Beide Thesen halten jedoch

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Eigentum braucht Kontrolle
Das Refco-Debakel und der Rücktritt des Bawag-Chefs machen deutlich, dass der ÖGB ein
denkbar schlechter Eigentümer von Wirtschaftsunternehmen ist.
Ein Unternehmen versenkt hunderte Millionen, weil das Management leichtgläubig und
überhastet agiert hat, worauf der Vorstandsvorsitzende und die verantwortlichen Vorstände
gefeuert werden.
Kommt auf der ganzen Welt gelegentlich mal vor.
Ein Unternehmen versenkt hunderte Millionen, weil das Management leichtgläubig und
überhastet agiert hat, worauf der Chef des Ladens und die zuständigen Manager ihre
Rücktritte anbieten, welche vom Aufsichtsrat erleichtert angenommen werden.
Kommt auch immer wieder vor.
Ein Unternehmen versenkt hunderte Millionen, weil das Management leichtgläubig und
überhastet agiert hat, worauf der Generaldirektor seinen Rücktritt nicht nur anbietet, sondern
sein Amt definitiv niederlegt, die ebenfalls verantwortlichen Vorstände ihre Funktionen aber
behalten und der Aufsichtsratschef den Eindruck erweckt, als sei er ehrlich betrübt, dass es
ihm nicht gelungen ist, den amtsmüden und glücklosen Chef, der die Verantwortung für ein
wirtschaftliches Debakel übernimmt, von seiner Demission abzubringen.
Kommt nur bei der Bawag vor.
Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass der Österreichische Gewerkschaftsbund als
Eigentümer von Wirtschaftsunternehmen gänzlich ungeeignet ist, dann hätten ihn die Affäre
um den Refco-Blitzkredit der Bawag sowie die bemerkenswerten Begleitumstände des
Rücktritts von Bawag-Chef Johann Zwettler eindrücklich geliefert.
Die Bawag ist das Paradebeispiel eines Unternehmens, das immer wieder in Kalamitäten
gerät, weil es von einem inkompetenten Eigentümer kontrolliert wird – oder, präziser
formuliert, nicht kontrolliert wird.
Die Führung des ÖGB versteht vom Bankgeschäft eher wenig. Das ist den
Gewerkschaftsführern nicht vorzuhalten. Dass sie es aber angesichts eines solchen eklatanten
Mangels an Expertise – immer noch – als geeignete Vermögensveranlagung betrachten, ein
größeres Kreditinstitut zu betreiben, überschreitet die Grenze der Fahrlässigkeit signifikant.
Schon als De-facto-Eigentümer des Konsum hat der ÖGB versagt, bis der Handelskonzern
schließlich ein Fall für den Konkursrichter war. Letzteres Schicksal droht der Bawag
keineswegs. Doch das Institut geriet nicht zum ersten Mal wegen seltsamer
Geschäftspraktiken, großzügiger Auslegung bankrechtlicher Bestimmungen oder seltsamer
persönlicher Naheverhältnisse zu defraudanten Kunden in die Schlagzeilen.
Ein solches Missgeschick kann in jedem Unternehmen vorkommen. Geschieht Derartiges
allerdings wiederholt, dann sind mangelnde Aufsicht, ungeeignete Geschäftsordnungen und
falsche Personalentscheidungen die Ursache. Und für diese trägt der Eigentümer die
Verantwortung.
Der ÖGB ist freilich keineswegs der einzige Eigentümer, der für die Rolle als Eigentümer
größerer Unternehmen konstitutionell ungeeignet ist. Ähnliches gilt für die öffentliche Hand,
wie etwa die Desaster der verstaatlichten Industrie eindrücklich vor Augen geführt haben. Die
ehemals verstaatlichten Unternehmen florierten erst dann, als sie zunehmend in die Freiheit
entlassen und damit der Kontrolle der Kapitalmärkte übergeben wurden. Und für de facto
eigentümerlose Unternehmen wie Sparkassen und Genossenschaften gilt dem Grunde nach
Ähnliches. Auch die Erste Bank florierte beispielsweise erst dann wirklich, als sie sich dem
Erfolgsdruck, aber auch der Kontrolle des Kapitalmarkts aussetzte. Vereine, politische
Parteien, Interessenvertretungen, Gebietskörperschaften und Genossenschaften versagen als
Eigentümer großer Unternehmen überdurchschnittlich oft. Und tun sie es nicht, dann vor
allem deshalb, weil in den verantwortlichen Positionen glücklicherweise unternehmerisch
begabte Personen am Werk sind.
Große Unternehmen brauchen kompetente Eigentümer, die Richtlinien und Kompetenzen
festlegen, die wichtige Investitionsentscheidungen sachkundig beurteilen, die geeignete
Manager auswählen und ungeeignete zeitgerecht abberufen. Existiert ein solcher Eigentümer
nicht in Form einer Person, einer Konzernholding oder einer versierten
Investmentgesellschaft, bleibt immer noch der Gang an die Börse.
Wäre die Bawag ein börsenotiertes Unternehmen, dann hätten Aktienanalysten und
Fondsmanager längst auf der Festschreibung einer klaren Geschäftsordnung insistiert, hätten
bei der Vergabe von Großkrediten auf striktere Regeln und auch deren Einhaltung bestanden
und hätten wohl auch bereits früher ihre Zweifel daran geäußert, ob Johann Zwettler wirklich
der beste Mann an der Spitze des Instituts ist. Und die von ihnen ausgewählten Aufsichtsräte
hätten, wäre dennoch ein geschäftlicher Betriebsunfall in Dimensionen des Refco-Blitzkredits
passiert, vermutlich schon wenige Tage nach Auffliegen der Affäre personelle Konsequenzen
– auch bezüglich der ebenfalls involvierten weiteren Vorstandsmitglieder – gefordert, anstatt
dem Management wochenlang die Mauer zu machen und sich dann von der Demission des
Vorstandsvorsitzenden überraschen zu lassen.
Der ÖGB sollte daher ehebaldigst seine Bawag-Aktien zur Gänze oder jedenfalls großteils
abgeben, den Verkaufserlös professionellen Vermögensverwaltern zur Veranlagung
anvertrauen und sich mit der Tatsache abfinden, dass es im 21. Jahrhundert nicht mehr
Aufgabe von Gewerkschaften ist, ein Kreditinstitut zu betreiben.
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Diese Woche beginnt eine neue politische Ära
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Die USA haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt
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Nach Refco-Affäre trat Johann Zwettler zurück
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Verlässt nach Scheitern der Regierung Likud-Block
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Wunschkinder
Ein Fernsehspot der Regierung suggeriert uns paradiesische Zustände.
Unsere gegenwärtige Regierung gibt viel Geld für Werbekampagnen aus, die uns suggerieren
sollen, dass wir ihrem segensreichen Wirken ein paradiesisches Leben verdanken (auch wenn
wir bisher nichts davon gemerkt haben, aber eben deshalb muss es uns ja gesagt werden).
Zum Beispiel führt uns ein TV-Spot zurzeit vor Augen, dass Kinderreichtum super
problemlos ist und spielend vereinbar mit Berufstätigkeit, weil es ja Kindergeld und –
begrenzte – Zuverdiensterlaubnis gibt. Der Spot zeigt ein perfekt gestyltes junges Elternpaar
in schickem Ambiente, das entspannt Zeitung liest, während perfekt gestylte Kinder, fünf an
der Zahl, es dekorativ umlagern. „Bin ich ein Wunschkind?“, fragen die Kinder nacheinander,
und die Mutter antwortet jedesmal gütig: „Ja, du bist unser Wunschkind!“ Danach Schnitt und
Szenenwechsel ins Berufsleben: Mutter sitzt jetzt entspannt an einem Schreibtisch, die
Kinderschar lächelt ihr von einem Foto zu. So einfach ist das heutzutage.
Fragt sich nur: was eigentlich? Die Vereinbarkeit von Reichtum und Kinderreichtum? Die
war noch nie ein Problem. Soll heißen: Bestimmt gibt es da und dort tatsächlich fünffache
Eltern, die sorglos ein entspanntes Familienleben genießen sowie interessanten
Berufstätigkeiten nachgehen können – mit einem entsprechenden Vermögen im Hintergrund
lässt sich vieles delegieren, managen, zukaufen, lösen. Aber uns einreden zu wollen, dass
derartiger Wohlstand von Kindergeld und Zuverdiensterlaubnis kommt, ist verwegen.
Ich schreibe bewusst Zuverdiensterlaubnis statt Zuverdienstmöglichkeit, denn an der
Möglichkeit des Verdienens hapert es allenthalben. Rundum im Land fehlen Arbeitsplätze,
Kindergärten, Ganztagsschulen. Jeder Mensch, der auch nur ein Kind zu versorgen hat, weiß,
was Zahnregulierungen, Skikurse, Musikstunden oder Sprachferien kosten und wie eine
zeitgemäße elektronische Grundausstattung zu Buche schlägt, die von Schulen zunehmend als
Arbeitserfordernis vorausgesetzt wird. Gleichzeitig steigt die Zahl der Armen in Österreich,
die mangels verfügbarer Mittel ausgeschlossen sind von der Teilnahme am üblichen
gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Diese Armen finden sich vermehrt unter Alten und
– Kindern.
Nun kann man durchaus darüber diskutieren, in welchem Ausmaß ein Staat verpflichtet und
in der Lage ist, die Realisierung von Kinderwünschen zu ermöglichen. Müssen alle Leute
jederzeit sorglos beliebig viele Kinder kriegen können, oder darf die Gesellschaft verlangen,
dass künftige Eltern ihre Fortpflanzungspläne auf ihren jeweiligen Ausbildungs- und
Einkommensstatus abstimmen, und wenn ja, in welchem Umfang?
Darauf wird es je nach politischem Standort unterschiedliche Anworten geben. Aber was ist
von einer Politik zu halten, die einerseits unter dem Stichwort Eigenverantwortung jedes
Lebensrisiko privatisieren will und gleichzeitig Kinderreichtum propagiert, mit der –
unwahren – Behauptung, er sei durch staatliche Maßnahmen finanziell abgesichert, und zwar
so sehr, dass ein entspanntes Luxusleben dabei herausschaut? Welche Zielgruppe soll damit
für blöd verkauft werden? Eltern, damit sie ihre finanziellen Engpässe ab sofort nur mehr
ihrem persönlichen Unvermögen zuschreiben? Mütter, damit sie ihre Erschöpfung von jetzt
an als Wahrnehmungsstörung katalogisieren? Jungwählerinnen, damit sie schnell schwanger
werden, ehe sie draufkommen, dass Kinder keine sprechenden Puppen sind? Und wem würde
es helfen, wenn es plötzlich Kinderscharen gäbe, die, im Vertrauen auf falsche
Versprechungen in die Welt gesetzt, nun doch nicht versorgt werden könnten?
Dass Regierungen ihre Maßnahmen schönreden wollen, ist nicht neu. Doch die Diskrepanz
zwischen behaupteten Errungenschaften und der Realität nimmt inzwischen eine Dimension
an, die das Maß des Erträglichen übersteigt. Was kommt als Nächstes? Vielleicht das:
„Mama, stimmt es, dass ich nie mehr krank werden kann?“ „Ja, mein Schatz, die e-card
bedeutet Gesundheit und ewiges Leben!“
Und apropos Wahrnehmung: Einige Zeitungen veröffentlichten kürzlich eine Liste der
Berufe, die unter die Schwerarbeiterregelung fallen sollten. Die Berufsbezeichnungen:
großteils männlich, für Tätigkeiten, die vorwiegend Männer ausüben (Eisenbieger), aber auch
für solche, die Männer und Frauen ausüben (Landarbeiter, Küchengehilfen, Winzer), und
sogar für Tätigkeiten, die vorwiegend Frauen ausüben (Chemischputzer, Wäscher); weiters
geschlechtsneutral für Tätigkeiten, die vorwiegend Frauen ausüben (Krankenpflegefachdienst,
Intensivpflege, Reinigungspersonal); und sowohl männlich wie auch weiblich für eine einzige
Berufsgruppe: Kellner/in.
Was lernen wir daraus? Dieses: Schwerarbeit ist männlich. Frauen erbringen gerade noch als
bierkrügelschleppende Kellnerinnen schweißtreibende Leistungen, aber ansonsten sind sie
fein heraus und geben sich luftigen, leichten Beschäftigungen hin, während sich Männer als
Wäscher und Intensivpfleger plagen.
So werden Vorurteile perpetuiert.
Nein, das ist keine Haarspalterei, sondern eine Frage des Sehenwollens. Bierkrügel
heranschleppende Kellnerinnen will Mann offenbar sehen. Sogar beim Erstellen von
Berufslisten.
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Warum Zwettlers Rücktritt die Krise nicht entschärft
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Die USA haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt
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Der Fall Irving
Wie gefährlich ist der in Österreich verhaftete britische Nazi-Historiker wirklich?
Am 10. April 2000 verkündete der britische Richter Justice Gray: „David Irving hat aus
ideologischen Gründen bewusst die historischen Fakten manipuliert. Er hat Hitler in ein
günstiges Licht gerückt, insbesondere was dessen Verantwortung für den Genozid an den
Juden betrifft. Herr Irving ist ein aktiver Holocaust-Leugner, antisemitisch und rassistisch
eingestellt und steht in Verbindung mit neonazistischen Rechtsextremisten.“ Der britische
Geschichtswissenschafter David Irving hatte die US-Historikerin Deborah Lipstadt geklagt,
weil sie ihn beschuldigt hatte, die Judenvernichtung im Dritten Reich abgestritten und in
seinen Büchern die Geschichte gefälscht zu haben. In einem spektakulären 62-tägigen Prozess
wurde Irving genau das minutiös nachgewiesen und in einer 334 Seiten langen
Urteilsbegründung seine Klage abgeschmettert.
Die Reputation jenes Mannes, der lange Zeit als seriöser Historiker gegolten hatte, war
endgültig zerstört. Er musste die Gerichtskosten von zwei Millionen britischen Pfund zahlen,
privaten Bankrott anmelden und sein Luxus-Apartment im Londoner Nobelviertel Mayfair
aufgeben.
Nun sitzt er in einem Wiener Gefängnis. Die Handschellen klickten, als er vergangene Woche
von der Steiermark aus nach Wien fahren wollte, um bei der Burschenschaft Olympia einen
Vortrag über Adolf Eichmann zu halten. Ihm drohen mehrere Jahre Haft.
Irving wurde aufgrund eines österreichischen Haftbefehls aus dem Jahr 1989 wegen des
Verdachts der Wiederbetätigung festgenommen. Er hatte im Parkhotel Schönbrunn einen
Vortrag gehalten und gegenüber der damaligen „AZ“-Redakteurin Christa Zöchling (jetzt
profil) in einem Interview den Massenmord an den Juden als „Hirngespinst“ bezeichnet.
Daraufhin war die Staatsanwaltschaft aktiv geworden.
Kein Zweifel, die Tatsache, dass dieser Nazi-Oberungustl hinter Schloss und Riegel sitzt,
erweckt freudige Gefühle. Nicht nur bei Antifaschisten, auch bei ganz gewöhnlichen
Patrioten.
So oft kommt ja Österreich nicht in die internationalen Schlagzeilen. Und normalerweise
scheint unser Land meist nur dann in den Weltmedien auf, wenn wieder einmal bewiesen
wird, dass da die Beziehung zur dunklen Vergangenheit gestört ist, oder antisemitische oder
rechtsradikale Sprüche von Repräsentanten des Staates losgelassen werden.
Österreich machte durch die Waldheim-Affäre Furore. Jörg Haider mit seinen einschlägigen
Ausrutschern wurde in seiner Aufstiegsphase zum global anerkannten Bösewicht. Die
Bildung der schwarz-blauen Regierung schien das negative Österreich-Image zu bestätigen.
Und selbst die Kampls, Gudenusse, Straches und Stadlers sind noch gut für süffige kleine
Meldungen in den Kurz-notiert-Spalten der ausländischen Zeitungen. Die Irving-Verhaftung
in Österreich, die nun von Chile bis Kanada, von Ungarn bis zu den USA und von
Bangladesch bis Belgien kolportiert wird, ist durchaus dazu angetan, Österreich in der
Weltöffentlichkeit ein wenig zu rehabilitieren. In den Artikeln über das Ereignis schwingt
meist Respekt davor mit, dass diese oft als „Nazi-Land“ karikierte mitteleuropäische Republik
nun den gefährlichen Neonazi-Agitator dingfest gemacht hat.
Aber wie gefährlich ist David Irving wirklich? Abstoßender könnte wohl kaum jemand sein
als einer, der meint, Hitler hätte nichts von der Ermordung der Juden gewusst, der behauptet,
dass es „kein bisschen Evidenz“ für die „Endlösung der Judenfrage“ gebe, dass die
Gaskammern von Auschwitz nicht existiert hätten. Es ist auch sicher, dass das nicht bloße
Falschaussagen über die Geschichte sind, sondern dass sie als ganz bewusste rechtsradikale
Agitation gewertet werden müssen. Aber wer glaubt denn diesen „revisionistischen“ Unsinn?
Besteht wirklich die Gefahr, dass solche Ideen irgendwo in breiteren Teilen der Bevölkerung
Fuß fassen. Vielleicht ist das zu optimistisch: Aber zumindest in unseren Breiten ist die
historische Tatsache des Holocaust ungefähr so fest im allgemeinen Bewusstsein verankert
wie die Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist. Die Vertreter der
„Auschwitzlüge“ sind maximal kleine verrückte rechtsradikale Sekten, die aber ohne großen
Einfluss bleiben. Vergleichbar mit jenen obskuren Kreisen, die der festen Überzeugung sind,
dass die Mondlandung der Amerikaner nie stattgefunden habe, sondern in der Wüste Nevada
inszeniert worden sei. Oder den Verrückten, die zu wissen glauben, der 11. September sei ein
Werk der CIA oder des Mossad gewesen.
Gewiss: Gerade in Österreich, dessen Gerichte noch in den sechziger Jahren wirkliche
Kriegsverbrecher und Massenmörder laufen ließen, wo eine FPÖ des Jörg Haider Ende der
neunziger Jahre fast zur stärksten Partei wurde und dessen Wiedergänger heute nicht gänzlich
erfolglos sind, ist es angezeigt, besonders wachsam zu sein, wenn es um Nazi-Ideologie geht.
Es ist beruhigend, dass etwa ein Narr wie John Gudenus Angst vor dem Kriminal haben muss.
Und es ist den jetzt schon greisen Überlebenden der Konzentrationslager geschuldet, dass
jene, die ihr Leiden verleugnen, nicht fröhlich und ungestraft herumlaufen können.
Trotzdem werden früher oder später die Fragen gestellt werden müssen, ob wie auch immer
bös motivierte Behauptungen über die Geschichte wirklich mit mehreren Jahren Kerker
bestraft werden müssen, ob das dem allgemeinen Rechtsempfinden entspricht und ob in
gefestigten Demokratien der Kampf gegen barbarische Ideologien nicht eher politisch als
gerichtlich geführt werden sollte.
Die Fragen müssen erlaubt sein, gerade in einer Zeit, in der die Bürgerrechte unter dem
Vorwand des „Kriegs gegen den Terrorismus“ allüberall in der westlichen Welt zunehmend
eingeschränkt werden.
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War der Irak-Krieg doch berechtigt?
Die Wiener Konferenz über den Islam in einer pluralistischen Welt vermittelt ein anderes Bild
als die täglichen Terrormeldungen.
Bis vor Kurzem habe ich meine vor zwei Jahren mit Gerd Bacher eingegangene Wette bereits
verloren gegeben: Ich war der Meinung, die Intervention der USA habe dem Irak letztlich
genutzt, er vertrat den Standpunkt, sie habe die Verhältnisse in Wirklichkeit zum Schlechteren
gewendet.
Die nicht enden wollende Serie von Attentaten schien ihm Recht zu geben.
Aber am Ende der Wiener Konferenz über den „Islam in einer pluralistischen Welt“ zweifle
ich, dass er auf lange Sicht Recht behält: Denn dass nach den 8,5 Millionen, die trotz des
Terrors an den ersten Wahlen teilgenommen haben, mittlerweile 10,5 Millionen Iraker der
neuen Verfassung zugestimmt haben, ist mehr als nur ein Silberstreifen am Horizont. Vor
allem aber ist den Männern, die auf dieser Konferenz für den Irak gesprochen haben – der
Präsident des Irak und Vorsitzende der patriotischen Union Kurdistans, Jalal Talabani, und
der stellvertretende Präsident der irakischen Nationalversammlung, Hussain al Shahristani –,
sehr wohl zuzutrauen, dass sie dieses überwältigende Votum der Bevölkerung nutzen können,
um den Irak tatsächlich zu befrieden.
Ich weiß nicht, ob uns die tägliche Berichterstattung über explodierende Autobomben und
über explodierende Bush-Lügen nicht doch die Sicht auf die historische Entwicklung des Irak
verstellt.
Ja, die für die amerikanischen Wähler entscheidende Begründung für diesen Krieg – die
Existenz von „Massenvernichtungswaffen“ und die Verbindungen Saddam Husseins zur alQa’ida – war erstunken und erlogen; ja, Bushs Vorbereitungen für die dem Waffengang
folgende Befriedung des Irak waren ungenügend bis dilettantisch; ja, George Bushs Rhetorik
im „Kampf gegen den Terror“ ist unerträglich. Aber kann man deshalb vom Tisch wischen,
dass Talabani im „Standard“ erklärt: „Dieser Krieg war die einzige – wenn auch vielleicht
nicht die beste – Methode, dem Leiden des irakischen Volkes ein Ende zu machen.“?
Muss man nicht doch, wie das in Österreich einzig mein Kollege Christian Ortner getan hat,
die laufenden Terrortoten des Irak in ein Verhältnis zu Talabanis glaubwürdiger Darstellung
der Ära Saddam Husseins setzen? „Jährlich wurden tausende getötet. Das kurdische Volk war
einer gezielten genozidalen Verfolgung ausgesetzt. Die Schiiten erlitten ebenso wie
Turkmenen und Christen systematische Repression. Oppositionelle Sunniten wurden verfolgt,
sobald sie die Stimme gegen Hussein erhoben. Das Baath-Regime war nicht nur eine Gefahr
für die eigene Bevölkerung, sondern auch für die Welt: Hussein hat drei Kriege vom Zaun
gebrochen und war bereit, noch weitere zu führen, um seine Macht zu erhalten.“
Es funktioniert nicht, Jalal Talabani als US-Marionette abzutun, die die Vergangenheit
schlecht- und die Gegenwart schönzureden sucht: 8,5 Millionen Iraker haben diesen Mann
unter Lebensgefahr gewählt. Man muss sich zumindest fragen, ob Bush, wenn auch
ungeschickt, wenn auch aus den falschen Motiven und unter falschem Vorwand, nicht
vielleicht doch das historisch Richtige getan hat.
Dass dies möglich sein könnte, bestärkt auch die Wortmeldung des stellvertretenden
Parlamentspräsidenten Shahristani, den man seit dem Votum für die neue Verfassung auch
schwerlich als US-Marionette abtun kann: Er sei überzeugt, dass die Iraker zum vorgesehenen
Zeitpunkt an den ersten Wahlen gemäß der neuen Verfassung teilnehmen würden – die
Sunniten, die die bisherigen Wahlgänge boykottiert haben, stellten derzeit bereits Kandidaten
auf.
Zwar würde der Terror sich möglicherweise bis zum Wahlgang noch weiter verstärken – weil
die Terroristen ihn mit allen Mitteln verhindern wollen –, aber die Bevölkerung würde sich
auch dadurch nicht abhalten lassen, an die Urnen zu gehen und dem Irak seine erste
demokratisch gewählte, verfassungskonforme Regierung zu geben.
Der Ausbau der eigenen Streitkräfte und der Polizei mache trotz des Terrors Fortschritte – in
etwa einem Jahr würden sie die Sicherheit des Landes aus eigener Kraft garantieren können.
Auch das ist nicht ganz so unmöglich, wie es klingt, wenn man die Worte des afghanischen
Präsidenten Hamid Karzai auf der Wiener Konferenz zu Grunde legt: Auch in Afghanistan hat
der Terror die jüngsten, nach Ansicht internationaler Beobachter korrekten Wahlen nicht
verhindern können. Und immerhin haben sie in einem Land, in dem Frauen noch bis vor
Kurzem wie Sklavinnen behandelt wurden, 71 weibliche Abgeordnete in ein Parlament mit
249 Sitzen befördert.
Die Regierung hat noch immer nicht alle Teile des Landes unter Kontrolle – aber ihr Einfluss
ist trotz terroristischer Übergriffe stetig gewachsen.
Zweifellos ist es ein erheblicher Vorteil, dass die Europäer den USA dort bei der Befriedung
des Landes zu Hilfe gekommen sind. Ich glaube, dass sie ihre verweigernde Haltung
gegenüber dem Irak nicht zuletzt im Lichte der Wiener Konferenz überdenken sollten: Auch
wenn man George Bush, wie Gerd Bacher, eine massive politische Niederlage wünscht, sollte
man darüber nicht vergessen, dass seine Kriegslüsternheit den Menschen im Irak eine
historische Chance eröffnet hat und dass sie unser aller Hilfe verdienen, sie erfolgreich
wahrzunehmen.
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Ewald Stadler und Heinz-Christian Strache besuchen den Lifeball, um homosexuelle und
andere perverse Partnerschaften zu studieren.
Stadler: Sie da! Sie Perversling! Nein, der andere! Wenn Ihre Mutter wüsste, was Sie da
treiben, die gäb glatt ihr Kreuz zurück!
Strache: Was war des, was der da anghabt hat?
Stadler: I weiß nit genau. Ausgschaut hat’s wie eine Feldmaus.
Strache: Des a no! Schwul und a Sodamit!
Stadler: Sodomit.
Strache: Ah so? Na ja. Du hast des Hirn, i des Gsicht.
Stadler: Ich könnt’s ja no verstehen, wenn’s a fescher deutscher Schäferhund wär. Aber eine
Maus …
Strache: Was is eigentlich aus dem gesunden, sauberen Sex unserer Jugend worden? Du fragst
eine, ob sie deinen Säbel sehen will, schleppst sie auf die Bude, füllst sie ab und – bamm!
Stadler: Und dass diese Kranken überhaupt kein natürliches Schamgefühl haben. I mein,
anständige Leut drehen ja sogar zu Haus das Licht ab, wenn … na, du weißt schon.
Strache: Na ja, a net immer, oder?
Stadler: Also i war da immer konsequent. Alle fünfmal.
Strache: Schau, is des dort, glaubst, a Lesben? De is so schiach.
Stadler: Nein. Das isch doch der Hilmar mit seiner Biene-Maja-Perücke. Weißt eh, der
Undercover-Sicherheitscheck!
Strache: Ah ja! Äh …, is das eine Pfauenfeder in seinem … dings?
Stadler: Also …, das isch ja … In die muss er irgendwie reingerannt sein, der Arme. Wie
damals in die Torte.
Strache: Da – der Häupl. Und is des net der Elton John neben ihm?
Stadler: Na, des trifft sich ja ausgezeichnet. Sie da! Sie Perversling! Nein, der andere!
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Debatte: Ist Homosexualität angeboren oder Produkt besonderer Lebensumstände?
* Seriöse Wissenschafter sind sich heute einig:
* Die sexuelle Orientierung ist biologisch determiniert
[Bild: AP/ZAK]
mehr zur Story
·„Anbiederung an den Zeitgeist“
Interview mit Volksanwalt Ewald Stadler, FPÖ
Ist Homosexualität angeboren oder ein Produkt besonderer Lebensumstände? Seriöse
Wissenschafter sind sich heute einig: Gleichgeschlechtliche Neigungen sind biologisch
determiniert – auch wenn es kein Schwulen-Gen oder Lesben-Hormon gibt.
Jakob ist vier Jahre alt und wäre lieber ein Mädchen. „Wegen der schönen Kleider, die sie
haben“, sagt er. Das Batman-Kostüm seines Freundes findet er fad. Aber wenn seine
sechsjährige Schwester Lena bunte Tücher und Prinzessinnengewänder aus der
Verkleidungskiste holt, will Jakob auch Prinzessin sein. Die Eltern sehen es gelassen: Wenn
Jakob Buntes lieber hat, so meinen sie, dann soll er Buntes tragen. Auch im Kindergarten.
Auch auf dem Spielplatz.
Die Lockerheit von Jakobs Eltern ist nicht selbstverständlich, denn die Vorstellungen darüber,
wie sich Buben und Mädchen „richtig“ zu verhalten haben, sind noch immer sehr strikt. Viele
Eltern befürchten, dass ihr Sohn einmal schwul oder ihre Tochter lesbisch werden könnte.
Und tatsächlich ist es erwiesen, dass so genannte „Sissy-Boys“ wie Jakob – und extrem
burschikose Mädchen desgleichen – mit einer vielfach höheren Wahrscheinlichkeit später
homosexuell leben – ein Horrorszenario etwa für den freiheitlichen Volksanwalt Ewald
Stadler, der sich vergangene Woche nachdrücklich gegen die Anerkennung von
„homosexuellen und anderen perversen Partnerschaften“ aussprach.
Über die Wurzeln der homosexuellen Orientierung herrscht bereits seit einem Jahrhundert ein
erbitterter Streit zwischen den wissenschaftlichen Lagern. Im Groben stehen sich zwei
Ansichten gegenüber: Die biologisch-medizinische Richtung sucht nach Angeborenem –
körperlichen Merkmalen wie Genen oder frühen Hormoneinflüssen, die das sexuelle
Empfinden prägen. Die soziologisch-kulturwissenschaftliche Fraktion stellt das
gesellschaftliche und familiäre Umfeld, durch das Verhalten, Gefühle und Meinungen jedes
Menschen geformt werden, in den Vordergrund. Konsequenz dieser These waren viele
verzweifelte Selbstanklagen wegen „Erziehungsfehlern“ und teils grausame Versuche, dieses
Verhalten zu ändern und die „fehlgeleiteten“ erotischen Gefühle in einem Umerziehungslager
wieder in die „rechten“ Bahnen zu lenken.
Noch heute finden sich radikale Vertreter dieser These wie beispielsweise die deutsche
Medizinerin Christl Vonholdt, Vorsitzende des fundamental-christlich orientierten „Instituts
für Jugend und Gesellschaft“. Der Salzburger Weihbischof Andreas Laun etwa hält Vonholdt
für die „kompetenteste und beste Kennerin der Homosexualität“. Deren Ursachen, so die
Medizinerin, lägen tief in der Kindheit verborgen. „Homosexuell empfindende Männer sind in
ihren frühen männlichen Beziehungen zum Vater verletzt worden und ziehen sich in Folge
von der Männlichkeit zurück“, erklärt Vonholdt. Auch die Mütter bekommen ihr Fett ab: „Sie
vermitteln den Jungen ein negatives Bild von Männlichkeit, nehmen sie emotional gegen den
Vater ein und können ihre Söhne nicht loslassen.“
Psychoknick. Diese klassischen Thesen vom „abwesenden Vater“ und der „überfürsorglichen
Mutter“ gehen auf Sigmund Freud zurück. Hätte er Recht gehabt, müssten Buben, deren Väter
sich psychisch und körperlich distanzieren, mit höherer Wahrscheinlichkeit schwul werden.
Auch für lesbische Empfindungen hält die Psychoanalyse nach Freud gewagte Theorien parat:
Demnach führt der Wunsch, auch einen Penis zu haben, so wie Vater oder Bruder, zu einer
überpositiven Besetzung der Männlichkeit und einer inneren Rebellion gegen die weibliche
Rolle. Folgerichtig müssten Frauen mit Brüdern öfter lesbisch werden.
„Beide Thesen halten jedoch der Wirklichkeit nicht stand“, schreibt der britische
Sexualpsychologe Glenn Wilson in seinem eben erschienenen Buch „Born Gay“ (Peter Owen
Publishers, 2005): „Man kann die psychoanalytischen Thesen zur Homosexualität getrost als
eine Art Partytrick ansehen, unterhaltsam wie Kartenlesen – aber jenseits aller Wissenschaft.“
Unmittelbar aus diesem Gedankengut wird auch gern die Fama von der Gefahr der
Verführung zur Homosexualität abgeleitet: dass ein Kontakt zu einem älteren Sexualpartner
genüge, um ansteckend zu wirken – eine Art Dracula-Effekt. Laut Vonholdt „wird der
ungestillte ‚Vaterhunger des Kindes von älteren Männern missbraucht und führt geradewegs
in die Homosexualität“. Mit solchen drastischen Thesen wurde auch in Österreich
jahrzehntelang das Schutzalter der Burschen gerechtfertigt, das bis vor Kurzem noch bei 18
Jahren lag, vier Jahre über jenem der Mädchen.
Wie wenig fundiert diese Theorie war und ist, zeigen beispielsweise jene Kulturen, in denen
frühe gleichgeschlechtliche Kontakte durchaus üblich sind, der Anteil homosexueller
Erwachsener jedoch trotzdem nicht höher liegt als anderswo.
Das Klischee von der prinzipiellen Widernatürlichkeit homosexueller Praktiken hält einer
seriösen biologischen Betrachtung nicht stand: Der in Seattle lebende Wissenschafter Bruce
Bagemihl trug die Materialien ganzer Generationen von Tierbeobachtern zusammen und
förderte ein gewaltiges Panoptikum homosexueller Liebesspiele zutage. Bei den von ihm
beschriebenen 450 Tierarten sind sämtliche Paarungsmöglichkeiten dokumentiert: Männchen
treiben es mit Männchen, Weibchen mit Weibchen, die meisten bi durcheinander, ein paar
wenige exklusiv, jedenfalls viele eindeutig homosexuell.
Warum es diese Neigungen überhaupt gibt, bleibt für Evolutionsgläubige freilich bis heute ein
Rätsel. Ein Verhalten, das so offensichtlich nicht der Verbreitung der eigenen Gene dient,
müsste dem landläufigen Verständnis nach aus einer zweckorientierten,
fortpflanzungsfixierten Natur doch längst verschwunden sein.
Biologen argumentieren nun, dass es in der Evolution eben weniger um das „survival of the
fittest“ geht, wie Darwins Jünger meinten, sondern um das Erbgut der ganzen Sippe. Schwule
und Lesben könnten demnach einen Überlebensvorteil für die Familie bringen, weil sie –
selbst oft kinderlos – ihre Brüder und Schwestern bei der Aufzucht des Nachwuchses
unterstützen; oder indem sie in Kriegs- und Krisenzeiten den Zusammenhalt
gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften intensivieren. Dadurch hätten die Gene der eigenen
Gruppe größere Überlebenschancen.
Hirnforschung. Aber auch konkretere biologische Ansätze haben bislang nur wenig zur
Erklärung der sexuellen Präferenzen bei Tieren und Menschen beigetragen. Ausgiebig wurden
körperliche Merkmale vermessen, um einen Zusammenhang zur Homosexualität herzustellen:
Penisgrößen und Fingerlängen, „schwule“ Innenohren und „lesbische“ Fingerabdrücke.
Traditionell eine starke Rolle bei den biologischen Erklärungsversuchen spielt die
Hirnforschung. Der US-Neurobiologe Simon LeVay sezierte die Gehirne von 35 verstorbenen
Männern – 19 von ihnen schwul – und sechs heterosexuellen Frauen und verglich Größe und
Zellenanzahl eines winzigen Teils des vorderen Hypothalamus, INAH 3 genannt. LeVay fand
heraus, dass diese Region bei den schwulen Männern im Durchschnitt nur ein Drittel so groß
war wie bei den untersuchten Gehirnen der Hetero-Männer. Damit entsprachen sie in etwa der
durchschnittlichen Größe der weiblichen Areale. Er publizierte seine Studie Anfang der
neunziger Jahre im renommierten Wissenschaftsjournal „Science“ – mit großem medialem
Echo: Das Konzept vom homosexuellen, im Grunde also ‚weiblichen‘ Gehirn war geboren.
In Fachkreisen jedoch stießen LeVays Erkenntnisse zunächst auf wenig Resonanz. Seine
Studie wurde von niemandem wiederholt, und ihre methodischen Schwachstellen nährten
Kritik. Von der Begrenztheit des Samples einmal abgesehen, wichen die Daten beispielsweise
im Einzelnen von den Durchschnittsaussagen ab: Manche der schwulen Männer auf LeVays
Seziertisch hatten deutlich größere INAH-3-Regionen als einige der heterosexuellen Männer
und umgekehrt.
Vor Kurzem bekam LeVay jedoch Rückenwind. Eine Forschergruppe aus Oregon zerlegte die
Gehirne von toten Schafböcken, einer Tierart mit hohem Homosexuellen-Anteil: Fast zehn
Prozent der Böcke verkehren sexuell ausschließlich mit anderen Männchen. Die
Wissenschafter vermaßen eine Hypothalamus-Zellgruppe, die von ihrer Lage dem
menschlichen INAH 3 entspricht, und erkannten, dass sie bei den Homo-Tieren tendenziell
kleiner war als bei den Mutterschafen zugeneigten Böcken.
Welche Schlüsse können aus solchen Studien gezogen werden? Dass die sexuelle
Orientierung im Gehirn verankert ist – schon immer dort verankert war?
Die Neurologin Sigrid Schmitz von der Uni Freiburg verweist auf die Plastizität des Gehirns:
„Wir wissen heute, dass die Hirnstruktur von Erwachsenen keine vorgegebene Konstante ist.“
Das Gehirn verändert sich vielmehr das ganze Leben hindurch, vergleichbar mit einem
Wegenetz: Wichtige Routen werden ausgebaut zu richtigen Autobahnen; daneben gibt es
weniger befahrene Seitenstraßen und schmale Pfade. Unbenutzte Strecken verfallen. Selbst
wenn in den Gehirnen Erwachsener also Unterschiede geortet werden, bleibt doch weiterhin
ungeklärt, was zuerst da war: das „homosexuelle Gehirn“, das die Orientierung geprägt hat,
oder umgekehrt ein Lebensstil, der die Hirnstruktur geformt hat.
Wesentlich einfacher klang da die Erklärung, die 1993 weltweit Aufsehen erregte. Der
amerikanische Genetiker Dean Hamer hatte das Schlagwort von dem „Schwulen-Gen“
geprägt – sehr zur Verwunderung des deutschen Sexualwissenschafters Martin Dannecker.
„Seit über hundert Jahren glauben Homosexuelle, dass der gesellschaftliche Konflikt
verschwindet, wenn sie nachweisen können, dass Homosexualität angeboren ist.“ Dahinter
stehe das simple Erklärungsmuster: „Sieh her, ich kann nicht anders – es ist alles
Veranlagung!“
Blutsbande. Es waren schließlich Studien an Zwillingen, die dem biologischen Ansatz doch
den Weg ebneten. Eineiige Zwillinge sind natürliche Klone: Sie stimmen in ihren Erbanlagen
zu 100 Prozent überein. Was an Eigenschaften durch Gene bestimmt wird, muss also auch bei
beiden zum Vorschein kommen. Die bekanntesten Zwillingsstudien zum Thema stammen von
Michael Bailey und Richard Pillard. Die Amerikaner befragten Zwillinge und
Adoptivgeschwister zu ihren sexuellen Neigungen und stellten einen deutlichen
Zusammenhang zwischen der Nähe der Blutsbande und dem Sexualverhalten fest. War von
eineiigen Zwillingsbrüdern einer schwul, fühlte sich in mehr als der Hälfte der Fälle auch der
andere Bruder zu Männern hingezogen. Bei zweieiigen Zwillingsbrüderpaaren waren es
dagegen 22 Prozent; war der Bruder adoptiert, gar nur elf Prozent. Ähnlich präsentierten sich
die Erkenntnisse bei den Frauen: Bei 48 Prozent der Lesben mit eineiiger Zwillingsschwester
war auch die Schwester lesbisch – im Vergleich zu gerade mal 16 Prozent unter zweieiigen
Zwillingsschwestern.
Damit gilt eine genetische Prädisposition für Homosexualität heute weithin als gesichert.
Doch reicht sie als alleinige Erklärung nicht aus – sonst müssten eineiige Zwillinge immer die
gleichen sexuellen Vorlieben haben wie ihre Brüder und Schwestern. Die meisten
Wissenschafter stimmen heute darin überein, dass es sich nicht um ein einzelnes
verantwortliches Gen handelt, sondern um wesentlich kompliziertere Regelkreise. „Stress
spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Geschlechtshormone“, erklärt Wilson. In Tierstudien
wurde gezeigt, dass sich die Wahrscheinlichkeit für homosexuellen Nachwuchs erhöht, je
nachdem in welchen Entwicklungsstadien des Fötus die verschiedenen Einflüsse auftreten.
„Man ist jedoch noch meilenweit davon entfernt, diese Prozesse tatsächlich zu verstehen, und
niemand kann sie derzeit gezielt steuern.“
Die über so viel Biologie in der öffentlichen Wahrnehmung stark ins Abseits geratenen
kultursoziologischen Wissenschaften tragen heute wesentlich zum Verständnis der
Homosexualität in der Gesellschaft bei. Das beginnt schon bei der Deklaration der eigenen
Sexualität. Hier gibt es allerdings viele Grauzonen: Bei einem persönlichen Interview fällt es
vielen Menschen schwer, ehrlich zu antworten. Deshalb haben Wissenschaftler alle
möglichen Kniffe entwickelt, um den Wahrheitsgehalt der Angaben zu objektivieren. Bei
Männern gelingt dies relativ leicht, weil das Sexualorgan selbst vermessen werden kann. Den
Probanden werden dabei diverse Bilder eindeutig homo- beziehungsweise heterosexuellen
Inhalts gezeigt und mit dem Schwellvolumen des Penis korreliert. Wenn dieses dann auch
noch zur Selbsteinschätzung passt, so erscheint die Antwort verlässlich.
Verdrängung. Dabei ergaben sich auch überraschende Einsichten: Bei einer berühmt
gewordenen Untersuchung von Henry Adams, Sexualwissenschafter an der Universität
Georgia, wurde etwa die Einstellung zur Homosexualität abgefragt. Gerade jene Männer, die
sich am feindseligsten dazu äußerten, zeigten bei den schwulen Bildern einen wesentlich
stärkeren erektilen Impuls als Männer, die ein entspanntes Verhältnis zur Homosexualität
pflegten. Damit wurde klar bewiesen, dass bei aggressiver Schwulenschelte auch eine Art
Verdrängungsmechanismus mitschwingt.
Bei Frauen sind objektive Messungen schwieriger, weil die Erregung nicht nach einem derart
einfachen Muster zu bewerten ist und sich Parameter wie die „vaginale Durchblutung“ als
höchst unzuverlässig erwiesen haben. Die meisten seriösen Studien verwenden deshalb eine
Kombination der verschiedenen Messmethoden und versuchen, dadurch zu gültigen Aussagen
zu kommen. Und hier zeigt sich quer durch alle Kulturen, dass der Anteil der
gleichgeschlechtlichen Ausrichtung überraschend konstant ist. Bei einer Zufallsbefragung
unter 5000 Norwegern im Alter von 18 bis 49 Jahre fand die Sexualwissenschafterin Bente
Træen von der Universität Tromsø einen exklusiven Homosexuellen-Anteil von 3,3 Prozent
bei Männern. Bei Frauen deklariert sich gerade eine von hundert eindeutig als Lesbe. Einen
noch geringeren Anteil fand eine 2003 veröffentlichte Erhebung unter rund 900 Bewohnern
der neuseeländischen Universitätsstadt Dunedin, die zum Zeitpunkt der Befragung allesamt
26 Jahre alt waren.
Männer deklarieren sich eher mit eindeutigen Präferenzen, Frauen zeigen hingegen einen
Hang zur Bisexualität. Immerhin jede zehnte Norwegerin und jede siebte Frau aus dem
neuseeländischen Sample gaben an, dass sie im Lauf des vergangenen Jahres zumindest ein
lesbisches Erlebnis gehabt hatten. Nicht einmal halb so viele Männer berichten Ähnliches.
Und bei der Selbstdefinition als bisexuell herrscht unter Männern überhaupt Ebbe.
Paradoxerweise hat gerade das Erstarken der Schwulenbewegung diesen Effekt verstärkt.
Statt den ganzen Regenbogen der sexuellen Ausdrucksmöglichkeiten zu öffnen, hat die
sexuelle Liberalisierung das strikte Entweder-oder eher zementiert.
Lagerdenken. Noch 1970 gaben fast 20 Prozent der 16- und 17-jährigen Burschen an, schon
einmal ein sexuelles Erlebnis mit einem anderen Jungen gehabt zu haben. Heute sind es
angeblich gerade einmal zwei Prozent. „Jugendliche etikettieren heute gleichgeschlechtliche
Erlebnisse sehr schnell als ‚schwul‘“, so der Hamburger Sexualwissenschafter Gunter
Schmidt: Und als schwul will niemand gelten. „Früher hatte das ,Rumwichsen‘ nach dem
Sport was völlig Normales“, bestätigt Christian Högl, Obmann der HOSI-Wien. „Heute weiß
hingegen schon jeder 13-Jährige, dass das eine schwule Handlung ist.“
Wer sich dann aber trotzdem deklariert, steht vor einem weiteren Problem: Rund um die
schwierige Entscheidung des Coming-out ist Eindeutigkeit besonders wichtig – und wird von
der Community der Lesben und Schwulen auch regelrecht gefordert. „Klar hatten wir da ein
sehr kritisches Auge drauf, wenn eine nach dem Outing wieder hetero wurde“, beschreibt die
lesbische grüne Nationalratsabgeordnete Ulrike Lunacek diesen Zwiespalt. „Da kommen dann
rasch Vorwürfe wie: ‚Sie hält dem Druck nicht stand‘ oder ‚Sie macht es sich einfach.‘“ –
„Und es stimmt ja auch“, assistiert Christian Högl. „Heterosexualität ist ganz eindeutig
bequemer.“ Die Selbstbeschreibung als bisexuell hat hingegen gar keinen guten Ruf. „Das gilt
oft als zaghafter erster Schritt in die Szene“, sagt Högl. „Dann aber wird erwartet, dass man
sich klar deklariert und dazu steht.“
Homosexualität gilt inzwischen unter allen seriösen Wissenschaftern als durch Therapie nicht
veränderbar. Trotzdem wird das Selbstwertgefühl von Kindern, die ein wenig anders sind als
die anderen, nach wie vor systematisch untergraben. Die Folgen sind dramatisch.
Depressionen und Selbstmordversuche kommen bei homosexuellen Jugendlichen mindestens
doppelt so häufig vor wie bei gleichaltrigen heterosexuellen. Vor allem die „weiblichen“
Männer sind gefährdet. Der kanadische Soziologe Pierre Trembley, der sich seit Jahren mit
Suizid-Auslösern bei jungen Menschen beschäftigt, hat herausgearbeitet, dass mehr als die
Hälfte der Selbstmordversuche von früheren „Sissy-Boys“ verübt werden.
Wenn man diesen Menschen das Gefühl gibt, sie seien widernatürlich oder gar „pervers“
veranlagt, löst man sicher kein Problem – schon gar nicht jenes der Homosexualität, die von
Natur aus gar kein Problem wäre, aber immer noch viel zu oft dazu gemacht wird. Nicht nur
von Ewald Stadler.
Mitarbeit: Thomas Hanifle
Von Verena Ahne und Bert Ehgartner
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Affäre: Bank für Arglosigkeit und Wegschauen
Warum der Rücktritt von Johann Zwettler die Krise der Bawag nach dem Refco-Debakel
keineswegs entschärft.
Johann Zwettler war der Erste, der aufstand: mit einer Attitüde, die so gar nicht zu ihm passen
wollte. Zwettler – das war seit jeher der archetypische Bankbeamte gewesen. Daran hatte sich
auch nichts geändert, als er vor nunmehr drei Jahren zum Generaldirektor der Bawag
avanciert war, mithin zum Chef des nach der Bilanzsumme fünftgrößten Kreditinstituts in
Österreich. Unscheinbar, harmlos, ein bisschen blässlich – so leitet der nunmehr 64-Jährige
das Geldhaus.
Aber plötzlich, am Donnerstag vergangener Woche, diese martialischen Worte: „Granat- und
Atomfeuer“ sah Zwettler auf die Gewerkschaftsbank niederprasseln. So, als sei die Wiener
Innenstadt rund um die Bawag-Zentrale zum Schauplatz eines Großkrieges geworden. So, als
gebe es nur eine Rettung – den Helden, der aus der Deckung geht, um den Beschuss auf sich
zu ziehen und sich für alle anderen zu opfern.
Diesen Part übernahm nunmehr Johann Zwettler.
„Ich habe mich nie einer Verantwortung entzogen“, sprach der Bankchef und sprang aus dem
virtuellen Schützengraben. „Ich werde mein Vorstandsmandat mit 31. Dezember 2005
unwiderruflich zurücklegen. Ich möchte bewirken, dass die Bank aus dem Trommelfeuer
herauskommt.“
Es war eine einsame Entscheidung, die für alle überraschend kam. Sogar für den Aufsichtsrat,
der am Donnerstag bereits zum zweiten Mal außerordentlich zusammengetreten war, um die
Folgen der so genannten Refco-Affäre für die Bawag zu erörtern: die Vergabe eines
Blitzkredits in Höhe von 350 Millionen Euro an Gesellschaften von Phillip Bennett, den ExChef des mittlerweile insolventen US-Brokerhauses Refco Inc. (profil berichtete mehrfach,
siehe auch Kasten Seite 44). Das Geld ist vorderhand futsch. Kaum war der stattliche Betrag
am 10. Oktober überwiesen worden, gestand Refco substanzielle wirtschaftliche
Schwierigkeiten ein und schlitterte wenig später in den Konkurs.
Krise. Der Rücktritt von Zwettler, der Druck von der im Alleineigentum des Österreichischen
Gewerkschaftsbundes (ÖGB) stehenden Bank nehmen soll, entschärft die Krise der Bawag
freilich nur oberflächlich. Noch immer läuft ein Ermittlungsverfahren der
Finanzmarktaufsicht (FMA). Noch ist unklar, ob der Vorstand bei der Kreditvergabe gegen
das österreichische Bankwesengesetz verstoßen hat. Und noch ist längst nicht abzusehen,
welche Schadenersatzforderungen dem Institut von Refco-Aktionären in den USA drohen. Da
nutzen alle gegenteiligen Beteuerungen von Bawag-Aufsichtsratspräsident Günter Weninger
nicht viel.
ÖGB-Finanzchef Weninger war, wie auch die gesamte Gewerkschaftsspitze, darauf
eingeschworen, den Bawag-Vorstand mit allen Mitteln zu stützen, als er am frühen
Donnerstagabend zur Sitzung des Aufsichtsrats kam – direkt von intensiven Beratungen der
ÖGB-Eigentümervertreter, in denen die Verteidigungslinie festgelegt worden war: die Bank
als Opfer eines konzertierten Betrugs, den Bennett in Tateinheit mit einer Reihe weiterer
Refco-Manager so hinterlistig ausgeführt habe, dass man die Absicht dahinter nicht erkennen
konnte. Personelle Konsequenzen für Zwettler oder seine Vorstandskollegen Christian
Büttner (Internationales Geschäft) und Peter Nakowitz (Treasury und Großkredite), die den
Kredit mitverantworten müssen? Undenkbar.
Es sollte ein wenig anders kommen.
Um 16 Uhr eröffnet Weninger im 4. Stock der Bawag-Zentrale die Sitzung. Er beginnt mit
einer wörtlichen Lesung jenes mehrere Dutzend Seiten umfassenden Prüfberichts, den die
Oesterreichische Nationalbank (OeNB) im Auftrag der FMA über die Causa Refco erstellt
hat. Die Rezitation dauert fast eine Stunde, befriedigt einige Mitglieder des Gremiums aber
nicht wirklich. Casinos-Austria-Chef Leo Wallner und Siemens-General Albert Hochleitner
wollen erst einmal wissen, welche Schritte die Bawag seit Bekanntwerden der Affäre gesetzt
hat. Weninger referiert die sowohl in Wien als auch in New York gegen Bennett und Refco
eingebrachten Klagen.
Anschließend präsentiert er eine Stellungnahme der Bank für die Prüfer der OeNB und die
darin enthaltenen Schlüsse der Bawag: Es gebe keine Hinweise auf strafrechtlich relevante
Tatbestände, der Kreditvergabe sei auch kein schwer wiegender Verstoß gegen die
Sorgfaltspflichten oder andere Bestimmungen des Bankwesengesetzes vorangegangen. Ein
Vorratsbeschluss, der noch unter Zwettlers Vorgänger Helmut Elsner gefasst worden war, sei
weit reichend genug formuliert gewesen, um die Entscheidung zu decken. Es habe bloß an
den internen Kontrollmechanismen gehapert, aber das könne rasch repariert werden.
Die Sitzung wird mehrmals unterbrochen, der Vorstand aus dem Raum geschickt. Schließlich
taucht die Frage auf, ob sich die optimistische Einschätzung des Aufsichtsrats auch mit jener
der FMA decke. Jetzt ist Bawag-Staatskommissär Martin Brandl am Wort. Er befürchtet, dass
die Finanzmarktaufsicht im Gegensatz zur Bank selbst durchaus davon ausgehe, dass
rechtliche Normen verletzt worden sein könnten – etwa durch die Tatsache, dass der BawagVorstand über keine klare Geschäftsordnung verfüge und generelle Kredithöchstgrenzen
unzureichend festgelegt seien. Weninger muss einräumen, dass die FMA noch keine
Entwarnung gegeben hat. Es ist inzwischen halb sieben. Zwettler und Weninger ziehen sich
zu einem Vieraugengespräch zurück.
Als sie wieder hereinkommen, ist Weninger noch etwas graugesichtiger als sonst. Zwettler
scheide aus dem Vorstand aus, sagt er. Der Generaldirektor habe rundweg seinen Rücktritt
erklärt. „Wir haben nichts Unrechtes gemacht“, wird Zwettler von einem Sitzungsteilnehmer
zitiert. „Aber irgendjemand muss jetzt die politische Verantwortung übernehmen.“
Einige Bawag-Betriebsräte brechen daraufhin in Tränen aus. Gegen sieben Uhr ist die Sitzung
beendet. Jetzt gilt es, Zeit zu schinden, um nicht schon in der „ZiB 1“ eine Stellungnahme
abgeben zu müssen. Um 19.39 Uhr, die ORF-Nachrichtensendung läuft gerade, treten
Weninger und Zwettler vor die Presse.
Zwettler weiß vermutlich ebenso gut wie sein Aufsichtsrat, dass die Angelegenheit mit
seinem Abgang nicht ausgestanden ist. Aus dem Prüfbericht der OeNB einen Persilschein
abzuleiten, wie es Aufsichtsratspräsident Weninger vergangenen Donnerstag getan hat, wäre
tatsächlich etwas kühn. Der Report stellt in erster Linie eine nüchterne Auflistung von Fakten
dar, enthält aber keine rechtliche Würdigung der Vorgänge. Die ist vielmehr der FMA
vorbehalten. Und wie die dortigen Prüfer die Angelegenheit bewerten, wird sich erst im Lauf
der nächsten Wochen erweisen. Das Papier der OeNB ist jedenfalls nur eines unter vielen
Dokumenten, die von der FMA als Grundlage für ihre Entscheidung herangezogen werden.
Ungemach. Gleichzeitig braut sich in New York Ungemach zusammen. Während die Bawag
bemüht ist, sich als Opfer von Bennett und Refco darzustellen, wärmen sich ein gutes
Dutzend US-Anwaltskanzleien gerade erst für die bevorstehende gerichtliche
Auseinandersetzung auf. Sie vertreten Refco-Geschädigte, die Schadenersatzansprüche
anmelden wollen. Ihnen geht es darum, die Insolvenzmasse von Refco, aus der ihre Klienten
letztlich abgefunden werden sollen, möglichst hoch anzusetzen. Sie wird umso größer, je
mehr finanzkräftige Institutionen als Komplizen des mutmaßlichen Betrügers Bennett entlarvt
und infolgedessen zu Schadenersatzleistungen herangezogen werden können.
Dabei könnte auch die Bawag unter erheblichen Druck geraten. Immerhin dürfte mittlerweile
feststehen, dass Bennett die Refco-Bilanzen über Jahre hinweg frisiert hat. Und zwar offenbar
auch unter Zuhilfenahme von Geldmitteln der Bawag.
Der ehemalige Refco-Chef dürfte die millionenschweren Kreditforderungen, welche Refco
gegenüber Bennetts privater Holding aufgebaut hat (die jene Holding aus Eigenem nicht mehr
auszahlen hätte können), jeweils zum Bilanzultimo der operativen Refco-Gesellschaft (28.
Februar) kurzfristig durch Refco-Forderungen an scheinbar unbeteiligte Dritte, deren Bonität
außer Zweifel stand, ersetzt haben (profil 43/05). Teils lief dieses Spiel auch zu den
Stichtagen der Refco-Quartalsbilanzen.
Auf diesem Umstand basieren zentrale Punkte der Anklageschrift des New Yorker
Staatsanwalts Michael Garcia gegen Bennett. Bereits ab den frühen neunziger Jahren, so
Garcia, habe dieser „ununterbrochen versucht, Verluste von Refco zu verstecken“, schreibt
Garcia. „Bennett steuerte eine Serie von Transaktionen, die dazu bestimmt waren, diese
Verluste am Jahres- und Vierteljahresende zu verschleiern. Dieses betrügerische Schema
gipfelte im August 2005 im Börsegang von Refco Inc., bei dem die Öffentlichkeit RefcoAktien im Wert von annähernd 583 Millionen Dollar erwarb.“
In diesem Zusammenhang gab es offenbar dreimal, jeweils zu den Bilanzstichtagen der
Refco, auch auffällige Bawag-Transaktionen: Am 28. Februar 2003 könnte, wie US-Anwälte
vermuten, die Bawag Overseas Inc. ihrem Geschäftspartner Bennett für dessen
Bilanztricksereien 175,2 Millionen Dollar auf ein paar Tage zur Verfügung gestellt haben. Ein
Jahr später wiederholte sich dieser Vorgang offenbar mit 210,2 Austromillionen. Und man
hört, dass auch im Februar 2005 ein zweistelliger Bawag-Millionenbetrag im RefcoBilanztrickzirkus eingesetzt worden sei.
Forderungen. Hätte Bennett die wertlosen Refco-Forderungen an seine eigene Holding nicht
an jedem Bilanzstichtag durch vorgeblich werthaltige Forderungen an außenstehende und
zahlungsfähige Dritte ersetzt, wäre Refcos Finanzmisere schon weit früher offenkundig
geworden. Aus der Tatsache, dass die Bawag dabei mehrfach mit hohen Summen involviert
war, könnten die US-Anwälte eine Komplizenschaft der Bawag mit Bennett ableiten.
Argumentation: Die Wiener, die jahrelang enge Geschäftsbeziehungen mit Refco unterhalten
hatten und dort sogar über ein halbes Jahrzehnt kapitalmäßig beteiligt waren, hätten wohl
wissen müssen, was hier läuft.
„Wir sind noch mitten in den Recherchen zum Fall Refco. Sollte sich – was ich derzeit nicht
weiß – herausstellen, dass die Bawag daran beteiligt war, illegale Geldtransaktionen als legale
zu tarnen, wäre das definitiv ein Grund, im Namen von Refco-Aktionären gegen die Bank
vorzugehen“, sagt Thomas Ciarlone, Anwalt der Kanzlei Shalov Stone & Bonner, die eine
Sammelklage in der Causa Refco vorbereitet. „Es würde mich sehr überraschen, wenn die
Bawag dann nicht unter den Angeklagten wäre.“
Und dann drohen der Bawag im schlimmsten Fall Milliardenklagen aus dem Titel
Schadenersatz.
Die Bawag begegnet diesen Gefahren mit einer offensiven Strategie des Gegenangriffs. Sie
geht auf das Thema der Bilanzstichtagskredite gar nicht erst ein und präsentiert sich als
lupenreines Opfer eines Komplotts, das von Bennett und hochrangigen Refco-Managern
geschmiedet wurde. Immerhin waren, wie die Bank in ihrer Klage ausführt, neben Bennett
zumindest zwei weitere Refco-Leute daran beteiligt, ihr im Oktober dieses Jahres den 350Millionen-Euro-Kredit in arglistiger Weise herauszulocken. Zudem erfolgte die öffentliche
Beichte des Brokerhauses, nur wenige Stunden nachdem das Geld überwiesen worden war.
Solcherart hinters Licht geführt, will die Bawag nun „zumindest“ ihre 350 Millionen Euro per
Gerichtsbeschluss rückerstattet erhalten.
Die Chancen, mit dieser Argumentation durchzukommen, werden von Juristen als „gar nicht
so schlecht“ eingeschätzt. Gelingt es der Bawag aber, ein Gerichtsurteil in diesem Sinne zu
erwirken, kann sie in der Folge versuchen, jene US-Anwälte zu einem Vergleich zu bewegen,
die sie wegen Komplizenschaft bei der Bilanzverschleierungs vor Gericht zerren wollen.
Ein hochriskantes Spiel. Denn abgesehen davon, dass Gerichtsprozesse mit hoher
Ungewissheit behaftet sind, scheint es auch keineswegs ausgemachte Sache zu sein, dass ein
solcher Vergleich jemals gelingen kann: Wer würde der Bawag denn garantieren, dass sich all
die vielen verschiedenen Refco-Geschädigten in eine tragfähige Kompromissformel
einbinden lassen?
Während sich die Juristen mit Fragen dieser Art herumschlagen, hat sich für die BawagEigentümer jetzt eine neue Aufgabe aufgetan: Sie müssen blitzartig einen Nachfolger für
Zwettler finden. Der erste Name, der in diesem Zusammenhang genannt worden war, lautete
Gertrude Tumpel-Gugerell, Vorstandsdirektorin in der Europäischen Zentralbank. TumpelGugerell hat aber glaubwürdig abgewunken.
Als Nachfolgekandidat kam zuletzt auch Wolfang Haller, ehemaliger Personalvorstand der
Bank Austria Creditanstalt (BA-CA), ins Spiel. Zudem Friedrich Kadrnoska, Vorstand der
Privatstiftung AVZ und ehemaliger Vizegeneral der BA-CA. Sowie Kontrollbank-Chef
Rudolf Scholten. Darüber hinaus verfügt das SP-Lager kaum über plausible Kandidaten.
Dieses Manko bringt nun die ÖVP ins Spiel.
Reformen. Seit die Regierung Schüssel I bei ihren Reformen über die Sozialpartner einfach
drüberfuhr – Motto: „Speed kills“ –, hatte sich die Volkspartei quasi in ein
gewerkschaftsfreundliches und ein gewerkschaftsfeindliches Lager gespalten. Jedenfalls
wurde dies von außen so wahrgenommen. In dem Maß, in dem die Regierungs-Schwarzen
den ÖGB „net amol ignorieren“ wollten (ein Gewerkschafter), bemühte sich
Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl um eine Wiederbelebung der
Sozialpartnerschaft. Dass gleichzeitig ein Vertrauter und persönlicher Freund des
Bundeskanzlers, Stephan Koren, in der „roten“ Bawag mittlerweile zum Stellvertretenden
Generaldirektor aufgestiegen war, schien so etwas wie ein Einzelphänomen zu sein. Weithin
unbemerkt hatte freilich in den letzten Jahren darüber hinaus eine Annäherung zwischen dem
Schüssel-Lager und der Bawag-Führung stattgefunden: Der vom Kanzler hoch geschätzte
Industrielle Josef Taus, ein väterlicher Freund Korens, hatte gemeinsam mit Ex-Bawag-Chef
Helmut Elsner und dem Geschäftsmann Martin Schlaff eine Reihe großer Geschäfte
abgeschlossen. Mit der Gewerkschaftsbank pflegte die Regierungs-ÖVP also durchaus subtile
Verbindungen.
Nun scheint der Moment gekommen, da Schüssel den Gewerkschaftern zeigen kann, dass
ihnen die sozialpartnerschaftliche Umarmung durch Leitl in solcher Krise wenig nutzt. Und
dass andererseits Schüssel imstande und, unter bestimmten Voraussetzungen, auch willens
sein könnte, ihnen aus ihrer Finanzmisere zu helfen. Immerhin steht die – an sich
unabhängige und weisungsfreie – Finanzmarktaufsicht zumindest personell und somit de
facto im Einflussbereich des Finanzministeriums und der Nationalbank. Der Finanzminister
tut sich schwer, dem Kanzler wesentliche Wünsche abzuschlagen. Ein ehemaliger
Kanzlersekretär, Kurt Pribil, steht an der Spitze der FMA, und OeNB-Chef Klaus Liebscher
muss offene Ohren haben, wenn es gilt, Unbill vom österreichischen Finanzplatz abzuwehren.
Freilich wird Schüssel bei seinen etwaigen Hilfsaktionen für die Bawag nicht darauf
vergessen, Gegenleistungen des ÖGB beziehungsweise der Sozialdemokraten einzufordern –
ausgesprochen oder unausgesprochen. Es kann schließlich nicht schaden, wenn sich die
finanzmaroden Gewerkschafter ihm verpflichtet fühlen. Vor diesem Hintergrund scheinen in
fernerer Zukunft weder eine Bawag im Teileigentum bürgerlicher heimischer Banken noch
ein Bawag-Chef namens Koren unvorstellbar.
Noch ist allerdings von Bewegung in diese Richtung nicht das Geringste zu bemerken.
Konnte unmittelbar nach Auffliegen der Affäre der Eindruck entstehen, die
gewerkschaftlichen Bawag-Eigner seien für personelle Konsequenzen in den Bankgremien
offen, so kehrte sich diese Haltung zuletzt völlig um. Ein hochrangiger Gewerkschafter: „Die
Bawag ist einfach betrogen worden. Schauen Sie sich doch an, welchen internationalen
Finanzgrößen in dieser Causa dasselbe passiert ist.“ Die Forderung nach rollenden Köpfen sei
„ausschließlich politisch motiviert“ und daher „absurd“.
Johann Zwettler hat das offenbar anders gesehen.
Von Liselotte Palme und Martin Staudinger
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Umverteilung: Die oberen Sechzigtausend
Im obersten Einkommensbereich wächst das Vermögen, im untersten die Armut. Dennoch
denkt in Österreich niemand an eine „Reichensteuer“ nach deutschem Vorbild, wohl aber an
eine gerechtere Gestaltung des Steuersystems.
Nehmen wir einmal an, Albert und Barbara Wussow-Fortell lebten in Deutschland. Und
nehmen wir an, das Mimen-Ehepaar hätte zwischen den Dreharbeiten zu „Schlosshotel Orth“
und „Traumschiff“ Notstandshilfe beantragt. Sie hätten zunächst einmal den familieneigenen
Chrysler Voyager verkaufen und die großzügige Villen-Etagenwohnung gegen eine
bescheidene Bleibe eintauschen müssen.
Dann erst wäre die Sozialunterstützung auf ihr Konto überwiesen worden.
In Österreich brauchte das Glamour-Couple diese Vorleistungen nicht zu erbringen. Sie haben
zwischen Drehpausen Notstandshilfe bezogen, und das ist – zu diesem Urteil kam die
Staatsanwaltschaft in der Vorwoche – auch in Ordnung.
„Sozialleistungen sind nun mal für alle zugänglich“, sagt Grünen-Sozialsprecher Karl
Öllinger. Nur: Wie lange sind sie noch finanzierbar?
Seit Jahren bitten praktisch alle europäischen Regierungen ihre Bürger unbarmherzig zur
Kasse: Mit einschneidenden Maßnahmen ins Steuer- und Sozialrecht sollen jene Budgetlöcher
gestopft werden, die Globalisierung und Kapitalflucht, Maastricht-Vorgaben und
Steuerausfälle durch Arbeitslosigkeit gerissen haben. Doch in immer mehr Staaten stoßen
diese Maßnahmen an die Grenzen der politischen Akzeptanz.
Um all dem wenigstens den Anschein sozialer Symmetrie zu geben, führt die große Koalition
in Deutschland nun eine „Reichensteuer“ ein. Künftig werden Alleinverdiener und
Personengesellschaften jenen Einkommensanteil, der über 250.000 Euro Jahresbrutto liegt,
mit einem dreiprozentigen Aufschlag versteuern müssen (für Familien liegt die Grenze bei
500.000 Euro Jahresbrutto). „In einem vernünftigen Gesamtpaket, wo jeder
Bevölkerungsgruppe ihr Anteil am Sparpaket auferlegt wird, hat dies durchaus
Berechtigung“, gibt sich Karl-Heinz Grasser generös. Doch in seinem rotweißroten
Wirkungsbereich will der Finanzminister nichts davon wissen: „Das Thema stellt sich bei uns
nicht.“
„Mit einer Reichensteuer sind keine großen sozialen Sprünge zu machen“, sagt auch
Sozialministerin Ursula Haubner. „Das ist ein völlig falscher Ansatz.“
Dieser Befund ist – gemessen an den zu erwartenden Einnahmen – richtig. Aber er ist doch
etwas defensiv für eine Ministerin, in deren Haus im Vorjahr ein Bericht erstellt wurde, der
sich erstmals nicht nur mit der Armut im Land, sondern auch mit dessen Reichtum
beschäftigte:
* Ein Prozent der Österreicher über 19 Jahre ist wirklich reich. Das Gesamtvermögen dieser
rund 60.000 Personen summierte sich 2002 auf rund 318 Milliarden Euro. Die „unteren“ 90
Prozent der Bevölkerung verfügten nur über 299 Milliarden Euro.
* Das durchschnittliche Pro-Kopf-Vermögen der „Reichen“ war 2002 mit 5,4 Millionen Euro
fast hundertmal höher als jenes der unteren 90 Prozent (56.000 Euro).
* Auch die „Wohlhabenden“ – knapp neun Prozent der Bevölkerung – verfügten mit 611.000
Euro Pro-Kopf-Vermögen über das Zehnfache der unteren Gruppe.
„Erstaunlich eigentlich“, sagt ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger, „dass wir uns in
Anbetracht dieser Zahlen den Kopf darüber zerbrechen, woher wir zusätzliche 100 Millionen
Euro für die Spitalsfinanzierung bekommen.“
Doch die Vermögens-Eliten verabschieden sich immer mehr von der Finanzierung des
Solidarstaates. Industrielle, Medienzaren, Rechtsanwälte und sogar Sportler bringen ihr
Vermögen in Stiftungen ein, um es an Erbschafts- und Einkommensteuer vorbeizuschleusen
(siehe Grafik). Börsenotierte Unternehmer und Banken reizen das Steuerrecht bis an die
Grenzen aus, um die Körperschaftsteuer auf ein Minimum zu drücken.
Vermögenszuwachs. Wie rasch das Vermögen in Österreich gewachsen ist, zeigt die
Entwicklung des Lohnanteils am Volkseinkommen: Lag er Ende der siebziger Jahre noch bei
72 Prozent, so rangiert er heute bei 58 Prozent.
Trotzdem steigen die Einnahmen aus der Lohnsteuer seit Jahrzehnten kontinuierlich an.
Zugleich sanken die Erlöse aus Körperschaftsteuer und so genannten Vermögensteuern – also
Erbschafts-, Schenkungs- und Grundsteuer (siehe Grafik). Die Finanzierung des
Staatshaushalts lastet immer stärker auf dem Gros der Unselbstständigen.
Den Status quo fasst das Wirtschaftsforschungsinstitut in einer aktuellen Studie so zusammen:
„Die Ungleichheit der Einkommensverteilung zwischen den Lohneinkommen und
Einkommen aus Besitz und Unternehmung weitete sich in den letzten drei Jahrzehnten
deutlich aus.“
Zwar trifft das progressive Steuersystem die Besserverdienenden stärker als die unteren
Einkommensschichten, und mit einem Spitzensteuersatz von formal 50 Prozent, real – wegen
der begünstigten 13. und 14. Monatsgehälter – aber 43 Prozent, liegt Österreich knapp über
dem EU-Schnitt von 41,4 Prozent. Doch Sozialversicherungsbeiträge, Mehrwertsteuer und
andere Verbrauchssteuern heben diesen Effekt weitestgehend auf. Das Wifo hat in
verschiedenen Studien errechnet,
* dass die Mineralölsteuer Monatseinkommen bis zu 1500 Euro brutto mit 4,6 Prozent
belastet, Monatsverdienste bis zu 3000 Euro mit 4,7 Prozent und darüber liegende Gehälter
mit nur noch 3,6 Prozent.
* Ähnlich verhält es sich mit der Mehrwertsteuer: Die untersten Verdienstgruppen liefern 17,8
Prozent ihres verfügbaren Einkommens an die Umsatzsteuer ab, die mittlere Gruppe 15,7
Prozent, die oberste nur noch 13,2 Prozent.
* Die Krankenversicherung kommt dem obersten Drittel mit 2,9 Prozent am billigsten, der
mittleren Gruppe mit 3,5 Prozent am teuersten. Das unterste Drittel muss durchschnittlich 3,2
Prozent seines Bruttoeinkommens aufwenden.
„Die Belastung durch Steuern und Abgaben entspricht beinahe einem Flat-Rate-System“, sagt
Wifo-Steuerexperte Markus Marterbauer, also linear über alle Einkommen. Und sie führt zu
beinahe skurrilen Verzerrungen: Bis zu einem Monatsgehalt von 3500 Euro brutto – in diese
Gruppe fallen immerhin 90 Prozent der 5,9 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen –
kommen Beschäftigte ihrem Dienstgeber am teuersten (siehe Tabelle). „Für einen Betrieb ist
es relativ weit günstiger, einen Spitzenmanager einzustellen als eine Putzfrau“, ätzt SPÖBudgetsprecher Christoph Matznetter.
Wirtschaftsbund-Generalsekretär Karlheinz Kopf sieht dies naturgemäß anders: „Wir haben
zwar ein solidarisches Versicherungssystem, trotzdem können wir die oberen
Einkommensbezieher nicht über Gebühr zur Kassa bitten.“
Werden die Sozialausgaben für sich allein betrachtet, versteht man, was Kopf meint: Jeder
zweite Euro aus dem Sozial- und Gesundheitsbudget fließt ins untere Einkommensdrittel.
Ohne diese Umverteilung wären die Verhältnisse am untersten Ende der Einkommensskala
noch trister, als es der Sozialbericht offenbart. Immerhin
* leben sechs Prozent der Österreicher, also 467.000 Personen, in akuter Armut;
* sind weitere sieben Prozent, also 577.000 Personen, armutsgefährdet;
* kann sich fast jeder zehnte Österreicher grundlegende Dinge wie neue Kleidung oder Möbel
nicht leisten.
Doch es ist just diese Gruppe, die von indirekten Steuern und Gebühren – etwa Rezeptgebühr,
Autobahnvignette oder Energiesteuer – überproportional belastet ist. Ferdinand Lassalle,
Gründer der deutschen Sozialdemokratie, hatte schon 1867 indirekte Steuern als
„Verbrechen“ bezeichnet.
Luxussteuer. Wirkliche Umverteilungspolitik schaffte nur die Wiener SP in der Ersten
Republik. Während die meisten Wiener nach dem Ersten Weltkrieg nicht einmal wussten, wo
sie sich waschen sollten, genoss die Oberschicht bald wieder einen extravaganten Lebensstil.
Bei ihnen setzte der damalige SP-Finanzstadtrat Hugo Breitner an und besteuerte gnadenlos
jeden Luxus: Hunde, Nobelrestaurants, Schaumweine, Hausangestellte, ja sogar Bordelle
waren abgabenpflichtig. Der Erlös floss in den Bau von Sozialwohnungen, öffentliche Bäder
und karitative Einrichtungen.
Die SPÖ-Alleinregierung ab 1970 kam an dieses Ausmaß an Umverteilung bei Weitem nicht
heran. Zwar griff das Kabinett von Bruno Kreisky Minderbegüterten mit direkten Beihilfen
für Schulfahrten, Geburten oder Hochzeiten unter die Arme. Doch im selben Ausmaß floss
Bares auch an Begüterte. Der allgemeine Wohlstand wuchs, noch schneller wuchs das
Vermögen: Die Einkünfte aus Dividenden, Vermietungen und Zinsen stiegen in der Ära
Kreisky dreimal so stark wie die Löhne der Arbeiter und Angestellten.
In den folgenden Jahrzehnten wurde der finanzielle und politische Spielraum geringer. Die
Regierungsbeteiligung der ÖVP ab 1986 schloss Umverteilungspläne von vornherein aus:
Sozialminister Alfred Dallinger blitzte mit seiner Idee einer Wertschöpfungsabgabe ab – die
Berechnungsbasis für die Dienstgeberbeiträge sollte um den Gewinn verbreitert werden.
Stattdessen gewann die unternehmerfreundliche Standortpolitik an Gewicht. Anfang der
Neunziger schaffte Finanzminister Ferdinand Lacina die Vermögensteuer ab und initiierte ein
Privatstiftungsgesetz, um Kapital ins Land zu bringen.
Die im Gegenzug geplante Verschärfung der Erbschaftssteuer, die Entlastung der Löhne und
eine stärkere Belastung des Kapitals, „die eigentlich vereinbart worden waren“ (Lacina),
wurden nie umgesetzt. „Die meisten Versuche, das Geld von den Reichen zu sozial
Schwächeren zu transferieren, scheitern an der politisch und finanziell mächtigen
Oberschicht“, meint der Politologe Emmerich Talós.
Reiche bevorzugt. 1996 rechnete das Wifo in einer Umverteilungsstudie vor, dass im
Vergleich zu den Achtzigern das obere Einkommensdrittel immer mehr von den öffentlichen
Ausgaben profitierte: Steuerreformen und Transferleistungen brächten eher horizontale
Verschiebungen – etwa von kinderlosen zu kinderreichen Familien – oder unterm Strich gar
Vorteile für die obere Einkommensgruppe. Vom freien Hochschulzugang, unter SchwarzBlau abgeschafft, zogen stets Kinder besser gestellter Familien Nutzen. Kinder aus
Arbeiterfamilien finden weit seltener den Weg an die Universitäten.
„Die schwarz-blaue Koalition hat bruchlos fortgesetzt, was die Regierungen davor begonnen
hatten“, kritisiert Caritas-Präsident Franz Küberl (siehe Interview). In den vergangenen fünf
Jahren holte sich der Finanzminister laut Arbeiterkammer von den Unselbstständigen trotz
Steuerreform netto 1,5 Milliarden Euro. An Wirtschaft und Unternehmer hingegen flossen 1,2
Milliarden Euro.
Dennoch: Von einer „Reichensteuer“ à la Deutschland will selbst die Opposition in Österreich
nichts wissen. Der Budgetsprecher der Grünen, Werner Kogler, kann sich allerdings
vorstellen, bei Jahresbruttobezügen über 200.000 Euro die steuerliche Begünstigung für den
13. und 14. Monatsgehalt auslaufen zu lassen: „Eine solidarische Gesellschaft darf sich nicht
nur auf die freiwilligen Spendenleistungen der Superverdienenden verlassen.“ Es wäre
allerdings, wie Kogler zugibt, mehr eine symbolische Geste. Nur zehn Prozent aller Lohnund Einkommensteuerpflichtigen unterliegen dem Spitzensteuersatz.
SP-Sprecher Matznetter will „von neuen Steuern nichts wissen: Ich wäre schon zufrieden,
wenn die Unternehmer ehrliche 25 Prozent Körperschaftsteuer zahlen würden.“ Das Streichen
von Ausnahmen wie Gruppenbesteuerung oder eine faire Berechnung der
Steuerbemessungsgrundlage würde „zwei bis drei Milliarden mehr pro Jahr bringen.
Unterkante!“ Mit dem zusätzlichen Erlös sollen die Lohnnebenkosten, vor allem beim
Mittelstand, hinuntergeschraubt werden. Erst in einem zweiten Schritt sei eine Anhebung der
Höchstbeitragsgrundlage von derzeit 3450 Euro Bruttogehalt (Gehaltsbestandteile darüber
unterliegen nicht mehr der Sozialversicherungspflicht) auf 5000 Euro denkbar.
Verfassungsrechtliche Einwände gibt es nicht: Diese Erhöhung „scheint sich in einem für
Österreich akzeptierten Rahmen bewegen“, sagt der Jurist Bernd-Christian Funk.
Ex-Finanzminister Lacina bringt noch eine Denkvariante ins Spiel: „Es könnte die
Höchstbeitragsgrundlage abgeschafft und im Gegenzug die Beitragshöhe für alle gesenkt
werden.“
Flankenschutz für die Opposition kommt vom langjährigen Budgetfachmann des Wifo,
Gerhard Lehner. Eine Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage hielte er für „nicht
unvernünftig“. Auch die Idee, das 13. und 14. Gehalt bei höheren Einkommen stärker zu
besteuern, sei überlegenswert. „Das hat es bereits in den sechziger Jahren gegeben.“
Abgeschafft wurde dies in den Siebzigern von Hannes Androsch. Einem
sozialdemokratischen Finanzminister.
Von Alexander Dunst, Martina Lettner und Ulla Schmid
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Wohnungseinbruch: Auf Biegen und Brechen
Weil 96 von hundert Fällen nicht aufgeklärt werden können, konzentriert sich die Wiener
Polizei auf potenzielle Tätergruppen. An der Spitze: georgische Einbrecherbanden.
Donnerstag vergangener Woche, halb neun Uhr morgens: An einer Wohnungstür eines
Zinshauses in Wien-Leopoldstadt klopft es. Erst leise, dann heftiger. Die Tür öffnet sich einen
Spalt. Zwei verschlafene Augen eines jungen unrasierten Mannes blinzeln verdutzt heraus –
direkt in die Mündung einer Dienstwaffe der Wiener Polizei.
Sieben bewaffnete Beamte stürmen die heruntergekommene 60-Quadratmeter-Kaschemme
und stehen plötzlich zehn Georgiern gegenüber. Sie finden, was Kriminalisten im Fachjargon
eine Bunkerwohnung nennen: die kombinierte Wohn- und Geschäftsadresse einer
gewerbsmäßigen Einbrecherbande. Unter Matratzen lagern Uhren, Schmuck, Bargeld und
Digitalkameras. In den Matratzen selbst entdecken die Ermittler einschlägiges
Spezialwerkzeug, um fremde Wohnungstüren im Akkord zu öffnen. Die zehn Georgier
werden festgenommen. Für die Beamten beginnt die Uhr zu laufen. Gelingt es ihnen nicht,
innerhalb von 48 Stunden die sichergestellte Beute einem der hunderten Wohnungseinbrüche
der vergangenen Wochen zuzuordnen oder eine Straftat nachzuweisen, müssen sie die
Verdächtigten wieder auf freien Fuß setzen.
An diesem Donnerstag hat die Exekutive wie so oft in jüngster Zeit Großkampftag. Seit dem
Morgen patrouillieren Streifen- und Zivilbeamte verstärkt durch die Straßen der von
Einbrechern bevorzugten Gegenden Wiens. Abends riegelt die Exekutive die
Ausfahrtsstraßen ab. Kleine Lieferwagen mit Ostkennzeichen werden zur Seite gewunken und
penibel durchsucht. Spürhunde schnüffeln in Fahrzeugen und Gepäck. 200 Beamte im
Sondereinsatz fahnden nach Diebsgut, das auf dem Weg nach Osteuropa sein könnte. Ein
Kleinbus erweist sich als Fundgrube. Drei junge Serben müssen ihr in die Jahre gekommenes
Fahrzeug entladen. Sechs alte Fernseher, fünf Waschmaschinen, vier Kühlschränke, drei
Gasherde, zwei Dutzend Reifen und ein altes Sofa in nicht mehr definierbaren Pastelltönen
stapeln sich neben dem Auto. Unter dem Fahrersitz finden sich ein neuer Laptop und die
täuschend echte Attrappe einer silber-schwarzen Pistole, Marke Beretta. Den Computer
wollen die drei Serben für 100 Euro auf einem Wiener Flohmarkt gekauft haben. Laut
Polizeicomputer stammt das Gerät jedoch aus einem Wohnungseinbruch in der Wiener
Gablenzgasse vom 8. November. Der Wiener Polizeigeneral Roland Horngacher stolziert mit
erhobenen Zeigefingern zwischen seinen Beamten: „Man muss nur emsig sein, nur emsig
sein.“
Resultat eines langen Tages: 200 Beamte haben geschätzte 2000 Arbeitsstunden investiert und
dabei 33 Personen festgenommen. Zehn wegen unklarem Aufenthaltsstatus, 23 Personen,
denen strafrechtliche Delikte vorgeworfen werden, jedoch keinen der georgischen Einbrecher,
denen der Großeinsatz auch gegolten hätte.
Zwei Drittel aller in Österreich durchgeführten Einbrüche werden in Wien begangen. In der
Wiener Bevölkerung ist das massive Ansteigen der Einbruchsdelikte während der
vergangenen Jahre eine der wichtigsten Ursachen für das abnehmende Sicherheitsgefühl.
Geringe Aufklärungsquote. Einbruchsdiebstahl wird zwar mit einer Haftstrafe von bis zu zehn
Jahren bedroht. Dazu braucht die Justiz freilich Täter und Beweise. Doch mit einer extrem
mageren Aufklärungsquote von vier Prozent bei Wohnungseinbrüchen ist das abschreckende
Strafmaß wirkungslos. Bei Spitzen von bis zu 70 Einbrüchen pro Tag werden derzeit in Wien
durchschnittlich 34 Wohnungen ausgeräumt. Und nur jeden zweiten Tag wird ein Einbruch
aufgeklärt.
Was polizeistrategisch daraus folgt, ist eine massive Jagd auf potenzielle Tätergruppen, um
sie zu vertreiben. Im Fall der rumänischen Diebsbanden, die in den vergangenen Jahren
auffallend aktiv waren, hat das funktioniert. Polizeichef Horngacher: „Jetzt geht es
hauptsächlich um Georgier. Wir bekämpfen sie mit allen Mitteln.“ Täglich werden in der
Kommandozentrale der Polizei am Wiener Schottenring „Führungsberichte“ mit allen
angefallenen Delikten erstellt, die Tatorte in Dichtheitsanalysen auf Karten sichtbar gemacht
und überfallsartig mit Polizisten beschickt.
„Die Georgier“ sind also da. „Primitiv und brutal“ sei ihre Arbeitsweise, sagt Kriminalist
Ernst Geiger. „Arm und verzweifelt“ sei aber deren Situation zu Hause, räumt Roland
Frühwirth von der Kriminaldirektion 1 ein, „viele dieser Menschen gehen auch dann noch auf
Beutezug, wenn andere Täter vor der massiven Polizeipräsenz bereits kapitulieren“.
In Wien, der ersten reichen EU-Metropole auf dem Weg in den Westen, leben laut Polizei
mehr als 1000 georgische Staatsbürger, die in ihrem Heimatland als Einbrecher geschult
wurden, in der Bundeshauptstadt dann mit Unterkunft, Handy und „Arbeitswerkzeug“
versorgt werden und bereit sind, Einbrüche zu begehen. Laut Polizei bringen die meisten von
ihnen einen Asylantrag ein, um legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Horngacher ist
überzeugt: „Von denen will niemand Asyl, die wollen den Einbruchsdiebstahl.“ Nach zwei
bis drei Monaten werden die Akteure ausgetauscht.
Die polizeiliche Statistik der Festgenommenen zeigt: In der Zeit vom 1. Juni bis 14.
September dieses Jahres haben Georgier doppelt so viele Einbrüche begangen wie
Österreicher. Dazu Gerhard Haimeder vom Landeskriminalamt Wien: „Wir müssen
aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr auf bestimmte ethnische Gruppen konzentrieren und
dabei die österreichischen Täter übersehen.“ Auf Platz drei finden sich Täter mit unbekannter
Herkunft, gefolgt von Rumänen, Ungarn und Serben. In München etwa scheinen Georgier als
Einbruchsbanden noch nicht angekommen zu sein. Von dort gibt es keine derartigen
Wahrnehmungen. Nach Ansicht der Polizei befindet sich bereits die nächste Gruppe im
Anmarsch auf Wien: „die Moldawier“.
Großbanden. In einem profil vorliegenden internen Bericht der Exekutive zur
„Sonderauswertung der Einbruchskriminalität“ werden die ermittelten Hintergründe des groß
angelegten Einbrecher-Gewerbes geschildert. Dem zufolge handelt es sich um vier bis sechs
große Banden, die ausschließlich aus Georgiern bestehen, voneinander unabhängig operieren
und sich als Hauptgebiete den 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk ausgewählt haben, aber in
ganz Wien und Umgebung tätig sind. Dabei handle es sich um organisierte Kriminalität,
jedoch gebe es keine Strukturen, die als mafios bezeichnet werden könnten.
Als Unterkünfte dienen laut Polizei meist Wohnungen von in Österreich eingebürgerten
Georgiern. Die Unterkünfte werden häufig gewechselt. Das Diebsgut (siehe Kasten) wird zum
Teil auf dem Schwarzmarkt am Wiener Mexikoplatz veräußert. Was nicht absetzbar ist, wird
per Post nach Georgien versandt. Manche Diebe reisen als Touristen ein und bringen ihre
Beute auf dem Landweg nach Georgien oder verschiffen sie in Italien. Schließfächer auf dem
Wiener Süd- und Westbahnhof dienen oft als Zwischenlager.
Viele der Täter sind drogensüchtig und tauchen daher auf Umschlagplätzen wie dem
Karlsplatz, dem Westbahnhof oder im Stadtpark auf. Zumeist sind sie in zwei- bis
dreiköpfigen Gruppen unterwegs, oft führen sie auch Späher mit, die „Gegenobservationen“
(Horngacher) durchführen und ihrerseits die Polizei beobachten.
Die meisten Einbrecher setzen an den Schließzylindern der Wohnungstüren an. Seit Kurzem
benützen sie Socken statt Handschuhen, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Denn
Handschuhe sind im Falle einer Polizeikontrolle ein Verdachtsmoment. Manche verkleben die
Türspione der Nachbarwohnungen mit Papierstücken, die sie mit Speichel befeuchten und so
zu wertvollen DNA-Spurenträgern machen.
Statistisch am häufigsten wird zwischen 8 und 9 Uhr morgens eingebrochen, wenn die
Bewohner zur Arbeit gegangen sind, oder abends, bevor sie heimkehren. Derzeit ist
Hochsaison für „Dämmerungseinbrüche“, da die Dämmerung früher kommt als die
Hausbewohner, laden unbeleuchtete Wohnungen zum Einbruch ein.
Der Wiener Peter S., 33, wurde innerhalb von eineinhalb Jahren in zwei verschiedenen
Wohnungen zum Einbruchsopfer. Nach dem ersten Mal dauerte es, bis das schwarze Pulver
der Spurensicherung wieder entfernt war, beim nächsten Mal machte sich die Polizei mit
Spurensicherung keine besondere Mühe mehr: Sowohl an seiner Adresse in Wien-Margareten
als auch an der nächsten in Wien-Neubau hatten die Einbrecher alle Wohnungen des
Stockwerks heimgesucht, beide Male handelte es sich um Altbauten mit ungesicherten Türen
und Schlössern. Der materielle Schaden von Peter S. war gering: „Beim ersten Einbruch
wurde ausschließlich nach Schmuck und Geld gesucht, nichts davon hatte ich in der
Wohnung.“ Beim zweiten Mal fehlten Kleidung, Parfüms und Rasierklingen. Seine
Wohnungsnachbarin war so geschockt, dass sie auszog.
Bei Eva T. wurde im Oktober des Vorjahres aus der Wohnung in Wien-Erdberg der gesamte
Schmuck gestohlen, die Maximalentschädigung von 8000 Euro in der Haushaltsversicherung
konnte den Verlust nicht decken. Resigniert sagt sie: „Es waren so viele alte Stücke dabei,
und die Polizei hat mir keine Hoffnung gemacht, dass ich davon je wieder etwas sehen
könnte.“ Resignation auch bei einer alten Dame, aus deren Mietshaus in Wien-Hernals alles
verschwindet, was sich im Keller oder auf Gängen befindet: „Man macht eine Anzeige, aber
sie hat keine Wirkung.“
Offene Haustore. Die alte Dame ist von der Tatsache beunruhigt, dass ab Mitte des
kommenden Jahres auch private Zustelldienste Zugang zu Postkästen und damit
Haustorschlüssel bekommen. Die Tatsache, dass Wohnanlagen dann de facto offene Haustore
haben, wird bereits jetzt in vielen Hausversammlungen heftig diskutiert.
Doch der immaterielle Schaden durch Wohnungseinbruch ist oft höher als der materielle
Verlust. Das Deutsche Forum für Kriminalprävention hat festgestellt, dass sich nach einem
Einbruch nur noch jeder Dritte gern in seiner Wohnung aufhält, 87 Prozent haben Angst,
erneut zum Opfer zu werden.
Befragungen verurteilter Täter in Deutschland haben Einblicke in ihre kriminelle Welt
gebracht. Viele nannten das geringe Entdeckungsrisiko als Hauptgrund, Einbrüche zu
begehen. Einer meinte, man werde nur ertappt, wenn man „extremes Pech und die Polizei
extremes Glück hat“. Ein anderer gab laut Studie zu Protokoll: „Jeder, der einmal auf frischer
Tat ertappt worden ist, hat davor mindestens schon fünfzig Brüche gemacht, bei denen er
nicht erwischt worden ist. Und das ist sogar noch tief geschätzt.“ Das geringe Risiko, sagte er,
mache das Einbrechen „sehr attraktiv“.
Von Josef Barth, Emil Bobi und Marianne Enigl
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Neues Deutschland
* Hofübergabe in Berlin
Diese Woche beginnt eine neue politische Ära – CDU-Chefin Angela Merkel wird am
Dienstag zur ersten deutschen Bundeskanzlerin gewählt.
Erstaunlich groß war die Vorschuss-Harmonie der neuen Bündnispartner in der vergangenen
Woche: Nur drei von 116 CDU-Vertretern eines kleinen Parteikonvents missbilligten den
ausgehandelten Pakt mit den Sozialdemokraten, die bayrische CSU sagte gar einstimmig Ja.
Der bis vor Kurzem so autokratisch herrschende Parteichef und Landesfürst Edmund Stoiber
leistete bei dieser Gelegenheit demütige Abbitte für seine erratische Rundreise München–
Berlin–München, die daheim viel Furor auslöste: „Ich leide wie ein Hund.“
Bei den Sozialdemokraten gab es als Draufgabe zum einhelligen Ja zur Großkoalition – nur
15 von 500 Delegierten waren explizit dagegen – auch noch den neuen großen WohlfühlSteuermann. Der SPD-Parteitag in Karlsruhe wählte Newcomer Matthias Platzeck, den
Ministerpräsidenten von Brandenburg und bekennenden „Ossi“, mit sensationellen 99,4
Prozent. Ein klassisches DDR-Ergebnis.
Doch wohin steuert Europas größte Volkswirtschaft nun? Wie sieht die Politik der Ära
Merkel aus?
1. Die große Koalition ist pragmatisch
Mit Jubel verabschiedete die SPD jenen Gerhard Schröder, der sie so gut aufzuputschen
verstand. Der populäre Emotionsdarsteller hatte die Partei zum Sieg geführt. Der Preis war
wachsende Leere. Inhaltlich ist die SPD heute voller Sehnsucht, doch ohne Konturen. Ihre
Machtbasis ist deutlich geschmälert.
Angela Merkel übernahm die marode, von Skandalen geschüttelte Kohl-Partei in einer Phase
der Desorientierung. Auch bei ihr wurden inhaltliche Konturen erst allmählich erkennbar.
Wobei Merkels Ratgeber teilweise identisch mit jenen waren, die auch Kanzler Schröder den
Weg zu mehr Wachstum und Wohlstand einflüsterten.
Zwischenzeitlich suchte Angela Merkel sich ein wenig von der Härte einer Margaret Thatcher
zuzulegen, entwarf weit reichende Reformen, versprach ein Tal der Tränen, des Heulens und
Zähneklapperns auf dem Weg zum Gipfel ihrer „neuen sozialen Marktwirtschaft“. „Wir
müssen mehr für Deutschland tun“, rief sie, „und jeder muss bei sich selber anfangen.“
Echte Begeisterung aber entfesselte Merkel damit nie. Wohl gewann ihre CDU Terrain. Doch
als sie in diesem Spätsommer persönlich vors Volk trat, um sich zur neuen Kanzlerin küren zu
lassen, war der Jubel äußerst verhalten. Merkel fuhr unter optimalen Bedingungen ein
miserables Ergebnis ein. Und ist nun zur großen Koalition gezwungen.
Schnell wurde klar, dass am großen Tisch keine grundverschiedenen Weltbilder aufeinander
prallen. Die Gestaltungsfantasie der Volksparteien ist geschrumpft, ihre Analyse der Lage
ähnelt sich in vielen Punkten so sehr wie die daraus abgeleiteten Rezepturen. Die
Schnittmengen sind entsprechend groß. Auch persönlich kam man sich schnell näher. Fast
verblüfft registrierte Merkel, man begebe sich nun auf eine „gemeinsame Wanderung mit
einem Partner, mit dem wir über 40 Jahre lang in die tiefsten Kämpfe verstrickt waren“. (Was
nicht ganz richtig ist: 1969, vor 36 Jahren, endete die bislang einzige SPD-CDU-Koalition.)
Man spaziert auf Sicht. Beide Partner hoffen, auf der Strecke ein paar Schilder zu entdecken,
die ihnen die Richtung weisen. „Die künftige Koalition verkörpert eher das Durchwursteln, an
den großen Fragen haben sich SPD und Union in ihren Verhandlungen vorbeigemogelt“,
meint Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“.
Doch wird man sich zu wehren wissen, wenn Verbandslautsprecher und die sich tagtäglich
drehenden Talkshow-Runden in geübter Manier anheben, den Reiseplan der Wandersleute
schon vor der ersten Weggabelung zu zerpflücken. Das wurde sofort klar, als etliche
Wirtschaftsbosse letzte Woche losschimpften. Angela Merkel reagierte ebenso unwirsch wie
ihr SPD-Vizekanzler Franz Müntefering. Und Edmund Stoiber platzte der Kragen: „Diese
Damen und Herren“, fauchte er, „entlassen tausende von Arbeitskräften, kippen sie der Politik
vor die Tür und kritisieren uns dann noch.“
2. „Ossis“ prägen den neuen Stil deutscher Politik
Wer den echten Berliner je erlebt hat, weiß, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist: Der
deutsche Hauptstädter kommt geradeheraus daher, zuweilen übellaunig. Umgangsformen und
Sprache sind frei von allem Barock. Er macht überhaupt ungern allzu viele Worte.
Dem Brandenburger – das Land umringt Berlin – wird eine ähnliche Mentalität nachgesagt:
schnörkellos, direkt, eher trocken. Im märkischen Sand gedeihe ein recht „nüchternes
Völkchen“, sagt der neue SPD-Chef Matthias Platzeck, der sich selbst gern als
„bodenständigen Märker“ präsentiert. Angela Merkel, aufgewachsen in Templin,
Brandenburg, wird kaum widersprechen.
Beide großen deutschen Volksparteien werden nun von Brandenburgern gelenkt, beide 51,
beide Naturwissenschafter, beide unbeleckt von der Nachkriegsgeschichte der Westrepublik.
Merkel kam 1990 zur CDU, Platzeck 1995 zur SPD. „Angie“ zog sehr zügig an der alten
Männergarde der Konservativen vorbei. Ihr neuer SPD-Widerpart sprang jetzt als
Überraschungsheld aus der Parteikulisse. Er beendet den ewigen, bitterbösen Kampf der
„Enkel“ des letzten großen SPD-Führers Willy Brandt, dieser Schröders, Lafontaines,
Scharpings, Engholms. So vage Platzecks Programm noch ist: Der Typ ist völlig neu. Die
Genossen sind erleichtert.
Platzeck wie Merkel wurden nicht im Kampf groß, auch nicht im Widerstand gegen das
DDR-Regime. Ihr Leid hielt sich in Grenzen. Die Pfarrerstochter Merkel und der Arztsohn
Platzeck stammen aus besserem Hause. Beide sind Außenseiter und müssen Wert drauf legen,
sich zum Innersten ihrer Parteien vorzuarbeiten, dieses herauszuschälen, zu hegen und zu
pflegen.
Platzeck, der sich „klipp und klar“ dazu bekennt, ein „sozialisierter Ostdeutscher“ zu sein,
strebt nach Transparenz und familiärem Umgang in der SPD, nach „Miteinander“ und
„Vertrauen auf Dauer“. Taktvoll-beherzt räumte er die Granden der alten Ära vom Podium:
Hans Eichel, Wolfgang Clement, Gerhard Schröder selbst. Und schuf so Raum für ein gutes,
neues, von keiner Schuld beschwertes Platzeck-Feeling. Sinnstiftung soll folgen.
Auch Merkel ist sehr bemüht, sich an den politisch-emotionalen Kern ihrer konservativen
Partei heranzuarbeiten, dem Bleibenden in all der Veränderung. Immer wieder intoniert sie
ein Credo aus Christentum, Familie und Marktwirtschaft. In der alten Patriarchenpartei zog
sie ein Zwischengeschoß effizienter Macher ein. Intern gilt Merkel eher als hart und
misstrauisch. Die neuen Partner aber schienen positiv überrascht. Der designierte SPDFinanzminister Peer Steinbrück lobt ihre „Offenheit in der Kommunikation“, gab zu
Protokoll, er habe die neue Chefin „sehr unverkrampft, sachlich, keineswegs humorlos“
erlebt.
Merkel, deren Wahlkampf ein so enttäuschendes Wahlergebnis zeitigte, ist überdies
überraschend stabil. Ursachenforschung in Sachen Niederlage hat sie ihrer Partei erfolgreich
verboten. Chefaufpasser Stoiber hat sich selbst demontiert. Und auch die ehrgeizigen Männer
in der CDU sind still. Roland Koch durfte fleißig mitkoalieren, als Oberfinanzwart sitzt er nun
fest mit im Boot. Ihr derzeit größter Rivale Christian Wulff huldigt Merkel als „Fels in der
Brandung“.
3. Merkel hütet Joschkas Vermächtnis
Die Außenpolitik war die eigentliche Erfolgsgeschichte des Duos Gerhard Schröder/Joschka
Fischer. Was anfangs niemand für möglich gehalten hätte. Rot-Grün begann mit einer echten
Feuertaufe, einem NATO-Krieg auf dem Balkan. Joschka Fischer musste bei seinen im
Pazifismus verwurzelten Grünen den Krieg als Mittel der Politik hoffähig machen. Nach dem
11. September setzte Gerhard Schröder anfangs auf Solidarität mit den USA, Afghanistan
wurde der zweite deutsche Kriegsschauplatz. Doch als sich George W. Bush und Co
anschickten, Altfeind Saddam Hussein zum Chefterroristen mit Atomwaffen zu deklarieren,
verweigerten Schröder und Fischer die Gefolgschaft. In Deutschland wurde diese Illoyalität
gegenüber Washington anfangs scharf kritisiert. Angela Merkel reiste eigens nach
Washington, um ihre Treue zu dokumentieren. Nicht ihr gelungenster Auftritt.
Schröder bescherte sein Nein zum Irak-Krieg einen zweiten Sieg. Der Innenpolitiker gewann
zunehmend Gefallen an der Außenpolitik, die er bis dahin vor allem als eine pragmatische
Weltwirtschaftspolitik des Exportweltmeisters Deutschland sah. Die starken Interessen in
Russland spiegelten sich in einer freundschaftlichen Nähe zu Kreml-Chef Putin, den Schröder
niemals kritisierte. Auch in Peking gab sich der deutsche Kanzler stets fröhlich, machte sich
gar für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China stark. Dieses Thema ist nun
fürs Erste vom Tisch.
Merkel wird sich bemühen, das eisige Verhältnis zu Washington zu verbessern. Bereits
Anfang letzter Woche schickte die US-Regierung einen Abgesandten nach Berlin, um mit
Unionsleuten wie Wolfgang Schäuble und Friedbert Pflüger neue Möglichkeiten
„gemeinsamen Handelns“ zu sondieren. Der kommende SPD-Außenminister Frank-Walter
Steinmeier kann da kaum im Wege stehen. Nur bremsen.
Ein paar Merkel-Freunde in Europa, die Berlin bislang eher mit Verachtung strafte, werden
wieder hoffähig: Italiens Premier Silvio Berlusconi etwa, auch Wolfgang Schüssel. Weniger
klar ist die Zukunft der zentralen Europa-Achse Paris–Berlin. Das Duo Gerhard
Schröder/Jacques Chirac funktionierte lange recht gut. Merkel hingegen ist politisch eher
beim ehrgeizigen Innenminister Nicolas Sarkozy. Ihr Lieblingsthema aber, die Verhinderung
eines EU-Beitritts der Türkei, steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Die Verhandlungen
laufen.
Auch gegenüber Putin wird die Kanzlerin mehr Distanz an den Tag legen, was auch die USA
und den kritischen Nachbarn Polen freuen dürfte. Männerbündelnde Wärme ist ohnehin
ausgeschlossen. Dafür kann die neue Kanzlerin mit dem Präsidenten Russisch reden. Das hat
sie in der Schule gelernt. Und mit den Brudersoldaten der Roten Armee einst fleißig geübt.
4. Das soziale Klima wird rauer
Schon die Schröder-SPD suchte zu exekutieren, was der Mainstream der
Wirtschaftswissenschaft als Weg aus den Zwängen der Demografie und der Globalisierung
ansieht: einen Schrumpf- und Sparkurs für den staatlichen Sektor, Abstriche an den
Sozialsystemen und die Verbilligung des Faktors Arbeit durch eine Senkung der Sozialkosten
sowie einen Abbau der Arbeitnehmerrechte. Dieser Weg wird unter Merkel fortgesetzt. Die
Kanzlerin weiß: Dauerhafte Massenarbeitslosigkeit hält das System nicht aus.
Doch in beiden Parteien schlagen kräftiger werdende Flügel, die einen Irrweg vermuten und
auf die notorische Erfolglosigkeit dieser Rezeptur verweisen. Immer krasser wird die Kluft
zwischen der extrem erfolgreichen Exportnation Deutschland und einem seit Jahren
stagnierenden Binnenmarkt. Täglich verliert das Land 1000 sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze. Was die Binnennachfrage weiter dämpft und den Druck auf die
Sozialversicherungssysteme und die Staatskasse weiter erhöht.
„Deutschland ist Exportweltmeister und der größte Global Player neben den USA. Aber wir
haben eine miserable Binnennachfrage“, moniert etwa Heiner Geißler, lange Jahre die
programmatische Seele der Konservativen, „weil die Leute keine Zuversicht mehr haben und
keine Hoffnung. Sie sind voller Depression, aber auch voller Wut wegen der offensichtlichen
Unfähigkeit der politischen Eliten, den unvermeidlichen Prozess der Globalisierung human zu
gestalten.“
Schon haben die Gewerkschaften ein Ende der Geduld angekündigt. Sie glauben das SparMantra nicht mehr und kündigen schon an, die für 2007 geplante Erhöhung der
Mehrwertsteuer mit der Forderung nach entsprechend höheren Löhnen zu kontern. Die große
Koalition plant weitere Einschnitte bei der Unterstützung der fünf Millionen Arbeitslosen und
will den Kündigungsschutz für die ersten zwei Jahre in einem neuen Job quasi abschaffen.
Dadurch wächst die Unsicherheit. Das soziale Klima wird rauer.
5. Die deutsche Politik bleibt turbulent
Das gab es noch nie im Nachkriegsdeutschland: Die Mehrheit der Regierung ist üppig. Und
doch sitzen ihr im Parlament gleich drei Oppositionsparteien gegenüber, die begierig sind,
Alternativen zu formulieren und Fehler aufzuspießen. Vor allem die FDP und die Linkspartei
verkörpern die Pole der deutschen Debatte: neoliberal pur gegen klassisch links.
Die größte Frage, wie der deutsche Sozialstaat im Zeitalter der Globalisierung und des
demografischen Wandels funktionieren kann, bleibt unbeantwortet. Schon ist jedes siebente
Kind im Land von Sozialhilfe abhängig. Offen reden die Vorturner der Großkoalition von
einem schwierigen „Spagat“ zwischen Sparmaßnahmen und Belebungsversuchen.
Noch bevor die Regierung angelobt wurde, verbündeten sich die konträren Oppositionsführer
von FDP, Grünen und Linkspartei vergangene Woche in der Überlegung, gemeinsam gegen
den Haushalt 2006 zu klagen, in dem einer Neuverschuldung von 41 Milliarden Euro
Investitionen von nur 23 Milliarden gegenüberstehen – ein nach der Verfassung verbotenes
Missverhältnis, das nur bei einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“
hingenommen werden kann. Die Intimfeinde verfolgen völlig konträre Interessen: Die FDP
wünscht eine noch viel härtere Sparpolitik vor allem im Sozialbereich, die Linkspartei
hingegen Investitionsprogramme. Doch ein Ziel eint sie: die schwarz-rote Mehrheit zu quälen.
Das Problem der Kritiker: Die Mehrheit von CDU-CSU-SPD ist derart üppig, dass die
vereinte Opposition nicht auf ein Drittel aller Bundestagsabgeordneten kommt. Dieses Drittel
aber ist notwendig, um eine so genannte „Normenkontrollklage“ beim
Bundesverfassungsgericht anstrengen zu können. Auch der zweite Weg ist verbaut: Keine
Oppositionspartei bestimmt die Geschicke eines Bundeslandes – die werden von fünf SPDund elf CDU-Ministerpräsidenten regiert.
Der Ton wird schärfer werden. Groß ist der Drang nach politischer Sinnsuche schon innerhalb
der Volksparteien. Die stark auseinander driftende Gesellschaft ist nicht nur für die
Sozialdemokraten Dauerthema. Drei profilierungsdurstige Oppositionsparteien garantieren,
dass der Zweifel am Kurs der Großen wach bleibt. Und auch in Fachkreisen werden neue
Fragen laut. Die immergleichen Ratschläge der Chefökonomen etwa werden längst aus den
eigenen Reihen hinterfragt. Schon warnt Peter Bofinger, Enfant terrible unter Deutschlands
„Wirtschaftsweisen“, vor „negativen Rückkoppelungseffekten“ und zieht die Bilanz der Ära
Schröder in Zweifel: Dessen Agenda- und Sparpolitik habe die Konjunktur „fiskalpolitisch
gebremst“.
Der Gedanke muss selbst die neuen Koalitionäre beschlichen haben. Eilig wurde die schon
beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer (von 16 auf 19 Prozent) auf den 1.1.2007 vertagt.
Zu groß war die Angst, der Markt daheim könnte vor lauter Zukunftsangst der Konsumenten
endgültig kollabieren.
Und schließlich wird ja schon im Frühjahr 2006 wieder gewählt, quer durch die Republik: in
Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Von Tom Schimmeck
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USA: Der Foltergeist
* Die jüngsten Folterskandale bringen die Regierung in Bedrängnis
Folter in Geheimgefängnissen, Einsatz von Chemiewaffen im Irak: Die USA haben ihre
Glaubwürdigkeit verspielt. Senator McCain versucht zu retten, was zu retten ist.
Meldungen über den Missbrauch von Gefangenen in US-Gewahrsam sind häufig geworden –
so häufig, dass es nur noch die skurrileren über die Wahrnehmungsschwelle der Weltmedien
schaffen. So wie die Geschichte der beiden irakischen Geschäftsleute Thahe Mohammed
Sabar und Sherzad Khalid vergangene Woche: Sie gaben an, 2003 in einem der Paläste von
Ex-Diktator Saddam Hussein von US-Soldaten in einen Löwenkäfig gestoßen worden zu sein.
Erst als die Löwen ihnen gefährlich nahe kamen, habe man sie hektisch wieder
herausgezogen. „Das hört sich ziemlich weit hergeholt an“, kommentierte USVerteidigungsminister Donald Rumsfeld die Klage der Iraker. Zweifellos – nur durchaus
vorstellbar. Die Beweislast in Foltersachen liegt längst bei den amerikanischen Soldaten und
Agenten, ihr Ruf ist gründlich ruiniert.
Die Geschichte mit den Löwen war nur ein Detail in einer Woche, in der es für das öffentliche
Ansehen der USA wieder einmal knüppeldick kam. Am selben Tag musste die US-Armee
ihre Dementis gegen die Berichte eines italienischen Fernsehsenders aufgeben und
eingestehen, während ihrer Offensive gegen die Stadt Falluja im November 2004
Phosphorgranaten eingesetzt zu haben – nur gegen Aufständische und nicht gegen Zivilisten.
Bei den verkohlten Leichen fällt die Überprüfung allerdings schwer.
Und auch die Entdeckung von 170 unterernährten und teils schwer misshandelten Irakern in
einem Gebäude des irakischen Innenministeriums in Bagdad wirft einen dunklen Schatten auf
die Amerikaner. Zwar waren es US-Soldaten, die die Gefangenen befreiten. Doch die
Versuche der US-Regierung, jegliche Verantwortung von sich zu weisen, klingen seltsam
hohl. „Präsident Bush hat klargestellt, dass die USA keine Gefangenen foltern“, sagte
Außenamtssprecher Adam Ereli. „Wir erwarten, dass unsere Alliierten denselben Standards
gehorchen.“
Tatsache ist: Die US-Armee und der Geheimdienst CIA foltern sehr wohl, mit rechtlicher
Rückendeckung durch das Weiße Haus. Das geht aus unzähligen Zeitungsberichten,
Zeugenaussagen, offiziellen Untersuchungen und bekannt gewordenen Dokumenten der
letzten Monate und Jahre zweifelsfrei hervor (siehe Kasten). Wenn die US-Regierung heute
einen moralischen Führungsanspruch stellt und eine Vorbildwirkung für sich reklamiert,
erntet sie nur noch Zynismus. Die „hearts and minds“ sind verloren.
Im Irak, zu dessen Demokratisierung die Amerikaner ausgezogen sind, wird heute immer
noch gefoltert. Acht bis zehn weitere Kerker, von irakischen Spezialeinheiten betrieben, soll
es allein in Bagdad geben. Die US-Truppen sind für die Sicherheit offiziell nicht mehr
verantwortlich. Doch die Ausbildung der irakischen Armee und Polizei liegt in ihren Händen.
Damit ist genau das eingetreten, wovor Anti-Folter-Experten immer gewarnt haben: Weicht
man nur einen Millimeter vom absoluten Folterverbot ab, nimmt das Unheil fast zwanghaft
seinen Lauf und zerstört Disziplin und Moral bis ins letzte Glied. „Wir müssen auch unsere
dunkle Seite einsetzen“, sagte US-Vizepräsident Dick Cheney direkt nach den Anschlägen
vom 11. September 2001 und meinte damit eigentlich nur den Umgang mit der Führungsriege
der al-Qa’ida. Doch damit war der Foltergeist aus der Flasche entwichen.
Widerstand. Die Anschuldigungen gegen US-Regierung, Armee und Geheimdienst sind nicht
neu. Doch nun setzt sich mit jedem Tag mehr die Überzeugung durch, dass die USA
tatsächlich von fortschreitender Verschurkung befallen sind. Selbst bei ehemaligen
Verteidigern der Regierung Bush regt sich Widerstand.
Zum Beispiel in Europa. Anfang November schreckte die „Washington Post“ Europa mit der
Meldung auf, die CIA unterhalte in „mehreren osteuropäischen Demokratien“
Geheimgefängnisse für die knapp 30 Topterroristen der al-Qa’ida. Seither haben Behörden
und Medien auf dem ganzen Kontinent Hinweise zusammengetragen. Hauptsächlich handelt
es sich dabei um die Flugdaten von CIA-Flugzeugen, die in den letzten Jahren im Zickzack
durch Europa geflogen sind, mit dem spanischen Mallorca und Island als Drehscheiben. Nun
sind es gerade ehemalige Mitglieder von Bushs „Koalition der Willigen“, die besonders scharf
gegen die USA vorgehen. Spanien und Dänemark ermitteln wegen illegalen
Gefangenentransports gegen die CIA, Italien hat sogar schon gegen 22 Agenten Haftbefehle
wegen Entführung erlassen. Der italienische EU-Justizkommissar Franco Frattini will die
Vorwürfe in jedem Fall weiterverfolgen, notfalls strafrechtlich.
Auch in den USA selbst wächst die Opposition gegen die Häftlings- und Folterpolitik des
Weißen Hauses. Die Justiz dehnt in winzigen, aber stetigen Schritten ihre Befugnisse über das
Gefangenenlager in Guantanamo aus. Republikanische Senatoren und Abgeordnete gehen ein
Jahr vor den Kongresswahlen auf Distanz zu Bush, dessen Umfragewerte im Sinken sind. Vor
allem der republikanische Senator John McCain aus Arizona, der Ambitionen auf das
Präsidentenamt hat, bläst zur Attacke und versucht, Amerika zurück auf den Pfad der Tugend
zu bringen.
McCain ist überzeugter Anhänger eines absoluten Folterverbots. Während seiner
mehrjährigen Kriegsgefangenschaft in Vietnam zerschmetterten ihm Soldaten des Vietcong
die Arme. Noch heute kann er sie nicht über den Kopf heben, seine Frau muss ihn kämmen.
Aufgerüttelt durch den Brief des jungen amerikanischen Offiziers Ian Fishback aus dem Irak,
hat McCain in den vergangenen Wochen eine große Folterdebatte losgetreten. Fishback hatte
16 Monate lang versucht, von seinen Vorgesetzten zu erfahren, welche konkreten Regeln für
den Umgang mit irakischen Gefangenen gelten – erfolglos. Zu groß ist die Verwirrung, die
das Weiße Haus mit dem Abschied von den Genfer Konventionen im „Krieg gegen den
Terror“ in den eigenen Reihen ausgelöst hat.
Neues Gesetz. „Das bringt uns um“, sagt McCain. „Amerikas Ansehen ist am Tiefstpunkt.“
So wie alle Anti-Folter-Experten hält er durch Folter erzwungene Geständnisse für wertlos
und Folter selbst für kontraproduktiv. „Wir laufen Gefahr, so zu werden wie unsere Feinde“,
warnt der Senator. Im Oktober brachte er einen Gesetzesentwurf im Senat ein, der in Zukunft
wieder jede „grausame, unmenschliche oder erniedrigende“ Behandlung von Gefangenen
verbieten soll. Er gewann mit 90 zu neun Stimmen – und das, obwohl Vizepräsident Dick
Cheney mit intensivem Lobbying bei republikanischen Senatoren zumindest eine Ausnahme
für die CIA erwirken wollte.
Auch die noch fehlende Abstimmung im Repräsentantenhaus dürfte McCain gewinnen. Mit
allen Mitteln versucht daher das Weiße Haus, sie zu blockieren. Für den Notfall hat Bush
bereits mit einem Veto gedroht: Das Folterwerkzeug will er sich nicht aus der Hand nehmen
lassen, auch wenn 51 Prozent der Amerikaner sagen, Folter sei nie oder selten gerechtfertigt.
Dabei werden selbst aus der CIA Stimmen für eine Rückkehr auf klar definierten rechtlichen
Boden laut. In Geheimgefängnissen sitzen mindestens ein Dutzend Häftlinge, die die CIA
wieder loswerden will – nur gibt es dafür keine rechtlichen Verfahren, keine Gesetze. „Wo ist
der Aus-Knopf?“, fragt ein CIA-Mitglied frustriert.
Von Sebastian Heinzel
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Interview: „Der Wille zur Auslöschung“
Der französische Philosoph André Glucksmann über sein neues Buch „Hass“, über
Selbstmordattentäter, den Flächenbrand in den französischen Vorstädten und die
Verschmelzung von Hiroshima und Auschwitz.
profil: Ihre jüngste Publikation dreht sich um die Rückkehr des Hasses: In Frankreich hat
dieses Motiv buchstäblich brennende Aktualität gewonnen. Wer und was steckt Ihrer
Meinung nach hinter den Ausschreitungen in den Vorstädten?
Glucksmann: Diese Brandstifter sind weder „alle Jugendlichen“ noch „die Jugend“ in den
Banlieues. Es handelt sich um eine Minderheit, in deren Aktionen es durchaus etwas Neues
gibt. Angezündete Autos kennt man aus der Vergangenheit. Aber jetzt stecken diese jungen
Menschen Busse in Brand, die voll besetzt sind. In diesen Bussen saßen auch Kinder und alte
Leute. Es gab beispielsweise eine behinderte Frau, die Brandwunden zweiten Grades
davontrug und vom Buschauffeur gerade noch gerettet werden konnte. Man muss sehr genau
hinsehen: Es handelt sich bei diesen Vorfällen keineswegs um eine islamistische Revolution.
Denn sowohl diese Frau als auch der Busfahrer sind Muslime. Die Attentäter berücksichtigen
also bei ihren Aktionen weder Hautfarbe noch kulturelle Zugehörigkeit. Es handelt sich bei
den gegenwärtigen Ausschreitungen in Frankreich nicht um das Scheitern der
Integrationsbemühungen. In Wahrheit war und ist die Integration erfolgreich. Die
jugendlichen Täter sind nicht irgendwelche Araber. Ihre Eltern stammen aus arabischen
Ländern, doch sie selbst sind französische Staatsbürger. Und in Wahrheit realisieren sie auf
brutale Weise, was viele Franzosen denken – nämlich, dass die eigene Stärke, die Macht, ja
die Wahrheit darin liege, etwas zerstören zu können und nicht etwas aufzubauen. Das ist eine
ganz starke Ausdrucksform des Hasses, sogar der Grund allen Hasses – der Selbsthass. Wenn
diese Jugendlichen nun Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder und selbst Fabriken, also den
eigenen Arbeitsplatz anzünden, dann kann man von einem bereits selbstmörderischen
Selbsthass sprechen. Was diese Minderheit von Jugendlichen momentan in den Banlieues
macht, ist im Prinzip dasselbe, was Präsident Chirac macht, wenn er versucht, die
Europäische Union zu zerstören.
profil: Sie halten Chirac für einen politischen Extremisten?
Glucksmann: Wenn Chirac den Polen und den Tschechen verbietet, ihre Stimmen zu erheben,
weil das, wie er sagt, Länder seien, die man vom Kommunismus befreit habe, zerstört er einen
Grundwert der Union, nämlich das Recht, als gleichwertiger Partner zu sprechen. Wenn
Chirac die EU zerschlagen möchte, weil er auf den Landwirtschaftsförderungen besteht,
obwohl jeder weiß, dass diese Ausgaben 45 Prozent des Haushalts der Union auffressen, dann
verhält sich Chirac nicht anders als Jugendliche, die ihren eigenen Lebensraum
niederbrennen. Diese Form des Nihilismus, ausschließlich anderen zu schaden, bestimmt
sowohl die französische Außenpolitik als auch das Verhalten der Jugendlichen in den
Banlieues. Das offizielle Frankreich täte gut daran, sich im Spiegel jener Ereignisse
wiederzuerkennen, die momentan in den Banlieues die Szene beherrschen. Diese
Jugendlichen sind bestens integriert – in ein Frankreich, das sich nihilistisch gibt. Frankreich
ist zurzeit die Metropole des Nihilismus in Westeuropa!
profil: „Hass“, Ihr neues Buch, trägt einen ominösen Untertitel: „Die Rückkehr einer
elementaren Gewalt“. Was genau kehrt da zurück?
Glucksmann: Die Rückkehr betrifft die Sichtbarkeit des Hasses, das Phänomen war ja nicht
verschwunden. Die Idee, das 20. Jahrhundert sei eine Epoche ohne Hass gewesen, ist ziemlich
absurd. Sicher haben die Ideologien dieser Zeit versucht, den Hass zu verdecken, ihn
unsichtbar zu machen, oder er hat ihnen als Alibi gedient, doch er hat immer weiterexistiert.
Ich definiere den Hass anders etwa als den deutschen Begriff der „Feindlichkeit“: Der Hass
meint nicht einfach die Überlegenheit, die Verachtung, ja nicht einmal Unterdrückung und
Versklavung. Nein, der Hass will die reale Beseitigung des anderen. Das meint etwa die
Vernichtungslager. Der Hass steht im Blickfeld des Todes, während die „Feindlichkeit“ sich
schlimmstenfalls in der Knechtschaft des anderen ausdrückt.
profil: Wo orten Sie nun diese tödliche Form des Hasses?
Glucksmann: In den Ideologien des NS-Staates, im Kommunismus, im radikalen Islamismus,
bei Milosevic und seinem Serbentum, das eine Mischung aus nationalsozialistischer und
kommunistischer Hasserfüllung war. Aber ich meine damit auch die orthodoxe Kirche und
bestimmte Gangs. Hinter all diesen Ideologien steckt der Kern des Hasses, der die
Auslöschung will.
profil: Sie schreiben, es gebe klare Verbindungen zwischen Antisemitismus, Frauenhass und
dem sehr gegenwärtigen Antiamerikanismus. Ist das nicht ein wenig pauschal?
Glucksmann: Nein, es gibt da unverkennbare Verbindungen, der Hass kann von einem Aspekt
zum anderen wechseln. Antisemitismus kann sich etwa in Antiamerikanismus verwandeln.
Aber alle drei Aspekte haben noch etwas Wesentliches gemeinsam. Jean-Paul Sartre hat es
hinsichtlich des Antisemitismus genau analysiert: Er erkannte, dass Antisemiten meist gar
keine Juden kennen. Hitler kannte sie nicht, selbst Eichmann hatte nur wenig Ahnung vom
Jüdischen. Der Hass auf die Juden bedarf keiner Kenntnis ihrer Existenz. Der Hass ist eben
zuallererst ein Selbsthass. Wenn man Antisemit ist, so ist man das nicht, weil die Juden alle
Frauen und alles Geld an sich gerissen hätten, sondern weil man selbst nicht alles Geld und
alle wunderschönen Frauen besitzt! Man akzeptiert den eigenen Mangel, die eigene
Endlichkeit des Wollens nicht. Man möchte Gott gleich sein und meint, die Juden würden
einen daran hindern.
profil: Wie wirkt der Hass konkret?
Glucksmann: In Europa gibt es eine Mehrheit, die in gewisser Weise antiamerikanisch
eingestellt ist. Man hat natürlich das Recht, Kritik an den USA zu üben. Es gibt sogar gute
Gründe dafür. Es zeigt sich aber, dass die Menschen bei uns viel mehr gegen Bush sind als
gegen Putin, obwohl der russische Präsident den schrecklichsten Krieg unserer Zeit führt: den
Feldzug gegen die Tschetschenen, der einer Auslöschung jener Bevölkerung gleichkommt.
Gegen diesen brutalen Krieg wird aber überhaupt nicht demonstriert, andererseits gibt es
überall Großdemonstrationen gegen Bush und seine Irak-Politik. Das ist ein immenses
Ungleichgewicht, das zeigt, dass man eigentlich nicht für den Frieden auf die Straße geht,
sondern aus Gründen des Hasses auf Amerika. Wenn man für den Frieden demonstrieren
wollte, müsste man es zumindest gegen beide Kriege tun. Der Antiamerikanismus ist vor
allem in Westeuropa verbreitet. In Frankreich ist das ganz evident: Man hasst die USA, weil
sie als Weltmacht Frankreich nicht erlauben, die Welt zu regieren, wie Frankreich das zu
napoleonischen Zeiten zu tun glaubte. Es ist also Frankreich, das seine machtpolitische
Endlichkeit nicht begreift. Sicher, die USA sind die einzig verbliebene Weltmacht, aber es ist
Frankreich, das diese Macht erst in einen gottgleichen Zustand erhebt.
profil: Mit Russlands Politik scheint Europas Politik tatsächlich kaum Probleme zu haben.
Auch zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin hat sich eine Art Männerfreundschaft
entwickelt.
Glucksmann: Wie kann ein Sozialdemokrat sagen, Putin denke und handle demokratisch – wo
doch jeder weiß, wie der russische Präsident die öffentliche Meinung unterdrückt und die
Medien kontrolliert? Putin versucht offensichtlich, die tschetschenische Bevölkerung
auszulöschen, aber er unterdrückt auch die russische. Wie kann man akzeptieren, dass die
Macht in Russland mehr und mehr von einer kleinen Gruppe von Putin-Getreuen ausgeübt
wird? Wobei man festhalten muss, dass Russland immer noch eine Weltmacht darstellt, was
Militär, Waffenarsenal oder Erdölvorkommen betrifft. Als Putin bei Schröders Geburtstag wie
ein Zar aufgetreten ist, mit einer musizierenden Kosakentruppe, habe ich mich gefragt: In
welcher Welt leben wir eigentlich? Was bedeutet denn diese Freundschaft? Ist Schröder
blind? Oder ist er ein Kolonialist? Ich glaube, Letzteres ist der Fall. Es gibt da nämlich ein
historisches Faktum. Der effizienteste Teil der zaristischen Administration im 19. Jahrhundert
bestand aus den Deutschen und baltischen Baronen. Erleben wir also eine neue Form von
illusionistischer Kolonialisation? Wenn deutsche Politiker nämlich glauben sollten, sie seien
intelligenter als die Russen, so ist das eine gewaltige Fehleinschätzung, die der Situation zu
Beginn des 20. Jahrhunderts ähnelt.
profil: Denken Sie, das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland wird sich durch die
neue Kanzlerin Angela Merkel ändern?
Glucksmann: Ich habe da ein ganz klein wenig Hoffnung, weil Frau Merkel aus der DDR
stammt, ebenso wie der neue Parteivorsitzende der SPD, Matthias Platzeck. Beide wissen, wie
ein totalitäres Regime funktioniert. Sie sollten das niemals vergessen.
profil: Sie haben die „menschliche Bombe“, den Selbstmordattentäter, als das größte
philosophische Problem unserer Epoche bezeichnet.
Glucksmann: Jeder Mensch erkennt heute an, dass der Atombombenabwurf auf Hiroshima
keine einfache Kriegshandlung bedeutete, sondern einen Wendepunkt in der
Menschheitsgeschichte. Also ist das auch ein Problem der Philosophie. Ebenso widerspricht
heute kaum jemand mehr der Feststellung, dass Auschwitz kein einfaches Gefangenenlager
gewesen sei, sondern ein Markstein in der Geschichte menschlicher Barbarei. Das ist also
auch eine philosophische Problemstellung. Sartre, der keineswegs einer religiösen Sekte
angehörte, sprach vom „absoluten Bösen“. Er habe es kennen gelernt, durch die Realität der
Konzentrationslager. Sartre benutzte mit dem „absoluten Bösen“ einen Begriff, den man aus
der christlichen Religion kennt. Und er sagte weiter, dass nach Hiroshima die Menschheit
folgende Wahl habe: Jeden Morgen sollten wir uns fragen, ob wir am Ende der Welt einfach
teilnehmen wollen oder ob wir es abwehren können. Nach 1945 haben wir zwei
Entdeckungen gemacht: dass es Menschen gibt, die dazu fähig sind, die Humanität zu
vernichten – das ist Auschwitz –, und solche, die in der Lage sind, die Menschheit auszurotten
– das ist Hiroshima.
profil: Heute stellt sich diese philosophische Problemstellung aber schon wieder anders.
Glucksmann: Ja, heute treffen beide Elemente aufeinander, Auschwitz und Hiroshima werden
ineinander geblendet. Vor dem 11. September 2001 gab es neun Atommächte, kleinere und
größere, die das schrittweise Ende der Menschheit auslösen konnten. Seit dem 11. September
ist diese tödliche Kapazität in den Händen von, ja, sagen wir: jedermann. Wenn zwanzig
Personen, die ein Kapital zur Verfügung haben, das dem Kaufpreis eines größeren
Apartments in New York entspricht, nach einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren fähig sind,
zwei Türme in Manhattan einstürzen zu lassen, dann sind sie auch fähig, ein Atomkraftwerk
anzugreifen und dabei einen Schaden anzurichten, der jenem von Hiroshima gleichen könnte.
Und wenn so etwas 20 Leute hinkriegen, dann kann man sicher sein, dass es noch viele, viele
andere gibt, die das ebenfalls bewerkstelligen können. Es gibt also viele mögliche
Hiroshimas! Die Macht der atomaren Verwüstung ist nicht mehr begrenzt auf ein paar
Atommächte. Nun zeigt der Angriff auf die Türme in Manhattan aber auch Folgendes: Man
tötet beliebig viele Menschen, das ist der Wille des absoluten Tötens, wie wir ihn von
Auschwitz her kennen. Die Fähigkeit und der Wille zur Auslöschung sind das neue
Problemfeld der Philosophie, weil sie bei gewissen Menschen eine gedankliche Einheit
bilden. Diese Menschen sind keine Staaten, sie führen keine Kriege, sie verhandeln nicht, und
es
ist äußerst schwierig, sie zu kontrollieren. Es sind „lebende Bomben“, die nicht ausschließlich
dem Lager der radikalen Islamisten angehören. Der Wille zur Auslöschung geht über diese
Gruppe weit hinaus. Das ist absolut neu und bedarf einer philosophischen Bearbeitung, weil
es gerade die Philosophie ist, die das mögliche Ende der Menschheit vor Augen hat.
profil: Wie kann nun der Hass, den Sie beschreiben, im neutralen Österreich seine Wirkung
zeigen?
Glucksmann: Mir ist die Neutralität Österreichs nicht völlig klar. Wie kann man einer
mächtigen Gemeinschaft wie der Europäischen Union angehören, die sich alles andere als
neutral verhält, und doch selbst Neutralität reklamieren? Verhält sich Österreich – etwa als
Mitglied der Vereinten Nationen – „neutral“, wenn es um die Bekämpfung eines Genozids
geht, der gerade auf dieser Welt verübt wird? Nein, wird man sagen. Aber erst unlängst gab es
ja den Fall einer weltweiten „Neutralität“. Leider hat fast die ganze Weltgemeinschaft zum
Genozid in Ruanda geschwiegen. Diese Art von Neutralität ist ein Verbrechen, ein
Verbrechen der Gleichgültigkeit, ein Verbrechen der Willfährigkeit, ein Verbrechen der
Komplizenschaft! Das Wort „Verbrechen der Gleichgültigkeit“ stammt von einem
österreichischen Schriftsteller: Hermann Broch. Als er aus dem amerikanischen Exil 1945
nach Europa zurückkehrte, fragte man ihn, ob er jetzt alle Deutschen und alle Österreicher für
Nazis halte. Broch verneinte heftig: Die Nazis und Faschisten seien eine Minderheit gewesen.
Die Sünde Europas sei es vielmehr gewesen, die Nazis walten zu lassen, ohne rechtzeitig
einzugreifen. Das ist Brochs „Verbrechen der Gleichgültigkeit“. Mir fällt hier das schöne
Wort auf Deutsch ein: „wegschauen“.
profil: Und aus der Gleichgültigkeit hat sich so etwas wie eine Globalisierung des Hasses
ergeben?
Glucksmann: Die erste Form der Globalisierung begann mit dem Jahr 1914. Es ist die
Globalisierung der Kriege, die den totalen Krieg, totalitäre Revolutionen und schließlich den
Terrorismus nach sich gezogen haben. Der heutige Hass der international agierenden
Terroristen zielt auf die Vernichtung von Menschen, egal, welcher sozialen oder kulturellen
Zugehörigkeit. Die Globalisierung betrifft nicht in erster Linie die Wirtschaft oder die Politik,
sondern die Handhabung von Waffen, von der Kalaschnikow bis zu nuklearen Bomben. Das
ist der weltweite Hass, der sich als absoluter Wille zur Auslöschung manifestiert. Gegen
diesen Hass müssen wir uns ab sofort zur Wehr setzen.
Interview: Andreas Puff-Trojan
André Glucksmann, 68, wurde als Sohn österreichisch-jüdischer Emigranten in Boulogne-surMer geboren. Er gehört mit Bernard-Henri Lévy und Alain Finkielkraut zu Frankreichs
„Neuen Philosophen“, die in teils sehr persönlicher Auseinandersetzung mit dem Marxismus
philosophisch konkrete Kritik an totalitären Systemen und undemokratischen Strukturen
üben. Zu Glucksmanns bekanntesten Büchern zählen „Die Meisterdenker“, „Köchin und
Menschenfresser“, „Politik des Schweigens“, „Philosophie der Abschreckung“ und „Die
Macht der Dummheit“. In seiner jüngsten Publikation „Hass“ geht Glucksmann von drei
elementaren Äußerungen des Hasses aus: Antisemitismus, Frauenhass und
Antiamerikanismus. Diese drei Formen scheinen sich gegenwärtig in einer Gruppierung zu
bündeln: den radikalen Islamisten. Die eigentliche Wurzel des Hasses sieht Glucksmann
jedoch nicht im religiösen Fundamentalismus, sondern in einem Selbsthass, der sich in
extremem Zerstörungswillen entlädt: „Ich hasse, also bin ich“, lautet die pervertierte Formel
von Descartes’ Selbsterkenntnis. Glucksmann beruft sich auf die griechische Tragödie und
Michel de Montaigne, um zu zeigen, dass der Hass auch in Westeuropa auferstanden ist.
André Glucksmann: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. Aus dem Französischen
von Bernd Wilczek und Ulla Varchmin. Nagel & Kimche, 286 S., EUR 19,90
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