Erfahrungsbericht Kraków / Polen Jagiellonian University WS 2010 - SS 2011 Nachdem ich 2005 mit unserer Schulklasse zum ersten mal in Kraków war, bin ich jedes Jahr erneut hingefahren. Kraków entwickelte sich zu einer Art „Sucht“. Umso glücklicher war ich, als ich durch Restplätze die Chance bekam 1 Jahr mein Erasmus in dieser tollen Stadt zu absolvieren. Es war eine Ehre an Polens ältester und Zentral-Europas zweitältester Uni, der Jagiellonian Universität studieren zu dürfen. Hier haben u.A. der Papst Johannes Paul 2. und Kopernikus studiert. Diese Universität hat einen mächtigen Ruf, man muss nur den Namen nennen und schon erhält man Respekt und wird mit „Sie“ angesprochen. Kraków ist ein Mix aus Kultur/Geschichte sowie der größten Club- und Partydichte der WELT!!! Außerdem gibt es hier den größten Marktplatz Europas. Während der „Orientation Week“ wird dem Studenten alles erklärt, es gibt Präsentationen, Stadtspiele, Kennenlern-Veranstaltungen, Kochabende und vieles mehr. In Kraków kommt man ziemlich schnell in Kontakt, man kann selbst entscheiden ob man dabei ehr international oder polnische Freundeskreise aufbauen möchte, zu empfehlen ist sicherlich beides. Während des Studiums und der Seminare merkt man die Niveau- und Kulturunterschiede der Länder deutlich. Vorlesungen sind in der Regel auf Englisch. Präsentationen, Vorträge, Essays und Diskussionen sind Pflicht. Die Preise unterscheiden sich nicht wesentlich von den deutschen, lediglich Transport und Lebensmittel sind extrem billig. Eine Straßenbahnfahrt kostet aktuell 0,25 Euro, Verbindungen und Nachtlinien sind einwandfrei, eine 2stündige Zugfahrt kostet ca. 1,50 Euro, was natürlich auch bedeutet dies unbedingt auszunutzen und ganz Polen zu entdecken, denn nicht nur Kraków ist schön. Weitere beliebte Ziele sind Warschau, Zakopane, Breslau, Danzig. Da Kraków so zentral liegt sind auch europäische Reisen wie z.B. die Budapest/Wien/Bratislava/Prag-Tour oder auch die Vilnius/Riga/Tallinn/Helsinki-Tour beliebte Ziele. Erasmus bietet regelmäßig Reisen an. 1 Eine Mensa gibt es in dieser Art nicht, aber sogenannte Milchbars wo man sehr billig speisen kann. Eine Mahlzeit kostet ca. 1,50 - 2,50 Euro. Polnische Nationalgerichte sind „Piegori“, „Bigos“ oder die bei Studenten beliebte „Zapiekanka“. Ein halbes Jahr in Kraków reicht nicht. Alle die ich kenne haben ihr Studium verlängert. Man braucht mind. ein Semester um die Kultur und Sprache zu verstehen. Falls ihr mit dem Auto anreist (von Berlin nur 6 Stunden, von Dresden ca. 5 Stunden) wundert Euch nicht über die anfänglichen Straßenprobleme (vielleicht durch die EM-2012 jetzt verbessert), hunderten von Pilzverkäufern im Herbst oder das Leute einfach mal schnell über die Autobahn gehen, bei hupenden Autos die Euch zum anhalten zuwinken nicht stoppen, Automafia. Ein Polnisch-Kurs ist ebenfalls sehr zu empfehlen (ein Semester ca. 137 Euro). Die ersten 3 Monate wird es sicher hart, da die Sprache eine der schwersten ist, fast ausschließlich aus Konsonanten besteht und jedes Wort konjugiert wird (7 Fälle). Es ist aber ein schönes Gefühl zu sehen, wie sehr sich die Polen freuen wenn sie merken, dass man bemüht ist diese schwere Sprache zu lernen und irgendwann begreift man, dass auch Polnisch eigentlich logisch ist. Belohnt wird man dann manchmal mit freien Taxifahrten, Rabatten oder einem lächeln. Falls es am Anfang Probleme mit den Kursen und Anmeldefristen gibt, kein Problem, in Polen geht man das locker an, man kann sich später immer noch einschrieben, ErasmusStudenten genießen bezüglich der Termine viele Privilegien. Für meine Wohnung habe ich ca. 300 Euro bezahlt (mehr als in Deutschland), „Kraków ist aber auch nicht Polen“ und ich habe direkt an der Weichsel mit hohem Standard gewohnt. Gewöhnlich teilen sich mehrere eine Wohnung, wobei immer zwei Personen in einem Zimmer schlafen. Bei der Bewerbung auf der Jagiellonian-Website wird man gefragt, ob man in ein Studenten-Wohnheim (z.B. Piast) ziehen möchte. Falls ihr nicht pingelig seid und Euch vorstellen könnt, ein Zimmer mit einer anderen Person zu teilen, würde ich Euch dies raten. Es ist wahrscheinlich das einzige was ich an meinem Jahr ein wenig bereue: Nicht alleine wohnen, sondern in einem großen Studenten-Wohnheim, das kann sehr unterhaltsam sein. Als Ausländer kann es sein, dass ihr für eine Wohnung mehr bezahlen müsst, auch das ist polnische Mentalität. Vorsicht ebenso bei Taxis etc., wenn sie merken dass ihr nicht aus Kraków kommt wird manchmal abgezockt (ist mir aber nur 2 mal passiert in dem ganzen Jahr, wie gesagt, es kann auch sein dass ihr mal kostenlos mitgenommen werdet). 2 Besonders interessant ist der Fakt, dass in Polen ca. 97% katholisch sind. Paare wohnen nicht zusammen bevor sie heiraten, die Kirchen sind bis auf die Straßen überfüllt, jede zweite Straße hat einen katholischen Namen, man sieht in der Stadt hunderte von Kirchen und Gläubige, die Polen sind größtenteils sehr moralisch eingestellt. Die Fastenzeit zu Ostern wird eingehalten, Feiertage werden mit Achtung zelebriert, katholische Kerzen brennen überall und selbst die Straßenbahnen machen jede Station eine Ansage was diese Station mit dem Papst zu tun hat. Es ist auf jeden Fall lohnenswert in die Kirche zu gehen, auch als Nicht-Gläubiger wird man Polen, die aktuelle Welt-Politik und verschiedene Mentalitäten besser verstehen. Teilweise werden Messen noch auf Latein gehalten. Gerade als Deutscher ist es wichtig die polnische Mentalität zu achten, zu respektieren und aufmerksam zuzuhören. Nichts ist schlimmer, als den „arroganten Deutschen“ zu präsentieren. Sprecht mit allen Leuten, nicht nur den Studenten, ebenso mit alten Polen (welche meistens auch deutsch können) oder Familien. Lauft durch die Straßen und begreift wie gut es uns in Deutschland geht. In Polen gibt es so gut wie keine Sozialleistungen, Stundenlohn liegt in Kraków bei 2.50 Euro die Stunde maximal. Ein fertiger Student der 4 Sprachen spricht und 40 Stunden die Woche arbeitet, bekommt den gleichen Betrag wie eine Harz4 Person fürs „nichtstun“. Trotzdem muss der Pole für den Schuh, das Auto und den Fernseher den gleichen Preis bezahlen wie wir... Es ist erstrebenswert einen idealen Mix aus Party/Fun, aber auch Kultur, Museen (Sonntag/Montag meistens kostenlos) und weiteren Reisen zu gestalten. Das Problem ist nicht in ein fremdes Land zu gehen, sondern nach langer Zeit in sein eigenes Land zurückzukehren, ein Kulturschock ist vorprogrammiert. Schade, dass es hierfür nie Programme oder Workshops gibt. Ich war länger als 1 Jahr in Kraków, viel zu wenig. Ich könnte mir vorstellen für immer hier zu leben. Ich fühle mich in Polen sehr zu Hause. Alles Gute für eine fantastische Reise in ein Land, von denen die meisten Deutschen ein völlig falsches Bild haben. Ich habe noch sie so bescheidene, herzliche, gläubige und unkomplizierte Menschen getroffen. Lasst doch alle nach Paris, London oder Barcelona gehen. Ihr werdet Euer Erasmus in Polen nie bereuen. PS: In meinem ganzen Jahr wurde mir nur einmal etwas geklaut: Mein Sandwich im Zug... [email protected] 3