Word-Datei - mcleods töchter

Werbung
What if
Autor: Stefanie ([email protected])
Rating: PG
Inhalt: Jack Mc Leod stirb viel eher, da ist Claire 15 Jahre alt. Nun muss sie bei Ruth leben und bei deren neuen
Familie. In der Zeit kommen sich Tess und Claire wieder näher.
Disclaimer: Alle MLT Charaktere sind Eigentum von Nine Network, The South Australian Film Corporation and
Millenium Television. Dies Fanfic wurde jediglich zum Spaß geschrieben und nicht um damit Geld zu verdienen.
Jegliche Ähnlichkeiten zu Lebenden und Toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren
Charaktere sind Eigentum des Autors.
Kapitel 1
„Happy Birthday to yo. Happy Birthday dear Claire … Happy Birthday to you!!!”
Mein Name ist Claire Louise Mc Leod und gerade in diesem Moment bin ich 15 Jahre alt geworden. Und alle
meine Freunde stehen um mich herum und singen.
Alex und Nick Ryan mit ihren Eltern Harry und Liz. Meg und ihre Tochter Jodi und direkt neben mir mein Dad.
Vor mir auf dem Tisch steht eine riesige Torte die mir Meg gebacken hat und hinter der Torte sind viele Pakete.
Eins ist riesengroß und hat Löcher in der Wand. Seltsam oder?
Das Lied hat geendet und alle klatschen, als ich die Kerzen auspuste.
„Super Claire. Alle auf einmal, das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“, stichelt Alex.
„Ich stecke voller Überraschungen“, erkläre ich nur grinsend und falle in die Arme meines Dads, der mich fest an
sich drückt.
„Alles Gute meine Kleine.“
„Also so langsam musst du damit aufhören Jack. Deine Tochter ist ja schon richtig erwachsen.“, höre ich Liz
sagen.
Ich lächle.
„Wer will Torte?“, fragt Meg und schneidet die Torte an. Alle schnappen sich ihre Teller und setzen sich an den
Tisch.
„Hier Claire das ist von mir.“, erklärt Nick und reicht mir sein Geschenk. Es ist schwerer als es aussieht. Sofort
mache ich es auf und zum Vorschein kommt ...
„Eine Zange?“, frag ich verwundert.
Nick grinst. „Ja damit du nicht mehr mit deinen Hemden am Zaun stecken bleibst wenn du gerade wegrennen
willst.“, erklärt Nick grinsend und alle lachen. Ich schaue beschämt zu Meg, die das Hemd sogar noch flicken
konnte. Aber Meg lacht ausgiebig und alles scheint vergessen zu sein.
Von Alex bekomme ich sein Lieblingsseil. Ich hab es gewonnen bei einer Wette und endlich löst er sie ein.
Harry und Liz schenken mit eine neue Reiterkappe. Erst vor kurzen ist Alex aus versehen mit dem Traktor über
meine alte rübergefahren.
„So und nun unseres.“, ruft Jodi. Zum Vorschein kommen Reiterhandschuhe aus Leder.
„Die sind wunderschön. Danke Meg. Danke Jodi.“
„Und nun das Letzte.“, meint Dad und schiebt mir das größte Paket zu. Das mit den vielen Löchern.
Ich stelle mich hin und will das Päckchen öffnen, als dieses anfängt zu rütteln.
„Was ist das?“, frage ich ein wenig erschrocken.
„Mach es auf.“, fordert er mich lächelnd auf. Ich will das Paket zum zweiten Mal öffnen – und wieder ruckelt es.
Und ein Winseln höre ich.
„Ein Hund?“, frag ich begeistert. Nun kann mich nichts mehr halten. Ich reisse das Geschenkpapier weg. Überall
fliegen die Schnipsel herum. Dann ist da nur noch das Paket und ist reisse auch dieses auf. Die Pappe fliegt weg
und zum Vorschein kommt ein Hund. Ein Welpe.
„Das ist ein Australian Kelpie. Und wehe du passt nicht gut auf ihn auf!“, sagt mein Dad, während ich den Welpen
auf meinen Arm nehme.
„Er soll ein Zuchtrüde werden, verstehst du Claire.“, erklärt Harry.
„Wie heißt er?“, frag ich nur und ignoriere Harrys Aussage.
„Such du dir einen Namen aus.“, meint Meg.
„Ich hab keine Ahnung.“
„Na vielleicht fällt dir ein Name ein während du die Post holst.“, meint Meg und hält mir die Tür auf. Ich nicke,
nehme den Hund mit raus und laufe los. Den Welpen lass ich runter, damit er mir folgt.
„Warte Claire ich komm mit.“, höre ich Nick rufen und kurz danach schreit Alex, „Ja ich auch!“ Beide kommen aus
dem Haus gerannt.
Ich lächle und laufe weiter, trotzdem höre ich Harry sagen:
„Hey ihr zwei es kann nur einer Claires Mann werden!“ Ich höre das Gelächter der anderen, während ich nun
nicht mehr lächle.
„Ach komm schon Claire, Dad macht doch nur Scherze.“, meint Nick.
„Dann soll er damit aufhören. Ich werde nie einen von euch heiraten. Da würde mir ja was fehlen.“
Die beiden Jungs schauen sich verblüfft an, doch dann rennen sie mir nach. Der Welpe bellt kurz auf, dann rennt
er auch mit. Wir rennen bis zum Tor, dort setze ich mich auf den Boden, der Welpe setzt sich sofort auf meinen
Schoß.
„Wie willst du ihn nennen?“, fragt Alex. Ich zucke die Achseln.
„Keine Ahnung.“ Nick setzt sich zu mir hinunter. Sein Bein streckt er aus.
„Wie wär´ s mit Rex?“
Ich schüttle den Kopf. „Nee. Das passt nicht.“
Alex schlägt „D.J.“ vor, aber der Name gefällt mir auch nicht.
„Pass auf. Ich denke im Stillen das Alphabet und irgendwann sagst du stopp. Und bei dem Buchstaben der dran
ist, da musst du einen Namen sagen.“, schlägt Nick vor.
„Na gut.“
Er fängt an und ich schweige. Nachdem er das dritte Mal den Buchstaben „A“ sagt, beschließe ich, doch einmal
etwas zu tun.
„Stopp!“, schreie ich. Nick grinst. „Der Buchstabe lautet r.“
Ich stöhne und sage „Ach komm, den hatten wir doch grad.“
„Wie wär´ s mit Rambo?“, schlägt Alex vor.
„Alex? Weißt du wie groß ein Australien Kelpie wird?“, frage ich.
„Nein.“
„Der wird höchstens 60 cm groß. Da kannst du ihn doch nicht Rambo nennen.“
„Na dann schlag einen anderen Namen vor.“, mault Alex.
„Ich weiß aber keinen Namen.“
„Na dann machen wir das ganze noch mal um den zweiten Buchstaben rauszubekommen.“, schlägt Nick vor und
fängt wieder an das Alphabet zu denken.
„Stopp.“, rufe ich sofort.
„ Okay der zweite Buchstabe ist ein o.“
„Roxane!“, meint Alex sofort.
„Falls es dir nicht aufgefallen ist, aber der Hund ist ein Rüde und keine Hündin.“, meckere ich.
„Mir gefällt Roy.“, gesteht Nick.
„Roy?“, frage ich und der Welpe schaut auf. „Ich glaube das gefällt ihn auch. Also dann heißt er Roy.“ Wie zur
Bestätigung, dass er den Namen angenommen hat, bellt Roy vor Vergnügen. Ich muss lachen.
Plötzlich höre ich ein Hupen. Ich stehe auf, Bob der Briefträger fährt vor.
„Morgen Bob.“
„Alles Gute zum Geburtstag Claire.“, wünscht er mir und drückt mir die Hand. Dann holt er einen riesigen Stapel
mit Briefen aus seinem Wagen.
„Wow Claire, da denken aber viele an dich.“, meint Nick.
„Tja man hat halt nur einmal Geburtstag.“, meint Bob und steigt wieder in seinen Wagen. „Also dann ... feiere mal
schön.“ Mit diesen Worten fährt Bob wieder davon und wir drei laufen mit Roy wieder nach Hause.
Die Party ist schon im Gange. Ich setzte mich in eine Ecke und fang an die Briefe zu sortieren. Sechs von zehn
Briefen sind für mich. Eine Geburtstagskarte ist auch dabei. Sie ist von Tess, meiner kleinen Halbschwester. Sie
wünscht mir alles Gute zum Geburtstag und das all meine Träume in Erfüllung gehen.
Ich denke nach. Ich denke an früher, an Tess. Wie gern hab ich mit ihr gespielt. Wir gern sind wir zu zweit
ausgeritten oder haben Dad ein bisschen geärgert. Ich muss lächeln. Die Karte stecke ich mir in die Hose.
Die nächsten Briefe sind von Nachbarn oder Bekannten meines Dads. In einem finde ich einen 50 Dollarschein.
Auch den stecke ich sofort in die Tasche zu der Karte.
„Hey Claire lass uns tanzen!“, ruft Nick. Zuerst weigere ich mich, aber nachdem mich Nick schon zu sich
hochgezogen hat, tanze ich eben mit ihm mit.
Ja die Party ist klasse. Und endlich weiß ich was ich mir wünsche. Ich wünsche mir, dass all meine Lieben für
immer um mich herumbleiben.
Als ich ins Bett gehe, schläft Roy in einem Körbchen vor meinem Bett. Morgen will ich mit seinem Training
beginnen. Mal sehen was daraus wird...
Ein halbes Jahr ist vergangen und Roy macht sich ziemlich gut. Er ist ein richtig guter Hütehund.
Und wenn ich ausreite, läuft er immer neben dem Pferd her. Einfach wunderbar.
Ich komme heute erst am Abend nach Hause, da ich mit Roy am Fluss trainiert habe. Inzwischen treibt er auch
schon mal die Rinder zusammen. Es macht mir richtig Spaß.
Als ich ins Haus komme sitzen alle schon am Tisch.
„Du kommst ziemlich spät.“, stellt Meg fest.
Ich lächle. „Entschuldigung. Ich hab die Zeit beim Trainieren vergessen.“, entschuldige ich mich.
„Claire wird eine gute Trainerin.“, meint Dad.
Wir beginnen zu essen. Es gibt Aprikosenhuhn. Meg kann super kochen.
Als sie aufsteht und abdeckt, will ich ihr helfen.
„Claire! Ich muss mit dir reden.“, sagt mein Dad.
„Oh Gott was hab ich angestellt? Also das mit dem Baum war Alex.“
„Baum?“, fragen Meg und Dad gleichzeitig.
„Ach nicht so wichtig.“, sag ich und folge meinem Vater ins Büro. Er setzt sich auf seinen Stuhl.
Wieder muss ich lächeln, denn mir fällt ein, wie Tess und ich früher unter diesem Schreibtisch gespielt haben.
„Deine Mutter hat geschrieben.“, sagt Dad auf einmal. Ich setzte mich verwundert auf den anderen Stuhl.
„Meine Mutter? Mom ist tot. Und Meg ist in der Küche und wäscht ab. Eigentlich sollte ich ihr helfen.“
Dad lacht kurz auf, aber dann wird er wieder ernst. Zu ernst für meinem Geschmack.
„Du weißt doch von wem ich rede.“
„Mir schwant was. Du meinst doch nicht etwa Ruth?“, frage ich.
„Ja, genau die.“ Er reicht mir einen Brief.
„Der ist für dich.“
Ich schüttle den Kopf. „Ich will nicht.“
„Ach komm schon Claire es ist doch nur ein Brief.“
Ich schüttle wieder den Kopf. „Nein Dad! Ich will ihn nicht lesen!“
„Sei doch nicht so stur, Claire!“
„Warum nicht? Falls es dir nicht aufgefallen ist, aber sie hat uns verlassen, Dad! Warum sollte ich noch mit ihr
reden wollen?“, schreie ich Dad an.
Wir stehen uns beide gegenüber.
„Es ist doch nur ein verdammter Brief, Claire! Les ihn.“
„Aber ich will nicht! Ich will mit dieser Frau nichts mehr zu tun haben.“
„Und Tess?“
„Tess hat mir geschrieben! Außerdem finde ich immer noch, dass Tess hierher gehört und nicht in eine
verdammte Stadt!“
Mit diesen Worten stehe ich auf, reise meinem Vater den Brief aus der Hand, werfe ihn in die nächste Ecke und
renne auf mein Zimmer.
Ich höre, wie mein Vater wütend aus dem Haus läuft, sein Pferd sattelt und wegreitet. Ich werfe einige Sachen
durch mein Zimmer. Wie kann diese Kuh sich jetzt wieder melden? Nach all den Jahren?
Roy setzte sich zu mir aufs Bett. Abwesend kraule ich ihm hintern Ohr.
Ich muss an früher denken. Wie glücklich mein Dad war, als er Ruth kennen gelernt hatte.
Und wie glücklich ich war, als Tess zur Welt kam. Ich denke an die vielen Gewitternächte, die wir zusammen in
ihrem Bett verbracht haben. Sie hatte immer angst vor Gewitter. So große Angst, dass sie sich nicht mehr
bewegen konnte. Ich bin immer zu ihr mit ins Bett geschlüpft, wenn ein solches Gewitter kam. Wir haben uns
Geschichten erzählt, haben Witze gerissen, haben gelacht. Und irgendwann sind wir eingeschlafen. Am
nächsten morgen wurden wir dann immer von einem lachenden Dad geweckt. Wie schön es damals war. Aber
seitdem sind viele Jahre vergangen.
Harry Ryan und Dad schmieden Hochzeitspläne nur damit man irgendwann die beiden Farmen
zusammenschließen kann.
Und Tess hat mir geschrieben. Jemand klopft an die Tür, reißt mich so aus meinen wirren Gedanken.
„Wo ist Jack hingeritten?“, will Meg wissen, die in der Tür steht.
Ich zucke die Schultern.
„Wie sieht´s denn hier aus? Was in aller Welt hat dich so wütend gemacht, dass du dein halbes Zimmer in eine
Müllkippe verwandelst?“
„Ruth hat geschrieben.“, erklär ich nur.
„Ruth?“ Meg ist verwundert und überrascht zugleich.
“Hast du gewusst, dass Dad noch mit ihr Kontakt hat?“, frage ich.
Meg kommt zu mir ins Zimmer und setzt sich zu mir aufs Bett.
„Nein.“ „Aber warum schreibt sie gerade jetzt?“
„Ach Claire, das weiß nur Ruth allein.“ Meg steht auf und verlässt mein Zimmer.
Auch ich stehe auf und beginne langsam mein Zimmer wieder aufzuräumen. Roy liegt auf dem Bett und schaut
mir zu. Eigentlich darf er ja nicht auf mein Bett, aber heute mach ich einfach mal eine Ausnahme.
Als ich mit Aufräumen fertig bin sind vier Stunden vergangen. So langsam war ich.
Ich musste über so vieles nachdenken. Mom, Ruth, Meg, Dad und vor allem über Tess. Irgendwie vermiss ich
sie. Aber nur ein wenig. Oder vermisse ich nur die kleine Schwester, die lieber mit ihren Puppen gespielt hat, als
mir zu helfen?
Ich komme in der Küche an. Mein Gott bin ich heute langsam!
Meg läuft in der Küche hin und her.
„Ist Dad wieder da?“, will ich wissen.
Meg bleibt stehen und schaut mich an. Sie sieht verzweifelt aus und ist ziemlich blass. „Keiner weiß wo er ist.
Ich hab bei Harry angerufen und bei all den Anderen, aber niemand hat ihn gesehen.“, erklärt sie mir verzweifelt.
„Ich geh ihn suchen.“, meine ich nur und laufe zur Tür. Dort greife ich zur Taschenlampe. Ich sattle mein Pferd.
„Roy!“, rufe ich. Roy kommt sofort zu mir gelaufen.
Meg kommt auch. „Harry hat grad angerufen, er fliegt jetzt mit dem Hubschrauber los und hilft suchen. Alex reitet
auch aus und Nick fährt mit dem Motorrad rum.“, erklärt sie mir.
Ich nicke nur und reite los. Sofort geh ich in Galopp über. Der Wind bläst mir die Haare aus meinem Gesicht und
er pfeift mir in den Ohren. Ich höre Roy neben mir her rennen und erfreut bellen. Dann werde ich langsamer.
„DAD!!!“ Ich warte. „DAD!!!“ Stille. Langsam reite ich weiter. Weit weg höre ich den Hubschrauber fliegen.
„DAD!!!“ Keine Antwort. Ich reite hinunter zum Fluss, aber auch hier ist er nicht. Der Schein der Taschenlampe
wirft nur große lange Schatten der Bäume auf die Wiese.
„Ach hier sucht schon jemand. Das ist ja toll.“, höre ich Alex sagen.
„Halt die Klappe Alex und such weiter.“ Ich reite wieder los und Alex folgt mir. „Also bei uns ist er nicht. Er kann
nur noch hier sein.“, meint er. Langsam reiten wir nebeneinander her. „Dad! Wo bist du?“, rufe ich immer wieder.
„Jack komm endlich raus!“, schreit Alex. So vergehen Minute um Minute, Stunde um Stunde.
„Claire lass uns nach Hause reiten. Vielleicht ist er schon wieder da.“, schlägt Alex vor.
Ich schüttle den Kopf. „Nein er ist noch hier draußen.“
„Und woher weißt du das so genau?“, will Alex wissen.
Er geht mir auf die Nerven. „Verdammt Alex ich weiß es einfach. Du kannst ja nach Hause reiten und nachfragen
ob er da ist, aber ich suche weiter.“
Alex nickt und reitet in Richtung Drover´s Run.
Ich reite weiter. Roy winselt. Ab und zu schnüffelt er auf dem Boden, aber ich habe Roy nie beigebracht,
Menschen zu suchen. Deswegen verlasse ich mich lieber auf mich selbst.
Nach einer Stunde (oder waren es nur ein paar Minuten?) höre ich das Schnaufen eines anderen Pferdes. „Alex?
Bist du das?“ Ich drehe mich um, will nachschauen. Aber da ist niemand. Immer weiter reite ich gerade aus. Und
dann sehe ich es auf einmal. Dads Pferd! Im Schuppen! „Oh nein! Dad!“, schreie ich verzweifelt, steige vom
Pferd und renne los. Im Schuppen ist es dunkel, aber die Taschenlampe spendet genügend Licht. Da liegt er.
Auf dem Boden. „Dad?“, frage ich vorsichtig und laufe zu ihm, knie nieder und schüttle ihn sanft an der Schulter.
„Dad!“
Schwer atmend bewegt er sich. „Claire?“
„Nicht reden Dad. Ich bin hier! Alles wird gut.“ Ich suche mein Funkgerät, bis mir einfällt, dass ich das auf
Drover´s vergessen habe! „Verdammt!“, leise fluchend reise ich ein Stück Stoff von seinem Ärmel ab und binde
es Roy um. „Roy lauf nach Hause! Los!“ Der Hund rennt sofort los, obwohl er bestimmt schon müde ist. Ich knie
mich wieder zu meinem Vater hin. „Dad was ist passiert? Sag schon.“
Aber er antwortet nicht auf meine Frage, sondern sagt: „Sie will, dass du zu ihr kommst.“
„Wer will das?“, frage ich. Langsam kommen mir die Tränen.
„Ruth. Sie wohnt jetzt in Deutschland und will, dass du sie besuchen kommst.“, erklärt er mir mit einer so
schweren Stimme.
„Ja das machen wir. Das machen wir zusammen Dad. Sobald du gesund bist fliegen wir zu ihr, okay? Aber bitte
streng dich an. Der Arzt kommt gleich und dann fliegen wir zusammen nach Deutschland. Bitte Dad, hörst du?“
Mein Vater schaut mich an und legt mir eine Hand auf meine Wange. Sanft streichelt er mich, während mir die
Tränen wie ein Fluss hinunter laufen.
„Ich hab dich lieb, Claire. Das darfst du nie vergessen!“ Und dann schließt er plötzlich seine Augen.
„Dad! Nein wach auf! Wach auf, Dad, bitte.“
Aber Jack Mc Leod wacht nicht mehr auf. Nie mehr!
„Und ob ich auch wanderte im finstersten Tal fürcht ich kein Unglück denn du bist bei mir…“ Langsam drehte ich
mich vom Grab weg. Das alles ist so unwirklich. Die Sonne scheint und Vögel singen. Dabei ist es ein so
trauriger Tag. Wieder sind alle da. Harry, Liz, Alex, Nick, Meg und Jodi. Terry ist auch hier und noch ganz viele
Nachbarn. Liz weint und Meg wird von Terry gestützt.
Und ich? Ich bin ruhig. Eine Leere hat von mir Besitz ergriffen. Ich hab dich lieb. Mir wird schlecht wenn ich an
den Abend zurückdenke. Und das, obwohl ich kaum noch eine Erinnerung daran habe. Ich weiß, dass Dad
wollte, dass ich Ruth besuchen gehe. Das sie jetzt in Deutschland wohnt. Und dann der Satz. Ich hab dich lieb.
Das darfst du nie vergessen. Nie werde ich es vergessen. Ich habe nur vergessen, wie es dann weiterging.
An nächsten morgen lag ich in meinem Bett. Meg hatte für mich Frühstück ans Bett gestellt.
Und jetzt, eine Woche später, stehe ich hier an Dads Grab und versuche mich zu erinnern. Der Pfarrer ist
gegangen. Alle anderen gehen auch – nur ich bleibe hier stehen. Ich schaue auf das Grab. Hier wurden schon
meine Mutter, mein Bruder und mein Großvater begraben. Und jetzt auch noch Dad! Ich zittere. Mir ist kalt, eine
Gänsehaut hat sich auf meinen Körper gelegt wie Nebel. Ganz leicht, aber doch so furchtbar spürbar.
Ich bemerke eine Hand auf meiner Schulter. Ich schau nur kurz nach hinten, sehe Alex in die Augen. Er hat
geweint, dass sehe ich. Ich hab bisher noch gar nicht richtig verstanden was das alles zu bedeuten hat. Ich muss
dass alles erst mal begreifen.
„Sag mal was ist in der Nacht noch passiert?“, frag ich. Ich kann diese Stille nicht ertragen. Irgendetwas muss
gesagt werden.
„Ich hab Roy gefunden. Wir sind dann sofort mit Roy zu dir gegangen.“
„Und wie bin ich nach Hause gekommen?“
„Ich hab dich hingetragen. Der Arzt meinte, dass du das nicht weiter sehen musst. Und du hast so geheult.“
Deswegen weine ich jetzt nicht mehr. Ich habe keine Tränen mehr zu vergießen. Ich bin einfach leer.
„Und weiter?“
„Der Arzt hat dir was zur Beruhigung geben. Aber du hast es nicht genommen. Da bin ich bei dir geblieben. Du
hast meine Hand nicht mehr losgelassen.“
Irgendwie muss ich lächeln.
„Das tat ganz schön weh!“, protestiert Alex.
„Tschuldigung.“, nuschle ich und unterdrücke ein Lachen. Gemeinsam gehen wir nach Drover´s zurück.
„Und was wirst du jetzt machen?“, will Alex wissen.
„Ich geh von der Schule runter und arbeite auf Drover´s.“
„Was? Aber Claire!“
„Alex sobald ich achtzehn bin, gehört mir Drover´s! Davor kümmert sich Meg um alles. Ich kann sie nicht damit
allein lassen. Ich werde ihr helfen!“
Alex nickt nur. Als wir auf Drover´s Run ankommen ist der Leichenschmaus schon voll im Gange. Es gibt Kaffee
und Kuchen. Ich setze mich zu Meg. Irgendwie vermisse ich Tess. Ich fühle mich allein. Kein einziger Verwandter
ist mehr hier. Nur noch ich. Meg nimmt mich in den Arm. Harry, der mir gegenüber sitzt legt mir ein Stück Kuchen
auf den Teller und Liz schenkt mir Kaffee ein. Ich bin irgendwie abwesend, während die anderen ihren Kuchen
essen. Sie will, dass du zu ihr kommst. Mir wird wieder schlecht. Ich stehe auf und renne nach draußen. Ich laufe
zu den Schafen, aber die frische Luft hilft mir diesmal nicht. Ich muss mich übergeben. Alles muss raus. Meine
Trauer, meine Angst, meine Wut.
„Geht’s besser?“ Ich dreh mich um, es ist Harry. „Claire was ist eigentlich an diesen Abend passiert?“, will er
wissen. Ich lehne mich gegen den Zaun.
„Wir haben uns gestritten. Ruth hat geschrieben. Sie will, dass ich zu ihr komme.“, erkläre ich.
Harry sagt dazu nichts. Wir schweigen. „Hat Meg dir gesagt, dass morgen jemand vom Jugendamt kommt?“
Ich nicke. Der vom Jugendamt will sehen, ob ich hier bleiben kann. Aber irgendwie hab ich Angst. „Was ist, wenn
er mich mitnimmt?“, frag ich. Diese Frage lässt mich einfach nicht los. Seid mir Meg davon erzählt hat, lässt mich
diese Frage nicht mehr los.
„Soll ich dich adoptieren?“, fragt Harry.
Ich muss lachen: „Ja bitte. Aber dann wird das mit der Hochzeit nichts mehr.“
Auch Harry lacht. „Wir werden diesen Heini schon erzählen, dass wir alle auf dich aufpassen. Wir passen darauf
auf, dass es dir gut geht, dass du die Schule zu ende machst und alles andere.“
„Ich will die Schule nicht zu Ende machen. Ich werde hier helfen. Meg soll das alles nicht alleine machen.“, erklär
ich.
Harry zuckt mit den Schultern. „Ich finde, dass du alt genug bist, um selbst zu bestimmen.“
Ich schaue Harry in die Augen. „Danke.“
Er nickt nur.
„Hier seid ihr. Ich hab euch schon gesucht.“, ruft Liz.
Wir gehen zu ihr hinüber.
„Claire Liebling du siehst blass aus. Leg dich lieber hin.“, meint sie.
Ich nicke und gehe rein. Aber ich gehe nicht in mein Zimmer, sondern quer durchs Haus auf die Veranda. Dort
setze ich mich auf Dads Stuhl. Niemand sonst durfte noch auf diesen Stuhl sitzen. Nur ich. Da sitze ich also. Ich
denke nach. „Oh Gott bitte mach, dass ich hier bleiben kann. Bitte!“
Aber Gott ist entweder taub oder ungerecht! Am nächsten Tag steh ich noch vor Meg auf. Ich beginne mit dem
Säubern der Tränken, dann reite ich die Zäune ab und danach füttere ich die Tiere. Immer mit dabei ist natürlich
Roy. Als ich damit fertig bin, geh ich in die Küche. Meg macht Frühstück und Jodi ist noch im Bungalow. Jodi und
Meg genießen das Frühstück, aber ich habe keinen Hunger. Die Angst hat Besitz von mir ergriffen.
„Iss was!“, fordert Meg.
„Ich habe keinen Hunger.“, protestiere ich.
„Wenn du vor diesen Jugendamtheini zusammenklappst werden sie dich erst recht mitnehmen!“
Sofort stopfe ich mir ein Brot in den Mund. Es ist das erste Essen seit Dads Tod, welches in mir bleibt. Nach dem
Essen sitze ich weiter am Tisch und denke nach. „Nun sei nicht so trübsinnig. Geh doch noch ein wenig mit Roy
trainieren bis der Typ kommt. Ich ruf dich dann.“
Eigentlich hab ich keine Lust, aber ich tu Meg den Gefallen. Ich treibe mit Roy einige Schafe zusammen. Aber so
richtig will mir nichts gelingen. Ich setze mich einfach auf den Boden und das erste Mal seid ich Dad gefunden
habe weine ich. Ich weine, weil ich Angst habe, weil ich nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Roy kommt zu mir
und ich streichle ihn.
„CLAIRE!“
Ich schrecke auf, als ich Meg höre. Schnell wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und laufe zu Meg.
Ein schwarzer Wagen parkt auf dem Hof. Ein Man, ungefähr Mitte dreißig steigt aus dem Wagen. Es sitzt noch
jemand drin, aber die Person bleibt sitzen. Der Mann kommt auf uns zu. Meg hat einen Arm um mich gelegt. Als
der Mann vor uns steht, sagt er:
„Hallo Claire. Ich bin John Miller und bin Mitarbeiter beim Jugendamt in Fisher. Wie geht’s dir?“
„Ganz gut.“, antworte ich nur.
„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder Tee trinken?“, fragt Meg.
„Ja gerne. Gehen wir lieber rein. Dort haben wir ja auch einiges zu besprechen.“
Er schaut mir in die Augen und ich nicke nur. Zusammen mit Meg sitzen wir also in der Küche und trinken Tee.
„Wie hast du dir denn alles vorgestellt Claire? Wie soll es deiner Meinung nach weiter gehen?“
Will er das wirklich wissen oder ist das eine Masche von ihm? „Ich werde hier auf Drover´s arbeiten, bis ich
volljährig bin. Und dann übernehme ich das alles!“
John lächelt. „Aber wer wird auf dich aufpassen? Deine Mutter?“
„Meine Mutter ist bei der Geburt meines Bruder gestorben“, erkläre ich.
„Das heißt also, dass du nun Vollwaise bist!“
Ist das sein Trumpf im Ärmel?
„Na und?“
„Hör zu Claire. Irgendjemand muss auf dich aufpassen. Du brauchst eine Mutter oder einen Vater.“
„Meine Mutter sitzt neben mir!“, sage ich nun ziemlich angespannt.
„Ach, hat Meg dich adoptiert?“
„Nun ja das nicht, aber Meg ist wie eine Mutter für mich.“
Stille. John trinkt etwas Tee und ich atme tief ein und aus. Ich trinke auch etwas Tee.
„Was ist eigentlich aus der zweiten Ehefrau von Jack geworden?“
Als ich diese Worte höre, verschlucke ich mich so sehr, dass ich loshusten muss.
Meg klopft mir auf den Rücken.
„Entschuldigung aber von der weiß ich nichts.“, stammle ich dann.
„Komisch. Uns ist etwas anderes zu Ohren gekommen.“
Mir wird wieder schlecht.
„Du hast einen Brief von ihr erhalten.“, meint John.
Ich schüttle den Kopf: „Nein, mein Dad hat ihn erhalten. Ich habe den Brief nicht gelesen.“, erkläre ich.
John nickt. „Deswegen haben wir uns mit ihr auseinandergesetzt. Sie ist bereit dich aufzunehmen, bis du
volljährig bist.“
„WAS?“ Diesmal schreie ich. Ich bin entsetzt. „Wissen Sie wo Ruth wohnt?“, frage ich immer noch entsetzt.
„Ja. Du kannst sie sogar selbst fragen wo sie wohnt. Sie ist nämlich hier.“
Mit diesen Worten verschwindet John und ich starre Meg entsetzt an. Sie ist kreidebleich.
„Ruf Harry an. Sofort!“, sage ich.
Meg nickt und springt auf. Gott sei Dank geht Harry sofort an das Telefon. Meg erklärt ihm schnell die Lage, legt
auf und kommt wieder.
„Er ist auf dem Weg hierher.“, sagt sie mir. Ich nicke und trinke wieder ein Schluck Tee.
„Meg mir ist schlecht. Ich will nicht weg. Und schon gar nicht zu Ruth!“
„So da sind wir wieder.“, höre ich John.
Erschrocken drehe ich mich um. Ich blicke direkt in Ruths Gesicht. Mein Gott diese Frau hat sich nicht verändert.
Genauso hab ich sie in Erinnerung. Lächelnd setzt sie sich mir gegenüber.
„Hallo Claire. Wie geht’s dir?“
„Mir geht’s erst wieder richtig gut, wenn ich weiß, dass ich hier bleiben darf.“, sage ich nur.
Ruth lächelt nur. Meg ignoriert sie. Sie konnte Ruth noch nie so richtig leiden und ich tu es ihr gleich. Es herrscht
eisiges Schweigen. Niemand will etwas sagen.
„Willst du nicht wissen, wo Ruth wohnt?“, fragt John.
„Ich weiß wo sie wohnt und ich werde nicht mitkommen.“, antworte ich darauf.
„Glaubst du wirklich, dass du hier alleine leben könntest?“, fragt Ruth.
„Ich bin nicht allein. Ich habe Meg. Und Harry und Liz. Und Nick und Alex und Terry! Und sie alle werden mir
helfen.“
Ruth schaut Meg herablassend an. Ich will etwas sagen, aber da höre ich das Knarren der Tür und Harry steht in
der Küche.
„Harry unternimm was. Die wollen mich nach Deutschland schicken zu Ruth!“, platze ich sofort heraus.
„Nach Deutschland?“ Diese Frage kommt gleich aus zwei Mündern. Einmal aus Harrys und einmal aus Megs
Mund.
„Sie wird es dort gut haben. Sie geht dort zur Schule, macht ihren Abschluss und macht eine Berufsausbildung.
Und sobald sie volljährig ist, kann sie ja wiederkommen.“, erklärt Ruth.
„Aber das sind noch drei Jahre!“, rufe ich entsetzt aus.
„Warum kann Claire nicht hier bleiben Mister … wie ist ihr Name?“, fragt Harry.
„Miller. John Miller.“
„Also Mister Miller. Warum kann Claire nicht bei uns wohnen? Sie wird zur Schule gehen, wird auf der Farm
helfen und sobald sie volljährig ist gehört ihr Drover´s Run. Ich bitte sie, es geht doch hier nur um drei Jahre.“
„Eben Harry du sagst es. Es sind nur drei Jahre, die sie bei mir in Deutschland verbringen wird.“, erklärt Ruth.
Es klingt so, als sei die Sache schon geklärt.
„Entschuldigung aber sie vom Jugendamt wollen doch nur das Beste für mich oder?“
John nickt.
„Dann lassen sie mich hier.“
„Tut mir leid Claire, aber das Jugendamt sieht dich lieber bei deiner Mutter als bei wildfremden Menschen.“
„Sie ist nicht meine Mutter.“
„Das sieht das Jugendamt aber anders.“, meint John.
Diese Diskussion geht noch endlos lange. Und als sie zu Ende ist, werden meine Sachen in eine Reisetasche
gepackt und ich sitze im Auto. Neben mir sitzt Roy. Er ist der einzige, der mitdarf. John lenkt den Wagen und
Ruth sitzt vorne neben ihn.
Der Wagen fährt los. Ich sehe, wie Alex auf dem Motorrad neben dem Wagen fährt. Ich kurble das Fenster
runter.
„Claire wo fährst du hin?“, will er wissen.
„Das erklärt dir Harry. Alex verspreche mir, dass du mich nicht vergisst. Und verspreche mir, dass du mich
zurückholst.“, flehe ich ihn an.
„Ja ich verspreche es.“, höre ich ihn noch rufen. Dann wird er langsamer, wahrscheinlich weil das Motorrad kein
Benzin mehr hat. Ich habe Tränen in den Augen. „ALEX!“, schrei ich noch einmal, aber Alex verschwindet hinter
einer Staubwolke. „ALEX HOL MICH ZURÜCK!“ Ich bekomme keine Antwort darauf. Weinend setzte ich mich
wieder auf die Rückbank. Roy legt seinen Kopf auf meinen Schoß. Warum tust du das, wenn du mich so lieb
hast, Dad? WARUM?
Seit zehn Stunden sitze ich im Flugzeug und habe Roy auf meinem Schoß, in einer extra Reisetasche sitzen. Ich
kraule ihn, zittere, habe einfach nur Angst. Roy gib mir die Kraft. Zeig mir, dass du mich brauchst. Halte zu mir.
Alle diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. Nach einigen Stunden Aufenthalt woanders, sitze ich nun im
Flieger und warte darauf, dass er landet. Ich weiß nicht, wo wir waren. Wie zur Bestätigung, dass er mich
versteht, leckt mir Roy die Wange ab. Ruth schaut alle dem entsetzt zu. Am Flughafen wurde mir erzählt, dass
ich nur eine Sache mit ins Flugzeug nehmen durfte. Ich habe mich sofort für meinen Hund entschieden. Ganz
brav sitzt er in seiner Tasche auf meinem Schoß und wärmt mich. Mir ist kalt. Ich will nach Hause! Liz und Harry
haben so was von versagt! Sie haben nicht um mich gekämpft! Und Alex und Nick? Die waren weg! Einfach
verschwunden! Erst als ich im Auto saß, kam Alex hinterher gerannt. Verdammt was soll dieser Mist? Ich gehöre
in kein Flugzeug und schon gar nicht nach Deutschland! Ich gehöre nach Drover´s Run, mein Zuhause!
„Sehr geehrte Reisende. In wenigen Minuten setzten wir zur Landung an. Wir bitten sie ihre Sitze in die richtige
Position zu bringen und sich anzuschnallen. Das Flugpersonal bedankt sich für ihren Aufenthalt und wünscht
ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Nürnberg.“
Ich wache auf. Alles nehme ich nur verschlafen wahr. Roy leckt mir das Gesicht ab, damit ich richtig wach werde.
Schnell schnalle ich mich an. Ich hasse Flugzeuge! Falls ich je wieder nach Hause darf nehme ich das Schiff!
Andererseits hasse ich Schiffe noch mehr. Ach verdammt diese Zwickmühlen. Das Flugzeug landet. Alles steht
auf. Ich bleibe sitzen.
„Steh auf!“
„Lass uns doch lieber warten bis es nicht mehr so ein Gedränge gibt.“, schlage ich Ruth vor.
Sie steht auf.
Ich bleibe demonstrativ sitzen.
Ruth sagt kein Wort, aber ihre Blick sagt alles.
Wie sehr ich Dad dafür hasse, dass er ihr das Sorgerecht für mich gegeben hat! Wenn ich sterbe kann er was
erleben. Langsam leert sich das Flugzeug und erst jetzt stehe ich auf. Roy winselt unruhig in seiner Tasche. Er
würde keine fünf Zentimeter von mir weichen. Mein Gepäck wird schnell gefunden – es ist nur eine Reisetasche.
Die nehme ich in die rechte Hand. Ruth eilt mir voraus. Ich habe Schwierigkeiten, ihr hinterher zu kommen. Roy
winselt, ich renne.
„Beeil dich Claire! Das Taxi wartet!“
Ich laufe nach draußen. Noch nie in meinem Leben habe ich ein so graues und kaltes Land wie Deutschland
gesehen. Ich setzte mich in das beige Auto, Roy springt aus seiner Tasche mir sofort auf den Schoß. Ruth legt
meine Tasche in den Kofferraum und los geht’s. Alles sieht so kalt aus, so hektisch.
Nachdem das Taxi noch mal drei Stunden gefahren ist, kommen wir vor einem Haus zum Stehen. Von den
ganzen drei Stunden standen wir zweieinhalb Stunden im Stau! Der Taxifahrer war genervt, Ruth massiert sich
seit wir die Fahrt begonnen haben die Schläfe und Roy wirkt unglücklich. Kein Wunder. Noch nie in seinem
Leben war er in der Stadt! Mir geht es nicht viel besser. Ich habe Angst. Kein einziger Baum war zu sehen, auf
einem Plakat wurden lila Kühe gezeigt. Auf einem anderen Plakat steht in gelben Buchstaben Ikea.
„Was ist das?“, will ich wissen.
Ruth schaut auf das Plakat. „Das ist ein Möbelhaus. Wenn du willst, können wir mal dahin. Dann kannst du dir
dein Zimmer einrichten.“
Verwundert schaue ich sie an. „Ein Bett, ein Schrank und eine Kommode. Mehr brauch ich nicht. Dazu muss
man in kein Möbelhaus fahren.“
Der Taxifahrer lacht.
Ich ignoriere diesen Affen. Schon beim Einsteigen nannte er mich Cowboy und erst als ich ihm klar machte, dass
ich eine Farm besitze, hat er sich beruhigt. Und das war gar nicht so einfach, denn er versteht kein Wort
englisch!
Jetzt stehen wir also vor dem Haus. Es ist gelb, hat zwei Etagen und einen Dachboden, einen kleinen Garten
und eine Garage. Die Tür geht auf und ein Mann kommt heraus. Hinter ihm kommt ein kleines Mädchen auf Ruth
zugelaufen. Es ist nicht Tess.
„Mom!“, ruft es begeistert und fällt Ruth in die Arme.
Ich gehe die Treppen zur Haustür hinauf, Roy folgt mir.
„Du bist also Claire.“, sagt der Mann und reicht mir die Hand. Ich schüttle sie.
„Ich bin Johannes. Ruth´s Mann.“ Ich verstehe kein Wort, will aber nichts dazu sagen.
Ruth kommt auch hinauf, mit der Kleinen auf den Arm. Sie übersetzt mir alles, was Johannes gerade gesagt hat.
„Und das ist unsere Tochter Sarah.“
Ich lächle Sarah zu und betrete das Haus. Roy ist mir dich auf den Fersen.
„Wie heißt der Hund?“, will Sarah wissen. Wieder muss Ruth übersetzen. Es geht mir ziemlich auf die Nerven.
„Roy.“, antworte ich knapp und schaue mich um. Der Flur ist mit warmen Rottönen gestrichen, einige Bilder
hängen an den Wänden. Eines davon ist das Bild von Drover´s Run. Mir steigen Tränen in die Augen.
„Komm ich zeig dir dein Zimmer.“, sagt Ruth und geht die Treppe nach oben.
Ich folge ihr, Roy geht bei Fuß neben mir her. Das Zimmer ist am Ende des Ganges. Es ist weiß, ein Bett steht
darin, ein Schrank und eine Kommode. „Du kannst deine Sachen hier einräumen und dann kannst du dich etwas
frisch machen. Dein Bad ist gleich hier.“, erklärt Ruth und zeigt mir, dass ich noch nicht mal das Zimmer
verlassen muss, um ins Bad zu gelangen.
Ich nicke und warte bis sie draußen ist. Roy schaut sich um. Er springt aufs Bett, legt sich hin und schließt die
Augen. Ich schaue mir das Bad an. Ein frisches Handtuch und ein Badetuch liegen für mich bereit. Ich springe
unter die Dusche, lass mir das Wasser auf meinen Rücken brausen. Nachdem ich mich abgetrocknet habe,
schlüpfe ich in meine Sachen und lege mich aufs Bett. Roy kommt zu mir gekrochen, legt seinen Kopf auf
meinen Bauch. Ich kraule ihn abwesend hinterm Ohr und schließe die Augen. Ich sehe Drover´s Run, Alex und
Nick, Meg und Jodi. Harry und Liz. Wir gerne wäre ich wieder zu Hause.
Jemand klopft an die Tür. Ich antworte nicht. Die Tür geht auf, erst jetzt öffne ich die Augen. Es ist die Kleine.
Sarah glaub ich, heißt sie. Sie setzt sich zu mir aufs Bett und streichelt Roy.
„Soll ich dir das Haus zeigen?“, fragte sie. Ihre Stimme ist hell. Ich schau sie genauer an. Ruth kommt dazu,
muss wieder übersetzen.
„Du hast die Augen von Tess.“, bemerke ich.
„Wer ist Tess?“
„Na deine Schwester.“, sagt Ruth.
„Ach sie meinst Teresa? Sie ist nur meine Halbschwester.“, sagt Sarah. Ruth erklärt mir schnell, was erzählt
wurde.
„Ja meine auch.“
„Und sind wir auch Schwestern?“
„Nein. Wir haben nicht die gleichen Eltern.“, erkläre ich. „Das übersetzt Ruth nur ungern, aber sie tut es.
„Aber Mom hat dich doch geholt.“
„Ja aber nur, weil sie das Sorgerecht für mich hat. Meine Eltern sind tot.“
„Beide?“, fragt Sarah.
Ich nicke nur. Roy legt sich auf den Rücken. „Du sollst ihn seinen Bauch streicheln. Das mag er.“, erkläre ich
Sarah. Eigentlich erklärt es Ruth. Ich muss sehr schnell diese Sprache lernen, alles klingt so fremd.
Richtig begeistert ist sie. „Roy ist ein schöner Name. Wer hat ihn denn so genannt?“
„Mein Kumpel Nick.“
„Und wo wohnt der?“, will Sarah wissen.
„In Australien.“
„Aber woher kennst du ihn denn?“
„Er war mein Nachbar. Ich hab auch in Australien gewohnt. Hast du ihr das nicht erzählt, Ruth?“, will ich wissen.
„Ruth sagt nichts.
Sarah schüttelt den Kopf, anscheinend hat sie verstanden. „Nein. Sie hat nur zu Tess gesagt, dass sie ihre
Schwester abholt.“, erklärt Sarah. Ruth übersetzt dies zwar, aber sie sieht immer unglücklicher aus.
Das ist ja mal wieder typisch für Ruth. Ich schweige.
„Soll ich dir mein Zimmer zeigen?“, fragte Sarah in die Stille hinein.
Ich gähne. „Später Sarah, okay? Ich bin ziemlich müde. Die Reise war anstrengend und ich will schlafen.“
Sarah nickt du springt vom Bett runter.
„Wann kommt denn Tess?“, frag ich noch. Aber Sarah zuckt nur mit den Schultern.
„Sie kommt wann sie will.“, erklärt sie beim Hinausgehen. Ruth übersetzt wieder alles, dann bin ich allein.
Tess ist also ein richtiger Stadtmensch geworden. Dad hat immer erzählt, dass Stadtmenschen immer nur dann
nach Hause kommen, wann sie wollen. Ich persönlich hätte viel zu viel Angst um mein Kind, wenn ich nicht
wüsste, wann es nach Hause kommt. Aber es ist ja Ruth´ Entscheidung und ich mische mich da nicht ein. Ich
drehe mich auf den Bauch. So kann ich an besten schlafen. Roy legt sich auf meinen Rücken. Er zieht die Decke
etwas höher, damit ich zugedeckt bin. Dann legt er sich neben mich und zusammen schlafen wir und träumen
von Drover´s Run. Wir träumen von den Schafen und Rindern, von den Pferden und den Wildkaninchen. Und ich
sehe Alex, der davon reitet.
Als ich wieder aufwache ist es dunkel. Im ersten Moment weiß ich nicht wo ich bin und rufe: „Meg?“ Aber Meg
kommt nicht. „Alex? Nick?“ Aber auch die zwei kommen nicht. Ich bekomme Angst. Wo bin ich? Die Tür geht auf,
ich erkenne nicht sofort wer reinkommt.
„Oh endlich, bist du da. Oh Claire, ich hab dich so vermisst!“, höre ich eine bekannte Stimme und dann fällt mir
die Person um den Hals. Es ist Tess und auf einmal weiß ich wieder wo ich bin.
Ich drücke meine kleine Schwester an mich. Irgendwie bin ich froh, sie wieder zu sehen.
„Tess! Wo warst du so lange?“, wollte ich wissen.
„Ach ich war dann nach der Schule noch einkaufen. Aber erzähl, wie geht’s dir?“
Ich zucke mit den Achseln. Wie soll’s mir schon gehen? Ich bin in einem fremden Land und will nach Hause!
Aber das sage ich natürlich nicht.
„Komm mit ich führ dich durchs Haus.“, meint sie und zieht mich aus dem Bett.
„Roy komm.“, rufe ich, aber Roy ist weg.
„Wo ist Roy?“, will ich wissen. Ich renn die Treppe hinunter, ohne auf Tess Ruf zu achten. Ich renne ins
Wohnzimmer. Roy liegt vor dem Kamin und lässt sich von Sarah streicheln.
„Roy hierher“, befehle ich. Sofort kommt Roy zu mir. „Guter Hund.“, lobe ich ihn, will mich umdrehen und wieder
zu Tess gehen, aber Ruth sagt: „Er kann ruhig hier bleiben, Sarah hat ihn schon richtig lieb gewonnen.“
Ich drehe mich wieder um und antworte: „Das mag ja alles sein, aber Roy gehört zu mir und wenn ich nach ihm
rufe, hat er zu kommen. Noch dazu sollte sie sich nicht so sehr an ihn gewöhnen, denn ich bin so schnell wie
möglich wieder zu Hause“ Ohne auf einen Gegenkommentar zu warten, laufe ich wieder zu Tess, Roy folgt mir.
„Das ist deiner?“, fragte Tess.
Ich nicke.
„Dad hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt. Übrigens … danke für die Karte.“
„Ich hatte ganz ehrlich gehofft, du würdest zurück schreiben.“, gestand Tess.
„Ich hatte zu viel zu tun. Tut mir leid.“
Tess lächelte. Sie zeigte mir das Schlafzimmer, welches mich überhaupt nicht interessierte. Dann ging sie in
Sarahs Zimmer. Es war pink! Von oben bis unten war es pink! Ein richtiges Mädchenzimmer eben, mit Spiegel
und Kommode. Auf der Kommode standen Lippenstift und der andere Kosmetikkram.
„Wie alt ist Sarah noch mal?“, wollte ich wissen.
„Sie ist sieben. Eine richtige Tussi ist sie auch.“ Ich schaue Tess an. Auch sie ist geschminkt.
„Und du wohl nicht?“, frage ich zum Scherz. Tess grinst, sagt aber nicht.
„Das Bad kennst du ja schon. Ich zeig dir mein Zimmer.“
Es ist nicht pink oder rosa, aber gelb und rot. Die Möbel sind aus Holz. Über Tess´ Bett ist ein Himmel und in
diesem Himmel hängen viele Sachen. Ein Bumerang, ein Seil, eine Reiterkappe und ein Bild. Ich schaue mir das
Bild an und erkenne es sofort wieder. Es ist unser Bild, welches auf Drover´s gemacht wurde, als ich neun war.
Ich habe auf dem Bild meinen ersten Cowboyhut auf und Tess grinst in die Kamera. Ich muss lächeln.
„Meins ist zu Hause.“, erkläre ich Tess, die mir eine Hand auf meine Schulter gelegt hat. Schnell wische ich mir
eine Träne aus dem Auge.
„Er fehlt dir was?“, fragt sie mich.
Ich denke an Alex und nicke.
„Mir fehlt Dad auch.“
Ich bekomme Schuldgefühle. Dad fehlt mir eigentlich überhaupt nicht. Am meisten fehlt mir Alex.
Roy legt sich vor Tess´ Bett.
Sie lächelt. „Anscheinend findet er das Zimmer sehr gemütlich.“, meint sie.
Ich nicke. „Es ist schön.“
Tess nimmt meine Hand. „Komm ich zeig dir mein zweites Zimmer.“, sagt sie und zieht mich mit nach draußen.
„Du hast noch eins?“, frag ich verwundert.
Sie nickt. Wir gehen bis zum Ende des Ganges. Links würde es zu meinem Zimmer gehen, rechts ist eine
Rumpelkammer. Zu der geht Tess und holt einen langen Stock heraus. Der Stock hat vorne einen kleinen Haken.
Tess geht wieder zur Mitte des Ganges und erst jetzt erkenne ich die Luke in der Decke. Sie macht die Luke auf
und eine Leiter kommt herunter. Sie klettert die Leiter hoch, ich folge ihr und sogar Roy schafft es nach oben.
Oben ist eine Tür und Tess holt einen Schlüssel aus ihrer Tasche. Sie öffnet die Tür und wir betreten ihr zweites
Zimmer. Sofort fühle ich mich wie zu Hause! Alles ist genau so wie auf Drover´s. Die Schränke, das Bett. Ich
erkenne es sofort wieder. Es ist Tess´ altes Kinderbett. Viel zu groß für ein Kind. Aber wenn es Gewitter gab
lagen wir immer zusammen im Bett. In der Ecke erkenne ich ein Didgeridoo.
„Weißt du noch, wie Dad uns immer darauf vorgespielt hat?“
Ich nicke. „Als ihr weg wart, hab ich es immer gesucht. Ich dachte, Dad hätte es verbrannt.“
Tess lächelt. „Ich hab´ s mitgenommen. Obwohl ich nie darauf spielen konnte.“ Sie setzt sich aufs Bett, auf dem
schon Roy liegt.
Ich setzte mich neben sie.
„Aber ich weiß, dass du darauf spielen kannst.“
Ich lächle. „Nein, kann ich nicht.“, protestiere ich.
„Natürlich. Dad hat es dir beigebracht.“
„Aber das war vor so vielen Jahren. Und außerdem war es weg. Ich konnte nicht mehr üben und ich hab´ s
verlernt.“, konterte ich.
„Was man einmal kann, dass kann man immer. Fahrrad fahren kannst du ja schließlich auch.“
„Nein, ich kann nur reiten. Ich hab nie Fahrradfahren gelernt.“
Tess grinst. Sie reicht mir das Didgeridoo.
Etwas verlegen nehme ich es in die Hände und versuche zu spielen. Nichts passiert. Kein Ton kommt heraus.
„Siehst du. Ich kann es nicht mehr.“
„Ach du musst nur üben.“, meinte Tess und legt sich aufs Bett.
Ich lege das Didgeridoo zur Seite und kraule Roy am Kopf.
„Wie ist er gestorben?“, fragt Tess plötzlich.
„Der Arzt sagt, dass es ein Herzanfall war.“, erkläre ich ihr.
„Was ist passiert?“
Ich schaue zu Boden.
„Dad und ich haben uns gestritten. Ruth hat einen Brief geschrieben indem steht, dass ich hierher sollte. Ich
wollte davon nichts hören. Ich wollte sie nie wieder sehen, verstehst du?“
Tess schüttelt den Kopf. „Nein, tu ich nicht.“, gesteht sie.
„Das hat nichts mit dir zu tun Tess, ehrlich. Aber Dad war nach der Scheidung so fertig. Ich hab mit ansehen
dürfen, wie meine Familie zerbricht, während sich Ruth eine neue aufbaut. Ich wollte den Brief nicht lesen, den
sie uns geschrieben hat. Dad ist dann ausgeritten und nicht mehr wieder gekommen. Da bin ich los und hab ihn
gesucht.“
Ich zittere am ganzen Körper, während ich weiter erzähle: „Ich hab ihn in einem alten Schuppen gefunden. Er hat
mir nur noch gesagt, dass Ruth will, dass ich zu ihr komme. Und dann hat er noch gesagt, dass er mich lieb hat.“
Tränen laufen mir wie verrückt über mein Gesicht und tropfen zu Boden. Mir ist so kalt.
Tess hält mich im Arm.
„Ich will nach Hause!“, schluchze ich.
Tess sagt nichts dazu.
Ich verschweige ihr, dass Alex mich gefunden hat, dass er die ganze Nacht bei mir war. Ich kann mich ja selbst
nicht daran erinnern.
„War seine Beerdigung wenigstens schön?“
Ich nicke. „Er liegt bei meiner Mutter und meinem Bruder.“ Dann kann ich nichts mehr sagen und weine nur noch.
Und die ganze Zeit ist Tess bei mir und hält mich. Und die ganze Zeit wünsche ich mir, dass Alex mich hält.
Die nächsten zwei Wochen habe ich keine Schule. Ruth arbeitet und Sarah ist in der Schule, genau wie Tess.
Gleich am Tag nach meiner Ankunft hatte mich Tess mit zu einem Schlosser geschleift und hatte den Schlüssel
ihres zweiten Zimmers nachmachenlassen. Dahin hab ich mehrere Male verkrochen. Besonders dann, wenn
Johannes irgendetwas von mir wissen wollte. Dort lerne ich deutsch, indem ich Zeitschriften lese oder Radio
höre. Oder Tess erzählt mir alles auf deutsch, anstatt auf englisch. Deutsch ist ganz schön schwer, aber so
langsam beherrsche ich die Sprache ganz gut.
Ich sitze mit Roy im Garten, wie verrückt jagt er ein paar Vögel. Er ist hyperaktiv, manchmal sogar aggressiv und
ich brauche dringend eine Beschäftigung für Roy. Johannes kommt auf die Veranda. Ich sitze auf einem Stuhl
und schaue Roy kopfschüttelnd zu.
„Was ist denn?“, will Johannes sofort wissen.
Es dauert ein bisschen, biss ich alles übersetzt habe, aber dann antworte ich: „Er macht mir Sorgen. Gestern hat
er Sarah angeknurrt.“
„Dann gehört er ins Tierheim.“, sagt Johannes bestimmt.
„Wenn du das tust, dann kannst du mich gleich mit ins Tierheim stecken!“, fauche ich ihn an, auch wenn ich das
Wort ´Tierheim´ nicht sofort verstehe.
„Hör zu Claire ich weiß echt nicht, was ich dir getan habe, aber du solltest versuchen etwas netter zu mir zu
sein.“
„Und warum sollte ich das tun? Ich werde mich nie an diese Umgebung und an die Menschen gewöhnen.“
„Warum willst du es nicht mal versuchen?“, will Johannes wissen.
„Weil ich nicht lange hier bleiben werde!“ Roy kommt zu mir.
Johannes ruckt näher zu mir heran. „Woher bist du dir da so sicher?“
„Ich habe Freunde, die alles versuchen werden, um mich so schnell wie möglich wieder nach hause zu holen.“
Als ich das sage, ist Johannes noch etwas näher an mich herangekommen. Roy knurrt ihn an und fletscht die
Zähne.
„Wenn du mir noch näher kommst, werde ich Roy sagen, dass er dich angreifen soll.“
„Ist das eine Drohung?“
„Nein!“, ich stehe auf, will ins zweite Zimmer. Ich drehe mich noch einmal um „Das ist ein Versprechen!“ Dann
lasse ich Johannes stehen und laufe hinauf. Als ich oben angekommen bin, schließe ich das Zimmer zu, lasse
den Schlüssel stecken, aber untern knallt jemand gegen die Tür und der Schlüssel fällt raus. Ich werfe mich aufs
Bett. Ich beginne zu weinen. Verdammt was ist nur los mit mir? Warum heule ich so oft? ALEX!!! Hol mich hier
raus! Ich schlafe ein, da Roy neben mir auf dem Bett liegt. Ich träume wie immer von Drover´s. Und von Alex.
Oh Alex wie ich dich vermisse…
Irgendjemand legt eine Hand auf meine Schulter. Ich schrecke auf und sehe in Tess´ Gesicht.
„Johannes ist etwas sauer. Er sagte, du hättest ihn Roy auf den Hals gehetzt.“
„Beinahe. Er ist mir ein wenig zu nahe gerückt. Und er will Roy ins Tierheim stecken!“, erkläre ich empört.
„Nun ja … Roy ist etwas misstrauisch uns allen gegenüber. Vielleicht währ das besser für uns alle.“, meinte Tess.
„Ich hoffe doch, dass ich mich verhört habe?!“, empöre ich mich.
Tess sagt nichts.
„Er braucht eine Aufgabe das ist alles! Roy dreht durch ohne eine Arbeit. Und mir geht’s genauso!“
„Ich hab mit Mom gesprochen. Hier in der Nähe gibt es einen Agility Club. Vielleicht meldest du dich und Roy dort
an.“; schlägt Tess vor.
„Was für ein Club?“
„Es ist ein Club für Hundehalter. Die machen da richtige Hindernisläufe mit ihren Hunden. Weißt du hier halten
sich viele Leute Hunde, die eigentlich als Arbeitshunde eingesetzt werden. Und damit die Hunde nicht
durchdrehen, gehen die Halter mit ihnen zum Agility.“
„Kennst du nicht irgendeinen Bauern, der einen Hütehund braucht?“
Tess lacht. „Nein, so was gibt’s hier nicht.“
Wir gehen hinunter.
In meinem Zimmer wartet Ruth auf mich.
„Morgen gehst du in die Schule.“, erklärt sie nur.
„Und was ist dann mit Roy?“, frage ich.
„Das ist dein Hund. Also kümmere du dich um ihn.“
„Okay.“
Ruth verlässt das Zimmer, ich schließe die Tür. Dennoch höre ich Johannes schreien: „Ich will eine
Entschuldigung!“ Tess sitzt auf meinem Bett. Ich reiße die Tür auf und schreie hinunter: „ICH EBENFALLS!!!“
Dann knalle ich die Tür zu und schaue Tess an.
„Wie kommst du eigentlich mit ihm aus?“
Tess zuckt die Schultern. „Gar nicht. Was glaubst du, warum ich da oben noch ein Zimmer habe?
Ich schließe die Augen. „Kannst du mir das Telefon bringen?“
Tess schüttelt den Kopf. „Warte bis alle schlafen. Ich gebe dir dann meins.“
„Tess, ich will zu Hause anrufen.“, erkläre ich ihr.
Tess nickt. „Ich weiß. Ich habe mein Handy auf 50 Euro aufgeladen. Telefoniere so lange du willst.“
Ich umarme Tess und fange an zu weinen. „Oh Tess du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet.“ Ich spüre, wie
sie mich fest an sich drückt.
„Doch ich weiß es.“
Um 23 Uhr schlafen alle tief und fest. Ich nehme das Handy in die Hand und schau drauf. Vollen Empfang! Gott
sei dank! Ich wähle die Vorwahl von Australien, dann die Vorwahl von Alex und schließlich seine Nummer. Es
klingt vier Mal, dann geht jemand ran.
„Hallo?“
„Harry?! Ich bin’s Claire!“
„Claire? Was ist los? Wo bist du? Warum meldest du dich erst jetzt?“
„Harry hör mir zu. Ihr müsst mich hier rausholen. Ich drehe hier langsam durch und die wollen Roy ins Tierheim
stecken. Harry will nach Hause!“
„Claire hör mir zu. Du musst durchhalten. Ich bin natürlich nicht tatenlos gewesen. Ich habe mit dem Jugendamt
gesprochen. Die Chancen, dass du bald wieder nach Hause kommst, stehen ganz gut.“
Ich atme erleichtert auf. „Hab ich euch geweckt?“
„Nun ja es ist hier gerade 12 Uhr und wir essen zu Mittag.“
Ich muss lachen. „Kann ich Alex sprechen? Und Nick und Liz? Ich will sie alle hören. Ich muss irgendwie
durchhalten. Harry hier ist es einfach furchtbar.“ Ich höre ihn lachen. Ich höre wie er den Hörer weiterreicht.
„Claire?“
Alex! Meine Knie werden weich. „Alex? Hey…“ Ich muss lächeln, während er mir irgendetwas erzählt. Ich habe
die Augen geschlossen und stelle ihn mir vor. Besonders seine braunen Augen, in die ich hineinfallen möchte.
„Wie ist denn das Essen dort?“, höre ich ihn fragen.
„Furchtbar. Die Milch ist eklig, die schmeckt gar nicht nach Milch. Und die Leute hier denken, dass es lila Kühe
gibt! Es ist einfach alles furchtbar. Alex hol mich hier raus! Bitte.“ Ich telefoniere fast eine halbe Stunden mit allen,
bis schließlich das Signal kommt, dass das Guthaben gleich verbraucht ist.
„Ich muss Schluss machen. Das Geld geht mir aus.“ Bevor jemand noch etwas sagen kann, drücke ich den
„Auflegen“-Knopf. Ich zittere am ganzen Körper. Mir ist kalt und ich bin dem Weinen nahe. Draußen beginnt es
zu gewittern. Ich weiß, dass Tess immer oben schläft und abschließt, den Schlüssel aber nicht stecken lässt.
„Roy komm.“, flüstere ich. Gemeinsam klettern wir die Leiter nach oben. Ich schließe die Tür auf.
„Claire?“, höre ich Tess flüstern. Ihre Stimme klingt ängstlich.
Ich muss lächeln. Leise schlüpfe ich zu ihr ins Bett, während sich Roy auf das Fußende legt.
Sie dreht sich zu mir um. „Du hast geweint.“, stellt sie fest.
Ich schüttle den Kopf. „Beinahe.“, erkläre ich.
„Warum?“
„Weil ich so glücklich bin. Ich danke dir von ganzen Herzen Tess, dass ich anrufen durfte.“
Sie legt ihre Hand auf meine Schulter.
„Weißt du noch was Dad uns immer erzählt hat, als es geregnet hat?“, frage ich meine kleine Schwester, nach
ein paar Minuten Stille.
Tess muss lange überlegen, ehe sie antwortet: „Er sagte, dass der Regen uns immer eine Geschichte aus
fremden Ländern mitbringt… glaubst du, dass er uns etwas aus Australien erzählt?“
Ich nicke. „Lass uns die Augen schließen und hören.“ Bevor ich meine Augen schließe, lege ich auch meine
Hand auf die Schulter. Dann schlafe ich zufrieden ein.
Meine innere Uhr weckt mich um fünf Uhr morgens. Ich ziehe mich leise an, gebe Roy ein Zeichen mir zu folgen
und verlasse das Haus. Ich gehe in den Park und lasse Roy dort frei laufen. Mitten im Park sehe ich auf einmal
Schafe! Ich reibe mir verwundert die Augen. Träum ich? Ich träume nicht, nur ein Paar Meter entfernt steht ein
Bauer mit seinen Schafen mitten in einem Stadtpark. Der Mann schüttelt nur den Kopf, er wirkt etwas verzweifelt.
Ich gehe zu ihm, denn mir kommt da eine Idee.
„Guten Morgen.“, grüße ich.
„Morgen.“, knurrt der Mann. Er schaut hinunter auf den Boden. Ich folge seinem Blick. Auf dem Boden liegt ein
Hund – tot.
„Ist das ihrer?“, frage ich.
Der Bauer nickt. „Er war mein Schäferhund. Eine gute Seele. Einfach so umgekippt. Mitten in der Arbeit.“
Ich lächle: „Ist doch ein schöner Tod für das Tier. Bei der Lieblingsbeschäftigung sterben.“
Der Bauer nickt.
„Wohnen sie weit von hier?“, will ich wissen.
„Nein nein. Nur eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt, allerdings jetzt ohne Hund wird’s schon länger dauern.“
„Ich leih ihnen meinen Hund. Roy komm her.“ Roy kommt sofort zu mir gerannt und setzt sich brav neben mich.
„So ein Hund ist mir noch nie begegnet.“, gesteht der Bauer.
„Roy ist ein Australien Kelpie. Der beste Arbeitshund den es gibt.“, erklär ich.
„Und der soll meine Schafe zu meinem Hof schaffen ja?“, fragt mich der Bauer.
„Ich hab ihn selbst ausgebildet.“
Der Bauer schaut mich skeptisch an. „Sag bloß du hast auch einen Hof.“
„Nein ich habe eine Farm in Australien. Noch vor knapp einem Monat hab ich dort gelebt.“ Ich bin überrascht wir
gut ich die Sprache inzwischen beherrsche. Ich freue mich richtig.
„Was ist dann passiert?“
„Mein Dad ist gestorben. Das ist passiert.“
Der Bauer nickt. „Ich mach dir ein Angebot. Du begleitest mich zum Hof. Und wenn Roy bis dahin meine Schafe
zusammengehalten hat, sehen wir weiter.“ Er reicht mir seine Hand.
„Wenn Roy ihre Schafe zusammengehalten hat werden sie ihn übernehmen. Und ich darf sie besuchen kommen
und ihnen helfen. Das Stadtleben ist nichts für mich.“
Der Bauer lacht. „Okay. Wir kommen ins Geschäft. Aber du musst Roy immer am Abend abholen und ihn mir um
5 raus bringen. Ist das Okay?“
Ich nicke und schüttle seine Hand.
„Roy halte die Schafe zusammen. Lauf!“ Roy rennt los. Er ist wieder in seinem alten Element. Und ich? Ich habe
in Jakob, so heißt der alte Bauer, einen guten Freund gefunden. Wir können uns einfach wunderbar über die
Landwirtschaft unterhalten oder einfach über das Farmerleben.
Am Abend renne ich aus dem Haus.
„Claire! Warte. Wo willst du hin?“, will Tess wissen, die mir hinterher rennt.
Ich bleibe kurz stehen, damit sie zu mir aufholen kann, dann gehe ich weiter. „Ich hole Roy ab.“
„Wo war er überhaupt?“
Ich muss lächeln. „Bei einem Bauern.“
Tess schaut mich verwirrt an. „Wie bitte?“
„Ja, ich habe heute früh einen Bauern getroffen. Ihr nennt das doch Bauer oder?“
Tess nickt.
„Ich habe ihn Roy ausgeliehen, weil sein Hund gestorben ist.“ Während ich weiter erkläre gehen wir weiter. Als
wir am Hof ankamen, kam Roy auf mich zu gerannt.
„Hey mein großer. Na hat dir die Arbeit gefallen?“
Jakob kam auf mich zu.
„Das ist meine kleine Schwester Tess.“, erkläre ich ihm. Er reicht ihr die Hand und schüttelt sie.
„Und? Wie war er?“, will ich wissen, während ich Roy streichle.
Jakob schaut zufrieden aus. „Er war super. Ich will dir ein Angebot machen.“
„Und welches?“
„Das können wir doch drinnen besprechen. Habt ihr Hunger? Wir sind gerade beim Abendessen. Ihr könnt gerne
mitessen.“, schlägt er uns vor.
„Gern!“, sage ich, bevor Tess etwas dagegen sagen kann. Mit einer Handbewegung weißt uns Jakob an, ihm zu
folgen. Wir gehen mit ins Haus und setzen uns mit zu seiner Familie.
„Dir gehört also der Superhund?“, will Jonas, der Sohn von Jakob, wissen.
Er geht mit mir in eine Klasse, aber ich habe mit niemanden geredet. Ich nicke.
„Wie bist du zu so einem Hund gekommen?“, will Jonas wissen.
„Mein Dad hat ihn mir zum 15 Geburtstag geschenkt.“, erkläre ich.
„Was macht dein Dad denn beruflich?“, will Rosa, Jakobs Frau wissen. Ich schweige.
„Unser Dad ist vor einigen Monaten gestorben.“, erklärt Tess und fährt fort: „Er war Farmer, genau wie Claire.“
Ich schau sie an. Sie lächelt mir zu. Ich muss zurücklächeln.
„Aber du wohnst ja schon seid mehreren Jahren hier.“, meint Jonas.
„Ja meine Mom und ich wohnen hier, seid ich acht bin.“, erklärt Tess.
„Davor haben wir in einer Stadt in Australien gewohnt. Ich meine davor haben wir auch auf Drover´s gelebt.“
„Drover´s?“ Alle schauen uns verwirrt an.
„Unsere Farm. Drover´s Run. Dad hat sie uns beiden hinterlassen.“, erkläre ich.
„Dann gehst du zurück sobald du volljährig bist?“, fragt Rosa.
Ich nicke.
„Warum bist du überhaupt hier?“, will Jonas wissen.
„Ruth hat das Sorgerecht für mich bekommen.“, erkläre ich und meine Stimme ist gepresst. Es war still. „Also
was für ein Angebot wollten Sie mir machen?“, frage ich, nur um wieder etwas zu sagen.
Jakob sah mich an.
„Ich will dich dafür bezahlen, dass du mir Roy ausleihst. 20 Euro pro Tag.“
Ich verschlucke mich mit an meinem Wasser. „20?“
Jonas grinst.
Jakob nickt. „Unter einer Bedingung.“
„Und welche?“, will ich wissen.
„Nach der Schule wirst du uns hier auf dem Hof helfen.“
„Nach der Schule mach ich Hausaufgaben und dann komme ich hierher und helfe. Und am Abend gehe ich mit
Roy nach Hause. Am nächsten Tag bringe ich ihnen Roy punkt fünf Uhr auf den Hof und nach der Schule helfe
ich wieder.“
Jakob nickt.
Ich überlege kurz. Ich höre Hühner gackern und Pferde wiehern.
„Ich habe auch eine Bedingung.“
„Und welche ist das?“
„Ich möchte meine Reitkünste nicht verlernen.“, erkläre ich.
„Unsere Pferde sind wild.“, meinte Jonas nur.
„Um so besser.“
„Kannst du denn so gut reiten?“, fragte Jonas.
Es ist eine Herausforderung.
„Claire hat Rodeos gewonnen.“, meinte Tess. Aus ihrer Stimme höre ich heraus, dass sie es auch als
Herausforderung gehört hat.
„Das will ich sehen!“, meinte Jonas und stand auf.
Auch Tess war aufgesprungen, genauso wie ich. Wir folgen Jonas zu den Ställen. In einer Box tänzelt ein Hengst
aufgeregt hin und her.
„Na los. Beruhige ihn wenn du so gut bist! Ich gebe dir 40 Euro, wenn du mit ihm galoppieren kannst.“ Ich gehe in
die Box. Das Pferd schaut mich an. Ich drehe mich um und schaue Tess an.
„Was ist?“, will sie wissen.
„Gar nichts. Lass mich nur machen.“ Schon nach wenigen Minuten kam der Hengst auf mich zugetrottet.
Langsam, ganz langsam kommt er näher. Er will wissen, was ich da tue. Ich drehe mich um und gebe ihm ein
Zuckerstückchen.
„Wie heißt er?“, will ich wissen.
Jonas schüttelt den Kopf. „Er hat keinen Namen. Geb du ihn einen. Sag den ersten Namen, der dir einfällt.“,
verlangt er.
„Siroccoo!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.
Tess schaut mich fragend an. Klar, sie kennt Dads Pferd nicht. Jonas nickt. Ich drehe mich zu Siroccoo um.
„Hallo Siroccoo.“, sage ich sanft und streichle ihn über die Mähne. Ich lege beinahe meinen Kopf in seine Mähne.
Mir kommen die Tränen.
„Das gibt es nicht.“, meinte Jonas.
„Schau nur wie ruhig er ist.“, höre ich Jonas zu Tess sagen. Sie nickt nur.
„Wo ist der Sattel?“, will ich wissen, bevor ich anfange zu heulen.
„Da drüben.“, meint Jonas, geht los und gibt mir den Sattel.
Ich sattle Siroccoo und führe ihn nach draußen. „Komm mit mein Guter. Bist ein Braver nicht wahr?“ Draußen
angekommen schwinge ich mich auf den Rücken des Pferdes. Es wird nervös.
„Ganz ruhig Siroccoo. Brav, brav sein. Bist ja mein Guter.“ Siroccoo wird wieder ruhig. Ich trabe mit ihm über den
Hof.
Jonas klappt der Mund auf.
„Okay mein Guter. Bist du bereit? Dann LOS!!!“ Ich gebe ihm die Sporen und Siroccoo rennt wie ein verrückter
los. Ich reite wie schon lange nicht mehr. Es ist ein wunderbares Gefühl. Ich vertraue Siroccoo voll und ganz.
Und ich merke, dass er dass spürt. Denn obwohl er rennt, setzt er seine Hufen ganz vorsichtig und konzentriert
ab. Ich reite über ein Feld und lenke ihn langsam zurück zum Hof. Wir kommen auf den Hof galoppiert. Langsam
geht Siroccoo in Trapp über und dann in Schritt, dann kommt er zum Stehen.
Jonas schafft es nicht mehr seinen Mund zu zumachen.
Tess applaudiert begeistert. „Hurra! Claire du bist super. Ich hab gewusst, dass du es schaffst.“
Jonas hatte mir zwei 20-Euro-Schein in die Hand gedrückt.
Jetzt laufe ich mit Tess und Roy nach Hause.
„Du warst einfach super. Jonas ist aus dem Staunen nicht mehr hinausgekommen. Oh Claire ich hab gewusst,
dass du es schaffst.“, begeistert Tess sich nun schon den ganzen Weg.
Ich grinse. Wie sehr ich Tess vermisst habe. Ich reiche Tess einen Schein. „Hier.“
Tess nimmt den Schein, ziemlich perplext. „Für mich?“
Ich nicke.
„Aber warum?“
„Weil du an mich glaubst. Weil du meine kleine Schwester bist.“
Wir laufen schweigend nebeneinander her.
Plötzlich sagt Tess: „Du Claire? Warst du eigentlich mal wieder am Brunnen?“ Ich bleibe stehen und weiß nicht
was sie von mir will. Brunnen? Ich schaue in Tess´ Augen. Da fällt es mir wieder ein. Es war einige Tage, bevor
Ruth mit Tess anscheinend für immer von mir ging. Wir wollten Tess´ Puppe verstecken, damit Tess bei mir
bleiben konnte. Aber Dad hatte uns erwischt und uns so sehr verschreckt, dass wir die Puppe fallen ließen. Sie
fiel in den Brunnen. Dad hatte den Brunnen dann zugehämmert. Und Tess´ Puppe? Die war immer noch da
unten.
„Annabell!“, schießt es aus mir heraus.
Tess nickt. „Mir war der Name entfallen.“, gesteht sie.
Ich muss den Kopf schütteln.
„Tut mir Leid Tess. Aber als ihr dann weg wart, stand ich jeden Tag am Tor und hab auf dich gewartet. Und am
Abend hat mich Meg rein geholt. Am nächsten Tag stand ich wieder am Tor. Das ging ungefähr einen Monat so.
Und dann wurde es mir klar. Du kommst nicht mehr zu mir zurück.“
Tess war mir in die Arme gefallen und weint.
Ich drücke sie an mich. Mein kleine Schwester und ich waren wieder vereint. Etwas Besseres konnte es nicht
geben.
Zu Hause angekommen schlossen wir uns in mein Zimmer ein. Ich lief ins Bad. Ließ Wasser in die Wanne
laufen. Ich sah mich im Bad um, mir fiel auf, dass viel mehr Badetücher hier waren, als ich brauche.
„Hey Tess. Willst du mitbaden? So wie früher beim Badetag?“
Tess kommt ins Bad. „Wie bitte?“
„Hast du das etwa auch vergessen?“, wundert es mich.
Tess nickt.
Während das Wasser in die Wanne läuft, setzte ich mich auf den Rand und erzähle:
„Einmal in der Woche war doch Badetag. Und früher haben wir immer zusammen gebadet. Zu unserer Freude.
Aber Ruth war immer wütend, weil wir das meiste Wasser auf den Boden geschüttet haben.“
Tess muss lachen, anscheinend fällt es ihr wieder ein. „Dads Boot. Weißt du noch?“, fragt sie mich.
„Natürlich!“ Dad hatte uns extra ein Boot für den Badetag gebaut. Wir hatten es allerdings demoliert, als wir zu
wild in der Badewanne waren.
Ich hatte mich ausgezogen, nur noch in einem Badetuch gewickelt, setze ich mich wieder auf den Rand.
„Dad war richtig traurig, wegen dem Boot. Und Ruth hat uns angeschrieen.“, sagt Tess.
Ich bin überrascht. „Ruth?“
Tess grinst mich an und ehe ich irgendetwas sagen kann, schubst sie mich in die Wanne.
Ich schreie auf. Roy kommt ins Bad gerannt. Tess lacht, Roy bellt und ich sehe aus, wie ein begossener Pudel.
Tess lacht nur noch.
„Na warte.“, meine ich und spritze Tess nass. Sie kommt näher, will mich auch wieder nassspritzen, doch da
ergreife ich einfach ihre Hand und ziehe meine kleine Schwester mit ins Wasser. Lachend sitzen wir in der
Wanne.
Es klopft an der Tür. „Alles in Ordnung bei euch?“, ruft Ruth.
„Klar ist alles in Ordnung.“, rufe ich zurück.
„Dann lasst mich rein.“
„Geht nicht, Mom. Wir baden.“, erklärt Tess laut genug, damit Ruth es hört.
„WAS?!“ Wir antworten nicht darauf, sondern lachen nur noch mehr.
Nach dem Baden gebe ich Tess frische Klamotten von mir. Ich selbst ziehe mir einen Pulli über und eine Hose
an.
„Den Pullover kenn ich doch.“, stellt Tess fest. Ich muss lächeln.
„Ja der hat Mom gehört.“, erkläre ich.
Tess nickt. Sie weiß genau wen ich meine. Da ich Ruth nie Mom genannt habe, kann es sich ja nur um meine
Mutter handeln.
„Sie hat den Pullover getragen, als sie mit meinem Bruder schwanger war. Ich habe mich immer an sie gedrückt.
Als Mom und Adam starben, hab ich den Pullover angezogen, damit Dad ihn nicht wegwerfen konnte.“
Tess nickt. „Du hast ihn immer getragen, wenn es gewittert hat. Er hat nach Jasmin gerochen.“
Ich rieche an dem Pullover.
„Er riecht immer noch nach Jasmin.“ Tess riecht auch daran. Sie nickt.
„Schlafen wir heute wieder oben?“
Ich nicke.
Wir putzen das Bad, dann schleichen wir uns in Tess´ zweites Zimmer. Roy springt sofort aufs Bett.
Tess reicht mir das Didgeridoo. Ich nehme es an mich und beginne zu spielen. Es ist die Melodie, die uns Dad
immer vorgespielt hat, wenn wir im Pferdestall geschlafen haben. Als die Melodie geendet hat, lege ich das
Instrument weg, drehe mich um – und sehe Tess ganz verschlafen im Bett liegen. Ich lege mich neben Tess, die
sofort eine Hand auf meinen Arm legt. Ich lege mich ganz nah an Tess ran.
Danke Dad, dass du mir meine kleine Schwester zurückgegeben hast.
Aus Sekunden werden Minuten, aus Minuten Stunden, aus Stunden werden Tage, aus Tage Wochen und aus
Wochen Monate.
So verging die Zeit. Es wurde Oktober. Und es war so kalt. Die Blätter wurden rot und gelb und braun und fielen
von den Bäumen.
Und eines Tages, nachdem ich Roy zu Jakob gebracht hatte, habe ich mich noch mal hingelegt. Ich schlafe tief
und fest, träume von Drover´s und vom Sommer, der eigentlich im Oktober ist. Im Traum reite ich auf meinem
Pferd zum Fluss, ich springe hinein und schwimme eine Runde. Da taucht plötzlich Alex auf und schreit:
„Claire! Schau dir das an. Es schneit!“
Verwundert mache ich die Augen auf. Denn erstens schneite es nie bei uns und zweitens hatte Alex eine so helle
und aufgeregte Stimme, dass ich aufwache. Es ist nicht Alex der ruft, sondern Tess. Sie ist in mein Zimmer
gerannt, reisst die Vorhänge auf und schaut hinaus.
„Schneit?“
Ich bin noch nicht richtig wach.
„Oh Claire komm her. Schau´ s dir doch an. Frau Holle schüttelt ihre Betten aus.“
Ich springe aufgeregt aus dem Bett und renn zu Tess.
„Aber waren das nicht Federn, die Frau Holle aufgeschüttelt hat?“, frage ich.
Früher hat uns Meg dieses Märchen vorgelesen. Es war unser Lieblingsmärchen.
„Ja es waren ihre Betten, aber hier unten auf der Erde verwandelt es sich doch zu Schnee.“, erklärt Tess.
„Stimmt. Genauso hat es Frau Holle dem Mädchen erzählt.“, stelle ich fest.
„Ihr glaubt doch nicht wirklich an diesen Schrott?!“, hören wir eine helle Stimme, die irgendwie verächtlich klingt.
Wir drehen uns um, da steht Sarah in meinem Zimmer und grinst blöd.
„Los raus hier.“, sage ich.
„Ich darf sein wo ich will.“, meint Sarah.
„Hier aber nicht. Mach dass du raus kommst, sonst passiert was.“, fauche ich dieses kleine Biest an.
Sarah rennt nach unten.
Tess schaut mich an. „Das wird Ärger geben.“, meint sie.
„Na und?“
Zusammen schauen wir noch ein bisschen zu, wie die Flocken vom Himmel fallen.
„Glaubst du, dass Frau Holle jetzt Frühling hat und ihren Frühlingsputz macht?“, fragt mich Tess.
Ich grinse. „Wahrscheinlich. Bei der sind die Jahreszeiten also auch so verschieden. Wenn ich mir überlege,
dass bald Weihnachten ist.“
„Das wird dein ersten Weihnachten mit Schnee.“, stellt Tess fest.
Zusammen mit Tess laufe ich nach unten zum Frühstücken.
Ruth steht auf der Treppe, hinter ihr Sarah und unten im Flur steht Johannes. „Wenn du meine Tochter noch
einmal bedrohst, Claire dann…“
„Dann was?“, unterbreche ich sie.
„Ruf das Jugendamt an und sag denen, dass du mich nicht mehr haben willst und dass ich lieber nach Hause
gehen sollte. ICH GEHÖRE NICHT HIER HER! Und diese kleine Göre hat meine Privatsphäre zu respektieren.“
„Claire so gehst du nicht mit meiner Frau um.“, mischt sich Johannes ein.
„Was mischt du dich da eigentlich ein? Du bist nicht mein Vater! Ihr seid alle nicht mit mir verwandt außer Tess.
Also lasst mich in Ruhe!“ Ich renne hinaus. Ich renne durch den Park, will nur noch nach Hause. In meiner
Tasche befinden sich beinahe 200 Euro. Sechs Monate wohne ich also schon in Deutschland. Es ist einfach
furchtbar hier. Ich setze mich auf eine Bank und hole mein Handy raus. Das war das erste, was ich mir von dem
Geld, welches ich bei Jakob verdient habe, gekauft habe. Es ist mit 100 Euro aufgeladen. Ich überlege kurz. Wie
spät ist es hier? Ich schaue auf die Uhr. Es ist sieben Uhr. Dann ist es in Australien jetzt 16 Uhr. Ich wähle
bereits die Nummer, habe schon den grünen Knopf gedrückt, da setzt sich auf einmal jemand neben mich. Es ist
Jonas.
„Hallo?“, höre ich Liz.
„Liz! Hey ich bin’s Claire.“, sage ich.
„Claire hallo. Wie geht’s dir?“
„Gut.“, lüge ich,
„Kann ich Alex sprechen?“
„Einen Moment Claire ich rufe ihn.“ Es dauert ein wenig, bis Alex ans Telefon kommt.
„Claire? Hi wie geht’s dir?“
„Wann könnt ihr mich holen?“, frage ich zurück.
„Weiß ich nicht. Dad ist grad wieder beim Jugendamt.“, erklärt er mir.
Mir rollen Tränen der Erleichterung die Wangen hinunter.
„Erzähl mal, Claire wie geht’s dir?“, will Alex wissen, doch ich weiche seiner Frage aus und sage: „Erzähl mal.
Trainierst du fürs nächste Rodeo?“ Alex erzählt von seinen letzten Rodeo und dass alle nach mir gefragt haben.
Sogar Stevie.
„Wie geht es Meg?“, will ich wissen.
„Ganz gut. Sie leitet jetzt Drover´s. Aber wir helfen ihr alle, dass sie nicht so sehr schuften muss.“
Ich nicke. Ich habe die Augen geschlossen, stelle mir Alex vor. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. Ich
schaue auf. Vor mir steht Tess.
„Ich muss Schluss machen Alex. Ich muss zur Schule.“, erkläre ich.
„Schule? Wie früh ist es denn bei euch?“
„Sieben.“
„Sieben erst? Boa, du arme.“
Meine Stimme wird brüchiger. „Ja ich weiß. Sag allen schöne Grüße, und Alex hol uns hier raus.“, meine ich.
„Uns?“, will Alex wissen.
„Ja uns. Tess und mich.“ Schnell lege ich auf, bevor er weiter fragen kann. Denn Alex weiß nichts von Tess. Tess
sitzt inzwischen neben mir.
Jonas steht etwas abseits von uns.
Tess hält mir meinen Rucksack hin. Meine Schultasche. „Die hast du vergessen.“, sagt sie nur.
Ich nicke und nehme die Tasche an mich.
„Du willst, dass ich wieder mit nach Drover´s gehe?“, fragt Tess.
„Klar. Wenn du willst.“
Tess zuckt die Schultern. „Ruth ist wütend auf Sarah. Ich hab ihr alles erzählt. Aber Johannes glaubt mir nicht.
Und er findet, dass du eine Tracht Prügel verdient hättest.“, erklärt Tess. Sie wirkt ziemlich ängstlich.
„Das wagt er nicht.“, meine ich nur. Wir stehen auf und gehen mit Jonas zur Schule.
„Wer ist Alex?“, will er wissen.
„Ein Freund von mir.“, erkläre ich nur. Den Rest des Weges schweigen wir.
In der ersten Stunde geht es um Praktikumsplätze. Ich habe immer noch keinen. Ich weiß auch nicht, für was das
gut sein soll.
„Damit du mal in einen Beruf hineinschnuppern kannst.“, erklärt der Lehrer.
„Ich brauche das nicht. Ich weiß, was ich bin.“
„Und was bist du?“, will einer aus meiner Klasse wissen.
„Ich bin Farmerin!“, fauche ich zurück.
„Die spinnt total.“, meint ein anderer.
„Es stimmt aber. Claire besitzt eine Farm in Australien.“, erklärt Jonas.
Es wurde ganze zwei Stunden diskutiert, ob ich nun ein Praktikum machen soll oder nicht. Am Ende sagt der
Lehrer:
„Bis morgen hast du einen Praktikumsplatz gefunden, oder du bekommst eine sechs ins Zeugnis.“
Ich seufze. Wo um Himmelswillen soll ich ein Praktikum machen?
„Wir währe es mit Tierarzt?“, schlägt Tess in der Pause vor.
„Tierarzt? Wozu? Wenn sich ne Kuh das Bein bricht, kann man sie nur noch erschießen. Schau nicht so
erschrocken Tess, dass ist nun mal so.
Jonas kann dir das bestätigen.“, meine ich.
„Dann mach halt gleich ein Praktikum beim Schlachter.“, meint Tess.
Ich grinse.
„Claire das war nur ein Scherz.“, sagt Tess daraufhin.
„Wie währ´ s mit Pferdezüchter?“, schlägt Jonas vor.
Ich schließe die Augen. „Können wir das Thema wechseln?“, will ich wissen.
„Soll ich meinem Vater sagen, dass du dann heute nach der Schule nicht kommst?“, fragt Jonas.
Auf einmal hellt sich mein Gesicht auf.
„Nein nicht nötig. Ich werde einfach deinen Vater fragen, ob ich bei euch das Praktikum machen darf. Dann kann
ich von morgens bis abends bei euch sein.“, meine ich. Jonas verschluckt sich an seinem Wasser.
„Was?“
Ich nicke. „Dann würde ich auch wirklich mal was für die 20 Euro machen.“
Jonas grinst. Er findet die Idee gut.
„Bitte Jakob. Es geht doch nur um fünf Tage. Nicht mehr und nicht weniger. Nur fünf Tage. Bitte!“, flehe ich.
Jakob ist nicht so begeistert von der Idee. „Und wenn dich jemand fragt, ob du was bekommen hast?“, will er
wissen.
„Dann sage ich, dass ich nichts bekommen habe.“, sage ich prompt.
„Aber ich bin kein Ausbildungsbetrieb.“, meint er.
„Bitte Jakob! Bitte!!! Wo anders will ich nicht hin.“
Jakob lehnt gegen seine Mistgabel und überlegt. „Also gut.“, sagt er schließlich.
„Juchhu.“, jauchze ich vor Freude. Am nächsten Tag schon gebe ich meinen Lehrer bescheid, und eine Woche
später mache ich ein Praktikum bei Jakob.
Und er findet, dass man mir ansieht, dass ich eine Farmerin bin. Ich bin von fünf Uhr früh bis sechs Uhr abends
bei Jakob. Eigentlich dürfte ich ja nur bis dreizehn Uhr dort bleiben, aber mir gefällt es so sehr, wieder in meinem
alten Element zu sein, dass ich länger bleibe. Noch dazu habe ich beschlossen, Jonas zu zeigen, wie man
Siroccoo richtig trainiert. Er stellt sich ziemlich gut an. Aber das verrate ich ihm nicht.
Allmählich geht es auf Weihnachten zu. Es wird das erste Weihnachten ohne Dad, ohne Grillen auf dem Hof,
ohne Meg und all die Anderen. Es wird mein erstes Weihnachten im Schnee, mit Kirche, mit Ruth, Johannes und
Sarah. Und ich freue mich gar nicht darauf! Vor allem weil ich weiss, dass es nicht schön wird. Ich erwarte weder
Geschenke noch sonst etwas. Mit Johannes und diesem Gör Sarah hab ich mich so verkracht, dass wir nur noch
das Wesentliche miteinander reden. Ruth versucht zwar immer noch zwischen uns zu vermitteln, aber das
funktioniert nicht. Nur mit Tess verstehe ich mich super.
Als ich an diesem Tag nach der Arbeit nach Hause komme, höre ich wie Tess sich mit Ruth streitet. Das passiert
in letzter Zeit öfter.
„Du benimmst dich genauso wie Claire.“, schreit Ruth.
„Na und? Sie ist meine Schwester! Dieses Gör sieht nur nicht, dass ich auch ihre Schwester bin. Und dein Mann
ist genauso, wie du ihn dir gewünscht hast. Aber ich will ihn nicht Papa nennen oder sonst wie. Ich will nach
Hause!“
„Du bist hier zu Hause.“
„Ach sei ruhig. Ich will nach Hause zu Claire.“, meint Tess. Ich stehe neben dem Foto von Drover´s. Kurz lege ich
meine Hand darauf.
„Aber du gehörst hier her zu mir.“
„Nein Mom ich gehöre zu Claire!“ Es ist still und dann auf einmal kommt Tess in den Flur gerannt, sie hält sich
die Wange und weint.
„Tess? Was ist los?“, frage ich sofort.
„Ach nichts.“, schluchzt sie und stellt sich hinter mich, so als wolle sie sich verstecken.
„Tess?“, höre ich Ruth fragen, die in den Flur kommt. Tess zieht den Kopf ein.
„Was hast du getan?“, fauche ich Ruth an.
„Das geht dich nichts an.“, meint sie.
„Wenn du meine kleine Schwester schlägst geht es mich wohl etwas an.“, entgegne ich bestimmt.
„Wie bitte? Geschlagen?“, höre ich Johannes, der mit Sarah gerade hineingekommen ist.
„Halt du dich daraus.“, meine ich nur.
„Ich hab Tess nicht geschlagen.“, verteidigt sich Ruth.
„Und warum versteckt sie sich dann hinter mich und weint?“ Ich ziehe Tess nach vorne, nehme die Hand weg –
zum Vorschein kommt eine gerötete Wange, die leicht angeschwollen wirkt.
„Jetzt reicht´ s mir. Ich rufe Harry an.“, meine ich und hole mein Handy.
„Und was soll das bringen?“, will Johannes wissen.
„Weißt du. Harry steht im ständigen Kontakt mit dem Jugendamt. Und wenn er erfährt dass hier meine kleine
Schwester geschlagen wird, dann wird es nicht mehr lange dauern und es kommt hier jemand vorbei. Und dann
wird es ungemütlich für euch.“, erkläre ich, komischerweise ruhig und gelassen. Es ist eine grimmige
Gelassenheit, die mir irgendwie Angst einjagt. Alex hilf mir, bete ich im Gedanken.
Johannes kommt auf mich zu, er schaut grimmig aus.
Doch Roy, der die ganze Zeit ruhig war, stellt sich auf einmal zwischen uns. Er knurrt und fletscht die Zähne.
Johannes geht einen Schritt zurück.
Ich nehme Tess an die Hand. „Komm mit. Wir gehen.“, ich gehe mit Tess die Treppe hinauf, Roy folgt uns, immer
noch knurrend.
Ich drehe mich noch einmal um und sage: „Und versucht ja nicht, uns zu folgen. Diesmal rufe ich Roy nicht
zurück und er wird ernst machen.“ Ich gehe mit Tess in mein Zimmer.
„Claire was…?“ Ich unterbreche sie sofort.
„Pack deinen Rucksack, nehm nur das nötigste mit. Dann komm wieder her.“
Tess nickt.
Ich hole meinen Rucksack, packe all meine Sachen ein und nehme mein Handy.
Tess kommt wieder zu mir. Sie hat das Didgeridoo dabei.
„Tess.“
Sie unterbricht mich. „Das ist mir wichtig.“
Ich nicke nur. Ich schultere meinen Rucksack, nehme Tess an die Hand du gehe mit ihr nach draußen. Unten im
Flur höre ich Johannes schreien:
„Seid diese Claire hier ist, geht alles durcheinander! Du bist schuld daran Ruth. Nur du!“
„Ich habe es meinem Ex-Mann nun mal versprochen. Und nun halt endlich deine Klappe!“ Wir kommen nach
unten. Es wird still.
„Wenn ihr uns sucht, wir gehen zu Jakob. Wir melden uns in den nächsten Tagen.“, sage ich ruhig.
Ruth nickt.
„Ihr bleibt hier!“, fordert Johannes. Er kommt auf uns zu, doch Roy beginnt wieder zu knurren.
Wir gehen an Johannes vorbei, zielstrebig und sicher. Zumindest bin ich das. Tess zittert wie Espenlaub.
„Bis bald.“, meint Ruth.
Weder Tess noch ich drehen uns um, während wir die Tür aufmachen und gehen.
„Roy komm.“ Er rennt uns hinterher.
Tess bleibt stehen.
„Dreh dich nicht um. Dad hat immer gesagt, dass das Unglück bringt.“
Tess nickt und zusammen gehen wir zu Jakob. Dort werden wir nett aufgenommen, Jakob gibt uns das
Gästezimmer.
Das erste was ich tue, ist bei Harry anrufen. Diesmal reisse ich ihn aus dem Schlaf, aber es stört mich nicht. Er
ist hellwach, als ich ihn alles erzählt habe. Als ich aufgehört habe zu telefonieren schaut mich Tess ernst an.
„Er geht zum Jugendamt.“, ist alles was ich sagen kann.
Tess nickt und gähnt. „Spiel mir was vor.“, bittet sie. Ich nehme das Didgeridoo und beginne zu spielen. An mir
ziehen Bilder der Vergangenheit vorbei. Wie glücklich ich war, als ich Tess wieder hatte. Nie mehr werde ich sie
verlassen. Nie mehr!
Nach einigen Tagen kommt Ruth zu uns. Sie will mit uns über alles sprechen, will sich entschuldigen, will neue
Regeln aufstellen. Johannes ist nicht dabei, auch Sarah fehlt.
„Er ist mit ihr zu seinen Eltern gegangen. Bis sich alles beruhigt hat.“, erklärt Ruth.
Tess schaut irgendwie erleichtert aus.
„Warum hast du mir nie gesagt, dass du dich hier nicht wohl fühlst?“, will Ruth von Tess wissen.
Ich verlasse das Zimmer. Dieses Gespräch geht mich nichts an.
Ich gehe in den Pferdestall und bürste Siroccoo. Sein Atem ist warm.
„Hey.“, höre ich Jonas sagen.
Ich drehe mich zu ihm. „Hi.“
„Ruth ist hier.“
„Ja ich weiß, sie redet mit Tess.“
Jonas nickt. „Claire was ich dir sagen will ist…“
„Jonas. Bitte lass mich allein.“ Jonas geht. Ich will nach Hause. Ich will nach Drover´s. Ich will zu Meg und vor
allem zu Alex. Ich sattle das Pferd und reite los. Ich reite ohne auf dem Weg zu achten. Irgendwann halte ich, ich
steige ab, setzte mich einfach aus die Wiese und beginne zu weinen. Schon lange nicht mehr habe ich mich so
einsam gefühlt, wie jetzt. Ich höre Pferdeschritte die auf mich zukommen, aber ich kann nicht aufhören zu
weinen.
Jonas setzt sich neben mich. Er drückt mich an sich und ich weine mich bei ihm aus. Als keine Träne mehr da ist,
schau ich Jonas dankend an, er lächelt und küsst mich. Irgendwie gefällt es mir, aber ein Teil meines Körpers
zieht sich zurück und ich schaue Jonas verwirrt an.
„Tut mir leid.“, sagt er.
Ich höre in mich hinein. „Mir nicht.“, gestehe ich ihm und diesmal bin ich diejenige, die Jonas küsst.
Leidenschaftlich, liebevoll.
Das Handy klingelt kurz. Ich schaue drauf, es ist Tess. „Ich muss zurück.“, sage ich nur, stehe auf und reite auf
Siroccoo zurück zum Hof.
Weihnachten ist gekommen. Johannes wohnt wieder bei uns und auch Sarah. Aber die beiden reden nicht mehr
mit mir und Tess. Ruth dagegen ist richtig nett zu mir. Johannes ist über die Weihnachtsferien mit Sarah zu
seinen Eltern gefahren. Es ist der 23. Dezember. Es schneit! Ich schaue aus dem Fenster und kann mich nicht
satt sehen. Die Flocken waren dick und wunderschön anzusehen.
„Frau Holle kann wohl nicht genug bekommen vom Bettenausschütteln.“, scherze ich.
Ruth lacht. „Dieses Märchen habt ihr geliebt.“
Ich lausche. Ruth erzählt in letzter Zeit viel von früher.
„Hatten wir damals auch ein Weihnachtsbaum?“, will Tess wissen.
„Nein, aber Jack hat immer grüne Zweige ins Haus und auf die Veranda gelegt.“
Ich lächle. „Einmal ist ein Zweig abgebrannt.“, erinnere ich mich.
Tess und Ruth stellen den Baum auf und schmücken ihn.
„Morgen kommt der Weihnachtsmann…“, singt Ruth.
„Stimmt und übermorgen gibt’s Geschenke.“, meine ich.
„Nein morgen.“, bestimmt Tess. „Wieso? Der Weihnachtsmann kommt doch in der Nacht.“
„Ja aber nur in Australien und Amerika. Hier in Deutschland kommt er abends.“, erklärt Tess.
Ich schüttle darüber nur den Kopf.
Am nächsten Morgen ist der 24. Dezeber. Heilig Abend. Und überall im Fernsehen läuft die
Weihnachtsgeschichte. Oder Märchen. In Deutschland scheint das Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“
das beliebteste zu sein. Allein am Weihnachtstag kommt das Märchen über 10 Mal im Fernsehen.
Roy und ich haben über die Weihnachtstage frei bekommen. Jakob arbeitet nicht und Jonas gehe ich aus dem
Weg, seitdem wir uns geküsst haben. Ich spreche das Thema einfach nicht mehr an. Mir ist klar geworden, dass
ich nur einen einzigen Menschen richtig liebe. Und das ist Alex. Und der wohnt in Australien, während ich hier im
kalten Deutschland sitze.
Noch nie habe ich so lange geschlafen, wie heute. Ich wache erst um neun Uhr auf. Tess schläft noch. Wie
immer haben wir oben geschlafen. Roy läuft unruhig hin und her. Ich ziehe mich an und schleiche mich hinaus.
Schnell noch den Mantel und die Schuhe angezogen und los geht es. Roy rennt durch den Park, jagt Vögel und
schnappt nach Schneebällen, die ich ihm zuwerfe. Da höre ich es. Das Geräusch von Pferdehufe. Ich gehe
weiter, denn ich weiß, wer drauf sitzt.
„Claire! Warte!“, höre ich Jonas rufen.
Ich gehe weiter, will nicht mit ihn reden.
„Claire bitte. So warte doch.“
Also gut, nur weil heute Weihnachten ist, denke ich.
Er steigt ab und kommt auf mich zu. Ich schaue Roy zu, wie er wieder Vögel jagt.
„Ich will mit dir reden.“
„Ich aber nicht mit dir.“, sage ich. Es klingt verletzend und so soll es auch sein, denn ich will Jonas klar machen,
dass das nie etwas mit uns werden kann.
„Ich will wissen was los ist.“
Ich atme tief ein und aus, nebenbei schließe ich die Augen.
„Schau mich an.“ Ich schaue Jonas direkt in die Augen. „Was ist los?“
„Ich liebe dich nicht, das ist los.“, erkläre ich.
„Gibt es jemand anderen?“
„Ja.“
„Und wen?“
„Den kennst du nicht.“
„Jonas es tut mir leid, aber ich liebe dich nun mal nicht. Ich liebe Alex und das ist mein letztes Wort.“ Das traf.
Jonas bleibt sofort stehen. „Können wir Freunde bleiben?“, ruft er mir hinterher.
„Klar wenn du den Kuss vergessen kannst?“
„Welchen Kuss?“
Ich muss lächeln, dann gehe ich wieder.
„Frohe Weihnachten wünsche ich dir und deiner Familie.“, rufe ich Jonas hinterher, der wieder aufs Pferd
gesprungen ist und lostrabt.
„Ja das wünsche ich dir auch.“ Dann reitet er schnell nach Hause.
Ich laufe mit Roy noch ziemlich lange durch den Park. Doch schließlich wird mir kalt, meine Hände sind taub und
meine Füße nass. Ich laufe nach Hause. Dort angekommen kommt Tess auf mich zu gerannt.
„Claire wo warst du?“, will sie wissen.
„Mit Roy draußen.“, erkläre ich, während ich meine Jacke aufhänge.
„Es ist ein Paket für dich gekommen.“, erklärt Ruth, als ich mit Tess und Roy die Küche betrete.
„Ein Paket?“, frage ich, ziemlich verwirrt.
Ruth nickt.
„Wo ist es?“, will ich wissen.
„Bei dir im Zimmer.“
Ich renne los. Es ist ein riesengroßes Paket. Roy, der mir gefolgt war, beschnüffelt es.
„Ja Roy in so einem großen Paket warst du als Welpe auch mal drinnen. Erinnerst du dich?“; frage ich ihm. Ich
mache das Paket auf. Kein Absender war drauf, aber ich erkenne eine bekannte Handschrift. Ganz oben auf im
Paket liegt ein Brief. Er ist an mich andressiert. Ich mache ihn auf und beginne zu lesen:
Meine liebste Claire Louise Mc Leod !
Ich wünsche dir ein fröhliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Dein Paket ist bei uns
angekommen und wir alle haben uns sehr über deine Waren gefreut. Danke für das Kochbuch. Danke für die
Schokolade. Danke für das Messer. Danke für den Schal und danke für das Parfüm. Danke auch von Alex,
obwohl niemand weiß, was du ihm geschenkt hast. Er hat es niemanden gezeigt.
Ich muss kurz lächeln, denn Alex habe ich einen Schlüsselanhänger und eine Karte geschenkt. Es war eine
Karte mit einem Schaf drauf und auf der Karte stand, ohne dich ist alles doof. Der Schlüsselanhänger sieht
genau so aus, wie das Schaf auf der Karte. Ich lese weiter.
Nun sollst du auch von uns ein paar Dinge aus deiner Heimat bekommen. Vielleicht teilst du einige Dinge mit
Tess. Aber vielleicht isst du auch alles alleine auf.
Wir wünschen dir alle ein fröhliches Weihnachtsfest.
Meg, Jodi, Terry, Harry, Nick, Liz und Alex
Ich schaue auf, Tess steht im Eingang und Ruth. Ich habe Tränen in den Augen. Ich nehme eine Decke aus dem
Paket. Ich muss lächeln.
„Was ist das?“, will Tess wissen du setzt sich neben mich.
„Das ist unsere alte Babydecke.“, erkläre ich. Ich breite sie aus. Ein Pferd ist darauf.
„Früher war es mal weiß.“, erkläre ich Tess, denn jetzt ist das Pferd braun.
„Ihr habt sie überall mit hingeschleift. Zum Hasenjagen sowie zum Kaffeekränzchen.“, erklärt uns Ruth.
Ich nicke lächelnd.
„Stimmt jetzt weiß ich es auch wieder.“
Ich gebe Tess die Decke und schaue wieder in das Paket. Ein Foto von Drover´s. Tess reißt es mir sofort aus der
Hand. Ich schaue wieder ins Päckchen. Eine Peitsche. „Wer schenkt dir eine Peitsche?“, will Ruth wissen.
„Nick.“, erkläre ich. „Sie ist vom Rodeo.“
Harry und Liz schicken mir verschiedene Süßigkeiten, meine Lieblingsschokolade, einige Chips und sogar die
eine Tafel ganz besonderer Schokolade war dabei. Ich nehme diese Tafel heraus. Ruth kommt näher.
„Jack hat die immer gerne gegessen.“
Ich nicke und habe Tränen in den Augen. „Er saß immer auf der Veranda und hat sie richtig genossen.“, erkläre
ich Tess.
Sie nickt. Trotzdem glaube ich nicht, dass sie sich daran erinnern kann, wie Dad immer auf der Veranda saß.
Eine Pfeife liegt auch im Paket. Tess nimmt sie heraus. „Die hat Dad gehört.“, sagt sie. Ich nicke und mir ist so,
als rieche ich den Pfeifentabak. Den würzigen Geruch des Tabaks vermisch mit dem Geruch der Schokolade. Es
ist Bitterschokolade.
„Meine Mom hat ihn immer damit aufgezogen, dass es nicht gut sei vor mir zu rauchen. Und dann auch noch
Schokolade zu essen. Obwohl Dad wusste, dass ich die unbedingt mal essen wollte, hat er mir nie ein Stück
abgegeben.“, erkläre ich Tess.
Ich muss lächeln. Ich schaue wieder in das Päckchen. Da finde ich auf einmal ein Rezept von einen meiner
Lieblingsessen. Und auch das besondere Fleisch ist mit im Paket. Und sogar Rote Beete.
„Heute Abend koche ich uns was besonderes.“, sage ich nur und schaue wieder hinein.
Von Jodi sind Ohrringe darin, ein Schal und eine Jacke. Meine Rodeojacke! Ich ziehe sie sofort an. Und auf
einmal bin ich nicht mehr in Deutschland sondern beim Rodeo und ich stehe lachend auf dem Siegertreppchen.
„Und nun zum Gewinner des heutigen Juniorrodeos! Der erste Preis geht an Claire Louise Mc Leod. Ich
überreiche ihr stolz einen Pokal und diese wunderbare Lederjacke!“
Ich spüre eine Hand auf meinem Arm. Ich sehe in Tess´ Gesicht.
„Die Jacke habe ich vier Wochen lang immer getragen um bei Alex anzugeben. Ich hab sie sogar im Bett
getragen. Meg hat sich immer aufgeregt deswegen.“, erkläre ich ihr.
„Ist noch etwas drin?“, fragt Tess neugierig. Ich schau wieder ins Päckchen – und bin enttäuscht. Alex hat mir
nichts geschickt! Keine Karte?! Kein Foto?! Nicht einmal einen seiner Scherze. Ich spüre einen Stich in der
Magengegend. Mir wird schlecht und ich werde traurig. Warum hat mir Alex nichts geschickt? Gerade auf Alex´
Geschenk habe ich mich so gefreut, seid ich das Päckchen aufgemacht und bemerkt habe, dass es von Meg und
den anderen war. Ich bemerke doch noch eine Kleinigkeit. Es ist eine Zange. Auf einem Zettel steht: Alles Liebe
wünsche ich dir. Terry. Zu Weihnachten denke ich ganz fest an dich, dann ist es so, als seiest du bei uns. Mir
kommen die Tränen.
„Claire?“, höre ich Tess fragen.
„Warum tut er so was?“, frage ich, eher zu mir als zu Tess.
„Wer?“, will Ruth wissen.
„Warum schickt mir Alex nichts?!“
„Vielleicht hat er einfach nichts passendes gefunden?“, schlägt Tess vor.
„Nichts passendes gefunden? Ich hätte mich schon über einen kleinen Zettel mit seiner Handschrift gefreut!
Warum tut er das?“ Immer mehr Tränen finden ihren Weg nach draußen. Ich stehe auf und renn in den Garten.
„Claire warte!“, höre ich Tess, aber ich renne weiter. Ich höre Ruth sagen: „Lass sie in Ruhe Tess.“ Und das erste
Mal bin ich Ruth dankbar, dass sie etwas sagt. Ich renne in den Park und selbst da komme ich nicht zum Stehen.
Ich renne einfach weiter, ohne zu merken wo ich hinlaufe. Als ich stehen geblieben bin stehe ich vor einem
Baum. Ich klettere hinauf. Ich hole mein Handy hinaus und wähle die Nummer von Drover´s. Es klingelt vier fünf
mal bis ich Meg höre: „Drover´s Run. Meg Fountain am Apparat.“ Ich muss lächeln. „Hey Meg.“
„Claire! Das ist aber schön das du anrufst.“
„Ja ich wollte mich für das Päckchen bedanken. Es ist heute früh angekommen.“, erkläre ich.
„Das freut uns aber. Wir sitzen alle hier und feiern schon. Und ihr?“
„Ach bei uns ist es doch erst früh. Aber Ruth will mich und Tess erst in einen Gottesdienst zerren und dann
wollen wir in so n Einkaufszentrum gehen. Das heut sogar heute noch auf! Naja seit Dezember laufen hier ganz
schön viele Japaner rum.“
Meg lacht.
„Wer ist denn alles da?“, will ich wissen.
„Nun ja Harry, Liz, Jodi, Nick…“
Ich muss kurz schlucken. „Und Alex auch?“, frage ich.
„Nein der grillt draußen die Steaks. Soll ich ihn reinholen?“
„Nein, nein nicht nötig.“
Ich sehe Ruth, die auf mich zukommt.
„Du Meg, ich muß Schluss machen. Sag allen Danke für die Geschenke. Tess und ich haben uns sehr darüber
gefreut. Ich ruf morgen noch mal an. Noch mal danke an alle. Besonders an Alex!“ Meine Letzen Worte kommen
gequält aus mir heraus.
„Schöne Weihnachten Claire!“, höre ich alle rufen – alle bis auf Alex. Ich lege auf. Mir kommen wieder die
Tränen. Ruth steht nun unter dem Baum. Ich komme runter, wische noch schnell meine Tränen weg und stehe
neben ihr. Schweigend gehen wir nebeneinander her. Dann stehen wir vor einem Caffeladen. Ruth bestellt
irgendwas zum mitnehmen. Ich warte draußen. Als sie zu mir kommt, reicht sie mir einen Becher. Ich nehme
einen Schluck, es ist heiße Schokolade. Richtige Schokolade, nicht dieses Kabazeugs.
„So einein ähnlichen hat mir meine Mutter gemacht, als ich das erste Mal Liebeskummer hatte.“, erklärt mir Ruth.
„Woher weißt du, dass ich …“
„Du hast in den letzten Tagen und Wochen nur von diesen Alex gesprochen, Claire. Das muss schon ein ganz
besonderer Junge sein.“
Ich schaue Ruth verblüfft an. Hab ich sie wirklich so falsch eingeschätzt? Ich trinke wieder etwas von der
Schokolade.
„Die schmeckt gut.“, bemerke ich.
„Und das obwohl die Milch nur aus dem Tetrapack kommt.“, scherzt Ruth und lächelt.
Ich muss etwas lachen.
„Weißt du Claire. Ich hab deinen Vater damals nicht wegen ihm oder wegen dir verlassen. Sondern wegen der
Farm. Du und Tess ihr habt es nicht so mitbekommen, aber er war kaum da. Und die Zeit die er da war, die hat
er mit dir und Tess verbracht. Ich weiß noch wie du immer neben Jack saßt, während er seine Pfeife geraucht
hat und die Schokolade gegessen hat. Wie stolz du auf ihn warst. Deine Augen haben richtig geleuchtet.“
Ich muss lächeln.
„Aber so wollte ich einfach nicht leben. Ich wollte nicht jeden Tag mit der gleichen Angst leben. Immer mit der
Bitte zu Gott, er möge doch wieder wohlauf heimkommen.“ Ich kann Ruth verstehen. Das erste Mal verstehe ich
sie richtig. Ruth erzählt weiter:
„Meine Eltern wohnen hier. Also habe ich mir nach der Scheidung gedacht, zurück in die alte Heimat. Mit Tess. In
den ersten Wochen habe ich nur von dieser Schokolade gelebt.“ Die Vorstellung ist irgendwie lustig, ich muss
lächeln.
„Alex wird dir entweder einen Brief persönlich schicken oder nicht. Was hast du ihm eigentlich geschenkt?“
Irgendwie ist es mir peinlich, aber es tut irgendwie gut, mit jemanden zu reden. „Ein Ohne-dich-ist-alles-doofSchaf mit Karte. Und auf der Karte stand, dass ich ihn…“
„...Liebe?“
Ich nicke.
„Er wird antworten.“
„Wollen wir zurückgehen? Mir wird kalt.“, sagt Ruth.
Ich nicke. „Ruth?“
„Hm?“
„Warum bist du mir hinterhergelaufen und nicht Tess?“
„Ach komm schon Claire. Tess ist doch gerade mal zwölf Jahre alt. Sie tut zwar immer so erwachsen, aber dass
würde sie wirklich noch nicht richtig verstehen. Sie versteht ja auch nicht, warum du Jonas gegenüber im
Moment so anders bist.“
Ich werde rot, aber Ruth zwinkert mir zu. „Du bist jetzt Fünfzehn. Warum solltest du da nicht mal ausprobieren
wie Küssen ist. Oder Händchenhalten. Über Sex unterhalten wir uns aber erst später okay?“
„Ruth!“ Ich bin richtig erschrocken und werde rot. Es überrascht mich, wie locker sie damit umgeht. Aber Ruth
lacht nur und wir gehen nach Hause. Dort finden wir Tess im Wohnzimmer schlafend – mit der alten Babydecke
in den Armen.
Ich gehe noch einmal in mein Zimmer und schaue das Paket an. Ruth hatte alles wieder hineingelegt. Ich ziehe
mein Oberteil aus und hole den Pullover von meiner Mom. Den ziehe ich mir über. Er ist wunderbar kuschelig
und warm. Ich setze mich auf mein Bett. Roy legt sich neben mich, ich kraule ihn abwesend hinter dem Ohr. Ich
hole das Foto von Drover´s aus dem Paket. Ich schließe die Augen und denke an meinen Geburtstag. „Super
Claire. Alle auf einmal. Dass hab ich dir gar nicht zu getraut.“ „Ich stecke voller Überraschungen.“ Ich öffne
wieder meine Augen. Oh Alex wie sehr ich dich vermisse! Ich drehe das Foto um. Da bemerke ich etwas. Es ist
ein Schnipsel oder so was. Es klemmt zwischen Foto und Halter. Ich mache den Rahmen auf. Zum Vorschein
kommt ein Bild von Alex. Und auf dem Schnipsel, der eigentlich ein Blatt Papier ist, stehen in der wohl schönsten
Handschrift der Welt nur drei Worte. Drei Worte, die mich glücklicher machen, als alles andere zusammen: Ich
dich auch! Diesmal weine ich, aber vor Glück!
Zugegeben die Kängeruhsteaks mit roter Bete haben nicht jedem geschmeckt, aber ich habe dann eben Tess´
Teil mit aufgegessen. Ruth hat es jedenfalls geschmeckt.
Die Weihnachtsferien sind vorbei und in diesen zwei Wochen habe ich jeden Tag mit Alex telefoniert! Wie viel
Geld das gekostet hat, will ich gar nicht sagen. Ich habe nun mit Alex einen Tag in der Woche festgelegt, in der
er mich anruft. In der nächsten Woche würde ich ihn dann anrufen. So wechseln wir uns ab.
Klassenfahrt! Und diesen Leuten ist nichts Besseres eingefallen, als in den Zoo zu gehen. Zugegeben, die Wölfe
sind wunderschön und auch die Wassertiere sind toll, aber ansonsten ist mir schon sehr bald langweilig. Wir
machen Pause im Streichelzoo. Während die andern sich im Restaurant was zu essen kaufen, sitze ich etwas
abseits und kaue mein Butterbrot. Ich beobachte die Ziegen und Schafe. Ich erinnere mich, dass wir selber mal
Ziegen hatten. Die eine Ziege schaut so aus, als müsste sie dringend gemolken werden. Und die Schafe könnten
eine Schur gebrauchen.
„Na? Sind die Schafe nicht doof?“, höre ich Jonas fragen.
Ich nicke. „Und die Ziegen erst. Habt ihr mal Ziegen gehabt?“, will ich wissen.
„Bist du verrückt? Die Zäune waren teurer als die Ziegen wert waren. Und ihr?“
Ich nicke. „Ja. Aber nachdem sie Megs Gemüsegarten zerstört haben, haben wir alle verkauft.“
Jonas lacht auf.
„Boa, hört euch die mal an. Große Klappe aber nichts dahinter.“, höre ich einen aus der Klasse rufen. Ich
ignoriere diesen Kommentar und schaue wieder zu den Schafen. „Die Ziegen müssten mal gemolken werden.“,
sage ich irgendwann zu Jonas.
„Kannst du das denn?“
„Na hör mal. Ich durfte immer unsere Milchkuh melken. Ehe sie verkauft wurde.“
„Diese Großklappen mal wieder.“, schreit ein anderer.
„Wie meint ihr das?“, will ein Wärter von dem einen aus der Klasse wissen.
„Ach die zwei da wollen ihre Ziegen melken und die Schafe scheren.“
Der Wärter schaut uns an. „Könnt ihr das denn?“
„Ich bin es langsam leid jedem zu erklären, dass ich eine Farm habe.“, gestehe ich Jonas, der nickt.
„Eine Farm?“
„Sie besitzt eine Farm in Australien.“, erklärt Jonas.
„Und warum bist du dann noch hier?“, fragt mich der Wärter.
„Das frage ich mich auch manchmal.“, gestehe ich. Ich zeige dem Wärter, und unserer Klasse, wie ich die Ziege
melke und die Schafe schere, dann darf ich heim. Dem Wärter aber sage ich noch: „Die Schafe sollten mal
wieder gedrenscht werden.“ Der Wärter nickt verwundert. Da es schon Abend ist, hole ich nur noch Roy von
Jakob ab. Jakob gibt mir meine 20 Euro und ich gehe nach Hause. Kaum bin ich zu Hause, höre ich Ruth rufen.
„Claire?“
„Ja?“
„Telefon.“
Ich renne zu Ruth und nehme das Telefon. „Alex. Aber bitte nur eine halbe Stunde. Ich erwarte einen wichtigen
Anruf.“ Ich nicke schaue auf die Uhr und sage: „Ich habe eine halbe Stunde bekommen.“
„Ja mehr darf ich auch nicht reden, sonst dreht Dad durch.“ Ich muss lächeln als ich Alex höre.
„Hallo du.“
Der Schnee schmilzt und die ersten Schneeglöckchen kommen heraus. Wie wunderschön sie sind.
Ich helfe Jakob beim Schafe scheren und bekomme pro Schaf fünf Euro mehr. Wie eine Blöde arbeite ich. Ich
muss wieder etwas Geld auf mein Handy bekommen. Aber niemand beschert sich – Ruth ist in letzter Zeit
sowieso mehrere Tage hintereinander weg. Dann passt Johannes auf uns auf. Naja eher auf sich und Sarah, die
uns aus dem Weg geht.
„Jonas nehm dir mal ein Beispiel an Claire. Die kann das besser als du.“, schreit Jakob Jonas an.
Ich lächle. In der Pause bin ich nass geschwitzt. Ich trinke etwas, Rosa bringt uns etwas zu essen.
„Woher hast du so gut Scheren gelernt?“, will Jakob wissen.
„Oh einmal sind die Scherer nicht gekommen. Da war ich ungefähr zehn. Es waren Ferien und da hat mir mein
Dad das Scheren beigebracht. Unsere Lieferung musste pünktlich fertig werden, also musste jeder helfen, der da
war“, erklärte ich.
Nach dem Scheren habe ich 200 Euro dazuverdient. Es wird reichen. Bald ist mein Geburtstag und dann bin ich
schon fast ein Jahr in Deutschland. Eines ist sicher, ohne Tess wäre ich schon längst durchgedreht.
„Happy Birthday to you. Happy Birthday to you. Happy Birthday liebe Claire! Happy Birthday to you.”
Wieder habe ich Geburtstag, wieder bin ich ein Jahr älter geworden, wieder stehen sie alle um mich herum. Aber
diesmal sind nur zwei Menschen da, von denen ich weiß, dass sie mich wirklich lieb haben. Tess und Jonas.
Auch wenn ich mich mit Ruth gut verstehe, ein bisschen misstrauisch bin ich immer noch. Ruth war in den letzten
Wochen oft nicht da. Geschäfte, wie sie behauptet. Ich blase die Kerzen aus, alle sechzehn, nur das Lebenslicht
nicht. Das leuchtet noch. Alle Applaudieren.
„Hier Claire. Das ist für dich.“, sagt Jonas und überreicht mir sein Geschenk. Es ist eine Handyschale, mit
Pferden drauf.
„Dankeschön.“, sage ich.
„Und das ist von Rosa und mir.“, erklärt Jakob und überreicht mir ein Päckchen. Ich mache es auf. Ein Set für die
Schafschur war darin. „Danke, das ist wirklich lieb von euch.“
Tess überreicht mir ihr Geschenk. Eine CD mit Didgeridoomusik. Ich umarme Tess und drücke sie fest an mich.
Ruth lächelt etwas nervös und sagt: „Tut mir leid Claire, aber dein Geschenk scheint sich zu verspäten.“ Warum
überrascht mich das nicht?
Von Sarah bekomme ich sogar ein Bild geschenkt. Darauf ist Roy zu sehen. Johannes schenkt mir nichts. Ist mir
auch egal. Ich hoffe, dass das Telefon bald bimmelt. Ich will mit Alex sprechen. Es klingelt an der Tür, als ich die
Torte anschneiden will. Ich schaue Ruth verwundert an.
„Geh hin. Du hast Geburtstag.“
„Aber es sind alle da die ich kenne.“, erwidere ich. Es klingelt wieder.
„Geh hin Claire, bitte“, bittet Ruth. Ich zucke mit den Schultern und gehe in den Flur. Ich laufe an dem Bild von
Drover´s vorbei und öffne die Tür.
„Ahhhhhhhhh!“ Ich schreie auf. Vor mir steht Alex! Er grinst mich an. Wie von Donner gerührt kann ich nichts
sagen.
„Alle gute zum Geburtstag Claire!“, sagt er und nimmt mich in seine Arme. Er drückt mich fest an sich und jetzt
endlich, wo ich Alex richtig spüre, kann ich was sagen. „Was machst du denn hier?“
„Na deinen Geburtstag feiern. Komm lass uns reingehen.“
Ich gehe mit Alex, der mich immer noch in seinen Armen hält ins Haus. Ruth grinst.
„Alles Gute zum Geburtstag, Claire“, sagt sie. Wir essen die Torte und unterhalten uns. Und immer wieder strahle
ich Alex an. Ich bin so glücklich, dass ich gar nicht bemerke, dass noch jemand das Wohnzimmer betritt.
„Hallo Claire.“ Ich drehe mich um und bin dem Heulen nahe. Vor mir stehen Harry, Liz, Nick, Jodi und Meg. Ich
stehe auf und falle allen in die Arme. Meg falle ich um den Hals und weine vor Freude. Jetzt erst fühle ich mich
richtig wohl. Auch Tess ist aufgestanden. Meg hat Tränen in den Augen.
„Hallo Tess.“, sagt sie.
„Meg?“, fragt Tess. Sie nickt. Tess fällt Meg auch um den Hals.
Es ist der schönste Geburtstag meines Lebens. Nach dem Abendessen verabschieden sich Jakob, Rosa und
Jonas. Wir sitzen im Garten und ich hab so viel zu erzählen. Und alle hören zu und dann erzählt Meg von
Drover´s. Ich höre zu und bin froh, dass alles beim alten ist. Johannes und Sarah sind verschwunden. Ruth und
Tess kommen zu uns. Tess setzt sich zu mir. Sie wirkt irgendwie anders.
„Ist was?“, frage ich sie. Tess schüttelt den Kopf.
„Komm schon Tess es ist doch was mit dir!“
„Sie ist traurig. Wegen dem Geburtstagsgeschenk, welches du erst jetzt bekommst“, gesteht Ruth.
„Welches Geschenk?“, frage ich verwirrt. Harry und Ruth geben mir einen Brief. Ich lese ihn durch. „… gebe ich
das Sorgerecht an Meg Fountan ab…“ Ich schaue verwirrt auf Harry, Ruth und Meg.
„Was… was soll da bedeuten?“, frage ich.
„Das bedeutet, dass du nach Hause kannst.“, erklärt Ruth.
„Nach Hause?“ Ich bin immer noch verwirrt.
„Ja. Deswegen war ich in den letzten Wochen so oft weg. Ich war in Australien und habe mein Sorgerecht an
Meg abgegeben.“
„An Meg abgegeben?“
„Man Claire seit wann bist du denn so schwer von Begriff? Du darfst zurück nach Drover´s. Und Meg passt auf
dich auf, bis du volljährig bist.“, sagt Alex.
Endlich fällt bei mir der Groschen. Ich schreie vor Freude auf und falle erst Ruth, dann Meg um den Hals.
„Das alles wäre niemals ohne Harrys Hilfe gegangen.“, erklärt Meg mir. Also falle ich auch Harry, Liz und Nick
dankend um den Hals und bei Alex bleib ich stehen. Ich umarme und küsse ihn. Endlich! Ich kann nach Hause!
Meine Tasche ist gepackt, Roy ist bei mir. Wir stehen auf dem Flughafen und warten darauf, dass das Flugzeug
die Passagiere einlässt. Es ist soweit. Mein Gepäck ist im Flieger verstaut. Alle sitzen schon auf ihren Plätzen.
Nur Alex und ich stehen noch draußen und verabschieden uns von allem.
Ich umarme Jonas, Jakob und Rosa und verspreche regelmäßig zu schreiben. Ich gebe Johannes die Hand und
drücke Sarah kurz an mich.
Dann steht Ruth vor mir. Sie lächelt. „Machs gut Claire.“, sagt sie.
„Danke. Für alles.“ Ich umarme auch sie, dann geht sie zu Johannes und Sarah
Nun steht da nur noch Tess. Sie reicht mir das Didgeridoo. Ich schüttle den Kopf. „Übe darauf. Und in den
nächsten Ferien nimmst du es mit und spielst mir was vor.“ Sie nickt. Kein Wort kommt aus ihr heraus.
„Ich habe etwas für dich.“ Es ist unsere alte Babydecke, meinen Pullover von Mom und das Bild von Drover´s,
welches ich zu Weihnachten bekommen habe.
„Oh Claire.“ Wir fallen uns in die Arme. Wir weinen beide.
„Bleib hier Claire, bitte.“
„Ich gehöre aber nicht hierher.“
Tess nickt. Sie versteht es, will es aber nicht wahrhaben. Auch ich finde es traurig, dass ich Tess zurücklassen
muss.
„Ich hab dich lieb.“, flüstere ich Tess ins Ohr.
„Und ich werde jeden Tag an dich denken.“, flüstert sie zurück.
„Ich ruf dich an. Einmal in der Woche und wehe du bist dann nicht zu Hause.“
„Sag welchen Tag und ich werde da sein.“
„Mittwoch.“
Tess nickt. Noch einmal drücke ich meine kleine Schwester an mich.
„Letzter Aufruf für die Passagiere nach Melburn. Bitte gehen sie an Bord.“
Ich gehe zu Alex. Er nimmt mich in den Arm.
„Claire.“
Ich drehe mich noch einmal zu Tess um.
„Wenn du volljährig bist, dann holst du mich zu dir okay?“
Ich nicke. „Klar. Dann lernst du wieder, wie man drenscht. Und Schafe schert.“ Ich gehe mit Alex an Bord. Ich
sitze am Fenster. Die Sonne scheint. Und das erste Mal kommt mir Deutschland nicht kalt und grau vor. Der
Flieger startet und ich drehe mich so um, dass ich das Gebäude sehen kann. Tess steht da und winkt.
Und ich? Ich winke zurück.
Ende
Herunterladen