Kritische Stellungnahme zum Text von R. Cooper „Dilemma der Postmoderne“ des Landesabiturs 2006/2007 für den Leistungskurs im Fach Politik und Wirtschaft Zur Terminologie und Aufbereitung des Textauszuges Cooper definiert den Begriff prämoderner Staat im Bezugsrahmen „der neuen Welt“ (nach dem Zusammenbruch des so genannten Ostblocks w.r.) als einen Staat, der „nicht länger Max Webers Kriterium( erfüllt), im Bereich des Gewaltmonopols zu sein“(Seite 103 f. in: Frieden machen , Hrsg. Senghaas, Suhrkamp 2002 ,6. Auflage). Moderne Staaten „ der neuen Welt“ hingegen „behalten ihr Monopol der Anwendung von Gewalt und sind möglicherweise darauf vorbereitet, sie gegeneinander einzusetzen“. (108) In „postmodernen Staaten“ breche zwar wie in prämodernen Staaten der neuen Welt (Weltordnung) das Staatensystem der modernen Welt zusammen, aber die staatliche Ordnung werde in eine „größere Ordnung“ (110) transformiert (z.B.EU). Cooper selbst bemerkt 1997, er sei nicht der „einzige, der diese Terminologie“ gewählt habe und fügt in der Anmerkung nur einen anderen Autor an. Textaufbereitung Da im vorgelegten Text nur von „prä-, post- und modernen Staaten“ die Rede ist und die Schüler den zuvor dargelegten Parameter der „neuen Weltordnung“ nicht kennen können, könnten historische Konnotationen auf Nebengleise führen. Die Begriffe selbst werden im Textausschnitt nicht definiert und nur ansatzweise erläutert, obwohl sie für das Textverständnis von herausragender Bedeutung sind. Es wäre leicht gewesen, den für das Textverständnis zumeist überflüssigen Anmerkungen die von Cooper selbst gezogene Begriffsbestimmung hinzuzufügen. Einer didaktischen Analyse sollte selbstverständlich gerade in einem Zentralabitur eine didaktische Textaufbereitung erfolgen, die für die Bearbeitung Ziel fördernd ist. Zur Aufgabe 1:„Zentrale Überlegungen“ und das „ Dilemma der Postmoderne“ Worüber denkt Cooper nach? - Cooper denkt nicht über die von ihm getroffene Einteilung der Welt in drei Bereiche nach (siehe Lösungshinweise), sondern ob es zukünftig „Situationen geben mag, in denen Sicherheit Aktionen erfordert, die keine offenkundige legale Grundlage haben“; - ob als ein letztes Mittel Präventivmaßnahmen aus Gründen der Sicherheit „nötig wären“, wenn ein „instabiler und feindlicher Staat an den Grenzen Europas Massenvernichtungswaffen entwickeln würde“, auch dann wenn sie nicht durch eine Entscheidung der VN gedeckt wären; - ob nicht dann Präventivkriege („robustere Instrumente“) nötig wären, wenn Staaten gegen das „internationale Recht“(Völkerrecht) verstößen, ohne Entscheidung der VN, und prämoderne Staaten auseinander brächen, so dass die „dortige innenpolitische Gewalt“ für ihre Nachbarn Gefahren bedeuteten. Diese Überlegungen trägt Cooper im Konjunktiv II vor. - Cooper denkt auch über den „Vorwurf der Doppelmoral“ nach . Da bleibt er im Indikativ. Welche dieser Überlegungen sind zentral? Wenn sie alle zentral sind (Lösungshinweise) kann man auch das Attribut streichen (Redundanz). Man kann sie auch in einer Überlegung zusammenfassen: Wäre es unter bestimmten Bedingungen notwendig , einen völkerrechtswidrigen Präventivkrieg zu führen? Dass „Außenpolitik von der Innenpolitik“ bestimmt werde, die wiederum von den Medien und diese von den moralischen Empfindungen“ beeinflusst werde, ist keine Überlegung, sondern eine These, aus der zukünftige Folgerungen gezogen werden: „Menschenrechte und humanitäre Probleme werden eine zunehmende Rolle in der Politik spielen“. Dass VN weiterhin eine wichtige Rolle spielen werde, die neue Weltordnung sich durchsetze, seien Hoffnungen. Auch Wünsche werden geäußert: der „postmoderne Wunsch, „in innere Angelegenheiten einzugreifen, um Sicherheit für die Bevölkerung….herzustellen.“ Der vorgelegte Text ist ein Sammelsurium( politischer Essay ) von Überlegungen, Argumentation, Wünschen und Hoffnungen. Die Aufgabenstellung und die Lösungshinweise dazu tragen diesem Sachverhalt keine Rechnung. Man hätte statt der angegebenen Formulierung auch schreiben können, geben Sie den Inhalt wieder , oder die Aufgabe spezifizieren müssen. „Das Dilemma der Postmoderne“ – so der Lösungshinweis - „bestehe darin, dass sie zur Durchsetzung postmoderner ethischer Vorstellungen Dinge tun müsse, die den Verhaltenstandards einer friedlichen, demokratischen und zivilisierten Welt nicht entsprechen.“ Der Begriff Dilemma als Zwangslage bzw. Entscheidung bedeutet nicht, dass man sich entscheiden muss oder dazu gezwungen wird, sondern meint eine Handlungssituation , in der man zwischen zwei gleich unerwünschten Handlungen oder unangenehmen Dingen zu wählen hat. Die Durchsetzung von “postmodernen ethischen Vorstellungen“ dürfte keine unerwünschte Handlung sein , sondern ein Zweck , Wunsch oder eine Absicht. Die Mittel, die im Text angesprochen werden (Präventivmaßnahmen, Intervention) mögen zwar unangenehm sein, aber werden doch gewünscht. Diese Mittel (Methoden) widersprechen „den Verhaltensstandards einer zivilisierten Welt“ und dem existierenden Völkerrecht, deshalb wären solche Präventivkriege demnach auch völkerrechtswidrig, so dass diese Mittel eigentlich unerwünscht sein sollten. Dass eine Zweck-Mittel-Relation begrifflich von Cooper als Dilemma ausgedrückt und dargestellt wird, zeigt auch die perfide Absicht, Interventionskriege (Angriffskriege) ethisch zu rechtfertigen (siehe die Irak-Lüge der USAdministration). In diesem Zusammenhang sollte auch darauf hingewiesen werden, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN kein völkerrechtlicher Vertrag und damit nicht erzwingbar ist! Auch aus dieser Sicht ist es inhaltlich ein Unfug, etwa von einem völkerrechtlichen Dilemma zu sprechen. Menschenrechte im formellen Sinne sind Grundrechte unter deren staatlich garantierten Schutz alle innerhalb der Grenzen des Geltungsbereiches einer Verfassung sich aufhaltende Menschen stehen. Dass sich Völker durch völkerrechtliche Verträge (z.B. Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) verpflichtet haben, Menschenrechte und Grundrechte zu gewährleisten, trifft wie gesagt nicht auf die VN zu. Abgesehen davon ist die VN eine internationale Organisation zur Verhinderung von Kriegen, auch von Präventivkriegen. In der Frage der ethischen Rechtfertigung könnte Kant weiterhelfen. Da Kant in der Rechtslehre keinen Unterschied zwischen Staaten und Individuen und zwischen Moral und Recht (Politik) macht, kann Krieg kein Mittel sein, das den Zweck, Menschenrechte herbeizuführen, heiligt. Kant schreibt: „Ich kann mir zwar einen moralischen Politiker, d.i. einen , der die Prinzipien der Staatsklugheit so nimmt, dass sie mit der Moral zusammen bestehen können, aber nicht einen politischen Moralisten denken, der sich eine Moral schmiedet, wie es der Vorteil des Staatsmannes sich zuträglich findet“(Zum Ewigen Frieden). Cooper hat als politischer Moralist und Blairianer schon 1997 mit diesen seinen Überlegungen den Irakkrieg prognostiziert und vorbereitet. Wir können heute sehen ,wo die Menschenrechte „der Postmoderne“ liegen geblieben sind, im Kampf gegen „die Methode des Terrorismus“. Der postmodernen Ethik soll hier auch ehrenhalber Genüge geleistet werden. Zygmunt Bauman schreibt in seiner postmodernen Ethik, diese bedeute „den Anderen aus seiner Verbannung der Ödnis kalkulierter Interessen als einen physisch und geistig nahe stehenden Nachbarn in den inneren Kreis des moralischen Selbst zurückzuholen“ (130). Bauman ist der Auffassung, dass die postmoderne Ethik nicht mehr Vernunft als philosophischen Ausgangspunkt der Argumentation für die Legitimierung normativer Ethik heranziehen könne, da diese davon ausgehe, dass erstens in Zeiten atomisierter Gesellschaften keine gesellschaftlich sanktionierte Ethik bzw. Moral mehr möglich sei und dass man sich zweitens in früheren Zeiten auch nicht an Postulate von Vernunftethiken gehalten habe und auch zukünftig nicht halten werde und könne. Daher reduziert postmoderne Ethik moralisches Verhalten auf das Verhältnis von „Du und Ich“ und auf eine „moralische Nähe“ – was angesichts des Krieges nun zynisch wäre anzunehmen. Zu Aufgabe 3: Die Formulierung „erläutern Sie“ gibt ebenfalls zu Missdeutungen Anlass: Sollen die Schüler erklären, dokumentieren , Stellung nehmen, ausführen? Alle Synonyme sind in der Aufgabenstellung auf eine These bezogen. Thesen sollten aber nicht erklärt oder ausgeführt werden, angemessener wäre die Formulierung gewesen, die These zu erörtern, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Doch in den Lösungshinweisen sollten die Schüler „Beispiele“ anführen. Solche Aufgabenstellungen fördern keine kritische Auseinandersetzung, sondern Affirmation. Ideologiekritische Betrachtung des Coopertextes Wenn schon Kant im Zusammenhang jener „moralischen Empfindungen, nach denen etwas unternommen werden muß“, erwähnt wird, dann sollte auch Cooper wissen, dass Kant in seiner Rechtsphilosophie ein moralisch begründetes Völkerrecht begründet, das den Krieg zwischen Staaten auf Grundlage von Staatsverträgen zu verhindern trachte. Da Moral nach Kant „eine Praxis in objektiver Bedeutung (sei) als Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen“, angesehen werde, empfiehlt Kant das Völkerrecht unbedingt einzuhalten. „Beim Begriff des Völkerrechts, als eines Rechts zum Kriege, lässt sich eigentlich gar nichts denken…“ (Zum Ewigen Frieden, zweiter Definitivartikel) .Moralische Empfindungen haben aus Vernunftgründen in der Pflichtethik und Rechtslehre gar nichts zu suchen. Da sich Moral und Recht nicht widersprechen sollten, so Kant, dürfte Politik auch nicht Moral instrumentalisieren, „…mithin kann es keinen Streit der Politik, als ausübende Rechtslehre, mit der Moral…geben.“ (Anhang, Über die Misshelligkeit zwischen der Moral und der Politik, in Absicht auf den Ewigen Frieden). Politik sage zwar: „Seid klug wie die Schlangen“ die Moral setze hinzu: „und ohne Falsch wie die Tauben“. „Der Grenzgott der Moral“ dürfe nicht dem „Grenzgott der Gewalt“ weichen, denn dieser sei noch nicht durch „die Vernunft erleuchtet genug “- möge man dem Autor Cooper zurufen. Auch die Mittel dürften dem guten Zweck nicht widersprechen, was man landläufig, wenn dies geschehe, als Doppelmoral bezeichnet, die aber Cooper in seinem Falle nicht gelten lassen will. Auch die Erwähnung Hobbes in diesem Kontext ist fragwürdig. Als bürgerlicher Philosoph der Staatssouveränität und somit des staatlichen Gewaltmonopols auf Grundlage eines aus vernünftigen Gründen abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages freier und gleicher Menschen, die aus dem vorstaatlichen Naturzustand des Krieges Aller gegen Alle heraustreten und friedlich zusammenleben wollen, beschäftigt Hobbes sich nicht mit Außenpolitik, sondern mit der Konstitution von Staaten und innerstaatlichem Frieden. Abschließende Bemerkung: Warum wurde z.B. nicht aus Ernst-Otto Czempiels Beitrag „Alle Macht dem Frieden“ in der gleichen Anthologie „Frieden machen“ ein Textausschnitt genommen?! Man mag von Seiten der Aufgabensteller einwenden, ein jeglicher Text könne Grundlage des Zentralabiturs sein - , aber dann sollte er doch eine angemessene didaktische Textaufbereitung und keine zur Affirmation drängende Aufgabenstellung beinhalten. W. Roeb, Oberstudienrat, Grimmelshausen Gymnasium Gelnhausen [email protected] www.philosophischer-salon.de