilfsmitteln fällt nur dann in die Zuständigkeit der
Pflegekasse, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von den
Krankenkassen oder von anderen Leistungsträgern zu erbringen sind. Auf die
Hilfsmittelversorgung zu Lasten der Krankenkassen hat die Pflegebedürftigkeit des
Versicherten keine Auswirkungen.
Bis zum vertraglich vereinbarten Preis bzw. bis zum Festbetrag hat der Versicherte in den
meisten Fällen keine Zuzahlungen zu leisten. Für Bandagen, Einlagen und Hilfsmittel zur
Kompressionstherapie haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, eine
Zuzahlung in Höhe von 20% des von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrages an die
abgebende Stelle zu leisten. Für andere Hilfsmittel werden jeweils die vertraglich
vereinbarten Preise übernommen. Einzelne Hilfsmittel aus der Produktgruppe Bandagen und
Kompressionstherapeutika sind von der Zuzahlungspflicht ausgenommen. Hilfsmittel mit
keinem oder einem geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis sind von
der Leistungserbringung durch die Krankenkasse ausgeschlossen. Dazu gehören
beispielsweise Alkoholtupfer, Brillenetuis oder Gummihandschuhe. Wollte man alle
Hilfsmittel aufzählen, wäre die Liste recht lang. Es gibt ein bundeseinheitliches
Hilfsmittelverzeichnis, in dem alle Hilfsmittel aufgelistet sind. Dieses Verzeichnis wird von
einer Fachkommission der Spitzenverbände der Krankenkassen ständig aktualisiert und im
Bundesanzeiger veröffentlicht, der vom Bundesministerium der Justiz herausgegeben wird.
Genehmigt die Krankenkasse ein Hilfsmittel aus dem Grunde nicht, weil es nicht im
Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, sollte man mit der Krankenkasse vereinbaren, daß die
Kosten nach einer positiven Entscheidung des Fachgremiums übernommen werden.
Manchmal aber ist erst eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich, damit ein Hilfsmittel
in das offizielle Verzeichnis aufgenommen wird.
Siehe auch: Arzneimittel, Heilmittel, unsere Broschüre „Hilfsmittel“.
Krankenkasse, Gesetzliche
Die Gesetzliche Krankenkasse baut auf das Solidaritätsprinzip. Das Gesundheitsrisiko der
einzelnen versicherungspflichtigen Mitglieder ist für die Beitragshöhe nicht entscheidend. Die
Höhe des Beitrages richtet sich ausschließlich nach dem Bruttoeinkommen. Der Beitrag liegt
etwa zwischen elf und vierzehn Prozent des Bruttoeinkommens. Nichtberufstätige
Familienmitglieder zahlen keine eigenen Beiträge, was die gesetzlichen Kassen für Familien
attraktiv macht. Die Versicherten müssen die Kosten für eine Behandlung nicht vorstrecken,
was ein zusätzlicher Vorteil sein kann. Ein weiterer Vorteil ist, daß es keine unkalkulierbaren
Risikozuschläge oder existenzgefährdende Beitragserhöhungen im Alter gibt. Von Nachteil
ist die aufgrund des Solidarprinzips starre Struktur der Gesetzlichen Kassen, die keine Tarife
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anbieten, die auf die einzelne Person und deren Bedürfnisse zugeschnitten sind. Nachteilig
ist auch, daß für die Zukunft absehbar ist, daß die Gesetzlichen Kassen ihre Leistungen
Stück um Stück zurücknehmen werden, bis nur noch eine standardisierte Grundversorgung
verbleibt. Wer Leistungen über diesen Durchschnitt hinaus absichern will, wird sich entweder
zusätzlich privat absichern oder die Leistungen aus eigener Tasche zahlen müssen.
Die Leistungen der Gesetzlichen Krankenkassen untereinander unterscheiden sich kaum.
Lediglich in einzelnen Punkten gibt es Unterschiede. So etwa bei der alternativen Medizin,
der Akupunktur oder der Naturheilkunde, bei der Verordnung von Kuren etc.
Gesetzlich Versicherte können ihre Kasse mit einer achtwöchigen Frist zum Monatsende
kündigen. An die Wahl der neuen Krankenkasse ist der Versicherte dann prinzipiell 18
Monate gebunden. Davon gibt es eine Ausnahme: Wird der Beitragssatz erhöht, gibt ein
Sonderkündigungsrecht, ebenfalls zwei Monate zum Montsende.
Siehe auch unter: Krankenkasse, Private.
Krankenkasse, Private
Die Private Krankenversicherung baut nicht auf dem Solidaritätsprinzip auf. Die Beiträge
werden nicht wie bei der Gesetzlichen Krankenversicherung »(siehe dort) nach dem
Einkommen berechnet. Für die Prämie zählen die gewählten Leistungen (Tarif) und das
persönliche Gesundheitsprofil: Gesundheitszustand, Eintrittsalter und Geschlecht (Frauen
zahlen höhere Prämien). Auch wer alt oder krank ist, zahlt mehr. In jungen Jahren kann man
gegenüber der Gesetzlichen Versicherung sparen; im Alter zahlt man drauf.
Die Leistungen der Privaten Krankenversicherung gehen oftmals über die Leistungen der
Gesetzlichen Versicherungen hinaus. Das gilt insbesondere beim Zahnersatz und der
Krankenhausbehandlung. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Privaten Kassen
bestimmte Krankheiten oder Risiken (Vorerkrankungen!) ausschließen oder Risikoprämien
verlangen können. Bei preiswerten Tarifen müssen Zusatzleistungen oft extra versichert
werden. Viele Tarife enthalten zudem eine nicht unerhebliche Selbstbeteiligung. Hier muß
man den Selbsterhalt in den günstigen Monatstarif einrechnen.
Ein Vergleich der Privaten mit der Gesetzlichen Krankenversicherung ist sehr schwierig. Hier
liegt jeder Einzelfall anders. Auch ein Vergleich der Privaten Krankenversicherer
untereinander ist nahezu unmöglich, weil es zum einen auf die Person des Versicherten
ankommt (Familienstand, Risiken, Vorerkrankungen etc.), zum anderen die Tarife und
Leistungen sehr voneinander abweichen (Leistungen, Selbsterhalt etc.). Jede Gesellschaft
hält verschiedene Tarifarten bereit. Gewarnt sei in jedem Fall vor Billigtarifen
(Lockvogelangeboten), die sich als sehr teuer erweisen können.
Eine Familienversicherung gibt es bei den Privaten nicht. Für Familien mit vielen Kindern ist
die Private Krankenversicherung nicht zu empfehlen, denn jedes Familienmitglied muß eine
eigene Versicherung abschließen.
Die Entscheidung zwischen der Privaten und der Gesetzlichen Krankenversicherung will
auch aus einem anderen Grund gut überlegt sein: wer sich einmal entschlossen hat, sich
privat zu versichern, kann diese Entscheidung nur schwer wieder rückgängig machen. Für
alle Versicherten, die älter als 55 Jahre sind ist eine Rückkehr zu Gesetzlichen Versicherung
gänzlich ausgeschlossen.
Siehe auch unter: Krankenkasse, Gesetzliche.
Krankenunterlagen
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Siehe unter: Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen.
Patientenverfügung
Weil die Technik der modernen Medizin (Apparatemedizin) immer weiter fortschreitet und
immer unberechenbarer wird, ist es das Bedürfnis vieler Menschen, ihr Recht auf
Selbstbestimmung durch Verfügungen zu Lebzeiten zu regeln. Auf diese Weise kann man
einer sinnlosen künstlichen Verlängerung des Lebens vorbeugen, wenn eine solche
Verlängerung letztendlich den Tod nur qualvoll hinauszögert. Ein typischer Fall ist
beispielsweise die Frage, ob eine schmerzmindernde Behandlung trotz einer daraus
resultierenden Lebensverkürzung durchgeführt werden soll, wenn feststeht, daß der Patient
unheilbar krank ist.
Ein Weg ist das sogenannte Patiententestament. Ein Patiententestament ist nicht etwa ein
Testament im herkömmlichen Sinne. Es bestimmt keine Erben, sondern enthält die
Willenserklärungen, ob, wann und unter welchen Bedingungen und in welcher Art und Weise
eine medizinische Behandlung erwünscht oder zu unterlassen ist. Juristisch korrekter ist
deshalb der Ausdruck Patientenverfügung anstatt Patiententestament. In der
Patientenverfügung kann auch zur Frage der Organspende Stellung genommen werden. Die
Patientenverfügung hat einen entscheidenden Schwachpunkt. Mit ihrer Hilfe läßt sich
vielfach nicht genau die Situation und Behandlungsform bestimmen, auf die es im Moment
der Entscheidung ankommt.
Entscheidend ist, daß die Patientenverfügung oder die Vorsorgevollmacht im Ernstfall
auffindbar sind. Es empfiehlt sich deshalb, die Dokumente selbst oder einen Hinweis auf den
Aufbewahrungsort in der Brieftasche mit sich zu führen. Außerdem sollte man eine Kopie der
Vorsorgevollmacht der bevollmächtigten Person aushändigen, die später die
Entscheidungen treffen soll.
Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sollte von Zeit zu Zeit erneuert werden, um die
Ernsthaftigkeit zu bekräftigen. Deshalb sollte man sein Schriftstück jährlich unter
Hinzufügung des Datums neu unterschreiben, bei lebensbedrohenden Krankheiten öfter und
direkt vor einer geplanten Operation.
Siehe auch: Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht.
Patiententestament
Siehe: Patientenverfügung.
Pflege, Pflegeversicherung, Pflegevertrag
Jeder Mensch kann pflegebedürftig werden, ob jung, ob alt; sei es durch Krankheit, Unfall
oder von Geburt an. Die häufigsten Ursachen sind Krankheit und Altersverwirrung. Dann ist
man auf fremde Hilfe angewiesen. Diese Hilfe muß bezahlt werden. Das
Pflegeversicherungsgesetz von 1995 sieht für alle Krankenversicherten eine
Versicherungspflicht vor. Aus den Töpfen dieser Pflegeversicherung werden die Leistungen
der Pflegedienste in der häuslichen und stationären Pflege für die Pflegebedürftigen
erbracht. Die Pflegekassen übernehmen die Kosten in einem abgestuften System. Je nach
Schwere der Pflegebedürftigkeit werden die Pflegebedürftigen einer der drei Pflegestufen
zugeordnet. Nach der Einstufung in die Pflegestufe richtet sich die Höhe der Leistungen der
Pflegekassen.
Man
unterscheidet
erheblich
Pflegebedürftige
(Stufe
I),
Schwerpflegebedürftige (Stufe II) und Schwerstpflegebedürftige (Stufe III). Für die häusliche
Pflege durch Angehörige zahlt die Pflegeversicherung an Patienten der Pflegestufe I 205
Euro, der Pflegestufe II 410 Euro, der Pflegestufe III 665 Euro monatlich. Wer ambulante
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Dienste einsetzt, bekommt – je nach Pflegestufe – 384 Euro, 921 Euro oder 1432 Euro. Für
Heimbewohner zahlt die Pflegekasse je nach Pflegebedürftigkeit pauschal 2000, 2500 und
2800 Euro monatlich. Härtefälle mit außergewöhnlichem Pflegeaufwand können bis zu 1918
Euro bekommen.
Die Einstufung in die Pflegestufe erfolgt nach dem durchschnittlichen Pflegeaufwand pro Tag
und dem täglichen Hilfsbedarf. Stufe I erfordert einen Mindestaufwand pro Tag von 90
Minuten und einen Hilfsbedarf pro Tag von einem Mal. Für Stufe II muß der Aufwand
mindestens drei Stunden betragen, Hilfsbedarf muß dreimal am Tag gegeben sein. Stufe III
erfordert einen Aufwand von mindestens 5 Stunden am Tag und eine Betreuung rund um die
Uhr. Der Zeitaufwand wird auf Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes
ermittelt.
Bevor Leistungen aus der Pflegeversicherung überhaupt in Anspruch genommen werden
können, müssen sie allerdings erst beantragt werden. Zum Antrag berechtigt sind die
versicherten Pflegebedürftigen und, im Hinblick auf die Leistungen für Pflegepersonen, die
Pflegeperson selbst. Auch Bevollmächtigte können einen Antrag stellen. In Betracht kommen
hier Familienangehörige, Nachbarn und Freunde. Nach der Antragstellung werden die
Betroffenen einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) unterzogen. Die Begutachtung erfolgt zu Hause. Bei diesem Ortstermin wird ermittelt,
welche und wieviel Hilfe erforderlich ist. Dieser Termin ist sehr wichtig, denn er ist
maßgebend für die Einstufung in die Pflegestufe.
Soll ein ambulanter Pflegedienst mit der Pflege beauftragt werden, muß man einen
sogenannten Pflegevertrag abschließen. Diesen Vertrag sollte man schriftlich abschließen.
Inhaltlich ist ein solcher Vertrag ähnlich komplex wie ein Mietvertrag über eine Wohnung.
Allerdings gibt es folgende Erleichterung: Einige wichtige Fragen sind bereits in den LandesRahmenverträgen nach § 75 des Sozialgesetzbuches (SGB XI) bzw. in den Qualitätsgrundsätzen nach § 80 SGB XI geregelt. Der Pflegedienst ist aufgrund dieser Verträge und
Gesetze beispielsweise verpflichtet, mit der Pflegekasse monatlich direkt abzurechnen und
über konkret erbrachte Leistungen einen Nachweis zu führen. Der Pflegedienst ist
verpflichtet, eine Dokumentation zu führen, in der die Einzelheiten über die durchgeführten
Pflegeleistungen jederzeit ablesbar sind. Er muß den Nachweis erbringen, daß er eine
Berufs- und Betriebshaftpflicht abgeschlossen hat. Der Pflegedienst hat außerdem die
Einhaltung der Qualitätsstandards nach § 80 SGB XI sicherzustellen. Die Qualitätsvereinbarungen nach dem SGB XI regeln datenschutzrechtliche Fragen sowie
Voraussetzungen und Umfang von Prüfungen, die vom Medizinischen Dienst der
Krankenkassen durchgeführt werden. Die Qualitätskontrolle der Pflege umfaßt
beispielsweise die Überprüfung der personellen Ausstattung und die Sicherstellung der
Wirtschaftlichkeit des Pflegedienstes, sowie die Pflicht, Kontrollmaßnahmen zu ergreifen.
Im einem Vertrag für die ambulante Pflege sollte man ganz besonders auf folgende Punkte
achten: Die bloße Benennung der Pflegeleistungen als Grundpflege, sowie die Anzahl der
Einsätze reicht nicht aus. Der Pflegebedürftige muß klar erkennen können, welche Dienste
für welches Entgelt erbracht werden und welche Kosten er selbst übernehmen muß. Die
entsprechenden Leistungskomplexe müssen aus diesem Grunde für Tag, Woche und Monat
sowie Nacht- und Wochenendeinsätze, Wegegeldpauschalen etc. konkret benannt werden.
Die Leistungen müssen den Entgelten gegenüberstehen und addiert werden. Zugleich
müssen die von der Pflegekasse übernommenen Anteile von den Kosten getrennt werden,
die der Pflegebedürftige selbst übernehmen oder gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend
machen muß. Der sich daraus ergebende Restkostenanteil muß exakt genannt werden.
Sollten Pflegekassen und Pflegedienste eine Erhöhung des Entgelts vereinbaren, ist die
neue Berechnung nicht rückwirkend möglich. Eine vertragliche Bestimmung darf nicht einmal
den Anschein erwecken, als sei eine rückwirkende Erhöhung statthaft. Eine Erhöhung ist erst
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ab dem 1. Tag des auf den Zugang der Ankündigung folgenden Monats statthaft (Beispiel:
am 12. März kündigt der Pflegedienst eine Erhöhung der Entgelte an. Die Erhöhung darf
dann erst zum 01. April in Kraft treten). Der Pflegebedürftige ist auf sein Recht zur
Kündigung des Vertrages aufgrund der Erhöhung hinzuweisen. Muß ein vereinbarter
Pflegeeinsatz aus vom Pflegebedürftigen zu vertretenden Gründen abgesagt werden, ist es
angemessen, daß dieser bis zum Mittag des Vortages abgesagt werden muß. Wird der
Einsatz später abgesagt, muß sich der Pflegedienst die ersparten Aufwendungen
(Fahrtkosten, anderweitiger Einsatz des Personals etc.) anrechnen lassen. Eine im Notfall
erforderliche Einlieferung in ein Krankenhaus hat der Pflegebedürftige in keinem Fall zu
vertreten.
Für die Kündigungsfristen sollte gelten: Der Vertrag sollte keine Bestimmung enthalten, die
dem Pflegebedürftigen eine längere Kündigungsfrist als eine Woche auferlegt; gleichfalls
keine Bestimmung, nach welcher der Pflegedienst sich eine kürzere Frist als vier Wochen
zur ordentlichen Kündigung ausbedingt. Die Frist kann sich nur in dem Fall verkürzen, wenn
die Pflege vor Ablauf der Frist durch einen anderen Pflegedienst oder Angehörige
sichergestellt ist. Die Kündigung durch den Pflegedienst bedarf der Schriftform. Keinesfalls
hinnehmen sollte man auch eine Bestimmung, durch die das Recht zur Kündigung aus
wichtigem Grund beschränkt wird.
Siehe auch unsere Broschüren:




Wegweiser durch die ambulanten Pflegedienste in Bremen
Ambulante Pflegedienste – Ihre Rechte als Pflegebedürftiger (DAK)
Pflegegutachten
Pflegefall, was tun
Schadenersatz
Wenn ein Behandlungsfehler vorliegt, kann man gegen den Arzt, der einem den Schaden
zugefügt hat, Schadensersatz geltend machen. Der Anspruch auf Schadensersatz gründet
sich zum einen auf die Verletzung des Behandlungsvertrages, den man mit seinem Arzt oder
dem Krankenhaus abgeschlossen hat, zum anderen auf die sogenannte deliktische Haftung,
nach der für vorsätzlich oder fahrlässig verursachte Schäden an Körper, Gesundheit oder
Eigentum eines Menschen Ersatz geleistet werden muß. Vertragliche und deliktische
Haftung bestehen nebeneinander. Der Schadensersatz umfaßt beispielsweise: Die Kosten
für eine zusätzliche Heilbehandlung, Nachbehandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen,
Verdienstausfall- oder minderung, Pflegekosten, die Kosten für eine Haushaltshilfe usw.
Darüber hinaus ist es auch möglich, ein Schmerzensgeld zu erhalten.
Sowohl Schmerzensgeld, als auch der übrige Schadensersatz können in Form einer
einmaligen Zahlung oder einer Geldrente abgegolten werden. Hier sollte man allerdings
vorsichtig sein, wenn es um den Ausschluß von Spätschäden geht. Die Haftpflichtversicherer
verlangen dies oft im Zusammenhang mit einmaligen Zahlungen.
Siehe auch unter: Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Behandlungsfehler, Schmerzensgeld,
Verjährung.
Schmerzensgeld
Bei Behandlungsfehlern kann man zusätzlich zum Ersatz der materiellen Schäden (siehe:
Arzthaftung, Schadenersatz) ein Schmerzensgeld beanspruchen. Die obergerichtliche
Rechtsprechung sieht den Anspruch auf Schmerzensgeld nicht als gewöhnlichen
Schadensersatzanspruch, sondern als einen Ausgleichsanspruch mit einer doppelten
Funktion. Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für
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die erlittenen Schäden bieten und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der
Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet. Das
Schmerzensgeld soll körperliche und seelische Schmerzen, die Einbuße an Lebensfreude
ausgleichen. Dieser Anspruch ist mit Geld nur sehr unvollkommen und mittelbar zu
verwirklichen, zumal in Deutschland die Entschädigung für erlittene Schmerzen
unterbewertet ist.
Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend sind: Das
Ausmaß der Schmerzen (Intensität, Dauer, Folgeschäden, Entstellungen etc.); andererseits
spielt auch der Grad des Verschuldens eine Rolle (Vorsatz, leichte Fahrlässigkeit). Ein
Mitverschulden mindert den Anspruch. Dabei ist jeder Fall anders und muß nach Abwägung
aller Einzelumstände für sich beurteilt werden. Zudem ist es, wenn man sich außergerichtlich
einigen kann, auch eine Frage des Verhandlungsgeschicks, beim Schädiger oder dessen
Versicherung ein möglichst hohes Schmerzensgeld herauszuhandeln.
Einige Beispiele:




250 bis 1000 Euro für HWS (Schleudertrauma) nach einem Verkehrsunfall.
4000 Euro für Narben mit schlechter Heilung am Gesäß aufgrund einer falschen
Spritzen-Behandlung.
17.500 Euro für die Folgen einer fehlgeschlagenen Knieoperation, die mehrere
Folgeoperationen notwenig machte, trotz derer das Kniegelenk steif blieb.
200.000 Euro für einen schweren Geburtsschaden mit gravierenden körperlichen und
geistigen Beeinträchtigungen.
Siehe auch: Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Behandlungsfehler, Schadenersatz, Verjährung.
Schweigepflicht
Ein Arzt muß gegenüber jedermann Stillschweigen bewahren über Erkrankungen und alles,
was man ihm anvertraut. Die Schweigepflicht gilt über den Tod hinaus. Die Schweigepflicht
gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für andere Angehörige der Heilberufe, beispielsweise
Heilpraktiker und Psychologen. Die Schweigepflicht gilt auch für Mitarbeiter der genannten
Berufe. Verstößt ein Angehöriger der Heilberufe gegen die Schweigepflicht, macht er sich
strafbar. Nur der Patient selbst kann den Arzt von der Schweigepflicht entbinden
(beispielsweise anläßlich eines Verkehrsunfall-prozesses).
Ausnahmen von der Schweigepflicht gelten dann, wenn der Patient an einer meldepflichtigen
Krankheit (beispielsweise einer Geschlechtskrankheit) leidet. Die Problematik der
Schweigepflicht und des Datenschutzes überschneiden sich, sind aber nicht deckungsgleich.
Siehe deshalb auch: Datenschutz.
Selbstbestimmungsrecht
Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfaßt das Recht, umfassend aufgeklärt (oder
nicht aufgeklärt) zu werden und jeder medikamentösen, operativen oder sonstigen
Behandlungsmaßnahme zuzustimmen oder sie abzulehnen. Diesen Grundsatz hat schon
das Reichsgericht einst sehr treffend fixiert:
Daß jemand nach eigener Überzeugung oder nach dem Urteile seiner Berufsgenossen die
Fähigkeit besitzt, das wahre Interesse seines Nächsten besser zu verstehen, als dieser
selbst, dessen körperliches und geistiges Wohl durch geschickt und intelligent angewendete
Mittel vernünftiger fördern zu können, als dieser es vermag, gewährt jenem entfernt nicht
irgend eine rechtliche Befugnis, nunmehr nach eigenem Ermessen in die Rechtssphäre des
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Anderen einzugreifen, diesem Gewalt anzutun und dessen Körper willkürlich zum
Gegenstande gutgemeinter Heilversuche zu benutzen.
Siehe auch unter: Aufklärungspflicht.
Verjährung
Für den Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gilt eine Verjährungsfrist von drei
Jahren. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt erst mit der Kenntnis aller
haftungsbegründenden Umstände und der Kenntnis von der Person des Schädigers zu
laufen. Wird das Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen zu Unrecht verweigert, oder wiegelt
der Arzt mit der Auskunft, die negativen Behandlungsfolgen seien lediglich vorübergehend,
Fragen des Patienten ab, läuft die Frist noch nicht. Während der Verhandlung vor einer
Schlichtungsstelle (siehe: Arzthaftung) oder während man selber mit der Gegenseite
verhandelt, ist die Verjährung gehemmt, das heißt, sie läuft nicht weiter, bis das Verfahren
abgeschlossen ist. Den endgültigen Ablauf der Verjährungsfrist kann man nur mittels einer
Klageerhebung vor Gericht unterbrechen.
Vorsorgevollmacht
Ein Weg, einem Patienten auch über den Zeitpunkt des Verlustes seiner Geschäftsfähigkeit
hinaus eine Möglichkeit der Einflußnahme auf medizinische Entscheidungen für seine
Person zu sichern, ist die sogenannte Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten, die
sogenannte Vorsorgevollmacht. Auf diesem Wege legt der Patient nicht nur im voraus fest,
wie im Falle seiner Entscheidungsunfähigkeit seine medizinische Versorgung aussehen soll,
sondern auch, wer seine Wünsche in diesem Fall durchsetzen soll. Es liegt auf der Hand,
daß eine optimale Durchsetzung des vom Patienten geäußerten Willens nur dann
gewährleistet ist, wenn der Patient einen bevollmächtigten Fürsprecher hat, der seine
Wünsche mit Nachdruck vertritt. Sinnvollerweise sollte man deshalb eine Patientenverfügung
und eine Vorsorgevollmacht verfassen oder beide in einer Verfügung verbinden.
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung bedürfen gesetzlich
keiner Form. Allerdings ist es in jedem Fall empfehlenswert, diese Verfügungen schriftlich
niederzulegen und möglichst noch von Zeugen gegenzeichnen zu lassen. Ein Zeuge kann
gleichzeitig die Funktion der Vertrauensperson einnehmen, die im Ernstfall die
Entscheidungen treffen soll. Benennt man mehrere Personen, muß genau festgelegt werden,
wer über welchen Bereich entscheiden soll.
Siehe auch: Patientenverfügung, Betreuungsverfügung.
Wartezeit
Wer als Patient nicht ohne Termin in die Praxis kommt, sondern einen festen Termin
ausgemacht hat, den darf der Arzt nicht unnötig lange warten lassen. Dauert es unzumutbar
lange, bis der Patient an die Reihe kommt oder kommen soll, darf er die Arztpraxis
verlassen. Unter Umständen ist es sogar möglich, vom Arzt eine Entschädigung für die
Wartezeit zu erhalten. Die verlorene Freizeit ist allerdings nicht ersetzbar. Man muß vielmehr
einen Verdienstausfall geltend machen und beweisen, was nicht leicht ist. Es ist sinnvoll, zu
versuchen, sich mit dem Arzt zu einigen, da in diesem Fall nur sehr bedingt zu einem
gerichtlichen Vorgehen geraten werden kann.
Siehe auch: Arzttermin
Zahnbehandlung
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Prinzipiell gilt für die Zahnarzthaftung das Gleiche wie für die Haftung eines jeden Arztes,
das heißt: ein Zahnarzt muß seine Patienten aufklären, er muß auf Behandlungsalternativen
hinweisen und er muß die Behandlung medizinisch korrekt und nach dem neuesten Stand
der Technik durchführen etc.
Die Gewährleistungspflicht für die ordnungsgemäße Ausführung der zahnärztlichen Arbeiten
liegt bei zwei Jahren. Ein Zahnarzt ist seinen Patienten darüber hinaus auch dafür
verantwortlich, dass die Arbeiten aus dem Dentallabor qualitativ in Ordnung sind. Aus
diesem Grunde sollte man alle Heil- und Kostenpläne nebst den Zahnarztrechnungen einige
Jahre lang aufheben.
Gerade im Bereich der Zahnheilkunde ist ohne Begutachtung der Werkleistung kaum zu
klären, wer im Recht ist. Aus diesem Grunde ist es ratsam, selbst eine außergerichtliche
Einigung anzustreben oder die Schlichtungstellen der Zahnärztekammern anzurufen, bevor
man einen Prozeß anstrengt. Auch die Krankenkassen beraten ihre Versicherten zu einigen
Problemen der Zahnbehandlung und helfen dabei den Sachverhalt aufzuklären.
IV. Betreuungsrecht
I. Allgemeines
Das Betreungsrecht ist mit Wirkung zum 01.01.1992 an die Stelle der Entmündigung bzw.
Vormundschaft getreten.
Das Betreuungsrecht ist in folgenden Gesetzen geregelt:
- Materielles Recht:
§§ 1896 – 1908i BGB
- Gerichtliches Verfahren:
(Unterbringungsverfahren)
§§ 65 – 69o FGG sowie §§ 70 – 70n FGG
Nachdem das Betreuungsrecht in den vergangenen Jahren große Relevanz gewonnen hat,
gibt es eine Vielzahl von Personen, die mit dem Betreuungsrecht befasst sind.
Dies sind im Einzelnen:
- Ehrenamtliche Betreuer
- Berufsbetreuer, wie z. B. Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Juristen
- Betreuungsbehörden und Betreuungsvereine
- Richter und Rechtspfleger bei den Gerichten.
II. Die Voraussetzungen der Betreuung
Die Voraussetzungen für die Einrichtung der rechtlichen Betreuung sind in den §§ 1896
Abs.1 und 2 BGB geregelt.
1. Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung
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§ 1896 Abs.1, Satz 1 BGB setzt das Vorliegen einer psychischen Krankheit und einer
geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderung voraus, die es dem Betroffenen
unmöglich macht, Entscheidungen in gewissen Rechtsangelegenheiten in ausreichendem
Umfang selbst treffen zu können.
Es kommt daher darauf an, dass durch die Krankheit die Fähigkeit zur freien Willensbildung
vermindert oder behindert ist.
Das Unvermögen zu Besorgung eigener Angelegenheiten bestimmt sich nach dem
konkreten Lebenszuschnitt des Betroffenen. Wer zum Beispiel über kein Vermögen verfügt,
benötigt keine Betreuung, wenn er nicht in der Lage ist Vermögen zu ordnen oder zu
verwalten.
Auch ist keine Betreuungsbedürftigkeit gegeben, wenn der Betroffene etwas nicht kann,
wofür auch ein gesunder Volljähriger qualifizierte Personen, wie zum Beispiel einen
Rechtsanwalt oder Steuerberater einschalten würde.
Auch benötigt zum Beispiel ein psychisch Kranker, dem die Erkenntnis fehlt krank zu sein,
keinen Betreuer, wenn sich die fehlende Erkenntnis nicht auf seinen Alltag auswirkt und er
dadurch in seinem Alltag nicht beeinträchtigt wird.
Insoweit ist ferner zu beachten, dass § 1896 Abs.1a BGB normiert, dass gegen den freien
Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf.
Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine sogenannte „Zwangsbetreuung“ nur bei
geschäfts-unfähigen Personen im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB zulässig und nötig ist.
Geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB ist eine Person dann, wenn sie überhaupt
keinen freien Willen mehr bilden kann.
§ 1896 Abs.1a BGB ist dahingehend auszulegen, dass sich der fehlende freie Wille auf die
Frage der Betreuerbestellung beziehen muss.
Eine Zwangsbetreuung bei einer körperlichen Behinderung ist nicht möglich, da die Betreuerbestellung bei einer körperlichen Behinderung einen Antrag des Betreuten gemäß § 1896
Abs.1, Satz 3 BGB voraussetzt.
2. Erforderlichkeit
§ 1896 Abs.2 BGB setzt weiter voraus, dass ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt
werden darf, in denen ein Betreuung „ erforderlich“ ist. Danach ist eine Betreuung nicht
erforderlich, soweit die Angelegenheit des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten oder
durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch
einen Betreuer besorgt werden kann.
a) Vorrang anderweitiger Hilfen
Dies bedeutet, dass andere Hilfen, wie zum Beispiel Nachbarn Verwandte Bekannte oder
auch soziale Dienste vorrangig sind, soweit sie die Defizite des Betroffenen ausgleichen
können.
Soweit dem Betroffenen durch eine Bevollmächtigung durch eine andere Person hinreichend
geholfen werden kann, ist dies ebenso vorrangig.
Erteilt also der Betroffene eine Vollmacht zur Versorgung bestimmter Angelegenheiten so
schließt dies für diese Angelegenheit eine Betreuung aus.
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Voraussetzung für eine derartige Vollmacht ist jedoch, dass die Vollmacht vom Betroffenen
in einem geschäftsfähigen Zustand errichtet worden ist und zugleich der Bevollmächtige
auch bereit ist entsprechend der Vollmacht zu handeln.
Die Bevollmächtigung bedarf grundsätzlich nicht der schriftlichen Form. Um jedoch
Rechtssicherheit zu erlangen, sollte eine entsprechende Bevollmächtigung stets schriftlich
abgefasst werden.
Da Banken und das Grundbuchamt zum Beispiel privatschriftliche Urkunden nicht
akzeptieren, ist es daher sinnvoll, die entsprechende Vollmacht notariell beurkunden zu
lassen.
Dies gilt auch für den sehr schwierigen Bereich der freiheitsentziehenden Maßnahmen und
der Einwilligung in gefährliche Behandlungen.
Hier muss gemäß § 1906 Abs.5, Satz 1 und § 1604 Abs.2, Satz 2 BGB die Vollmacht
schriftlich erteilt sein und die vorbenannten Befugnisse umfassen.
b) Festlegung des Aufgabenkreises
§ 1896 Abs.1, Satz 1 BGB bestimmt zudem, dass die Betreuung nur für diejenigen Arten von
Angelegenheiten angeordnet werden darf, die der Betroffene nicht selbst besorgen kann.
Soweit eine Krankheit also den Betroffenen nur in einem Lebensbereich oder in wenigen
Lebens-bereichen beeinträchtigt, muss die Betreuung auf diese Lebensbereiche beschränkt
werden.
Selbst wenn der Betroffene sich um einige Angelegenheiten selbst nicht kümmern kann,
jedoch zugleich absehbar ist, dass hier kein Regelungsbedarf besteht, darf auch für diesen
Aufgabenkreis kein Betreuung angeordnet werden.
c) Die einzelnen Aufgabenkreise
Die Betreuung erstreckt sich nur auf die Angelegenheiten, deren Erledigung das Geicht dem
Betreuer überträgt. Dies sind die sogenannter Aufgabenkreise.
Aufgrund des Erforderlichkeitsgrundsatzes des § 1896 Abs.2, Satz 1 BGB darf eine
Betreuung nur für solche Angelegenheiten eingerichtet werden, die der Betroffene selbst
nicht regeln kann.
Keine Betreuung kann für Angelegenheiten eingerichtet werden, die der Betreute
höchstpersönlich ausführen muss bzw. kann.
Höchstpersönliche Angelegenheiten sind.
- Die Eheschließung
- Der Anspruch auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft
- Die Errichtung eines Testamentes und eines Erbvertrages
- Die Einwilligung in die Adoption
- Die Beschuldigtenstellung im Strafverfahren.
Die §§ 1909, 1666, 1667, 1674 BGB stellen zudem eine abschließende Spezialregelung für
den Fall der Ausübung der elterlichen Sorge dar. Demzufolge kann der Betreuer nicht die
elterliche Sorge für ein Kind des Betreuten ausüben. Ist der Betreute hierzu nicht mehr in der
Lage, muss dem Kind hierfür ein Vormund oder Pfleger bestellt werden.
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Im Wesentlichen betrifft die Betreuung nachfolgende Aufgabenkreise:
aa) Vermögensbetreuung
Hier kommt sowohl die Verwaltung des Vermögens im Ganzen auch als die Verwaltung
einzelner Vermögensangelegenheiten in Betracht.
Zu beachten ist, dass die Betreuung hier für einzelne Rechtsgeschäfte, wie zum Beispiel nur
für eine Erbauseinadersetzung oder den Verkauf einer einzelnen Immobilie eingerichtet
werden kann.
Soweit das Vermögen nicht durch den Betreuten selbst verwaltet wird und lediglich ein
Einwil-ligungvorbehalt angeordnet wurde, obliegen dem Betreuer, der das Vermögen
verwaltet, bestimmte Pflichten.
So muss der Betreuer nach §§ 1908 i Abs.1, Satz. 1, 1802 BGB ein sogenanntes
Vermögens-verzeichnis erstellen. In diesem Zusammenhang muss er alle Sachen und
Forderungen sowie Verbindlichkeiten jeglicher Art auflisten. Dabei muss der Betreuer oft alle
Unterlagen durchsehen, um ein derartiges Vermögensverzeichnis erstellen zu können.
Insbesondere muss er klären:
- Welche Bankverbindungen bestehen
- Welche Konten sind vorhanden
- Wurden die Steuererklärungen gemacht
- Wer hat Kontovollmachten
- Hat der Betreute Verfügungen vorgenommen, welche rückabgewickelt werden
müssen
Zu beachten ist hierbei, dass zum Auffinden der Unterlagen oft die Durchsuchung der
Wohnung notwendig ist. In diesem Zusammenhang ist dem Betreuer zu raten hierzu stets
Zeugen hinzuzu-ziehen, um sich keinem Haftungsanspruch gegenüber dem Betreuten
auszusetzen.
Soweit der Betreuer sich um sogenanntes Anlagegeld kümmern muss, muss der Betreuer
dies grundsätzlich verzinslich anlegen. Darüber hinaus muss er das Geld, welches er zu
Bestreitung seiner Aufgaben benötigt, getrennt von seinem eigenen Vermögen sicher
verwahren (§§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1805, 1806 BGB).
Darüber hinaus muss der Betreuer nach §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1840 Abs.2,3 BGB dem
Vor-mundschaftsgericht einmal jährlich Rechnung legen.
Ferner gibt es zahlreiche Arten von Geschäften, die der Betreuer nicht ohne Genehmigung
des Vormundschaftsgerichtes oder eines Gegenbetreuers vornehmen kann.
Dies sind:
- §§ 1980i Abs.1, Satz 1, 1810 BGB Mündelsichere Anlagen
- §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1812 Abs.1 BGB Verfügungen über Forderungen und andere
Rechte
Ausnahmen von der Genehmigungspflicht:
- Handeln als Mitbetreuer §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1812 Abs.3 BGB
- Bei Annahme einer geschuldeten Leistung §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1813 BGB
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- Bei geringem Vermögen §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1817 BGB
- Auflösung oder Gründung eines Erwerbsgeschäftes §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1823
BGB
- Kreditaufnahme, Ausstellung von Schecks und Übernahme einer Bürgschaft oder
fremder Schuld §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1822 Nr. 8 – 10 BGB
- Streng genehmigungspflichtige Geschäfte §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1819, 1820,
1821,1822 BGB
- Kündigung und Aufhebung eines Mietverhältnisses über die Wohnung des Betreuten
§ 1907 Abs.1 BGB
- Abschluss eines Miet oder Prachtvertrages über mehr als vier Jahre § 1907 Abs.3
BGB
- Ausstattung eines Kindes § 1908 BGB
- Verbotene Geschäfte, Schenkungen aus dem Vermögen des Betreuten §§ 1908i
Abs.1, Satz 1, 1804 Satz 1 BGB; ausgenommen sind Anstandsschenkungen wie
Geburtstagsgeschenke, Trinkgelder und ähnliches soweit sie sich im Rahmen des
allgemein üblichen bewegen. Erlaubt dagegen sind auch Schenkungen, die dem
Wunsch des Betreuten entsprechen und dieser sich mit Rücksicht auf seine Lebensverhältnisse auch erfüllen kann. Nicht als Schenkung beurteilt wird die Belohnung
einer besonderen Leistung oder die Ausstattung eines Kindes bei Verselbstständigung oder Heirat. Gleiches gilt für ehebedingte Zuwendungen.
Keine Schenkung darf an den Betreuer selbst erfolgen.
bb) Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs
Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis steht unter dem besonderen
verfassensrechtlichen Schutzes des Artikel 10 Abs. 1 GG.
Danach muss die Betreuung für diesen Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs.4 BGB gesondert
angeordnet werden.
Eine Zuweisung des Aufgabenkreises persönliche Angelegenheiten oder die allgemeine
pauschale Zuweisung von alle Angelegenheiten bezieht sich nicht auf die Überwachung des
Post und Fernmeldeverkehrs.
Hier handelt es sich um einen sehr sensiblen Aufgabenkreis, der in Zusammenarbeit mit
dem Betreuten mit Fingerspitzengefühl zu lösen ist.
Oft ist es notwendig, das der Betreuer die Briefe des Betreuten kennen muss, um seine
Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können.
Dem Betreuer ist es daher grundsätzlich erlaubt, Briefe zu lesen, die der Betreute bereits
geöffnet hat und Briefe an den Betreuten mit dessen Einwilligung zu öffnen und zu lesen.
Auch kann der Betreuer Geschäftspartner des Betreuten bitten, wichtige Briefe unmittelbar
an den Betreuer selbst zu adressieren.
Sind diese Maßnahmen ausgeschöpft sind oder Führen nicht zum Erfolg, ist es Aufgabe des
Betreuers nach § 1901 Abs.5, Satz 2 BGB anzuregen, seinen Aufgabenkreis entsprechend
zu erweitern.
Zu beachten ist, dass der Briefverkehr, der mit einem Anwalt des Betreuten stattfindet, der
diesen in einem Betreuungs- oder Unterbringungsverfahren vertritt, für den Betreuter absolut
tabu ist.
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cc) Betreuung in Wohnungsangelegenheiten
Zunächst ist zu beachten, dass die Betreuung in Wohnungsangelegenheiten nicht
gleichgesetzt werden kann mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung.
Der Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten umfasst Rechtsgeschäfte, die die Wohnung
betreffen. Oft vermischt sich dieser Aufgabenkreis mit dem der Vermögensangelegenheiten,
wenn es zum Beispiel um Mietzinszahlungen, Mieterhöhungsverlangen und dergleichen
geht.
Die Zuweisung dieses Aufgabenkreises berechtigt den Betreuer jedoch nicht zum Betreten
der Wohnung des Betreuten ohne dessen Einwilligung oder ohne dessen Wissen. der Grund
hierfür ist Art. 13 GG die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung.
Eine vormundschaftliche Genehmigung ist notwendig für:
-
-
Kündigung des Mietvertrages über die Wohnung des Betreuten § 1907 Abs.1, Satz 1
BGB
den Abschluss eines Aufhebungsvertrages hinsichtlich eines bestehenden
Mietvertrages
§ 1907 Abs.1, Satz 2 BGB
die Vermietung der Wohnung des Betreuten § 1907 Abs.3 BGB
Ferner muss der Betreuer gemäß § 1907 Abs.2 BGB dem Vormundschaft mitteilen, wenn er
die Wohnung des Betreuten aufgeben möchte
dd) Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten
Bei den Gesundheitsangelegenheiten sind verschiedene Bereiche voneinander
abzugrenzen.
Zum einen die zivilrechtliche Beziehung zwischen Arzt und Patient, dann die sozialrechtliche
Beziehung zwischen Arzt, Patient und Krankenhaus und zuletzt der sogenannte Rechtfertigungsgrund im Sinne des Strafrechts in Form der Einwilligung in eine medizinische
Behandlung.
Soweit seitens des Gerichts nur eine Betreuung hinsichtlich der Einwilligung in eine ärztliche
Be-handlung angeordnet worden ist, ist hiervon nur die letzte Fallgruppe umfasst.
Soweit eine Betreuung für alle persönlichen Angelegenheiten, die Personensorge oder die
Gesundheitsvorsorge eingerichtet worden ist, sind alle drei Bereiche von der Betreuung
umfasst.
- Patienten- und Betreuungsverfügung
Oft treffen Menschen solange sie gesund sind und Herr ihrer Sinne sind, sogenannte
Patienten- und Betreuungsverfügungen.
In diesen wird geregelt, wie Verfahren werden soll, wenn ein bestimmter medizinischer
Zustand eintritt. Oft wird in diesem Zusammenhang auch festgelegt, wann eine Behandlung
beendet werden oder gar nicht erst begonnen werden soll.
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Bei einer Patientenverfügung erklärt sich der Unerzeichner dahingehend, ob und auf
welche Weise eine Behandlung durchgeführt werden soll, wenn der Betroffene nicht mehr in
der Lage ist, selbst einzuwilligen.
Damit bringt der Patient vorab seinen Willen zum Ausdruck, so dass der Arzt entsprechend
der Ver-fügung handeln muss. Der Arzt darf sich über diese Verfügung nur dann
hinwegsetzen, wenn er nach sorgfältiger Überprüfung der aktuellen Situation zu dem
Ergebnis gelangt ist, dass diese Situation sich abweichend darstellt von derjenigen, die der
Patient in seiner Verfügung benannt hat und er davon ausgehen kann, dass sich der Patient
in der aktuellen Sachlage anders entscheiden würde.
Der Arzt darf sich auch über eine derartige Patientenverfügung hinwegsetzen, wenn der
Betreuer in eine bestimmte Behandlung eingewilligt hat. Der Betreuer ist im Rahmen seiner
Einwilligung jedoch an den § 1801 Abs.3, Satz 1 BGB gebunden.
Bei der Betreuungsverfügung bestimmt der Betroffenen für den Fall, dass er nicht mehr in
der Lage ist, sich um seine Angelegenheit selbst zu kümmern und ein Betreuer eingesetzt
werden muss in aller Regel den Betreuer und verfügt sodann, auf welche Weise dieser sein
Amt versehen soll. Auch hier kann sich der Betreuer über die Betreuungsverfügung
hinwegsetzen, wenn der Betreute erkennbar an seiner Betreuungsverfügung nicht mehr
festhalten will oder aber das Wohl des Betreuten dem Wunsch des Betreuten entgegensteht.
Der Betreuer ist hier an § 1901 Abs.4, Satz 1 BGB gebunden, wonach es zum Wohl des
Betreuten gehört, was zur Heilung oder Linderung in einer Krankheit beiträgt.
Insoweit darf der Betreuer eine notwendige und aussichtsreiche medizinische Behandlung
vornehmen lassen, auch wenn diese gegen den Inhalt einer Betreuungsverfügung verstößt.
Dies gilt jedoch nicht, wenn bereits der Sterbeprozess eingesetzt hat. Da das Sterben zum
Leben gehört und es dem Betreuten freisteht, sein Leben so zu gestalten wie er es wünscht,
ist hier der Wunsch des Betreuten zu berücksichtigen.
In einigen Fällen bedarf der Betreuer für seine Einwilligung in eine medizinische Behandlung
zusätzlich der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes.
Die ist im Einzelnen dann der Fall, wenn
- Der Eingriff besonders gefährlich ist § 1904 Abs.1 BGB
- Der Patient sterilisiert werden soll § 1905 Abs.2, Satz 1 BGB
- Die Bewegungsfreiheit des Patienten beschränkt werden soll § 1906 Abs.4 BGB
Gefährlich ist eine Behandlung im Sinne des § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB, wenn die mit Ihnen
verbundenen Risiken das Risiko des Todes oder eines schweren und länger andauernden
gesundheitlichen Schadens verursachen kann.
Ein schwerer Schaden ist zum Beispiel der Verlust der Sprache, des Sehens oder des
Hörens oder der Verlust eines wichtigen Körpergliedes wie auch eine erhebliche
Einschränkung der Beweglichkeit.
Ein Schaden ist länger andauernd, wenn er nicht innerhalb eines Jahrs nach Abschluss der
Behandlung verschwindet.
Eine Gefahr ist erheblich, wenn eine einige Wahrscheinlichkeit für Ihr Auftreten spricht.
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In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass je schwerwiegender die befürchtete Folge
ist, um so geringer muss der Grad der Wahrscheinlichkeit für sein Eintreten sein.
Dem § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB ist zudem zu entnehmen, dass die Möglichkeit eines
Kunstfehlers nicht zu berücksichtigen ist, da § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB von der
kunstgerechten Durchführung der Behandlung spricht.
Die vormundschaftliche Genehmigung kann entfallen, wenn Gefahr in Verzug ist.
Verfahrenstechnisch ist zur vormundschaftlichen Genehmigung die persönliche Anhörung
des Betreuten durch das Gericht gemäß § 69d Abs.1, Satz 2 FGG und die Einholung eines
Sachverständigengutachten nach Satz 1 zwingend vorgeschrieben.
Zu beachten ist, dass das sogenannte Narkoserisiko bei einer Operation bei kunstgerechter
Behandlung unterhalb der Schwelle des § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB liegt. Dies bedeutet, dass
eine vormundschaftliche Genehmigung hierzu gerade nicht erforderlich ist. Etwas anders
kann sich daraus ergeben, wenn der Patient alt und anfällig ist oder gesundheitliche
Vorschäden bestehen.
- Die Sterilisation
Grundsätzlich ist eine Sterilisation bei Volljährigen erlaubt. Voraussetzung ist, dass der
Patient einwilligungsfähig ist.
Ist eine volljährige Person nicht einwilligungsfähig, kann ein Betreuer in die Sterilisation
einwilligen. Hierfür müssen jedoch zahlreiche formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt
sein.
Die materiellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Sterilisation ergeben sich aus
§ 1905 BGB.
- die Sterilisation darf nicht gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden.
- der Betreute muss dauernd einwilligungsunfähig sein
- eine Schwangerschaft muss drohen
- bei drohender Schwangerschaft muss dies eine Gefahr für das Leben der Frau
oder für schwerwiegende körperliche oder seelische Schäden bergen
- die Gefahr der Schwangerschaft darf nicht anders abgewendet werden können,
wie zum Beispiel durch andere Empfängnisverhütungsmethoden.
Formell, also verfahrenstechnisch ist
- Nach § 1899 Abs.2 BGB ein zusätzlicher Betreuer erforderlich
- Die vormundschaftliche Genehmigung nach § 1905 Abs.2 Satz BGB erforderlich
- Muss der Betroffene von dem Richter persönlich angehört werden und ein
medizinisches Gutachten erstellt werden.
- Soweit es das Geicht für erforderlich hält die Einsetzung eines Verfahrenspflegers
notwendig § 67 Abs.1, Satz 5 FGG.
- Darf der Eingriff frühestens zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung
über die Genehmigung ausgeführt werden (§ 1905 Abs. 2 Satz 2 BGB)
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- Die Freiheitsentziehung
siehe unter ee) (3) Sonderproblem
ee) Die Bestimmung von Aufenthalt und Umgang
Dem Betreuer kann nach §§ 1908i Abs. 1, Satz 1, 1632 BGB auch die Bestimmung des
Aufenthaltes und des Umganges des Betreuten übertragen werden.
Es handelt sich hierbei grundsätzlich um zwei verschiedene Aufgabenkreise, welche
gemeinsam oder getrennt angeordnet werden können. Die Bestimmung von Aufenthalt und
Umgang ist in dem umfassenden Aufgabenkreis der „Personensorge“ oder dem
Aufgabenkreis der „persönlichen Angelegenheiten“ enthalten.
Mit Übertragung des Aufgabekreises Aufenthaltsbestimmung trifft den Betreuer eine
eigenständige Pflicht, den Betreuten an- und abzumelden.
Soweit ein Einwilligungsvorbehalt für diesen Aufgabenbereich angeordnet wird, ist der
Einwilligungsvorbehalt für die Aufenthaltsbestimmung der Meldebehörde nach § 69l Abs. 2
FGG mitzuteilen.
Grundsätzlich kann in diesem Bereich ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden. Dieser
bezieht sich jedoch nicht auf das Aufenthalts- und Umgangsbestimmungsrecht selbst,
sondern damit zusammenhängende Handlungen wie z. B. Anträge auf Ausstellung eines
Passes, Verlängerung einer Aufenthaltsberechtigung und dergleichen.
(1) Bestimmung des Umgangs
Umgang im betreuungsrechtlichen Sinne ist der Kontakt des Betreuten mit der Außenwelt,
gleichgültig in welcher Art und Weise.
Hierzu gehört auch der persönliche Kontakt, Besuche, Briefwechsel und Telefongespräche.
Ein Betreuer für diesen Aufgabenkreis wird nur eingesetzt, wenn ein falscher Umgang die
Gesundheit des Betreuten beeinträchtigen kann.
Grundsätzlich haben nahe Angehörige kein eigenes Umgangsrecht mit dem Betreuten, da
das gesetzlich geregelte Umgangsrecht für den Umgang mit Minderjährigen ausgestaltet
worden ist.
Das Umgangsrecht von Angehörigen mit volljährigen Personen unterfällt jedoch dem Schutz
von Ehe und Familie nach Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz, so dass ein Umgang stets zu
gewähren ist, wenn er nicht dem Wohl des Betreuten widerspricht.
(2) Aufenthaltsbestimmung
Im Gegensatz zum Umgangsrecht darf der Betreuer, wenn ihm der Aufgabenkreis der
Aufenthaltsbestimmung übertragen wurde, den tatsächlichen Aufenthaltsort des Betreuten
festlegen, wenn dieser dazu nicht mehr in der Lage ist einzuschätzen welcher Aufenthaltsort
für ihn der richtige ist. in diesem Zusammenhang muss der Betreuer jedoch weiterhin § 1901
Abs. 3 BGB beachten, wonach der Wunsch des Betreuten immer vorrangig ist, solange er
nicht dem Wohl des Betreuten widerspricht.
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Zur Verdeutlichung ein kleiner Beispielsfall:
Der Betreute lebt in einer Wohnung, in der Schlafzimmer und das Badezimmer nur
über eine steile und enge Treppe in den ersten Stock zu erreichen ist. Dem Betreuten
ist der Weg zwar mühselig und beschwerlich, er nimmt ihn jedoch auf sich, weil ihm
die Wohnung so gut gefällt und er dort schon sehr lange lebt. Die Gefahr, dass er
stürzen könnte, ist ihm zwar bewusst, er nimmt sie trotzdem in Kauf.
Hier hat der Betreuer den Wunsch des Betreuten zu beachten.
Anders verhält es sich hingegen, wenn der Betreute nach einem Krankenhausaufenthalt
erhebliche Schwierigkeiten hat, sich fortzubewegen und die Treppe nur noch sehr schwer
und nur mit Hilfe meistern kann. Dass er krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist die
Treppe zu meistern, will der Betreute nicht einsehen. Dem Betreuten gelingt es aufgrund
seiner Krankheit nicht mehr, die Füße so hoch zu heben, dass er einen festen Tritt auf den
Treppenstufen fassen kann.
Hier ist der Betreuer angehalten eine andere Lösung zu finden und wenn dies nicht möglich
ist, dem Betreuten eine ebenerdige Wohnung zu suchen.
Problematisch im Rahmen der Aufenthaltsbestimmung ist jedoch, wie der Betreuer sein
Recht auf Festlegung des Aufenthaltsortes für den Betreuten durchsetzen kann.
Gegenüber dem Betreuten darf der Betreuer keinen Zwang anwenden.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Betreute in eine gerichtlich genehmigte geschlossene
Unterbringung gebracht werden soll. Hier gilt § 70g Abs. 5 FGG die Möglichkeit eine
Ermächtigung vom Vormundschaftsgericht zur Anwendung von unmittelbarem Zwang zu
erlangen.
Gegenüber Dritten hat der Betreuer nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1632 Abs. 1 BGB einen
Herausgabeanspruch, den er sogar gerichtlich geltend machen kann.
Nach § 33 Abs. 1 FGG hat das Gericht die Möglichkeit den Dritten mit Zwangsgeld oder
Zwangshaft zur Herausgabe zu zwingen.
Voraussetzung ist jedoch immer, dass die Herausgabe dem Wohl des Betreuten dient.
(3) Sonderproblem Freiheitsentziehung
Freiheitsentziehungen bedürfen grundsätzlich einer vormundschaftlichen Genehmigung
gemäß § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Insoweit kann ein Betreuer freiheitsentziehende Maßnahmen nur dann veranlassen, wenn
die Aufenthaltsbestimmung zu seinem Aufgabenkreis gehört.
Zum Teil wird von den Gerichten ein weiterer Aufgabenkreis bestimmt, welcher sich
„Unterbringung“ oder „freiheitsentziehende Maßnahmen“ nennt.
Gesetzlich ist eine Erweiterung in diese Aufgabenkreise jedoch nicht notwendig, da
freiheitsentziehende Maßnahmen von Gesetzes wegen dem Aufgabenbereich der
Aufenthaltsbestimmung unterfalten.
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Es ist zu unterscheiden in die Freiheitsentziehung durch Unterbringung (§ 1906 Abs. 1 BGB),
die Freiheitsentziehung ohne Unterbringung (§1906 Abs. 4 BGB) und Maßnahmen, die
keinen freiheitsentziehenden Charakter besitzen.
Ob eine Freiheitsentziehung durch Unterbringung vorliegt bestimmt sich nach der
sogenannten Düsseldorfer Formel, welche vom OLG Düsseldorf festgelegt wurde. Danach
ist freiheitsentziehend untergebracht, wer auf einem beschränkten Raum festgehalten wird,
dessen Aufenthalt überwacht und dessen Kontaktaufnahme Personen außerhalb des
Raumes durch Sicherheitsmaßnahmen verhindert wird.
Somit ist für § 1906 Abs. 1 BGB zwingend erforderlich, dass die persönliche
Bewegungsfreiheit des Betreuten begrenzt wird und die Freiheitsentziehung nicht individuell
auf den Betreuten abgestimmt ist.
Keine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn sich der Betreute mit Einverständnis in einer
geschlossenen Einrichtung befindet. Auch liegt keine Freiheitsentziehung vor, wenn der
Betreute sich gar nicht fortbewegen kann. Hier ist es egal, ob der Betreute sich fortbewegen
möchte.
Die freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB hat folgende
Voraussetzungen :
1.
2.
Anordnung zum Wohle des Betreuten
Unterbringungsgründe des § 1906 Abs. 1 BGB
- Suizidgefahr
- Gefahr der Selbstschädigung wie z. B. Zielloses Umherirren bei Verwirrtheit,
Verwahrlosung, Verkehrsunsichheit in Folge zu starker geistiger Behinderung,
drohender Alkoholrückfall
- Notwendigkeit einer ohne die Unterbringung nicht durchführbaren medizinischen
Untersuchung oder Behandlung
3.
Der Unterbringungsgrund muss seine Ursache in einer psychischen Krankheit oder
geistigen oder seelischen Behinderung haben = sogenannte Kausalität.
4.
Mildere Möglichkeiten dürfen keinen Erfolg versprechen.
5.
Verhältnismäßigkeit
Für die Freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ist die Genehmigung
des Vormundschaftsgerichtes nach § 1906 Abs. 2 BGB notwendig.
Das Verfahren hierzu richtet sich nach den §§ 70ff FGG, wonach der Betreffende persönlich
anzuhören ist, sich das Gericht einen persönlichen Eindruck verschaffen muss und die
Einholung eines Sachverständigengutachtens zwingend vorgeschrieben ist. Ferner ist
gegebenenfalls bei Vorliegen der Vorraussetzungen ein Verfahrenspfleger einzusetzen und
einem nahen Angehörigen oder einer Vertrauensperson die Gelegenheit zu geben, sich zur
Unterbringung zu äußern.
Die Genehmigung ist zeitlich zu begrenzen auf zunächst ein Jahr § 70f Abs. 1, Nr. 3 FGG.
Sie darf auf zwei Jahre erweitert werden, wenn ein Jahr offensichtlich nicht ausreicht.
Wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung vor Fristablauf wegfallen, ist sie nach
§ 1906 Abs. 3 BGB sofort zu beenden. Insoweit hat der Betreuer eine Mitteilungspflicht an
das Gericht.
Ist eine Unterbringung über den Jahresablauf hinaus notwendig, so kann sie verlängert
werden § 70i Abs. 2 FGG. Bei einer Unterbringung von mehr als vier Jahren ist ein
Sachverständigengutachten von einem neutralen Arzt notwendig § 70i Abs. 2 FGG.
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Wirksam wird die Unterbringungsgenehmigung erst mit Rechtskraft der Entscheidung § 70g
Abs. 3 FGG. Eine Beschwerde gegen die Unterbringungsgenehmigung hat sogenannte
aufschiebende Wirkung, dies bedeutet, dass sie nicht rechtskräftig wird.
In diesen Fällen hat das Gericht die Möglichkeit nach § 70g Abs. 3 FGG die sofortige
Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen.
Darüber hinaus kann das Gericht nach § 70h FGG die Unterbringung im Rahmen einer
einstweiligen Anordnung vorläufig genehmigen.
Die Voraussetzungen hierfür finden sich in § 70h FGG.
Zu beachten ist, dass es hierbei auch eine beschleunigte einstweilige Anordnung gibt, wo
nach bei Gefahr in Verzug die in § 70h FGG genannten Voraussetzungen auch nach Erlass
der einstweiligen Anordnung vorgenommen werden können.
Die im Rahmen einer einstweiligen Anordnung erteilte Unterbringungsgenehmigung darf auf
höchstens sechs Wochen befristet und auf maximal drei Monate verlängert werden.
Der Betreuer hat die Möglichkeit, den Betreuten ohne Genehmigung unterzubringen, wenn
mit dem Abwarten der Genehmigung eine für den Betreuten nicht hinnehmbare zusätzliche
Gefahr für den Betreuten verbunden ist (§ 1906 Abs. 2 Satz 2 BGB). Soweit der Betreuer
nicht rechtzeitig erreichbar ist, kann die Unterbringung auch direkt vom
Vormundschaftsgericht nach §§ 1908i Abs. 1, Satz 1, 1846 BGB angeordnet werden.
Freiheitsentziehende Maßnahme in sonstiger Weise nach § 1906 Abs. 4 BGB liegen vor,
wenn die Fortbewegungsfreiheit eines Betreuten durch individuelle Maßnahmen
eingeschränkt wird. Von § 1906 Abs. 4 BGB sind jedoch nur Maßnahmen erfasst, die den
Zweck haben, dem Betreuten die Fortbewegungsfreiheit wenigstens teilweise zu nehmen.
Zu benennen sind hier in erster Linie Einschließen im Zimmer, Anbinden oder auch die
Ruhigstellung durch Medikamente.
Die Ruhigstellung durch Medikamente, ist nach § 1906 Abs. 4 BGB jedoch nur dann eine
freiheitsentziehende Maßnahme, wenn die Ruhigstellung das Ziel der Medikamentation ist.
Ist die Ruhigstellung eine Nebenwirkung eines Nebenwirkung eines Medikamentes handelt
es sich nicht um eine freiheitsentziehende Maßnahmen.
Auch sind Sicherungsmaßnahmen keine freiheitsentziehende Maßnahmen. Auch ist keine
freiheitsentziehende Maßnahme, wenn mit dieser die Bewegungsfreiheit des Betreuten
letztendlich erweitert werden soll. Dies gilt z. B. für einen Anschnallgurt im Rollstuhl. Keine
freiheitsentziehende Maßnahmen sind Hindernisse, die der Betreute nicht aus eigener Kraft
überwinden kann, wie z.B. eine steile Treppe oder z. B. Türen, die ein Betreuter aufgrund
seiner Altersdemenz nicht mehr öffnen kann.
Auch für die freiheitsentziehenden Maßnahmen in sonstiger Weise nach § 1906 Abs. 4 BGB
sind materiell rechtlich die Voraussetzungen des §1906 Abs. 1 zu prüfen.
Verfahrensrechtlich ist ebenfalls die vormundschaftliche Genehmigung erforderlich.
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III. Die Auswahl des Betreuers
Die Betreuerauswahl wird vom Gericht vorgenommen und bestimmt sich nach den
Vorschriften der §§ 1897 bis 1900 BGB.
Gemäß § 1897 Abs.1 BGB können zum Betreuer natürliche Personen bestellt werden.
Sodann auch gemäß §§ 1900 Abs.1 und Abs.4 BGB Betreuungsvereine und
Betreuungsbehörden.
Die Stellung im Gesetz normiert zugleich die Rangfolge.
Nur wenn eine Betreuung durch eine natürliche Person nicht hinreichend möglich ist, darf ein
Betreuungsverein oder ein Betreuungsbehörde bestellt werden.
Natürliche Personen können sein:
- Ehrenamtliche Betreuer, wie in der Regel Angehörige, Freunde und Bekannte
- Berufsbetreuer
- Vereinsbetreuer nach § 1897 Abs.2, Satz 1 BGB
- Behördenbetreuer nach § 1897 Abs.2, Satz 2 BGB.
Vorrangig sind natürliche Personen und somit ehrenamtliche Betreuer zu bestellen.
Der Betreuer muss gemäß § 1897 Abs.1 BGB geeignet sein, die Angelegenheiten des vom
Gericht bestimmten Aufgabenkreises rechtlich zu besorgen und persönlich zu betreuen.
Damit setzt die Betreuerbestellung eine fachliche und persönliche Geeignetheit voraus.
Die Geeignetheit zum Betreuer ist in allen Ihren Einzelheiten nicht allgemein definierbar.
Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Eigenschaften notwendig sind, um das Betreueramt
ordnungsgemäß ausüben zu können, ist im Einzelnen vom Gericht zu entscheiden.
Weitere Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist gemäß § 1898 Abs.2 BGB
auch, dass der Betreuer zur Übernahme der Betreuung bereit ist.
§ 1898 Abs.1 BGB normiert, dass der Ausgewählte zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung
grundsätzlich verpflichtet ist. Gemäß Absatz 2 kann er jedoch zur Übernahme der Betreuung
nicht gezwungen werden.
Weitere Voraussetzung für die Wahl des Betreuers ist, dass der Betreuer selbst
geschäftsfähig sein muss (§ 1902 BGB).
Zusätzlich dazu ist nach § 1897 Abs.4, Satz 1 BGB der Vorschlag der betroffenen Person zu
berücksichtigen, soweit dieser dessen Wohl nicht zuwiderläuft. Der Vorschlag ist eine rein
tatsächliche Handlung und setzt somit nicht voraus, dass der Betroffene in diesem Zusammenhang geschäftsfähig ist oder frei in seiner Willensbildung.
Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen der positive Vorschlag des Betroffenen übergangen
werden darf:
- Der Vorschlag entspricht nicht den Wohl des Betroffnen § 1897 Abs.4, Satz 1 BGB
- Der gemachte Vorschlag ist nicht mehr relevant, wenn der Betroffene erkennbar an
diesem nicht mehr festhalten will § 1897 Abs.4, Satz 3 BGB
- Wenn der Bestellung des Vorgeschlagenen ein Hindernis entgegensteht, wie zum
Beispiel die Geschäftsunfähigkeit des Vorgeschlagenen oder die fehlende Übernahmebereitschaft.
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Nachdem das Ehrenamt grundsätzlich Vorrang bei der Betreuerbestellung hat, ist zu klären,
wie sich die Rechtslage darstellt, wenn der Betroffenen einen Berufsbetreuer vorschlägt,
obwohl ein ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht.
Soweit der Betroffene den Berufsbetreuer aus eigenen Mitteln bezahlen kann, ist dem
Vorschlag des Betroffenen zu entsprechen. Ist er dazu nicht in der Lage, hat das Ehrenamt
Vorrang.
Sollte der Betroffene einen sogenannten negativen Vorschlag nach § 1897 Abs.4, Satz 2
BGB machen so „soll“ hierauf Rücksicht genommen werden.
Wenn der Betroffene keinen Vorschlag macht, kommt § 1897 Abs.5 BGB zu tragen, wonach
auf die persönlichen Bindungen des Betroffenen Rücksicht genommen werden soll.
IV. Bestellung mehrer Betreuer
Nach § 1899 Abs.1, Satz 1 BGB sollen mehrere Betreuer bestellt werden, wenn dies den
Erfordernissen besser Rechnung trägt als die Bestellung eines einzelnen. Dabei kann es zur
Aufteilung der Aufgabenkreise kommen, muss es aber nicht.
Entsprechend Satz 3 ist die Bestellung von mehreren Betreuern mit Vergütungsanspruch nur
in bestimmten Konstruktionen zulässig.
Es gibt nachfolgende Möglichkeiten der Bestellung mehrer Betreuer:
- § 1899 Abs.1, Satz 2 BGB Nebenbetreuer
Hier sind verschieden Betreuer für verschiene Aufgabenkreise zuständig. Dies ist in der
Regel dann der Fall, wenn ein Angehöriger, welcher grundsätzlich zum Betreuer bestellt ist,
in geschäftlichen Dingen unerfahren ist. Dann wird in für diesen Bereich ein erfahrener
Betreuer bzw. Vermögensverwalter eingesetzt.
- § 1899 Abs.3 BGB Mitbetreuer
Hier haben alle Betreuer denselben Aufgabenkreis. Die Betreuer können jedoch nur gemeinschaftlich und somit einverständlich handeln. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn
Kinder volljährig werden und die Eltern gemeinsam die Betreuung übernehmen möchten.
- § 1899 Abs.4 BGB Verhinderungsbetreuer
Hierbei handelt es sich um einen zusätzlichen Betreuer, wenn der ursprünglich bestellte
Betreuer verhindert ist. Dies ist der Fall zum Beispiel bei Tod, Krankheit oder Abwesenheit.
Ein Verhinderungsbetreuer kann auch bestellt werden, wenn ein Berufsbetreuer für längere
Zeit in Urlaub geht.
Eine Verhinderung des Betreuers kann jedoch auch aus rechtlichen Gründen vorliegen.
Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn ein gesetzliches Vertretungsverbot vorliegt, wie
zum Beispiel bei § 181 BGB, der es verbietet als Vertreter einer Person und zugleich mit sich
selbst einen Vertrag zu schließen.
Bei einer rechtlichen Behinderung wird in der Regel ein sogenannter Ergänzungsbetreuer
bestellt.
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Auch gibt es Sonderfälle der rechtlichen Verhinderung, wonach in bestimmten Situation stets
ein besonderer Betreuer bestellt werden muss. Die gilt für den Fall der Sterilisation. Hier
muss nach
§ 1899 Abs. 2 BGB stets ein besonderer Betreuer bestellt werden.
- §§ 1908i Abs.1, Satz1, 1792 BGB Gegenbetreuer.
Der Gegenbetreuer übernimmt Kontrollaufgaben. Er wird bestellt, wenn zu den
Aufgabenkreisen eine umfangreiche Vermögensverwaltung gehört und hierin nicht schon
mehrere Betreuer als Mitbetreuer bestellt sind (§§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1792 Abs.2 BGB).
Die Bestellung eines Gegenbetreuers ist ausgeschlossen, wenn eine Betreuerbehörde
Betreuer ist.
V. Das gerichtliche Verfahren bei der Betreuerbestellung
Das Betreuerbestellungsverfahren obliegt den Amtsgerichten.
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat (§ 65 Satz 1 FGG).
Das Verfahren kann auf zwei Arten eingeleitet werden:
- Ein Antrag des Betroffenen § 1896 Abs.1, Satz 2 BGB
- Von Amts wegen
Voraussetzung ist, dass der Betroffene volljährig ist, wobei hier § 1908a BGB zu beachten
ist, wonach der baldige Eintritt der Volljährigkeit ausreicht.
Nach § 1896 Abs.1, Satz 3 BGB ist bei einer körperlichen Behinderung die Einrichtung der
Betreuung nur auf Antrag des Betroffenen zulässig.
Das Verfahren richtet sich nach den § 65 ff FGG. Gemäß § 68 Abs.1, Satz 1 FGG ist hierfür
zunächst die Anhörung des Betroffenen notwendig. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn
die Anhörung für den Betroffenen erhebliche gesundheitliche Nachteile hat § 68 Abs.2, Nr. 1
FGG.
Eine Anhörung findet auch dann nicht statt, wenn der Betroffene aufgrund seines Zustandes
nicht angehört werden kann.
Gemäß § 68 Abs.2, Nr. 2 FGG muss der Richter den Betroffenen jedoch aufgesucht haben,
um sich von der Unmöglichkeit der Anhörung persönlich überzeugt haben zu können.
Nach § 68 Abs.3 FGG kann auf die Anhörung des Betroffenen nicht verzichtet werden. Dies
gilt selbst dann nicht, wenn sich der Betroffene weigert.
Gemäß § 68b Abs.1, Satz 1 FGG ist ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Ausnahmsweise genügt ein ärztliches Attest, wenn der Betroffene selbst einen Antrag auf
Betreuerbestellung gestellt hat(§ 68b Abs.2 FGG) oder aber wenn nur ein Kontrollbetreuer
bestellt werden soll (§ 68b Abs.1,
Satz 3 FGG).
In dringenden Fällen gibt es die Möglichkeit in einem Eilverfahren nach § 69f Abs.1 FGG
eine vorläufige Betreuerbestellung durch einstweilige Anordnung für die Höchstdauer von
sechs Monaten anzuordnen.
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Voraussetzung hierfür ist, dass es dringende Gründe für die Annahme der
Betreuerbedürftigkeit gibt.
Dazu ist es notwendig, dass der Richter eine vorläufige Prüfung der Sach- und Rechtslage
vor-nimmt, die die spätere Bestellung eines Betreuers wahrscheinlich macht.
Zudem muss die sogenannte Eilbedürftigkeit gegeben sein, was bedeutet, dass erhebliche
Nach-teile drohen müssen, wenn nicht eine sofortige Entscheidung getroffen wird.
Voraussetzung für die Anordnung eines vorläufigen Betreuers ist das Vorliegen eines
ärztlichen Zeugnisses (§ 69f Abs.1, Satz 1, Nr. 2 FGG).
Des Weiteren ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach § 69f Abs.1, Nr. 2 FGG und
die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 69f Abs.1, Nr. 4 FGG vorgeschrieben.
Hierbei ist es jedoch nicht notwendig, dass sich das Gericht von dem Betroffenen einen
persönlichen Eindruck verschafft.
Die persönliche Anhörung des Betroffen kann nach §§ 69f Abs.1, Satz 3, 69d Abs.3 FGG
entfallen, wenn es offensichtlich ist, dass der Betroffenen seinen Willen nicht kund tun kann.
Zusätzlich zu der einstweiligen Anordnung eines vorläufigen Betreuers im beschleunigten
Verfahren gibt es auch noch die Möglichkeit nach §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1846 BGB einen
Notbetreuer einzusetzen, wenn zum Beispiel noch am selben Tag eine Notoperation
durchgeführte werden muss.
VI. Ende der Betreuung
Die Betreuung kann aus verschiedenen Gründen enden. Dies ist im Einzelnen der Fall,
- mit dem Tod des Betreuten
- wenn sie aufgehoben wird oder
- wenn ein ausländischer Betreuter seinen gewöhnlichen Aufenthalt endgültig ins
Ausland verlegt.
Wenn Betreuung angeordnet wurde, endet lediglich das Amt des Betreuers mit dessen Tod
oder Entlassung (§ 1908b BGB).
Die Betreuung als solche bleibt bestehen und es muss sodann ein neuer Betreuer bestellt
werden (§ 1908c BGB).
Nach § 1908b Abs.1, Satz 1 ist die Betreuung aufzuheben, wenn Ihrer Vorrassetzungen
wegfallen.
Des Weiteren muss eine Betreuung auf Antrag des Betreuten aufgehoben werden, wenn die
Betreuung auch auf Antrag des Betreuten angeordnet wurde (§ 1908d Abs.2 BGB).
Ausnahme hierfür ist, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung von
Amts wegen vorliegen.
Nach § 1908b Abs.1, Satz 1 BGB kommt auch noch die Entlassung des Betreuers in
Betracht, wenn ein wichtiger Grund hierfür besteht.
Dies ist zum einen die fehlende Eignung des Betreuers zur Weiterführung der Betreuung und
zum anderen der Versuch einer vorsätzlichen Täuschung bei der Vergütungsabrechung.
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Nach § 1808b Abs.2 BGB muss der Betreuer auf seinen eigenen Antrag hin entlassen
werden, wenn ihm die Weiterführung der Betreuung unzumutbar geworden ist.
Hier sind Umzug, Familienzuwachs, Krankheit oder Alter anerkannt.
Für einen selbstständigen Berufsbetreuer liegt auch dann ein wichtiger Grund vor, wenn er
seine selbstständige Tätigkeit einstellt.
Ohne einen derartigen wichtigen Umstand kann der Betreuer seine eigene Entlassung nicht
erzwingen. Dies gilt auch dann, wenn er einen anderen Betreuer vorschlägt.
Eine Entlassung eines Betreuungsvereines oder einer Betreuungsbehörde kommt dann in
Betracht, wenn eine oder mehrer natürliche Personen für die Betreuung zu Verfügung stehen
(§ 1908b Abs.5 BGB).
Auch ist ein Berufsbetreuer vom Amts wegen zu entlassen, wenn die Betreuung
ehrenamtlich weitergeführt werden kann (§ 1908b Abs.1, Satz 3 BGB). Grund hierfür ist der
Vorrang des ehrenamtlichen Betreuers.
VII. Die Führung der Betreuung im Allgemeinen
1. Der Einwilligungsvorbehalt
Nach § 1902 BGB ist der Betreuer innerhalb des ihm übertragenen Aufgabenkreises der
gesetzliche Vertreter des Betreuten. Dies bedeutet, dass die Rechtsgeschäfte, welcher der
Betreuer vornimmt gemäß § 164 BGB unmittelbare Wirkung für und gegen den Betreuten
entfalten.
Einseitige Willenserklärungen wie zum Beispiel eine Kündigung sind nur wirksam, wenn sie
dem Betreuer selbst zugehen.
Soweit der Betreuer Rechtsgeschäfte vornimmt, die nicht in seinen Aufgabenkreis fallen,
handelt der Betreuer hier als sogenannter Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 BGB.
Hier kann der für diesen Bereich geschäftsfähige Betreute das Rechtsgeschäft des
Betreuers nachträglich genehmigen.
In der Regel ist jedoch der umgekehrte Fall der Hauptfall.
Diesen bezeichnet man als Einwilligungsvorbehalt.
Nach § 1903 Abs.3, Satz 1 BGB wird vom Vormundschaftsgericht ein Einwilligungsvorbehalt
angeordnet, wenn die Gefahr besteht, dass ein Betreuter sich durch die Teilnahme am
Rechtsverkehr selbst Schaden zufügt.
Dies bedeutet, dass der Betreute zu Abgabe von Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis
des Betreuers betreffen, dessen Einwilligung bedarf.
Die Anordnung des Einwilligungsvorbehaltes setzt stets voraus, dass eine erhebliche Gefahr
für die Person oder das Vermögen des Betreuten besteht.
Zu beachten ist hierbei, dass der Einwilligungsvorbehalt nur für Willenserklärungen
angeordnet werden kann. Tatsächliche Handlungen können nicht von einem
Einwilligungsvorbehalt umfasst sein.
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Ein Einwilligungsvorbehalt bedeutet, dass die Rechtsgeschäfte, welche der Betreute
abschließt, zunächst schwebend unwirksam sind und erst mit Einwilligung des Betreuers
wirksam werden.
Der Einwilligungsvorbehalt kann für einzelne Aufgabenkreise oder sogar nur für einzelne
Rechtsgeschäfte eingeordnet werden.
Ein Einwilligungsvorbehalt ist für bestimmte Rechtsgeschäfte nicht möglich:
Dies sind im Einzelnen:
-
nach § 1903 Abs. 3, Satz 2 BGB kann kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet
werden für geringfügige Angelegenheit des täglichen Lebens.
des Weiteren kann nach § 1903 Abs.2 BGB kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet
werden für die Eheschließung und das Verlöbnis.
Testament und Erbvertrag
für alle anderen Rechtsgeschäfte, bei denen bestimmt ist, dass ein beschränkt
Geschäftsfähiger sie ohne Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters abgeben kann,
wie zum Beispiel das Scheidungsverlangen, die Anfechtung der Vaterschaft oder die
Anfechtung eines Erbvertrages.
Ein Einwilligungsvorbehalt ist ferner nicht möglich bei der Einwilligung in eine medizinische
Behandlung, das diese gerade keine Geschäftsfähigkeit sondern lediglich die
Einwilligungsfähigkeit des Patienten voraussetzt.
Etwas anders ist jedoch der Fall, wenn ein medizinischer Behandlungsvertrag
abgeschlossen werden kann. Dieser kann einem Einwilligungsvorbehalt unterliegen.
2. Aufgaben des Betreuers
Die Aufgabe und der Umfang des Betreuertätigkeit wird begrenzt durch den § 1901 Abs.1
BGB. Danach schuldet der Betreuter dem Betreuten die rechtliche Besorgung der
Angelegenheiten des Betreuten.
Der Betreuer muss an der Stelle des Betreuten für diesen einen Willen bilden oder betätigen,
da dieser es aufgrund seines Defizits, welches zur Betreuerbestellung geführt hat, nicht
kann.
Die sogenannte persönliche Betreuung, die § 1897 Abs.1 BGB erwähnt, ist dem
untergeordnet.
Der Umgang der persönlichen Betreuung beurteilt sich nach dem Einzelfall.
Nach § 1901 Abs.3 Satz 1 BGB muss sich der Betreuer bevor er eine wichtige
Angelegenheit erledigt, dies mit dem Betreuten besprechen. Dies ist nur dann nicht der Fall
wenn die Besprechung dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen würde. Ferner ist eine keine
Besprechung mit dem Be-treuten notwendig, wenn dies erst gar nicht möglich ist.
Um seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen ist es darüber hinaus notwendig, dass der
Betreuer gegenüber seinem Betreuten ein Vertrauensverhältnis schafft.
Vorrangig hat der Betreuer nach § 1901 Abs.3, Satz 1 BGB den Wünschen des Betreuten zu
entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist.
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Ein Handeln kann dem Betreuer nicht zugemutet werden, wenn die Wünsche des Betreuten
gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen oder aber die Wünsche nicht den
Aufgabekreis des Betreuers betreffen.
Soweit der Betreute seinen Willen frei bilden kann, kommt es nicht darauf an, ob dieser Wille
dem Wohl des Betreuten zuwider läuft, da der Betreute das Recht hat, seine Persönlichkeit
innerhalb der vom Gesetz und der Sittenordnung gesetzten Grenzen frei zu entfalten.
Soweit der Betreute nicht in der Lage ist einen freien Willen zu bilden, sondern lediglich nur
natürlichen Willen, muss der Betreuer dennoch auf die Wünsche des Betreuten Rücksicht
nehmen.
Zur Veranschaulichung soll nachfolgender Beispielsfall dienen:
M. sammelt schon seit Jahren Briefmarken.
Auf einer Auktion Anfang des Monats entdeckt er eine Briefmarke, die er unbedingt
haben will. Diese Briefmarke kostet jedoch 1.500,00 €. M. hat jedoch für den ganzen
Monat nur 1.500,00 € zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung.
Wenn in diesem Fall M. weiß, dass er, wenn er diese Briefmarke kauft, für den Rest
des Monats von seinen Vorräten leben und sich extrem stark einschränken muss und
nimmt er dies in Kauf, weil ihm die Briefmarke so wichtig ist, so ist der Wunsch des M.
hier zu berücksichtigen.
Ist er jedoch nicht in der Lage diesen Zusammenhang zu erkennen, gehört es zu den
Aufgaben des Betreuers zu entscheiden, ob für M. nun die Briefmarke oder doch der
Lebensunterhalt für den Rest des Monats wichtiger ist.
Gleiches muss bei § 1901 Abs.3, Satz 2 BGB gelten. Wünsche, die der Betreute vor der
Bestellung des Betreuers geäußert hat, sind vorrangig zu berücksichtigen, es sei denn, dass
er an diesen Wünschen erkennbar nicht mehr festhalten will.
Auch hierzu Verdeutlichung ein Beispielsfall.
Hat der Betreute vor Jahren eine Patientenverfügung getroffen, in der er festgelegt hat,
dass lebensverlängernde Maßnahmen im Falle eines Herzstillstandes nicht
vorgenommen werden sollen, so ist zu unterscheiden, ob der Betreute damals aus
einem bestimmten Anlass heraus gehandelt hat oder nicht.
Wenn der Betreute keinen besonderen Anlass zur Erstellung der Patientenverfügung
hatte, ist davon auszugehen, dass er eine allgemein gültige Regelung treffen wollte.
Hat der Betreute die Patientenverfügung jedoch im Zusammenhang mit einer schweren
Krankheit getroffen, die nun nicht mehr vorhanden ist, muss der Betreuer überlegen,
was nunmehr der Wunsch des Betreuten sein würde.
Ist der Betreute nicht mehr in der Lage auch nur einen natürlichen Willen zu bilden, so ist der
Betreuer verpflichtet, so zu handeln wie es dem Wohl des Betreuten am besten entspricht.
Danach muss er die Lebensvorstellungen des Betreuten, soweit sie ihm bekannt sind und
seine Wünsche, soweit er sie kennt, berücksichtigen. Sollte der Betreuer gar keine Kenntnis
haben, so ist er verpflichtet durch Befragen von Angehörigen oder Durchsicht von
persönlichen Unterlagen den vermeintlichen Willen und die Lebensvorstellung des Betreuten
zu erforschen.
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VIII. Aufgaben gegenüber dem Vormundschaftsgericht
Auch gegenüber dem Vormundschaftsgericht hat der Betreuer bestimmte Pflichten.
Dies sind im Einzelnen:






Einreichung eines Vermögensverzeichnisses zu Beginn der Betreuung
Regelmäßige Rechnungslegung
Auf Wunsch des Vormundschaftsgerichtes ist zu Beginn der Betreuung ein
Betreuungsplan zu erstellen und vorzulegen, in dem die mit der Betreuung verfolgten
Ziele und Maßnahmen angegeben werden
Jahresbericht über die persönlichen Verhältnisse des Betreuten
Verpflichtung mitzuteilen, wenn der Betreuer die Aufhebung der Betreuung oder aber
die
Erweiterung
oder
Einschränkung
eines
Aufgabenkreises
oder
Einwilligungsvorbehalte für notwendig hält
Auf Verlangen des Vormundschaftsgerichtes Auskunftspflicht über die Verhältnisse des
Betreuten
IX. Die Haftung des Betreuers
Die Haftung im Betreuungsrecht spielt in der täglichen Praxis eine große Rolle.
Hier ist zunächst zwischen zwei Rechtsverhältnissen zu unterscheiden:
- Die Außenhaftung = die Haftung, wann ein Betreuter und ein Betreuer einem Dritten
gegenüber für einen von Ihnen angerichteten Schaden einstehen müssen.
- Das Innenverhältnis = das Rechtsverhältnis zwischen dem Betreuer und dem
Betreuten.
1. Haftung im Innenverhältnis
Nach § 1908i Abs.1, Satz 1, 1833 BGB haftet der Betreuer dem Betreuten für jeden von ihm
schuldhaft verursachten Schaden.
Eine Haftung kommt hier auch in Betracht, wenn der Betreute sich selbst schädigt und der
Betreuer dies hätte voraus sehen müssen.
Entsteht einem Betreuten ein Schaden dadurch, dass der Betreuer nicht ordentlich
ausgewählt wurde oder beaufsichtigt wurde, kommt unter Umständen die sogenannte
Amtshaftung in Betracht.
Die Amtshaftung greift jedoch nur dann ein, wenn bei dem Betreuer selbst nichts zu holen
ist, da die Amtshaftung allen anderen Haftungsansprüchen nachrangig ist.
Da in Bayern die Betreuer nicht nur gesetzlich unfallversichert sind, sondern auch eine Haftpflichtversicherun,g gegebenenfalls auch eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung
abschließen müssen, sind Haftungsansprüche in Bayern daher so gut wie ausgeschlossen.
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2. Haftung im Außenverhältnis
Hier muss unterschieden werden zwischen der Haftung des Betreuten für Handlungen des
Betreuers und umgekehrt für die Haftung des Betreuers für Handlungen des Betreuten.
Der Betreute muss sich ein Handeln seines Betreuers nach § 278 Satz 1 BGB zurechnen
lassen, wenn er vom Betreuer gesetzlich vertreten wurde.
Soweit der Betreuer im Rahmen seiner Tätigkeit eine unerlaubte Handlung im Sinne des §
823 BGB begeht, also jemand anderen schädigt, ist der Betreute hierfür nicht verantwortlich.
Dies ergibt sich aus § 831 BGB, da der Betreute den Betreuer nicht ausgewählt hat, sondern
das Vormundschaftsgericht. Auch hier ist ein möglicher Amtshaftungsanspruch zu prüfen.
Jedoch wie bereits oben ausgeführt ist dieser subsidiär und kommt in Bayern nicht zum
Tragen.
Der Betreute selbst haftet für von ihm begangene unerlaubte Handlungen, es sei denn die
Haftung ist wegen Deliktsunfähigkeit nach § 827 Satz 1 BGB ausgeschlossen.
Nach § 827 Satz 1 BGB haftet nicht, wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die
freien Willensbildung ausschließendem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit
einem anderen einen Schaden zufügt.
Auch kann es möglich sein, dass der Betreuer nach § 832 BGB für eine unerlaubte
Handlung des Betreuten haften muss wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Dies ist jedoch
nur dann der Fall, wenn die Beaufsichtigung des Betreuten ausdrücklich zum Aufgabenkreis
des Betreuers gehört.
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