REHABILITATIONSRECHT I. Überblick über das allgemeine Sozialrecht 1. Begriff des Sozialrechts Sozialrecht ist das Recht der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit, welches diese Ziele durch die Gewährung von Sozialleistungen zu verwirklichen sucht. Diese Ziele sind Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips (Artikel 20, 28 GG). Soziale Gerechtigkeit verlangt vor allem ausgleichende Hilfe für Menschen, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, die in den Grundrechten garantierten Freiheiten zu nutzen. Hierzu gehört auch die Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums. Im Rahmen der sozialen Sicherheit soll dem Einzelnen Schutz vor bestimmten Lebensrisiken gewährt werden. Sozialleistungen werden aufgegliedert in Geldleistung, Sachleistungen und Dienstleistungen. Sie werden auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften von den so genannten Sozialleitungsträgern gewährt. Die Sozialeistungsträger unterfallen der öffentlichen Verwaltung. Keine sozialrechtlichen Leistungen sind die sogenannten betrieblichen Leistungen wie z. B. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, welche vom Arbeitgeber gewährt wird. Zu den Sozialleistungen gehören auch nicht sozialpolitisch motivierte Steuervergünstigungen. Wesentliche gesetzliche Grundlage ist das Sozialgesetzbuch, kurz SGB. Dieses unterteilt sich in einzelne Bücher. Erstes Buch: Zweites Buch: Drittes Buch: Viertes Buch: Fünftes Buch: Sechstes Buch: Siebtes Buch: Achtes Buch: Neuntes Buch: Zehntes Buch: Elftes Buch: Zwölftes Buch: Allgemeiner Teil (SGB I) Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) Arbeitsförderung (SGB III) Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) Sozialhilfe (SGB XII) Das erste und das zehnte Buch des SGB enthalten Bestimmungen, die grundsätzlich für alle Bereiche des Sozialgesetzbuches gelten. In gerichtsverfahrensrechtlicher Hinsicht gilt entsprechendes für das Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gleiches gilt für das SGB IV, in dem sich gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung finden. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 1 2. Wichtige allgemeine Regelungen a) § 36 SGB I Handlungsfähigkeit § 36 SGB I bestimmt die sog. sozialrechtliche Handlungsfähigkeit, die mit Vollendung des 15. Lebensjahres beginnt. Grund hierfür ist, dass auch für Minderjährige Sozialleistungen, wie z.B. Ausbildungsförderung, in Betracht kommen. Die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit umfasst nicht nur das Recht, Anträge zu stellen und sie zu verfolgen, sondern auch Leistungen entgegen zu nehmen. Für die Verwendung der erhaltenen Leistungen gelten allerdings die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen des BGB. b) § 32 SGB I Verbot nachteiliger Vereinbarungen Nach § 32 SGB I sind privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von den Vorschriften des SGB abweichen, nichtig. c) §§ 13–17 SGB I Betreuungs- und Informationspflichten Nach §§ 13–15 SGB I ist der Leistungsträger zur Aufklärung, Beratung und Auskunft verpflichtet. § 13 SGB I gibt dem einzelnen Bürger allerdings kein individuelles Recht, sondern bezieht sich vielmehr auf die Allgemeinheit, so z.B. bei Merkblättern, Broschüren und Informationsveranstaltungen. Der sog. sozialrechtliche Herstellungsanspruch scheidet in der Regel in diesem Zusammenhang aus. Die in § 15 SGB I normierte Auskunftspflicht geht über die in § 14 SGB I normierte Beratungspflicht hinaus. Die Auskunft setzt eine gezielte Fragestellung voraus und bezieht sich nur auf diese. Die Beratung dagegen ist eine umfassende Aufklärung auch über einen größeren Kreis von Rechten und Pflichten und setzt keine gezielte Frage voraus. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Beratungsanspruch nach § 14 SGB I nur gegenüber dem Leistungsträger der in Betracht kommenden Sozialleistung besteht und zur Auskunft aller in dieser Norm genannten Stellen verpflichtet sind. §§ 16 und 17 SGB I normieren weitere Betreuungspflichten gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten. Gem. § 16 Abs. 3 SGB I sind die Leistungsträger verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden.§ 17 SGB I dient der schnellen Ausführung der Sozialleistungen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 2 d) Der sog. sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch Der sozialrechtliche Wiederherstellungsanspruch knüpft an § 14 SGB I an und soll den tatsächlichen, früheren Zustand herstellen, der bestanden hätte, wenn der Leistungsträger seiner Aufklärungs- und Beratungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre. Hat eine Sozialleistungsbehörde durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen für die Rechtstellung des Versicherten herbeigeführt und können diese durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden, so hat die Behörde dem Berechtigten die Rechtsposition einzuräumen, die er gehabt hätte, wenn von Anfang an ordnungsgemäß verfahren worden wäre. Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruches sind daher: Vorliegen eines Nachteils oder Schadens beim Leistungsberechtigten Verhalten eines Sozialleistungsträgers (Tun oder wie häufig Unterlassen) Rechtswidrigkeit bzw. Pflichtwidrigkeit dieses Verhaltens, wobei die Pflicht dazu dienen muss, den Nachteil zu verhindern (sog. Schutzzweckzusammenhang) Ursächlichkeit des Verhaltens für den Eintritt des Schadens d) Mitwirkung des Leistungsberechtigten §§ 60 ff SGB I In §§ 60 ff SGB I sind die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten normiert. Nicht selten verweigern Sozialleistungsträger Leistungen unter Berufung auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht. Nachdem die Mitwirkungsvorschriften dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegen, führt nicht jegliche fehlende Mitwirkung zu einer Untersagung der Leistung. § 65 SGB I beinhaltet die Grenzen der Mitwirkungen. Die Folgen einer fehlenden Mitwirkung regelt § 66 SGB I. In § 67 SGB I ist die Nachholmöglichkeit der Mitwirkungshandlung festgeschrieben. Die Regelungen der §§ 60–62 SGB I haben den Zweck, die Sachverhaltsaufklärung zu erleichtern. Wer eine Leistung beantragt, muss alle erforderlichen Angaben machen und gegebenenfalls sich persönlich vorstellen, um diese Leistungen erhalten zu können. Erheblich weitreichender sind die Pflichten nach §§ 63 und 64 SGB I, die die Unterziehung einer Heilbehandlung oder die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vom Antragsteller fordern. Voraussetzung für die Versagung einer Leistung nach § 66 SGB I ist jedoch ein Hinweis auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung und einer Fristsetzung. Sobald die Mitwirkung nachgeholt wird, sind die Leistungen wieder zu gewähren. e) Rechtswege Für Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Sozialrechts ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten oder den Verwaltungsgerichten gegeben. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 3 Sozialleistungsbereiche, in denen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist: Sozialversicherung Arbeitsförderung Soziale Entschädigung (mit Ausnahme des Bereichs der Kriegsopferfürsorge) Schwerbehindertenrecht (Zuständigkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit und der Versorgungsämter) Erziehungsgeld Kindergeld nach dem BKGG Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen Grundsicherung für Arbeitsuchende (ab 01.01.2005) Sozialhilfe (ab 01.01.2005) Sozialleistungsbereiche, in denen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist: Ausbildungsförderung Wohngeld Unterhaltsvorschuss Kinder- und Jugendhilfe Kriegsopferfürsorge (im Rahmen der sozialen Entschädigung) Schwerbehindertenrecht (Zuständigkeitsbereich der Integrationsämter) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (bis 31.12.2004) Sozialhilfe (bis 31.12.2004) f) Weg der Entscheidung 1. 2. 3. 4. 5. Antrag Bescheid Widerspruch Widerspruchsbescheid Klage II. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen 1. Allgemeines Die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist in SGB IX geregelt. Das SGB IX besteht aus zwei Teilen. In Teil I (§§ 1 – 67 SGB IX) sind die Rechtsvorschriften enthalten, die für mehrere Sozialleistungsbereiche einheitlich gelten (gesetzliche Unfallversicherung, gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Rentenversicherung, Kinder und Jugendhilfe, Sozialhilfe) In Teil II (§§ 68 – 160 SGB IX) befindet sich das Schwerbehindertenrecht. Das Rehabilitations- und Schwerbehindertenrecht ist Teil des allgemeinen Sozialrecht (§ 10 SGB I) Konkretisiert wird § 10 SGB I durch die Vorschrift des § 29 SGB I, welcher die einzelnen Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen auflistet. Die Leistungsträger bestimmt § 29 II SGB I. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 4 Das Schwerbehindertenrecht des Teil II des SGB IX ist eine in sich geschlossene Regelung, währenddessen sich das Rehabilitationsrecht aus Teil I des SGB IX und anderen Sozialgesetzen (SGB III, V,VI, VII, VIII und XII) zusammensetzt. Behinderten Menschen stehen alle allgemeinen Sozialleistungen genauso wie nicht behinderten Menschen zu. ACHTUNG: Teil 1 des SGB IX beinhaltet für alle Rehabilitationsträger einheitlich geltende Vorschriften über Art und Umfang der Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen. Diese allgemeinen Regelungen des SGB IX sind jedoch gegenüber den spezifischen Regelungen der einschlägigen Leistungsgesetze nachrangig. Zu dem befinden sich in Teil 1 des SGB IX allgemeine Bestimmungen, welche verschiedentlich in SGB I getroffenen Regelungen überlagern bzw. verdrängen, wie z.B. Begriffsdefinitionen, allg. Grundsätze und Verfahrensnormen. Teil 2 des SGB IX dagegen stellt eine in sich geschlossene Regelung des Schwerbehindertenrechtes dar. Ein wie für Teil 1 des SGB IX vorhandenes Ergänzungsverhältnis zu anderen Leistungsgesetzen gibt es hier nicht. 2. Grundbegriffe - Behinderung = Unterscheidung in körperlich behindert und geistig behindert bzw. seelisch behindert. Auch Möglichkeit der Mehrfachbehinderung § 2 SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe = Ziel und Gesamtheit der Leistungen, die diesem Ziel dienen. - Rehabilitationsleistung = Sozialleistungen (§ 11 SGB I), welche dem Ziel der Rehabilitation dienen. § 4 SGB IX kennzeichnet sie als Leistungen zur Teilhabe. Nach § 5 SGB IX werden Rehabilitationsleistungen in vier Leistungsgruppen unterteilt: - Leistungen zur medizinischen Rehabilitation - Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen - Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft - Rehabilitationsträger = ACHTUNG Leistungsträger (§12 SGB I), welche für die Rehabilitationsleistungen zuständig sind § 6 SGB IX (lesen!) Keine Rehabilitationsträger sind die Integrationsämter. Diese gewähren zwar begleitende Hilfe im Arbeitsleben gehören jedoch zu den besonderen Regelungen in Teil II des SGB IX. Die Aufgabe des Integrationsamtes ergibt sich aus § 2 SGB IX 3. Übergreifende Regelungen Nach dem im Rehabilitationsrecht die Zuständigkeit für Leistungen auf verschiedene Träger verteilt ist, finden sich in den Sozialgesetzbüchern übergreifende Regelungen, die einer verbesserten Beratung des Leistungsberechtigten, einer Koordination der Leistungen und einer schnellen Zuständigkeitsklärung dienen sollen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 5 a) Beratung, Antragstellung Zur Intention des SGB IX zählt die Verbesserung der Beratung und Unterstützung von behinderten Menschen. Dementsprechend sind die Rehabilitationsstellen zur Schaffung einer gemeinsamen Servicestelle verpflichtet (§ 22 SGB IX). Diese steht auch den Personenberechtigten zur Verfügung (§ 60 SGB IX). Der Servicestelle obliegt auch die Klärung, welcher Rehabilitationsträger zuständig ist, hat jedoch keine eigene Entscheidungsbefugnis. Auch klärt die Servicestelle den Hilfebedarf entsprechend Teil II des SGB IX (§ 21 I Satz 3 SGB IX). Unabhängig davon besteht eine Verpflichtung der Leistungsträger zur Beratung gemäß §§ 14, 15 SGB I (siehe auch § 22 Abs. 2 SGB IX). Die Betroffenen sind nicht verpflichtet, die Servicestelle in Anspruch zu nehmen. Sie können sich jederzeit an den für sie zuständigen Rehabilitationsträger wenden. b) Zuständigkeitserklärung §§ 14, 15 SGB IX Nachdem das unübersichtlich gegliederte System des Sozialrechtes schwierig zu verstehen ist, wurde § 14 SGB IX geschaffen, um dem Interesse behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen zur raschen Klärung von Zuständigkeiten Rechnung zu tragen. Gem. § 14 SGB IX muss der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages feststellen, ob er hierfür zuständig ist. Sollte dies nicht der Fall sein, ist er verpflichtet, den Antrag unverzüglich an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Hält sich der Rehabilitationsträger für die beantragte Leistung für zuständig, so hat er den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX), spätestens jedoch innerhalb einer Frist von drei Wochen. Sollte hierfür ein Gutachten erforderlich sein, hat eine Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens zu erfolgen (§ 14 Abs. 2 S. 4 SGB IX). Wird der Antrag weitergeleitet, ist der zweite Rehabilitationsträger an die Entscheidung des zuerst angegangenen Rehabilitationsträgers gebunden und kann sich nicht mehr auf eine anderweitige Zuständigkeit berufen. Der zweite Rehabilitationsträger muss daher innerhalb einer Frist von drei Wochen über den Bedarf entscheiden. Etwas anderes gilt nur, wenn die beantragte Leistung nicht in das Leistungsspektrum des zweiten Rehabilitationsträgers fällt. In diesem Fall muss der zweite Rehabilitationsträger unverzüglich mit dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger eine Klärung herbei führen (§ 14 Abs. 2 S. 3 SGB IX). Gem. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist der Rehabilitationsträger verpflichtet, dem Leistungsberechtigten unter Angabe von Gründen rechtzeitig mitzuteilen, wenn nicht fristgerecht innerhalb der in § 14 Abs. 2 SGB IX genannten Fristen entschieden werden kann. Insoweit normiert § 15 SGB IX auch eine Erstattungspflicht bei selbstbeschafften Leistungen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 6 Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Selbstbeschaffung für den Leistungsberechtigten mit dem Risiko finanzieller Einbußen verbunden ist, wenn sich z.B. die selbstbeschaffte Leistung bei nachträglicher Prüfung durch den Rehabilitationsträger als nicht erforderlich erweist. c) Koordinierung und Ausführung der Leistungen Wenn ein Anspruchsberechtigter Leistungen von verschiedenen Leistungsträgern beantragt oder erhält (§§ 5, 6 SGB IX) sind diese gem. § 10 SGB IX entsprechend zu koordinieren. § 10 SGB IX ergänzt die relevanten Vorschriften des allgemeinen Sozialrechts (§§ 17 SGB I, 86 SGB X). Für die Koordination ist der nach § 14 SGB IX zu leistende Rehabilitationsträger verantwortlich. § 10 SGB IX stellt eine Ergänzung zu § 4 SGB IX dar, in dem festgelegt ist, dass der einzelne Rehabilitationsträger die Verpflichtung hat, die Leistungen so frühzeitig wie möglich festzustellen und festzulegen. Ergänzt werden diese Vorschriften durch §§ 11 und 12 SGB IX. Kapitel 2 des SGB IX (§§ 17 bis 21) beinhaltet Vorschriften zur Ausführung von Leistungen und betreffen in erster Linie Dienst- bzw. Sachleistungen. d) Vorrang der Leistungen zur Teilhabe § 8 SGB IX Nach § 8 SGB IX haben Leistungen zur Teilhabe grundsätzlich Vorrang. Zudem haben die Rehabilitationsträger unabhängig von der Entscheidung über eine Sozialleistung zu prüfen, ob Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich erfolgreich sind. Absatz 1 gilt auch dann, wenn durch Leistungen zur Teilhabe Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten ist (§ 8 Abs. 3 SGB IX). § 8 SGB IX ist im Zusammenhang mit § 3 SGB IX zu sehen, wonach die Prävention vorrangig ist. e) Überblick über die einzelnen Leistungen Kapitel 4 – 7 des SGB IX enthalten Vorschriften über die Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen, welche nachfolgend überblicksmäßig kurz dargestellt werden sollen. Zu beachten ist hierbei, dass sich bei §§ 26 – 59 SGB IX um sozialleistungsbereichübergreifende Vorschriften handelt, welche jedoch nur Anwendung finden, soweit sich aus den speziellen Leistungsgesetzen nichts anderes ergibt. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation §§ 26 – 32 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben §§ 33 – 43 SGB IX Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen §§ 44 – 54 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft §§ 55 – 59 SGB IX Hierbei handelt es sich um die sog. übergreifenden Leistungsvorschriften. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 7 Es gibt jedoch auch Vorschriften über Leistungen zur Teilhabe in den speziellen Leistungsgesetzen: Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung Die wesentlichen Vorschriften finden sich hier im SGB V.Leistungsberechtigt sind die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte (§§ 5, 9, 10 SGB V). Ziel der medizinischen Rehabilitation ist es, Behinderung und Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 11 Abs. 2 SGB V). Die medizinische Rehabilitation greift erst bei bereits bestehender Krankheit und grenzt sich von der Vorsorge und Akutbehandlung ab. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und die ergänzenden Leistungen gem. § 27 Abs. 1, S. 2 Nr. 6 SGB V werden durch die §§ 40 – 43 SGB V näher konkretisiert. § 43 SGB V verweist insoweit auf §§ 44 Abs. 1 Nr. 2 – 6, 53, 54 SGB IX und ermöglicht so darüber hinaus die Erbringung sonstiger ergänzender Leistungen. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung sind insbesondere: ambulante und stationäre Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen nach § 40 SGB IV die medizinische Rehabilitation für Mütter nach § 41 SGB IV die Belastungserprobung und Arbeitstherapien nach § 42 SBG IV nicht ärztliche sozialpädriatische Leistungen nach § 43 a) SGB IV die Stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX bzw. § 74 SGB IV Rehabilitationssport, Reisekosten und Haushaltshilfe nach § 43 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit §§ 44, 53 und 54 SGB IX Die Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden nur gem. § 19 SGB IV auf Antrag erbracht. Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der Arbeitsförderung SGB III und SGB IV Hier wird unterschieden in die „allgemeinen Leistungen“ wie z. B. die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung, die Förderung der Berufsausbildung und die Förderung der beruflichen Weiterbildung (§ 100 SGB III), die unter den gleichen Voraussetzungen wie für Nichtbehinderte gewährt werden und in die besonderen Leistungen, die mit Rücksicht auf die spezifischen Belange ausgestaltet sind, wie zum Beispiel: - Maßnahmen in besonderen Einrichtungen § 102 Abs.1 SGB III - Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen §§ 40 SGB IX, 102 Abs. 2 SGB III - Übergangsgeld §§ 103, 160 ff SGB III, §§ 46 ff SGB IX - Ausbildungsgeld §§ 104 ff SGB III - Übernahme von Teilnahmekosten für eine Maßnahme §§ 103, 109 ff SGB III, 33, 44, 53, 54 SGB IX. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfordern einen Antrag § 19 SGB IV, §§ 323 ff SGB III. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 8 Teilhabe und Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung SGB VII und SGB IX Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation sind im SGB VII und SGB IX geregelt (§ 26 Abs. 1 SGB VII). Anspruch auf Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung haben Versicherte (§ 2 SGB VII) nach Eintritt des Versicherungsfalles (§§ 8 ff SGB VII). Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind der Heilbehandlung zugeordnet, weswegen § 27 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII auf die Leistungen nach § 26 SGB IX verweist. In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt der Grundsatz der Rehabilitation mit allen geeigneten Mitteln (§ 26 Abs. 2 SGB VII). Vorrangiges Ziel ist es, den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern sowie den Versicherten einen Ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern. Auch sind in der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vorgesehen § 26 Abs. 1 SGB VII, §§ 55 – 58 SGB IX sowie ergänzende Leistungen, hier in erster Linie das Verletztengeld und das Übergangsgeld (§§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX, §§ 45 – 48, 52 SGB VII und §§ 46 – 51 SGB IX, §§ 49 – 52 SGB VII). Dazu gehören auch die Haushaltshilfe, Reisekosten, Kraftfahrzeughilfe und sonstige Leistungen zur Erreichung und Sicherstellung des Erfolges der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Teilhabe (§§ 44 Abs. 1 Nr. 2 – 6, Abs. 2, 53, 54 SGB IX, §§ 39 – 43 SGB VII). Die Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen ist in § 27 Abs. 1, Nr. 6 SGB VII festgelegt sowie in § 33 SGB VII. § 27 Abs. 1, Nr. 7 SBG VII verweist hinsichtlich der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auf das SGB IX. Hinsichtlich der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verweist § 35 Abs. 1 SBG VII auf die §§ 33 – 38, 40 und 41 SGB XI Im Gegenzug zu den Teilhabe- bzw. Rehabilitationsleistungen in der Arbeitsförderung und in der gesetzlichen Krankenversicherung ist in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht notwendig, dass ein Antrag gestellt wird. Die Leistungen werden von Amts wegen gem. § 19 S.2 SGB IV erbracht. Die Unternehmen haben gemäß § 193 SBG VII eine Anzeigepflicht, die sicherstellt, dass die Unfallversicherungsträger vom Versicherungsfall Kenntnis erlangen. Teilhabe und Rehabilitationsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung Die hier einschlägigen gesetzlichen Vorschriften finden sich im SGB VII und SGB IX. Die Leistungen zur Teilhabe in der gesetzlichen Rentenversicherung zielen darauf ab den Auswirkungen einer Krankheit oder Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegen zu treten und zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Er- © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 9 werbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern (§ 9 Abs. 1 SGB VI). Auch hier finden sich wieder zahlreiche Verweisungen hinsichtlich der medizinischen Rehabilitation. So verweist § 15 Abs. 1 SGB VI auf §§ 26 – 31 SGB IX. Medizinische Leistungen bestimmen sich nach den §§ 12-15 SGB VI. Hinsichtlich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wird nach § 16 Abs. 1 SGB VI auf die §§ 33-38, 40 SGB IX verwiesen. Hierzu gehören im Einzelfall: - Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes - berufliche Anpassung und Weiterbildung - medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit sie zur Erreichung des Rehabilitationszieles notwendig sind - Behindertenwerkstätten Die wichtigsten ergänzenden Leistungen sind: - Übergangsgeld §§ 20 SGB VI, 44 ff SGB IX - Haushaltshilfe, Reisekosten - Übernahme der Kosten für arbeitsfördernde Maßnahmen §§ 44,53,54 SGB IX Die Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden auf Antrag erbracht (§ 19 Satz 1 SGB 4) Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden Die hier wesentlichen Leistungen finden sich im BVG (Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges) sowie den SGB IX. Anspruchsberechtigt ist, wer einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen der Staat einstehen muss. Die wesentlichen Aufgaben sind - Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ergänzende Leistungen im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wie z.B. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, Reisekosten und Versehrtenleibesübungen. im Zusammenhang mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Die Leistungen der sozialen Entschädigung werden grundsätzlich auf Antrag gewährt. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 10 Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe Die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften finden sich im SGB XIII und SGB IX. Die Leistungen der Jugendhilfe sind nach nachrangig gegenüber entsprechenden Leistungen anderer Sozialleistungsträger nach § 10 Abs. 1 SGB XIII. Jugendhilfeleistungen für seelisch behinderte Menschen haben jedoch Vorrang gegenüber den Leistungen der Sozialhilfe. Die Leistungen der Kinder und Jugendhilfe werden nur auf Antrag gewährt. Teilhabe bzw. Rehabilitationsleistungen in der Sozialhilfe Die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften finden sich im SGB XII und im SGB IX Anspruchsberechtigt sind Personen, die durch eine Behinderung i.S.d. § 2 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben , eingeschränkt sind. Ziel ist es eine drohende Behinderung zu verhüten oder zu beseitigen oder zu mildern (§ 53 Abs.3 SGB XII). Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind hier nachrangig gegenüber anderen entsprechenden Leistungen anderer Leistungs- bzw. Rehabilitationsträger (§ 2 Abs. 1 SGB XII), mit Ausnahme der Eingliederungshilfe für körperlich oder geistig behinderte junge Menschen. Hier gehen die Leistungen der Sozialhilfe vor. 4. Die Rechtsstellung behinderter Menschen Rechtsfähigkeit = Fähigkeit Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Die Rechts fähigkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt (§ 1 BGB) und endet mit dem Tod. Geschäftsfähigkeit = Fähigkeit selbständig im Rechtsverkehr aufzutreten und wirksam Erklärungen abzugeben. Geschäftsunfähigkeit = Wer aufgrund geringen Lebensalters (§ 104 Nr. 1 BGB) oder aufgrund krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) nicht fähig ist im selbständigen Rechtsverkehr aufzutreten und wirksam Erklärungen abzugeben. Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig (§ 105 BGB). Geschäftsunfähige benötigen zur Teilnahme am Rechtsverkehr einen gesetzlichen Vertreter. Bei Kindern sind es in der Regel die Eltern (§§ 1626, 1629 BGB), dies kann jedoch auch ein Vormund oder ein Pfleger sein (§§ 1793, 1915 BGB) Bei Volljährigen kommt als gesetzlicher Vertreter ein rechtlicher Betreuer in Betracht (§ 1902 BGB). Hat der geschäftsunfähige Volljährige als er noch geschäftsfähig war, einem anderen Vollmacht erteilt, © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 11 kann ihn der Bevollmächtigte im Rechtsverkehr vertreten. Beschränkte Geschäftsunfähigkeit = Wer das siebte Lebensjahr vollendet (§ 104 Nr. 1 BGB) oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der geistiges Tätigkeit befindet (§ 104 Nr. 2 BGB).und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§§ 2, 106 BGB). Dies bedeutet, dass der beschränkt Geschäftsfähige Willenserklärungen abgeben kann, wenn er durch sie lediglich einen so genannten rechtlichen Vorteil erlangt. Ist dies nicht der Fall, bedarf er der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters nach § 107 BGB. Wenn der beschränkt Geschäftsfähige ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters einen Vertrag schließt, wird dieser wirksam, wenn er nachträglich vom gesetzlichen Vertreter genehmigt wird (§ 108 BGB). Eine Einwilligung bzw. Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn der beschränkt Geschäftsfähige Rechtsgeschäfte im Rahmen seines Taschengeldes abschließt (§ 110 BGB). Um volljährigen Geschäftsunfähigen die Teilnahme am Rechtsverkehr zu erleichtern wurde darüber hinaus § 105 a BGB geschaffen, welche eine Regelung über die Geschäfte des täglichen Lebens eines volljährigen Geschäftsunfähigen betrifft. Im Zusammenhang mit dem § 105 a BGB wurde auch der § 131 Abs. 5 SGB IX geschaffen, in dem festgelegt wird, dass ein Werkstattvertrag als wirksam gilt, selbst wenn der volljährige behinderte Mensch zum Zeitpunkt seiner Aufnahme in der Werkstatt geschäftsunfähig war. Ehefähigkeit = Eine Eingehung der Ehe ist grundsätzlich nur volljährigen und geschäftsfähigen Personen möglich (§ 1304 BGB). Testierfähigkeit = § 2229 BGB: Mit Vollendung des 16. Lebensjahres kann ein Testament errichtet werden. Dies gilt nicht, wenn eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, eine Geistesschwäche oder eine Bewusstseinsstörung vorliegt und somit die Bedeutung der abgegebenen Willenserklärung nicht erfasst werden kann. Deliktsfähigkeit = Fähigkeit für sein eigenes schadensverursachendes Handeln verantwortlich gemacht zu werden. Deliktsunfähigkeit = wer nicht das 7 Jahr vollendet hat ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich (§ 28 Abs. 1 BGB) 0 – 6 Jahren. Beschränkte Deliktsfähigkeit = wer das 18 Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nach Abs. 1 oder 2. ausgeschlossen ist für den Schaden, den er einem andern zufügt nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 12 schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht hat. Parteifähigkeit= Fähigkeit Partei in einem Rechtsstreit zu sein § 50 ZPO. Prozessfähigkeit = Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit Prozesshandlungen selbst vorzunehmen und entgegenzunehmen § 51 ZPO. Handlungsfähigkeit im Sozialrecht = Wer nach dem bürgerlichem Recht geschäftsfähig ist, ist gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X in Verwaltungsverfahren handlungsfähig. Für Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres besteht jedoch eine erweiterte Handlungsfähigkeit. § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, § 36 SGB I. Diese Personen können ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, Anträge auf Sozialleistungen stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen annehmen. III. Patientenrechte Auszug aus „Patientenrechte in Deutschland“ vom Bundesministerium der Justiz Das Behandlungsverhältnis Durch wen kann sich der Patient behandeln lassen? Der Patient hat grundsätzlich das Recht, Arzt und Krankenhaus frei zu wählen und zu wechseln. Der Patient kann eine ärztliche Zweitmeinung einholen. Den begründeten Wunsch, einen weiteren Arzt hinzuzuziehen oder eine Zweitmeinung einzuholen, soll der Arzt nicht ablehnen. Die Behandlungsunterlagen sind dem mitbehandelnden Arzt zu übermitteln. Der Patient sollte sich vorher über eventuelle Kostenfolgen bei dem Arzt oder dem Kostenträger (z. B. gesetzliche Krankenkasse) informieren. Welche Qualität muss eine medizinische Behandlung haben? Der Patient hat Anspruch auf eine qualifizierte und sorgfältige medizinische Behandlung nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Sie umfasst eine qualifizierte Pflege und Betreuung. Stehen die erforderlichen organisatorischen, personellen oder sachlichen Voraussetzungen für eine Behandlung nach dem medizinischen Standard nicht zur Verfügung, ist der Patient an einen geeigneten Arzt oder ein geeignetes Krankenhaus zu überweisen. Arzneimittel oder Medizinprodukte, die zur Behandlung eingesetzt werden, müssen die gesetzlich vorgeschriebenen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen erfüllen. Dafür tragen die pharmazeutischen Unternehmer bzw. Hersteller, bei falscher ärztlicher Verordnung oder Anwendung auch der behandelnde Arzt oder das Krankenhaus, die Verantwortung. Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen haben Anspruch auf die ärztliche Behandlung, die zur Verhütung, Früherkennung sowie Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend, zweckmäßig sowie wirtschaftlich ist. Nicht notwendige Leistungen, für die eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht besteht, können nur © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 13 gegen Übernahme der Kosten durch den Patienten erbracht werden. Die Krankenkasse muss den Patienten auf dessen Wunsch individuell über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen beraten. Auch der öffentliche Gesundheitsdienst erfüllt durch die Gesundheitsämter Beratungsaufgaben. Bei Behinderungen erfolgt die Beratung durch die im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) vorgesehenen Servicestellen. Auch die Sozialleistungsträger haben die Pflicht, über sozialrechtliche Ansprüche allgemein aufzuklären. Was bedeutet die Einwilligung des Patienten? Der Patient hat das Recht, Art und Umfang der medizinischen Behandlung selbst zu bestimmen. Er kann entscheiden, ob er sich behandeln lassen will oder nicht. Der Patient kann eine medizinische Versorgung also grundsätzlich auch dann ablehnen, wenn sie ärztlich geboten erscheint. Kommen mehrere gleichwertige medizinische Behandlungen oder Behandlungsmethoden in Betracht, muss der Arzt über Chancen und Risiken umfassend aufklären. Der Patient kann die anzuwendende Behandlung wählen. Kann zwischen Patient und Arzt kein Konsens über die Behandlungsart und den Behandlungsumfang hergestellt werden, ist der Arzt - von Notfällen abgesehen – berechtigt, die Behandlung abzulehnen. Alle medizinischen Maßnahmen setzen eine wirksame Einwilligung des Patienten voraus. Eine Einwilligung kann nur wirksam sein, wenn der Patient rechtzeitig vor der Behandlung aufgeklärt wurde oder ausdrücklich darauf verzichtet hat. Wirksam einwilligen kann nur, wer die nötige Einsichtsfähigkeit besitzt. Die nötige Einsichtsfähigkeit können auch Minderjährige und Betreute haben. Insbesondere bei schweren Eingriffen kann auch bei vorhandener Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen zusätzlich zu dessen Zustimmung die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters – dies sind in der Regel die Eltern – erforderlich sein. Verfügt der Patient nicht über die nötige Einsichtsfähigkeit, muss der gesetzliche Vertreter bzw. ein vom Vormundschaftsgericht bestellter Betreuer der Behandlung zustimmen. Er hat dabei den mutmaßlichen Willen des Patienten zu beachten. Die Bestellung eines Betreuers ist entbehrlich, wenn der Patient rechtzeitig eine Person seines Vertrauens für die Zustimmung in Gesundheitsangelegenheiten bevollmächtigt hat (Vorsorgevollmacht). Bei besonders schwerwiegenden Eingriffen bedarf die Einwilligung durch einen Betreuer oder Bevollmächtigten der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt, der keinen Aufschub duldet. Wenn der Patient nicht ansprechbar ist, reicht bei lebens– und gesundheitserhaltenden Notfallbehandlungen seine mutmaßliche Einwilligung aus. Der mutmaßliche Wille des Patienten sollte dabei aufgrund von Auskünften naher Angehörigeroder enger Freunde ermittelt werden. Selbstbestimmung am Ende des Lebens Auch bei der Behandlung Sterbender hat der Arzt das Selbstbestimmungsrecht und die menschliche Würde des Patienten zu berücksichtigen. Patienten im Sterben haben das Recht auf eine angemessene Betreuung, insbesondere auf schmerzlindernde Behandlung. Sie können über Art und Ausmaß diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen selbst entscheiden. Patienten, die entscheidungsfähig sind, können den Behandlungsabbruch oder das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen verlangen. Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch wenn der Patient sie verlangt. Bei Patienten, die nicht entscheidungsfähig sind, muss auf ihren mutmaßlichen Willen abgestellt werden. Zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens sind insbesondere frühere schriftliche oder mündliche Äußerungen des Patienten und seine sonstigen erkennbaren persönlichen Wertvorstellungen zu berücksichtigen. Eine wesentliche Rolle nimmt dabei die Befragung von Ehepartnern oder Lebensgefährten, Angehörigen und Freunden sowie von © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 14 anderen nahestehenden Personen über die mutmaßlichen Behandlungswünsche des Patienten ein. Patienten können für den Fall, dass sie nicht mehr entscheidungsfähig sind, vorsorglich im Rahmen einer sogenannten Patientenverfügung auf lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen verzichten. Der in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille ist für den Arzt im Grundsatz bindend. Bei einer Patientenverfügung muss der Arzt im Einzelfall jedoch genau prüfen, ob die konkrete Situation derjenigen entspricht, die sich der Patient beim Abfassen der Verfügung vorgestellt hatte, und ob der in der Patientenverfügung geäußerte Wille im Zeitpunkt der ärztlichen Entscheidung nach wie vor aktuell ist. Der Patient kann in einer Patientenverfügung Vertrauenspersonen benennen und den Arzt ihnen gegenüber von der Schweigepflicht entbinden. Informationen zu Patientenverfügungen können beispielsweise bei Landesgesundheitsbehörden, Ärztekammern, Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbänden, Verbraucherzentralen, Patientenorganisationen oder Sozialstationen angefordert werden Was ist hinsichtlich der Aufklärung und Information des Patienten zu beachten? Der Arzt hat den Patienten rechtzeitig vor der Behandlung und grundsätzlich in einem persönlichen Gespräch über Art und Umfang der Maßnahmen und der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken aufzuklären und die Einwilligung des Patienten dazu einzuholen. Formulare und Aufklärungsbögen ersetzen das Gespräch nicht. Der aufklärende Arzt muss nicht notwendigerweise der behandelnde Arzt sein. Die Haftung für eine mangelhafte Aufklärung trägt indessen immer der behandelnde Arzt. Eine wirksame Einwilligung setzt eine so umfassende und rechtzeitige Aufklärung des Patienten voraus, dass dieser aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, Art, Umfang und Tragweite der Maßnahme und der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken ohne psychischen Druck zu ermessen und sich entsprechend zu entscheiden. Zu unterrichten ist auch über Art und Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Risiken im Verhältnis zu den Heilungschancen und über alternative Behandlungsmöglichkeiten. Der Umfang und der Zeitpunkt der Aufklärung richtet sich auch nach der Schwere und der Dringlichkeit des Eingriffs. Der Patient muss durch die Aufklärung in die Lage versetzt werden, beurteilen zu können, was die konkret vorgesehene Behandlung für ihn persönlich bedeuten kann. Auf Fragen des Patienten hat der Arzt wahrheitsgemäß, vollständig und verständlich zu antworten. Aufklärung und Beratung müssen auch für Patienten, die sich mit dem Arzt sprachlich nicht verständigen können, verstehbar sein. Der Patient hat das Recht, auf die ärztliche Aufklärung zu verzichten und zu bestimmen, wen der Arzt außer ihm oder statt seiner informieren darf oder soll. Versuchsbehandlungen Vor einer möglichen Teilnahme an sog. Versuchsbehandlungen, deren Wirksamkeit und Sicherheit wissenschaftlich noch nicht abgesichert sind, muss der Patient umfassend über die Durchführungsbedingungen, über Nutzen und Risiken sowie über Behandlungsalternativen aufgeklärt werden. Der Patient hat das Recht, die Mitwirkung an der medizinischen Forschung oder Lehre abzulehnen. Ihm dürfen aus der Ablehnung keine Nachteile bei der medizinischen Versorgung erwachsen. Welche medizinischen Maßnahmen sind zu dokumentieren? Die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen (z.B.: Diagnoseuntersuchungen, Funktionsbefunde, Medikation, ärztliche Hinweise für und © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 15 Anweisungen an die Funktions- und Behandlungspflege, Abweichung von einer Standardbehandlung) und Verlaufsdaten (z.B.: Aufklärung bzw. der Verzicht auf eine Aufklärung durch den Patienten, Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Besonderheiten im Behandlungsverlauf) sind zu dokumentieren. Eine Aufzeichnung in Stichworten reicht aus, sofern diese für die mit- oder nachbehandelnden Ärzte verständlich sind. Routinehandreichungen und Routinekontrollen müssen grundsätzlich nicht dokumentiert werden. Die Dokumentation ist vor unbefugtem Zugriff und vor nachträglicher Veränderung zu schützen. Kann der Patient in die Behandlungsunterlagen einsehen? Der Patient hat das Recht, die ihn betreffenden Behandlungsunterlagen einzusehen und auf seine Kosten Kopien oder Ausdrucke von den Unterlagen fertigen zu lassen. Der Patient kann eine Person seines Vertrauens mit der Einsichtnahme beauftragen. Der Anspruch auf Einsichtnahme erstreckt sich auf alle objektiven Feststellungen über den Gesundheitszustand des Patienten (z.B. naturwissenschaftlich objektivierbare Befunde, Ergebnisse von Laboruntersuchungensowie von Untersuchungen am Patienten wie EKG, Röntgenbilder usw.) und die Aufzeichnungen über die Umstände und den Verlauf der Behandlung (z.B. Angaben über verabreichte oder verordnete Arzneimittel, Operationsberichte, Arztbriefe und dgl.). Das Einsichtsrecht erstreckt sich nicht auf Aufzeichnungen, die subjektive Einschätzungen und Eindrücke des Arztes betreffen. Weitere Einschränkungen des Einsichtsrechts können bestehen im Bereich der psychiatrischen Behandlung und wenn Rechte anderer in die Behandlung einbezogener Personen (z.B. Angehörige, Freunde) berührt werden. Was ist im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz und die Vertraulichkeit von Patientendaten zu beachten? Die den Patienten betreffenden Informationen, Unterlagen und Daten sind von Ärzten, Pflegepersonal, Krankenhäusern und Krankenversicherern vertraulich zu behandeln. Sie dürfen nur mit Zustimmung des Patienten oder auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen weitergegeben werden. Die ärztliche Schweigepflicht besteht auch gegenüber anderen Ärzten. In Datenbanken gespeicherte Angaben über den Patienten sind technisch und organisatorisch vor Zerstörung, Änderung und unbefugtem Zugriff zu schützen. Sie sind nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist zu löschen. Bei stationären Behandlungen soll der Patient darüber informiert werden, wer ihn in Behandlung und Pflege betreut. Bei therapeutischen Gesprächen ist Vertraulichkeit zu gewährleisten. Grundsätzlich darf der Gesundheitszustand des Patienten auch Angehörigen nicht offenbart werden. Der Patient kann jedoch den Arzt ermächtigen, anderen Personen Auskunft über seinen Gesundheitszustand zu geben. Die benannten Personen können von dem Arzt Auskunft über den Gesundheitszustand des Patienten verlangen. Im Schadensfall Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht auf einem anerkannt hohen Niveau. Neben der qualifizierten medizinischen Ausbildung der Ärzteschaft wird insbesondere auf die Qualitätssicherung ärztlicher Berufsausübung großer Wert gelegt. Trotzdem kann es zu Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern kommen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass nicht immer dann, wenn der gewünschte Behandlungserfolg ausbleibt, ein verschuldeter ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt. In Fällen einer fehlerhaften Behandlung oder unzureichenden Aufklärung stehen dem Patinten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zu. Bei Schäden, die durch Arzneimittel oder durch ein Medizinprodukt (z. B. Röntgengerät) verursacht worden sind, können auch Ansprüche gegen den pharmazeutischen Unternehmer bzw. den Hersteller bestehen. Besteht Grund zu der Annahme, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, sollte der Patient zunächst das Gespräch mit dem behandelnden © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 16 Arzt oder einer Beratungsstelle suchen und Einsicht in die Behandlungsdokumentation nehmen bzw. sich Kopien anfertigen lassen. Im stationären Bereich steht dem Patienten außerdem die Möglichkeit offen, sich an die Krankenhausleitung zu wenden. Darüber hinaus ist im Schadensfall im Allgemeinen folgendes zu beachten: Wo kann sich der Patient beraten lassen und wie kann der Patient eventuelle Ersatzansprüche verfolgen? Beratung Mit Beschwerden und Beratungsanliegen kann sich der Patient an die Ärzte- bzw. Zahnärztekammern, Krankenkassen oder an freie Patientenberatungsund Patientenbeschwerdestellen, Verbraucherzentralen und Selbsthilfeorganisationen wenden. Patientenbeschwerdestellen sind vielfach bereits in den Krankenhäusern eingerichtet worden. Sinnvoll kann es auch sein, sich durch einen Rechtsanwalt beraten zu lassen. Spezialisierte Rechtsanwälte sind bei den Anwaltskammern oder -vereinen zu erfragen. Kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, ist es für die Patienten ratsam, sich zügig beraten zu lassen, um zu vermeiden, dass die Ansprüche wegen Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden können. Geltendmachung von Ersatzansprüchen Schadensersatzansprüche können außergerichtlich oder gerichtlich geltend gemacht werden: Die Ärzte- und Zahnärztekammern haben Gutachter- und Schlichtungsstellen eingerichtet, die es den Beteiligten erleichtern sollen, Streitfälle in Arzthaftpflichtsachen außergerichtlich beizulegen. Die Gutachter- und Schlichtungsstellen sind in der Regel durch Ärzte und Juristen besetzt; ihre Einschaltung ist freiwillig. Gutachter- und Schlichtungsstellen greifen Fälle auf, die noch nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sind und in der Regel nicht länger als 5 Jahre zurückliegen. Ihre Stellungnahme zur Frage eines Behandlungsfehlers oder eines Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach ist für die Beteiligten und ein eventuell anschließendes gerichtliches Verfahren nicht bindend. Auf Wunsch des Versicherten beraten und unterstützen die gesetzlichen Krankenkassen kostenlos ihre Versicherten bei der Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche wegen eines Behandlungsfehlers (z. B. durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen). Darüber hinaus hat der Patient die Möglichkeit, vor dem Zivilgericht eventuelle Ersatzansprüche einzuklagen. Im Arzthaftungsprozess muss der Patient grundsätzlich die ärztliche Pflichtverletzung, den eingetretenen Schaden, die Ursächlichkeit des Fehlers für den Schaden sowie das Verschulden des Schädigers darlegen und im Bestreitensfalle auch beweisen. Unter Umständen, etwa bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, greifen aber zugunsten des Patienten Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr, d. h. der Schädiger muss den Gegenbeweis antreten. Der Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten obliegt in streitigen Fällen dem behandelnden Arzt. Bei Dokumentationsmängeln wird zulasten des Arztes vermutet, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme unterblieben ist. Kosten In der Regel ist es kostenlos, sich bei den Patientenberatungs- und Patientenbeschwerdestellen zu informieren und Ansprüche bei den Gutachter- und Schlichtungsstellen geltend zu machen. Die Beratung durch Rechtsanwälte ist kostenpflichtig. Wer die Kosten hierfür nicht aufbringen kann, kann Beratungshilfe in Anspruch nehmen. Auch bei der Rechtsverfolgung vor den Zivilgerichten entstehen Kosten. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 17 Wer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel für die Prozessführung verfügt, kann Prozesskostenhilfe beanspruchen. Auszug aus der Verbraucherzentrale Bremen: Patienten haben Rechte. Trotzdem nehmen sie diese Rechte oft nicht wahr. Das liegt oftmals an der Angst vor den Halbgöttern in Weiß. Teilweise liegt es aber auch daran, daß das Wissen darüber, welche Rechte man als Patient hat, nicht weit verbreitet ist und klein gehalten wurde. Erst in den letzten Jahren gibt es hier einen Wandel. Wenn man sich Ärzten, Krankenkassen, Arzneimittel-Herstellern usw. nicht hilflos ausgeliefert fühlen will, muß man sich zum kritischen und selbstbewußten Patienten fortbilden. Jeder sollte seine Rechte als Patient kennen und wissen, wie er sie im Streitfall durchsetzen kann: außergerichtlich oder gerichtlich. Dieses Kleine Lexikon der Patientenrechte soll mit einigen knappen Stichworten einen groben Überblick über die Patientenrechte geben und dabei helfen, ein selbstbewußter und informierter Patient zu werden. Arzneimittel, Arzttermin, Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Behandlungsfehler, Betreuungsverfügung, Beweislast, Datenschutz, Dokumentation, Einsichtsrecht, Heilmittel, Hilfsmittel, Gesetzliche, Private, Krankenunterlagen, Patientenverfügung, Patiententestament, Pflege, Schadenersatz, Schmerzensgeld, Schweigepflicht, Selbstbestimmungsrecht, Verjährung, Vorsorgevollmacht, Wartezeit, Zahnbehandlung. Arzneimittel Ein Arzt ist verpflichtet, dasjenige Medikament zu verschreiben, das den Behandlungserfolg am besten gewährleistet. Ein Patient hat Anspruch auf notwendige und ausreichende Versorgung. Allerdings muß der Arzt das Gebot der Verhältnismäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit beachten. Außerdem beschränkt sich der Anspruch auf die in der „Liste verordnungsfähiger Arzneimittel“ angeführten Produkte. Siehe auch: Heilmittel und Hilfsmittel. Arzttermin Wer als Patient bei einem Arzt einen Behandlungstermin fest ausmacht, sollte auch erscheinen. Unter Umständen kann der Arzt nämlich Schadensersatz verlangen, falls man nicht rechtzeitig absagt oder nicht erscheint. Allerdings ist das in der Judikatur umstritten. Manche Gerichte gehen davon aus, daß Arzttermine nur den Arbeitsablauf in der Arztpraxis erleichtern sollen. Bei einem Zahnarztbesuch wird man dagegen nicht ohne weiteres davon ausgehen können, daß andere Patienten zur Verfügung stehen, die den geplatzten Termin auffangen können. In jedem Fall aber muß der Arzt den Schaden, den er erlitten hat, konkret darlegen und beweisen, was nicht leicht ist. Das schafft Raum für eine gütliche Einigung. Siehe auch: Wartezeit. Arzthaftung Wenn man einem Arzt einen Behandlungsfehler oder Aufklärungsfehler nachweisen (siehe: Beweislast) kann, haftet der Arzt für den entstandenen Schaden (siehe: Schadenersatz). © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 18 Eventuell kann man auch ein Schmerzensgeld beanspruchen. In diesem Fall bestehen mehrere Möglichkeiten: Zunächst kann man versuchen, sich selber mit dem Arzt zu einigen. Dies ist für beide Seiten die schnellste und kostengünstigste Art der Einigung. Ein wenig empfehlenswerter Weg ist, ein Privatgutachten darüber einzuholen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Diese Vorgehensweise hat entscheidende Nachteile: Solche Gutachten sind kostspielig, und es besteht die Gefahr, daß man auf den Kosten sitzen bleibt. Wenn man später ein Gerichtsverfahren einleitet, wird das Gericht ohnehin ein eigenes Gutachten einholen. Dann besteht auch die Möglichkeit, die Krankenkasse um Unterstützung zu bitten, denn die Gesetzlichen Krankenkassen können ihre Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen in geeigneter Weise unterstützen, wie es das Sozialgesetzbuch formuliert. In der Praxis allerdings reißen sich die Krankenkassen zum Wohle der Patienten kein Bein aus, obwohl die Klärung von Behandlungsfehlern und deren Folgeschäden eigentlich in ihrem ureigenen Interesse liegen müßte. Eine in der Praxis sehr wichtige Möglichkeit ist, eine Schlichtungsstelle einzuschalten. Die Schlichtungsstellen sind bei den regionalen Ärztekammern eingerichtet. Ein Arzt kann zwar nicht gezwungen werden, sich auf dieses Verfahren einzulassen, erklärt er sich allerdings dazu bereit, bietet dieses Verfahren einige Vorteile: Das Verfahren ist meist kostenfrei. Die Haftpflichtversicherer der Ärzte erkennen die Entscheidung der Schlichtungsstelle in der Regel an. Wenn das Verfahren vor der Schlichtungsstelle ungünstig ausgeht, kann man immer noch Klage beim zuständigen Zivilgericht erheben. Während das Schlichtungsverfahren läuft, ist die Verjährung gehemmt, so daß man nicht unter zusätzlichen Zeitdruck gerät. Eine solche „normale“ Klage zu erheben, ist teuer und kompliziert. Ohne anwaltliche Hilfe ist das nicht zu bewerkstelligen. Wenn man verliert, muß man sämtliche Kosten übernehmen. Aber auch dann, wenn man sich während des Gerichtsverfahrens vergleicht, muß man erhebliche Kosten einkalkulieren. Schließlich gibt es noch den Weg, ein Strafverfahren gegen den Arzt einzuleiten, indem man ihn anzeigt. Das Verfahren ist kostenfrei und ersetzt – rechtsphilosophisch betrachtet – die private Rache. Den eigenen Schadensersatzanspruch kann man auf diese Weise aber nicht durchsetzen. Das Strafgericht spricht nur eine Strafe gegen den Arzt aus, dem Geschädigten jedoch keinen Ersatz zu. Die Einleitung eines Strafverfahrens erschwert eine vernünftige Regelung der zivilrechtlichen Ansprüche in einem so hohen Maße, daß davon unbedingt abgeraten werden muß. Siehe auch unter: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Beweislast, Schadenersatz, Schmerzensgeld, Selbstbestimmungsrecht, Verjährung. Dokumentation, Aufklärungspflicht Der Patient selbst muß sich für oder gegen eine ärztliche Behandlung entscheiden (siehe: Selbstbestimmungsrecht) und die Einwilligung zu einer Behandlung erklären. Ansonsten ist die Vornahme einer Behandlung rechtswidrig, und ein Arzt macht sich strafbar. Die Einwilligung oder die Nichteinwilligung ist für einen Patienten als medizinischem Laien eine der schwierigsten Entscheidungen überhaupt. Der Arzt hat deshalb eine Aufklärungspflicht. Damit soll die Entscheidungsfreiheit des Patienten sichergestellt werden. Der Arzt muß seinem Patienten Informationen an die Hand geben, damit dieser eine Entscheidung treffen kann. Diese Informationen müssen verständlich und umfassend sein. Der Arzt muß in einem © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 19 persönlichen Gespräch, in dem er den Patienten aufklärt, über folgende Themen informieren: Über seine jetzige Situation, das heißt, die Krankheit, an der er leidet (Diagnose); über die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten (Therapie) und deren Erfolgschancen; über alternative Therapien, über die Risiken und Nebenwirkungen und möglichen Folgen der Behandlung. Ein Arzt muß auf alle Fragen, die ihm ein Patient stellt, verständlich und umfassend antworten. Das Aufklärungsgespräch kann keinesfalls dadurch ersetzt werden, daß der Arzt Merkblätter aushändigt und sich Formulare unterschreiben läßt. Die Aufklärung muß so rechtzeitig erfolgen, daß der Patient noch im Vollbesitz seiner Entscheidungsfähigkeit ist. Eine Aufklärung, die eine Stunde vor der Operation oder sogar erst im Operationssaal erfolgt, ist eindeutig zu spät. Dem Patienten muß, es sei denn, die Behandlung ist unaufschiebbar (schwerer Unfall), bis zum Eingriff eine angemessene Überlegensfrist verbleiben. In der Regel gelten ein bis drei Tage als angemessene Aufklärungsfrist. Bei besonders schweren Eingriffen oder wenn mit schweren oder häufigen Komplikationen zu rechnen ist, das heißt: wenn man als Patient das Für und Wider eines Eingriffs und seiner Folgen (hohes Risiko) umfassend abwägen muß, sind 24 Stunden zu kurz. Allgemein bekannte Risiken, wie etwa Infektionen, Narbenbrüche oder Embolien, die bei jeglichen Operationen auftreten können, müssen nicht erwähnt werden. Der Arzt muß auch nicht auf jede Möglichkeit einer Komplikation hinweisen. insbesondere nicht auf solche Komplikationen, die für die beabsichtigte Operation nicht typisch sind. Nicht nur völlig untypische Komplikationen sind von der Aufklärungspflicht ausgenommen, sondern auch fernliegende Komplikationen mit einer Komplikationswahrscheinlichkeit von unter 1%. Je notwendiger die Behandlung ist, desto weniger muß aufgeklärt werden. Je weniger notwendig eine Behandlung ist, desto mehr muß aufgeklärt werden. Das gilt etwa für Schönheitsoperationen. Die Aufklärung muß gleichfalls umfassender sein, je weiter sich ein Arzt vom schulmedizinischen Standard (veraltete Therapie, alternative Therapie) entfernt. Und schließlich gilt als Faustregel: Je schwerer die Behandlung und die zu erwartenden Risiken und eventuellen Komplikationen sind, desto umfangreicher muß aufgeklärt werden. Siehe auch unter: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Beweislast, Schadenersatz, Schmerzensgeld, Selbstbestimmungsrecht, Verjährung. Dokumentation, Behandlungsfehler Unterläuft einem Arzt oder seinen Angestellten schuldhaft ein Behandlungsfehler („Kunstfehler“), muß er Schadenersatz leisten. Ein Arzt schuldet eine Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Er muß sich fortbilden, um sein Wissen auf dem neuesten Stand zu halten. Und er muß auch seine Grenzen erkennen, das heißt, wenn er nicht weiter weiß, muß er die Patienten zu einem Spezialisten weiterverweisen. Einige Beispiele für Behandlungsfehler: Bei Verdacht auf Krebs wird das Gewebe nicht zur Untersuchung eingeschickt; ein Röntgenbild wird falsch gedeutet. Wird eine Injektion derart fehlerhaft ausgeführt, daß im Gesäßbereich Narben zurückbleiben, und gestaltet sich der Heilungsprozeß langwierig, so haftet der Arzt. Behandelt ein Arzt einen Muskelfaserriß, so begeht er einen groben Behandlungsfehler, wenn er nicht auf die Notwendigkeit weiterer Kontrolluntersuchungen hinweist. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 20 Kann ein Verdacht auf eine Blinddarmentzündung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, so ist das Hinauszögern einer Operation ein Behandlungsfehler. Ein vergessener Tupfer bei einer Operation ist gleichfalls ein Kunstfehler. Das große Problem des Arzthaftungsrechts ist allerdings, daß der geschädigte Patient in der Beweislast steht, die falsche Behandlung und den Schaden zu beweisen. Hiervon gibt es jedoch eine Ausnahme: den sogenannten groben Behandlungsfehler. Ein grober Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn der Arzt gegen elementare Behandlungsregeln oder Erkenntnisse der Medizin verstoßen hat. Desgleichen, wenn ihm ein Fehler unterläuft, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Beispielsweise ist ein grober Behandlungsfehler dann anzunehmen, wenn ein Arzt trotz des Verdachts auf Malaria keine Blutuntersuchung anordnet, obwohl sich der inzwischen bewußtlose Patient zuvor in einem Malariagebiet aufgehalten hat. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, kehrt sich die Beweislast um, das heißt: nun muß der Arzt beweisen, daß ihn keine Schuld trifft. Siehe auch unter: Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Schadenersatz, Schmerzensgeld, Verjährung. Beweislast, Dokumentation, Betreuungsverfügung 1990 ist an die Stelle des Gesetzes der Vormundschaft über Volljährige (Entmündigung) das Betreuungsgesetz getreten. Das Betreuungsgesetz regelt die rechtliche Ausgestaltung von Betreuungsverhältnissen. Für ältere Menschen wird eine Betreuung vorgesehen, wenn zu befürchten ist, daß diese tatsächliche und rechtliche Fürsorge benötigen. Über die Frage, ob ein Betreuungsverhältnis sinnvoll und notwendig ist, urteilt das zuständige Vormundschaftsgericht. Das Vormundschaftsgericht entscheidet dann zugleich, welche Person die Betreuung wahrnehmen soll. Hier kann man unliebsamen Überraschungen vorbeugen, indem man eine Betreuungsverfügung oder eine Vorsorgevollmacht verfaßt. In einer Betreuungsverfügung kann man nicht nur regeln, wer als Betreuer eingesetzt oder wer keinesfalls eingesetzt werden soll, sondern auch, welche Wünsche vom zukünftigen Betreuer unbedingt respektiert werden sollen. Denkbar sind zudem Bestimmungen für den Fall dauernder Bewußtlosigkeit oder einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit. Hier sollte dann aber als Vorausverfügung auf die Varianten der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung (siehe dort) zurückgegriffen werden. Siehe auch: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht. Beweislast Die Beweislast ist in der juristischen Praxis sehr wichtig. Oft scheitert eine Partei vor Gericht selbst dann, wenn sie im Recht ist, nur aus dem Grund, daß sie ihren Anspruch nicht beweisen kann. Nach den allgemeinen Beweisregeln muß grundsätzlich derjenige, der von einem anderen etwas beansprucht, die dafür notwendigen Tatsachen vor Gericht vortragen. Das ist in einem Arzthaftungsprozeß zunächst nicht anders. Allerdings gibt es einige Besonderheiten. Fordert ein Patient beispielsweise wegen unterlassener Aufklärung einen Schadenersatz, so muß der Arzt darlegen, daß er den Patienten rechtzeitig, korrekt, verständlich und vollständig aufgeklärt hat. Gelingt ihm das nicht, muß wiederum der Patient darlegen, weshalb er bei Kenntnis der Umstände, das heißt: wenn er aufgeklärt worden wäre, die Behandlung abgelehnt haben würde. Er muß im Einzelnen die Gründe anführen, die sein Verhalten im Falle der ordnungsgemäßen Aufklärung nachvollziehbar erscheinen lassen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 21 Der allgemeine Grundsatz der Beweislast gilt zunächst auch für Schäden, die durch ärztliche Behandlungsfehler entstehen. Hier muß der Patient sämtliche Voraussetzungen für die fehlerhafte Behandlung beweisen. Allerdings gibt es hier eine Besonderheit: Liegt ein schwerer (grober) Behandlungsfehler vor, kehrt sich die Beweislast um. Dann muß der Arzt beweisen, daß der Schaden nicht auf seinem eigenen Fehler beruht. Siehe auch: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Dokumentationspflicht. Datenschutz Hochsensible Patientendaten gehen niemanden etwas an. Ärzte und Krankenhäuser dürfen Daten von Patienten nicht ohne weiteres von fremden Firmen archivieren lassen. Die Archivierung durch externe Firmen ist nur zulässig, wenn die Daten anonymisiert werden. Ansonsten verletzt die Offenbarung der Patientendaten die ärztliche Schweigepflicht, weil bereits die Tatsache eines Arztbesuches oder einer Behandlung im Krankenhaus ein Geheimnis aus dem persönlichen Lebensbereich der Patienten ist. Ein Arzt darf einen Anspruch auf Schadensersatz, den er gegen einen Patienten hat, nicht abtreten, wenn zu dessen Berechnung die Patientendaten öffentlich gemacht werden müssen. Wird eine Arztpraxis verkauft, muß der Arzt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs die Zustimmung von seinen Patienten einholen, bevor er die Patientendaten weitergibt. Ist man damit nicht einverstanden, kann man die Rückgabe seiner Patientendaten verlangen. Bei Briefen an Ärzte in einem Krankenhaus sollte man den Arzt eindeutig als Empfänger angeben und zusätzlich den Vermerk „persönlich - privat“ hinzufügen. Schreibt man nur „zu Händen“, gefolgt von dem Arztnamen, darf das Krankenhauspersonal den Brief öffnen. Die Problematik des Datenschutzes und der Schweigepflicht überschneiden sich, sind aber nicht deckungsgleich. Siehe deshalb auch: Schweigepflicht. Dokumentation(-spflicht) Ärzte und Krankenhäuser sind verpflichtet, die Behandlung zu dokumentieren. Das bedeutet, daß der Behandlungsablauf in der Krankenakte festgehalten werden muß. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich auf die Untersuchungen, den Befund, die Behandlungsmaßnahmen, den Operations-bericht, das Narkoseprotokoll, Zwischenfälle, Heilungs-verlauf und auch die Art und Dosierung der Medikamente etc. Damit soll sichergestellt werden, daß jeder mit- und nachbehandelnde Arzt imstande ist, sich über den Patienten, die Diagnose, die Behandlungsmaßnahmen und deren Erfolg oder Nichterfolg ein Bild zu machen. Die Dokumentation ist auch von großer Bedeutung, um festzustellen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Ist die Dokumentation lückenhaft, trägt der Arzt die Beweislast dafür, daß Diagnose und Behandlung der ärztlichen Kunst entsprachen. Siehe auch: Einsichtsrechte in die Krankenunterlagen, Beweislast. Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, daß Patienten grundsätzlich ein Einsichtsrecht in ihre Krankenunterlagen zusteht. Dieses Recht ist auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung abgesichert: Bundesgerichtshof (BGH), in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1983, S. 328ff., S. 330ff. u. S. 2627ff.; Bundes-verfassungsgericht (BVerfG) NJW 1999, S. 1777f. Lediglich bei Verdachtsdiagnosen, subjektiven Wertungen oder psychischen Erkrankungen kann dieses Recht teilweise eingeschränkt werden. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 22 Der Arzt ist allerdings nicht verpflichtet, die Originalunterlagen auszuhändigen. Er darf deshalb pro Kopie einen halben Euro berechnen. Mehr allerdings nicht, und ganz besonders nicht die Zeit, die er benötigt, um die Kopien herzustellen. Röntgenbilder stehen im Eigentum des Arztes. Verlangt man auch hier Duplikate, muß man dafür gleichfalls die Kosten übernehmen. Das Anschreiben für die Einsicht in die Behandlungsunterlagen könnte folgendermaßen lauten: [...] Ich war bei Ihnen in Behandlung von (...) bis (...). Ich wünsche Einsicht in alle bei Ihnen über mich existierenden Krankenunterlagen. Ich bitte Sie, von den kompletten Behandlungsunterlagen leserliche Fotokopien anzufertigen und mir diese zu übersenden. Zugleich bitte ich Sie um die Versicherung, daß es sich um die vollständigen Unterlagen handelt. Die Kosten für die Fotokopien und den Versand übernehme ich. Falls Sie keine Möglichkeit haben sollten, die Kopien für mich anzufertigen, bin ich auch damit einverstanden, wenn Sie mir die Originalunterlagen zur Einsichtnahme übersenden. Auch insoweit übernehme ich die Übersendungskosten und versichere Ihnen, daß ich Ihnen die Originalunterlagen wieder zukommen lassen werde. Rein vorsorglich möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß auf die von mir geltend gemachte Art und Weise der Einsichtnahme in die Krankenunterlagen ein Rechtsanspruch besteht. (BGH NJW 1983, S. 328ff., S. 330ff. u. S. 2627ff.; BVerfG NJW 1999, S. 1777f.) Ich gehe davon aus, daß sich mein Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen innerhalb von drei Wochen realisieren läßt. Etwaige Hinderungsgründe bitte ich, mir rechtzeitig mitzuteilen. Ich erwarte, daß Sie mir die Behandlungsunterlagen bis zum (konkretes Datum einfügen) zugesandt haben werden. Sollte diese Frist fruchtlos verstreichen, bin ich gezwungen rechtliche Schritte einzuleiten, das heißt: gegebenenfalls muß ich dann einen Rechtsanwalt damit beauftragen, Klage auf Herausgabe meiner Behandlungsunterlagen zu erheben. [...] Heilmittel Bei Heilmitteln handelt es sich beispielsweise um Massagen, medizinische Bäder, Krankengymnastik oder Ergotherapie. Die Heilmittel müssen vom Arzt verordnet werden. Außerdem müssen die Heilmittel notwendig sein. Das ist der Fall, wenn sie eine Krankheit oder die mit ihr verbundenen Beschwerden lindern; eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit zu einer Krankheit führen könnte, beseitigen oder Pflegebedürftigkeit vermeiden oder mindern. Siehe auch: Arzneimittel und Hilfsmittel. Hilfsmittel Medizinische Hilfsmittel, die jeder kennt, sind beispielsweise: Rollstühle, Gehhilfen, Windeln, Prothesen, Kunstaugen und Blutdruck- und Blutzuckermeßgeräte. Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücke, orthopädische und andere medizinische Hilfsmittel. Diese werden von den Krankenkassen übernommen, wenn sie erforderlich sind, um einer drohenden © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 23 Behinderung vorzubeugen, den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen (§ 33 SGB V). Das ist vor allem dann der Fall, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Funktionen (zum Beispiel Greifen, Gehen, Hören, Sehen) ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt. Reine Gebrauchsgegenstände sind hingegen keine Hilfsmittel. Der Anspruch umfaßt nicht nur das Hilfsmittel selbst, sondern auch eine notwendige Änderung und Ersatzbeschaffung, sowie die Ausbildung im Gebrauch. Die Krankenkassen dürfen gebrauchte Hilfsmittel zur Verfügung stellen oder die Hilfsmittel leihweise überlassen. Ist ein Hilfsmittel aus beruflichen Gründen notwendig, wird unterschieden, ob es benötigt wird, um überhaupt einen Beruf auszuüben, oder ob es darum geht, daß ein ganz spezieller Arbeitsplatz übernommen werden soll. Im ersten Fall übernimmt die Krankenkasse die Kosten des Hilfsmittels. Im zweiten Fall sind die Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe zuständig. Für Schwerbehinderte kommen auch Hilfen nach dem Schwerbehindertengesetz in Betracht. Die Versorgung mit sogenannten Pflegehilfsmitteln fällt nur dann in die Zuständigkeit der Pflegekasse, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von den Krankenkassen oder von anderen Leistungsträgern zu erbringen sind. Auf die Hilfsmittelversorgung zu Lasten der Krankenkassen hat die Pflegebedürftigkeit des Versicherten keine Auswirkungen. Bis zum vertraglich vereinbarten Preis bzw. bis zum Festbetrag hat der Versicherte in den meisten Fällen keine Zuzahlungen zu leisten. Für Bandagen, Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, eine Zuzahlung in Höhe von 20% des von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrages an die abgebende Stelle zu leisten. Für andere Hilfsmittel werden jeweils die vertraglich vereinbarten Preise übernommen. Einzelne Hilfsmittel aus der Produktgruppe Bandagen und Kompressionstherapeutika sind von der Zuzahlungspflicht ausgenommen. Hilfsmittel mit keinem oder einem geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis sind von der Leistungserbringung durch die Krankenkasse ausgeschlossen. Dazu gehören beispielsweise Alkoholtupfer, Brillenetuis oder Gummihandschuhe. Wollte man alle Hilfsmittel aufzählen, wäre die Liste recht lang. Es gibt ein bundeseinheitliches Hilfsmittelverzeichnis, in dem alle Hilfsmittel aufgelistet sind. Dieses Verzeichnis wird von einer Fachkommission der Spitzenverbände der Krankenkassen ständig aktualisiert und im Bundesanzeiger veröffentlicht, der vom Bundesministerium der Justiz herausgegeben wird. Genehmigt die Krankenkasse ein Hilfsmittel aus dem Grunde nicht, weil es nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, sollte man mit der Krankenkasse vereinbaren, daß die Kosten nach einer positiven Entscheidung des Fachgremiums übernommen werden. Manchmal aber ist erst eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich, damit ein Hilfsmittel in das offizielle Verzeichnis aufgenommen wird. Siehe auch: Arzneimittel, Heilmittel, unsere Broschüre „Hilfsmittel“. Krankenkasse, Gesetzliche Die Gesetzliche Krankenkasse baut auf das Solidaritätsprinzip. Das Gesundheitsrisiko der einzelnen versicherungspflichtigen Mitglieder ist für die Beitragshöhe nicht entscheidend. Die Höhe des Beitrages richtet sich ausschließlich nach dem Bruttoeinkommen. Der Beitrag liegt etwa zwischen elf und vierzehn Prozent des Bruttoeinkommens. Nichtberufstätige Familienmitglieder zahlen keine eigenen Beiträge, was die gesetzlichen Kassen für Familien attraktiv macht. Die Versicherten müssen die Kosten für eine Behandlung nicht vorstrecken, was ein zusätzlicher Vorteil sein kann. Ein weiterer Vorteil ist, daß es keine unkalkulierbaren Risikozuschläge oder existenzgefährdende Beitragserhöhungen im Alter gibt. Von Nachteil ist die aufgrund des Solidarprinzips starre Struktur der Gesetzlichen Kassen, die keine Tarife © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 24 anbieten, die auf die einzelne Person und deren Bedürfnisse zugeschnitten sind. Nachteilig ist auch, daß für die Zukunft absehbar ist, daß die Gesetzlichen Kassen ihre Leistungen Stück um Stück zurücknehmen werden, bis nur noch eine standardisierte Grundversorgung verbleibt. Wer Leistungen über diesen Durchschnitt hinaus absichern will, wird sich entweder zusätzlich privat absichern oder die Leistungen aus eigener Tasche zahlen müssen. Die Leistungen der Gesetzlichen Krankenkassen untereinander unterscheiden sich kaum. Lediglich in einzelnen Punkten gibt es Unterschiede. So etwa bei der alternativen Medizin, der Akupunktur oder der Naturheilkunde, bei der Verordnung von Kuren etc. Gesetzlich Versicherte können ihre Kasse mit einer achtwöchigen Frist zum Monatsende kündigen. An die Wahl der neuen Krankenkasse ist der Versicherte dann prinzipiell 18 Monate gebunden. Davon gibt es eine Ausnahme: Wird der Beitragssatz erhöht, gibt ein Sonderkündigungsrecht, ebenfalls zwei Monate zum Montsende. Siehe auch unter: Krankenkasse, Private. Krankenkasse, Private Die Private Krankenversicherung baut nicht auf dem Solidaritätsprinzip auf. Die Beiträge werden nicht wie bei der Gesetzlichen Krankenversicherung »(siehe dort) nach dem Einkommen berechnet. Für die Prämie zählen die gewählten Leistungen (Tarif) und das persönliche Gesundheitsprofil: Gesundheitszustand, Eintrittsalter und Geschlecht (Frauen zahlen höhere Prämien). Auch wer alt oder krank ist, zahlt mehr. In jungen Jahren kann man gegenüber der Gesetzlichen Versicherung sparen; im Alter zahlt man drauf. Die Leistungen der Privaten Krankenversicherung gehen oftmals über die Leistungen der Gesetzlichen Versicherungen hinaus. Das gilt insbesondere beim Zahnersatz und der Krankenhausbehandlung. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Privaten Kassen bestimmte Krankheiten oder Risiken (Vorerkrankungen!) ausschließen oder Risikoprämien verlangen können. Bei preiswerten Tarifen müssen Zusatzleistungen oft extra versichert werden. Viele Tarife enthalten zudem eine nicht unerhebliche Selbstbeteiligung. Hier muß man den Selbsterhalt in den günstigen Monatstarif einrechnen. Ein Vergleich der Privaten mit der Gesetzlichen Krankenversicherung ist sehr schwierig. Hier liegt jeder Einzelfall anders. Auch ein Vergleich der Privaten Krankenversicherer untereinander ist nahezu unmöglich, weil es zum einen auf die Person des Versicherten ankommt (Familienstand, Risiken, Vorerkrankungen etc.), zum anderen die Tarife und Leistungen sehr voneinander abweichen (Leistungen, Selbsterhalt etc.). Jede Gesellschaft hält verschiedene Tarifarten bereit. Gewarnt sei in jedem Fall vor Billigtarifen (Lockvogelangeboten), die sich als sehr teuer erweisen können. Eine Familienversicherung gibt es bei den Privaten nicht. Für Familien mit vielen Kindern ist die Private Krankenversicherung nicht zu empfehlen, denn jedes Familienmitglied muß eine eigene Versicherung abschließen. Die Entscheidung zwischen der Privaten und der Gesetzlichen Krankenversicherung will auch aus einem anderen Grund gut überlegt sein: wer sich einmal entschlossen hat, sich privat zu versichern, kann diese Entscheidung nur schwer wieder rückgängig machen. Für alle Versicherten, die älter als 55 Jahre sind ist eine Rückkehr zu Gesetzlichen Versicherung gänzlich ausgeschlossen. Siehe auch unter: Krankenkasse, Gesetzliche. Krankenunterlagen © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 25 Siehe unter: Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen. Patientenverfügung Weil die Technik der modernen Medizin (Apparatemedizin) immer weiter fortschreitet und immer unberechenbarer wird, ist es das Bedürfnis vieler Menschen, ihr Recht auf Selbstbestimmung durch Verfügungen zu Lebzeiten zu regeln. Auf diese Weise kann man einer sinnlosen künstlichen Verlängerung des Lebens vorbeugen, wenn eine solche Verlängerung letztendlich den Tod nur qualvoll hinauszögert. Ein typischer Fall ist beispielsweise die Frage, ob eine schmerzmindernde Behandlung trotz einer daraus resultierenden Lebensverkürzung durchgeführt werden soll, wenn feststeht, daß der Patient unheilbar krank ist. Ein Weg ist das sogenannte Patiententestament. Ein Patiententestament ist nicht etwa ein Testament im herkömmlichen Sinne. Es bestimmt keine Erben, sondern enthält die Willenserklärungen, ob, wann und unter welchen Bedingungen und in welcher Art und Weise eine medizinische Behandlung erwünscht oder zu unterlassen ist. Juristisch korrekter ist deshalb der Ausdruck Patientenverfügung anstatt Patiententestament. In der Patientenverfügung kann auch zur Frage der Organspende Stellung genommen werden. Die Patientenverfügung hat einen entscheidenden Schwachpunkt. Mit ihrer Hilfe läßt sich vielfach nicht genau die Situation und Behandlungsform bestimmen, auf die es im Moment der Entscheidung ankommt. Entscheidend ist, daß die Patientenverfügung oder die Vorsorgevollmacht im Ernstfall auffindbar sind. Es empfiehlt sich deshalb, die Dokumente selbst oder einen Hinweis auf den Aufbewahrungsort in der Brieftasche mit sich zu führen. Außerdem sollte man eine Kopie der Vorsorgevollmacht der bevollmächtigten Person aushändigen, die später die Entscheidungen treffen soll. Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sollte von Zeit zu Zeit erneuert werden, um die Ernsthaftigkeit zu bekräftigen. Deshalb sollte man sein Schriftstück jährlich unter Hinzufügung des Datums neu unterschreiben, bei lebensbedrohenden Krankheiten öfter und direkt vor einer geplanten Operation. Siehe auch: Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht. Patiententestament Siehe: Patientenverfügung. Pflege, Pflegeversicherung, Pflegevertrag Jeder Mensch kann pflegebedürftig werden, ob jung, ob alt; sei es durch Krankheit, Unfall oder von Geburt an. Die häufigsten Ursachen sind Krankheit und Altersverwirrung. Dann ist man auf fremde Hilfe angewiesen. Diese Hilfe muß bezahlt werden. Das Pflegeversicherungsgesetz von 1995 sieht für alle Krankenversicherten eine Versicherungspflicht vor. Aus den Töpfen dieser Pflegeversicherung werden die Leistungen der Pflegedienste in der häuslichen und stationären Pflege für die Pflegebedürftigen erbracht. Die Pflegekassen übernehmen die Kosten in einem abgestuften System. Je nach Schwere der Pflegebedürftigkeit werden die Pflegebedürftigen einer der drei Pflegestufen zugeordnet. Nach der Einstufung in die Pflegestufe richtet sich die Höhe der Leistungen der Pflegekassen. Man unterscheidet erheblich Pflegebedürftige (Stufe I), Schwerpflegebedürftige (Stufe II) und Schwerstpflegebedürftige (Stufe III). Für die häusliche Pflege durch Angehörige zahlt die Pflegeversicherung an Patienten der Pflegestufe I 205 Euro, der Pflegestufe II 410 Euro, der Pflegestufe III 665 Euro monatlich. Wer ambulante © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 26 Dienste einsetzt, bekommt – je nach Pflegestufe – 384 Euro, 921 Euro oder 1432 Euro. Für Heimbewohner zahlt die Pflegekasse je nach Pflegebedürftigkeit pauschal 2000, 2500 und 2800 Euro monatlich. Härtefälle mit außergewöhnlichem Pflegeaufwand können bis zu 1918 Euro bekommen. Die Einstufung in die Pflegestufe erfolgt nach dem durchschnittlichen Pflegeaufwand pro Tag und dem täglichen Hilfsbedarf. Stufe I erfordert einen Mindestaufwand pro Tag von 90 Minuten und einen Hilfsbedarf pro Tag von einem Mal. Für Stufe II muß der Aufwand mindestens drei Stunden betragen, Hilfsbedarf muß dreimal am Tag gegeben sein. Stufe III erfordert einen Aufwand von mindestens 5 Stunden am Tag und eine Betreuung rund um die Uhr. Der Zeitaufwand wird auf Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes ermittelt. Bevor Leistungen aus der Pflegeversicherung überhaupt in Anspruch genommen werden können, müssen sie allerdings erst beantragt werden. Zum Antrag berechtigt sind die versicherten Pflegebedürftigen und, im Hinblick auf die Leistungen für Pflegepersonen, die Pflegeperson selbst. Auch Bevollmächtigte können einen Antrag stellen. In Betracht kommen hier Familienangehörige, Nachbarn und Freunde. Nach der Antragstellung werden die Betroffenen einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) unterzogen. Die Begutachtung erfolgt zu Hause. Bei diesem Ortstermin wird ermittelt, welche und wieviel Hilfe erforderlich ist. Dieser Termin ist sehr wichtig, denn er ist maßgebend für die Einstufung in die Pflegestufe. Soll ein ambulanter Pflegedienst mit der Pflege beauftragt werden, muß man einen sogenannten Pflegevertrag abschließen. Diesen Vertrag sollte man schriftlich abschließen. Inhaltlich ist ein solcher Vertrag ähnlich komplex wie ein Mietvertrag über eine Wohnung. Allerdings gibt es folgende Erleichterung: Einige wichtige Fragen sind bereits in den LandesRahmenverträgen nach § 75 des Sozialgesetzbuches (SGB XI) bzw. in den Qualitätsgrundsätzen nach § 80 SGB XI geregelt. Der Pflegedienst ist aufgrund dieser Verträge und Gesetze beispielsweise verpflichtet, mit der Pflegekasse monatlich direkt abzurechnen und über konkret erbrachte Leistungen einen Nachweis zu führen. Der Pflegedienst ist verpflichtet, eine Dokumentation zu führen, in der die Einzelheiten über die durchgeführten Pflegeleistungen jederzeit ablesbar sind. Er muß den Nachweis erbringen, daß er eine Berufs- und Betriebshaftpflicht abgeschlossen hat. Der Pflegedienst hat außerdem die Einhaltung der Qualitätsstandards nach § 80 SGB XI sicherzustellen. Die Qualitätsvereinbarungen nach dem SGB XI regeln datenschutzrechtliche Fragen sowie Voraussetzungen und Umfang von Prüfungen, die vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen durchgeführt werden. Die Qualitätskontrolle der Pflege umfaßt beispielsweise die Überprüfung der personellen Ausstattung und die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit des Pflegedienstes, sowie die Pflicht, Kontrollmaßnahmen zu ergreifen. Im einem Vertrag für die ambulante Pflege sollte man ganz besonders auf folgende Punkte achten: Die bloße Benennung der Pflegeleistungen als Grundpflege, sowie die Anzahl der Einsätze reicht nicht aus. Der Pflegebedürftige muß klar erkennen können, welche Dienste für welches Entgelt erbracht werden und welche Kosten er selbst übernehmen muß. Die entsprechenden Leistungskomplexe müssen aus diesem Grunde für Tag, Woche und Monat sowie Nacht- und Wochenendeinsätze, Wegegeldpauschalen etc. konkret benannt werden. Die Leistungen müssen den Entgelten gegenüberstehen und addiert werden. Zugleich müssen die von der Pflegekasse übernommenen Anteile von den Kosten getrennt werden, die der Pflegebedürftige selbst übernehmen oder gegenüber dem Sozialhilfeträger geltend machen muß. Der sich daraus ergebende Restkostenanteil muß exakt genannt werden. Sollten Pflegekassen und Pflegedienste eine Erhöhung des Entgelts vereinbaren, ist die neue Berechnung nicht rückwirkend möglich. Eine vertragliche Bestimmung darf nicht einmal den Anschein erwecken, als sei eine rückwirkende Erhöhung statthaft. Eine Erhöhung ist erst © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 27 ab dem 1. Tag des auf den Zugang der Ankündigung folgenden Monats statthaft (Beispiel: am 12. März kündigt der Pflegedienst eine Erhöhung der Entgelte an. Die Erhöhung darf dann erst zum 01. April in Kraft treten). Der Pflegebedürftige ist auf sein Recht zur Kündigung des Vertrages aufgrund der Erhöhung hinzuweisen. Muß ein vereinbarter Pflegeeinsatz aus vom Pflegebedürftigen zu vertretenden Gründen abgesagt werden, ist es angemessen, daß dieser bis zum Mittag des Vortages abgesagt werden muß. Wird der Einsatz später abgesagt, muß sich der Pflegedienst die ersparten Aufwendungen (Fahrtkosten, anderweitiger Einsatz des Personals etc.) anrechnen lassen. Eine im Notfall erforderliche Einlieferung in ein Krankenhaus hat der Pflegebedürftige in keinem Fall zu vertreten. Für die Kündigungsfristen sollte gelten: Der Vertrag sollte keine Bestimmung enthalten, die dem Pflegebedürftigen eine längere Kündigungsfrist als eine Woche auferlegt; gleichfalls keine Bestimmung, nach welcher der Pflegedienst sich eine kürzere Frist als vier Wochen zur ordentlichen Kündigung ausbedingt. Die Frist kann sich nur in dem Fall verkürzen, wenn die Pflege vor Ablauf der Frist durch einen anderen Pflegedienst oder Angehörige sichergestellt ist. Die Kündigung durch den Pflegedienst bedarf der Schriftform. Keinesfalls hinnehmen sollte man auch eine Bestimmung, durch die das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund beschränkt wird. Siehe auch unsere Broschüren: Wegweiser durch die ambulanten Pflegedienste in Bremen Ambulante Pflegedienste – Ihre Rechte als Pflegebedürftiger (DAK) Pflegegutachten Pflegefall, was tun Schadenersatz Wenn ein Behandlungsfehler vorliegt, kann man gegen den Arzt, der einem den Schaden zugefügt hat, Schadensersatz geltend machen. Der Anspruch auf Schadensersatz gründet sich zum einen auf die Verletzung des Behandlungsvertrages, den man mit seinem Arzt oder dem Krankenhaus abgeschlossen hat, zum anderen auf die sogenannte deliktische Haftung, nach der für vorsätzlich oder fahrlässig verursachte Schäden an Körper, Gesundheit oder Eigentum eines Menschen Ersatz geleistet werden muß. Vertragliche und deliktische Haftung bestehen nebeneinander. Der Schadensersatz umfaßt beispielsweise: Die Kosten für eine zusätzliche Heilbehandlung, Nachbehandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen, Verdienstausfall- oder minderung, Pflegekosten, die Kosten für eine Haushaltshilfe usw. Darüber hinaus ist es auch möglich, ein Schmerzensgeld zu erhalten. Sowohl Schmerzensgeld, als auch der übrige Schadensersatz können in Form einer einmaligen Zahlung oder einer Geldrente abgegolten werden. Hier sollte man allerdings vorsichtig sein, wenn es um den Ausschluß von Spätschäden geht. Die Haftpflichtversicherer verlangen dies oft im Zusammenhang mit einmaligen Zahlungen. Siehe auch unter: Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Behandlungsfehler, Schmerzensgeld, Verjährung. Schmerzensgeld Bei Behandlungsfehlern kann man zusätzlich zum Ersatz der materiellen Schäden (siehe: Arzthaftung, Schadenersatz) ein Schmerzensgeld beanspruchen. Die obergerichtliche Rechtsprechung sieht den Anspruch auf Schmerzensgeld nicht als gewöhnlichen Schadensersatzanspruch, sondern als einen Ausgleichsanspruch mit einer doppelten Funktion. Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 28 die erlittenen Schäden bieten und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet. Das Schmerzensgeld soll körperliche und seelische Schmerzen, die Einbuße an Lebensfreude ausgleichen. Dieser Anspruch ist mit Geld nur sehr unvollkommen und mittelbar zu verwirklichen, zumal in Deutschland die Entschädigung für erlittene Schmerzen unterbewertet ist. Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend sind: Das Ausmaß der Schmerzen (Intensität, Dauer, Folgeschäden, Entstellungen etc.); andererseits spielt auch der Grad des Verschuldens eine Rolle (Vorsatz, leichte Fahrlässigkeit). Ein Mitverschulden mindert den Anspruch. Dabei ist jeder Fall anders und muß nach Abwägung aller Einzelumstände für sich beurteilt werden. Zudem ist es, wenn man sich außergerichtlich einigen kann, auch eine Frage des Verhandlungsgeschicks, beim Schädiger oder dessen Versicherung ein möglichst hohes Schmerzensgeld herauszuhandeln. Einige Beispiele: 250 bis 1000 Euro für HWS (Schleudertrauma) nach einem Verkehrsunfall. 4000 Euro für Narben mit schlechter Heilung am Gesäß aufgrund einer falschen Spritzen-Behandlung. 17.500 Euro für die Folgen einer fehlgeschlagenen Knieoperation, die mehrere Folgeoperationen notwenig machte, trotz derer das Kniegelenk steif blieb. 200.000 Euro für einen schweren Geburtsschaden mit gravierenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Siehe auch: Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Behandlungsfehler, Schadenersatz, Verjährung. Schweigepflicht Ein Arzt muß gegenüber jedermann Stillschweigen bewahren über Erkrankungen und alles, was man ihm anvertraut. Die Schweigepflicht gilt über den Tod hinaus. Die Schweigepflicht gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für andere Angehörige der Heilberufe, beispielsweise Heilpraktiker und Psychologen. Die Schweigepflicht gilt auch für Mitarbeiter der genannten Berufe. Verstößt ein Angehöriger der Heilberufe gegen die Schweigepflicht, macht er sich strafbar. Nur der Patient selbst kann den Arzt von der Schweigepflicht entbinden (beispielsweise anläßlich eines Verkehrsunfall-prozesses). Ausnahmen von der Schweigepflicht gelten dann, wenn der Patient an einer meldepflichtigen Krankheit (beispielsweise einer Geschlechtskrankheit) leidet. Die Problematik der Schweigepflicht und des Datenschutzes überschneiden sich, sind aber nicht deckungsgleich. Siehe deshalb auch: Datenschutz. Selbstbestimmungsrecht Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfaßt das Recht, umfassend aufgeklärt (oder nicht aufgeklärt) zu werden und jeder medikamentösen, operativen oder sonstigen Behandlungsmaßnahme zuzustimmen oder sie abzulehnen. Diesen Grundsatz hat schon das Reichsgericht einst sehr treffend fixiert: Daß jemand nach eigener Überzeugung oder nach dem Urteile seiner Berufsgenossen die Fähigkeit besitzt, das wahre Interesse seines Nächsten besser zu verstehen, als dieser selbst, dessen körperliches und geistiges Wohl durch geschickt und intelligent angewendete Mittel vernünftiger fördern zu können, als dieser es vermag, gewährt jenem entfernt nicht irgend eine rechtliche Befugnis, nunmehr nach eigenem Ermessen in die Rechtssphäre des © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 29 Anderen einzugreifen, diesem Gewalt anzutun und dessen Körper willkürlich zum Gegenstande gutgemeinter Heilversuche zu benutzen. Siehe auch unter: Aufklärungspflicht. Verjährung Für den Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gilt eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt erst mit der Kenntnis aller haftungsbegründenden Umstände und der Kenntnis von der Person des Schädigers zu laufen. Wird das Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen zu Unrecht verweigert, oder wiegelt der Arzt mit der Auskunft, die negativen Behandlungsfolgen seien lediglich vorübergehend, Fragen des Patienten ab, läuft die Frist noch nicht. Während der Verhandlung vor einer Schlichtungsstelle (siehe: Arzthaftung) oder während man selber mit der Gegenseite verhandelt, ist die Verjährung gehemmt, das heißt, sie läuft nicht weiter, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Den endgültigen Ablauf der Verjährungsfrist kann man nur mittels einer Klageerhebung vor Gericht unterbrechen. Vorsorgevollmacht Ein Weg, einem Patienten auch über den Zeitpunkt des Verlustes seiner Geschäftsfähigkeit hinaus eine Möglichkeit der Einflußnahme auf medizinische Entscheidungen für seine Person zu sichern, ist die sogenannte Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten, die sogenannte Vorsorgevollmacht. Auf diesem Wege legt der Patient nicht nur im voraus fest, wie im Falle seiner Entscheidungsunfähigkeit seine medizinische Versorgung aussehen soll, sondern auch, wer seine Wünsche in diesem Fall durchsetzen soll. Es liegt auf der Hand, daß eine optimale Durchsetzung des vom Patienten geäußerten Willens nur dann gewährleistet ist, wenn der Patient einen bevollmächtigten Fürsprecher hat, der seine Wünsche mit Nachdruck vertritt. Sinnvollerweise sollte man deshalb eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht verfassen oder beide in einer Verfügung verbinden. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung bedürfen gesetzlich keiner Form. Allerdings ist es in jedem Fall empfehlenswert, diese Verfügungen schriftlich niederzulegen und möglichst noch von Zeugen gegenzeichnen zu lassen. Ein Zeuge kann gleichzeitig die Funktion der Vertrauensperson einnehmen, die im Ernstfall die Entscheidungen treffen soll. Benennt man mehrere Personen, muß genau festgelegt werden, wer über welchen Bereich entscheiden soll. Siehe auch: Patientenverfügung, Betreuungsverfügung. Wartezeit Wer als Patient nicht ohne Termin in die Praxis kommt, sondern einen festen Termin ausgemacht hat, den darf der Arzt nicht unnötig lange warten lassen. Dauert es unzumutbar lange, bis der Patient an die Reihe kommt oder kommen soll, darf er die Arztpraxis verlassen. Unter Umständen ist es sogar möglich, vom Arzt eine Entschädigung für die Wartezeit zu erhalten. Die verlorene Freizeit ist allerdings nicht ersetzbar. Man muß vielmehr einen Verdienstausfall geltend machen und beweisen, was nicht leicht ist. Es ist sinnvoll, zu versuchen, sich mit dem Arzt zu einigen, da in diesem Fall nur sehr bedingt zu einem gerichtlichen Vorgehen geraten werden kann. Siehe auch: Arzttermin Zahnbehandlung © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 30 Prinzipiell gilt für die Zahnarzthaftung das Gleiche wie für die Haftung eines jeden Arztes, das heißt: ein Zahnarzt muß seine Patienten aufklären, er muß auf Behandlungsalternativen hinweisen und er muß die Behandlung medizinisch korrekt und nach dem neuesten Stand der Technik durchführen etc. Die Gewährleistungspflicht für die ordnungsgemäße Ausführung der zahnärztlichen Arbeiten liegt bei zwei Jahren. Ein Zahnarzt ist seinen Patienten darüber hinaus auch dafür verantwortlich, dass die Arbeiten aus dem Dentallabor qualitativ in Ordnung sind. Aus diesem Grunde sollte man alle Heil- und Kostenpläne nebst den Zahnarztrechnungen einige Jahre lang aufheben. Gerade im Bereich der Zahnheilkunde ist ohne Begutachtung der Werkleistung kaum zu klären, wer im Recht ist. Aus diesem Grunde ist es ratsam, selbst eine außergerichtliche Einigung anzustreben oder die Schlichtungstellen der Zahnärztekammern anzurufen, bevor man einen Prozeß anstrengt. Auch die Krankenkassen beraten ihre Versicherten zu einigen Problemen der Zahnbehandlung und helfen dabei den Sachverhalt aufzuklären. IV. Betreuungsrecht I. Allgemeines Das Betreungsrecht ist mit Wirkung zum 01.01.1992 an die Stelle der Entmündigung bzw. Vormundschaft getreten. Das Betreuungsrecht ist in folgenden Gesetzen geregelt: - Materielles Recht: §§ 1896 – 1908i BGB - Gerichtliches Verfahren: (Unterbringungsverfahren) §§ 65 – 69o FGG sowie §§ 70 – 70n FGG Nachdem das Betreuungsrecht in den vergangenen Jahren große Relevanz gewonnen hat, gibt es eine Vielzahl von Personen, die mit dem Betreuungsrecht befasst sind. Dies sind im Einzelnen: - Ehrenamtliche Betreuer - Berufsbetreuer, wie z. B. Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Juristen - Betreuungsbehörden und Betreuungsvereine - Richter und Rechtspfleger bei den Gerichten. II. Die Voraussetzungen der Betreuung Die Voraussetzungen für die Einrichtung der rechtlichen Betreuung sind in den §§ 1896 Abs.1 und 2 BGB geregelt. 1. Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 31 § 1896 Abs.1, Satz 1 BGB setzt das Vorliegen einer psychischen Krankheit und einer geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderung voraus, die es dem Betroffenen unmöglich macht, Entscheidungen in gewissen Rechtsangelegenheiten in ausreichendem Umfang selbst treffen zu können. Es kommt daher darauf an, dass durch die Krankheit die Fähigkeit zur freien Willensbildung vermindert oder behindert ist. Das Unvermögen zu Besorgung eigener Angelegenheiten bestimmt sich nach dem konkreten Lebenszuschnitt des Betroffenen. Wer zum Beispiel über kein Vermögen verfügt, benötigt keine Betreuung, wenn er nicht in der Lage ist Vermögen zu ordnen oder zu verwalten. Auch ist keine Betreuungsbedürftigkeit gegeben, wenn der Betroffene etwas nicht kann, wofür auch ein gesunder Volljähriger qualifizierte Personen, wie zum Beispiel einen Rechtsanwalt oder Steuerberater einschalten würde. Auch benötigt zum Beispiel ein psychisch Kranker, dem die Erkenntnis fehlt krank zu sein, keinen Betreuer, wenn sich die fehlende Erkenntnis nicht auf seinen Alltag auswirkt und er dadurch in seinem Alltag nicht beeinträchtigt wird. Insoweit ist ferner zu beachten, dass § 1896 Abs.1a BGB normiert, dass gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine sogenannte „Zwangsbetreuung“ nur bei geschäfts-unfähigen Personen im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB zulässig und nötig ist. Geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB ist eine Person dann, wenn sie überhaupt keinen freien Willen mehr bilden kann. § 1896 Abs.1a BGB ist dahingehend auszulegen, dass sich der fehlende freie Wille auf die Frage der Betreuerbestellung beziehen muss. Eine Zwangsbetreuung bei einer körperlichen Behinderung ist nicht möglich, da die Betreuerbestellung bei einer körperlichen Behinderung einen Antrag des Betreuten gemäß § 1896 Abs.1, Satz 3 BGB voraussetzt. 2. Erforderlichkeit § 1896 Abs.2 BGB setzt weiter voraus, dass ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden darf, in denen ein Betreuung „ erforderlich“ ist. Danach ist eine Betreuung nicht erforderlich, soweit die Angelegenheit des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden kann. a) Vorrang anderweitiger Hilfen Dies bedeutet, dass andere Hilfen, wie zum Beispiel Nachbarn Verwandte Bekannte oder auch soziale Dienste vorrangig sind, soweit sie die Defizite des Betroffenen ausgleichen können. Soweit dem Betroffenen durch eine Bevollmächtigung durch eine andere Person hinreichend geholfen werden kann, ist dies ebenso vorrangig. Erteilt also der Betroffene eine Vollmacht zur Versorgung bestimmter Angelegenheiten so schließt dies für diese Angelegenheit eine Betreuung aus. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 32 Voraussetzung für eine derartige Vollmacht ist jedoch, dass die Vollmacht vom Betroffenen in einem geschäftsfähigen Zustand errichtet worden ist und zugleich der Bevollmächtige auch bereit ist entsprechend der Vollmacht zu handeln. Die Bevollmächtigung bedarf grundsätzlich nicht der schriftlichen Form. Um jedoch Rechtssicherheit zu erlangen, sollte eine entsprechende Bevollmächtigung stets schriftlich abgefasst werden. Da Banken und das Grundbuchamt zum Beispiel privatschriftliche Urkunden nicht akzeptieren, ist es daher sinnvoll, die entsprechende Vollmacht notariell beurkunden zu lassen. Dies gilt auch für den sehr schwierigen Bereich der freiheitsentziehenden Maßnahmen und der Einwilligung in gefährliche Behandlungen. Hier muss gemäß § 1906 Abs.5, Satz 1 und § 1604 Abs.2, Satz 2 BGB die Vollmacht schriftlich erteilt sein und die vorbenannten Befugnisse umfassen. b) Festlegung des Aufgabenkreises § 1896 Abs.1, Satz 1 BGB bestimmt zudem, dass die Betreuung nur für diejenigen Arten von Angelegenheiten angeordnet werden darf, die der Betroffene nicht selbst besorgen kann. Soweit eine Krankheit also den Betroffenen nur in einem Lebensbereich oder in wenigen Lebens-bereichen beeinträchtigt, muss die Betreuung auf diese Lebensbereiche beschränkt werden. Selbst wenn der Betroffene sich um einige Angelegenheiten selbst nicht kümmern kann, jedoch zugleich absehbar ist, dass hier kein Regelungsbedarf besteht, darf auch für diesen Aufgabenkreis kein Betreuung angeordnet werden. c) Die einzelnen Aufgabenkreise Die Betreuung erstreckt sich nur auf die Angelegenheiten, deren Erledigung das Geicht dem Betreuer überträgt. Dies sind die sogenannter Aufgabenkreise. Aufgrund des Erforderlichkeitsgrundsatzes des § 1896 Abs.2, Satz 1 BGB darf eine Betreuung nur für solche Angelegenheiten eingerichtet werden, die der Betroffene selbst nicht regeln kann. Keine Betreuung kann für Angelegenheiten eingerichtet werden, die der Betreute höchstpersönlich ausführen muss bzw. kann. Höchstpersönliche Angelegenheiten sind. - Die Eheschließung - Der Anspruch auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft - Die Errichtung eines Testamentes und eines Erbvertrages - Die Einwilligung in die Adoption - Die Beschuldigtenstellung im Strafverfahren. Die §§ 1909, 1666, 1667, 1674 BGB stellen zudem eine abschließende Spezialregelung für den Fall der Ausübung der elterlichen Sorge dar. Demzufolge kann der Betreuer nicht die elterliche Sorge für ein Kind des Betreuten ausüben. Ist der Betreute hierzu nicht mehr in der Lage, muss dem Kind hierfür ein Vormund oder Pfleger bestellt werden. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 33 Im Wesentlichen betrifft die Betreuung nachfolgende Aufgabenkreise: aa) Vermögensbetreuung Hier kommt sowohl die Verwaltung des Vermögens im Ganzen auch als die Verwaltung einzelner Vermögensangelegenheiten in Betracht. Zu beachten ist, dass die Betreuung hier für einzelne Rechtsgeschäfte, wie zum Beispiel nur für eine Erbauseinadersetzung oder den Verkauf einer einzelnen Immobilie eingerichtet werden kann. Soweit das Vermögen nicht durch den Betreuten selbst verwaltet wird und lediglich ein Einwil-ligungvorbehalt angeordnet wurde, obliegen dem Betreuer, der das Vermögen verwaltet, bestimmte Pflichten. So muss der Betreuer nach §§ 1908 i Abs.1, Satz. 1, 1802 BGB ein sogenanntes Vermögens-verzeichnis erstellen. In diesem Zusammenhang muss er alle Sachen und Forderungen sowie Verbindlichkeiten jeglicher Art auflisten. Dabei muss der Betreuer oft alle Unterlagen durchsehen, um ein derartiges Vermögensverzeichnis erstellen zu können. Insbesondere muss er klären: - Welche Bankverbindungen bestehen - Welche Konten sind vorhanden - Wurden die Steuererklärungen gemacht - Wer hat Kontovollmachten - Hat der Betreute Verfügungen vorgenommen, welche rückabgewickelt werden müssen Zu beachten ist hierbei, dass zum Auffinden der Unterlagen oft die Durchsuchung der Wohnung notwendig ist. In diesem Zusammenhang ist dem Betreuer zu raten hierzu stets Zeugen hinzuzu-ziehen, um sich keinem Haftungsanspruch gegenüber dem Betreuten auszusetzen. Soweit der Betreuer sich um sogenanntes Anlagegeld kümmern muss, muss der Betreuer dies grundsätzlich verzinslich anlegen. Darüber hinaus muss er das Geld, welches er zu Bestreitung seiner Aufgaben benötigt, getrennt von seinem eigenen Vermögen sicher verwahren (§§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1805, 1806 BGB). Darüber hinaus muss der Betreuer nach §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1840 Abs.2,3 BGB dem Vor-mundschaftsgericht einmal jährlich Rechnung legen. Ferner gibt es zahlreiche Arten von Geschäften, die der Betreuer nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes oder eines Gegenbetreuers vornehmen kann. Dies sind: - §§ 1980i Abs.1, Satz 1, 1810 BGB Mündelsichere Anlagen - §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1812 Abs.1 BGB Verfügungen über Forderungen und andere Rechte Ausnahmen von der Genehmigungspflicht: - Handeln als Mitbetreuer §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1812 Abs.3 BGB - Bei Annahme einer geschuldeten Leistung §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1813 BGB © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 34 - Bei geringem Vermögen §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1817 BGB - Auflösung oder Gründung eines Erwerbsgeschäftes §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1823 BGB - Kreditaufnahme, Ausstellung von Schecks und Übernahme einer Bürgschaft oder fremder Schuld §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1822 Nr. 8 – 10 BGB - Streng genehmigungspflichtige Geschäfte §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1819, 1820, 1821,1822 BGB - Kündigung und Aufhebung eines Mietverhältnisses über die Wohnung des Betreuten § 1907 Abs.1 BGB - Abschluss eines Miet oder Prachtvertrages über mehr als vier Jahre § 1907 Abs.3 BGB - Ausstattung eines Kindes § 1908 BGB - Verbotene Geschäfte, Schenkungen aus dem Vermögen des Betreuten §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1804 Satz 1 BGB; ausgenommen sind Anstandsschenkungen wie Geburtstagsgeschenke, Trinkgelder und ähnliches soweit sie sich im Rahmen des allgemein üblichen bewegen. Erlaubt dagegen sind auch Schenkungen, die dem Wunsch des Betreuten entsprechen und dieser sich mit Rücksicht auf seine Lebensverhältnisse auch erfüllen kann. Nicht als Schenkung beurteilt wird die Belohnung einer besonderen Leistung oder die Ausstattung eines Kindes bei Verselbstständigung oder Heirat. Gleiches gilt für ehebedingte Zuwendungen. Keine Schenkung darf an den Betreuer selbst erfolgen. bb) Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis steht unter dem besonderen verfassensrechtlichen Schutzes des Artikel 10 Abs. 1 GG. Danach muss die Betreuung für diesen Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs.4 BGB gesondert angeordnet werden. Eine Zuweisung des Aufgabenkreises persönliche Angelegenheiten oder die allgemeine pauschale Zuweisung von alle Angelegenheiten bezieht sich nicht auf die Überwachung des Post und Fernmeldeverkehrs. Hier handelt es sich um einen sehr sensiblen Aufgabenkreis, der in Zusammenarbeit mit dem Betreuten mit Fingerspitzengefühl zu lösen ist. Oft ist es notwendig, das der Betreuer die Briefe des Betreuten kennen muss, um seine Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können. Dem Betreuer ist es daher grundsätzlich erlaubt, Briefe zu lesen, die der Betreute bereits geöffnet hat und Briefe an den Betreuten mit dessen Einwilligung zu öffnen und zu lesen. Auch kann der Betreuer Geschäftspartner des Betreuten bitten, wichtige Briefe unmittelbar an den Betreuer selbst zu adressieren. Sind diese Maßnahmen ausgeschöpft sind oder Führen nicht zum Erfolg, ist es Aufgabe des Betreuers nach § 1901 Abs.5, Satz 2 BGB anzuregen, seinen Aufgabenkreis entsprechend zu erweitern. Zu beachten ist, dass der Briefverkehr, der mit einem Anwalt des Betreuten stattfindet, der diesen in einem Betreuungs- oder Unterbringungsverfahren vertritt, für den Betreuter absolut tabu ist. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 35 cc) Betreuung in Wohnungsangelegenheiten Zunächst ist zu beachten, dass die Betreuung in Wohnungsangelegenheiten nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung. Der Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten umfasst Rechtsgeschäfte, die die Wohnung betreffen. Oft vermischt sich dieser Aufgabenkreis mit dem der Vermögensangelegenheiten, wenn es zum Beispiel um Mietzinszahlungen, Mieterhöhungsverlangen und dergleichen geht. Die Zuweisung dieses Aufgabenkreises berechtigt den Betreuer jedoch nicht zum Betreten der Wohnung des Betreuten ohne dessen Einwilligung oder ohne dessen Wissen. der Grund hierfür ist Art. 13 GG die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung. Eine vormundschaftliche Genehmigung ist notwendig für: - - Kündigung des Mietvertrages über die Wohnung des Betreuten § 1907 Abs.1, Satz 1 BGB den Abschluss eines Aufhebungsvertrages hinsichtlich eines bestehenden Mietvertrages § 1907 Abs.1, Satz 2 BGB die Vermietung der Wohnung des Betreuten § 1907 Abs.3 BGB Ferner muss der Betreuer gemäß § 1907 Abs.2 BGB dem Vormundschaft mitteilen, wenn er die Wohnung des Betreuten aufgeben möchte dd) Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten Bei den Gesundheitsangelegenheiten sind verschiedene Bereiche voneinander abzugrenzen. Zum einen die zivilrechtliche Beziehung zwischen Arzt und Patient, dann die sozialrechtliche Beziehung zwischen Arzt, Patient und Krankenhaus und zuletzt der sogenannte Rechtfertigungsgrund im Sinne des Strafrechts in Form der Einwilligung in eine medizinische Behandlung. Soweit seitens des Gerichts nur eine Betreuung hinsichtlich der Einwilligung in eine ärztliche Be-handlung angeordnet worden ist, ist hiervon nur die letzte Fallgruppe umfasst. Soweit eine Betreuung für alle persönlichen Angelegenheiten, die Personensorge oder die Gesundheitsvorsorge eingerichtet worden ist, sind alle drei Bereiche von der Betreuung umfasst. - Patienten- und Betreuungsverfügung Oft treffen Menschen solange sie gesund sind und Herr ihrer Sinne sind, sogenannte Patienten- und Betreuungsverfügungen. In diesen wird geregelt, wie Verfahren werden soll, wenn ein bestimmter medizinischer Zustand eintritt. Oft wird in diesem Zusammenhang auch festgelegt, wann eine Behandlung beendet werden oder gar nicht erst begonnen werden soll. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 36 Bei einer Patientenverfügung erklärt sich der Unerzeichner dahingehend, ob und auf welche Weise eine Behandlung durchgeführt werden soll, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, selbst einzuwilligen. Damit bringt der Patient vorab seinen Willen zum Ausdruck, so dass der Arzt entsprechend der Ver-fügung handeln muss. Der Arzt darf sich über diese Verfügung nur dann hinwegsetzen, wenn er nach sorgfältiger Überprüfung der aktuellen Situation zu dem Ergebnis gelangt ist, dass diese Situation sich abweichend darstellt von derjenigen, die der Patient in seiner Verfügung benannt hat und er davon ausgehen kann, dass sich der Patient in der aktuellen Sachlage anders entscheiden würde. Der Arzt darf sich auch über eine derartige Patientenverfügung hinwegsetzen, wenn der Betreuer in eine bestimmte Behandlung eingewilligt hat. Der Betreuer ist im Rahmen seiner Einwilligung jedoch an den § 1801 Abs.3, Satz 1 BGB gebunden. Bei der Betreuungsverfügung bestimmt der Betroffenen für den Fall, dass er nicht mehr in der Lage ist, sich um seine Angelegenheit selbst zu kümmern und ein Betreuer eingesetzt werden muss in aller Regel den Betreuer und verfügt sodann, auf welche Weise dieser sein Amt versehen soll. Auch hier kann sich der Betreuer über die Betreuungsverfügung hinwegsetzen, wenn der Betreute erkennbar an seiner Betreuungsverfügung nicht mehr festhalten will oder aber das Wohl des Betreuten dem Wunsch des Betreuten entgegensteht. Der Betreuer ist hier an § 1901 Abs.4, Satz 1 BGB gebunden, wonach es zum Wohl des Betreuten gehört, was zur Heilung oder Linderung in einer Krankheit beiträgt. Insoweit darf der Betreuer eine notwendige und aussichtsreiche medizinische Behandlung vornehmen lassen, auch wenn diese gegen den Inhalt einer Betreuungsverfügung verstößt. Dies gilt jedoch nicht, wenn bereits der Sterbeprozess eingesetzt hat. Da das Sterben zum Leben gehört und es dem Betreuten freisteht, sein Leben so zu gestalten wie er es wünscht, ist hier der Wunsch des Betreuten zu berücksichtigen. In einigen Fällen bedarf der Betreuer für seine Einwilligung in eine medizinische Behandlung zusätzlich der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes. Die ist im Einzelnen dann der Fall, wenn - Der Eingriff besonders gefährlich ist § 1904 Abs.1 BGB - Der Patient sterilisiert werden soll § 1905 Abs.2, Satz 1 BGB - Die Bewegungsfreiheit des Patienten beschränkt werden soll § 1906 Abs.4 BGB Gefährlich ist eine Behandlung im Sinne des § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB, wenn die mit Ihnen verbundenen Risiken das Risiko des Todes oder eines schweren und länger andauernden gesundheitlichen Schadens verursachen kann. Ein schwerer Schaden ist zum Beispiel der Verlust der Sprache, des Sehens oder des Hörens oder der Verlust eines wichtigen Körpergliedes wie auch eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit. Ein Schaden ist länger andauernd, wenn er nicht innerhalb eines Jahrs nach Abschluss der Behandlung verschwindet. Eine Gefahr ist erheblich, wenn eine einige Wahrscheinlichkeit für Ihr Auftreten spricht. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 37 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass je schwerwiegender die befürchtete Folge ist, um so geringer muss der Grad der Wahrscheinlichkeit für sein Eintreten sein. Dem § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB ist zudem zu entnehmen, dass die Möglichkeit eines Kunstfehlers nicht zu berücksichtigen ist, da § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB von der kunstgerechten Durchführung der Behandlung spricht. Die vormundschaftliche Genehmigung kann entfallen, wenn Gefahr in Verzug ist. Verfahrenstechnisch ist zur vormundschaftlichen Genehmigung die persönliche Anhörung des Betreuten durch das Gericht gemäß § 69d Abs.1, Satz 2 FGG und die Einholung eines Sachverständigengutachten nach Satz 1 zwingend vorgeschrieben. Zu beachten ist, dass das sogenannte Narkoserisiko bei einer Operation bei kunstgerechter Behandlung unterhalb der Schwelle des § 1904 Abs.1, Satz 1 BGB liegt. Dies bedeutet, dass eine vormundschaftliche Genehmigung hierzu gerade nicht erforderlich ist. Etwas anders kann sich daraus ergeben, wenn der Patient alt und anfällig ist oder gesundheitliche Vorschäden bestehen. - Die Sterilisation Grundsätzlich ist eine Sterilisation bei Volljährigen erlaubt. Voraussetzung ist, dass der Patient einwilligungsfähig ist. Ist eine volljährige Person nicht einwilligungsfähig, kann ein Betreuer in die Sterilisation einwilligen. Hierfür müssen jedoch zahlreiche formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt sein. Die materiellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Sterilisation ergeben sich aus § 1905 BGB. - die Sterilisation darf nicht gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden. - der Betreute muss dauernd einwilligungsunfähig sein - eine Schwangerschaft muss drohen - bei drohender Schwangerschaft muss dies eine Gefahr für das Leben der Frau oder für schwerwiegende körperliche oder seelische Schäden bergen - die Gefahr der Schwangerschaft darf nicht anders abgewendet werden können, wie zum Beispiel durch andere Empfängnisverhütungsmethoden. Formell, also verfahrenstechnisch ist - Nach § 1899 Abs.2 BGB ein zusätzlicher Betreuer erforderlich - Die vormundschaftliche Genehmigung nach § 1905 Abs.2 Satz BGB erforderlich - Muss der Betroffene von dem Richter persönlich angehört werden und ein medizinisches Gutachten erstellt werden. - Soweit es das Geicht für erforderlich hält die Einsetzung eines Verfahrenspflegers notwendig § 67 Abs.1, Satz 5 FGG. - Darf der Eingriff frühestens zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Genehmigung ausgeführt werden (§ 1905 Abs. 2 Satz 2 BGB) © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 38 - Die Freiheitsentziehung siehe unter ee) (3) Sonderproblem ee) Die Bestimmung von Aufenthalt und Umgang Dem Betreuer kann nach §§ 1908i Abs. 1, Satz 1, 1632 BGB auch die Bestimmung des Aufenthaltes und des Umganges des Betreuten übertragen werden. Es handelt sich hierbei grundsätzlich um zwei verschiedene Aufgabenkreise, welche gemeinsam oder getrennt angeordnet werden können. Die Bestimmung von Aufenthalt und Umgang ist in dem umfassenden Aufgabenkreis der „Personensorge“ oder dem Aufgabenkreis der „persönlichen Angelegenheiten“ enthalten. Mit Übertragung des Aufgabekreises Aufenthaltsbestimmung trifft den Betreuer eine eigenständige Pflicht, den Betreuten an- und abzumelden. Soweit ein Einwilligungsvorbehalt für diesen Aufgabenbereich angeordnet wird, ist der Einwilligungsvorbehalt für die Aufenthaltsbestimmung der Meldebehörde nach § 69l Abs. 2 FGG mitzuteilen. Grundsätzlich kann in diesem Bereich ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden. Dieser bezieht sich jedoch nicht auf das Aufenthalts- und Umgangsbestimmungsrecht selbst, sondern damit zusammenhängende Handlungen wie z. B. Anträge auf Ausstellung eines Passes, Verlängerung einer Aufenthaltsberechtigung und dergleichen. (1) Bestimmung des Umgangs Umgang im betreuungsrechtlichen Sinne ist der Kontakt des Betreuten mit der Außenwelt, gleichgültig in welcher Art und Weise. Hierzu gehört auch der persönliche Kontakt, Besuche, Briefwechsel und Telefongespräche. Ein Betreuer für diesen Aufgabenkreis wird nur eingesetzt, wenn ein falscher Umgang die Gesundheit des Betreuten beeinträchtigen kann. Grundsätzlich haben nahe Angehörige kein eigenes Umgangsrecht mit dem Betreuten, da das gesetzlich geregelte Umgangsrecht für den Umgang mit Minderjährigen ausgestaltet worden ist. Das Umgangsrecht von Angehörigen mit volljährigen Personen unterfällt jedoch dem Schutz von Ehe und Familie nach Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz, so dass ein Umgang stets zu gewähren ist, wenn er nicht dem Wohl des Betreuten widerspricht. (2) Aufenthaltsbestimmung Im Gegensatz zum Umgangsrecht darf der Betreuer, wenn ihm der Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung übertragen wurde, den tatsächlichen Aufenthaltsort des Betreuten festlegen, wenn dieser dazu nicht mehr in der Lage ist einzuschätzen welcher Aufenthaltsort für ihn der richtige ist. in diesem Zusammenhang muss der Betreuer jedoch weiterhin § 1901 Abs. 3 BGB beachten, wonach der Wunsch des Betreuten immer vorrangig ist, solange er nicht dem Wohl des Betreuten widerspricht. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 39 Zur Verdeutlichung ein kleiner Beispielsfall: Der Betreute lebt in einer Wohnung, in der Schlafzimmer und das Badezimmer nur über eine steile und enge Treppe in den ersten Stock zu erreichen ist. Dem Betreuten ist der Weg zwar mühselig und beschwerlich, er nimmt ihn jedoch auf sich, weil ihm die Wohnung so gut gefällt und er dort schon sehr lange lebt. Die Gefahr, dass er stürzen könnte, ist ihm zwar bewusst, er nimmt sie trotzdem in Kauf. Hier hat der Betreuer den Wunsch des Betreuten zu beachten. Anders verhält es sich hingegen, wenn der Betreute nach einem Krankenhausaufenthalt erhebliche Schwierigkeiten hat, sich fortzubewegen und die Treppe nur noch sehr schwer und nur mit Hilfe meistern kann. Dass er krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist die Treppe zu meistern, will der Betreute nicht einsehen. Dem Betreuten gelingt es aufgrund seiner Krankheit nicht mehr, die Füße so hoch zu heben, dass er einen festen Tritt auf den Treppenstufen fassen kann. Hier ist der Betreuer angehalten eine andere Lösung zu finden und wenn dies nicht möglich ist, dem Betreuten eine ebenerdige Wohnung zu suchen. Problematisch im Rahmen der Aufenthaltsbestimmung ist jedoch, wie der Betreuer sein Recht auf Festlegung des Aufenthaltsortes für den Betreuten durchsetzen kann. Gegenüber dem Betreuten darf der Betreuer keinen Zwang anwenden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Betreute in eine gerichtlich genehmigte geschlossene Unterbringung gebracht werden soll. Hier gilt § 70g Abs. 5 FGG die Möglichkeit eine Ermächtigung vom Vormundschaftsgericht zur Anwendung von unmittelbarem Zwang zu erlangen. Gegenüber Dritten hat der Betreuer nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1632 Abs. 1 BGB einen Herausgabeanspruch, den er sogar gerichtlich geltend machen kann. Nach § 33 Abs. 1 FGG hat das Gericht die Möglichkeit den Dritten mit Zwangsgeld oder Zwangshaft zur Herausgabe zu zwingen. Voraussetzung ist jedoch immer, dass die Herausgabe dem Wohl des Betreuten dient. (3) Sonderproblem Freiheitsentziehung Freiheitsentziehungen bedürfen grundsätzlich einer vormundschaftlichen Genehmigung gemäß § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB. Insoweit kann ein Betreuer freiheitsentziehende Maßnahmen nur dann veranlassen, wenn die Aufenthaltsbestimmung zu seinem Aufgabenkreis gehört. Zum Teil wird von den Gerichten ein weiterer Aufgabenkreis bestimmt, welcher sich „Unterbringung“ oder „freiheitsentziehende Maßnahmen“ nennt. Gesetzlich ist eine Erweiterung in diese Aufgabenkreise jedoch nicht notwendig, da freiheitsentziehende Maßnahmen von Gesetzes wegen dem Aufgabenbereich der Aufenthaltsbestimmung unterfalten. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 40 Es ist zu unterscheiden in die Freiheitsentziehung durch Unterbringung (§ 1906 Abs. 1 BGB), die Freiheitsentziehung ohne Unterbringung (§1906 Abs. 4 BGB) und Maßnahmen, die keinen freiheitsentziehenden Charakter besitzen. Ob eine Freiheitsentziehung durch Unterbringung vorliegt bestimmt sich nach der sogenannten Düsseldorfer Formel, welche vom OLG Düsseldorf festgelegt wurde. Danach ist freiheitsentziehend untergebracht, wer auf einem beschränkten Raum festgehalten wird, dessen Aufenthalt überwacht und dessen Kontaktaufnahme Personen außerhalb des Raumes durch Sicherheitsmaßnahmen verhindert wird. Somit ist für § 1906 Abs. 1 BGB zwingend erforderlich, dass die persönliche Bewegungsfreiheit des Betreuten begrenzt wird und die Freiheitsentziehung nicht individuell auf den Betreuten abgestimmt ist. Keine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn sich der Betreute mit Einverständnis in einer geschlossenen Einrichtung befindet. Auch liegt keine Freiheitsentziehung vor, wenn der Betreute sich gar nicht fortbewegen kann. Hier ist es egal, ob der Betreute sich fortbewegen möchte. Die freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB hat folgende Voraussetzungen : 1. 2. Anordnung zum Wohle des Betreuten Unterbringungsgründe des § 1906 Abs. 1 BGB - Suizidgefahr - Gefahr der Selbstschädigung wie z. B. Zielloses Umherirren bei Verwirrtheit, Verwahrlosung, Verkehrsunsichheit in Folge zu starker geistiger Behinderung, drohender Alkoholrückfall - Notwendigkeit einer ohne die Unterbringung nicht durchführbaren medizinischen Untersuchung oder Behandlung 3. Der Unterbringungsgrund muss seine Ursache in einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung haben = sogenannte Kausalität. 4. Mildere Möglichkeiten dürfen keinen Erfolg versprechen. 5. Verhältnismäßigkeit Für die Freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ist die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes nach § 1906 Abs. 2 BGB notwendig. Das Verfahren hierzu richtet sich nach den §§ 70ff FGG, wonach der Betreffende persönlich anzuhören ist, sich das Gericht einen persönlichen Eindruck verschaffen muss und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zwingend vorgeschrieben ist. Ferner ist gegebenenfalls bei Vorliegen der Vorraussetzungen ein Verfahrenspfleger einzusetzen und einem nahen Angehörigen oder einer Vertrauensperson die Gelegenheit zu geben, sich zur Unterbringung zu äußern. Die Genehmigung ist zeitlich zu begrenzen auf zunächst ein Jahr § 70f Abs. 1, Nr. 3 FGG. Sie darf auf zwei Jahre erweitert werden, wenn ein Jahr offensichtlich nicht ausreicht. Wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung vor Fristablauf wegfallen, ist sie nach § 1906 Abs. 3 BGB sofort zu beenden. Insoweit hat der Betreuer eine Mitteilungspflicht an das Gericht. Ist eine Unterbringung über den Jahresablauf hinaus notwendig, so kann sie verlängert werden § 70i Abs. 2 FGG. Bei einer Unterbringung von mehr als vier Jahren ist ein Sachverständigengutachten von einem neutralen Arzt notwendig § 70i Abs. 2 FGG. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 41 Wirksam wird die Unterbringungsgenehmigung erst mit Rechtskraft der Entscheidung § 70g Abs. 3 FGG. Eine Beschwerde gegen die Unterbringungsgenehmigung hat sogenannte aufschiebende Wirkung, dies bedeutet, dass sie nicht rechtskräftig wird. In diesen Fällen hat das Gericht die Möglichkeit nach § 70g Abs. 3 FGG die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen. Darüber hinaus kann das Gericht nach § 70h FGG die Unterbringung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung vorläufig genehmigen. Die Voraussetzungen hierfür finden sich in § 70h FGG. Zu beachten ist, dass es hierbei auch eine beschleunigte einstweilige Anordnung gibt, wo nach bei Gefahr in Verzug die in § 70h FGG genannten Voraussetzungen auch nach Erlass der einstweiligen Anordnung vorgenommen werden können. Die im Rahmen einer einstweiligen Anordnung erteilte Unterbringungsgenehmigung darf auf höchstens sechs Wochen befristet und auf maximal drei Monate verlängert werden. Der Betreuer hat die Möglichkeit, den Betreuten ohne Genehmigung unterzubringen, wenn mit dem Abwarten der Genehmigung eine für den Betreuten nicht hinnehmbare zusätzliche Gefahr für den Betreuten verbunden ist (§ 1906 Abs. 2 Satz 2 BGB). Soweit der Betreuer nicht rechtzeitig erreichbar ist, kann die Unterbringung auch direkt vom Vormundschaftsgericht nach §§ 1908i Abs. 1, Satz 1, 1846 BGB angeordnet werden. Freiheitsentziehende Maßnahme in sonstiger Weise nach § 1906 Abs. 4 BGB liegen vor, wenn die Fortbewegungsfreiheit eines Betreuten durch individuelle Maßnahmen eingeschränkt wird. Von § 1906 Abs. 4 BGB sind jedoch nur Maßnahmen erfasst, die den Zweck haben, dem Betreuten die Fortbewegungsfreiheit wenigstens teilweise zu nehmen. Zu benennen sind hier in erster Linie Einschließen im Zimmer, Anbinden oder auch die Ruhigstellung durch Medikamente. Die Ruhigstellung durch Medikamente, ist nach § 1906 Abs. 4 BGB jedoch nur dann eine freiheitsentziehende Maßnahme, wenn die Ruhigstellung das Ziel der Medikamentation ist. Ist die Ruhigstellung eine Nebenwirkung eines Nebenwirkung eines Medikamentes handelt es sich nicht um eine freiheitsentziehende Maßnahmen. Auch sind Sicherungsmaßnahmen keine freiheitsentziehende Maßnahmen. Auch ist keine freiheitsentziehende Maßnahme, wenn mit dieser die Bewegungsfreiheit des Betreuten letztendlich erweitert werden soll. Dies gilt z. B. für einen Anschnallgurt im Rollstuhl. Keine freiheitsentziehende Maßnahmen sind Hindernisse, die der Betreute nicht aus eigener Kraft überwinden kann, wie z.B. eine steile Treppe oder z. B. Türen, die ein Betreuter aufgrund seiner Altersdemenz nicht mehr öffnen kann. Auch für die freiheitsentziehenden Maßnahmen in sonstiger Weise nach § 1906 Abs. 4 BGB sind materiell rechtlich die Voraussetzungen des §1906 Abs. 1 zu prüfen. Verfahrensrechtlich ist ebenfalls die vormundschaftliche Genehmigung erforderlich. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 42 III. Die Auswahl des Betreuers Die Betreuerauswahl wird vom Gericht vorgenommen und bestimmt sich nach den Vorschriften der §§ 1897 bis 1900 BGB. Gemäß § 1897 Abs.1 BGB können zum Betreuer natürliche Personen bestellt werden. Sodann auch gemäß §§ 1900 Abs.1 und Abs.4 BGB Betreuungsvereine und Betreuungsbehörden. Die Stellung im Gesetz normiert zugleich die Rangfolge. Nur wenn eine Betreuung durch eine natürliche Person nicht hinreichend möglich ist, darf ein Betreuungsverein oder ein Betreuungsbehörde bestellt werden. Natürliche Personen können sein: - Ehrenamtliche Betreuer, wie in der Regel Angehörige, Freunde und Bekannte - Berufsbetreuer - Vereinsbetreuer nach § 1897 Abs.2, Satz 1 BGB - Behördenbetreuer nach § 1897 Abs.2, Satz 2 BGB. Vorrangig sind natürliche Personen und somit ehrenamtliche Betreuer zu bestellen. Der Betreuer muss gemäß § 1897 Abs.1 BGB geeignet sein, die Angelegenheiten des vom Gericht bestimmten Aufgabenkreises rechtlich zu besorgen und persönlich zu betreuen. Damit setzt die Betreuerbestellung eine fachliche und persönliche Geeignetheit voraus. Die Geeignetheit zum Betreuer ist in allen Ihren Einzelheiten nicht allgemein definierbar. Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Eigenschaften notwendig sind, um das Betreueramt ordnungsgemäß ausüben zu können, ist im Einzelnen vom Gericht zu entscheiden. Weitere Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist gemäß § 1898 Abs.2 BGB auch, dass der Betreuer zur Übernahme der Betreuung bereit ist. § 1898 Abs.1 BGB normiert, dass der Ausgewählte zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung grundsätzlich verpflichtet ist. Gemäß Absatz 2 kann er jedoch zur Übernahme der Betreuung nicht gezwungen werden. Weitere Voraussetzung für die Wahl des Betreuers ist, dass der Betreuer selbst geschäftsfähig sein muss (§ 1902 BGB). Zusätzlich dazu ist nach § 1897 Abs.4, Satz 1 BGB der Vorschlag der betroffenen Person zu berücksichtigen, soweit dieser dessen Wohl nicht zuwiderläuft. Der Vorschlag ist eine rein tatsächliche Handlung und setzt somit nicht voraus, dass der Betroffene in diesem Zusammenhang geschäftsfähig ist oder frei in seiner Willensbildung. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen der positive Vorschlag des Betroffenen übergangen werden darf: - Der Vorschlag entspricht nicht den Wohl des Betroffnen § 1897 Abs.4, Satz 1 BGB - Der gemachte Vorschlag ist nicht mehr relevant, wenn der Betroffene erkennbar an diesem nicht mehr festhalten will § 1897 Abs.4, Satz 3 BGB - Wenn der Bestellung des Vorgeschlagenen ein Hindernis entgegensteht, wie zum Beispiel die Geschäftsunfähigkeit des Vorgeschlagenen oder die fehlende Übernahmebereitschaft. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 43 Nachdem das Ehrenamt grundsätzlich Vorrang bei der Betreuerbestellung hat, ist zu klären, wie sich die Rechtslage darstellt, wenn der Betroffenen einen Berufsbetreuer vorschlägt, obwohl ein ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht. Soweit der Betroffene den Berufsbetreuer aus eigenen Mitteln bezahlen kann, ist dem Vorschlag des Betroffenen zu entsprechen. Ist er dazu nicht in der Lage, hat das Ehrenamt Vorrang. Sollte der Betroffene einen sogenannten negativen Vorschlag nach § 1897 Abs.4, Satz 2 BGB machen so „soll“ hierauf Rücksicht genommen werden. Wenn der Betroffene keinen Vorschlag macht, kommt § 1897 Abs.5 BGB zu tragen, wonach auf die persönlichen Bindungen des Betroffenen Rücksicht genommen werden soll. IV. Bestellung mehrer Betreuer Nach § 1899 Abs.1, Satz 1 BGB sollen mehrere Betreuer bestellt werden, wenn dies den Erfordernissen besser Rechnung trägt als die Bestellung eines einzelnen. Dabei kann es zur Aufteilung der Aufgabenkreise kommen, muss es aber nicht. Entsprechend Satz 3 ist die Bestellung von mehreren Betreuern mit Vergütungsanspruch nur in bestimmten Konstruktionen zulässig. Es gibt nachfolgende Möglichkeiten der Bestellung mehrer Betreuer: - § 1899 Abs.1, Satz 2 BGB Nebenbetreuer Hier sind verschieden Betreuer für verschiene Aufgabenkreise zuständig. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn ein Angehöriger, welcher grundsätzlich zum Betreuer bestellt ist, in geschäftlichen Dingen unerfahren ist. Dann wird in für diesen Bereich ein erfahrener Betreuer bzw. Vermögensverwalter eingesetzt. - § 1899 Abs.3 BGB Mitbetreuer Hier haben alle Betreuer denselben Aufgabenkreis. Die Betreuer können jedoch nur gemeinschaftlich und somit einverständlich handeln. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn Kinder volljährig werden und die Eltern gemeinsam die Betreuung übernehmen möchten. - § 1899 Abs.4 BGB Verhinderungsbetreuer Hierbei handelt es sich um einen zusätzlichen Betreuer, wenn der ursprünglich bestellte Betreuer verhindert ist. Dies ist der Fall zum Beispiel bei Tod, Krankheit oder Abwesenheit. Ein Verhinderungsbetreuer kann auch bestellt werden, wenn ein Berufsbetreuer für längere Zeit in Urlaub geht. Eine Verhinderung des Betreuers kann jedoch auch aus rechtlichen Gründen vorliegen. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn ein gesetzliches Vertretungsverbot vorliegt, wie zum Beispiel bei § 181 BGB, der es verbietet als Vertreter einer Person und zugleich mit sich selbst einen Vertrag zu schließen. Bei einer rechtlichen Behinderung wird in der Regel ein sogenannter Ergänzungsbetreuer bestellt. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 44 Auch gibt es Sonderfälle der rechtlichen Verhinderung, wonach in bestimmten Situation stets ein besonderer Betreuer bestellt werden muss. Die gilt für den Fall der Sterilisation. Hier muss nach § 1899 Abs. 2 BGB stets ein besonderer Betreuer bestellt werden. - §§ 1908i Abs.1, Satz1, 1792 BGB Gegenbetreuer. Der Gegenbetreuer übernimmt Kontrollaufgaben. Er wird bestellt, wenn zu den Aufgabenkreisen eine umfangreiche Vermögensverwaltung gehört und hierin nicht schon mehrere Betreuer als Mitbetreuer bestellt sind (§§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1792 Abs.2 BGB). Die Bestellung eines Gegenbetreuers ist ausgeschlossen, wenn eine Betreuerbehörde Betreuer ist. V. Das gerichtliche Verfahren bei der Betreuerbestellung Das Betreuerbestellungsverfahren obliegt den Amtsgerichten. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 65 Satz 1 FGG). Das Verfahren kann auf zwei Arten eingeleitet werden: - Ein Antrag des Betroffenen § 1896 Abs.1, Satz 2 BGB - Von Amts wegen Voraussetzung ist, dass der Betroffene volljährig ist, wobei hier § 1908a BGB zu beachten ist, wonach der baldige Eintritt der Volljährigkeit ausreicht. Nach § 1896 Abs.1, Satz 3 BGB ist bei einer körperlichen Behinderung die Einrichtung der Betreuung nur auf Antrag des Betroffenen zulässig. Das Verfahren richtet sich nach den § 65 ff FGG. Gemäß § 68 Abs.1, Satz 1 FGG ist hierfür zunächst die Anhörung des Betroffenen notwendig. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn die Anhörung für den Betroffenen erhebliche gesundheitliche Nachteile hat § 68 Abs.2, Nr. 1 FGG. Eine Anhörung findet auch dann nicht statt, wenn der Betroffene aufgrund seines Zustandes nicht angehört werden kann. Gemäß § 68 Abs.2, Nr. 2 FGG muss der Richter den Betroffenen jedoch aufgesucht haben, um sich von der Unmöglichkeit der Anhörung persönlich überzeugt haben zu können. Nach § 68 Abs.3 FGG kann auf die Anhörung des Betroffenen nicht verzichtet werden. Dies gilt selbst dann nicht, wenn sich der Betroffene weigert. Gemäß § 68b Abs.1, Satz 1 FGG ist ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ausnahmsweise genügt ein ärztliches Attest, wenn der Betroffene selbst einen Antrag auf Betreuerbestellung gestellt hat(§ 68b Abs.2 FGG) oder aber wenn nur ein Kontrollbetreuer bestellt werden soll (§ 68b Abs.1, Satz 3 FGG). In dringenden Fällen gibt es die Möglichkeit in einem Eilverfahren nach § 69f Abs.1 FGG eine vorläufige Betreuerbestellung durch einstweilige Anordnung für die Höchstdauer von sechs Monaten anzuordnen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 45 Voraussetzung hierfür ist, dass es dringende Gründe für die Annahme der Betreuerbedürftigkeit gibt. Dazu ist es notwendig, dass der Richter eine vorläufige Prüfung der Sach- und Rechtslage vor-nimmt, die die spätere Bestellung eines Betreuers wahrscheinlich macht. Zudem muss die sogenannte Eilbedürftigkeit gegeben sein, was bedeutet, dass erhebliche Nach-teile drohen müssen, wenn nicht eine sofortige Entscheidung getroffen wird. Voraussetzung für die Anordnung eines vorläufigen Betreuers ist das Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses (§ 69f Abs.1, Satz 1, Nr. 2 FGG). Des Weiteren ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers nach § 69f Abs.1, Nr. 2 FGG und die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 69f Abs.1, Nr. 4 FGG vorgeschrieben. Hierbei ist es jedoch nicht notwendig, dass sich das Gericht von dem Betroffenen einen persönlichen Eindruck verschafft. Die persönliche Anhörung des Betroffen kann nach §§ 69f Abs.1, Satz 3, 69d Abs.3 FGG entfallen, wenn es offensichtlich ist, dass der Betroffenen seinen Willen nicht kund tun kann. Zusätzlich zu der einstweiligen Anordnung eines vorläufigen Betreuers im beschleunigten Verfahren gibt es auch noch die Möglichkeit nach §§ 1908i Abs.1, Satz 1, 1846 BGB einen Notbetreuer einzusetzen, wenn zum Beispiel noch am selben Tag eine Notoperation durchgeführte werden muss. VI. Ende der Betreuung Die Betreuung kann aus verschiedenen Gründen enden. Dies ist im Einzelnen der Fall, - mit dem Tod des Betreuten - wenn sie aufgehoben wird oder - wenn ein ausländischer Betreuter seinen gewöhnlichen Aufenthalt endgültig ins Ausland verlegt. Wenn Betreuung angeordnet wurde, endet lediglich das Amt des Betreuers mit dessen Tod oder Entlassung (§ 1908b BGB). Die Betreuung als solche bleibt bestehen und es muss sodann ein neuer Betreuer bestellt werden (§ 1908c BGB). Nach § 1908b Abs.1, Satz 1 ist die Betreuung aufzuheben, wenn Ihrer Vorrassetzungen wegfallen. Des Weiteren muss eine Betreuung auf Antrag des Betreuten aufgehoben werden, wenn die Betreuung auch auf Antrag des Betreuten angeordnet wurde (§ 1908d Abs.2 BGB). Ausnahme hierfür ist, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung von Amts wegen vorliegen. Nach § 1908b Abs.1, Satz 1 BGB kommt auch noch die Entlassung des Betreuers in Betracht, wenn ein wichtiger Grund hierfür besteht. Dies ist zum einen die fehlende Eignung des Betreuers zur Weiterführung der Betreuung und zum anderen der Versuch einer vorsätzlichen Täuschung bei der Vergütungsabrechung. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 46 Nach § 1808b Abs.2 BGB muss der Betreuer auf seinen eigenen Antrag hin entlassen werden, wenn ihm die Weiterführung der Betreuung unzumutbar geworden ist. Hier sind Umzug, Familienzuwachs, Krankheit oder Alter anerkannt. Für einen selbstständigen Berufsbetreuer liegt auch dann ein wichtiger Grund vor, wenn er seine selbstständige Tätigkeit einstellt. Ohne einen derartigen wichtigen Umstand kann der Betreuer seine eigene Entlassung nicht erzwingen. Dies gilt auch dann, wenn er einen anderen Betreuer vorschlägt. Eine Entlassung eines Betreuungsvereines oder einer Betreuungsbehörde kommt dann in Betracht, wenn eine oder mehrer natürliche Personen für die Betreuung zu Verfügung stehen (§ 1908b Abs.5 BGB). Auch ist ein Berufsbetreuer vom Amts wegen zu entlassen, wenn die Betreuung ehrenamtlich weitergeführt werden kann (§ 1908b Abs.1, Satz 3 BGB). Grund hierfür ist der Vorrang des ehrenamtlichen Betreuers. VII. Die Führung der Betreuung im Allgemeinen 1. Der Einwilligungsvorbehalt Nach § 1902 BGB ist der Betreuer innerhalb des ihm übertragenen Aufgabenkreises der gesetzliche Vertreter des Betreuten. Dies bedeutet, dass die Rechtsgeschäfte, welcher der Betreuer vornimmt gemäß § 164 BGB unmittelbare Wirkung für und gegen den Betreuten entfalten. Einseitige Willenserklärungen wie zum Beispiel eine Kündigung sind nur wirksam, wenn sie dem Betreuer selbst zugehen. Soweit der Betreuer Rechtsgeschäfte vornimmt, die nicht in seinen Aufgabenkreis fallen, handelt der Betreuer hier als sogenannter Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 BGB. Hier kann der für diesen Bereich geschäftsfähige Betreute das Rechtsgeschäft des Betreuers nachträglich genehmigen. In der Regel ist jedoch der umgekehrte Fall der Hauptfall. Diesen bezeichnet man als Einwilligungsvorbehalt. Nach § 1903 Abs.3, Satz 1 BGB wird vom Vormundschaftsgericht ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, wenn die Gefahr besteht, dass ein Betreuter sich durch die Teilnahme am Rechtsverkehr selbst Schaden zufügt. Dies bedeutet, dass der Betreute zu Abgabe von Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis des Betreuers betreffen, dessen Einwilligung bedarf. Die Anordnung des Einwilligungsvorbehaltes setzt stets voraus, dass eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten besteht. Zu beachten ist hierbei, dass der Einwilligungsvorbehalt nur für Willenserklärungen angeordnet werden kann. Tatsächliche Handlungen können nicht von einem Einwilligungsvorbehalt umfasst sein. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 47 Ein Einwilligungsvorbehalt bedeutet, dass die Rechtsgeschäfte, welche der Betreute abschließt, zunächst schwebend unwirksam sind und erst mit Einwilligung des Betreuers wirksam werden. Der Einwilligungsvorbehalt kann für einzelne Aufgabenkreise oder sogar nur für einzelne Rechtsgeschäfte eingeordnet werden. Ein Einwilligungsvorbehalt ist für bestimmte Rechtsgeschäfte nicht möglich: Dies sind im Einzelnen: - nach § 1903 Abs. 3, Satz 2 BGB kann kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden für geringfügige Angelegenheit des täglichen Lebens. des Weiteren kann nach § 1903 Abs.2 BGB kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden für die Eheschließung und das Verlöbnis. Testament und Erbvertrag für alle anderen Rechtsgeschäfte, bei denen bestimmt ist, dass ein beschränkt Geschäftsfähiger sie ohne Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters abgeben kann, wie zum Beispiel das Scheidungsverlangen, die Anfechtung der Vaterschaft oder die Anfechtung eines Erbvertrages. Ein Einwilligungsvorbehalt ist ferner nicht möglich bei der Einwilligung in eine medizinische Behandlung, das diese gerade keine Geschäftsfähigkeit sondern lediglich die Einwilligungsfähigkeit des Patienten voraussetzt. Etwas anders ist jedoch der Fall, wenn ein medizinischer Behandlungsvertrag abgeschlossen werden kann. Dieser kann einem Einwilligungsvorbehalt unterliegen. 2. Aufgaben des Betreuers Die Aufgabe und der Umfang des Betreuertätigkeit wird begrenzt durch den § 1901 Abs.1 BGB. Danach schuldet der Betreuter dem Betreuten die rechtliche Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten. Der Betreuer muss an der Stelle des Betreuten für diesen einen Willen bilden oder betätigen, da dieser es aufgrund seines Defizits, welches zur Betreuerbestellung geführt hat, nicht kann. Die sogenannte persönliche Betreuung, die § 1897 Abs.1 BGB erwähnt, ist dem untergeordnet. Der Umgang der persönlichen Betreuung beurteilt sich nach dem Einzelfall. Nach § 1901 Abs.3 Satz 1 BGB muss sich der Betreuer bevor er eine wichtige Angelegenheit erledigt, dies mit dem Betreuten besprechen. Dies ist nur dann nicht der Fall wenn die Besprechung dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen würde. Ferner ist eine keine Besprechung mit dem Be-treuten notwendig, wenn dies erst gar nicht möglich ist. Um seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen ist es darüber hinaus notwendig, dass der Betreuer gegenüber seinem Betreuten ein Vertrauensverhältnis schafft. Vorrangig hat der Betreuer nach § 1901 Abs.3, Satz 1 BGB den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 48 Ein Handeln kann dem Betreuer nicht zugemutet werden, wenn die Wünsche des Betreuten gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen oder aber die Wünsche nicht den Aufgabekreis des Betreuers betreffen. Soweit der Betreute seinen Willen frei bilden kann, kommt es nicht darauf an, ob dieser Wille dem Wohl des Betreuten zuwider läuft, da der Betreute das Recht hat, seine Persönlichkeit innerhalb der vom Gesetz und der Sittenordnung gesetzten Grenzen frei zu entfalten. Soweit der Betreute nicht in der Lage ist einen freien Willen zu bilden, sondern lediglich nur natürlichen Willen, muss der Betreuer dennoch auf die Wünsche des Betreuten Rücksicht nehmen. Zur Veranschaulichung soll nachfolgender Beispielsfall dienen: M. sammelt schon seit Jahren Briefmarken. Auf einer Auktion Anfang des Monats entdeckt er eine Briefmarke, die er unbedingt haben will. Diese Briefmarke kostet jedoch 1.500,00 €. M. hat jedoch für den ganzen Monat nur 1.500,00 € zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung. Wenn in diesem Fall M. weiß, dass er, wenn er diese Briefmarke kauft, für den Rest des Monats von seinen Vorräten leben und sich extrem stark einschränken muss und nimmt er dies in Kauf, weil ihm die Briefmarke so wichtig ist, so ist der Wunsch des M. hier zu berücksichtigen. Ist er jedoch nicht in der Lage diesen Zusammenhang zu erkennen, gehört es zu den Aufgaben des Betreuers zu entscheiden, ob für M. nun die Briefmarke oder doch der Lebensunterhalt für den Rest des Monats wichtiger ist. Gleiches muss bei § 1901 Abs.3, Satz 2 BGB gelten. Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, sind vorrangig zu berücksichtigen, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht mehr festhalten will. Auch hierzu Verdeutlichung ein Beispielsfall. Hat der Betreute vor Jahren eine Patientenverfügung getroffen, in der er festgelegt hat, dass lebensverlängernde Maßnahmen im Falle eines Herzstillstandes nicht vorgenommen werden sollen, so ist zu unterscheiden, ob der Betreute damals aus einem bestimmten Anlass heraus gehandelt hat oder nicht. Wenn der Betreute keinen besonderen Anlass zur Erstellung der Patientenverfügung hatte, ist davon auszugehen, dass er eine allgemein gültige Regelung treffen wollte. Hat der Betreute die Patientenverfügung jedoch im Zusammenhang mit einer schweren Krankheit getroffen, die nun nicht mehr vorhanden ist, muss der Betreuer überlegen, was nunmehr der Wunsch des Betreuten sein würde. Ist der Betreute nicht mehr in der Lage auch nur einen natürlichen Willen zu bilden, so ist der Betreuer verpflichtet, so zu handeln wie es dem Wohl des Betreuten am besten entspricht. Danach muss er die Lebensvorstellungen des Betreuten, soweit sie ihm bekannt sind und seine Wünsche, soweit er sie kennt, berücksichtigen. Sollte der Betreuer gar keine Kenntnis haben, so ist er verpflichtet durch Befragen von Angehörigen oder Durchsicht von persönlichen Unterlagen den vermeintlichen Willen und die Lebensvorstellung des Betreuten zu erforschen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 49 VIII. Aufgaben gegenüber dem Vormundschaftsgericht Auch gegenüber dem Vormundschaftsgericht hat der Betreuer bestimmte Pflichten. Dies sind im Einzelnen: Einreichung eines Vermögensverzeichnisses zu Beginn der Betreuung Regelmäßige Rechnungslegung Auf Wunsch des Vormundschaftsgerichtes ist zu Beginn der Betreuung ein Betreuungsplan zu erstellen und vorzulegen, in dem die mit der Betreuung verfolgten Ziele und Maßnahmen angegeben werden Jahresbericht über die persönlichen Verhältnisse des Betreuten Verpflichtung mitzuteilen, wenn der Betreuer die Aufhebung der Betreuung oder aber die Erweiterung oder Einschränkung eines Aufgabenkreises oder Einwilligungsvorbehalte für notwendig hält Auf Verlangen des Vormundschaftsgerichtes Auskunftspflicht über die Verhältnisse des Betreuten IX. Die Haftung des Betreuers Die Haftung im Betreuungsrecht spielt in der täglichen Praxis eine große Rolle. Hier ist zunächst zwischen zwei Rechtsverhältnissen zu unterscheiden: - Die Außenhaftung = die Haftung, wann ein Betreuter und ein Betreuer einem Dritten gegenüber für einen von Ihnen angerichteten Schaden einstehen müssen. - Das Innenverhältnis = das Rechtsverhältnis zwischen dem Betreuer und dem Betreuten. 1. Haftung im Innenverhältnis Nach § 1908i Abs.1, Satz 1, 1833 BGB haftet der Betreuer dem Betreuten für jeden von ihm schuldhaft verursachten Schaden. Eine Haftung kommt hier auch in Betracht, wenn der Betreute sich selbst schädigt und der Betreuer dies hätte voraus sehen müssen. Entsteht einem Betreuten ein Schaden dadurch, dass der Betreuer nicht ordentlich ausgewählt wurde oder beaufsichtigt wurde, kommt unter Umständen die sogenannte Amtshaftung in Betracht. Die Amtshaftung greift jedoch nur dann ein, wenn bei dem Betreuer selbst nichts zu holen ist, da die Amtshaftung allen anderen Haftungsansprüchen nachrangig ist. Da in Bayern die Betreuer nicht nur gesetzlich unfallversichert sind, sondern auch eine Haftpflichtversicherun,g gegebenenfalls auch eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung abschließen müssen, sind Haftungsansprüche in Bayern daher so gut wie ausgeschlossen. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 50 2. Haftung im Außenverhältnis Hier muss unterschieden werden zwischen der Haftung des Betreuten für Handlungen des Betreuers und umgekehrt für die Haftung des Betreuers für Handlungen des Betreuten. Der Betreute muss sich ein Handeln seines Betreuers nach § 278 Satz 1 BGB zurechnen lassen, wenn er vom Betreuer gesetzlich vertreten wurde. Soweit der Betreuer im Rahmen seiner Tätigkeit eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 BGB begeht, also jemand anderen schädigt, ist der Betreute hierfür nicht verantwortlich. Dies ergibt sich aus § 831 BGB, da der Betreute den Betreuer nicht ausgewählt hat, sondern das Vormundschaftsgericht. Auch hier ist ein möglicher Amtshaftungsanspruch zu prüfen. Jedoch wie bereits oben ausgeführt ist dieser subsidiär und kommt in Bayern nicht zum Tragen. Der Betreute selbst haftet für von ihm begangene unerlaubte Handlungen, es sei denn die Haftung ist wegen Deliktsunfähigkeit nach § 827 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Nach § 827 Satz 1 BGB haftet nicht, wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freien Willensbildung ausschließendem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen einen Schaden zufügt. Auch kann es möglich sein, dass der Betreuer nach § 832 BGB für eine unerlaubte Handlung des Betreuten haften muss wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Beaufsichtigung des Betreuten ausdrücklich zum Aufgabenkreis des Betreuers gehört. © 2009 Rechtsanwältin Ulrike Watzl-Häusler 51