Ethische Spannungsfelder in der Palliativversorgung

Werbung
Ethische Spannungsfelder in der Palliativversorgung
1. Was überhaupt ist Ethik im der Unterschied zu Moral und Recht?
2. Ethische Spannungsfelder in Medizin und Pflege
3. Ethische Spannungsfelder speziell in der Palliativversorgung
3.1. Fürsorge ↔ Autonomie
3.2. Nichtschaden ↔ Fürsorge
3.3. Gerechtigkeit ↔ Fürsorge
4. Lösungsansätze
4.1. KEK
4.2. Die ethisch reflektierte Entscheidung
Zu 1. Was überhaupt ist Ethik im der Unterschied zu Moral und Recht?
1.1. Entscheidungen treffen
Das menschliche Leben ist auch eine andauernde Abfolge von Entscheidungen.
Entscheidungen sind zielgerichtete Tätigkeiten, bei denen aus mehreren
Handlungsmöglichkeiten eine Variante ausgewählt wird.
Indem ich nun eine Handlungsalternative wähle und verwirkliche, schließe ich andere,
die ich auch hätte wählen können, aus. Damit ist in jeder Entscheidung auch ein Moment
des Verzichts enthalten. Ein Verzicht, der (in manchen Fällen) zu Unlust führen kann.
Manche versuchen sich dieser Unlust durch Vermeidung zu entziehen.
Beispiele:


Verhungernder Esel zwischen zwei Heuhaufen (Beispiel des Aristoteles)
(unschlüssiges) Nichthandeln psychisch Belasteter.
Beide Beispiele machen deutlich: Entscheidungen sind unausweichlich. Auch wenn ich
eine Handlung unterlasse habe ich eine Entscheidung gefällt: Die Entscheidung in dieser
Sache nichts zu unternehmen und den dingen ihren Lauf zu lassen. Wer darum auf
bewusstes Handeln (Leben) nicht verzichten will, steht unausweichlich vor der Frage
nach dem richtigen Handeln.
Problem der Entscheidung an einem Beispiel →Restaurant - Speisekarte
Zwischen die Situation, die eine Entscheidung herausfordert und dem Entschluss wird in
der Regel eine Phase der Überlegung, bzw. Besinnung eingeschoben. Es werden Kriterien
gesucht, die zu einer Entscheidung führen. In unseren Beispiel: Preis (Wert) / mein
Gewicht, Gesundheit (Folgen) / Lust (Wohlbefinden) / Kellner (Autorität) / Zufall ...
Im vormenschlichen Leben werden Entscheidungen ebenso wie das übrige Verhalten im
Wesentlichen durch Instinkte gesteuert. Die Verhaltensforschung (Eibl-Eibisfeld, Konrad
Lorenz) macht darauf aufmerksam, dass auch die Instinktausstattung der heute lebenden
Menschen äußerst beachtenswert ist. Allerdings erweist sich das Instinkterbe als einer
urtümlichen Lebensweise angepasst, von der sich der Kulturmensch weit entfernt hat.
-2Unsere biologische Entwicklung konnte mit der kulturellen Schritt halten.1 So können
Handlungen, die aufgrund solcher Instinktreste erfolgen sich gigantisch übersteigen
(Möglichkeiten eines Atomkrieges, Umweltzerstörung) oder erweisen sich als überfordert
hochkomplexe Sozialsysteme zu regulieren.
Wenn es darum geht im Alltag Entscheidungen zu fällen, reicht es in der Regel aus, sich
auf das zu beziehen, was wir mit Intuition oder auch Gefühl umschreiben. Schwieriger ist
die Situation dort, wo es um schwerwiegendere Entscheidungen geht. Also um solche,
deren Folgen einen großen Einfluss auf meine Lebensumstände haben. (Beispiele: Beruf,
Partner, Wohnort ...)
1.2. Die moralische (oder sittliche) Entscheidung
Eine sittliche Dimension bekommen Entscheidungen dort, wo durch diese die
Bedürfnisse und Lebensräume anderer Existenzen (Menschen, belebt und unbelebte
Mitwelt) mit berührt werden.
Ein Mensch handelt dann sittlich verantwortlich, wenn er sich im Rahmen seiner
Möglichkeiten bemüht, die für eine Entscheidung relevanten Gesichtspunkte zu finden
und wenn er imstande und bereit ist darzulegen, wie und aus welchen Gründen er im
Rahmen der objektiven Vorraussetzungen wichtet.
Im Alltag ist es oft der Fall, dass eine geschehene oder beabsichtigte Handlung moralisch
unterschiedlich beurteilt wird. Das kann dann ein Anlass dafür sein, nach „guten
Gründen“ für die jeweilige Entscheidung zu fragen. Solche guten Gründe, vermittels
deren sich jemand von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt oder andere zu
überzeugen sucht, lassen sich grob in sieben Klassen von Begründungsstrategien
unterteilen:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Instinkt
Fakt
Gefühle
mögliche Folgen
Moralkodex
moralische Kompetenz /Autorität
Gewissen
Zu 1. Instinkt
In der Regel wird der Einfluss des persönlichen Gewissens auf menschliches
Handeln überschätzt. In Wirklichkeit sind unsere moralischen Fähigkeiten sehr viel
geringer, als wir dies glauben. Oder genauer: unsere Fähigkeiten, unsere
moralischen Grundsätze in der Praxis anzuwenden, sind überaus labil und störbar.
Psychoanalytische und sozialpsychologische Erfahrungen zeigen, dass das persönliche Gewissen in vielen sozialen Entscheidungssituationen gar nicht in die
Funktion tritt, die von Moraltheoretikern automatisch unterstellt zu werden pflegt.
Der von übermächtiger Isolationsangst verfolgte Mensch ist vielmehr in einem ihm
selbst regelmäßig verborgenen Maße geneigt, im Konfliktfall äußeren Autoritäten
die Kompetenz eines Gewissensersatzes einzuräumen und sich unter Umständen
von diesen Handlungen vorschreiben zu lassen, die seinen persönlichen
Vorstellungen strikt widersprechen.2
1
2
Beispiel: Schreckreaktion (Klumbies, Psychotherapie s.15-16)
Milgram-Experiment
-3Wenn man Phänomene wie die willfährige Teilnahme von einzelnen, von Gruppen, von
ganzen Völkern an unmenschlichen Verbrechen in der Geschichte besser verstehen und
vor allem, wenn man in der Erziehung solchen Gefahren besser vorbeugen will, muss
man künftig zweifellos den sozialpsychologischen Bedingungen moralischen Verhaltens
sehr viel mehr Aufmerksamkeit als bisher schenken.
Vor einer Anknüpfung an diese allgemeinen Zusammenhänge seien zunächst einige
psychoanalytische und experimentalpsychologische Erkenntnisse und Befunde zum
Problem der Gewissensbildung und der Manipulierbarkeit moralischen Verhaltens betrachtet.
Die psychoanalytische Entwicklungspsychologie hat die Prozesse verfolgt, in deren
Verlauf das Kind ein System von Normen und Wertvorstellungen erwirbt, die sich
schließlich in einer Substruktur des Ichs niederschlagen. Es ist untersucht worden,
wie sich die zunächst ausschließliche Abhängigkeit von der Außenwelt dadurch reduziert, dass das Kind von einer inneren Instanz abhängig wird, die FREUD als ÜberIch, gelegentlich auch als Ideal-Ich bezeichnet hat.
FREUD hat sich zu diesem Prozess folgendermaßen geäußert: «Um diese Zeit» (um
das Alter von 5 Jahren herum, der Verf.) «hat sich eine wichtige Veränderung
vollzogen. Ein Stück der Außenwelt ist als Objekt, wenigstens partiell, aufgegeben
und dafür (durch Identifizierung) ins Ich aufgenommen, also ein Bestandteil der
Innenwelt geworden. Diese neue psychische Instanz setzt die Funktionen fort, die
jene Personen der Außenwelt ausgeübt hatten, sie beobachtet das Ich, gibt ihm
Befehle, richtet es und droht ihm mit Strafen, ganz wie die Eltern, deren Stelle es
eingenommen hat. Wir heißen diese Instanz das Über-Ich, empfinden sie in ihren
richterlichen Funktionen als unser Gewissen».:
«Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der werdende Mensch in
Abhängigkeit von seinen Eltern lebt, bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz
heraus, in der sich dieser elterliche Einfluss fortsetzt. Sie hat den Namen des ÜberIchs erhalten. Im Über-Ich bildet sich nicht nur das persönliche Wesen der Eltern ab,
«sondern auch der durch sie fortgepflanzte Einfluss von Familien-, Rassen- und
Volkstradition sowie die von ihnen vertretenen Anforderungen des jeweiligen
sozialen Milieus. Ebenso nimmt das Über-Ich im Laufe der individuellen
Entwicklung Beiträge von seiten späterer Fortsetzer oder Ersatzpersonen der Eltern
auf, wie Erzieher, öffentlicher Vorbilder, in der Gesellschaft verehrter Ideale.»
Resultat der von FREUD beschriebenen Verinnerlichung dieser vielfältigen Einflüsse
ist jedenfalls die potentielle Fähigkeit des Individuums zu einer moralischen
Eigensteuerung. Die ursprünglich äußeren Vorschriften und Idealfiguren wirken als
innere Leitbilder fort. Und man könnte sich vorstellen, dass diese inneren Maßstäbe
den Erwachsenen gegenüber dem System äußerer Bestrafungen und Belohnungen
weitgehend immunisieren würden. Seine innere Zensurinstanz sollte ihn hinreichend
vor Korruption durch äußere Manipulationsversuche schützen können. In der Tat
rechnet man in weiten Kreisen diese Widerstandsfähigkeit zur «Normalität», während
man es eher für eine klinische Ausnahme hält, wenn bei besonders schwach
ausgebildetem Selbstgefühl eine hochgradige Abhängigkeit von Außenbestätigung
und deshalb auch von Fremdbeeinflussung des moralischen Verhaltens erhalten
bleibt.
Vor allem in jüngerer Zeit hat die psychoanalytische Forschung jedoch wieder stärker
darauf hingewiesen, dass die äußere Lenksamkeit durch Autoritäten nicht unterschätzt
werden solle. Vor allem können Verletzungen des Selbstwertgefühls ein verstärktes
Bedürfnis nach «narzisstischer Nahrung» von außen hervorrufen. «In der sogenannten
-4Über-Ich-Projektion (oder Externalisierung) kann man beobachten, wie das Ich
versucht, die ursprünglichen Über-Ich-Objekte in der Außenwelt wiederherzustellen»
(SANDLER"). Für diese Prozesse, bei denen die innere Gewissensabhängigkeit
wieder durch eine Auslieferung an äußere Autoritäten ersetzt wird (durch
Regression), hat man die Situation der psychoanalytischen Behandlung, das
Verhalten bei moralischem Masochismus, religiöse Bekehrung, Bandenbildung und
Heldenverehrung bei jugendlichen als Beispiele studiert (SANDLER).
Aber gerade die Auswahl solcher relativ extremen bzw. klinischen Beispiele zeigt,
dass man sich erst von Randphänomenen her allmählich dem Problem annähert, ob
denn nicht auch im Durchschnittsbereich des menschlichen Verhaltens Prozesse der
Über-Ich-Externalisierung eine wesentlich größere Rolle spielen könnten, als man
dies gemeinhin angenommen hat. Man sieht auch immer wieder, dass eine
Schwierigkeit der Erfassung des Autoritätsproblems für viele Psychoanalytiker darin
liegt, dass sie diese psychischen Vorgänge lediglich unter der Autorschaft des Ichs
betrachten, das sich z. B. narzisstische Nahrung von außen suche oder in der äußeren
Realität Objekte als Über-Ich-Ersatz zu finden trachte. Es ist gewiss einfacher, die
Entscheidungsschwierigkeiten im Spannungsverhältnis zwischen inneren Über-IchKonflikten und dem Außendruck realer Autoritäten zu studieren, wenn man in einer
sozialpsychologischen Perspektive die Außenrealität des Individuums voll miterfasst.
Immer wieder lässt sich feststellen, dass S. FREUD in manchen Ansätzen bereits viel
sozialpsychologischer gedacht hat als manche seiner theoretisch bedeutenden
Schüler, die zeitweilig ihre ganze Konzentration auf die Erforschung des Ich gelenkt
und sich weniger um die Interaktion zwischen Ich und Umwelt gekümmert haben.
Von neueren einschlägigen experimentellen Untersuchungen zu dem Problem der
Manipulierbarkeit des moralischen Verhaltens haben die Studien von ST.
MILGRAM Resultate erbracht, denen man wirklich eine revolutionäre Bedeutung
zuerkennen muss. Die MILGRAM-Studien haben deutlich gemacht, dass in den
Menschen aller Altersgruppen und aller Sozialschichten eine dem allgemeinen
Selbstverständnis krass zuwiderlaufende Bereitschaft vorhanden ist, äußeren Autoritäten unter Preisgabe der eigenen moralischen Grundsätze gehorsam zu sein.
Obwohl die Experimente MILGRAMS im wissenschaftlichen Schrifttum und in der
Presse bekannt gemacht worden sind, sind daraus bis heute leider keine praktischen
Schlussfolgerungen gezogen worden. Es erscheint bezeichnend und zugleich
beunruhigend, dass man mit den unerhört wichtigen Befunden dieser Experimente
ähnlich umgegangen ist wie mit manchen anderen neueren großen Entdeckungen:
einen Augenblick ist man - unterstützt durch die Medien- davon fasziniert, bis man
von der nächsten Modesensation, etwa Exorzismus oder Parapsychologie, überschwemmt wird. Dem momentanen hektischen Interesse, folgt schnelles Vergessen,
aber eine eigentliche Verarbeitung des wirklich relevanten Erkenntnisgewinnes bleibt
aus. Bei MILGRAMS Experimenten spielt offensichtlich noch besonders der
allgemeine Wunsch eine Rolle, die von ihm aufgedeckten peinlichen Wahrheiten
schnell wieder zu unterdrücken. In der Tat gibt es kaum andere Forschungsergebnisse
aus der letzten Zeit, die geeignet wären, unsere Selbstachtung ähnlich tief zu
verletzen. Aber eben weil die Befunde Milgrams so schnell aus der öffentlichen
Diskussion wieder verschwunden und der Verdrängung anheimzufallen drohen, seien
hier noch einmal die wichtigsten Einzelheiten rekapituliert:3
zu 2. Fakt
Es ist die häufigste häufigste und üblichste Form einer moralische Begründung auf die
3
Experimentbeschreibung bei ...
-5Frage „Warum“ mit  „Weil... + Situation“.
„Warum hast du dieser Frau deinen Platz angeboten?“
„Weil sie schwanger ist.“
Die Begründung bezieht sich auf ein allgemeines Werturteile, auf Normen deren
Verbindlichkeit von den meisten fraglos anerkannt ist:
z. B. Älteren, Schwangeren, in Gefahr geratenen, Freunden und Hilflosen muss man in
einer Situationen, die sie in allen einen nicht zu bewältigen Vermögen, ohne sich zu
gefährden, nach Kräften helfen.
! Es besteht allerdings eine fließender Grenze zwischen Vorurteil und verbindlicher Norm
(weil er, Farbiger, Jude... ist.)
zu 3. Gefühle
Auf die Frage„Warum“  „Weil... + Gefühl“.
„Warum hast du dieser Frau deinen Platz angeboten?“
„Weil sie mir leid tat.“
Doch kein noch so intensives Gefühle kann die Verbindlichkeit einer moralischen Normen
beanspruchten (nicht verallgemeinerungsfähig). Appelle an die Gefühle des
Gesprächspartners kann eine moralische Begründung nicht ersetzen.
zu 4. mögliche Folgen (Nutzen)
„Warum hast du dieser Frau deinen Platz angeboten?“
„Weil sie das sich sonst so stark belastet, dass das Kind gefährdet wird.“
Die Argumentationsform, die der Utilitarismus als einziger moralischer Begründung
gelten lässt.
Zu 5. Moralkodex
„Warum hast du dieser Frau deinen Platz angeboten?“
„Weil dieser Platz für Schwangere reserviert ist.“
Gründe werden in der Regel von denen Mitgliedern der Gruppe, auf die sich die Geltung
des Moralkodex erstreckt, als hinreichend anerkannt.
Zu 6. moralische Kompetenz
Vater / Lehrer / Papst / Chef / Gerichtshof / Arzt
„Warum hast du dieser Frau deinen Platz angeboten?“
„Weil der Pfarrer letzten Sonntag über soziale Verantwortung gepredigt hat.“
Gefahren: Projektion von Verantwortung / kritische Hinterfragungen sind unerlässlich
Vorteile: Vereinfachung von Entscheidungen durch Vertrauen
zu 7. Gewissen
„Warum hast du dieser Frau deinen Platz angeboten?“
„Weil mich mein Gewissen zwackte.“
Berufung auf das Gewissen als moralische letzte Instanz ist eine in der Praxis generell
anerkannte Formen der Begründung.
Allerdings: das Gewissen ist nicht unfehlbar.
1.3. Ethische Argumentation
Die Frage nach der Herleitung moralischer Begründungen ist Aufgabe ethischer Reflexion
und Argumentation. Die Ethik ist als Wissenschaft, Teilgebiet der praktischen Philosophie
und versteht sich „als die Theorie richtigen Handelns“.
Dabei muss allerdings klar sein, dass die Ethik nicht Entscheidungen anbietet sondern
Strategien. Strategien, wie sich moralische Entscheidungen begründen lassen. Dass diese
Strategien sehr unterschiedlich sind und auch zu sehr unterschiedlichen Bewertungen führen
können, macht die Sache nicht einfacher.
-6- Stammesmoral Die ursprünglichste Art und Weise Moral zu begründen orientiert sich an einer gelungenen
Tradition. Also: „Wir existieren, weil unsere Ahnen erfolgreich überlebt haben und ihre
Kinder – also uns – großgezogen haben. Deshalb müssen wir vernünftigerweise genauso
verfahren wie unsere Ahnen das getan haben. Damit sichern wir unsere Existenz und die
unserer Kinder.“ Diese Moral und Letztbegründung dieser Moral ist die Moral der Stämme,
begründet aus dem Herkommen, oft auch Sitte genannt. Nach der bzw. einer anderen Moral
darf nicht gefragt werden, denn das wäre für die Existenz des Stammes gefährlich.
- Herrschermoral Eine spätere Moral begründet sich so: „Wir existieren als Beherrschte (als Untertanen) oder
Herrscher. Als Beherrschte haben wir überlebt und überleben wir, weil wir gehorchen (und
uns ausbeuten lassen und für den Herrscher arbeiten). Als Herrscher habe ich überlebt und
überlebe ich, weil ich es geschafft habe, mit Gewalt und listiger Organisation meinen
Beherrschten erfolgreich zu befehlen.“
Vernünftigerweise gehorcht man als Beherrschter den Befehlen des Herrschers, und seien sie
noch so willkürlich und uneinsehbar. Und vernünftigerweise befiehlt man als Herrscher. Das
ist die Moral und Letztbegründung der Moral der Herrscherreiche, begründet aus oder in der
Gewalt und Willkürherrschaft des Herrschers. Nach der bzw. einer anderen Moral darf nicht
gefragt werden. Ein Herrscher muss diese Frage als Angriff auf seine Herrschaft verstehen;
deshalb muss der Fragende ausgeschaltet werden. Der Herrscher selber setzt sich willkürlich
seine eigene Moral, die nur so realitätsbezogen sein muss, dass er nicht seine
Herrscherposition verliert. Nach der Moral bzw. einer anderen Moral zu fragen ist vom
Herrscher her verboten.
- Von der Moral zur Ethik Es gibt noch eine dritte Art von Moral. Und die lässt sonderbarerweise das Fragen nach „sich
selbst“ zu, also das Fragen nach der Moral und lässt damit Ethik zu. Bei dieser Moral ist die
Moral nicht „letztbegründet“, sondern sie ist relativ, eben befragbar, veränderbar,
anzweifelbar. Allerdings soll hier die Ethik nicht relativ sein, sondern absolut bzw.
letztbegründet sein, zumindest so letztbegründet – eben vernünftig - wie die beiden anderen
Moralen der Stämme oder der Herrscherreiche.
Ethik, also die Möglichkeit Moral zu hinterfragen, ist nur dort möglich, wo Menschen frei
miteinander umgehen (können) und ihre Vernunft einsetzen (dürfen).
Zwar ist es auch die Vernunft („vernünftigerweise“), die die Moral im Stamm (Es ist gut das
zu tun, was sich bewährt hat.) und die Moral im Herrscherreich (Es ist gut dem Machthaber
zu gehorchen). Doch hier geht es um einen gemeinsamen Austausch (Diskurs) vernünftiger
Argumente.
Die drei Modelle menschlichen Zusammenlebens, Stamm, Herrscherreich und frei
entscheiden könnende Individuen unterscheiden sich qualitativ voneinander. Man kann im
Prinzip nur revolutionär von einem Modell zum anderen wechseln, d.h. nur durch Abschaffen
der alten Moral und Konstruktion einer neuen Moral.
Die ersten Herrscher schafften die Stammesmoral ab und setzten (willkürlich und gewaltsam)
ihre Herrschermoral ein. Die ersten Menschen bzw. Beherrschten, die als Gruppe (!) ihre
Herrscher besiegten und überwanden, mussten – sollte die Willkürherrschaft abgeschafft
werden – auch die Herrschermoral abschaffen.
-7Zu 2. Ethische Spannungsfelder in Medizin und Pflege
In der Medizin und Pflege gelten „Prinzipien mittlerer Reichweite“:
• Respekt vor der Autonomie des Patienten
• Fürsorgepflicht des klinischen Personals (“salus aegroti suprema lex“)
• Nichtschadensgebot („primum nil nocere“)
• Gerechtigkeit
• Wahrhaftigkeit
• Zuverlässigkeit
Umstände, die es heute erschweren, ethisch reflektierte Entscheidungen zu treffen?
 Steigerung der technischen Möglichkeiten in das menschliche Leben einzugreifen
 Pluralismus der Lebens- und Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft
 Veränderung des Selbstverständnisses der verschiedenen Berufsgruppen
 Aufgeklärte“ (und mündige) Patienten und Angehörige
Zu 2. Ethische Spannungsfelder speziell in der Palliativversorgung
Folie 20 in PPP Pflegeethik(Ethik/Vorträge:
1.
2.
3.
4.
Umgang mit "schwierigen" Patienten und Patientinnen
Kommunikation mit den Angehörigen (insbesondere mit "schwierigen" Angehörigen)
Umgang mit geistig verwirrten Personen
Fixierung von Patienten oder Patientinnen (z.B. in der Geriatrie, in der Psychiatrie
oder in der Intensivmedizin)
5. Unterbringung, Wohn- und Lebensbedingungen von Patienten und Patientinnen in der
Langzeitpflege
6. Zuwendung zu komatösen Patienten und Patientinnen
7. Pflege bei Inkontinenz
8. Sexualität und sexuelle Bedürfnisse in der Langzeitpflege (Psychiatrie, Geriatrie)
9. Verhütung, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch (auch in der Psychiatrie,
Kinder- und Jugendpsychiatrie)
10. Aggression und Gewalt in der Pflege (besonders in der Psychiatrie und Geriatrie)
11. Probleme der transkulturellen Pflege (Umgang mit Menschen aus anderen
Kulturkreisen und unterschiedlicher religiöser Herkunft)
12. Umgang mit dem Leichnam nach Eintritt des Todes
13. Betreuung der Angehörigen während des Sterbeprozesses und nach Eintritt des Todes
Herunterladen