1 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITELÜBERSICHT KAPITEL 1 - INHALT UND GRENZEN DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE KAPITEL 2 - ÜBER DIE BRÜCHIGKEIT DER ÖKONOMISCHEN GRUNDANNAHMEN KAPITEL 3 - ALLTAGSVERSTÄNDNIS VON ÖKONOMIE KAPITEL 4 - MÄRKTE: KONSUMGÜTER, ARBEIT UND KAPITAL KAPITEL 5 - KONSUMGÜTERMÄRKTE: ÖKONOMISCHE ENTSCHEIDUNGEN IM PRIVATEN HAUSHALT KAPITEL 6 - KONSUMGÜTERMÄRKTE: ABSATZPOLITIK KAPITEL 7 - ARBEITSMÄRKTE: ANGEBOT UND NACHFRAGE NACH ARBEIT KAPITEL 8 - FINANZMÄRKTE KAPITEL 9 - GELD, INFLATION UND WÄHRUNGSUMSTELLUNG KAPITEL 10 - IM SCHATTEN DER OFFIZIELLEN WIRTSCHAFT KAPITEL 11 - WOHLSTAND UND WOHLBEFINDEN Verständnisfragen http://www.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus/lehrbuecher/wirtschaftspsy chologie/fragen-antworten/1-kapitel/ Online-Glossar – Alle wichtige Begriffe zum Nachschlagen http://www.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus/lehrbuecher/wirtschaftspsy chologie/glossar/ 2 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat INHALT Kapitel 1 - Inhalte und Grenzen der ökonomischen Psychologie ................................................... 3 Kapitel 2 - Über die Brüchigkeit der ökonomischen Grundannahmen .......................................... 9 Kapitel 3 - Alltagsverständnis von Ökonomie .................................................................................. 31 Kapitel 4 - Märkte: Konsumgüter, Arbeit und Kapital ..................................................................... 36 Kapitel 5 - Konsumgütermärkte: Ökonomische Entscheidungen im privaten Haushalt ............. 38 Kapitel 6 - Konsumgütermärkte und Absatzpolitik .......................................................................... 48 Kapitel 7 - Arbeitsmärkte: Angebot und Nachfrage nach Arbeit (S.455) .................................... 81 Kapitel 8 - Finanzmärkte ..................................................................................................................... 99 Kapitel 9 - Geld, Inflation und Währungsumstellung ..................................................................... 111 Kapitel 10 - Im Schatten der offiziellen Wirtschaft ......................................................................... 122 Kapitel 11 - Wohlstand und Wohlbefinden .................................................................................... 135 3 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat TEIL I. GRUNDLAGEN DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE KAPITEL 1 - INHALTE UND GRENZEN DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE Wirtschaftspsychologie = interdisziplinäres Forschungsfeld zwischen Psychologie und Wirtschaftswissensschaften. Sie befasst sich mit dem Verhalten von Menschen am Arbeitsplatz, in Organisationen, am Markt und mit deren Verständnis gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge und entsprechenden Handlungen. Ziel: Anwendbarkeit theoretischen Wissens im Kontext praktischer wirtschaftlicher Probleme. Wirtschaftspsychologie im weiteren Sinn = Arbeits-, Organisations-, Konsumenten- und Marktpsychologie. Wirtschaftspsychologie im engeren Sinn = ökonomische Psychologie 4 Bereiche der Wirtschaftspsychologie Arbeitspsychologie Organisationspsychologie Konsumenten- und Marktpsychologie Ökonomische Psychologie Ökonomische Psychologie = bestrebt, eine Brücke zwischen Psychologie und Ökonomie zu schlagen. Sie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten im Zusammenhang mit gesamtwirtschaftlichen Fragestellungen. Ökonomie vs. Psychologie (siehe Tabelle 1.2, Seite 20) Ökonomie geht von normativen Verhaltensmodellen aus und ist am Verhalten auf aggregierter Ebene (nationalstaatlicher Ebene) interessiert. Das vorherrschende Menschenbild unterstellt wirtschaftlich handelnden Akteuren Rationalität und Nutzenmaximierung. Psychologie konzentriert sich auf das Individuum, auf Unterschiede zw. Menschen und auf die Dynamik in Gruppen. Sie arbeitet nicht an der Entwicklung eines grundlegenden Verhaltensmodells sondern bietet zahlreiche Theorien zur Erklärung der Komplexität des Verhaltens auf Mikroebene, die begrenzt gültig sind und sich häufig widersprechen. 4 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 1.1 ÖKONOMISCHE PSYCHOLOGIE IM WEITEREN SINNE 1.2 ÖKONOMISCHE PSYCHOLOGIE IM ENGEREN SINNE 1.2.1 ANNAHMEN ÜBER MENSCHLICHES VERHALTEN IN DER ÖKONOMIE Homo oeconomicus: Es wird davon ausgegangen, dass jene Alternative, die von einem Individuum aus einem Bündel von Alternativen ausgewählt wurde, die bevorzugte ist. Grundannahme: Menschen können aus einem Set von Alternativen wählen. Wirtschaften bedeutet, Entscheidungen nach bestimmten Kriterien zu treffen und eine Auswahl vorzunehmen. Wirtschaftende Individuen können nicht all ihre Bedürfnisse befriedigen. Sie sind sich bewusst, dass die Auswahl einer Alternative den Verzicht auf die anderen Alternativen und deren Vorteile mit sich bringt = Nutzenentgang = Opportunitätskosten. Fragestellungen und Themengebiete der Volkswirtschaftslehre, Woll, 1981, S. 7: Haushaltstheorie: Wie ändert sich die Nachfrage nach bestimmten Gütern bei Veränderung des Einkommens und der Preise? Unternehmenstheorie: Angebotsvariationen Angebot/Nachfrage nach Arbeit? in Abhängigkeit von Preisänderungen, Preistheorie: Welche Auswirkungen haben Nachfrage- und Angebotsänderungen auf die Preisentwicklung? Verteilungstheorie: Verteilung von Arbeit, Kapital und Boden? Geld-, Finanz-, Beschäftigung-, Konjunktur-, Wachstums- und Außenwirtschaftstheorie: Makroökonomische Fragestellungen (u.a. Auswirkungen von staatlichen Eingriffen auf das Wirtschaftsgeschehen). Wirtschaften heißt nach bestimmten Kriterien Entscheidungen treffen und eine Auswahlvorzunehmen. Aufgrund der Knappheit der Ressourcen bedeutet die Wahl einer Alternative den Verzicht auf die anderen Alternativen und damit auch den Entgang des Nutzens der nicht gewählten Alternativen = Opportunitätskosten. Auch Volkswirtschaften müssen eine Entscheidung darüber treffen, welche Güter aus einer Menge von möglichen Gütern ausgewählt und produziert werden sollen. Transformationskurve (Produktionsmöglichkeitenkurve) S. 8. Menge der Konsumgüter C D B A Menge der Verteidigungsgüt 5 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Wenn die Produktionskosten der einen genau den Kosten der anderen Güter entspricht, so ergibt sich eine Kurve von Produktionsmöglichkeiten. Entscheidet sich die Volkswirtschaft für die Mengenkombination B unter Verzicht auf die Mengenkombination A, so kostet der Zuwachs der Verteidigungsgüter von Menge a auf b den Verlust der Konsumgüter von Menge d auf c. Wenn alle Produktivkräfte ausgeschöpft sind, kann nicht gleichzeitig die Konsumgütermenge d und die Verteidigungsmenge b produziert werden. Maximal sind alle Mengenkombinationen auf der Kurve mit den Punkten A und B möglich. Auch Realisationen unterhalb der Kurve sind möglich (C) und zwar dann, wenn nicht alle Produktionsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, z.B. aufgrund von Konjunktur- und Beschäftigungsproblemen. Die Realisation von Mengenkombinationen oberhalb der Transformationskurve (D) ist nur mittel- oder langfristig möglich, wenn z.B. der technische Fortschritt zu einem Wirtschaftswachstum führt. Die Transformationskurve dient der Verdeutlichung von Problemen, die sich bei der Aufteilung von knappen Mitteln auf verschiedene Bedürfnisse, bei der Auslastung und Ineffizienz produktiver Faktoren und beim Wirtschaftswachstum ergeben. Überlegungen zur Transformationskurve gehen davon aus, dass handelnde Individuen und Institutionen bestrebt sind, Ressourcen bestmöglich einzusetzen und nach dem Maximalprinzip (größtmöglicher Erfolg durch bestehende Mittel) sowie nach dem Minimal- oder Sparprinzip (sparsamster Einsatz der Mittel) handeln Optimierungsproblem. Anhand weniger Axiome wird versucht, die Ziele der handelnden Akteure zu erfassen und das Optimierungsverhalten zu beschreiben. In der Ökonomie wird statt von „Zielen“ auch oft vom „Nutzen“ der handelnden Person gesprochen, was verwirrend ist, denn Nutzen bedeutet nicht notwendigerweise einen Gewinn für die Person selbst. Die Ökonomie geht allerdings eher von egoistischen Zielen aus, also vom persönlichen Nutzen. Axiome zur Beschreibung des Optimierungsverhaltens (Eigenschaften der PräferenzIndifferenz- Relation): 1. Vollständigkeit: aus einem Bündel von Alternativen soll die Bevorzugte ausgewählt werden. 2. Transitivität: 3. Reflexivität: Individuen schaffen konsistente Ordnungen und ändern ihre Präferenzen nicht beliebig. Ist a besser als b und b besser als c, so muss a auch besser als c sein. Ist a gleich gut wie b und b gleich gut wie c, dann ist a auch gleich gut wie c. Eine Alternative kann nur einem Indifferenzset angehören! Jedes Alternativenbündel ist gleich gut wie es selbst, damit ist sichergestellt, dass jede Alternative einem Indifferenzset zugehört. Schlussfolgerung: Jede Alternative (Vollständigkeit) gehört einem (Reflexivität), aber nur einem Indifferenzset (Transitivität) an. 4. Nicht-Sättigung: Ein Alternativenbündel wird einem anderen gegenüber bevorzugt, wenn es zumindest ein vergleichbares Gut mehr enthält. Individuen wollen also grundsätzlich lieber mehr von einem Gut haben (außer es handelt sich um ein „bad“). 5. Stetigkeit: Es ist möglich den Entgang einer bestimmten Menge des Gutes a durch eine bestimmte Menge des Gutes b zu kompensieren (Indifferenz). 6. Konvexivität: Hat man von Gut a eine kleine Menge, von Gut b jedoch eine große Menge, so steht man dem Entzug eines Teiles von a nur dann indifferent gegenüber, wenn man dafür eine verhältnismäßig große Menge von b zusätzlich bekommt. Das entspricht dem Sättigungsgesetz, wonach der relative Nutzenzuwachs einer Mengeneinheit eines Gutes mit Zunahme des Gutes abnimmt. 6 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Rekapitulation Grundannahmen: - Nutzenmaximierung - Rationalität Entsprechend den Grundannahmen der neoklassischen Theorie ist jene Alternative, die wirtschaftende Akteure aus einem Set von Alternativen auswählen, die Bevorzugte. Akteure streben danach ihren Nutzen zu maximieren, sie vergleichen die Alternativen miteinander und bilden stabile, konsistente Präferenzordnungen = rationales Verhalten. Grundannahmen der Ökonomie sind somit: Nutzenmaximierung und Rationalität. Handelnde Individuen werden nicht in ihrem sozialen Kontext gesehen sondern von anderen Menschen isoliert betrachtet. Dieses Denken hat auch viele psychologische Theorien inspiriert, vor allem die Austauschtheorien, die soziales Verhalten zu erklären vorgeben, basieren auf ökonomischen Überlegungen. Das Menschenbild in der Ökonomie ist durchaus nicht immer derart überzeichnet. Allerdings wird der Mensch auch nicht als triebgesteuertes, in seinen kognitiven Leistungen beschränktes und deshalb oft inkonsistentes Wesen gesehen. Die Frage, die an den Grundfesten der Ökonomie rüttelt, ist, ob Menschen ihre Ziele tatsächlich in bestmöglicher ökonomischer Weise verfolgen. 1.2.2 GESCHICHTE DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE Ökonomische Psychologie: beschäftigt sich mit Motiven von Wirtschaftstreibenden und dem Wohlbefinden von Individuen, Gruppen und gesamten Nationen, mit dem Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge, Ursachen des Verhaltens, Entscheidungen und wirtschaftlichen Handlungen. Sie ist bestrebt, wirtschaftliches Verhalten in Abhängigkeit von persönl. Dispositionen und den gegebenen situativen Umständen zu erklären. Ökonomie – nicht Verhalten des Einzelnen sondern der Bürger insgesamt im Staat ist von Interesse. Volkswirtschaftliche Variablen sind aggregierte (summierte, gemittelte) Größen. Zu Beginn der Wirtschaftswissenschaften mit Adam Smith (1776) wurde die Psychologie aus den formalen ökonomischen Modellen hinausgedrängt. Konzept des Nutzens wurde formuliert. Edgeworth (1881) ging von kardinalem Nutzen aus und wollte diesen messen Robbins (1932) bezweifelte, dass man Nutzen messen könne - Analyse sei nur indirekt über Wahlhandlungen möglich. Ordinales Nutzenkonzept Samuelson (1938) formulierte noch heute gültige Standardtheorie in der Ökonomie: der Nutzen entspricht der Präferenzordnung der Alternativen eines Akteurs. Nutzen wird daher im Verhalten reflektiert – gewählte Alternative = nützlichste. Um aus dem Wahlverhalten auf den Nutzen schließen zu können, müssen Akteure entsprechend der Axiome urteilen. Gegen Ende des 19. Jhdts mehrten sich Stimmen gegen die klassische Ökonomie – Ökonomie gehe von rational eigennützigen Entscheidungsverhalten aus. Thorstein Veblen (1899) fand, dass manche Güter dann besonders nachgefragt werden, wenn ihr Preis steigt. Er bemängelte, dass kulturelle Eigenheiten und gesellschaftlicher Wandel in der Ökonomie keine Berücksichtigung finden. Wesley Mitchell (1914) prognostizierte der Ökonomie eine Bewegung hin zur Psychologie. Ökonomen, die psychologische Variablen, wie 7 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Statusüberlegungen, Affiliationsbedürfnisse oder gesellschaftliche Normen, in ihre Studien einbezogen haben, fanden seitens der Psychologie kaum Unterstützung, ihre psychologischen Konzepte wurden als laienhaft abgetan. Die Kritik der Psychologie an der Ökonomie befindet, dass Ökonomie zum größten Teil aggregierte Psychologie ist. Gabriel Tarde (F,1902) bemerkte die Notwendigkeit, wirtschaftliches Handeln aus psychologischer Sicht zu analysieren und gebrauchte wahrscheinlich als erster den Begriff „Ökonomische Psychologie“. Hugo Münsterberg betonte die Notwendigkeit einer Kooperation von Psychologie und Nationalökonomie. Ende 1940er schrieben Katona und Schmölders eine Psychologie gesamtwirtschaflticher Prozesse. Katona und Strümpel kritisierten das implizite Modell der Wirtschaftstheorien, wonach sich gesamtwirtschaftliche Größen gegenseitig determinieren. Der handelnde Mensch wird als anonyme „black box“ ausgeblendet. 1970er: Gründung der International Association for Research in Economic Psychology (IAREP) hauptsächl. von europäischen Psychologen und Ökonomen, die seit 1981 das „Journal of Economic Psychology“ herausgibt. USA: 2 verwandte Vereinigungen, die Society for the Advancement of SocioEconomics (SASE) und die Society for the Advancement of Behavioral Economics (SABE). Herausgabe des Journals of Socio-Economics. Charakteritika der Ökonomie und der Psychologie, Wärneryd, 1993, S. 14 Ökonomie Psychologie Gründet auf einigen wenigen fundamentalen Annahmen wie Nutzenmaximierung, stabile Präferenzen (Rationalität) und Marktequilibrium => davon leiten sich alle ökonomischen Gesetze ab Objektive Daten Hauptsächlich induktive Vorgehensweise, viele empirische Theorien auf niedrigem Niveau, Erklärung individuellen Verhaltens, intensive Bestrebungen, Details zu beschreiben Beobachtungsdaten und subjektive Daten, auch über Emotionen Mathematische Formelsprache und Modelle Experimentelle und statistische Methoden, Skalierungstechniken Interesse für Makrogrößen Interesse für allgemeine und differentielle Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens Annahmen über individuelles Verhalten Annahmen über individuelles Verhalten dienen der Prognose von Phänomenen müssen realistisch sein (“as-if” Annahmen”) Psychologische Konzepte werden in Kontext-, Struktur- und Systemvariablen ökonomoische Termini übersetzt, um mit dem üblicherweise vernachlässigt Rationalitätskonzept kompatibel zu sein 1.2.3 THEMENBEREICHE DER ÖKONOMISCHEN PSYCHOLOGIE Ökonomische Handlungen, beziehungsweise Entscheidungen, werden von persönlichen, kulturellen, situativen und allgemein ökonomischen Gegebenheiten beeinflusst. Die 8 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Psychologie fragt v.a. nach Motiven des Verhaltens, die Ökonomie versucht zu verstehen, wie sich das Verhalten unter wechselnden Bedingungen verändert. Die ökonomische Psychologie beschäftigt sich mit den Ursachen und Änderungen des Verhaltens im wirtschaftlichen Kontext.Van Raaij (1981) fasst die Variablen zusammen. Modell ökonomisch- psychologischer Fragestellungen, van Raaj, 1981, S. 16 Persönlichkeits- Umgebungs- merkmale bedingungen Wahrgenommener Wirtschaftskontext Wirtschaftlicher Kontext Allg. Wirtschaftsbedingungen Kaufverhalten, Arbeitsverhalten Subjektives Wohlbefinden Gesamtgesellschaftliche Stimmung 1) Allgemeine Wirtschaftsbedingungen (staatliches Wirtschaftssystem, Konjunkturlage, Wirtschaftspolitik, ökologische Bedingungen etc.) beeinflussen den wirtschaftlichen Kontext (Marktlage, persönliche Finanzlage, Art der Beschäftigung etc.). Beziehungen zwischen allg. Wirtschaftslage und Möglichkeiten der Haushalte und Firmen. 2) Persönlichkeitsmerkmale und der wirtschaftliche Kontext beeinflussen die Interpretation wirtschaftlicher Bedingungen (wahrgenommener Wirtschaftskontext; erwartete Preisentwicklung, subjektiv wahrgenommene Einkommensverteilung, beurteilte Gerechtigkeit etc.). 3) Das Verhalten der Konsumenten und Unternehmer hängt überwiegend von der wahrgenommenen Wirtschaftslage ab. Das Studium der Beziehungen zwischen Einstellungen und Verhalten dient dem Verständnis ökonomischer Veränderungen. Aus ökonomischer Sicht ist v.a. die Beziehung zwischen Verhalten und wirtschaftlichem Kontext, formuliert als Angebot- und Nachfragerelation, analysiert worden. 4) Situative Einflüsse (Umgebungsbedingungen, z.B. Arbeitslosigkeit) können Handlungen (Verhalten) trotz des Wunsches, sie auszuführen (z.B. Konsumwünsche), verhindern. 5) Ökonomisches Verhalten beeinflusst das subjektive Wohlbefinden (Zufriedenheit/Frustration nach dem Kauf eines Gutes). Die Zufriedenheit mit Gütern führt zu einer Veränderung der wahrgenommenen Wirtschaftslage. 6) Das subjektive Wohlbefinden (Diskrepanzerlebnis zwischen Erwartungen und Realität) über Personen aggregiert, drückt sich in der Zufriedenheit oder Missstimmung im Staat aus. Zusammenhang zwischen dem Befinden in wirtschaftlichen Belangen und allg. Zufriedenheit? Zusammenhang zwischen individuellem Befinden und Konsumentenund Produzentenstimmung? 7) Das subjektive Wohlbefinden der Konsumenten determiniert wirtschaftliche Entwicklungen (Werbestrategien, Güter werden bedürfnisgerecht gestaltet, Wünsche der Konsumenten werden berücksichtigt). Auch das Konsumentenverhalten (Konsumund Sparneigungen, Investitionstendenzen etc.) determiniert die Wirtschaftslage. 9 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 2 - ÜBER DIE BRÜCHIGKEIT DER ÖKONOMISCHEN GRUNDANNAHMEN Die Kritik der Psychologie richtet sich gegen die Annahme, wonach wirtschaftlich handelnde Menschen immer in der Lage sein sollten, rationale, den subjektiven Nutzen maximierende Entscheidungen zu treffen. Das klassische ökonomische Leitbild menschlichen Handelns unterstellt das Rationalitätsprinzip als Verhaltensmaxime und Nutzen- oder Gewinnmaximierung als Ziel. Beide Prinzipien werden vor allem formalwissenschaftlich normativ verstanden. Da aber auch Aussagen über faktisches Verhalten gemacht werden und daher eine realwissenschaftlich-deskriptive Bedeutung hinzukommt, sind beide Prinzipien kritisierbar. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die menschliche Informationsverarbeitungskapazität beschränkt ist, es kommt zu Urteilsheuristiken = Entscheidungsregeln, die zwar eine Zeit und Energie sparende Entscheidung ermöglichen, aber zu fehleranfälligen Urteilen führen. In deskriptiven Entscheidungsmodellen wird angenommen, dass Menschen nicht unbedingt nach der optimalen Lösung sondern nach einer zufrieden stellenden Lösung streben. Auch Risikoverhalten bringt die Grundannahmen ins Wanken. Wenn sich Individuen zwischen einer riskanten Alternative und einem sicheren Gewinn entscheiden müssen, agieren sie meist risikoscheu. Wenn allerdings ein Verlust droht, wählen Menschen eher die riskante als die sichere Alternative (z.B. Besitzeffekt). Menschen sind weiters kaum in der Lage, längerfristig die Konsequenzen ihrer Handlungen zu überblicken und bevorzugen die momentan günstigere, langfristig aber schädliche Alternative gegenüber augenblicklich wenig attraktiven aber langfristig gewinnbringenderen Alternativen. Dem Rationalitätsmodell kann zum einen auf kognitiver Ebene widersprochen werden, indem nämlich gezeigt wird, dass Entscheidungen aufgrund begrenzter Informationsverarbeitungskapazitäten inkonsistent getroffen werden, zudem Kontextvariablen mit hineinspielen. Zum anderen aus mehr sozialpsychologischer Perspektive, indem argumentiert wird, dass in Gruppenentscheidungen auch interpersonale Dynamiken eine Rolle spielen. 2.1 ENTSCHEIDUNGEN Wenn eine Vielzahl von Bedürfnissen befriedigt werden müssen und die verfügbaren Ressourcen begrenzt sind, muss entschieden werden, welche Ressourcen wofür und wie eingesetzt werden. Entscheidungen werden umso schwieriger, je mehr die Anzahl der möglichen Entscheidungsalternativen zunimmt, je weniger Zeit zur Bewertung der Alternativen und der Konsequenzen zur Verfügung steht und Unsicherheit über Ereignisse und deren Ergebnisse oder gar Unwissenheit besteht. Entscheidungen werden entweder intuitiv oder analytisch getroffen. (Siehe Tabelle 2.1, Seite 35). Experten sind in der Regel in der Lage, intuitiv gute Entscheidungen zu treffen. Intuitive Entscheidungen sind in hoch validen Umgebungen häufig gut. Umgebung ist hoch valide, wenn stabile Beziehungen zwischen Bedingungen und der Transformation der Bedingungen gegeben sind. Affektheuristik – 10 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Situationen oder Entscheidungen werden danach beurteilt, ob sie angenehm oder unangenehm sind. Intuitive Entscheidungen können sich als schlecht herausstellen, wenn Unklarheit und Unwissenheit vorherrscht. Im Fall hoch emotionalisierender Konsequenzen werden niedrige Eintrittswahrscheinlichkeiten oft überschätzt. Im Fall hoher Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses, wird diese oft massiv unterschätzt. Laien urteilen häufiger nach der Affektheuristik als Experten. Affektpriming = Aufmerksamkeit von Personen wir durch nicht bewusste Voraktivierung der Wahrnehmung auf emotionale Sachverhalte gelenkt. 2.1.1 Sicherheit, Risiko und Ambiguität Entscheidungen werden unter Sicherheit getroffen, wenn der Entscheidungsträger vollständige Info über die wählbaren Alternativen und Sicherheiten über deren Konsequenzen hat und die Person sensibel hinsichtlich der Unterschiede zw. den Entscheidungsalternativen ist und sie nach subjektiven Präferenzen reihen kann. – in der Praxis kaum der Fall. Risikoentscheidungen sind Entscheidungen über Alternativen mit Konsequenzen, welche mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintreten können. Es besteht Unsicherheit über Ereignisse und deren Konsequenzen. Beispiel S. 38. Entscheidungen unter Ambiguität liegen vor, wenn die Wahrscheinlichkeit, mit der Konsequenzen auftreten können, nicht numerisch bestimmt werden kann. Ungewisse Entscheidungen : Folgen sind nicht abschätzbar, es ist unbekannt was passieren wird. Menschen bevorzugen sichere Entscheidungen gegenüber riskanten. Insbesondere vermeiden sie ambigue Entscheidungen. Ellsberg-Paradoxon : Individuen, aber auch Gruppen, lehnen Ambiguität ab und verhalten sich inkonsistent. Somit verhalten sie sich nicht entsprechend der Axiome der ökonomischen Theorie. Vp wurde gesagt, dass sich in einer Urne 30 rote Kugeln und zusammen 60 schwarze und gelbe Bälle befinden. Rein logisch gesehen müssten die Teilnehmer den Alternativpaaren gegenüber indifferent sein, da der mögliche Gewinn in allen Fällen mathematisch ident ist, sind sie aber nicht. Sie mussten sich entscheiden zwischen den Alternativen: (1a) Falls ein roter Ball aus der Urne gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer. (2a) Falls ein schwarzer Ball aus der Urne gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer. (1b) Falls ein roter oder gelber Ball gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer. (2b) Falls ein schwarzer oder gelber Ball gezogen wird, gewinnt ein Teilnehmer. 11 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Die meisten bevorzugten (1a) vor (2a), aber (2b) vor (1b), weil die Wahrscheinlichkeit, mit welcher ein roter Ball geuogen wird bekannt ist (p=0,33). Im zweiten Spiel ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein schwarzer oder gelber Ball gezogen wird bekannt (p=0,76). Ambiguitätseffekt: bei unsicheren Handlungsalternativen beeinflusst der Grad der Info über die zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilung die Präferenz des Entscheidungsträgers. Entscheidungsträger bevorzugt Situationen, in denen er sich ein klares Bild von den Eintrittswahrscheinlichkeiten machen kann. Dadurch kann das Unabhängigkeitsaxiom der Erwartungstheorie verletzt werden. Bsp. siehe S.40 2.1.2 Klassische Entscheidungstheorien Erwartungswert = Produkt der Gewinnhöhe und der Wahrscheinlichkeit, mit welcher der Gewinn eintritt. Nutzenfunktion = Zusammenhang zwischen Geldwert und Nutzen. Funktion ist konkav. Normative Modelle – beziehen sich auf optimale Entscheidungen. Sie geben vor, wie idealisierte Individuen optimale Entscheidungen treffen. Deskriptive Modelle – beschreiben, wie Individuen tatsächlich Entscheidungen treffen Präskriptive Modelle – bieten auf Basis einer Entscheidungstheorie Vorschläge an, wie in einer Entscheidungssituation schrittweise vorgegangen werden soll, um eine optimale Entscheidung zu treffen Subjektive Erwartungsnutzentheorie Subjektives Erwartungsnutzenmodell (SEU)/subjective expected utility model = Maximierungsmodell, normatives Modell Entscheidungsträger bestimmen in einer Entscheidungssituation für alle wählbaren Alternativen den erwarteten subjektiven Nutzen und wählen dann jene Alternative, die den maximalen Nutzen bringt. Entscheidungsträger kennen die Eigenschaften der verfügbaren Alternativen, berücksichtigen, wie wahrscheinlich eine Eigenschaft zutrifft und wie wertvoll diese Eigenschaften sind. Summe der Produkte der subjektiven Wahrscheinlichkeiten und Werte der Eigenschaften ergibt den subjektiven Erwartungsnutzen einer Alternative. Entscheidungsträger können risikoscheu, risikoneutral oder risikofreudig sein. Manche Eigenschaften bedeuten einer Person mehr als einer anderen. Unterschiedliche Personen entscheiden sich daher trotz gleicher Auswahlmöglichkeiten konsistent für unterschiedliche Alternativen. Allgemeine Charakteristika der Entscheidungssituation nach Kühberger: 1. Es gibt einen bestimmten identifizierbaren Entscheider. 2. Alle Alternativen sind im Voraus festgelegt und der Entscheider ist darüber vollständig informiert. 3. Alle möglichen Konsequenzen können vorweggenommen und bewertet oder in eine Rangordnung gebracht werden. 4. Die Bewertung von Konsequenzen geschieht anhand von beständigen Zielen. 5. Allen möglichen Ereignissen können Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden. 6. Die Relevanz von Informationen kann beurteilt und relevante Information kann gesucht und gesammelt werden. 12 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Unter diesen Umständen werden sichere Entscheidungen getroffen, was jedoch nicht immer der Fall ist. Es sind zwei Gründe, die gegen das Subjective-Expected-UtilityModel sprechen: 1. Entscheidungen werden in der Regel von Einzelpersonen nicht so getroffen, da die 6 Prämissen kaum in ihrer Idealausprägung anzufinden sind. 2. Bei Entscheidungen in Gruppen funken auch noch andere nicht-rationale, psychologische Variablen dazwischen wie etwa Kooperation, Fairness, Vertrauen oder Gerechtigkeit. Ablauf von Entscheidungen nach dem Rationalmodell: 1. Wahrnehmung einer kritischen und daher entscheidungsbedürftigen Situation; z.B. ich brauche ein Auto 2. Definition der Entscheidungskriterien: Welche Aspekte einer Lösung oder einer Situation sind wichtig, welche irrelevant? Z.B. Motorleistung, Preis, Farbe 3. Gewichtung der Entscheidungskriterien: Nach Isolation der Kriterien müssen sie in eine Rangordnung gebracht und entsprechend ihrer Bedeutung für den Entscheidungsträger gewichtet werden. 4. Entdeckung von Entscheidungsalternativen: Wenn klar ist, wie eine Option aussehen soll, wird das Marktangebot gesichtet, alle verfügbaren Alternativen werden berücksichtigt. 5. Bewertung der Alternativen: Alle Autos werden subjektiv, anhand der relevanten Kriterien bewertet. Bewertung ist subjektiv und daher von Person zu Person unterschiedlich. 6. Wahl der optimalen Alternative: Es wird jene Alternative gewählt, die dem Ideal am nächsten kommt = beste Alternative unter den gegebenen Optionen. 2.1.3 Ultimatumspiel und Diktatorspiel Ultimatumspiel - es wird untersucht, wie eine Person entscheidet, wenn sie die Möglichkeit hat, ein Gut zwischen sich und einer anderen Person aufzuteilen. Bsp. 1: Spieler A erhält Geldbetrag g und muss Spieler B einen Teil des Betrages t anbieten. Wenn B das Angebot akzeptiert erhält A den Betrag abzüglich seines Angebots an B (g-t). B erhält das Angebot t. Lehnt B das Angebot ab, gehen beide Spieler leer aus. Unter der Rationalitäts- und Nutzenannahme ist das Ziel von Spieler A, B den geringst möglichen Teil (t˃0) anzubieten und seinen Gewinn zu maximieren. Handelt B ertragsorientiert wird er das Angebot akzeptieren, da 1 EUR besser als kein Geld ist. Aufteilung weicht von der rationalen Lösung meist ab. Kleine Angebote werden als unfair empfunden und abgelehnt. Bsp.2 Piratenspiel: 5 rational handelnde Piraten haben 100 Goldmünzen geraubt und sollen diese untereinander aufteilen. Die Rangordnung erfolgt nach Lebensalter. A ranghöher als B, B ranghöher als C, C ranghöher als D und D ranghöher als E. Verteilungsregeln o Ranghöchste Pirat macht Vorschlag zur Aufteilung der Münzen, dann stimmen die Piraten ab, ob sie damit einverstanden sind 13 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat o Der Vorschlagende ist selbst auch stimmberechtigt und hat die ausschlaggebende Stimme, falls sich keine Stimmmehrheit ergibt o Wird der Vorschlag angenommen erfolgt die Aufteilung und das Spiel endet. Wird der Vorschlag nicht angenommen, wird der Vorschlagende über Bord geworfen und der ranghöchste verbleibende Pirat erhält die Gelegenheit eine Aufteilung vorzuschlagen – Spiel beginnt von Neuem. Piraten entscheiden auf Grundlage von 3 Kriterien Jeder möchte überleben Jeder möchte die Anzahl der Goldmünzen, die er erhält maximieren Jeder möchte die anderen über Bord werfen, wenn die übrigen Kriterien gleich bleiben Auflösung Wenn alle Piraten außer D und E bereits über Bord sind, kann D für sich 100 und für E 0 vorschlagen. D hat die ausschlaggebende Stimme – Vorschlag wird sicher angenommen. Wenn 2 über Bord gingen und 3 verbleiben weiß C, dass D in der nächsten Runde E 0 anbieten wird. C muss E daher mind. 1 anbieten um seine Stimme zu erhalten. Verteilung bei 3 verbleibenden Piraten: C 99, D 0, E 1 Wenn 1 Pirat über Bord ging und 4 verbleiben, teilt B wie folgt auf: B 99, C 0, D 1, E0 Bleiben alle 5 Piraten an Bord – Verteilung: A 98, B 0, C 1, D 0, E 1 Diktatorspiel = eine Variante des Ultimatumspiels Partner B hat keine Möglichkeit ein Angebot abzulehnen. Spieler A erhält z.B. 100EUR und kann Spieler B einen Betrag t anbieten. t kann jeder Betrag zwischen 0 und 100EUR sein. Das Spiel endet für Spieler A mit der Auszahlung von 100EUR-t. Meist agiert Spieler A nicht geizig und egoistisch sondern tendiert zu einer fairen Verteilung. Gefangenendilemma = 2-Personen-Nicht-Nullsummen-Spiel. Dh., es ist möglich, die Gütermenge durch Kooperation zu vermehren. = Spiel zur Untersuchung von Kooperation. Es kann gezeigt werden, dass individuell rationale Entscheidungen zu kollektiv schlechteren Ergebnissen führen können. Bsp.: 2 Entscheidungsträger haben gemeinsam Delikt begangen. Polizei verdächtigt beide Partner, besitzt aber kaum Beweise. Gesteht einer oder beide, werden beide zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt. Schweigen beide, reichen die Indizien nicht aus, um beide zur Höchststrafe zu verurteilen, sondern nur zu einer Strafe von 2 Jahren. In diesem Fall ist es vernünftig, wenn beide schweigen. Siehe S. 47 Abb.2.2 Auszahlungsmatrix A Polizei bietet beiden getrennt an, zu kooperieren und zu gestehen. Gesteht einer, kommt er frei, der andere wird zu 7 Jahre Gefängnis verurteilt. Gestehen 14 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat beide gibt es eine Strafminderung für beide auf 5 Jahre. Gefangenen werden getrennt verhört und können sich nicht absprechen. Siehe S.47 Abb.2.3 Auszahlungsmatrix B Das Dilemma ist, dass beide versucht sind, sich für einseitigen Verrat zu entscheiden, um selbst frei zu kommen (temptation T), dass sie für Kooperation insofern belohnt werden, als beide nicht 7 sondern 2 Jahre Gefängnis bekommen (reward R), dass ihnen eine Bestrafung bei gegenseitigem Verrat von 5 Jahren Gefängnis droht (punishment P) und dass derjenige, der dem Partner, der das Vertrauen bricht, gutgläubig vertraut, zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt wird (sucker’s payoff). Siehe S-48 Abb. 2.4 Die Orientierung am kollektiven bzw. am individuellen Nutzen führt zu unterschiedlichen Entscheidungen. Insgesamt ist das Strafergebnis am geringsten, wenn beide schweigen (2+2=4 Jahre). Aus Perspektive des Einzelnen = günstig mit Polizei zu kooperieren, aber nicht mit dem Komplizen. Kooperieren beide mit der Polizei, ist auf kollektiver Ebene das Ergebnis besonders ungünstig (5+5=10 Jahre). Aus Perspektive der Rationaltheorie ist es sinnvoll, in einem einmal gespielten Spiel den eigenen Nutzen zu maximieren und den Komplizen zu verraten – eigene Entscheidung kann Verhalten des Partners nicht beeinflussen. Studienteilnehmer entscheiden sich jedoch häufig für die Kooperation. 2.2 ENTSCHEIDUNGSANOMALIEN Bei komplexen Entscheidungen im Alltag, Beruf und am Markt sind Abweichungen vom Rationalmodell =Anomalien – die Regel. Oft sind Verluste, die bei Verzicht auf eine Alternative in Kauf genommen werden müssen oder antizipierte Emotionen handlungsrelevant oder es genügt eine zufrieden stellende Alternative. Meist sind rationale Entscheidungen unvernünftig, weil sie zuviel Zeit in Anspruch nehmen und die Situation zu komplex ist. Vielfach wird implizit eine Alternative favorisiert und die nachfolgende Infosuche dient der Bestätigung der Wahl. Schwierigkeiten: - nicht lineare (exponentiell verlaufende) Entwicklungen - bedingte Wahrscheinlichkeiten (Monty Hall Dilemma Gameshows, in denen Menschen sind gewohnt, Entwicklungen von Ereignissen linear in die Zukunft zu projizieren. Sie haben Schwierigkeiten Prognosen über exponentielle Entwicklungen zu erstellen. jeweils Alternativen geboten werden, von der nur eine einen Gewinn enthält – Spieler wählt eine Alternative mit mögl. Gewinn - Spielleiter schließt, bis auf eine, alle Nieten aus und fragt die Person, ob sie sich doch für die andere Alternative entscheiden möchte. Konsistenz und Beharren sind hier unvernünftig, da sich die Wahrscheinlichkeit eines Gewinnes bei Alternativenwechsel um ein Drittel erhöht. Mit jeder Wahl, die getroffen wurde, verändern sich die Wahrscheinlichkeiten, da sie bedingt sind. Es sind nicht logische, sondern psycho-logische Gründe für das gewinnschmälernde Beharren verantwortlich, z.B. das antizipierte Bedauern eines Verlustes bei Wechsel.) - Präferenzen sind nicht stabil Soll man sich zwischen einer kleinen Schokolade sofort und einer großen morgen entscheiden, werden viele sich für die kleine sofort entscheiden. Geht es aber um die kleine Schokolade in einer Woche oder die große in einer Woche und einem Tag, ist die Entscheidung für die große wahrscheinlicher. Die Präferenzen sind nicht stabil geblieben, obwohl die Alternativen dieselben blieben = Prinzip der Melioration – Menschen wählen jene Alternative, die sie momentan besser stellt. Es kommt zu einer Diskontierung von Gewinnen über die Zeit. Diese ist ebenfalls inkonsistent. 15 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Die operante Konditionierungstheorie postuliert, dass die Wahrscheinlichkeit jenes Verhaltens steigt, das die höchste Verstärkung erfährt. Herrnstein widerspricht. Manchmal wird die eine, manchmal die andere Alternative gewählt, auch wenn erkannt wurde, welche Alternative die wertvollere ist, vielleicht aufgrund von Sättigungseffekten, aus Neugier u.a. Motiven. Entsprechend dem relativen Effektgesetz (auch Anpassungsgesetz oder matching law) ist das Verhältnis der Wahl verschiedener Verhaltensalternativen proportional dem subjektiven Wert der Verstärkung dieser Alternativen und invers proportional der Zeit, die zwischen Verhalten und Verstärkung liegt. Entsprechend wird Alternative A 3 Mal öfter gewählt als Alternative B, wenn die Verstärkung von A 3 Mal so viel wert ist , wie jene von B. An Stelle der Maximierung tritt das Prinzip der Melioration („kurzfristige Besserstellung“). Menschen und auch Tiere richten demnach ihr Verhalten an benachbarten Alternativen aus und stellen Vergleiche an, wählen dann die momentan gewinnbringendere Alternative. Der Nutzen einer Alternative über die Zeit kann kaum berechnet werden, die momentan bessere Alternative wird gewählt. Experiment von Herrnstein mit Studenten: Bei einem Computerspiel kann Geld gewonnen werden. Bei Betätigung der Tasten A und B fällt am Bildschirm eine Münze in einen Behälter. Während die Münze fällt, sind beide Tasten blockiert. Zuerst fällt sie bei Betätigung von Taste B viel schneller, je öfter aber Taste B gedrückt wird, desto langsamer fällt sie bei B. Letztendlich wäre nach einer Weile die Betätigung von Taste A gewinnbringender, die meisten Teilnehmer wählen aber die maximal gewinnschmälernde Strategie, nämlich bis Spielende immer nur oder fast immer Taste B zu drücken. Suboptimales Verhalten lässt sich im Alltag oft beobachten, vor allem bei Suchtverhalten. 2.2.1.3 Gefühle und Entscheidungen Nach Loomes und Sudgen (1982) hängt der subjektive Wert einer Alternative nicht nur von dem vermuteten Konsequenzen sondern auch von den vermuteten Konsequenzen der nicht gewählten Alternativen ab.Diese Überlegung führte zu einer Modifikation der subjektiven Erwartungswerttheorie = Regret-Modell. Außer dem Nutzen der gewählten Alternative wird auch der Nutzenentgang durch den Verzicht auf die anderen Alternativen berücksichtigt. Bedauern basiert auf dem Vergleich zw. Alternativen und kann auf vergangene (retrospective regret) oder zukünftige (anticipated regret oder prospective regret) Entscheidungen bezogen sein. Auch der Entscheidungsprozess kann zu Bedauern führen, wenn z.B. eine Auswahl getroffen wurde, ohne bestimmte Infos zu beachten, die verfügbar gewesen wären oder ein Urteil zu schnell gefällt wurde. Affective forecasting = Vorhersage von emotionalen Reaktionen auf zukünftige Ereignisse. Wilson und Gilbert (2003) unterscheiden 4 Komponenten des affective forecasting: Vorhersagen über die Valenz der zukünftigen Gefühle Die spezifischen Emotionen, die erlebt wurden Die Intensität der Gefühle Die Dauer Personen machen meist akkurate Prognosen über die Valenz. Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt, umso fehleranfälliger sind die Prognosen über zukünftig erlebte Emotionen. Dauer (impact bias) und Intensität der emotionalen Reaktion werden oft überschätzt. Siehe S.66 Abb 2.9 Stellt sich eine Person ein Ereignis anders vor, als es ist (misconstrual) können die zukünftige Valenz, spezifische Emotionen, Intensität und Dauer dieses Ereignisses falsch eingeschätzt werden. Prognosen über Gefühle nach einem zukünftigen Ereignis hängen auch von der aktuellen Befindenslage ab (= projection bias). 2.2.1.4 Verzerrte Erinnerungen 16 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Überdurchschnittlichkeitssyndrom – beschreibt den Effekt, dass Personen annehmen, besser als andere zu sein, als überzogenen Optimismus im Vergleich mit anderen. Ausprägungen der eigenen pos. Merkmale werden höher, jene neg. Merkmale geringer eingeschätzt, als die anderer Menschen. Better-than-average, Above-average-Effekt = motivational verzerrte, selbstwertdienliche Urteilsstrategie. Gilt v.a. für Eigenschaften, die eine Person als ihre Stärken ansieht. Kahnemann weist außerdem darauf hin, dass Menschen kaum in der Lage sind anzugeben, was sie in der Vergangenheit präferiert haben und was sie in Zukunft präferieren werden. Personen haben Schwierigkeiten damit, ihren Nutzen über die Zeit zu maximieren. Erfahrungen werden dagegen anhand der „ Spitzen-Ende-Regel “ (peak-end-rule) beurteilt, nicht die gesamte Erfahrung fließt also in das Urteil ein. Weist ein Ereignis einige negative Spitzen auf und ist auch das Ende negativ, so bleibt es negativ in Erinnerung. Ist aber das Ende relativ gesehen positiv, bleibt das Ereignis eher positiv in Erinnerung. Hindsight bias/Knew it all along bias – Menschen erinnern sich, nachdem sie erfahren haben, wie eine Situation (z.B. polit. Konflikt) ausgegangen ist nicht mehr exakt an ihre ursprüngliche Prognose und verzerren diese. Als Ursachen werden schlechtes Erinnerungsvermögen und selbstwertdienliche Anpassung an Schätzungen vermutet. Hawkins und Hastie (1990) nehmen an, dass die Info über die tatsächliche Entwicklung als Anker dient und zum Erinnerungszeitpunkt nicht die Schätzung erinnert wird, sondern erneut Prognoseprozesse stattfinden. 2.2.2 Heuristiken Heuristiken (= Faustregeln, die Urteilsprozesse erleichtern, aber zu systematischen Fehleinschätzungen führen können). Kommen zur Anwendung, wenn Urteile in komplexen Situationen ohne genügend Info zu fällen sind oder Zeitdruck besteht. 2.2.2.1 Verfügbarkeitsheuristik (availability heuristic) Urteile werden gebildet auf Basis der Leichtigkeit, mit der Informationen aus dem Gedächtnis abgerufen werden können. Oft zielführend, da einem häufige Ereignisse eher in den Sinn kommen. Nachdem Erinnerung an Ereignisse und Verfügbarkeit von Infos nicht nur von der Darbietungshäufigkeit abhängt, kann die Verfügbarkeitsheuristik zu Fehlurteilen führen. Wurde von Tversky und Kahnemann (1974) einfach geprüft: beim Vorlesen von Frauen- und Männernamen wurde jeweils bei den berühmten Namen die Häufigkeit von Frauen bzw. Männernamen höher geschätzt. Schwierigkeit der kognitiven Operationen wurde von ihnen geprüft anhand einer Schätzung, ob bei einer Gruppe von 10 Personen mehr Untergruppen aus jeweils 8 oder aus jeweils 2 Personen gebildet werden können. Anhand der Kombinatorik sind es gleich viele, die Schätzungen sagen anderes. Auch die Auffälligkeit von Ereignissen führt zu Fehlurteilen (so bei medial präsenten aber weniger häufigen Todesursachen, wie Unfälle und Morde). Auch die Stimmung der Person kann Fehlerquelle sein, in guter Stimmung werden eher positive Ereignisse erinnert state- dependent- retrieval- Hypothese (Bower, 1981). Es gibt aber auch die „Stimmung= Information- Heuristik“. Arbeitnehmer, die in guter Stimmung nach ihrer Arbeitszufriedenheit gefragt werden, schließen aufgrund der Stimmung, dass ihre Arbeitszufriedenheit hoch sein muss, anstatt Ereignisse aus der Vergangenheit zu erinnern. 17 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 2.2.2.2 Repräsentativitätsheuristik Darunter wird der geschätzte Grad an Übereinstimmung zwischen einem Ergebnis und einem Modell verstanden (Element und Prototyp) und das entsprechende Urteil darüber, ob ein Element der Kategorie des Prototyps angehört oder nicht. Vp mussten schätzen, ob eine fiktive Person Jurist oder Ingenieur war (aus 30 Ingenieuren und 70 Juristen oder genau umgekehrt). Dabei wurde nicht einmal die Verteilung in der Gesamtstichprobe (30:70) berücksichtigt, sondern die Urteile waren ausschließlich auf der Basis der vagen Beschreibungen gebildet worden. Neben der Verteilung wird auch die Stichprobengröße ignoriert, bei der Schätzung etwa ob in einem Krankenhaus mit täglich 15 Geburten sowie in einem mit täglich 45 Geburten gleich häufig ein Geschlechterverhältnis von 6:4 vorkommt, was zumeist bejaht wird, statistisch aber höchst unwahrscheinlich ist. Urteilsfehler beruhen auch auf Missverständnissen über den Zufall und typisch zufällige Ereignisse. Im Lotto wird die Zahlenkombination „7 13 24 25 30 41“ für wahrscheinlicher gehalten als „1 2 3 4 5 6“. Genauso irrig ist der Glaube, die Chance für die Farbe rot im Roulette erhöht sich nach einer langen Sequenz von schwarz. 2.2.2.3 Anker-/Anpassungsheuristik Personen beginnen ihre Häufigkeits- und Wahrscheinlichkeitsschätzungen mit einem Ausgangswert, einem Anker, ihre Urteile werden in der Folge unzureichend angepasst. Vp mussten Ergebnisse schätzen für die Multiplikationen: 8*7*6*5*4*3*2*1 oder für 1*2*3*4*5*6*7*8. Im ersten Falle wurde systematisch ein viel höheres Ergebnis geschätzt, weil die 8 als Ankerwert fungierte. Vp sollten weiters schätzen, wie viele afrikanische Staaten bei der UNO sind, danach würde ein Glücksrad gedreht und ein scheinbar zufälliger Wert erreicht, für den angegeben werden sollte, ob die Anzahl der afrikanischen UNO-Mitglieder darunter oder darüber lag. Es kam zu systematischen Fehleinschätzungen. Der Ankereffekt ist stärker und die Bearbeitungszeit kürzer, je plausibler der Anker ist, aber auch unplausible Anker funktionieren. Auch Experten fallen auf Anker herein, so wie die Immobilienmakler, die sich von einer niedrigen oder hohen Preisangabe auf einem Prospekt verleiten ließen, obwohl sie selbst über genügend Wissen zur adäquaten Schätzung der Immobilie verfügten. Verfügbarkeits-, Repräsentativitäts-, Verankerungs- und Anpassungsheuristiken widersprechen dem Modell eines vollkommen rationalen Menschen, aber sie sind nicht unvernünftig. Wenn Zeitdruck zum Handeln zwingt, ist es vernünftig, sich auf Erfahrungen zu verlassen, Strategien zu nutzen, die sozusagen Abkürzungen darstellen. Manchmal führen die Hilfsmittel aber in die Irre. 2.2.2.4 Weitere schnelle und sparsame Heuristiken Rekognitionsheuristik Kennen Menschen eines von 2 Objekten und das andere nicht, ziehen sie häufig den Schluss, das bekannte Objekt habe en höheren Wert.Rekognitionsheuristik kann zu einem kontra-intuitiven Effekt führen, dem „Less-is-more“ Effekt. D.h., dass es in manchen Fällen besser ist, weniger zu wissen. Take the Best – Heuristik Soll eine Wahl zwischen mehreren Alternativen getroffen werden, wird ein Charakteristikum ausgewählt, das besonders relevant erscheint und die Optionen werden anhand dieses Merkmals verglichen. Optionen, die nicht entsprechen werden ausgeschlossen. Dann wird das nächst beste Charakteristikum gewählt und die verbleibenden Optionen werden an diesem Merkmal gemessen. Wieder wird eine Selektion der Optionen vorgenommen, bis eine Entscheidung getroffen werden kann. Eliminationsheuristik Merkmale der Alternativen werden sukzessiv zur Bewertung der Alternativen herangezogen und jene Alternativen, die nicht entsprechen werden sukzessive eliminiert. 18 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Tversky beschreibt Eliminationsprozesse. individuelle Entscheidungen als sequentielle Bei Entscheidungen werden Kriterien so ausgewählt, dass die wichtigsten mit größter Wahrscheinlichkeit zuerst zur Beurteilung von Alternativen herangezogen werden. Die Alternativen werden sequentiell am jeweiligen Kriterium „gemessen“. Erfüllt eine Alternative nicht den subjektiven Standard, fällt sie als unbrauchbar weg. Dann wird ein weiteres Kriterium gewählt, die Alternativen werden danach „gesiebt“, bis schließlich eine Alternative übrigbleibt. 2.2.3 Entscheidungen unter Unsicherheit: die Prospect-Theory Menschen sind risikoscheu, mögen keine Ambiguität und ziehen einen sicheren Gewinn einem möglichen, statistisch gesehen, gleich großen Gewinn vor, was auch von Ökonomen akzeptiert wird. Menschen sind aber nicht generell risikoscheu, sondern nur in Situationen mit sicherem Gewinn! In Wahlsituationen mit sicherem Verlust wird oft die riskantere Alternative gewählt, als ob die Personen den Verlust zu reparieren suchten. Aber auch: Je nach Problempräsentation, je nach semantischem Rahmen (framing), kann die Aufmerksamkeit auf einen Gewinn oder Verlust gelenkt werden, und entsprechend unterschiedlich sind die Präferenzen der Entscheidungsträger (framing effect). In der Prospect Theory (Kahnemann und Tversky, 1979) wird der Einfluss der subjektiven Aussichten, die durch entsprechende Problempräsentation auf einen Gewinn oder einen Verlust hin gelenkt werden, auf das Verhalten von Personen in Risikosituationen beschrieben. Prospect Theory = Weiterentwicklung der subjektiven Erwartungsnutzentheorie. Je nachdem, ob eine Alternative als Gewinn oder Verlust präsentiert wird, sind die Präferenzen unterschiedlich. Beispiel einer Wertfunktion, Kahnemann & Tversky, S. 85 19 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Wie auch in der subjektiven Erwartungsnutzentheorie postuliert wird, vermuten Kahneman und Tversky, dass Menschen ihren Nutzen maximieren möchten. Deshalb wird angenommen, dass der Nutzen der verfügbaren Alternativen und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter Konsequenzen Entscheidungen determinieren. Allerdings wird angenommen, dass Menschen in komplexen Entscheidungssituationen dazu tendieren, eine Vereinfachung des Problems vorzunehmen und anschließend die Aussichten (prospects), welche die Optionen bieten, bewerten. Der Entscheidungsprozess verläuft demnach über zwei Phasen: - - Editierphase: es wird überlegt, worauf ein Ereignis, eine Option und ihre Konsequenzen bezogen werden – Referenzpunkt wird gewählt. Sämtliche Schwierigkeiten Information korrekt ui verarbeiten und die Anwendung von Entscheidungsheuristiken werden beobachtet. Bsp.: manchmal werden unabhängige Ereignisse als verbunden wahrgenommen. Komplexe Sachverhalte werden vereinfacht und hervorstechende Ereignisse besonders gewichtet. Sämtliche Schwierigkeiten In der Evaluationsphase wird überlegt, ob die Konsequenzen einer Option relativ zu einem Referenzpunkt einen Gewinn oder Verlust darstellen. Die Wertfunktion bildet den Zshg zw. einem objektiv eintretenden Gewinn oder Verlust und dem Erleben, dem subjektiven Nutzen, ab. Weiters wird die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Ereignissen berücksichtigt. Siehe Abb. 2.13 und 2.14 S. 85 Wertfunktion ist im Gewinnbereich konkav und im Verlustbereich konvex. Kurve ist im Verlustbereich steiler als im Gewinnbereich. Der subjektive Wert eines Gewinnes wird geringer geschätzt als ein objektiv gleich großer Verlust. Entscheidungsgewichtungsfunktion, die in der kumulativen Prospect-Theory weiterentwickelt wurde zeigt, wie objektive Wahrscheinlichkeiten, mit welchen Konsequenzen bei der Wahl einer Option eintreten, in subjektive umgerechnet werden. Objektiv geringe Wahrscheinlichkeiten werden eher überschätzt und hohe Wahrscheinlichkeiten eher unterschätzt. 20 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Wertfunktion muss nicht immer die Form annehmen, die in Abb.2.13 dargestellt ist. Ab einer bestimmten Entfernung vom Referenzpunkt kann die Sensitivität einer Person für weitere Verluste wieder zunehmen. Bsp.: Devisenhändler darf bis zu Verlust von 100.000 EUR selbst Entscheidungen treffen. Ab Verlust von 100.000 EUR muss der Vorgesetzte konsultiert werden. Ab Verlust von 150.000 EUR muss die Sachlage dem Vorgesetzten gemeldet werden und weitere Aktivitäten dürfen nur nach Absprache durchgeführt werden. Händler wird alles unternehmen, um Verlust von 150.000 EUR zu vermeiden und auch riskant investieren, wenn die Möglichkeit besteht, den Verlust von über 100.000 EUR wettzumachen. Mögliche Form der Wertfunktion Abb. 2.15 Kritik und Erweiterungen der Prospect-Theory: Die Wertfunktion der Prospect-Theory bezieht sich nur auf aktuelle Gewinne oder Verluste. Mowen & Mowen: Gewinne, die nicht sofort genutzt werden können, stellen subjektiv einen Verlust dar, Verluste, die erst in der Zukunft getragen werden müssen, werden Ergebnisbewertungmodell nach Mowen und Mowen, 1991, S. 89). als Gewinn erlebt (Zeit- und 2.2.3.1 Besitzeffekt (endowment effect) Thaler: Wird anschließend an einen Gewinn dieser wieder zurückgenommen, wird die Zurücknahme nicht als Rückkehr in die Ausgangslage, sondern als Verlust erlebt. Nachdem ein Gut von einer Person in Besitz genommen worden ist, erscheint es unmittelbar subjektiv wertvoller und die Rückgabe relativ schmerzhafter. Auf der Wertfunktion der Prospect-Theorie bedeutet dies nicht die Rückkehr in die Ausgangslage, sondern die Werteinbuße wird intensiver erlebt als die Gewinnerfahrung bei Erhalt des Gewinns. Experiment: Studenten, die Fragebogen ausfüllen mussten und Krug behalten durften („Verkäufer“) vs. Studenten, die zwischen Krug oder einem Geldbetrag wählen konnten („Wähler“). Während die Verkäufer die Abgabe des Kruges, den sie bereits besitzen, als Verlust erleben, erleben Wähler den Krug als Gewinn. Daher mittlerer Wert des Kruges in der Verkäufergruppe höher als in der Wählergruppe. Dies widerspricht den klassisch-ökonomischen Nutzendiskussionen und der Annahme der Stabilität von Präferenzen. Die Ökonomie lehrt, dass sich Indifferenzkurven einer Güterkombination nie überschneiden können. Indifferenz bedeutet, dass ein Individuum eine Güterkombination für gleichwertig wie eine andere Kombination hält. Es scheint aber, dass Personen vom status quo ausgehen, und einen Gewinn schnell als Selbstverständlichkeit ansehen., ein Verlust, auch wenn er geringer ist als der unmittelbar vorhergegangene Gewinn, wird hingegen schmerzhaft registriert. Auf den Arbeitsmarkt gesehen würde etwa ein bestimmtes Gehalt als Null- oder Ausgangspunkt dienen. Ein Gehaltszuwachs wird als Gewinn positiv registriert, aber bald wird das neue Gehalt als Nullpunkt wahrgenommen, von dem aus Zuwächse und Verluste beurteilt werden. Die Wertkurve von Kahnemann & Tversky bleibt somit nicht stabil, sondern wandert zum jeweiligen status quo, wo der Koordinaten-Nullpunkt anzusetzen ist. Inzwischen wird die Prospect-Theory als eingeschränkt Erklärungsmodell des Entscheidungsverhaltens angenommen. gültiges 2.2.3.2 Versunkene Kosten (sunk-costs effects) Verluste und Gewinne wirken sich nicht nur auf aktuelle, sondern auch auf zukünftige Entscheidungen aus. Wurden Investitionen für eine Angelegenheit getätigt, so werden zukünftige Entscheidungen über weitere Investitionen zur Erledigung besagter Angelegenheit umso bereitwilliger gefällt, je höher die vergangenen Investitionen waren. Etwa teurer Urlaub in den Rocky Mountains muss ebenso teuer storniert werden, da Freunde krank sind. Obwohl ein Urlaub in den nahen Bergen ebenso teuer wäre wie die 21 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Stornogebühr, wählt kaum jemand diese Alternative. Kosten müssen gerechtfertigt werden! Für Unternehmen kann dies zu riskanten Geschäften führen! Vergangene Kosten müssen aber nicht immer zu erhöhter Risikobereitschaft führen, sondern können auch Risikoaversion verursachen. Zeelenberg und van Dijk (1997) untersuchten Arbeitsleistung und Risikobereitschaft. Nach harter Arbeit $ 50 oder $ 100 mit p=0,5 bzw. $0 mit p=0,5. Viele wollten die sicheren $ 50 haben. Wenn Alternative $ 50 zusätzlich zum vereinbarten Lohn oder zusätzlich zum Lohn ein Spiel, mit Ausgängen $ 100 mit p=0,5, dann wurde riskant entschieden. Neben der Risikobereitschaft ist zusätzlich das antizipierte Bedauern bei Realisierung einer Alternative entscheidungsrelevant. Risikobereitschaft und die „Erblindung aller Vernunft“ in Verlustsituationen wird nicht nur im Verhalten einzelner Personen oder von Firmen deutlich, sondern auch in Wettbewerbssituationen (Rumiati & Bonini, 1996). Teilnehmer steigerten um eine Banknote im Wert von 100 DM, wobei bei 10 DM gestartet wurde und der Vorgänger jeweils um 1DM überboten werden musste. Die Banknote erhält derjenige, der das höchste Angebot macht. Allerdings muss die Person, die das zweithöchste Angebot macht, ebenfalls ihren angebotenen Preis zahlen, ohne dafür etwas zu erhalten. Bei Erreichung von 100 DM wird nicht gestoppt! Selbst wenn Kontrahenten über die Fallen aufgeklärt werden, sind kaum Lerneffekte zu erzielen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch bei Preisunterbietungen von Fluglinien beobachten. 2.2.3.3 Mentale Buchführung (mental accounting) Die Rationalitätsannahme wird durch inkonsistente Entscheidungen aufgrund von Gewinn- bzw. Verlustereignissen stark bedrängt. Die Annahme der Gewinnmaximierung wird außerdem durch „ mentale Buchungsprozesse “ (Thaler, 1992) in Frage gestellt. Ereignisspezifisch erinnern und verrechnen Personen in einem Entscheidungsprozess Kosten und Ertrag verschiedener Operationen. Dabei werden vergangene Kosten berücksichtigt: Ist für einen Bereich das vorgesehen Budget verbraucht, sinkt die Wahrscheinlichkeit weiterer Ausgaben für den entsprechenden Bereich. Hat man ein Theaterticket um 10 $ verloren, so kauft man wahrscheinlich kein weiteres an der Abendkassa. Hat man aber kurz vor Theaterbesuch 10 $ verloren, kauft man an der Abendkasse wahrscheinlich ein Ticket. Formal betrachtet ist dieses Verhalten inkonsistent. Ist das Konto für einen Bereich voll, so fallen auch unvernünftige Ausgaben nicht schwer. Ein praktisch relevantes Beispiel bietet das Sparverhalten von Lohnempfängern. Bei zwei Personen mit gleichem Jahreseinkommen spart zumeist diejenige mehr, die zwar monatlich weniger bekommt, aber am Jahresende eine Prämie bekommt. Monatseinkommen und Sonderzahlungen werden unterschiedlich wahrgenommen und für unterschiedliche Ausgaben und Sparvorhaben budgetiert. Auch Erfolge und Misserfolge berichten Menschen ereignisspezifisch. Berichte können so gestaltet werden, dass Selbstzufriedenheit hoch ist – hedonic framing, hedonic editing. Bsp. Person leitet 4 Projekte. Projekt A – Gewinn von 100 Geldeinheiten, Projekt B – Gewinn von 50 Geldeinheiten, Projekt C – Verlust von 100 Geldeinheiten, Projekt D – Verlust von 20 Geldeinheiten. Person hat verschiedene Möglichkeiten die Gewinne und Verluste zu berichten. Gewinne separiert und Verluste integriert zu berichten maximiert entsprechend der Prospect-Theory die Zufriedenheit (Gewinne von 100 und 50 Geldeinheiten und einen Verlust von insgesamt 120 Geldeinheiten). Die Summe der subjektiven Werte G(a) und G(b) ist höher als der integrierte Wert G(a+b) und der integrierte Verlust V(c+d) schmerzt weniger als die separierten Verluste V(c) und V(d). siehe S97 Abb. 2.18 22 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 2.2.4 DESKRIPTIVE ENTSCHEIDUNGSMODELLE 2.2.4.1 INDIVIDUELLE ENTSCHEIDUNGEN Simon kritisiert die Rationalitätsannahme als Überforderung und die Nutzenmaximierung als eine Last, da Menschen nur begrenzte Möglichkeiten zu rationalem Verhalten haben. Es wird angenommen, dass Menschen nur eine „gute“ Wahl treffen wollen Prinzip zufriedenstellender Entscheidungen (satisficing principle). Entscheidungsmodell nach dem Prinzip einer zufriedenstellenden Alternative: Menschen treffen relativ leichte Entscheidungen, wählen die hervorstechendsten Merkmale aus und vernachlässigen viele Merkmale der Alternativen. Die zuerst dargebotenen Alternativen haben zudem eine größere Chance gewählt zu werden, sofern sie den Minimalanforderungen genügen (Reihenfolge der Begutachtung bedeutend). Mit noch weniger restriktiven Annahmen kommt das Soelberg Implicit-favorite-model von aus (Abb. S. 99). Personen favorisieren spontan eine Alternative, die Isolation von Kriterien und der Vergleich mit andere Alternativen, die beide dann der Rechtfertigung der favorisierten Alternative dienen, erfolgen post hoc. Entscheidungsträger ist oft nicht bewusst, dass 23 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat sie sich bereits für eine Alternative entschieden haben, bevor Vergleichsprozesse durchgeführt werden. 2.2.4.2 Entscheidungen in Organisationen und in der Politik Auch mehrere Personen entscheiden sich nicht immer für den maximalen Nutzen. Janis analysierte Dokumente über die Fehlentscheidung in der Schweinebucht unter Kennedy 1961, er erklärt suboptimale Entscheidungen mit dem Phänomen des „Groupthink“. Er fand, dass in hoch kohäsiven Gruppen, die von alternativen Informationsquellen isoliert sind und in welchen der Führer eine bestimmte Lösung favorisiert, die Wahrscheinlichkeit des Gruppendenkens hoch ist. Die Gefahr des Gruppendenkens ist unter hohem Konformitätsdruck, Selbstzensur, Überschätzung der Unverletzbarkeit der Gruppe, kollektive Rationalisierung hoch. Mangelhafte Zieldefinition, selektive Informationsverarbeitung, ungenügende Bewertung der Konsequenzen der Alternativen, schlechte Realisierungspläne können zu problematischen Lösungen führen. Papierkorb- oder Mülleimermodel (garbage can modell)l von Cohen, March & Olsen (1972) soll Entscheidungen in Organisationen abbilden. Das Organisationen entwickeln demnach selten selbst Entscheidungen, sondern kopieren sie von irgendwo. Oft werden Mangelzustände oder Differenzen zwischen Ist und Soll gar nicht wahrgenommen, es sei denn, es ist schon eine Lösung da. Organisationen sind chaotische Arenen. Um optimale Entscheidungen treffen zu können, müsste Ordnung geschaffen werden, Informationen müssten eingeholt werden, Rituale, Symbole, Mythen, die das gemeinsame Tun und damit auch Entscheidungen determinieren, müssten entlarvt werden. Wie oft müssen eingeplante Ressourcen, die am Ende einer Budgetperiode noch nicht verbraucht wurden, schnell ausgegeben werden, um zu dokumentieren, wie notwendig eine Erhöhung der Mittel für die nächste Budgetperiode ist? Ist dieses Problem gelöst, steht möglicherweise eine neue, komplizierte Maschine am Institut, die eine Lösung darstellt, für ein Problem, das noch zu finden ist, z.B. Experiment. Die Lösung sucht sozusagen nach einem passenden Problem. In der Retrospektive wird Ordnung im Entscheidungsprozess geschaffen: 24 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Braybrooke & Lindblom (1963) beschreiben schrittweisen, inkrementellen Prozess, als „ muddling Entscheidungen through“. als einen Je komplexer die Situation und je knapper die Zeit, desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer rationalen Entscheidung. In der Politik, in der Wirtschaft und im privaten Haushalt ist die Entscheidungssituation komplex, weil neben einer Entscheidung gleichzeitig andere Aufgaben anfallen. In der Politik gleicht die Entscheidungsfindung einem inkrementellen Prozess. Komplexe Wechselwirkungen verschiedener Variablen können nicht immer vorhergesehen werden. Die Richtung der Veränderungen wird solange beibehalten, bis eine negative Konsequenz eintritt. Nach Park (1982) gestalten auch Partner im Haushalt ihre Entscheidungen nach diesem Modell. Man wäre überfordert, wenn man für jedes Produkt auch die Präferenzen des Partners und dessen Wahlstrategien vollständig kennen müsste. Park bildete in seiner Studie für Paare, die gemeinsam ein Haus kaufen wollten, ein Entscheidungsnetz (Abb. 2.21 S.104), aufgrund der subjektiv relevanten und weniger bedeutsamen Attribute. Das Entscheidungsnetz wurde für jeden Partner erhoben, tatsächlich war aber die Übereinstimmung gering. Außer den unterschiedlichen Entscheidungsnetzen stellt Park (1982) fest, dass Partner kaum verlässlich darüber Auskunft geben können, wer wen in Bezug auf welche Attribute beeinflusst hatte. Und wenn Einflussunterschiede berichtet wurden, dann entsprechend der konventionellen Rollenklischees. All dies weist auf Rationalisierung im Nachhinein hin, nicht auf bewusste Informationsverarbeitung und rationale Auswahl. Intime Partner wursteln sich eher durch ihre Entscheidungen durch. 2.3 NUTZENMAXIMIERUNG: EGOISMUS, ALTRUISMUS UND DIE LIEBE Entscheidungen am Heiratsmarkt werden anhand der Rationalund Nutzenmaximierungsüberlegungen modelliert. Person, die von Vorteilen einer Partnerschaft überzeugt ist, sucht am Heiratsmarkt nach dem optimalen Partner. Aus den vielen Alternativen wird die potentiell beste Person gewählt. Der Heiratsmarkt wird weiter beobachtet. Findet sich eine bessere Alternative und ist die Lösung der Partnerschaft nicht zu kostspielig, wendet sich die Person der besseren Alternative zu. Wechsel wird nur dann unternommen, wenn die Transferkosten (soziale Diskriminierung, Verletzung religiöser Normen) nicht zu hoch sind. Simmel stellte Kontakte zwischen Menschen unter die Prämisse des Gebens und Nehmens. Homans (1974), ausgehend von der Theorie der operanten Konditionierung und Grundsätzen der Ökonomie erklärt menschliches Verhalten und auch menschliches Sozialverhalten als Funktion der Verhaltenskonsequenzen. Blau (1964) stellt klar, dass soziale Beziehungen ein Produkt der beteiligten Individuen sind, soziale Transaktionen sind zielorientiert, kognitiv gesteuert und vor allem strategisch. Laut Thibaut und Kelley (1959) wiegt jeder Interaktionspartner die Vorteile und Nachteile ab, die der Kontakt mit dem anderen bringt. Je nachdem, ob die Differenz zwischen Vor- und Nachteilen günstig ist, werden Interaktionen wiederholt und intensiviert oder, falls sich gewinnbringendere Alternativen anbieten, Kontakte abgebrochen. Ausgehend von den Annehmlichkeiten vergangener Interaktionen und antizipierten Gewinnen, die alternative Beziehungen bieten, entwickeln Personen Erwartungen über Belohnungen in gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungen. Werden diese nicht erfüllt – Auflösung der Beziehung. Folgende Thesen sind nach Nye (1979) den meisten Austauschtheorien gemeinsam: 25 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 1. Menschen treffen rationale Entscheidungen. Soziale Beziehungen werden nach ihrem Gewinn beurteilt sowie nach dem Gewinn alternativer Beziehungen. 2. Menschen agieren und reagieren in sozialen Interaktionen. Sie treffen Entscheidungen und setzen dann Aktionen. Ihre Aktionen sind nicht allein durch kulturelle oder situative Gegebenheiten bestimmt. 3. Belohnungen bedeuten auch Kosten (Energie und Zeit). 4. Soziale Verhaltensweisen werden wiederholt, wenn sie in der Vergangenheit belohnt wurden. 5. Verspricht keine mögliche Verhaltensalternative einen Gewinn, so wird jenes Verhalten gesetzt, dessen Kosten am geringsten sind. 6. Personen, die in Interaktionen das erhalten, was sie ihrer Meinung nach verdienen, sind zufrieden. Erhalten sie weniger, sind sie verärgert; erhalten sie mehr, fühlen sie sich schuldig. Belohnungen und Kosten werden nach bestimmten Regeln (z.B. EquityGleichheits- oder Bedürfnisregel) zwischen den Partnern verteilt. 7. Sozialkontakte basieren auf der Norm der Gegenseitigkeit oder Reziprozität. 8. Denjenigen, die verletzend agieren, werden Kosten auferlegt. Die Bestrafung von Feinden wird als belohnend erlebt. 9. Die Kosten, die eine Person durch Bestrafung oder Verletzung durch jemanden zu tragen hat, sind höher, als die Belohnung, wenn sie selbst jemanden, der sie verletzt hat, bestraft. 10. Interaktionspartner beurteilen den Wert verschiedener Objekte, Erfahrungen oder Beziehungen interindividuell unterschiedlich. 11. Je mehr jemand von einer Ressource besitzt, umso weniger sind zusätzliche Einheiten dieses Objektes oder dieser Erfahrung wert (Sättigungsthese, Homan), d.h. der Wert einer Belohnungseinheit nimmt ab, je häufiger sie in der Vergangenheit empfangen wurde. Austauschtheorien liegt das Menschenbild des homo oeconomicus zugrunde. Maccoby meint, dass die Interaktionsdynamik je nach Beziehungstyp unterschiedlich ist: Transaktionen in Wirtschaftsbetrieben mit hierarchischem oder egalitärem Machtgefälle oder in Beziehungen gegenseitiger Feindschaft kann man anhand der Austauschtheorien und der Equity-Prinzipien beschreiben. Interaktionen in romantischen Beziehungen folgen hingegen nicht profitmaximierenden Prinzipien. Partner in harmonischen intensiven Beziehungen allerdings handeln nach einem Modell, das Kirchler (1989) „ Liebesmodell “ nennt. Je harmonischer die Beziehung, um so dichter sind die Gefühle, Gedanken und Handlungen der Partner miteinander verstrickt, um so eher wird eine gemeinsame Nutzenmaximierung anstelle einer egoistischen Kosten-NutzenRechnung verfolgt, um so vielfältiger sind die Ressourcen, die einander angeboten werden, um so großzügiger die wechselseitige Kreditgebarung, um so eher fühlen sich die Partner für die Befriedigung der Bedürfnisse des anderen verantwortlich und um so weniger werden Forderungen an den anderen reklamiert. 26 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Ist die emotionale Bindung intimer Partner zueinander geringer, so mutiert das Liebesprinzip zum „ Kreditprinzip “. Die Partner sind dann zwar bestrebt, einander Gefälligkeiten zu erweisen, nehmen Rücksicht aufeinander, warten aber auf die Erwiderung ihrer Bemühungen. Weil die Partner einander vertrauen, muss die Rückzahlung nicht unmittelbar erfolgen. Sinkt die Beziehungsqualität weiter ab, so folgt das Interaktionsgeschehen mehr und mehr dem „ Equityprinzip “, und die Partner verhalten sich wie zwei Geschäftspartner. Je mehr die Beziehungsqualität sinkt, desto bedeutsamer werden Machtunterschiede zwischen den Partnern. Ist die Beziehungsqualität so gering, dass trotz egoistischer Handlungen ein weiteres Abkühlen der Gefühle nicht zu befürchten ist, bleibt als einziges Handlungsziel der eigene Vorteil: „ Egoismusprinzip “. Das Interaktionsgeschehen lässt sich anhand folgender Kriterien beschreiben: 1. Interdependenz vs. Independenz der Partner: Je enger und harmonischer die Beziehung, desto größer ist die wechselseitige Betroffenheit und Rücksichtnahme. In disharmonischen Beziehungen nehmen Partner kaum aufeinander Rücksicht, wenn es um die Realisierung egoistischer Wünsche geht. Dazu Studie von Brandstädter, Kirchler und Wagner (1987), in der Partner nach ihren Gefühlen und ihrer Entscheidung gefragt wurden, wenn sie ein Produkt kaufen wollten, das nur ihnen nützt (egoistischer Kaufwunsch), der Partner a) dem Kauf zustimmen oder b) nicht zustimmen würde und sie selbst das Produkt schließlich a) kaufen oder b) darauf verzichten. Weiters stellten sich die Befragten vor, dass der Partner ein Produkt kaufen will, während sie dem Kauf zustimmen oder nicht. Die Studien zeigen, dass Männer und Frauen je nach Beziehungsharmonie und Machtverteilung, die Entscheidungssituationen unterschiedlich bewerten. Das Befinden der Partner korrelierte hoch miteinander, wenn die Partnerschaft glücklich war und der Mann das Sagen hatte. Die Partner nahmen aufeinander Rücksicht und fühlten sich unbehaglich, wenn sie gegen den Willen des Partners einen egoistischen Kaufwunsch realisierten. Die geringste Korrelation bestand in egalitären Beziehungen. Siehe Interaktionsmatrix nach Kelley und Thibaut (1978, S. 69). 2. Gemeinsame Gewinnmaximierung vs. Kosten-Nutzen-Rechnung: Je harmonischer die Beziehung, desto geringer ist das Interesse, mit dem Partner ein Handelsgeschäft abzuschließen. Das ökonomische Interesse an der Beziehung macht dem Interesse an der Beziehung selbst platz. In harmonischen Beziehungen ist das, was dem einen Belohnung ist, auch für den anderen ein Gewinn. Verhaltensweisen, die den höchsten individuellen Gewinn versprechen, werden zugunsten kooperativen Verhaltens aufgegeben, um den gemeinsamen Nutzen zu maximieren. Disharmonische 27 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Beziehungen sind durch egoistisches Profitdenken gekennzeichnet, wo der Mächtige seine Wünsche durchsetzt, und der Schwache klein beigibt. Vielfalt vs. Begrenzung der Ressourcen: Nach Foa & Foa (1971) können Ressourcen eingeteilt werden in universalistische (Geld, Güter, Informationen) und partikularistische (Liebe, Status und Dienstleistungen). In Wirtschaftsbeziehungen werden Ressourcen einer Kategorie mit Annehmlichkeiten aus derselben oder einer ähnlichen Kategorie vergolten. Mit zunehmender Intensität einer Beziehung werden nicht nur Anzahl und Art der Ressourcen sich verändern, sondern werden auch der „Wert“ von Annehmlichkeiten und die „Kosten“ von Unannehmlichkeiten intensiver erlebt. 3. Lang- vs. kurzfristige Kreditgebahrung: Anfangs, wenn die Beziehung noch jung ist, besteht ein starkes Bedürfnis nach Reziprozität. Wenn die Partner einander vertrauen, verteilen sie die verfügbaren Ressourcen nach Bedürfnissen. Ein Ausgleich wird über lange Zeit gesucht. Der unmittelbare Ausgleich, der in Austauschbeziehungen erwartet wird, gilt nicht in glücklichen, intimen Beziehungen. Glückliche Partner sind einander gefällig und erwarten Rückzahlungen, wenn überhaupt, allenfalls im Laufe langer Zeiträume. In unglücklichen Beziehungen wird ein Ausgleich unmittelbar gefordert. 4. Verteilung von Annehmlichkeiten anhand von Bedürfnis- vs. Beitragsregeln: In harmonischen Beziehungen werden Ressourcen nicht proportional zu den Beiträgen, also nach der Equityregel, sondern entsprechend den Bedürfnissen, also nach der Bedürfnisregel verteilt. Gute Freunde und glückliche Partner bieten einander spontan Annehmlichkeiten an. In überdauernden Beziehungen und harmonischen Partnerschaften macht die Norm der Reziprozität der Norm der Verantwortung Platz, die verlangt, dass Ressourcen nach den Bedürfnissen verteilt werden. Equityregeln werden dann bevorzugt, wenn die Leistung der Gruppenmitglieder von deren Einsatz abhängt und die Leistung den einzelnen Mitgliedern zugeordnet werden kann. In Freundesgruppen und intimen Beziehungen dominiert die Bedürfnisregel. Schwinger (1986) fasst zusammen, dass in Liebesbeziehungen Ressourcen nach Bedürfnissen verteilt werden, in Freundesgruppen egalitär und in Wirtschaftsbeziehungen und zwischen unglücklichen Partnern nach den individuellen Beiträgen. Je nach Beziehungstyp (Liebesbeziehung, Freundschaftsbeziehung, Wirtschaftsbeziehung) und Ressourcenart (Liebe, Status, Dienstleistungen, Information, Güter, Geld) werden unterschiedliche Verteilungsregeln (Bedürfnisregel, Equityregel, Equalityregel= Gleichheitsprinzip) angewandt. 5. Spontaner Altruismus vs. Kontrolle von Forderungen und Verbindlichkeiten: Glückliche Partner sind nicht bestrebt über Forderungen und Verbindlichkeiten Buche zu führen. Sie handeln spontan partnerorientiert. Clark und Waddell stellten fest, dass vom Freund nicht erwartet wird, dass er eine Gefälligkeit anbietet, wenn er um etwas bittet, wohl aber vom Partner in Austauschbeziehungen. Sie berichten, dass Freunde umso hilfreicher sind, je mehr der andere bedürftig ist (intrinsische vs. extrinsische Motivation). Kirchler (1989) führte eine Studie mit Studenten durch und ließ sie Ideen produzieren, was man in Liebesbeziehungen, Freundesbeziehungen und Arbeitsbeziehungen jeweils fordere (Forderungen) und bereit wäre zu geben (Verbindlichkeiten). Mit Intensität der Beziehung stieg die Anzahl der produzierten Ideen, also auch die Ressourcenvielfalt Interaktionsmatrix nach Kelley und Thibaut (1978) Ausgangslage: Partner A und B wählen zwischen 2 Handlungsalternativen a1 und a2 bzw. b1 und b2. Z.B. Entscheidung ob Kino- oder Theaterbesuch. Handlungsalternativen ergeben eine 2x2 Interaktionsmatrix mit 4 Handlungsalternativen. Für jede Alternative wird der erwartete Gewinn für Partner A und B gemessen und eingetragen. Siehe S. 111 Abb.2.24 Die Matrix erlaubt die Berechnung folgender Größen Reflexible Kontrolle – Abhängigkeit des Befindens (Gewinns) einer Person vom eigenen Handeln ohne Berücksichtigung des Tuns des Partners Schicksalskontrolle – Möglichkeit des einen, das Befinden des Partners zu kontrollieren bzw. Abhängigkeit des einen vom Tun des Anderen 28 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Verhaltenskontrolle – Abhängigkeit des eigenen Befindens von der Möglichkeit, die Tätigkeit gemeinsam mit dem Partner oder allein auszuführen Zur Berechnung der Kontrollvariablen siehe S.111 + 112 Abb 2.24 und 2.25 2.4 Analyseebenen und Entscheidungsanomalien In Anlehnung an Frey können 4 mögliche Zustände individuellen und aggregierten Verhaltens ausgemacht werden, je nachdem ob Anomalien auf individueller und/oder Aggregatebene vorkommen. Siehe S. 122 Abb. 2.27 Soziales Dilemma = Konfliktsituation, in welcher Personen oder Gruppen unterschiedliche Interessen vertreten. Zum einen soll ein Beitrag zu einem kollektiven Gut, von dem alle profitieren, geleistet werden. Zum anderen stehen egoistische, nutzenmaximierende Ziele entgegen, selbst einen Beitrag zu leisten. Wenn viele oder alle beteiligten ihren egoistischen Zielen nachgeben, ist auch das angestrebte kollektive Gut in Gefahr, sodass der Egoismus der Einzelnen zu einer Schlechterstellung aller führt. 2.5 Möglichkeiten der Fehlervermeidung vernünftigem Verhalten und Anstöße zu Nach Dörner (1989) können komplexe Ziele nur dann effizient realisiert werden, wenn sie in Teilziele zerlegt werden. Teilziele müssen operationalisierbar und konkret definierbar sein, um realisiert werden zu können. Sollen Entscheidungsträger in komplexen Systemen Ziele erreichen, tendieren sie oft dazu, die relevanten Probleme zu lösen sondern die, die sie lösen können. Entstehen neue Probleme entsteht ein Reperaturdienstverhalten. Im Krisenmanagement werden Löcher gestopft wo sie scheinbar zufällig auftreten. Zeitabläufe, die in komplexen Situationen besonders zu berücksichtigen sind, werden selten explizit analysiert. In seinen Ausführungen zur Logik des Gelingens meint Dörner, dass gute Akteure in komplexen Entschiedungssituationen versuchen, konkrete Ziele zu elaborieren und dabei die Interaktion der Ziele berücksichtigen. Sie wählen einen Schwerpunkt, ohne den Hintergrund zu vernachlässigen. Die Abhängigkeit der Ziele wird berücksichtigt, widersprüchliche Ziele werden balanciert und Ziele werden nach ihrer Wichtigkeit gewählt. Gute Akteure analysieren die Situation als Netzwerk voneinander abhängiger Elemente. Die Zukunft ist für sie nicht als lineare Projektion der Gegenwart berechenbar, sondern als Effekt der Wirkfaktoren. Sie prüfen, ob Bedingungen für erfolgreiches Handeln gegeben sind und überwachen während der Ausführung Effekte der eigenen Aktionen. Misserfolge werden analysiert und das Verhalten entsprechend geändert. Gurtner, Tschan, Semmer, Nägele: Reflexivität erhöht die Leistung von Teams. Reflexivität = Personen sind in der Lage, ihr Wissen mit neuem Wissen zu verbinden. Lipshitz und Strass (1997) beschreiben Taktiken, die Menschen in riskanten Situationen anwenden. Um in einer riskanten Situation zu einer Entscheidung zu kommen kann 29 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Im Unsicherheit reduziert werden, indem neue Information gesucht wird, zugewartet werden, bis neue Erkenntnisse erlangt werden Unsicherheit akzeptiert werden und auf deren Basis eine Entscheidung getroffen werden. Gleichzeitig wird überlegt, welche Konsequenzen potentielle Risiken haben und wie diesen begegnet werden kann Unsicherheit ignoriert werden R.A.W.F.S.-Modell werden fünf Cluster von Taktiken zum Umgang mit Unsicherheit erfasst: Reduction: neue Informationen einholen; die Entscheidung verzögern, bis neue Info einlangt, Expertenmeinungen einholen; nach normativen Reduktion Richtlinien entscheiden Unsicherheit Assumption-based-reasoning: Meinungen entwickeln und von darauf aufbauend ein mentales Modell der Entscheidungssituation konstruieren, im Geiste durchgehen und eventuell modifizieren Weighing pros and cons Abwägen der Vor- und Nachteile der Alternativen Forestalling: Planung von Reaktionen auf ungewollte Konsequenzen einer Entscheidung; Reservierung von Ressourcen um negativen Ereignissen entgegenzusteuern; Planung von reversiblen Aktionen und Vermeidung irreversibler Aktionen und deren Konsequenzen Suppression: Ignoranz von Unsicherheit; Vertrauen Glücksspiele wie etwa Wurf einer Münze. Akzeptanz Unsicherheit auf Intuition; Unterdrückung Unsicherheit Wahl der Taktiken in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation – siehe Abb. 2.28 S 127 Entscheidungen werden mit dem Versuch, Klarheit über die Situation zu gewinnen, begonnen. Gelingt dies, werden Alternativen und Konsequenzen überlegt und vielleicht mentale Vorwegnahmen der Entscheidung vorgenommen. Falls es nicht gelingt, wird überlegt, wie unerwünschte Entwicklungen verhindert werden könnten oder wie entgegengesteuert werden kann. Fehlen Infos und können diese auch nicht eingeholt werden, so werden Meinungen gebildet, auf deren Basis entschieden werden kann. Werden zwei oder mehrere zufriedenstellende Optionen gefunden, liegt ein Entscheidungskonflikt vor, dem mit Abwägen der Vor- und Nachteile begegnet wird. Gelingt keine Entscheidung für eine Alternative, werden Informationen unterdrückt, Konsequenzen und Gegenmaßnahmen überlegt, oder neue Alternativen gesucht, bis schließlich eine Entscheidung getroffen wird. Risikoentschärfungsoperator = Aktion, die darauf abzielt, das Risiko des Eintretens negativer Konsequenzen bei Wahl einer bestimmten Option zu reduzieren. Man unterscheidet zwischen Risikoentschärfungsoperatoren, die vor Eintritt einer neg. Konsequenz und solchen, die nachher angewandt werden. Bsp. Impfung vor einer Reise in die Tropen oder Medikamente danach, falls Person mit einer Krankheit infiziert wurde. Entscheidungsträger wägen die Kosten für einen Risikoentschärfungsoperator und die Wahrscheinlichkeit neg. Ereignisse ab und entscheiden sich für eine Maßnahme vor oder nach Eintritt eines neg. Ereignisses. Kann neg. Ereignis mit Sicherheit entdeckt werden und besteht von von 30 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Mögl. der Reparatur – Operator nach Eintritt neg. Konsequenzen. Ist Entdeckungswahrscheinlichkeit gering und eine Reparatur schwierig – Operator vor Eintritt neg. Konsequenzen. 31 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 3 - ALLTAGSVERSTÄNDNIS VON ÖKONOMIE 3.1 ZUM WIRTSCHAFTLICHEN WISSEN DER KINDER Wissen und Verständnis ökonomischer Belange und wirtschaftlicher Entscheidungen setzen einen Reifungs- und Sozialisationsprozess voraus, der dem der Intelligenzentwicklung, wie sie von Jean Piaget postuliert wurde, ähnelt. Erst mit 14 Jahren kann eine differenzierte Kenntnis vorausgesetzt werden. Intelligenzentwicklung ist demnach ein Prozess mit dem Ziel des Gleichgewichts zwischen Individuum und Umwelt. Dies kann durch Angleichung der Umwelt an das Individuum (Assimilation), oder aber durch Angleichung des Individuums an die Umwelt (Akkommodation) vonstattengehen. Assimilationsprozesse: Integration unbekannter Information in verfügbare Schemata; Akkomodationsleistungen: Auseinandersetzung mit den vorerst unbekannten Sachverhalten führt schließlich zu einem tieferen Verständnis und zu einer Anpassung der verfügbaren Erklärungsmodelle an die neuen Sachverhalte. Von einem ursprünglich globalen Zustand gelangt das Individuum aufgrund der Austauschprozesse mit seiner Umwelt zu einer kognitiven Struktur, die differenziert organisiert, flexibel und überdauernd ist und logische Denkvorgänge erlaubt. Piaget teilt die Intelligenzentwicklung in vier Stadien ein: 1. 2. 3. 4. Sensumotirische Intelligenz (Geburt – 2): Erste reflexartige Verhaltensweisen, Verknüpfung von Mitteln mit Zwecken, aktives Experimentieren bis hin zu Vorstellungen über Ergebnisse von eigenen Handlungen bzw. Verinnerlichung eigener Handlungen (sensu-motorische Schemata). Voroperatorisches, anschauliches Denken (2 – 7): Mentale Nachahmung (Verinnerlichung) der Außenwelt, was einem Kopierprozess ähnelt und Symbolentwicklung, wofür Sprache notwendig ist. Egozentrismus, Beweglichkeit des Denkens ist eingeschränkt und auf die aktuelle Situation gerichtet, Realismus und Irreversibilität. Beispiele: Holzperlenkette (17 schwarze, 3 weiße). Auf Frage, ob mehr Holzperlen oder mehr schwarze Perlen auf der Kette seien, Antwort der Kinder: mehr schwarze. Kinder können sich nicht vorstellen, dass ein Gegenstand aus einer anderen Perspektive anders gesehen wird. Konkrete Operationen (7 – 11): koordiniert und reversibel gewordene Transformationen im Denken, aber noch an konkrete Tätigkeiten gebunden; mentale Operationen sind abstrakter vorgestellt und können gleichzeitig oder nacheinander miteinander verbunden werden (Beweglichkeit). Formale Operationen (ab 11 - 15): Unabhängigkeit der Denkoperationen vom konkreten Gegenstand; Fähigkeit zum formalen Schlussfolgern und zur Abstraktion; rationale Entscheidungen gelingen. Wirtschaftliche Sozialisation scheint Piagets Theorie zu entsprechen. Burris folgert, dass Kinder von einem diffusen und globalen Wissen über soziale und physikalische Vorgänge zu einem differenzierten Wissen über wirtschaftliche Institutionen und Prozesse gelangen. Die umfassendsten Untersuchungen über die Entwicklung ökonomischen Wissens wurden von Bombi, Berti & Co durchgeführt. Anfangs kennen Kinder nur diffuse Begriffe, die sich nicht miteinander in Verbindung bringen können. Sie wissen über die Produktion von Gütern nicht Bescheid. Dass der Kunde dem Verkäufer Geld für ein Gut geben muss, wissen Kinder zwar, aber sie meinen, dies gehöre zu einem Ritual. Dass ein Elternteil eine Arbeit hat, wissen Kinder auch, aber dass die Arbeit mit dem Geldverdienst zu tun hat, ist ihnen nicht klar. Mit etwa 6 können Kinder Arbeit und Geld miteinander in Verbindung bringen und sie kennen bereits 32 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat einige Transaktionsregeln zwischen Gütern und Geld sowie Arbeit und Geld. Mit 7-10 wird eine scharfe Grenze gezogen zwischen Verkäufern und Produzenten, Attributionen von Reichtum und Armut sind internal, die Ursachen werden den Betroffenen selbst zugeschrieben. Kinder kennen das Geld und dessen Wert und verstehen seine Bedeutung. Sie verstehen auch, warum im Geschäft Restgeld zurückgegeben wird. Es gibt Firmenchefs, Arbeiter und Löhne. Für Arbeit wird bezahlt. Dann gibt es Kunden, Verkäufer und Produzenten. Güter müssen bezahlt werden. Dass beide Bereiche zusammengehören ist noch nicht klar. So ist etwa unklar, woher der Boss sein Geld bekommt. Von 10-14 beginnen Kinder ein klares und vollständiges Bild grundlegender ökonomischer Phänomene zu entwickeln. Das gesamte ökonom. Wissen wird zu einem komplexen Netzwerk verbunden. Kinder in Entwicklungsländern, in wirtschaftlich deprivierten Gegenden und Kinder ärmerer Familien gelangen schneller zu einem differenzierten Wissen als Kinder, die finanzielle Nöte nicht kennen. Kinder aus wohlhabenden Familien wissen wenig über Armut und ökonomische Probleme im eigenen Land. Kinder die Wirtschaftsspiele spielen oder wirtschaftsverwandte Tätigkeiten ausüben (Spiele und Handel mit Murmeln, Taschengeld bekommen, mit dem sie eine gewisse Zeitspanne auskommen müssen) sind den anderen voraus. Durch Schulungen und Trainings kann nach kurzer Zeit das wirtschaftliche Wissen von Kindern verbessert werden. Ältere Kinder profitieren vom Trainingsprogramm mehr als jüngere. 3.2 ZUM WIRTSCHAFTLICHEN HANDELN DER KINDER Teilen-Spiel: Kind soll Süßigkeit zwischen sich und einem anonymen, nicht anwesenden Partner entweder gleich verteilen (1,1) und dabei selbst auf einen Teil verzichten oder sich selbst alles behalten und dem Partner nichts abgeben (2,0). 3-4 Jährige: maximieren den eigenen Vorteil und zeigen kaum Interesse am Wohlergehen des Partners. 5-6 Jährige: verhalten sich ebenfalls egoistisch. Im Alter von 7-8 Jahren verändert sich das Verhalten. Deutliche Mehrheit bevorzugt die Gleichverteilung der Süßigkeiten. Mit zunehmen Alter präferieren die Kinder die Gleichverteilung von Ressourcen. Prosoziales Verhalten muss in der Kindheit gelernt werden. Vertrauenswürdigkeit und Vertrauen steigen linear mit dem Alter an. Kinder sind bedeutsame Wirtschaftsagenten, haben Geld und als neue Verbrauchergeneration (skippies= school kids with income and purchase power) einen kritischen und gewissermaßen routinierten Umgang mit Medien und Werbung. Der relative Einfluss der Kinder ist im wesentlichen abhängig vom Produkttyp, vom Alter der Kinder, von der Familienstruktur und dem Erziehungsstil der Eltern. Älteren Kindern wird mehr Mitsprachrecht gewährt und auch in Bereichen, die sie nicht unmittelbar betreffen. Kinder von Alleinerziehenden werden früher zu mehr Selbständigkeit angehalten und dürfen daher auch in familiären Entscheidungen mehr mitreden. Strategien von Kindern und Jugendlichen, ihre Wünsche durchzusetzen, können effektiv oder ineffektiv sein (nach Einschätzung von Kindern bzw. Eltern): - Effektiv: Geldgeschäfte (Angebot Kosten z.T. selbst zu tragen)/ Austauschgeschäfte, Sachargumentation, direktes/ begründetes Fragen Ineffektiv: Betteln/ Jammern, Verweis auf andere, Wutausbrüche Ein anderer Bereich der indirekten Einflussnahme ist die Koalitionsbildung eines Elternteils mit dem Kind im Falle einer elterlichen Uneinigkeit (öfters mit der Mutter). 3.3 ZUM WIRTSCHAFTLICHEN VERSTÄNDNIS ERWACHSENER Ökonomie = Beispiel eines relevanten Wissens- und Handlungsbereiches, der in unterschiedlicher Komplexität kognitiv durchdrungen werden kann. Üblicherweise unterscheiden sich Theorien von Laien von den Theorien der Experten (Volks- bzw. Betriebswirte). Ökonomisches Wissen von Laien ist nicht nur unvollständiger sondern auch anders strukturiert als das Wissen von Experten. Wissensrepräsentation von Experten ist logisch 33 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat strukturiert während Laien v.a. Vorstellungen aufgrund von alltäglichen Erfahrungen und Wissensfragmenten entwickeln. Informationen, die über die Medien vermittelt werden, sind für die Entwicklung von Laientheorien ebenfalls relevant. Mit der medialen Wissensvermittlung variieren die Verbraucherstimmung und die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage. Laientheorien über wirtschaftliche Zshge werden vorwiegend aus der Sicht der Attributionstheorie sowie aus der Perspektive der Theorie sozialer Repräsentationen untersucht (Moscovici, 1981; Wagner, 1994), deren Anfänge schon bei Durkheim festgemacht werden können. Dieser sprach von Realitäten, die kollektiv konstruiert und von den Mitgliedern einer Gruppe oder Gesellschaft geteilt werden, und die er „kollektive Repräsentationen“ nannte, von Moscovici umgewandelt in „soziale Repräsentationen“. Soziale Repräsentation ist kein Synonym für Stereotyp oder Einstellung, die die Zuschreibung von Merkmalen an ein Objekt zum Ausdruck bringen, sondern ein weit umfassenderes Konzept, mit dem eine soziale Realität erfasst werden soll, die Ähnlichkeiten mit Mythen und Glaubenssystemen in einer Gesellschaft aufweist. Sie sind sowohl das Produkt des Alltagsdiskurses als auch das Umfeld, in dem sich der Alltagsdiskurs ereignet. Die Hauptfunktion der sozialen Vorstellungen besteht darin, unbekannte Phänomene bekannt zu machen und damit ein homogenes, vertrautes Umfeld für den Alltagsdiskurs zu schaffen. Finden unbekannte Inhalte Eingang in den Alltagsdiskurs lassen sich 2 Szenarien differenzieren: Das Unbekannte hinterfragt oder bedroht den Kerngedanken der sozialen Vorstellung, sodass im gegebenen Kontext der sozialen Vorstellung Verständnisprobleme entstehen Das Unbekannte hinterfragt Aspekte einer sozialen Vorstellung, der Kerngedanke bleibt unberührt, sodass das Unbekannte in die bestehende Vorstellung eingegliedert werden kann Struktur der sozialen Vorstellung wird nach Kern- und Peripherieelementen differenziert. Funktionen der Kernelemente Bestimmen Bedeutung und Identität einer sozialen Vorstellung Organisieren eine soziale Vorstellung Kernelemente bilden explizit oder implizit die Grundlage der Vorstellungen im Alltagsdiskurs. Explizit – sie werden selbst zum Gegenstand des Diskurses. Implizit – wenn sic der Alltagsdiskurs auf der peripheren Ebene um die Ausprägungen der Grundvorstellungen dreht. Funktionen der peripheren Vorstellungsinhalte - dienen alle der Stabilität des Kerns An der Schnittstelle zwischen Kernvorstellung und Kontext positioniert, wird der Kern einer sozialen Vorstellung im gegebenen Kontext möglichst verständlich elaboriert und konkretisiert Verhindern die Veralterung der sozialen Vorstellung durch Anpassung an die zeitliche Entwicklung des Kontextes Schutzfunktion für den invarianten Kern durch Mediation zw. Kern und Kontext 2 kognitive Prozesse führen zur Entstehung sozialer Vorstellungen: Verankerung und Objektivierung Verankerung = Ordnungsprozess, bei dem das Gedächtnis nach vorhandenen Vorstellungen abgesucht wird, um das Unbekannte nach bekannten Kategorien zu klassifizieren. Etablierte soz. Vorstellungen unterliegen ebenfalls ständigem Prozess der Veränderung. 34 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Objektivierung = folgt auf Verankerung. Umfasst qualitative Ausprägungen = Anschaulichkeit. Vorstellungen erzwingen Bildhaftigkeit. Unbekanntes ist jedoch abstrakt und schließt Anschaulichkeit aus. Moscovici und Hewstone sehen soz. Vorstellungen als „common-sense“ Theorien über grundlegende Fragen einer Gemeinschaft. Common-sense oder Alltagswissen = Summe des Wissens (Bilder und Meinungen), ohne welchem soziale Kollektive nicht handlungsfähig sind. Produktion und Funktion sozialer Repräsentationen sind eng miteinander verbunden. Sie werden von Individuen innerhalb einer Gruppe entwickelt. Sie dienen den Bedürfnissen des Kollektivs, den Anforderungen, die die Gesellschaft an ihre Mitglieder stellt und garantieren die Einhaltung der geltenden Normen. So liegen ihre Funktionen in Differenzierung (Trennung von anderen Gruppen), Rechtfertigung (dienen der Distanzregelung zu anderen Gruppen, z.B. Klischees über soziale Schichten), Prognose (von Interaktionsmustern zwischen verschiedenen Gruppen), in Kausalattribuierung (Klärung der Ursachen sozialen Verhaltens) und Identitätsbildung (Sichtweise seiner Selbst als Mitglied einer oder mehrerer Gruppen, einer Schicht oder Gesellschaft). Somit sind soziale Repräsentationen für Organisation und Interpretation des individuellen 3.3.1 Soziale Vorstellungen über die Wirtschaft Laien gruppieren wirtschaftliche Größen aufgrund ihrer Alltagserfahrungen und suchen nicht nach logischen Zshgen – gilt v.a. für untere Einkommens- und Bildungsschichten. Weiters beurteilen sie wirtschaftliche Aktivitäten nach 2 Dimensionen: nach sozialem (moralischem) Wert, Sicherheit für andere oder Attraktivität sowie nach Kosten-Nutzen-Differenzen, Gewinnträchtigkeit oder Aufwand. Armut und Arbeitslosigkeit werden individuelle Ursachen zugeschrieben. 3.3.2 Soziale Vorstellungen über Armut und Reichtum 3.3.3 Soziale Vorstellungen über Arbeitslosigkeit Ein Großteil der Studien über Laientheorien bezieht sich auf vermeintliche Ursachen der Arbeitslosigkeit. Ein erheblicher Teil der Vorstellungen betrifft persönliche Merkmale der Betroffenen (mangelnde Arbeitsmotivation, Interesselosigkeit, Bequemlichkeit, zu hohes Alter etc.) , Befragungen von Experten führen zu ähnlichen Ergebnissen. Durch die Individualisierung des Problems, durch sachlich-logische Argumentation, wenn sie auch nur vordergründig gerechtfertigt erscheinen mag, kann Schuld internal zugeschrieben und Arbeitslosigkeit zum Problem der Betroffenen gemacht werden. Kirchler (1993a) befragte sieben Berufsgruppen oder Angehörige sozialer Kategorien nach deren sozialen Repräsentationen über Arbeitslosigkeit und Arbeitslose, wobei die Beschreibung von typischen Vertretern ihrer eigenen und der anderen Kategorien sowie eine Stellungnahme zum Problem der Arbeitslosigkeit gefragt war. Es wurde davon ausgegangen, dass die eigene Kategorie positiver attribuiert würde, was bei allen Berufsgruppen, außer den Arbeitslosen der Fall war! Typische Arbeitslose wurden von allen Gruppen, einschließlich der eigenen, negativ beurteilt. Arbeitslose scheinen sich nicht mit ihrem Schicksal und ihren Schicksalsgenossen zu identifizieren. Dadurch schließen sich Arbeitslose nicht zu Interessensgruppen zusammen und sind auch politisch kaum vernehmbar, können ihre Anliegen also nicht erfolgreich vertreten. Allerdings ist der Vorgang verständlich, wenn man in Betracht zieht, dass sich soziale Identität v.a. über Identifikation mit Gruppen bildet. Durch Distanzierung und Nicht-Identifikation mit der Gruppe der Arbeitslosen können Arbeitslose ihre Identität schützen. Dies kann durch die Theorie der sozialen Identität von Tajfel (1981) erklärt werden. Personen streben nach einem zufriedenstellenden Selbstkonzept und einem hohen Selbstwert. Ein Teil des Selbstkonzepts wird durch die Mitgliedschaft in Gruppen bestimmt (= soziale Identität). 3.3.2 Soziale Vorstellungen über Konsum und Mode Unsere Konsumgewohnheiten und Besitztümer erzählen, wer wir sind. Wir kaufen Symbole, die Informationen tragen. Die Welt der Dinge ist eine Welt der Symbole (Graumann, 1994). Konsumenten kaufen „Versprechungen“, also Güter, die Schönheit, Prestige und Macht bedeuten. Güter dienen der 35 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat symbolischen Selbstergänzung. Die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Selbstideal kann durch geeignete Symbole überbrückt werden. Ersatzsymbole repräsentieren anderen Personen das eigene Idealbild. Bsp. Sportwagen. Produktion von Gütern und Nachfrage danach sind Modetrends unterworfen. Mode ist geprägt von häufigem Wechsel und charakterisiert durch Kurzfristigkeit und Dynamik. Sommer definiert Mode als eine, die ganze Gesellschaft durchziehende, die einzelnen Hypocodes (Gruppenstile) aber unterschiedlich tangierende Modifizierung von Hypercodes. Hypercodes = Lebensformen der Gesellschaft und der gesamte Lebensbereich des Einzelnen. Aus sozialpsychologischer wird dem Modeverhalten v.a. der Wunsch nach Selbstbestätigung, Steigerung des Selbstwertgefühls und nach Identifikation zugrunde gelegt. Mode dient der Selbstdarstellung gemäß der eigenen Identitätsvorstellung. Kleider dienen der Kompensation von Mangelzuständen und informieren über Selbstbild und Wunschbild. Er entwarf ein sozialpsychologisches Konzept des Modewandels , das den Symbolcharakter der Mode betont und vorschlägt, dass wir nach Neuem suchen und herkömmliche Codes und Symbole aufbrechen, weil wir das Alte satt haben. Dabei bringt er Diskurse zum Minderheiteneinfluss, zur sozialen Identität und zum social-impact zum Tragen. Neue Stile werden von Subkulturen geschaffen, die aufgrund ihrer spezifischen sozialen Situation, den vorherrschenden „Hypercode“aufbrechen und einen neuen dagegen rebellierende „Hypocode“ schaffen, der eventuell zum neuen Hypercode werden kann, weil er die Bedingungen für Minderheiteneinfluss erfüllt. Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 36 KAPITEL 4 - MÄRKTE: KONSUMGÜTER, ARBEIT UND KAPITAL 4.1 MÄRKTE Haushalte und Unternehmen sind Entscheidungsträger im privatwirtschaftlichen Sektor, der Staat ist öffentliches Entscheidungsorgan. Zentralverwaltungs- oder Planwirtschaft: Interaktion zwischen Haushalten und Unternehmen sowie Produktion und Verteilung von Gütern seitens des Staates geplant (zentral); Aufgabe des Staates ist es die Wirtschaft mehr oder weniger zu lenken. Marktwirtschaft: Interaktion ist den Partnern selbst überlassen (dezentral); Staat bestimmt Wirtschaft gar nicht. Das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage, die Bildung von Preisen für handelbare Güter und deren Austausch wird als Marktgeschehen bezeichnet. Woll unterscheidet zwei Arten von Märkten: Faktormärkte für Arbeits-, Boden- und Kapitalleistungen Konsumgütermärkte für Waren und Dienstleistungen 4.2 Konsumentenstimmung und Erwartungen Verhalten auf Märkten hängt vom Wissen über die Wirtschaft und von den Vorstellungen über wirtschaftliche Zusammenhänge ab. Entscheidungen von Konsumenten und Produzenten sind von deren Erwartungen an die Zukunft geprägt. Erwartungen über die Wirtschaft determinieren das Verhalten und dieses die Entwicklung der Wirtschaft. Siehe Abb 4.2, S.203 = Prozess des Zusammenwirkens verschiedener Stimmungs- und Erwartungsvariablen sowie des Wirtschaftskontextes und der daraus folgenden Reaktionen von Konsumenten nach Kuß. Konsumklima = verschiedene für den privaten Verbrauch in einem Wirtschaftsgebiet wichtige Einstellungen und Erwartungen der Konsumenten (Kuß, 1990) Index der Konsumentenstimmung (siehe Abb. 4.4 und 4.5, S205) hat sich bewährt, wirtschaftliche Entwicklungen zu prognostizieren. Kritik: Index ist ein grobes, vereinfachtes Maß der Stimmung von Konsumenten. Einstellungen und Erwartungen sind komplexer. Wirtschaftliche Veränderungen kommen aufgrund komplexer Wechselwirkungen zwischen subjektiven Daten und objektiven Wirtschaftsgrößen zustande. Prognose von Wirtschaftsentwicklungen müssen neben den Stimmungen auch Einkommensänderungen, Steueraufkommen und -änderungen miteinbezogen werden. Der Private Konsum ist auch von den Aktivitäten der Unternehmer, des Staates und der Außenwirtschaft abhängig. 37 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Modell zur Errechnung von Erwartungen nach Wärneryd (2001) Erwartungen, die sich zum Zeitpunkt t formen und auf den Zeitpunkt t+1 beziehen, errechnen sich aus 3 Informationsquellen: Vergangene Erfahrunge Lernprozesse sowie dem Wissen und Meinungen über neue Sachverhalte Neu eintretende Sachverhalte (wirtschaftliche, politische oder soziale Veränderungen) Et = w1Vt + w2Lt + w3It Et = Erwartungen zum Zeitpunkt t über Zeitpunkt t+1 Vt = vergangene Erfahrungen Lt = Diskrepanz zwischen Erwartungen und vergangenen Erfahrungen It = Wissen über neue Sachverhalte Wi = Gewichte (i=1,2,3) von 0 bis 1 (die Summe der Gewichte ist 1) Außer den Erwartungen über die Wirtschaft beeinflussen aktuelle politische und gesellschaftliche Geschehen das Verhalten von Konsumenten und Produzenten. V.a.Finanzmärkte können intensiv auf aktuelle Ereignisse reagieren. 38 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 5 - KONSUMGÜTERMÄRKTE : ÖKONOMISCHE ENTSCHEIDUNGEN IM PRIVATEN HAUSHALT 5.1 ÖKONOMISCHE HEDONISMUS ENTSCHEIDUNGEN: GRUNDNUTZEN UND Obwohl die Haushalte mit zwei oder mehr Personen auch in Zukunft in der Überzahl sein werden, nimmt die Anzahl der Singlehaushalte laufend zu, und somit die Relevanz des Studiums von individuellen Entscheidungen. Bedeutung von Haushalten mit einem alleinerziehenden Elternteil steigt. Je höher die Rollenbeanspruchung für Alleinerziehende, desto eher neigen sie zu reaktiven Käufen – Sonderangebote werden seltener wahrgenommen, Lebensmittel werden gekauft, wenn es notwendig ist. Ökonomische Entscheidungen betreffen Entscheidungen über finanzielle Ressourcen, es kann zwischen Entscheidungen über Geldmanagement, Vermögens- und Anlagemanagement, Sparen und Ausgaben unterschieden werden. Während bis in die 80-er Jahre vor allem Entscheidungsprozesse analysiert wurden und somit das Bild eines rational denkenden und aktiv wählenden Konsumenten im Vordergrund stand, wandelt sich der Fokus in den letzten Jahren hin zu einer „living creature“, eines emotional geprägten Menschen mit labilen Stimmungen und wechselnden Gefühlen und zum Konsumerlebnis des individuellen Käufers. Engel, Blackwell & Miniard (2007) unterscheiden zwischen Kaufentscheidungen die impulsiv getroffen werden und solchen mit hohem Informationsverarbeitungsaufwand. Informationsverarbeitungsaufwand Entscheidungen gehen bzw. Mit echte oder mit geringem hohem extensive einher, der Prozess kann (normativ!) in sieben Abschnitte eingeteilt werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Problemerkennung Informationssuche Bewertung und Reihung aller möglichen Alternativen Kauf der erstgereihten Alternative Konsum Nachentscheidungsevaluation Entsorgung des Gutes Entscheidungen laufen meist in verkürzter Weise ab und werden im Nachhinein rationalisiert. Entscheidungen mit geringem Informationsverarbeitungsaufwand laufen gewohnheitsmäßig und automatisiert ab (z.B. täglich benötigte Produkte wie Hygieneartikel). Bei habituellen Entscheidungen laufen Entscheidungsprozesse verkürzt ab. Nach der Phase der Problemerkennung 39 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat wird unmittelbar aus dem Erfahrungsschatz einer Person die Lösung generiert: Gut, welches ein aktiviertes Bedürfnis befriedigen kann ist spontan bewusst. Der Konsument hat gelernt mit einem bestimmen Produkt oder einer Dienstleistung eines Anbieters seine Bedürfnisse zu befriedigen (Marken- oder Firmentreue), aufwendige Informationssuche und Bewertung anderer Alternativen erscheinen nicht notwendig. Sie können sich auch entwickeln, wenn das Produkt von untergeordneter Wichtigkeit ist oder Produktunterschiede nicht bestehen oder nicht auffallen. Impulsentscheidungen sind spontan, affektgefärbt und ohne Reflexion (z.B. Kauf von Süßigkeiten), ein unmittelbar reizgesteuertes Auswahlverfahren, das durch die Art der Präsentation eines Gutes ausgelöst wird – hoher emotionaler Aspekt! Schlagwort hedonistischer Konsument – sucht nach symbolischer Selbstergänzung. Hedonismus bezeichnet die Suche des Menschen nach Vergnügen und Lust. Erfahrungen können nur dann als lustvoll erlebt werden, wenn ihnen Aufmerksamkeit zukommt, mit zunehmender Häufigkeit bestimmter Erfahrungen nimmt jedoch die Aufmerksamkeit ab. Neben dem Grundnutzen (z.B. Befriedigung körperlicher Bedürfnisse) spielt auch der Zusatznutzen (z.B. Erleben von Gefühlen wie Anerkennung, Status, attraktiv und begehrenswert zu erscheinen) eine Rolle, der durch die symbolischen Leistungen eines Gutes entsteht, Bourdieu sowie Gabriel und Lang betrachtet ihn in Überflussgesellschaften sogar als wichtiger. Holt stellt ihm andere Konsumententypen gegenüber in seiner Typologie der Konsumentenpraktiken : 1. Konsum als hedonistische Erfahrung: Streben v.a. nach emotionalen Erfahrungen. 2. Konsum als Integration: Konsumneigungen, die der symbolischen Selbstergänzung dienen (z.B. Idolen ähnlich sein wollen). 3. Konsum als Spiel: wird von Sozialisierungsbedürfnissen getrieben, um darüber reden zu können, zu unterhalten, sich in Szene zu setzen 4. Konsum als Mittel zur Differenzierung und Identifikation: Ausdruck von Abgrenzung oder Zugehörigkeit zu besonderen Gruppen. Shopping kann aber auch als Ziel an sich und nicht nur als Mittel zum Zweck fungieren, wie etwa bei der Kaufsucht oder dem Kaufzwang. Für eine solche pathologische Veränderung des Kaufverhaltens soll eine multifaktorielle Verursachung gesucht werden. Biologische Faktoren liegen wahrscheinlich im verminderten Serotonin-Spiegel. Soziale Faktoren werden in der zunehmenden symbolischen Bedeutung von Konsumgütern gesehen. Kaufen demonstriert den Besitz von Geld, von Erfolg und Macht. Auch positive Erfahrungen in der sozialen Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer werden gesehen, die Aufmerksamkeit, Anerkennung und soziale Bestätigung zusichert. Psychologische Faktoren werden in der Kindheit gesucht, nämlich in einem frühen Autonomieverlust, der u.a. zu geringem Selbstwert führt. Kaufen nimmt eine kompensatorische Funktion der Selbstwertsteigerung ein, nach dem Kauf kommen aber die negativen Gefühle zurück, was den Selbstwert wiederum vermindert => Negativschleife. 5.2 ÖKONOMISCHE ENTSCHEIDUNGEN IM PRIVATEN HAUSHALT 40 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Ein geringer Prozentsatz aller Haushalte verfügt über genügend finanzielle Ressourcen, um alle Wünsche der Mitglieder zu befriedigen. Partner stehen in Geldangelegenheiten oft in Konkurrenz zu einander. 5 Praktiken der Handhabung des Geldes nach Phal (1995) Gemeinsame Kasse, über die beide Partner gleichermaßen verfügen (20%) Gemeinsame Kasse, die von der Frau verwaltet wird (27%) Gemeinsame Kasse, die vom Mann verwaltet wird (10%) Getrennte Kassen für unterschiedliche geschlechtsspezifisch segregierte Ausgabenbereiche (13%) Vollkommen getrennte Kassen (2%) Die relative Macht eines Partners korreliert mit der Verwaltung des Geldes. 5.2.1 Taxonomie von ökonomischen Entscheidungen Entscheidungen im privaten Haushalt lassen sich in finanzielle (ökonomische) und nichtfinanzielle Entscheidungen unterteilen. Finanzielle Entscheidungen betreffen: 1. 2. 3. 4. Geldmanagement (z.B. Bezahlung von Rechnungen) Sparentscheidungen (z.B. Entscheidungen über Rücklagen und Ausgaben) Vermögens- und Anlagemanagement (z.B. Investitionen) Ausgaben (konstituieren den Großteil der finanziellen Entscheidungen und auch der Studien über finanzielle Entscheidungen) Siehe Klassifikation von Kaufentscheidungen (Kirchler, 1989), S. 123. Die grundlegenden Merkmale von Entscheidungen sind 1. Die Verfügbarkeit von kognitiven Skripts: bei Verbrauchsgütern oder Gütern des täglichen Konsums (z.B. Lebensmittel) etwa bestehen diese und Entscheidungen laufen v.a. habituell ab. Bei Gebrauchsgütern (z.B. Auto) oder Gütern des gehobenen Bedarfs aber bestehen sie im Regelfall nicht und langwierige Entscheidungsprozesse sind von Nöten. 2. Finanzielle Mittelbindung: wie teuer bzw. billig. 3. Soziale Sichtbarkeit des Produkts oder der Dienstleistung. 4. Veränderungen, die die Entscheidung für die Haushaltsmitglieder bedeutet. 41 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Echte Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen, laufen nicht automatisiert ab, erstrecken sich über eine längere Zeitspanne. Echte gemeinsame Entscheidungen lassen sich in solche unterteilen, die einen Konflikt darstellen und in Entscheidungen, in welchen die Partner in ihren Wünschen und Zielen übereinstimmen. Brandstätter (1987) unterscheidet zwischen 1. Wertkonflikten: 2. Wahrscheinlichkeitskonflikt: Kein Konflikt im eigentlichen Sinne, da sich die Es bestehen Zieldifferenzen zwischen den Partner. Sie haben grundsätzliche Differenzen bezüglich der Symbolträchtigkeit eines Gutes bzw. unterschiedliche Wertvorstellungen= echte Konfliktsituation. Partner über die soziale Bedeutung eines Artikels einig sind und es um sachliche Auseinandersetzungen geht, in denen es um verschiedene Einschätzung qualitativer Unterschiede bei Produkten geht und in der Sachinformationen zählen. 3. Verteilungskonflikt: Liegt dann Entscheidung asymmetrisch verteilt sind. vor, wenn Kosten und Nutzen einer Klassifikation von Entscheidungen im privaten Haushalt (Kirchler, 1989), Abb 5.1 S. 224 Entscheidungen im privaten Haushalt 5.2.2 MODELLE ZUR BESCHREIBUNG VON KAUFENTSCHEIDUNGEN IM PRIVATEN HAUSHALT Totalmodelle versuchen das gesamte Kauf- und Entscheidungsverhalten abzubilden. Siehe Abb 5.2 S. 226 Ausgangspunkt = überschaubarer Teilbereich des Marktgeschehens – sachliche Produktinfo, Werbeinfo. Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 42 Arten von Kaufentscheidungen: Spontaner Kauf: Problemerfassung Gewohnheitskauf keine Infosammlung, keine langwierigen Entscheidungsprozesse, keine bewusste Autonomer Kauf: kein individueller Kauf (unabhängig vom Partner), da der Partner gedanklich miteinbezogen wird Gemeinsamer Kauf: Vergleich der Meinungen Übereinstimmung synkratische Entscheidung Wird weder von einem Partner ein Spontankauf oder Gewohnheitskauf getätigt, noch eine autonome Entscheidung getroffen, so beginnt ein Entscheidungsprozess zwischen den Partnern, der entweder in der Wunschphase oder in der Informationssammlungs- oder Auswahlphase einsetzt, je nachdem, wann der aktive Partner (der mit Produktwunsch) dem anderen seinen Wunsch mitteilt. Ob ein Spontan-, Gewohnheits-, autonomer oder gemeinsamer Kauf zustande kommt, hängt von der Stärke des Wunsches, vom Produkttyp, den Machtverhältnissen in der Beziehung und von der Beziehungsqualität ab. Die simultanen Ziele, sowohl egoistische Bedürfnisse zu befriedigen als auch die Beziehung zu fördern, stehen häufig in Konkurrenz zueinander und werden, je nach Beziehungsqualität unterschiedlich gewichtet. Je nach Machtgefälle und Beziehungsqualität kann den Partnern das eine oder andere Ziel wichtiger erscheinen. In eine Formel gebracht: Pik = f (bik Zik, bjk Zjk) Pik = Präferenz der Person i für ein Produkt k Zik = Antizipierte Zufriedenheit von Person i mit dem Produkt k Zjk = Antizipierte Zufriedenheit von Person j mit dem Produkt k bik, bjk = Gewichtungsfaktoren Zu Beginn werden von den Partner Präferenzen gebildet, über die dann diskutiert wird, wobei die Partner eben egoistische oder aber gemeinsame Ziele in den Vordergrund stellen können sowie verschiedene Taktiken anwenden können. Bevor eine Kaufentscheidung beendet ist, wird die Symmetrie der Kosten bzw. Nutzen registriert. Wird ein Partner dabei bevorzugt, so entstehen Nutzenschulden, deren Verbuchung vom Beziehungstyp abhängt (also anhand des Egoismusprinzips, des Equityprinzips, des Kreditprinzips oder des Liebesprinzips erfolgt). Die Ziele, die die einzelnen Partner verfolgen, sind in der Entscheidung je nach Beziehungsqualität unterschiedlich gewichtet. Vor allem in harmonischen Beziehungen werden die Folgen für den anderen berücksichtigt und der maximale gemeinsame Nutzen wird angestrebt. Je besser die Beziehungsqualität, desto eher folgen die Partner dem Liebesprinzip. Nutzenschulden: Profitiert ein Partner wesentlich mehr von einer Entscheidung als der andere, so entstehen Nutzenschulden. Kauft sich etwa eine Frau ein teures Kleid, holt sie die Zustimmung ihres Mannes ein. Stimmt er zu, entstehen aus dem Kauf Nutzenschulden, da ja das Kleid nur Nutzen für die Frau hat, aber gemeinsame Ressourcen ausgegeben wurden. Diese Nutzenschulden werden auf einem fiktiven Konto verbucht und sollten sich im Zeitverlauf die Waage halten. Die Art der Nutzenverbuchung ist von der Beziehung abhängig: Egoismusprinzip: Gleicht die Partnerschaft der zwischen Bekannten und liegt ein Dominanzgefälle vor es zählen ausschließlich die eigenen Bedürfnisse. Der dominante Partner kann das Konto überziehen, der schwache muss sich fügen. 43 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Equityprinzip: Beziehungsqualität niedrig, Macht aber egalitär verteilt:, Interaktion folgt austauschtheoretischen Überlegungen der Nutzen, der dem anderen entsteht, muss umgehend rückerstattet werden; offene Kredite beunruhigen beide (wegen Befürchtung eines Nutzenentganges und Verletzung der Norm der Reziprozität). Kreditprinzip: Gleicht die Beziehung der zwischen guten Geschäftspartnern und Freunden gegenseitiges Vertrauen; Nutzendifferenzen können über lange Zeit bestehen; langfristig wird aber Balance angestrebt. Liebesprinzip: Je enger und harmonischer die Beziehung, desto altruistischer sind die Partner Bedürfnisse des Partners sind gleich wichtig oder wichtiger als die eigenen; Gefälligkeiten, ohne Rückzahlung zu erwarten. Asymmetrische Nutzenverteilungen werden bedeutungslos. 5.2.3 METHODEN ZUR UNTERSUCHUNG PRIVATER HAUSHALTEN Das Alltagsleben eines Paares oder einer Familie besteht nicht nur aus einer Summe von Aktionen und Reaktionen zwischen Personen, sondern repräsentiert ein soziales System, dessen Dynamik von der Struktur der Beziehung, den Eigenschaften der Individuen und der sozialen und physischen Umgebung beeinflusst wird. Ökonomische Entscheidungen sind eingebettet in die tägliche Routine der Beziehung, in der eine Vielzahl von Aufgaben bewältigt werden müssen, die nicht geordnet nacheinander sondern gleichzeitig Lösungen erfordern. Es bedarf an Längsschnittstudien, in die mehrere Mitglieder eines Haushalts einbezogen werden, und in denen durch die Anwendung vielfältiger Methoden die Dynamik von Alltagsereignissen adäquat erfasst werden kann. Experimentelle Methoden: Da in einem Haushalt eine Gruppe von Personen lebt, schien es naheliegend, Forschungstechniken und Ergebnisse aus der experimentellen Kleingruppenforschung auf den Haushalt zu übertragen, d.h. ad hoc Gruppen zusammenzustellen. Laborgruppen und Familien oder private Haushalte sind aber verschiedene „soziale Objekte“ und die Generalisierung von Daten aus dem einen Untersuchungsfeld auf das andere ist unsinnig. Nachdem die Nachteile erkannt wurden, wurden artifizielle oder synthetische Familien kreiert. In diesen werden einander fremde Personen, die ihrem Alter und Geschlecht nach einer Familie entsprechen könnten, einer Gruppe zugeordnet. Synthetische unterscheiden sich aber von realen Familien gerade in den charakteristischsten Merkmalen: ihnen fehlt wechselseitige Abhängigkeit, Intimität und die Vielfalt der gemeinsamen Aufgaben. Schließlich werden „natürliche“ Paare oder Familien in ein Labor geladen um gemeinsam Aufgaben zu lösen. Dabei handelt es sich jedoch meistens um belanglose, konsequenzlose Aufgaben, die zumeist außerdem im Labor anders gelöst werden. Teilnehmer sind schwierig zu gewinnen und es ist ein hoher Zeitaufwand. Weiters verhalten sich Personen in Laborsituationen anders als in ihrer natürlichen Umgebung. Befragungs- und Beobachtungsmethoden: Fragebogenstudien sind deshalb wenig erfolgversprechend, weil die Partner kaum verlässlich über das Verhalten des anderen Auskunft geben können. Partner scheinen den anderen durch den Filter des eigenen Verhaltens zu sehen und meinen, die Taktiken, die sie selbst in einer Situation anwenden werden auch vom anderen beutzt. Zudem ist die Erinnerung an bestimmte Alltagsereignisse nicht perfekt und verblasst mit der Zeit. Es ist ein besseres Verständnis für das Prozessgeschehen zu erwarten, wenn ökonomische Entscheidungen nicht als isolierte, sondern in Alltagsroutinen eingebettete Ereignisse gesehen werden. Tagebuchverfahren: Zielen insbesondere auf ökologische Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt zu analysieren. Zeitstichprobentagebuch , Validität Brandstätter ab und erlauben, die (1977) konstruierte ein mit dem das Alltagsbefinden untersucht werden kann, und das in modifizierter Form zur Untersuchung des Familienalltags geeignet ist. Zu gegebenen Zufallszeiten tragen die Teilnehmer mehrmals täglich und über einen längeren Zeitraum hinweg in das Tagebuch ein. Sie protokollieren ihre Stimmung, geben Ursache des Befindens an und beschreiben die objektiven Situationsmerkmale, wie Aufenthaltsort, ausgeführte Tätigkeit und anwesende Personen. Um Diskretion zu wahren, erfolgt nach entsprechendem Training die klassifikatorische Inhaltsanalyse durch die Teilnehmer selbst. Steht nicht der Alltag im Fokus des Interesses, sondern spezifische Probleme, so ist ein Ereignistagebuch angebrachter. Von Kirchler (1996) wurde das Partner-Ereignistagebuch weiterentwickelt. Es soll nicht nur ökonomische Entscheidungen erfassen, sondern auch Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 44 parallel ablaufende nicht-ökonomische Entscheidungsprozesse über eine lange Zeitsequenz registrieren. Das Tagebuch wird täglich abends von den Partnern getrennt ausgefüllt, nachdem sie sich darauf geeinigt haben, welche Gesprächsthemen an diesem Tag zu unterschiedlichen Meinungen geführt hatten. Die Partner protokollieren, ob sie miteinander gesprochen haben, wie lange und worüber sie miteinander geredet haben, ob sie sich während der Gespräche wohlgefühlt haben, wo sie sich aufhielten, was sie gerade taten und welche anderen Personen anwesend waren etc. siehe Beispiel S. 236 5.2.4 EINFLUSSVERTEILUNG ZWISCHEN DEN PARTNERN Je nach Produktbereich dürften jeweils eher der Mann oder eher die Frau das Sagen haben. Frauen entscheiden eher über Verbrauchsgüter (Nahrungsmittel, Putzmittel, ...), während Männer eher über Gebrauchsgüter (Auto, Fernseher, ...) entscheiden. Diskutiert werden die sozialen Rollen und die relativen Ressourcenbeiträge als Einflussfaktoren. Beide sind aber in der heutigen Zeit am Verwischen. Wichtiger sind wohl Wissen und Kompetenz der Partner sowie das Interesse an der Entscheidung. In manchen Studien erwies sich auch die Entscheidungsgeschichte als wichtig, nachdem es ein „ ungeschriebenes des Ausgleiches“ gibt. Kirchler (1998) untersuchte mittels des Gesetz retrospektiven Tagebuches Determinanten des Einflusses in Kaufentscheidungen und fand Kompetenz, Interesse an der Entscheidung, Dringlichkeit und Sachlichkeit der Argumentation als entscheidend. Ein Partner scheint nach etwa zwei bis drei Entscheidungen den Einfluss abgeben zu müssen. Auf lange Sicht gleichen sich die Einflussverteilungen zwischen Mann und Frau aus. Rollendreieck von Davis und Rigaux Trennung von Initiations-, Informationssammlungs- und Kaufphase. 2 Variablen konstituieren das Rollendreieck: Einflussverteilung zw. Mann und Frau Grad der Gemeinsamkeit (Prozentsatz gemeinsamer Entscheidungen) Rollendreieck zerfällt in 4 Kontrollbereiche: Synkratische Entscheidung: über 50% der Befragten sind der Meinung, dass beide Partner gleich viel Einfluss haben Autonome Entscheidung: wenn der Wert unter 50% liegt Fraudominierte Entscheidung: Einflussverhältnis deutlich zugunsten der Frau Manndominierte Entscheidung: Einflussverhältnis deutlich zugunsten des Mannes Autonome/Ausgewogene Entscheidung: Mann und Frau entscheiden etwa gleich häufig alleine Kontrollhäufigkeit gleich verteilt Siehe Abb 5.5 S.244 Nach Blood und Wolfe (1960) regulieren die herrschenden sozialen Normen und die relativen Ressourcenbeiträge der Partner deren Einfluss. Die Gültigkeit der Ressourcentheorie sei jedoch fraglich geworden, weil nicht beachtet wird, dass anstelle der Differenz zwischen den objektiven Ressourcenbeiträgen die von den Partnern subjektiv wahrgenommene Differenz zählt. Neben dem Druck durch soziale Normen wird in Entscheidungen auf den informationellen Druck hingewiesen, dem ein Gegner nur schwer standhalten kann. Der Partner, der über ein Produkt besser bescheid weiß, gute Argumente bringt und darauf beharrt, setzt sich eher durch. Neben der Kompetenz zählt auch das Interesse an der Entscheidung. Corfman und Lehman zeigten in einer Studie, dass die Wahrscheinlichkeit, Einfluss zu erhalten ansteigt, wenn in den vorausgegangenen Diskussionen der Partner das Sagen gehabt hatte. 45 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Über mehrere Entscheidungen hinweg berechnet, verteilt sich der Einfluss gleichmäßig auf die Partner. Das Ausmaß der Entscheidung spielt keine Rolle. 5.2.5 PROZESSANALYSE VON ÖKONOMISCHEN ENTSCHEIDUNGEN Bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen den Partnern werden anhand verschiedener Taktiken beizulegen versucht. Die Wahl der Taktik erwies sich als abhängig von der Beziehungsqualität, der Dauer der Partnerschaft, dem Konflikttyp und dem Geschlecht. Allgemein werden in Sachkonflikten eher logisch rationale Argumente gebracht und in Wertund Verteilungskonflikten Persuasionstaktiken. Klassifikation von Taktiken (Kirchler, 1990), S. 254 Inhalt der Taktik Persuasionstaktiken (Wertkonflikte) Emotionen Physische Kraft Ressourcen Anwesenheit Information Personen Konfliktumgehung Fakten Konfliktumgehung Rollensegmentierung Verhandlungstaktiken (Verteilungskonflikte) Verhandlungen Sachlich-rationale Argumentation (Sachkonflikte) Rationalität Taktik 1. positive Emotionen (schmeicheln) 2. negative Emotionen (drohen) 3. Hilflosigkeit (weinen) 4. körperlicher Druck (aggressiv sein) 5. Angebot von Ressourcen (Aufmerksamkeit zeigen) 6. Entzug von Ressourcen 7. Beharren 8. Rückzug (Thema wechseln) 9. Sachverhalte offen legen 10. falsche Tatsachen vorspielen (Info unterdrücken/verzerren) 11. indirekte Koalitionen (auf andere Personen verweisen) 12. direkte Koalitionen (in Anwesenheit anderer diskutieren) 13. vollendete Tatsachen (ohne Absprache entscheiden) 14. Entscheidung aufgrund der Rollen 15. Entgegenkommen aufgrund der Rollen 16. trade-offs (Buchführung, Erinnerung an vergangene Gefälligkeiten) 17. integrative Verhandlung (Suche nach einer optimalen Lösung für alle Beteiligten) 18. Rationalität (Darlegung von Sachargumenten) 5.2.6 Vernunft und der ökonomische Einsatz der Mittel 46 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Da in engen Beziehungen neben wirtschaftlichen Zielen auch das Ziel der Beziehungsförderung steht, können Zielkonflikte entstehen und die Partner die Förderung der Beziehung vor wirtschaftliche Ziele setzen. Der Entscheidungsprozess in engen Beziehungen wird als inkrementelles, schrittweises Vortasten zu einer Lösung beschrieben. Im privaten Haushalt existieren Kaufentscheidungen nicht als isolierte Aufgabe. Ökonomische Entscheidungen können zu Machtspielen mutieren. Anstatt eine gute Lösung zu suchen, können die Partner bestrebt sein, Nutzenschulden zu begleichen, die in verschiedenartigen Situationen entstanden sind, oder sie versuchen einen Ausgleich in der Einflussverteilung herzustellen. Oft werden bewusst suboptimale Entscheidungen zugunsten der Beziehungsqualität getroffen. 5.2.7 Fairness und Zufriedenheit Partner in engen Beziehungen sind nicht nur bestrebt in finanziellen Entscheidungen die ökonomisch beste Alternative zu realisieren, sondern auch Konflikte fair auszutragen. Die Ergebnisse der Wiener Tagebuchstudie von Kirchler zeigen, dass bei Entscheidungen in engen Beziehungen sowohl egoistische Motive als auch der Wunsch nach Balance das Fairnessempfinden beeinflussen. Extreme Nutzenverteilungen, auch zum eigenen Vorteil werden als unfair erlebt. Am fairsten werden jedoch nicht solche Entscheidungen beurteilt, die beiden Partnern gleich viel Nutzen bringen, sondern solche, aus denen man selbst etwas mehr Nutzen zieht. 5.3 Ökonomische Entscheidungen im privaten Haushalt: Kredit Neben dem Kredit als Geldleihe sind Kreditkarten von besonderer Relevanz. Positive Einstellung zur Kreditaufnahme, auch für Güter, die nicht unbedingt nötig sind, steigt mit zunehmender materialistischer Einstellung der Befragten. Verfügbarkeit von Kredit durch Kreditkarten verleitet zu unreflektierten Käufen. Überschuldungsprobleme sind wahrscheinlich, wenn Konsumenten eine pos. Einstellung zu Krediten haben, extravertiert sind, Konsum als belohnend erleben und nicht die Geduld für einen Belohnungsaufschub aufbringen können, sowie dann, wenn Konsumenten ihr Budget mangelhaft planen und Kreditbelastungen schlecht kalkulieren. In Laienvorstellungen über finanzielle Schulden dominieren individuelle Ursachenzuschreibungen. Integratives Modell zum Entscheidungsprozess, einen Kredit zu nehmen siehe Abb. 5.10 S.265 Phase 1: Wunsch nach einem Gut und Überlegung, es auch ohne entsprechende Ersparnisse zu kaufen und einen Kredit aufzunehmen, den Kauf zu verschieben oder auf das Gut zu verzichten. Je nach Art des Gutes führt der Wunsch zu einem spontanen Kauf, einem Gewohnheitskauf oder löst einen extensiven Entscheidungsprozess über das Angebot verschiedener Güter und der Finanzierung aus. Je nach Persönlichkeitsmerkmalen treffen Konsumenten unterschiedliche Entscheidungen. Phase 2: ein Kredit wird aufgenommen Phase 3: Kredit wird zurückgezahlt. Nach erfolgter Rückzahlung werden die Erfahrungen mit dem Kredit und der Rückzahlung rekonstruiert und bewertet 6 Motive für die Kreditnahme nach Keynes Vergnügen und Genusssucht Luxus und Verschwendungssucht Wirtschaftliche Kurzsichtigkeit Falsche Ausgabenrechnung Prahlerei 47 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Generosität Weiters können soziale Vergleichsprozesse und das daraus resultierende Bedürfnis, ebenso viel zu besitzen wie vergleichbare andere Personen dazu führen, dass Geld ausgeliehen wird. Menschen mit einem hohen Bedürfnis, einer bestimmten Wohlstandskategorie anzugehören, gegenwartsbezogene Menschen, die den Wert zukünftiger Ereignisse stark diskontieren und besonders optimistisch sind, neigen eher zur Kreditnahme als andere. Kreditentscheidungen sind komplex. Infos über Konditionen und Rückzahlungsbedingungen sind wesentlich um eine gute Entscheidung zu treffen. Wenn Infos von den Entscheidungsträgern eingeholt werden, meist über Bekannte oder die Bank und auch dann sind fundierte Überlegungen über die Kreditbedingungen selten. Meist kommt es zur Anwendung von Entscheidungsheuristiken und vielfach sind Kreditnehmer zu zuversichtlich, über-optimistisch und wenig sorgsam. Die Rückzahlungsperiode wird unterschätzt, v.a. wenn sie viele Jahre dauert. Grund dürfte die starke Diskontierung von zukünftigen Kosten sein. Kreditnahme auf Basis der Prospect-Theorie siehe Abb.5.11 S.268 Wenn Konsumenten die Befriedigung durch den sofortigen Kauf überlegen, ist auf der Basis der ProspectTheorie anzunehmen, dass der psychologische Wert des sofortigen Besitzes hoch ist. Allerdings werden auch die Kosten intensiv erlebt. In Abb 5.11 ist der Wert eines aktuell erstandenen Gutes R zum Zeitpunkt des Kaufes t1 hoch. Allerdings wird der Preis C, der objektiv dem Wert des Gutes entspricht, zum aktuellen Zeitpunkt t1 noch intensiver erlebt, so dass die erlebten Kosten höher sind als der erlebte Wert des Gutes (Rt1 ˂ Ct1). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auf den Kauf verzichtet wird. Wenn die Befriedigung durch den sofortigen Besitz eines Gutes sofort erlangt werden kann (Rt1) und der Preis dafür zu einem späteren Zeitpunkt zu bezahlen ist (Ctn), dann werden laut Theorie der hyperbolischen Diskontierung und nach dem Modell von Mowen und Mowen die zukünftigen Kosten diskontiert und die Differenz zwischen Rt1 und Ctn ist wahrscheinlich positiv (Rt1 ˃ Ctn), so, dass der Kauf vorteilhaft erscheint. Besteht weiters die Möglichkeit, den Preis in Raten zu bezahlen und damit zukünftig nur kleine Beträge anfallen, dürfte der Kauf besonders vorteilhaft erscheinen. Die Kosten Ct2, Ct3, Ct4 etc, liegen nicht nur in der Zukunft und werden damit diskontiert sondern erscheinen auch gering. Die Gesamtsumme des zu zahlenden Betrags der Raten dürfte besonders attraktiv scheinen, sodass der Vorteil des Kaufes die Kosten überwiegt (Rt1 ˃ Ʃ Ct1, Ct2, Ct3, …). 48 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 6 - KONSUMGÜTERMÄRKTE UND ABSATZPOLITIK 6.1. Produktion und Vertrieb von Gütern (S. 287) Die Aufgabe von Unternehmen ist die Produktion und Verteilung von knappen (materiellen und immateriellen) Gütern. Klassifikation von verschiedenen Gütertypen (nach Pfeiffer & Bischof, 1974) Zwischen dem Markt und dem Unternehmen besteht eine wechselseitige Beziehung: Das Unternehmen erhält von den Konsumenten Geld (Umsatz) sowie Marktinformation. Der Markt hingegen wird durch die Kommunikation seitens der Unternehmen (z.B. Werbung) sowie durch die entsprechenden Güter beeinflusst. Unternehmen interagieren daher fortlaufend mit ihrer Umwelt und dem Markt, wodurch alle betrieblichen Aktivitäten auf den Absatz der Produkte rückgeführt werden können. Der Absatzpolitik und der Beschaffungs- und Produktionspolitik (von Waren, Arbeitern) kommt daher höchste Bedeutung zu. Mittlerweile haben sich die meisten Märkte von reinen Verkäufermärkten (mit Nachfrageüberhang) zu Käufermärkten entwickelt. Diese sind durch einen Angebotsüberhang charakterisiert (mehr Waren werden angeboten, als nachgefragt). Des Weiteren ist für die Entscheidung der Konsumenten aufgrund der hohen Auswahl an Produkten nicht nur der Grundnutzen (was wir essen), sondern auch der Zusatznutzen (wo wir essen) relevant. Der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Wahlmöglichkeiten und der Zufriedenheit der Konsumenten ist aber uneindeutig. Einerseits zeigt sich, dass die Zufriedenheit mit wachsender Auswahl sinkt - „Tyranny of Choice“ (Schwartz, 2000; als Video auch hier: http://www.youtube.com/watch?v=VO6XEQIsCoM). Andererseits gibt es auch Arbeiten, die keinen oder einen gegenteiligen Effekt nachweisen konnten. Es ist anzunehmen, dass bis zu einer gewissen Anzahl an Wahlmöglichkeiten die Zufriedenheit steigt, und ab dann sinkt. Auch die Ähnlichkeit der Optionen, die Möglichkeit zur Kategorisierung und Persönlichkeitsmerkmale dürften eine Rolle spielen. Um v.a. in Käufermärkten gezielte Marketingaktivitäten zu setzen, ist es notwendig, einerseits Unternehmensentscheidungen an Bedürfnissen der Verbraucher auszurichten (Marketingmaxime), und andererseits systematisch moderne Techniken der Entscheidungsfindung anzuwenden (Marketingmethode). Ökoskopische Marktforschung erforscht ökonomische Marktgrößen, demoskopische Marktforschung analysiert Wirtschaftssubjekte, wie Einstellungen, Motive, demographische Merkmale, etc. Größen des Marketingerfolges: Absatzvolumen (verkaufte Menge von Gütern) Umsatzvolumen (durchschnittlicher Verkaufserlös mal Absatzvolumen), Marktanteil (Prozentsatz des Absatzes oder Umsatzes eines Produktes am gesamten Marktvolumen eines Teilmarktes innerhalb eines bestimmten Zeitraumes) 49 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Erstkäufe (durch Produktgestaltung, werbliche Maßnahmen) Wiederkaufrate (Markentreue, Zufriedenheit mit Produkt) Erstkäufe und Wiederkaufrate sollten v.a. bei der Neueinführung von Produkten Beachtung finden. Die Zahl der Erstkäufe ist ein Indiz für den Aufforderungscharakter eines Produkts; die Wiederkaufrate kann als Markentreue und Zufriedenheit interpretiert werden und erlaubt Schlüsse auf den Lebenszyklus des Produkts, sowie Prognosen über dessen Zukunftschancen). Neben ökonomischen Marketingzielen (etwa Gewinnerhöhung) spielen auch nichtökonomische Ziele eine Rolle, etwa die Einstellung der Käufer zu einem Produkt, Marktpräferenzen, Kaufintentionen oder der Bekanntheitsgrades eines Produkts. Zur Erreichung dieser Ziele steht den Unternehmen ein Marketing-Mix zu Verfügung, der das Marketing-Instrumentarium und die Analyse von Markt- und Konsumentenreaktionen umfasst: 1. Produktpolitik: zielt vor allem auf Erhöhung des Grund- und Zusatznutzens eines Produkts ab, z.B. Produktgestaltung, Produktidee 2. Preispolitik: z.B. Listenpreise, Lieferung 3. Distributionspolitik: bezieht sich auf die Absatzwege, z.B. Selbstbedienung, Versand, persönlicher Verkauf sind Verteilungsarten von Gütern 4. Kommunikationspolitik: Umwerbung der Konsumenten, hauptsächlich mittels Werbung und Werbewirkungskontrolle Auf Käufermärkten mit Angebotsüberhang genügt es jedoch nicht Kunden zu gewinnen. Es müssen die Kunden auch längerfristig gehalten werden (Kundenbindung). Durch die stetige Erfüllung der Erwartungen der Kunden (Kundenzufriedenheit), wird eine Basis des Vertrauens zwischen Produzenten und Kunden geschaffen loyale Kunden. Oft ist es ratsam zu einer kleinen Gruppe (bestimmtes Kundensegment) einen engeren Kontakt aufzubauen, diese zufriedenzustellen und sich in dieser Marktnische festzusetzen, anstatt neue Kunden zu akquirieren. Messung der Kundenzufriedenheit. Zufriedenheit kann als Summe der psychologischen Erlebnisse, die aus Erwartungen und Erfahrungen mit dem Gut resultieren, definiert werden. Kundenzufriedenheit wird häufig aufgrund der Anzahl von Reklamationen bzw. der Loyalität zu einer Firma oder Marke gemessen. Bei Reklamationen gibt es aber eine große Unbekannte: oft wird nicht reklamiert, weil die Chance auf Rückabwicklung oder Ersatz vom Konsumenten als gering angesehen werden, die Reklamation aufwändig ist oder die Beweislast beim Kunden liegt. Des Weiteren können sich bei Konsumenten gemäß dem Modell von Bruggemann, Groskurth und Ulich (1975) unterschiedliche Arten der Zufriedenheit ausbilden. Laut Modell ergibt sich die Kundenzufriedenheit aus dem Vergleich zwischen individuellen Bedürfnissen und den am Markt verfügbare Befriedigungsmöglichkeiten. Progressive Zufriedenheit: geringe Diskrepanz zw. Ansprüchen und Angebot; Kunden können Ansprüche erhöhen und nach reichhaltigeren Gütern suchen Stabilisierte Zufriedenheit: geringe Diskrepanz zw. Ansprüchen und Angebot; Gut wird wieder gekauft Resignative Zufriedenheit: hohe Diskrepanz; trotz unbefriedigter Grundhaltung können Kunden davon überzeugt sein, dass kein besseres Gut am Markt verfügbar ist, ihre Ansprüche reduzieren und sich loyal verhalten Pseudozufriedenheit: hohe Diskrepanz; Qualität des Gutes wird überschätzt, die Situation also verzerrt wahrgenommen Fixierte Unzufriedenheit: hohe Diskrepanz; Suche nach anderen Gütern Konstruktive Zufriedenheit: hohe Diskrepanz; Kunden versuchen die Produkte des Anbieters durch ihre konstruktiver Kritik qualitativ zu verbessern Wenn die Diskrepanz zwischen Ansprüchen und Angebot gering ist, dann kann vermutet werden, dass eine progressive oder stabilisierte Zufriedenheit (Gut wieder kaufen) resultiert. Hohe Diskrepanz zwischen Ansprüchen und Angebot kann zu resignativer Zufriedenheit führen. Andererseits können Kunden die und Pseudozufriedenheit entwickeln. Es wäre auch denkbar, dass Konsumenten fixiert unzufrieden sind und nach anderen Gütern suchen. 50 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Schließlich kann es zu konstruktiver Unzufriedenheit kommen und die Kunden würden dann aufgrund ihrer Reklamationen die Anbieter dazu bringen, qualitativ bessere Produkte zu entwickeln. 6.2. Produktpolitik (S. 294) Die Produktpolitik befasst sich mit der Neueinführung von Gütern und mit Veränderungen bereits im Sortiment stehender Produkte. Die Dauer des Entscheidungsprozesses für ein Produkt und die Bereitschaft zum Kauf hängen im großen Maße von den Eigenschaften des Produkts ab. Da Qualitätssteigerungen (Grundnutzen) oft nur marginal sind, steht die symbolische Funktion der Produkte, die Variation des Produktäußeren sowie die Markenbildung (Zusatznutzen) noch mehr im Zentrum des Interesses. Der subjektive Wert eines Gutes ergibt sich nicht nur aus der Befriedigung, die durch dessen Konsum/Gebrauch resultiert, sondern auch aus der Bedeutung, der Symbolträchtigkeit und den Assoziationen, die mit dem Konsum/Gebrauch eines Gutes verbunden werden. Den Zusatznutzen von Marken illustrieren die ähnlich aufgebauten Experimente von Allison und Uhl (1964) mit verschiedenen Biersorten sowie die Studie von Chernatony und McDonald (1992) mit Coca-Cola und Pepsi-Cola. Allison und Uhl (1964) untersuchten den Einfluss der Markenkenntnis bei Bier auf das Qualitätserlebnis. In einem Blindversuch stellten die Teilnehmer keinerlei Qualitätsunterschiede zwischen den ihnen „anonym“ dargebotenen Biersorten fest. Bei Markenkenntnis machten sie dann auf einmal Qualitätsunterschiede aus. Chernatony und McDonald (1992) kommen in ihrer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Studie von Pauen (2007) befasste sich mit neuroökonomischen Aspekten der Markenkenntnis. Es zeigten sich kortikale Unterschiede wenn zwischen Markenartikel und markenlosen Produkten gewählt werden sollte. Die Entscheidung für bekannte Markenartikel wurde schneller und emotionaler getroffen, wodurch eine kortikale Entlastung beobachtet werden konnte. Bei markenlosen Artikeln wurden rationalere Überlegungen aufgrund der Aktivierung von bewusstseinsfähigen Strukturen dokumentiert. Die Beeinflussung des Geschmacks aufgrund der Marke kann durch Irradiationsphänomene (Spiegel, 1970) erklärt werden: Produktmerkmale, wie der Geschmack oder die Qualität, werden verändert wahrgenommen, wenn ein davon unabhängiges Merkmal variiert wird. Beispiele hierfür: Farbe des Verpackungspapiers: Frische des Brotes Farbe von Margarine: gelb erscheint weich, weiß ist hart und nicht streichfähig Geruch von Putzmitteln: beißend ist gut, blumiger Duft kann weniger Herkunftsland: z.B. Uhr aus Schweiz oder Polen- Qualität Preis: wird als Indikator für Qualität genommen Nach Rosenstiehl und Ewald (1979) unterschiedlichen Konstellationen auf: treten Irradiationsphänomene in 3 1. Die Wahrnehmung von Reizen, die objektiv verändert werden, strahlt unmittelbar auf andere Reize über, die objektiv nicht verändert werden, die aber dann auch verändert wahrgenommen werden. Optische Täuschungen (z.B. Müller-Lyer´sche Täuschung) etwa oder die Tatsache, dass Farbgebung die Größenwahrnehmung von Produkten beeinflusst (z.B. helle Autos wirken größer als dunkle). 51 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 2. Die Veränderung der Wahrnehmung des objektiv unveränderten Reizes erfolgt nicht unmittelbar, sondern vermittelt über Lernprozesse. Über Konditionierung etwa können zwei Reize miteinander verbunden werden (z.B. Preis-Qualität, Farbe-Kühlleistung des Kühlschrankes usw.). 3. Auch veränderte Kognitionen, Bedürfnisse oder Emotionen/Stimmungen können zu veränderten Wahrnehmungen und Bewertungen führen. Güter, die zur Befriedigung aktivierter Bedürfnisse dienen, werden etwa eher wahrgenommen und häufig auch positiver beurteilt als andere. Hackl-Grümm (1994) beschäftigte sich mit der Signalwirkung von Farben, deren Wirkung auf den Organismus und deren symbolischer Bedeutung. Die Farbe Rot wirkt aktivierend, Blau wirkt physisch verlangsamend, Rosa signalisiert Süßes, usw. Grün verpackte Produkte etwa haben immer einen gewissen Umweltbonus. Wenn Qualitätsbeurteilungen schwierig sind, kommt Schlüsselreizen bei der Produktgestaltung besondere Relevanz zu. Produkteigenschaften können auf die Wahrnehmung des gesamten Produktes oder nur Teilaspekten überstrahlen. Halo-Effekte oder Irradiationen sind nach Spiegel (1970) umso wahrscheinlicher und intensiver, (a) je diffuser und weniger ausgegliedert die beeinflusste Eigenschaft ist, (b) je weniger thematisch die beeinflussende Eigenschaft erlebt wird und (c) je näher die beiden Eigenschaften erlebnisgesetzlich miteinander in Verbindung stehen. Theoretische Erklärungen für Irradiationsphänomene (oder auch Halo-Effekte) kommen aus der Gestaltpsychologie und aus der sozialen Wahrnehmungstheorie. Ein Produkt wird nicht als die Summe seiner Einzelelemente wahrgenommen, sondern als Ganzes, als Gestalt eben. Daher strahlt die Veränderung eines Aspekts auf die Wahrnehmung anderer Aspekte über. Die Theorie der sozialen Wahrnehmung (Bruner & Postman, 1949) besagt, dass Individuen mit bestimmten Erwartungen oder Hypothesen an die Umwelt herangehen, die Umwelt Informationen liefert und die Wahrnehmung eines Produkts daher ein Kompromiss aus Erwartungen und Information ist. Der Grundgedanke ist, dass Menschen bestrebt sind, Personen und Ereignisse zu klassifizieren. Dieser Prozess dient der Orientierung und sofortigen Handlung. Kognitionen, Motive der wahrnehmenden Person sowie Kontextfaktoren leiten die Informationssuche und Interpretation. Der Wahrnehmungsprozess kennt drei Stufen: 1. Erwartungsbildung 2. Sinneseindrücke oder Informationen aus der Umwelt werden aufgenommen 3. Vergleich der Sinneseindrücke oder Infos mit der Erwartung Entspricht die Information der Hypothese nicht, muss die Hypothese korrigiert werden und neue Informationen werden gesammelt, bis Kongruenz zwischen Hypothese und Information erreicht worden ist. 6.2.1. Produkttests (S. 301) Durch Produkttests kann das Risiko gemindert werden mit einem neuen Produkt einen Flop zu landen oder ungünstige Änderungen an einem bereits im Markt platzierten Produkt vorzunehmen. Sinnvollerweise werden Produkttests durchgeführt, wenn der Verkaufserfolg von der Produktbewertung der Konsumenten abhängt und Änderungen am Produkt noch möglich sind. Da die Produkte von einer vorher festgelegten Zielgruppe positiv aufgenommen werden sollen, macht es Sinn Produkttests an repräsentativen Samples durchzuführen. Tests in vollbiotischen Situationen, also vollkommen realitätsnah, sind besonders günstig. Häufig ist jedoch 52 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat die Planung von Produkttests relativ einfach, die Umsetzung allerdings umso anspruchsvoller. Unterschiede zwischen objektiver Warenprüfung, Produkttests und Konzepttests: Objektive Warenprüfung: objektive Produktmerkmale werden geprüft Produkttests: Analyse von Produkterlebnissen, der subjektiven Wirkung von Produkten auf Konsumenten, konkrete Güter werden zur Bewertung vorgelegt Konzepttests: Produkte werden lediglich auf Bildern gezeigt Gaubinger, Werani und Rabl (2009) fassen die Vor- und Nachteile von Produkttests zusammen. Vorteile Nachteile - Hohe Flexibilität in der - Geringe externe Validität Durchführung aufgrund der - Ergebnisse sind schnell verfügbar Experimentalsituation - Hohe interne Validität - Quantitative Marktprognosen sind - Möglichkeit erfolgshemmende nicht direkt möglich Faktoren vorab zu diagnostizieren - Bedeutung von sozialen - Tests und Ergebnisse können vor Kontakten für die der Konkurrenz geheim gehalten Kaufentscheidung wird nicht werden berücksichtigt Zur Durchführung von Produkttests werden unterschiedliche, wissenschaftliche Methoden angewandt: Schnellgreifbühne (Spiegel, 1970): Auf einer Anrichte werden verschiedene Produkte dargeboten, für die Wahl eines Produktes steht nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, da eine Falltüre nach kurzer Zeit den Zugriff verhindert. Es können damit Spontanwahl (Indiz für Aufforderungscharakter), Spontanzuordnung (lasst auf unreflektiert vermutete Eigenschaften des Produktes schließen) und Spontanhandhabung (Rückschlüsse auf Handhabung von Produkten) analysiert werden. Tachistoskop: oft gilt es festzustellen, ob wesentliche Informationen schnell richtig erkannt werden. Mittels eines Tachistoskops (ein Diaprojektor) können Bildinformationen über extrem kurze Zeitspannen präsentiert werden, um die Prägnanz der Information und den ersten Eindruck zu analysieren. Blickaufzeichnungen: sollen längere Betrachtungszeiträume analysiert werden, wird häufig mit Blickaufzeichnungen, die Rückschlüsse auf subjektiv relevant befundene Informationen eines Produktes zulassen, gearbeitet. Es wird dadurch protokolliert wie lange und auf welchen Ausschnitt die Aufmerksamkeit der Teilnehmer fokussiert. Informations-Display-Matrix (IDM): Informationen über Produkte werden in tabellarischer Form dargeboten. Werden verschiedene Produkte gegenübergestellt, so entsteht eine Matrix (mit den Produkten in den Spalten und den Eigenschaften der jeweiligen Produkte in den Zeilen). Da am Anfang alle Informationen abgedeckt sind, sollen die Teilnehmer die Informationen, die sie für Ihre Entscheidung benötigen aufdecken. Dies erlaubt Einblicke in den Prozess der Informationssuche. Je früher und je häufiger eine Information aufgedeckt wird, umso relevanter ist sie für die Entscheidung. Schlüsselinformationen, die besonders häufig 53 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Beachtung finden, sind der Preis und der Markenname (Kröber-Riel, Weinberg & GröppelKlein, 2009). In Schlüsselinformationen wird häufig andere Information (etwa die Qualitätserwartung) gebündelt. Der wesentliche Nachteil der IDM liegt aber in ihrer Abstraktheit der Informationsdarbietung. Weiter ist mehr Information vorhanden, als im Geschäft verfügbar und die Information wird in der IDM sequentiell dargeboten ( externe Validität?). Lautes Denken: eine Testperson erkundet ein Produkt und verbalisiert alle Gedankengänge 6.2.2 Image von Produkten (S. 306) 6.2.2.1 Marken (S. 307) Aufgrund des wankelmütigen Konsumverhaltens vieler Konsumenten (Kirchler, 2007) ist der Erfolg klassischer Marketingkonzepte ungewiss. Es fand vielmehr ein Wechsel zu postmodernen Marketingansätzen statt in deren Rahmen die feste Verbindung zwischen dem Gut und dessen Funktion aufgeweicht wird. Auch die Marke bzw. ein Symbol hat keine eindeutige, allgemein festgelegte Bedeutung mehr. Viel eher ist es so, dass Markenbild von den Konsumenten auf Basis ihrer Erfahrungen mit dem Gut konstruiert wird. Das so beim Konsumenten entstandene Markenbild kann sich daher von dem Markenbild, das durch klassische Methoden zu vermitteln versucht wurde, unterscheiden. Marken versprechen die Erfüllung von Wünschen und dienen der Hoffnung, das eigene Selbstbild entsprechend konstruieren und kommunizieren zu können. Die sozial konstruierte Wirklichkeit und damit verbundene Erlebnisse bilden die Grundlage für das Verständnis von Konsumverhalten. Als Charakteristika für Konsumverhalten aus postmoderner Sicht gelten: Hyperrealität: entsteht in den Vorstellungen der Konsumenten durch direkte Erfahrung oder Fantasien. Der Konsum dient den Ansprüchen, die sich in der Hyperrealität ergeben und diese gleichzeitig definieren. Eine teures, sportliches Auto zu haben, kann stellvertretend für den Wunsch stehen, eine wichtige gesellschaftliche Position inne zu haben. Fragmentierung: das „Selbst“ ist fragmentiert, wodurch sich viele Konsumenten widersprüchlich verhalten. Sie können gleichzeitig egoistisch und altruistisch sein oder Spaß am Einkauf erleben und zutiefst angewidert sein Verhalten schwer vorhersagbar. Konsumenten wechseln zwischen Lebensstilen und bereichern damit ihr Leben mit Erfahrungen. Symbolisches Verhalten: Symbole, die durch Medienkonsum und soziale Kommunikation entstehen, schaffen Bedeutung und diese Bedeutung wird gekauft. Durch den Kauf von bestimmten Symbolen drücken Konsumenten Zuneigung gegenüber einem bestimmten Lebensstil aus (bei gleichzeitiger Abneigung anderer Stile). Daher müssen konventionelle Marketingstrategien überdacht werden, da es das Ziel sein muss Konsumenten zu verstehen und Güter anzubieten, die den subjektiven Wirklichkeiten entsprechen. Marken erfüllen dieses Ziel, indem sie Konsumenten bei deren Konstruktion und Aufrechterhaltung ihrer subjektiven Wirklichkeit helfen. Es stehen in der Marketingliteratur zwei konträre Sichtweisen gegenüber: die Marke wird durch Marketingmaßnahmen geschaffen vs. Marken werden von Konsumenten subjektiv wahrgenommen und konstruiert. Meiffert und Burmann (2002) bieten einen chronologischen Abriss über die 5 Phasen des Markenverständnisses im wissenschaftlichen Diskurs: Die Marke als physische Markierung eines Gutes (Zweck der Eigentumskennzeichnung und der Herkunft) 54 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Merkmalskatalog von Gütern ist die Marke. Die Marke garantiert den Konsumenten somit eine gleichbleibende Qualität und Aufmachung des Produkts. Marke als spezifische Vermarktungsform Marke und Produkt werden als verschiedene Konzepte verstanden. Ein Produkt ist das, was ein Produzent herstellt, aber eine Marke ist das, was Konsumenten kaufen. Siehe Phase 4 aber inklusive sozialpsychologischer Aspekte der Markenführung Die Marke kann außer produktbezogenen Merkmalen auch immaterielle Vorteile vermitteln ( Orientierungshilfe in Kaufentscheidungen; Entlastungsfunktion 6.2.2.2. Definition von Einstellungen (S. 312) In Kirchler (2011, S. 312) finden sich mehrere Definitionen von Einstellungen. Kroeber-Riel, Weinberg und Gröppel-Klein (2009) zu folge basieren Einstellungen auf inneren Erregungsvorgängen, die angenehm oder unangenehm empfunden werden, zielgerichtet und mit einer Beurteilung des Gegenstandes verknüpft sind. Die Drei-KomponentenKonzeption der Einstellungen (Stroebe, 1980; Thomas, 1991) definiert Einstellungen als Zusammenspiel von 3 Reaktionsaspekten: kognitiv (Meinung über den Gegenstand), affektiv (Symphatie) und Verhalten (konativ). Das komplexe Einstellungsgefüge einem Produkt gegenüber wurde von Gardner und Levy (1955) als Image bezeichnet. Dieser Begriff wurde jedoch von Kroeber-Riel et. al (2009) kritisiert, da ihrer Meinung nach das Bündel aus affektiven, kognitiven und konativer Aspekten durch „Einstellung“ besser erfasst würde. 6.2.2.3. Messung von Einstellungen (S. 313) Nachdem Einstellungen nicht direkt beobachtet und gemessen werden können, erfolgt deren Messung über Rückschlüsse aus den sichtbaren Reaktionen einer Person. Die Messung von Einstellung erfolgt über „theoretische Brücken“. Einstellung und Verhalten korrelieren relativ hoch miteinander. Ein Beispiel für indirekte Einstellungsmessung ist die Einkaufskorbtechnik (Haire, 1950). Es wurden dabei zwei fiktive Einkaufslisten vorgegeben und danach gefragt, wie die beiden Hausfrauen erlebt wurden. Dabei wurden Hausfrauen, die Nescafé kauften, als schlechtere Hausfrauen beurteilt, da die mit Instantkaffee 55 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat einhergehende Zeitersparnis nicht dem Bild einer guten Hausfrau entsprach. Möglichkeiten für Messungen: 1. Psychobiologische Ebene: Intensität und Wichtigkeit von Einstellungen. Pulsfrequenz, EKG, elektrodermale Reaktionen, EEG (Veränderungen der phys. Reaktionen als Aktivierung durch das Reizmaterial); aber auch jüngere Entwicklungen wie fMRT haben Hoffnungen geweckt menschliches Verhalten zu dokumentieren und zu objektivieren. Durch die Anwendung solcher Verfahren ist es möglich (un)bewusste Hirnprozesse bei der Betrachtung von Werbeinformationen genauer zu studieren, als es mit Befragungen oder Experimenten möglich wäre. Ein relativ junges Verfahren stellt dabei der Spotlight-Viewer dar (Berger, 2009). Es handelt sich um ein implizites Messverfahren, welches es ermöglicht die visuelle Aufmerksamkeit bei der Betrachtung von Werbeanzeigen zu messen. Es werden den Teilnehmern nämlich Bilder präsentiert über die ein Unschärfefilter gelegt ist. Lediglich an der Stelle des Mauscursors ist der Bildausschnitt scharf. Da die visuelle Aufmerksamkeit neben den Blickbewegungen auch den zielgerichteten Handbewegungen vorgeschaltet ist, kann man über die Cursorbewegungen am Bildschirm auf das Aufmerksamkeitssignal im menschlichen Gehirn rückschließen. Durch die Cursorbewegungen werden also Aufmerksamkeitsbereiche und -verlauf gemessen. 2. Verhaltensbeobachtungen: meistens ohne Wissen der beobachteten Personen, also als reaktives Verfahren. Underhill (1999) führte „tracking“ als Beobachtungsmethode ein. Die Spur von Kunden im Geschäftsbereich wird möglichst unauffällig nachverfolgt. Problematisch natürlich der ethische Aspekt und der mangelhafte Einblick in das affektive Erleben. Beobachtungen in Form von reaktiven Messverfahren sind relativ selten, weil durch das gezeigte Verhalten nur schwer auf die Einstellung rückgeschlossen werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die Studie der „verlorenen Briefe einer politischen Partei“. Die Anzahl der an den Absender zurückgesandten, öffentlich verlorenen Briefe kann als Rückschluss auf die politische Sympathie gedeutet werden (Dawes, 1977). 3. Befragungen und Interviews: besonders beliebt sind Rating-Skalen oder auch Skalierungstechniken, z.B. Methode der summierten Ratings von Likert: Einstellungen als ablehnende oder zustimmende Haltung zu einem Objekt ermitteln, Summenwert der Antworten= Einstellungswert. Farsky (2007) unterscheidet zwischen verschiedenen Methoden der qualitativen und quantitativen Einstellungs- und Imagemessung und kombinierten Methoden. Als qualitative Methoden werden vorwiegend Tiefeninterviews (Laddering) und Gruppendiskussionen oder Fokusgruppen angewandt. Tiefeninterviews sind nicht standardisierte Befragungen, bei denen der Gesprächsverlauf vom Interviewten (Achtung: Fehler im Buch!) weitgehend selbst bestimmt wird. Es wird lediglich ein Rahmenthema und ein grobes Fragenschema festgesetzt. Mit herkömmlichen Befragungen mittels strukturierten Fragebögen werden lediglich bewusste Markenassoziationen erfasst, während mit der Technik des Laddering erfragt/erforscht wird, wie Konsumenten bestimmte Markeneigenschaften in für sie als wichtig erachtete Markenassoziationen umwandeln. In einem ersten Schritt werden daher alle wichtigen Assoziationen erfragt, um diese dann mit Hilfe von „warum?“-Fragen die dahinterliegenden kognitiven Strukturen zu ergründen. In Gruppendiskussionen diskutieren im Beisein eines Moderators 6 bis 10 Teilnehmer über ein bestimmtes, vorgegebenes Thema. Durch die Interaktion der Teilnehmer untereinander und durch die Fragen des Moderators gewinnt man Einblicke in die komplexen Verhaltensweisen und persönlichen Motive der Teilnehmer. 56 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Als quantitative Methoden werden direkte Befragungen (Fragebogen) angewandt. Die Methoden des „Free-Choice“ oder auch „Pick-Any“ erfolgt in 2 Schritten. Die Teilnehmer werden zunächst gebeten, die im ersten Schritt dargebotenen Marken nach ihrer Bekanntheit zu ordnen. Im zweiten Schritt werden den Teilnehmer die bekanntesten Marken aus dem ersten Schritt nochmals dargeboten und gefragt, welche der dargebotenen Marken sie üblicherweise in ihrer Entscheidung berücksichtigen bzw. werden sie nach den Präferenzen für einzelne Marken gefragt. Ziel ist es die relativen Positionen der untersuchten Marken zueinander in einem Positionierungsraum bestimmen zu können. Eine andere Form des Pick-Any-Ansatzes berücksichtigt Dimensionen des Images. Den Teilnehmern wird sowohl eine Liste von Marken, als auch eine Liste von Imagedimensionen vorgegeben. In Folge werden sie dann gebeten, anzugeben welche Marken mit welchen Imagedimensionen assoziiert werden. Es wird dadurch klar, welche Marke mit welcher Eigenschaftsdimension assoziiert wird. Die Wettbewerbs-Image-Struktur-Analyse (Trommsdorf, 1975). Im Rahmen dieser Analyse werden zunächst die zentralen Imagedimensionen von Marken anhand von Sekundäranalysen oder qualitativen Methoden ermittelt, um im nächsten Schritt die Einflussstärke dieser Dimensionen zu analysieren. Der Ansatz von Trommsdorf (1975) ist dem von Fishbein (1975) ähnlich, bietet aber folgende Vorteile: Wettbewerbspotenziale von Marken werden in Bezug auf zentrale Imagedimensionen ermittelt Beziehungen zwischen den Wettbewerbern und deren zentralen Imagedimensionen werden kausal modelliert Unterschiedliche Relevanz einzelner Dimensionen für verschiedene Marken wird in der Untersuchung berücksichtigt Wettbewerbswirkungen von Imagedimensionen auf Einstellungen, Kaufabsichten und Marktanteile werden abgebildet Weitere quantitative Techniken basieren auf Ähnlichkeitsurteilen zwischen Marken. Beliebte Methoden sind beispielsweise die Conjoint-Analyse oder die Golden-I-Methode. Durch die Conjoint-Analyse werden Präferenzen von Konsumenten ermittelt, indem Einstellungsobjekte (Marken, Produkte) mit vielen ihrer besonderen Eigenschaften vorgeben und die Teilnehmer ersucht werden die Objekte in eine Präferenzreihe zu bringen. Infolge werden mittels statistischer Methoden die für die Reihung und somit für die Konsumenten ausschlaggebenden Charakteristika zu isolieren. Im Rahmen der Golden-I-Technik müssen die Konsumenten zunächst die Marken auswählen, die sie bei einer Kaufentscheidung miteinbeziehen würden. Im Weiteren werden dann die Eigenschaften der in Betracht gezogenen Marken bewertet und somit Information über die Wettbewerbsstruktur der Marken gewonnen. Zu den kombinierten Methoden zählen unter anderem die Repertory-grid-Technik, Assoziationstechniken und Netzwerkanalysen. Darüber hinaus bietet die Methode der Brand Concept Maps eine einfache und standardisierte Vorgehensweise. Auf Kärtchen werden den Befragten Marken und vorgegebene, relevante Imagedimensionen mit der Bitte der Zuordnung und Angabe der Stärke vorgelegt. Die sich ergebenden Netzwerke liefern Einblicke in die Art der Zusammenhänge, als auch in die Stärke dieser. Means-End-Analysen liegt der Gedanke zugrunde, dass Wertvorstellungen der Konsumenten die Kaufentscheidung beeinflussen. Daher sollen diese Werte, z.B. durch Tiefeninterviews, sichtbar gemacht werden. „Means“ bezeichnet die Leistungen einer Marke, während „Ends“ die damit angestrebten Ziele bezeichnet. Die Zaltmann Metaphor Elicitation Technique (ZMAT) arbeitet im ersten Schritt nicht wie die übrigen Methoden mit verbalen Stimuli. Die Teilnehmer werden gebeten Bilder der betreffenden Marke zu sammeln, welche für das Produkt eine spezielle Bedeutung haben. Zu 57 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Beginn der eigentlichen Untersuchung werden die Teilnehmer aufgefordert die Zusammenhänge der Bilder zur Marke zu benennen und die Bilder ihrer Bedeutung nach zu ordnen. Mittels Repertory-Grid und Laddering wird die unterschiedliche Bedeutung der Bilder(gruppen) erkundet und die Befragten um Ihre Meinung der bildlichen Beschreibung der Marke gebeten. Schlussendlich lässt sich eine mentale Karte der Marke pro Befragtem abbilden, die zum Schluss noch in eine Meta-Karte über alle Befragte integriert wird. Das semantische Differential (Osgood, 1970) Das semantische Differential erlaubt mehrdimensionale Einstellungsmessungen. Das semantische Differential wurde von Osgood (1970) zur Messung von Wortbedeutungen entwickelt und später im Marketing angewandet (Hofstätter). Es wird dabei ein Stimulus vorgelegt, etwa ein Produkt, und dazu eine Liste von Assoziationen, anhand derer das Produkt beurteilt werden soll. Beim klassischen semantischen Differential wird dazu eine Reihe von gegensätzlichen Eigenschaftswörtern (z.B. ernst- albern, mürrisch- heiter, bestimmt- lax, ...) verwendet, die mit einer Ratingskala verbunden werden. Peabody (1985) erweiterte das Semantische Differential. Er geht davon aus, dass Images oder Einstellungen aus einer Beschreibung (deskriptiv) und einer Bewertung (affektiv) bestehen. Jemand, oder ein Volk, kann als sparsam oder als geizig beschrieben werden, die Bewertung- oder die affektive Einstellungskomponente- ist in den beiden Fällen verschieden, die Beschreibung des Volkes, dass es mit Ressourcen nicht verschwenderisch umgeht, bleibt gleich. Im Semantischen Differential nach Peabody sind für jede Beschreibungsdimension zwei gegensätzliche Wortpaare angeführt, die in ihrem Bewertungsaspekt differieren: sparsam versus verschwenderisch UND geizig versus freigiebig. Die Beschreibungskomponente errechnet sich aus dem Absolutbetrag der Differenz der Urteile auf beiden Skalen. Die Bewertungskomponente ergibt sich aus der Summe der Urteile aus den zwei Skalen. Multiatributmodelle (Ajzen, 1975) Sind dem Semantischen Differential äußerlich sehr ähnlich. Im Modell von Fishbein und Ajzen (1975) können sowohl kognitive als auch affektive Aspekte von Einstellungen gemessen werden. Dem Modell liegen zwei Hypothesen zugrunde: 1. Der Konsument nimmt an jedem Produkt nur einige wenige Eigenschaften wahr die für seine Einstellung ausschlaggebend sind 2. Die Einstellung zu einem Produkt folgt aus der subjektiven Wahrscheinlichkeit P der wahrgenommenen Eigenschaft und aus ihrer Bewertung E In einem ersten Schritt müssen für die subjektive Einstellung bedeutsame Eigenschaften eines Gegenstandes ermittelt werden durch Befragung. Spontan genannte Eigenschaften gelten als einstellungsrelevant. Als nächstes sind die subjektiven Wahrscheinlichkeiten über das Vorhandensein dieser Eigenschaften (kognitiv) sowie die subjektiven Bewertungen (motivational) zu bestimmen. Mit der Kenntnis von Einstellungen kann man Images verschiedener Objekte, etwa von Produkten, Firmennamen, Nationen oder Werbeinhalten miteinander vergleichen. Man kann aber auch das Verhalten von Personen oder Gruppen verstehen oder prognostizieren. Da Einstellung und Verhalten nicht perfekt miteinander korrelieren, wurde das Modell von den Autoren später um den Einfluss sozialer Normen erweitert. Die Neigung, eine Handlung zu setzen hängt somit neben der Einstellung der Person ab von den wahrgenommenen sozialen Normen und der individuellen Neigung, diese zu befolgen. Die Bereitschaft eines Individuums, sozialen Normen zu entsprechen, mag von Persönlichkeitseigenschaften abhängen, aber auch vom Identifikationsgrad mit der Referenzgruppe, welche die Normen aufstellt. Ajzen erweiterte dieses Modell wiederum um die subjektive Überzeugung eines Individuums, eine bestimmte Handlung überhaupt ausführen zu können (Theory of planned behaviour) subjektive Verhaltenskontrolle. Trommsdorff kritisierte das Modell von Fishbein: Die Frage, welche Wahrscheinlichkeit dem Vorhandensein einer Eigenschaft beigemessen wird, setzt eigentlich kategorial ausgeprägte Merkmale voraus, d.h. eine Eigenschaft ist entweder vorhanden oder nicht. Bei graduell 58 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat ausgeprägten Merkmalen wäre es notwendig, zu jeder einzelnen Ausprägung die subjektiv empfundene Wahrscheinlichkeit, zu erfragen. Der Aufwand wäre enorm. Deshalb wäre es besser direkt nach der wahrgenommenen Ausprägung des Produktmerkmals zu fragen (z.B.: „Wie schnell ist ...?“). So wird die tatsächlich wahrgenommene Ausprägung zu der bei einem idealen Produkt in Beziehung gesetzt und dadurch indirekt bewertet. Es resultiert ein Eindruckswert. Je kleiner die Distanz einer wahrgenommenen Merkmalsausprägung zur idealen Ausprägung ist, umso besser wird das wahrgenommene Produktmerkmal eingeschätzt. Weitere Verfahren zur Einstellungsmessung: projektive Zuordnungsverfahren, Satzergänzungs- und Lückentests. Tests (z.B. TAT von Murray), Das Assoziationsgeflecht (S. 329) Werbung zielt vor allem darauf ab, Verbindungen zwischen Marken und Gefühlen zu stiften, es geht also eher um spontane Aspekte, die in der traditionellen Einstellungsforschung eher vernachlässigt worden sind. Zur Messung spontaner Erlebnisse sind Assoziationstechniken gut geeignet. Das Assoziationsgeflecht dient der Erfassung von latenten, evaluativen Aspekten von sozialen Repräsentationen über verschiedene Sachverhalte, kann aber auch zur Einstellungsmessung verwendet werden. Das Assoziationsgeflecht, entwickelt von De Rosa, zielt darauf ab, die aller ersten Gefühle und Gedanken, die zu einem Sachverhalt in den Sinn kommen, zu erfassen. Im Gegensatz zur traditionellen Einstellungsforschung werden auch unreflektierte, spontane Erlebnisse erfasst. Die Teilnehmer werden angehalten, nicht nur alle Assoziationen aufzuschreiben, sondern auch die Reihenfolge zu dokumentieren, die Wertigkeit festzulegen (positiv, negativ, neutral) und die Begriffe zu kategorisieren, indem zusammengehörige Begriffe durch Linien verbunden werden. Das Assoziationsgeflecht erlaubt: 1. Die Analyse der Qualität der Assoziation. Mittels Inhaltsanalyse können Kategorien der Assoziationen erstellt werden. 2. Die Einstellung zu einem Stimulus anhand der Bewertung der Assoziationsinhalte. Polaritätsindex: Differenz positiver und negativer Assoziationen bezogen auf die Gesamtanzahl von Assoziationen Einstellungsmaß, variabel zwischen –1 und 1. Neutralitätsindex: Differenz neutraler Assoziationen und den restlichen Assoziationen, bezogen auf die Gesamtanzahl Neutralität einer Person zu einem Stimulus. 3. Sequenzen aus Gedanken und Gefühlen, da die Reihenfolge dokumentiert wird. Sie können als Erzählung zum Stimulus gesehen werden, womit das Assoziationsgeflecht als projektives Verfahren verstanden werden kann. Über Analyse der Assoziationssequenzen und Berücksichtigung der Häufigkeiten, mit denen bestimmte Assoziationen genannt werden, lassen sich Rückschlüsse auf zentrale und periphere Aspekte von sozialen Repräsentationen ziehen. 4. Subjektive Verbindungen zwischen Assoziationsinhalten untersuchen. Abric entwickelte ein Verfahren, die Assoziationskarte, welches v.a. die Vernetzung zwischen den Assoziationen zu erfassen versucht. 6.2.2.4 Produktpositionierung (S. 332) Die vorigen Kapitel bezogen sich auf die Messung von Ist- Einstellungen oder aktuellen Einstellungen. Aber auch Soll-Einstellungen oder Idealvorstellungen können ein wichtiger Maßstab der Absatzpolitik sein. Sind etwa Ist- und Soll-Einstellungen zu einer bestimmten 59 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Zigarettenmarke bekannt, so kann das Produkt dementsprechend angepasst werden. SollWerte dienen als Zielvorgaben für Produktveränderungen und für Werbemaßnahmen. Produktpositionierung bedeutet die Platzierung eines Produkts in einem Eigenschaftsraum, gemeinsam mit anderen Produkten, wie beispielsweise Konkurrenzprodukten oder einem Idealprodukt. Der Erfolg eines Produktes hängt von seiner Position in einem Einstellungsumfeld und den Positionen der konkurrierenden Produkte oder Marken ab. Die Kaufwahrscheinlichkeit eines Produktes steigt mit zunehmender Nähe zum Idealprodukt und gleichzeitiger Entfernung von Konkurrenzprodukten. Folgende Schritte führen nach Rosenstiehl und Ewald (1979) zur Produktpositionierung: 1. Bestimmung der wahrgenommenen Eigenschaften des Produktes (objektive Leistungsfähigkeit, subjektive Erlebniswerte) 2. Bestimmung des Konkurrenzfeldes (relative Position im Vergleich zur Konkurrenz) 3. Bestimmung der Position von Idealprodukten 4. Bestimmung der zeitlichen Verschiebungen der verschiedenen Markenpositionen und Idealpositionen, die bei strategischen Überlegungen zu antizipieren sind Um die Aufmerksamkeit auf ein Produkt zu lenken, ist es wichtig, dass dieses sich im Eigenschaftsraum von anderen Produkten abhebt. Um ein Produkt erfolgreich zu positionieren ist es nach Ries und Trout (1986) ratsam die vier folgenden Schlagworte zu befolgen: - USP (Schaffung einer Unique Selling Proposition) KISS (Information soll leicht verständlich sein) FIRST (Wer zuerst kommt, mahlt zuerst: Sei als erster am Markt) VOICE (Information muss gehört werden) Dabei ist es auch wichtig zu untersuchen, welche Konsumentengruppen, also welche Marktsegmente, welche Einstellungen besitzen. Manche Teilmärkte können im Gegensatz zu anderen potentiell nach einem Produkt verlangen Marktnischen (= Teilmärkte, die durch das vorhandene Produktangebot unzureichend ausgeschöpft werden und potentielle Nachfrage für ein neues Produkt enthalten). Spiegel (1961) unterscheidet manifeste Marktnischen: wenn Konsumenten Bedürfnisse nach einem bestimmten Produkt haben, aber die am Markt angebotenen Marken nicht der Bedürfnisbefriedigung dienen, und latente Marktnischen: wenn Konsumenten zwar die am Markt erhältlichen Marken kaufen, aber damit nicht voll befriedigt sind und eine neue (bessere) Marke kaufen würden. Nach Müller (1971) können die Instrumente zur Modifikation bzw. Bildung von Images folgendermaßen unterteilt werden: - zentrale Instrumente (Veränderungen des Produktes, z.B. Preisgestaltung, Gestaltung der Verpackung) periphere Instrumente (Garantieleistungen, Lieferbedingungen, Firmenbild etc.) informierende Instrumente (Werbeaktivitäten, PR). Imagetransfer: Es ist auch möglich Einstellungen von einem Produkt auf ein anderes zu übertragen. Markentransfers bieten einige Vorteile: - Mittels einer einzigen Werbelinie können gleichzeitig mehrere unterschiedliche Produkte beworben werden, z.B. Milde Sorte (Zigaretten, Kaffee) und somit auch für Produkte geworben werden kann, die eigentlich nicht beworben werden dürfen. 60 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat - - Wird ein neues Produkt unter einem etablierten Markennamen eingeführt, so wird vermutet, dass bisherige Qualitätsassoziationen von der Muttermarke auch auf die Tochtermarke überspringen. Markentransfers sparen Zeit und Kosten, die zur Positionierung unter einem unbekannten Label nötig wären Allerdings sind mit Markentransfers, bei unbedachter Nutzung, auch Nachteile verbunden: - - Der Großteil der Markentransfers erweist sich als Flop erhebliches Risiko Das Markenbild kann aufgrund der Produktdifferenzierung diffuser wahrgenommen werden, wodurch Konsumenten die Produktqualitäten, die mit dem ursprünglichen Produkt assoziiert waren, nicht mehr eindeutig wahrnehmen. Wahrgenommene qualitative Mängel des Tochterprodukts können auch auf die Wahrnehmung der Muttermarke zurückfallen (Imageschäden). Völkner (2004) hat den Versuch unternommen Erfolgsfaktoren des Markentransfers zu untersuchen. Sie erhob Konsumentendaten betreffend einer Reihe realer Markentransfers und kam zu dem Schluss, dass der stärkste direkte Erfolgsfaktor für einen Markentransfer die Ähnlichkeit zwischen Muttermarke und Transferprodukt ist. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Handelsakzeptanz (also Verfügbarkeit des Transferprodukts), das Markeninvolvement der Konsumenten und die Marketingunterstützung. 6.3. Preispolitik (S. 338) Winkelmann (2008) zu folge ist die Preispolitik sowohl ein taktisches, als auch ein strategisches Instrument des Marketings, da Unternehmen die Preisparameter besonders schnell verändern können. Laut mikroökonomischer Preistheorie ist die Nachfrage eine inverse Funktion des Preises (Nachfragegesetz). Je billiger ein Gut ist, umso eher wird es gekauft. Die meisten Unternehmen zielen auf Gewinn ab, weswegen es aus ihrer Sicht Sinn macht umso mehr Einheiten eines Gutes zu produzieren, je höher der Preis ist (Angebotsgesetz). Angebot und Nachfrage richten sich daher nach dem Preis, wobei die Nachfragekurve an jeder Stelle eine negative Steigung, die Angebotskurve an jeder Stelle der Funktion eine positive Steigung ausweist (siehe Grafik). Die Schnittstelle der beiden Kurven wird als Marktgleichgewicht bezeichnet. Der Gleichgewichtspreis stellt dabei jenen Preis dar, den Konsumenten für ein Gut zu zahlen 61 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat bereit sind und zu welchem alle Güter, die zum besagten Preis produziert werden können, abgesetzt werden können. Der klassischen ökonomischen Theorie zufolge wissen Konsumenten über die Preise der Produkte Bescheid und kaufen dort, wo ein Gut am günstigsten ist. Verbraucher ziehen Preise auch als relevanteste Kriterien für oder gegen einen Kauf heran. Die Gesetze der Ökonomie hinsichtlich Angebot und Nachfrage betreffend der Preise gelten allerdings nicht allumfassend. Die Nachfrage könnte nach einem Preisanstieg sogar steigen und nach einer Preissenkung abfallen, wenn: - - - - Hinter Preiserhöhungen Qualitätssteigerungen vermutet werden (und vice versa) Der Erwerb teurer Güter den Snob-Appeall bedient. Veblen-Effekt (oder „ich kann es mir leisten“): teure Güter werden verstärkt von Presitgekäufern nachgefragt, wenn Preise steigen; Snob-Effekt: elitäre Kundensegmente kaufen das ehemals elitäre Produkt nicht mehr, wenn es zur Massenware wird Wenn weitere Preiserhöhungen befürchtet werden, kann die Nachfrage trotz hoher Preise ebenfalls steigen (Hamsterkäufe sind die Folge). Und vice versa bei Senkungen; man wartet auf weitere Vergünstigungen. Bandwagon-Effekt: ein Gut wird unabhängig vom Preis verstärkt nachgefragt, wenn alle Konsumenten das Gut haben wollen. Geht dieser Effekt von Meinungsführern (Prominente) aus wird vom Mitläufereffekt gesprochen. Bei Preissenkungen könnten Liquiditätsschwierigkeiten vermutet werden, (Nachlieferung von Ersatzteilen ist ungewiss) wodurch die Nachfrage einbricht. Preis und Qualität können als nicht zusammengehörig erlebt werden (SmartShopping). Die Schnäppchenjäger entkoppeln Qualität vom Preis und fordern Markenqualität zum Discountpreis. Achten Konsumenten aber auf die Preise? Und falls ja, bei welchen Produkten? Gabor und Granger (1961) befragten Konsumenten und stellten fest, dass nur 82% der Befragten einen Preis für das eben gekaufte Lebensmittel nennen konnte und der angegebene Preis auch nur in 57% der Fälle korrekt war. Das Preisbewusstsein dürfte im Allgemeinen, vor allem aber zu Zeiten hoher Inflation (Shamir, 1985), sehr gering sein. Wiswede (2007) ist der Meinung, dass Preise vor allem dann Beachtung finden, wenn: - Neue oder selten gekaufte Artikel erworben werden Konsumenten nicht markentreu sind Konsumenten über ein hohes oder geringes Einkommen verfügen Konsumenten über hohe Schulbildung verfügen, Single und berufstätig sind Allerdings ist nicht nur das Wissen über bestimmte Preise für Konsumentscheidungen wesentlich, auch die Preiswahrnehmung spielt hinein. Winkelmann (2008) ist der Meinung, dass die Preiswahrnehmung von motivationalen, kognitiven und situativen Faktoren abhängt (siehe Tabelle). Je nachdem welche Faktoren gegeben sind können objektiv gleiche Preise als günstig oder teuer erscheinen. Motivationale Faktoren - Persönliche Preisbetroffenheit - Einstellung zum Geld - Generosität oder Sparsamkeit - Qualitätsempfinden - Empfinden für Preisschwellen - Vertrauen in den Anbieter - Streben nach sozialer Kognitive Faktoren - Fähigkeit zur Qualitätsbeurteilung - Preis/Kauferinnerungen, spezielle Merkfähigkeit für Preise - Intelligenz (Umrechnung von Preisen) - Selbstvertrauen bei Preisverhandlungen - Kenntnis/Anwendung Situative Faktoren - Preisdarstellung - Überschaubarkeit des Angebots - Konkurrenzpreise und allg. Preisniveau - Aktuelle Sonderangebote - Gratisleistungen beim Kauf - Zeitdruck beim Kauf - Taktik des Verkäufers 62 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Anerkennung durch Käufe - Ökologische Einstellung - Entscheidungsfreudigkeit von Entscheidungsregeln beim Kauf - Aktuelle Finanzsituation des Käufers - Preisimage der Einkaufsstätte Zudem haben Konsumenten laut Kollmann (2002) nur ungenügende Kenntnisse über die Hintergründe des Marktes und der Preisbildung nach den Gesetzen des Marktes an sich. Und während in der mikroökonomischen Preistheorie von einer stetigen Preisfunktion ausgegangen wird, zeigt sich in Experimenten, dass die Preisfunktionen von Konsumenten eher diskreten Charakter, inklusive einiger psychologischer Preisschwellen, besitzen. Van Raaij und Van Rijen (2003) zeigten, dass Preise bis zu einer gewissen Schwelle als akzeptabel eingestuft wurden, während an 2 Stellen besonders deutliche Absatzeinbussen verzeichnet werden mussten. 71% der Befragten waren bereit 2.99 Gulden für Zahnpasta zu bezahlen, aber nur 63% wollten 3.00 Gulden zahlen. Die nächste Schwelle lag bei 3.19 vs. 3.20 Gulden. Bezüglich Preisschwellen müssen absolute und relative Schwellen unterschieden werden. Während absolute Preisschwellen den Mindest- bzw. den Höchstbetrag darstellen, den Konsumenten für ein Produkt zu zahlen bereit sind, treten relative Preisschwellen innerhalb dieser akzeptierten Preisspanne auf. Die relativen Preisschwellen innerhalb der absoluten Preisschwellen beziehen sich auf den Bereich, in welchem Preise als ähnlich wahrgenommen werden. Im Fall der Zahlpasta wird bei 2.99 auf 3.00 und bei 3.19 auf 3.20 eine relative Preisschwelle überschritten. Es wird daher bei Anhebung der Preise empfohlen gleich bis zur oberen Grenze der nächsten relativen Preisschwelle anzuheben. Preise, die überproportional oft gebrochen werden, werden als dominant gebrochene Preise bezeichnet. Im Euroraum sind das z.B. 999€; 4,99€; 19,90€; usw. Die Dominanz derartig gebrochener Preise kann aufgrund kognitiver Effekte erklärt werden: - - Erinnerungseffekt: Glatte Preise (auf Null endend sind einfacher zu erinnern, wodurch gebrochene als glatte Preise erinnert werden. Da der glatte, erinnerte Preis über dem tatsächlichen, gebrochenen Preis liegt, könnte dies ein Sparerlebnis suggerieren. Rundungseffekt: Konsumenten runden Preise unmittelbar ab, ( erscheinen niedriger) Primacy-Effekt: die erste Ziffer wird besonders beachtet, die folgenden Stellen zunehmend vernachlässigt. Wie bereits vorher angeschnitten nehmen Konsumenten die Preisfunktion nicht als stetig wahr, sondern interpretieren sie in Form von Stufen. - - - - Winkelmann (2008) meint, dass Konsumenten das Preiskontinuum in diskrete Abschnitte aufteilen und 4.95€ noch lange nicht als 5€ oder 2.98€ als einen Preis zwischen 2€ und 3€ empfinden. Preisdifferenzen werden von links nach rechts mit abnehmender Intensität wahrgenommen (siehe Primacy-Effekt); 9.95€ sind daher „9 und ein bischen was) Konsumenten stellen sich Maximalpreise in runden Werten vor (etwa 250.000 für ein Haus und 20.000 für ein Auto), akzeptieren aber auch Preise (bzw. rechnen auch mit solchen), die in vertretbaren Rahmen darüber liegen. Bei Preisen unter runden Werten, entsteht der Eindruck es könnte etwas gespart werden 63 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat - Gebrochene Preise erwecken den Eindruck einer sorgfältigen und ehrlichen Kalkulation Konsumenten reagieren unterschiedlich auf Preisunterschiede zwischen Gütern und Preisänderungen. Konsumenten dürften ein implizites Preisintervall, in welchem Preise als gleich angesehen werden, verwenden. Übersteigt der Preis eines Gutes dieses Preisintervall wird es als teuer erlebt und nicht gekauft. Liegt der Preis eines Gutes unter der absoluten, unteren Preisschwelle wird er als zu günstig erlebt, wodurch die Qualität angezweifelt wird. Preisdifferenzen und deren Beurteilung können anhand der Adaptionsniveautheorie von Helson (1960) erklärt werden. Das gewichtete Mittel vergangener Erfahrungen bildet den Referenzwert für die Bewertung neuer Stimuli. Auf Preisbeurteilung bezogen besagt diese, dass die Bewertung eines Preises vom tatsächlichen Preis, den individuellen Preiserfahrungen sowie vom Wissen über Preise abhängt. Der Assimilations-Kontrast-Effekt von Sherif & Hovland (1961) wiederum besagt, dass die Distanz zwischen einem Ankerstimulus und einem naheliegenden Reizstimulus unterschätzt wird, während die Differenz zwischen einem Ankerstimulus und einem ferngelegenen Stimulus überschätzt wird. Werden Preise also zu viel gehoben oder auch gesenkt kann dies zu Absatzeinbußen führen, da in dem einen Fall das Produkt als zu teuer erlebt wird, in dem anderen Fall damit mangelnde Qualität assoziiert wird. 6.3.2. Preis und Qualität (S. 347) Da der Verkaufspreis in einem kompetitiven Markt sich am Preis der Mitbewerber messen lassen muss und sich der Preis aus Herstellungskosten und Gewinn zusammensetzt, scheint der Schluss, dass Preise mit Qualität positiv korreliert sind, naheliegend. In zahlreichen Studien konnte der Zusammenhang zwischen dem Preis und der wahrgenommenen Qualität (bei sonst keiner Info über das Produkt) bestätigt werden (Leavitt, 1954; McConnell, 1968). Höhere Preise werden allerdings nicht zwingend mit höherer Qualität assoziiert. Sehr teure Sorten (etwa bei Getränken) werden mit dementsprechend teuren Standards verglichen (Peterson, 1970). Der Preis wird dann als Qualitätsindikator erlebt, wenn: - keine offensichtlichen Qualitätsmerkmale zu registrieren sind der Qualitätsvergleich für den einfachen Konsumenten außergewöhnlich komplex ist, wie etwa bei Kosmetika oder Arzneimitteln riskante Kaufentscheidungen zu treffen sind die Preise einer Produktkategorie stark variieren Personen, die nicht sparsam sind und über ein hohes Qualitätsinteresse haben und nach Prestige und und Exklusivität streben. In den meisten Studien, die sich mit der Korrelation zwischen objektiver Qualität und dem Preis beschäftigten, wurden lediglich schwache (r=.06) bis moderate (r=.29) Korrelationen berichtet. Die Korrelation zwischen Preis und Qualität variiert aber zwischen den Produktgruppen allerdings beträchtlich, wodurch der Preis in den betreffenden Produktgruppen tatsächlich als Indikator für die Qualität herhalten kann. In den Daten von Kirchler, Fischer und Hölzl (2010) zeigte sich, dass der Preis im Bereich der Elektronik (r=.58 bzw. r=.42) und im Bereich Haus und Garten (r=.42) als Qualitätsindikator zulässig ist. Geringe Korrelationen konnten für die Bereiche Gesundheit und Kosmetik (r=.06) und Nahrung (r=.07) berichtet werden. Kirchler, Fischer und Hölzl (2010) untersuchten auch verschiedene Preisklassen hinsichtlich der Preis-Qualitätsillusion. Je teurer die Güter wurden, umso eher wurden positive Korrelationen gefunden (zwischen 0-10€; r=.-01; während zwischen 100-1000€; r~.50) 64 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Warum sich Konsumenten trotzdem nach dem Preis richten, kann wiederum aufgrund der sozialen Wahrnehmungstheorie (Bruner & Postman, 1949) erklärt werden. Preise stellen Schlüsselreize dar. Ein Qualitätsurteil stellt nach der sozialen Wahrnehmungstheorie einen Kompromiss zwischen der Wahrnehmung der tatsächlich gegebenen Qualität eines Gutes und den Qualitätserwartungen, die sich aufgrund des Preises bilden, dar. Die Qualitätserwartung wird durch den Preis mitbestimmt und setzt sich in der Wahrnehmung umso stärker durch, je weniger Informationen über ein Produkt zur Verfügung stehen. Entsprechend Festingers (1957) Theorie der kognitiven Dissonanz könnten Unstimmigkeiten zwischen Preis und Qualität zu unangenehmen, inneren Spannungen führen. Um diese Spannungen abzubauen, werden die einander widersprechenden kognitiven Elemente bewusst oder unbewusst transformiert, um Konsonanz zu erreichen. Preise und die vermutete Qualität des Produkts beeinflussen auch das Erleben und Verhalten (Shiv, Carmon & Ariely, 2005). Je teurer ein Energydrink ist, umso besser schneiden Teilnehmer bei Rätselaufgaben ab. Werden die Teilnehmer aber darauf aufmerksam gemacht, dass der Energydrink trotz geringem Preis die gleiche Qualität bietet, zeigen sich keine Unterschiede in der Leistung. 6.4. Distributionspolitik (S. 358) Die Verteilungs- bzw. Distributionspolitik umfasst alle Maßnahmen, die zur dauerhaften Versorgung der Verbraucher bzw. Verwender mit Waren und Dienstleistungen erforderlich sind. 6.4.1. Verkaufsort und Umgebung (S. 359) Durch den zunehmenden Wohlstand verändert sich mit dem Angebot auch der Ort des Verkaufs. Auf die Super- und Hypermärkte und den elektronischen Verkauf über das Internet reagiert der konventionelle Handel mit verstärktem Serviceangebot und „Entertailing“ (Retailing und entertaining; Verbindung des Verkauf mit Spaß der Konsumenten). Dies spiegelt die Verschiebung von utilitaristischem zu hedonistischem Einkaufserlebnissen wieder. Einkaufsmotive werden also nicht nur durch den Kauf der Produkte an sich, sondern auch über die Gestaltung der Kaufumwelt befriedigt. Mehrabian und Russel (1974) entwickelten ein umweltpsychologisches Modell, das auch im Konsumentenbereich Anwendung findet. Die Konsumenten reagieren auf Umweltreize mit Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten. Diese Reaktionen lassen sich im Modell anhand von den Dimensionen (a) Befindlichkeit (erlebte Lust vs. Unlust), (b) Aktivierung und (c) Dominanz (wie viel Kontrolle erlebt die Person in der Situation). Während (a) und (b) in zahlreichen Studien bestätigt werden konnten, gilt das nicht für (c). Umwelten, die eine positive Befindlichkeit und Aktivierung auslösen, bewirken bei den Konsumenten Annäherungsverhalten (die Umwelt wird erforscht, mit Fremden wird eher Kontakt aufgenommen, etc.) während Vermeidungsverhalten sich durch den Wunsch die Umwelt zu verlassen äußert. Das Modell von Mehriban und Russel (1974) wurde auch in Studien zur Kaufumwelt umgesetzt. Es zeigte sich, dass die Verweildauer in Geschäften, die Bereitschaft Geld auszugeben sowie die Bewertung der Geschäfte und der Mitarbeiter mit positiver Befindlichkeit positiv korreliert war. Außerdem beeinflusst die Befindlichkeit die Qualität der angebotenen Waren und die des Konsumerlebnisses. Komplexe Umwelten mit zahlreichen visuellen Reizen und hohem Informationsgehalt (durch Deko, Musik, Gerüche, etc.) aktiveren und diese Aktivierung führt zu einer höheren Bereitschaft einzukaufen. Obwohl die Dominanzdimension in empirischen Studien nicht bestätigt werden konnte, dürfte sie 65 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat doch für die Gestaltung der Einkaufsumwelt eine wichtige Rolle spielen. Subjektive Kontrolle steigert die Befindlichkeit in der Umwelt (Hui und Bateson, 1991). In den Studien, die sich mit dem umweltpsychologischen Modell beschäftigen, konnten nur Teilbereiche der Theorie bestätigt werden. Foxall und Greenley (1999) sind der Meinung, dass der Ausschnitt der untersuchten Geschäfts- und Konsumsituationen zu exklusiv war. Sie versuchten daher das Modell von Mehriban und Russel (1974) mit einer Klassifikation von spezifischen Konsumsituationen zu verknüpfen. Die Situationen wurden anhand von 3 Dimensionen klassifiziert: - - - Offen vs. geschlossen: in geschlossenen Konsumsituationen sind die Verhaltensvorschriften für die Konsumenten bindend und stark einschränkend. Der Kauf und der Konsum der Produkte liegen außerhalb der direkten Einflussnahme des Kunden (Bankservice z.B.). In offenen Situationen hat der Kunde mehr Entscheidungsfreiraum (Kunden können wählen welche Geschäfte sie besuchen und welche Produkte und Marken sie aussuchen). Auf den Nutzen ausgerichtete Verhaltensverstärkung anbieten oder nicht: Kaufverhalten kann über den erzielten Nutzen des Verhaltens verstärkt werden. Funktionelle, praktische und nützliche Verhaltenskonsequenzen führen zu Zufriedenheit und verstärken Verhalten. Informationen als Verhaltensverstärkung oder nicht: Kauf und Konsum insbesondere von Luxusartikeln erlauben Informationen über Leistungen und sozialen Status der Konsumenten. Foxall und Greenley Zusammenhänge: - (1999) bestätigten in ihrer Studie die folgenden Dominanz ist stärker in offenen Konsumsituationen ausgebildet Konsumsituationen mit auf den Nutzen ausgerichtete Verstärkung bieten positive Befindlichkeit Informationale Verstärker aktivieren Kunden Über alle Konsumsituationen hinweg positiver Zusammenhang zwischen Befindlichkeit, Aktivierung, Dominanz und dem Annäherungsverhalten ( Umweltmodell bestätigt!). Die Gestaltung und Wirkung der Geschäftsumwelt hängt außerdem von der Art der Serviceleistung ab. Bitner (1992) unterscheidet zwischen 2 Dimensionen: - - Handlungsakteure: o Transaktionen, wo nur Kunden agieren (Selbstbedienung) o Sowohl Kunden, als auch Angestellte handeln (Hotel, Fluglinie, etc.) o Der direkte Kundenkontakt fehlt komplett (Telefongesellschaften z.B.) Komplexität der Geschäftsumgebung: o Einfache Umwelten (Postaufgabestelle) o Komplexe Umwelten (Spital) der Stärkste Einfluss der Umwelt auf das Verhalten der Konsumenten und Angestellten ist in komplexen Umwelten zu beobachten, die Handlungen von Angestellten als auch Kunden notwendig machen. In Abhängigkeit von der Umwelt werden Meinungen über das Geschäft gebildet, die eine kognitive Klassifizierung zur Folge haben (z.B. hochpreisig, Diskonter, FastFood). Mit dieser Klassifizierung sind auch Erwartungen an die Umwelt verbunden (über andere Kunden, Angestellte, etc.). 66 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat (a) Externe Geschäftsvariablen (S. 365) Konsumenten lernen anhand ihrer Erfahrung Geschäfte in Kategorien (inkl. zugehöriger Merkmale ) einzuordnen. Diese Kategorien bestimmen in Folge die Erwartungen an ein Geschäft dieser Kategorie. Ein positiver Zusammenhang zwischen Typikalität und Bewertung wurde bei Fast-Food-Lokalen gefunden, bei welchen der praktische Nutzen des Kaufs im Vordergrund steht. Stehen eher hedonistische Motive im Vordergrund (Bekleidungsgeschäft z.B.), so scheinen eher untypische Geschäftslokale positive Gefühle wie Interesse und Aktivierung auszulösen. Die Einstellung gegenüber einem Geschäft wird auch von den umliegenden Geschäften beeinflusst (bewertet werden ganze Einkaufsstraßen, Shoppingcenter). Durch die Auslage des Geschäftes werden den Konsumenten Informationen und das Image vermittelt ( beeinflusst auch die Bereitschaft das Geschäft zu betreten). (b) Geschäftsatmosphäre (S. 364) Die Geschäftsatmosphäre in Lokalen ist ein bewertungs- und verhaltensbestimmendes Element. Zur Atmosphäre zählen Hintergrundeigenschaften (Temperatur, Beleuchtung, Musik, etc.). Tai und Fung (1997) unterscheiden hinsichtlich der Untersuchung von Effekten der Geschäftsatmosphäre zwei Zugänge: - - holistisch: alle einzelnen Elemente verdichten sich zu einem Gesamteindruck, der von den Konsumenten möglichst kongruent erlebt werden sollte, um Zufriedenheit und eine positive Bewertung des Geschäfts zu provozieren. spezifische Zugänge: einzelne Aspekte der Geschäftsatmosphäre werden in Hinblick auf die Atmosphäre eines Geschäfts untersucht Hintergrundmusik: ist eine für die Geschäftsinhaber leicht kontrollierbare Art, um die Atmosphäre zu beeinflussen. Musikstücke werden anhand von drei Dimensionen beschrieben. Physikalische Dimension (Lautstärke, Tempo und Rhythmus), Tonlage und Präferenz der Zuhörer. Die physikalische Dimension steuert die Aktivierung der Zuhörer, wobei der Zusammenhang zwischen Aktivierung und erlebten Vergnügen der Kunden umgekehrt uförmig ist. Kunden bevorzugen moderat aktivierende Musik, wobei Frauen und ältere Personen eher weniger Aktivierung bevorzugen. Die Musik sollte auch zur Art des Geschäfts passen (Disko vs. Cafe). Lautstärke und Tempo beeinflussen das Einkaufsverhalten. Laute Musik reduziert die Verweildauer in Geschäften, während schnelle Musik eine Adaption des Verhaltens der Käufer zur Folge hat (z.B. steigert sich die Gehgeschwindigkeit, es wird schneller gegessen, wenn schnelle Musik läuft). Allerdings wirkt die Präferenz für eine bestimmte Art von Musik als Mediator zwischen Aktivierungsgrad und Verhalten. Hintergrundmusik beeinflusst auch die Informationsverarbeitung, das Musik Aufmerksamkeit bindet. Aktivierende Musik kann, besonders bei schwachen Verkaufsargumenten, vom Verkaufsgespräch ablenken. Weiche Musikstücke (als langsam und angenehm erlebt) sind für den Erfolg des Verkaufsgesprächs am förderlichsten, da die Tiefe der Informationsverarbeitung bei schwachen Verkaufsargumenten erhöht wird. Über den peripheren Weg (Petty & Cacioppo, 1986) werden auch Einstellungen zu Verkäufern und Produkten besser – selbst wenn die Musik nicht bewusst wahrgenommen wird. Gerüche und Beduftung: Beduftung zur Steigerung der Attraktivität des Geschäftes konnte nur teilweise wissenschaftlich belegt werden. Explizit als angenehm erlebte Düfte, bewirken eine positive Stimmung, während das bloße Vorhandensein eines Duftes im Unterschied zu keiner Beduftung bei den Konsumenten keinen Unterschied in der Stimmung erkennen lässt. Sowohl angenehme als auch neutrale Gerüche erhöhen die Verweildauer im Geschäft, solange die Gerüche als für die Umwelt passend wahrgenommen werden. Zum Geschäft inkongruente Gerüche verkürzen die Verweildauer. Düfte können auch die Informationsverarbeitung und Lernen unterstützen. Beleuchtung und Farben: Sicherheit geht vor, weshalb dunkle, lange Gänge in Supermärkten gemieden werden und in Restaurants Tische in Ecken bevorzugt werden. Durch die höhere 67 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Aktivierung von hellem Licht wird das Annäherungsverhalten gefördert (mehr Produkte werden in die Hand genommen). Die Beleuchtung wirkt allerdings nur in Kombination mit der Farbgestaltung und der Musik auf das Einkaufsverhalten. In Geschäften werden eher blaue Farben gegenüber roten als angenehmer erlebt und deswegen bevorzugt. In Räumen mit blauem Licht ist die Wskt. einen Kauf zu verschieben auch geringer als mit rotem. Beleuchtung, Farben und Fragen helfen den Konsumenten bei der Klassifikation von Geschäften: Blaues Licht, sanfte Beleuchtung eher hochpreisige Geschäfte Orange Farben, sehr helle Beleuchtung und populäre Musik eher Diskonter (c) Geschäftslayout und Funktionalität (S. 369) Geschäftslayout meint die Platzierung technischer Systeme, der Ausstattung und der Möbel (Raumanordnung, Warenplatzierung, Kassazonen, Gangführung, Design). Funktionalität beschreibt das Ausmaß, wie leicht und schnell spezifische Einkaufsziele in der Geschäftsumgebung zu erreichen sind. Funktionalität ist daher dann gegeben, wenn die Orientierung innerhalb eines Geschäftslayouts leicht gelingt. Die Orientierung gelingt anhand vereinfachter, mental gespeicherter Karten der Umwelt, in welchen besonders auffällige Merkmale der Umgebung gespeichert sind. Außerhalb des Geschäfts trifft das auf Kreuzungen, Statuen, Geschäfte mit einer ausgefallen Außengestaltung zu. Innerhalb des Geschäfts betrifft das v.a. Produkte am Rand, da diese leichter erinnert werden. Geschlecht und Alter moderieren die mentale Karte. Frauen orientieren sich eher an markanten Punkten, Männer anhand von globalen Punkten (Himmelsrichtungen). Mit dem Alter nehmen Raumvorstellung und Lernpotenzial für unbekannte Umwelten ab. Handelt es sich um ein für die Kunden bekanntes Geschäftslayout, werden weniger ungeplante Käufe getätigt. Die Suche nach Produkten aufgrund eines wechselnden Layouts kann aber auch zu Frustration und Irritation führen. Früher waren viele Geschäfte als Schläuche konzipiert, mittlerweile sind die restriktiven Gangführungen, die von Kunden als persönliche Kontrolle erlebt werden, passé. Underhill (1999) führte das „Tracking“ (Kundenstrombeobachtung) als Methode ein, wodurch Gehmuster der Kunden identifiziert und die Warenplatzierung in Abhängigkeit von der Beliebtheit eines Geschäftsbereichs angepasst werden kann. Warenplatzierung: gezielte Anordnung in Regalen kann den Absatz fördern. Am verkaufsstärksten sind Sichtzonen (Höhe ca. 120cm) und Griffzonen (ca. 80cm). Bück- und Streckzonen (50cm bzw. 160cm) gelten als verkaufsschwach. Empirische Studien bestätigen die Theorie der Höhe nicht direkt, allerdings werden Produkte in Sicht- und Griffzone eher spontan gekauft, weil sie leichter ins Auge springen. Zielke (2004) zeigte mit seinen Beiträgen zum Category Management wie aus unterschiedlichen Kundenansprüchen an die Warenplatzierung Strategien abgeleitet werden können, um das Kaufverhalten anzuregen. Kunden haben unterschiedliche Ansprüche an die Platzierung: Sucheffizienz (gesuchte Artikel möglichst schnell finden), Entscheidungseffizienz (Preis- und Qualitätsvergleiche erleichtern), Stimulation der Wahrnehmung (auf bestimmte Produkte aufmerksam machen) und emotionale Stimulation (positive Einkaufsatmosphäre schaffen). Nach der Analyse der Ansprüche kann dann entsprechend platziert werden. Neben der Platzierung in Regalen spielt auch die Organisation von Nischen, Schütten, Sonderdisplays eine Rolle. Sonderdisplays führen zu mehr Impulskäufen und sind besonders bei günstigen Produkten effektiv. Mitzieheffekte treten auf, wenn zusätzlich zu dem im Sonderdisplay beworbenen Produkt noch weitere Produkte gekauft werden. Es kann aber auch zu Kannibalisierungseffekten führen: das speziell beworbene Produkt wird verstärkt gekauft, Alternativprodukte bleiben im Regal liegen. 68 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Wartebereiche und Schlangen: Wartezeiten führen zu negativer Stimmung, die sich in der Bewertung der Serviceleistung niederschlägt. Besonders ab 90 Sekunden wird die Wartezeit bewusst, wodurch in Folge die subjektiv geschätzte Wartezeit gegenüber der objektiven überproportional ansteigt. Nach Zhou und Soman (2003) sind Warteschlangen soziale Systeme. Personen fühlen sich besser, je mehr Personen hinter ihnen stehen und die Wskt. die Schlange zu verlassen sinkt. Erklärt wird dies durch soziale Vergleichsprozesse: Personen hinter einem in der Schlange müssen länger warten Abwärtsvergleich. Der Effekt ist stärker, wenn die Schlange wahrgenommen wird, als wenn nur Nummern vergeben werden. Wahrgenommene Wartezeiten können auch verkürzt werden: Musik, Waren, Videos, Sonderdisplays. Wird die Wartelogistik insgesamt als fair wahrgenommen und Personen nach der Reihenfolge des Ankommens bedient, entspannen sich die wartenden Kunden und die Zeit vergeht schneller (4 Kassen und 1 Schlange vs. 4 Kassen und 4 Schlangen). (d) Schilder, Symbole und Artefakte (S. 373) Es wird zwischen impliziten Symbolen (Bedeutung des Geschäfts, Normen und Verhaltensregeln) und expliziten Schildern (Bezeichnungen, Richtungen, Verhaltensregeln) unterschieden. Diese werden in Branchen mit starkem Wettbewerb auch dazu verwendet sich von Mitbewerbern abzuheben. Durch Informationsdisplays mit Statt-Preisen (vorher – nachher) kann der Umsatz steigen. Sind Produkte bezüglich der Qualität gleich entscheidet das höhere Ausmaß an gebotener Information über den Kauf. Allerdings können zu viele Schilder auch zur mentalen Überforderung der Kunden führen. (e) soziale Aspekte (S. 374) Merkmale der anwesenden Kunden (social servicescape), die Anzahl der Personen, der Eindruck von und die Uniformen der Angestellten, Privatheit und die Dichte sowie das Crowding gehören zu den sozialen Aspekten der Geschäftsumwelt. Die Emotionen von anderen Kunden stecken an (Holt, 1995), wirken auf die Stimmungslage und die Bewertung der Konsumerlebnisse. Betreffend der Bewertung der Verkäufer ist interessant, dass untypische Verkäufer positiver bewertet werden (wahrscheinlich weil das negative kognitive Schema „Verkäufer“ bei untypischen VK nicht aktiviert wird). Dichte vs. Crowding: Dichte beschreibt den objektiv pro Person verfügbaren Raum, während Crowding wahrgenommen wird, wenn aufgrund von physischer, sozialer oder persönlicher Faktoren subjektiv zu wenig Platz vorhanden ist. Dichte beeinflusst das Konsumerlebnis: die Stimulation steigt ebenso wie das Aktivierungsniveau, die Unzufriedenheit und die Unsicherheit der Kunden; Ablenkung und Zeitdruck nehmen zu; Informationsverarbeitung wird ebenso wie die Verweildauer im Geschäft kürzer. Crowding wird weiter in menschliches vs. räumliches Crowding unterteilt. Räumliches Crowding (aufgrund von physischen Gegenständen wie Regalen, etc.) führt zu geringerer Zufriedenheit mit dem Einkauf als menschliches Crowding. Moderatoren von Dichte sind die Art des Geschäfts (Gastronomie – höhere Dichte = gut; Versorgergeschäfte = schlecht), der persönlichen Toleranz, die erlebte Kontrolle, Bedürfnis für externe Stimulation und Frauen sind sensibler als Männer. 6.4.2. E-Commerce – Online-Shopping (S. 375) E-Commerce bietet die Möglichkeit ständig Informationen über Produktalternativen einzuholen und diese auch online zu kaufen. Online-Shopping und klassischer Verkauf profitieren von Synergieeffekten. Allerdings sind viele Kunden noch skeptisch, da keine Verkaufsgespräche möglich sind und Misstrauen gegenüber Datenschutz und Garantien über das Internet hoch ist. Das wahrgenommene Risiko und damit auch die Zufriedenheit mit dem Kauf scheint von der Bekanntheit des Onlineshops und der Produkte (standardisierte Ware wie CDs, Bücher ist ok; Bekleidung wird als riskant wahrgenommen) abzuhängen. Je riskanter ein Kauf wahrgenommen wird, desto geringer die Kaufabsicht (Penz & Kirchler, 2006). Zu Beginn des Einkaufs war in 69 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat der Studie von Penz und Kirchler (2006) v.a. das Design wesentlich, während im späteren Verlauf v.a. Information und die Angemessenheit der Website für den Entscheidungsprozess wichtiger wurde. 6.4.3. Persönlicher Verkauf (S. 377) Die Distributionswege von Produkten beeinflussen die ideale Preisspanne innerhalb derer die Preise von Produkten von den Konsumenten als fair empfunden werden. Für das gleiche Produkt, dass in einem Supermarkt gekauft wird, liegt die ideale Preisspanne niedriger, als wenn es in einem Fachgeschäft erworben wird. Dies beeinflusst den Verkaufserfolg, da die Kojima (1994) nachweisen konnte, dass weder zu hohe noch zu niedrige Preise den verkaufsförderlich wirken. Tietz (1983) untersuchte das Image von Fachgeschäften, Kauf- und Warenhäusern, Verbrauchermärkten und dem Versandhandel. Die Fachgeschäfte wurden als zuverlässig, attraktiv, übersichtlich, individuell, sympathisch und beratungsintensiv erlebt. Der Versandhandel wurde hauptsächlich als bequem erlebt. Der Verbrauchermarkt galt als preisgünstig und der Kauf- und Warenhäuser lagen im Durchschnittsbereich der übrigen Geschäftstypen. Die Distributionspolitik umfasst neben der Art des Geschäfts aber auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Verkaufsprozesses bzw. der Interaktion zwischen Kunden und Verkäufern. Im persönlichen Verkaufsgespräch geht es darum, dass Verkäufer potenzielle Käufer von den Vorteilen ihrer Waren überzeugen. Die Sozialpsychologie bietet mehrere Theorien im Bereich der sozialen Interaktion an. McGuire- Ankerketten-Modell: Auf Einstellungen übertragen, besagt das Modell, dass es eher möglich ist, Einstellungen der Kunden zu ändern, wenn die Grundhaltung einer Person dabei nicht in Frage gestellt wird. Die Änderung von Einstellungen geschieht hauptsächlich in Kommunikationsprozessen. Nicht selten haben Interaktionspartner vorgefasste Meinungen über die Absichten des anderen Partners. Oft können sich Kunden oder Verkäufer Vorteile verschaffen, indem sie Gewohnheiten radikal durchbrechen. Überrascht man in der U-Bahn eine Person mit der Bitte um ihren Sitzplatz, bekommt man ihn in 50% der Fälle. Redet man lange herum, bekommt man ihn wahrscheinlich nicht. Einer Bitte wird nicht nur dann entsprochen, wenn sie überraschend kommt, sondern auch wenn eine Begründung folgt (Langer, Blank und Chanowitz, 1978). Allerdings muss diese Begründung nicht sachlich logisch formuliert sein. Studenten, die sich zum Kopieren anstellten, wurden mit der Bitte überrascht, vorgehen zu dürfen, weil man in Eile sei. 94% kamen der Bitte entgegen. Ohne Begründung waren es nur 60%. Gab man nun die Begründung, man wolle vor, weil man kopieren muss (was ja alle mussten) stieg der Anteil wieder auf 93%. Das Wort “weil” signalisiert einen Grund, die angesprochenen Personen hören nicht weiter nach dem Inhalt der Begründung, sondern kommen entgegen. Petty & Cacioppo (1986) nehmen in ihrem Elaboration-likelihood-model an,dass je nach Motivation des Käufers entweder zentrale oder periphere Entscheidungsprozesse aktiviert werden. Ist der Käufer motiviert, so sind zentrale Prozesse involviert, und Informationen sollten sachlich dargeboten werden. Und je involvierter Rezipienten sind und je wichtiger das Einstellungsobjekt ist, umso eher führen logische Argumente zu einem Einstellungswandel, und umso weniger scheinen trügerisch-oberflächliche Hinweise wirksam zu sein. Je unmotivierter der Käufer ist, desto mehr kommen Kontextvariablen, aber auch Eigenschaften des Verkäufers zum Tragen (periphere Verarbeitung). Falls es im Gespräch um Grundwerte geht, und ein Gesprächspartner hohes Interesse hat, an seinen Werten festzuhalten, könnten eher periphere Prozesse ablaufen. Weiter spielt die Stimmungslage der Kunden eine Rolle. Während sich gut gelaunte Kunden leichter überzeugen lassen, neigen neutral oder negativ gestimmte Kunden zur genaueren Überprüfung der Argumente und lassen sich auch seltener von schwachen Argumenten überzeugen (Nerdinger, 2001). 70 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Zusätzlich dürfte die interindividuell unterschiedliche Selbstregulation für Einstellungsänderungen relevant sein (Higgins, 1997). Es wird zwischen promotions- und präventionsorientierten Personen unterschieden. Während promotionsorientierte eher gewinn- als verlustorientiert sind und auch zuversichtlich sind ihre Ziele zu erreichen, werden präventionsorientierte Personen als eher verlustorientiert beschrieben, die durch Sorgfalt und Genauigkeit versuchen Fehler zu vermeiden. Holler, Dobnig und Kirchler (2007) zeigten, dass Warnhinweise auf Zigarettenpackungen unterschiedlich wirksam sind: promotionsorientierte Raucher reagierten auf die dargestellten positiven Folgen des Nichtrauchens mit der Absicht den Konsum zu reduzieren. Die präventions-orientierten Raucher reagierten auf die negativen Konsequenzen stärker. Keller und Sternthal (2010) zeigten, dass promotionsorientierte abstrakte Informationen schneller verarbeiteten, während dies bei präventionsorientierten Personen auf konkrete Informationen zutraf. Einstellungen können durch Argumente gebildet, stabilisiert und verändert werden. Außer dem Inhalt der Argumente zählen in Verkaufsgesprächen v.a. Charakteristika des Verkäufers, die Art der Kommunikation und Eigenheiten des Kunden. 6.4.3.1. Eigenschaften des Verkäufers (S. 382) Fundierte Sachkenntnis und sachliche Argumentation über ein qualitativ hochwertiges und preisgünstiges Gut sind zweifellos die erfolgreichsten Qualitäten eines Verkäufers und die günstigsten Verkaufsbedingungen. Darüber hinaus hängt der Verkaufserfolg von einer Reihe von persönlichen Eigenschaften des Verkäufers ab. Die entscheidendsten Erfolgsfaktoren für Verkäufer dürften Fachkompetenz und sachliche Argumentation sein. In Studien zeigte sich auch, dass hoch talentierte Verkäufer Aufgaben in ähnlicher Weise analysieren wie Experten anderer Disziplinen (Schachspieler, Ärzte). Nerdinger (2001) betont auch die Relevanz der Leistungsorientierung für den Verkaufserfolg. Eine hohe Sensititvität, Empathiefähigkeit und die Fähigkeit zur Anpassung an Kunden(bedürfnisse) (Hurth, 2007). Allerdings stellt auch der Status einen wichtigen Faktor dar. Titel und Auszeichnungen in Form von Urkunden sind weithin sichtbare Statussymbole. Wissenschaftliche Artikel, die bereits abgedruckt worden waren, wurden unter unbekannten Namen wieder eingesendet Großteil abgelehnt. Status scheint auch in der Wissenschaft ein Garant für Qualität zu sein. 4 Studentengruppen wurde ein Besucher vorgestellt. Der ersten als Student, der zweiten als Assistent,..., der letzten als Professor. Nun wurden die Studenten nach seiner Größe befragt. Mit jeder Statusstufe wuchs der Besucher um ca. 1,5 cm, sodass der Professor um ca. 7 cm größer gesehen wurde als der Student. Auch nonverbale Charakteristika wie Stimmlage, Stimmmodulation, baby-face (kann Vertrauen auslösen), Sprechgeschwindigkeit, Artikulation oder Mimik sind entscheidend. Zum Teil sind (bzw. waren!) auch geschlechtsrollenbedingte Unterschiede zu beobachten, etwa dass Frauen mit einer weniger dominanten Gesprächsführung bei Männern mehr Erfolge erzielten, während Männer gerade bei offensiver Gesprächsführung bei Frauen punkten konnten. Personen, die zur eigenen sozialen Kategorie oder Gruppe gehören, sind oft einflussreicher als andere. Auch Ähnlichkeit ist ein wichtiger Faktor. Dies bezieht sich auf Interessen, Alter, demographische oder biographische Faktoren, Körpergröße, Religion, Erziehung, politische Einstellung, ... Eine fundamentale Basis von Macht oder Einfluss ist das Charisma einer Person. Attraktive oder sympathische Personen müssen von vornherein weniger Überzeugungstaktiken anwenden. Halo-Effekt. Dass positive Emotionen auf die Situation und die Produkte überstrahlen, nutzt z.B. die Firma Tupperware. Bei Tupperware Parties lädt eine Person Freunde zu sich nach Hause ein und ein Vertreter zeigt das Geschirr. Nach der Präsentation können alle Besucher etwas kaufen und der Gastgeber erhält ein Geschenk. Gründe für den Erfolg der Parties: (a) keine Vergleichsmöglichkeiten mit Konkurrenzprodukten, (b) der Kauf von Tupperware ist fast ausschließlich auf solchen Parties möglich (die Chance möchte man sich nicht entgehen lassen), (c) die Teilnehmer können sich der Verkaufssprache nur schwer entziehen, (d) die Einladung eines Freundes zu sich nach Hause beeinflusst die Sympathie des Vertreters und Die Geschenke des 71 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Vertreters erzeugen weitere Sympathie und drängen zu Reziprozität im Verhalten, (e) der gemeinsame Einkauf der hochpreisigen Güter lässt Rückschlüsse auf das Haushaltseinkommen zu. 6.4.3.2. Gesprächsverlauf und Darstellung der Standpunkte (S. 386) Haas (2006) betont die Wichtigkeit während des Verkaufsgesprächs Informationen über Kunden, die Produkte und die Auswahl zu sammeln, um im Gespräch flexibel darauf eingehen zu können. Es handelt sich hierbei um ein adaptives Verkaufsgespräch (Verhalten auf den Kunden ausrichten und ständig Info einholen, um sich flexibel darauf einzustellen). Um die Dynamik von Gesprächen zu verstehen, werden sie häufig in 3 Phasen eingeteilt (Olshavsky, 1973). 1. Orientierung: Meinungen von Kunden über Güter einholen 2. Bewertung: Verkäufer informiert über Attribute spezifischer Marken, z.B. Größe, Preis, technische Merkmale 3. Abschluss: Liefer- und Zahlungsmodalitäten werden besprochen Gespräche scheinen dann erfolgreicher, wenn Verkäufer zuerst Meinungen des Kunden explorieren, dann darauf Bezug nehmen und schließlich Vorteile des eigenen Produkts anpreisen. Es empfiehlt sich auch sachlich-neutral zu argumentieren und dem Kunden gegenüber eine wohlwollende, akzeptierende Grundeinstellung zu haben, um den Verkauf erfolgreich zu gestalten (Angerer, 2004). Jaramillo und Marshall (2004) untersuchten die Taktiken von Bankkundenberatern und fanden heraus, dass erfolgreiche Berater eine persönliche Anrede gebrauchten, die eigenen Sprachcharakteristika an den Kunden anpassten, den Kunden deren Entscheidung nochmals in der Abschlussphase bestätigten und auch nach Abschluss Kontakt hielten, um sich über die Zufriedenheit zu informieren. Bezüglich Druckausübung im Gespräch erweist sich ein moderater Kaufhinweis (z.B. „Please try...“) als am erfolgversprechendsten. Ein zu starker Aufforderungsdruck (z.B. „You will buy...“) oder Androhungen negativer Konsequenzen beim Verzicht auf ein Gut (Furchtappelle), lösen Reaktanz aus. Je mehr sich eine Person gezwungen fühlt, eine bestimmte Marke zu kaufen, umso eher erlebt sie ihren Handlungsspielraum und ihre Entscheidungsfreiheit eingeengt und versucht, durch Reaktionen, die der Aufforderung zuwiderlaufen, ihren Freiheitsraum wieder zu gewinnen. Rogers (1985) meint in seiner Schutz-Motivations-Theorie, dass Furchtappelle erfolgreich sein können, wenn 1. 2. 3. 4. Rezipienten überzeugt werden können, dass ein Problem besonders wichtig ist Rezipienten für das Problem und dessen Konsequenzen empfänglich sind Lösungsvorschläge für Vermeidung geeignet scheinen Rezipienten die Empfehlungen ausführen können Eine einfache Möglichkeit der Beeinflussung besteht in der Wiederholung von Argumenten (Wiederholungseffekt, vgl. mere-exposure-Effekt von Zajonc (1968), wonach die wiederholte Darbietung eines Stimulus die Einstellung zum Stimulus verbessert). Eine weitere Strategie ist der Hinweis auf die mangelnde Verfügbarkeit eines Gutes. Verkaufsgespräche stehen außerdem auch unter der Prämisse des Gebens und Nehmens, also der Reziprozität. Ein „Entgegenkommen“ von Seiten des Verkäufers etwa scheint mit einer „Rückzahlung“ vergolten werden zu müssen. In sozialpsychologischen Studien fallen vor allem Techniken auf, die der konkreten Verkaufsbotschaft vorauslaufen: In der „foot in the door“ Technik wird einem Käufer die Möglichkeit geboten, etwa eine Zeitschrift zum halben Preis für 2 Monate zu testen. Hat der Verkäufer erst einmal seinen Fuß in der Tür, wird es schwieriger, weitere Kaufaufforderungen auszuschlagen. Einmal zugestimmt, ist es schwer, sich von einem Standpunkt wieder zu lösen, sich inkonsistent zu 72 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat verhalten und Gegenteiliges zu wollen. Weil Personen zu konsistentem Verhalten neigen, ist diese Taktik besonders effizient. Bei „door in the face“ wird die Zielperson mit einer ungemein hohen Ausgangsforderung konfrontiert, die sie sicher ablehnen wird. Im nächsten Schritt passt sich der Verkäufer den Wünschen des Kunden an. Dieses Entgegenkommen bewirkt aufgrund sozialer Reziprozitätsnormen, dass sich nun der Kunde einem gemeinsamen Konsens nähert. In der „that’s not all“ Technik, einer Sonderform von door-in-the-face, nennt der Verkäufer schon zu Beginn des Gespräches den Preis des Gutes, und bevor sich der Kunde dazu äußern kann, reduziert er den Preis oder bietet ein Zusatzprodukt an. Diese Technik zielt darauf ab, einen Ankerpreis zu etablieren. Im Vergleich dazu wird ein Kunde den geringeren Preis als ein besonderes Angebot verstehen. Preise werden anscheinend nicht als absolut hoch oder niedrig angenommen, sondern im Kontrast zu anderen Preisen beurteilt. Sündhaft teuer Anzüge werden deshalb oft zu Beginn vorgeführt, um einen Ankerpreis zu installieren, im Vergleich zu dem die restlichen, auch noch teuren Anzüge, billig erscheinen. „low ball“ schließlich heißt jene Technik, die darauf abzielt, den Käufer auf eine Entscheidung festzulegen und ihm dann zu verkünden, dass bestimmte Teile nicht inbegriffen sind. Da der Käufer mit seine Entscheidung eine Verpflichtung eingegangen ist, fällt es ihm schwer diese zu revidieren, da nur noch einige kleine Zusatzobjekte mit anzuschaffen wären. Malhotra und Bazerman (2008) fassen Verteidigungsstrategien gegenüber Einflussnahme zusammen. Es ist hilfreich, wenn Konsumenten die Motive, Strategien und die eben besprochenen Techniken der Verkäufer kennen, eine Portion Misstrauen gegenüber besonders attraktiven und ehrlich scheinenden Verkäufern mitbringen und während des Gesprächs über Inhalte und vor allem über Art der Gesprächsführung und die eigenen Reaktionen zu reflektieren. Schließlich ist es auch wichtig, sich vorab über die Kaufentscheidung und die Produkte zu informieren. 6.4.3.3. Eigenschaften des Käufers (S. 392) Der Erfolg eines Verkäufers hängt u.a. von Persönlichkeitsmerkmalen des Kunden ab. Personen mit geringem Selbstwertgefühl scheinen eher bereit zu sein, ihre Einstellungen zu ändern, als Personen mit hohem Selbstwert. Brandstätter & Kirchler (1986) Austausch-Verstärker-Theorie. - - - Introvertiert-labile (verstärkungsorientiert): Freundlichkeit führt zu Gefühlen des Stolzes und zu Beharren in der Sache, Unfreundlichkeit führt zu Furcht und zu Entgegenkommen (da sie die Angriffe als gegen ihren Standpunkt erleben und um diesen zu entgehen der attackierenden Person entgegenkommen). Extravertriert-labile (austauschorientiert): Freundlichkeit wird auf die eigene Person atribuiert und führt zu Gefühlen der Dankbarkeit und zu Entgegenkommen in der Sache. Unfreundlichkeit führt zu Ärger und Beharren, da sie die Attacken als Angriffe ebenfalls auf die eigene Person atribuieren. Introvertiert/Extravertiert-stabile: empfinden neutrales Gespräch als sachlich, emotionsgeladene Gespräche können als störend empfunden werden. Lassen sich von den Emotionen des Opponenten kaum beeindrucken. Besonders relevant ist auch das Involvement der Kunden. Unter Involvement versteht man das Interesse an Informationen über ein Gut und die Motivation sich mit dem Gut auseinanderzusetzen. Je wichtiger die Entscheidung, je mehr die Entscheidung andere 73 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Personen betrifft und je höher der Preis, desto höher ist ws. auch das Involvement. Haben sich hoch involvierte Kunden einmal eine Meinung gebildet, so lassen sie sich kaum von Gegenargumenten überzeugen. Auch der Stimmung des Kunden kommt besondere Bedeutung zu. Eine gute Stimmung könnte zu einer Überschätzung der Wahrscheinlichkeit führen, dass ein Produkt wünschenswerte Merkmale besitzt, was die Kaufhandlung beeinflusst. Allerdings könnten auch schlecht gelaunte Personen dann kaufwillig sein, wenn der Kauf eines Gutes der „Stimmungsreparatur“ dienen soll. 6.4.3.4. Verkaufstrainings und Trainingsziele (S. 396) Die Kompetenzen, welche die Basis für Verkaufserfolg darstellen, sind Verkaufsmotivation, Sozial-, Fachund Methodenkompetenz. Neben transaktionsanalytischen Trainingsansätzen und NLP führt Weis (1992) auch den GRID-Ansatz sensu Blake und Mouton (1979) an. Zwei Dimensionen sind besonders relevant für das Verkaufsgespräch: a. Das Interesse des Verkäufers am Käufer b. Das Interesse des Verkäufers am Verkauf Je nach Ausprägung wenden Verkäufer verschiedene Verhaltensstrategien an und sind unterschiedlich erfolgreich. Nimm oder lass es: (a) und (b) niedrig sehr schlecht (Verkäufer passiv) Umsatzorientiert: (a) niedrig, (b) hoch Bedrängen des Kunden Verkaufstechnisch orientiert: (a) und (b) mittel Verkaufstaktiken (man verkauft etwas vom Produkt und etwas von seiner Persönlichkeit) Menschlich orientiert: (a) hoch, (b) niedrig Aufbau persönlicher Beziehung (man verkauft sich selbst, Persönlichkeitskauf) Problemorientiert: (a) und (b) hoch Eingehen auf Bedürfnisse/Beratung (man verkauft Problemlösungen; wird als ideal angesehen) Im Wesentlichen geht es in zwischenmenschlichen Bereichen darum, Informationen so zu enkodieren und zu übermitteln, dass sie eindeutig dekodiert werden können. Missverständnisse sind Quellen des Konflikts. Die zunehmende Internationalisierung verlangt von Handelspartnern zunehmend Handlungsfähigkeit auch im Ausland, darum folgt ein Exkurs über interkulturelle Kommunikation. Thomas (1990) führt als entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Geschäftsabschlüsse im Ausland effektive Kommunikation und Kooperation an. Kulturelle Eigenheiten, Werte und Gepflogenheiten müssen dabei berücksichtigt werden. Gesprächspartner müssen davon ausgehen, dass ihre Partner aus fremden Kulturen Orientierungs- und Symbolsysteme (denn das sind Kulturen) benutzen, die ihnen fremd sind. Ein Handlungstraining bietet die ‚Schlüssel’ zur adäquaten Dekodierung der Ursachen bestimmten Verhaltens (Kausalattribution), von Zielen des anderen (Finalattribution), von Normen und Rollen. Normalerweise sind Trainings so konzipiert, dass in Vorträgen, Filmen oder Diskussionsrunden Faktenwissen präsentiert wird. In Rollenspielen und in der Interaktion mit Personen mit Auslandserfahrung kann höhere Realitätsnähe erreicht werden. Auch wenn der unmittelbare Erfolg mancher Verkaufstaktiken verblüffend überzeugend erscheint, muss der nachhaltige Erfolg, i.S. von langfristigen Kundenbeziehungen, das Ziel sein, wodurch der „Beziehungsverkauf“ unterstützt durch das „Beziehungsmarketing“ mehr Gewicht bekommt. Nerdinger (2001) sieht die Beziehung zwischen Kunden und Verkäufern als wichtigste Komponenten des persönlichen Verkaufs. Dies schafft Vertrauen und Beziehungen, die der Reziprozität folgen, wodurch Geschäftsabwicklungen einfacher werden, da u.a. nicht ständig Informationen über die Glaubwürdigkeit des 74 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Geschäftspartners eingeholt werden müssen. Es zeigt sich also ein Wechsel von der „Verkaufsorientierung“ (sell as much as possible) zur „Kundenorientierung“. 6.5. Kommunikationspolitik (S. 403) Corporate Identity bildet nach Schweiger und Schrattenecker (2009) den Ausgangspunkt der kommunikationspolitischen Entscheidungen. Als Corporate Identity wird die Identität eines Unternehmens, die Unternehmerpersönlichkeit, als Summe seiner Eigenschaften verstanden (= Verhalten, Kommunikation nach innen und außen und Erscheinungsbild des Unternehmens). Corporate Identity zielt darauf ab, den Konsumenten ein einheitliches Bild des Unternehmens zu vermitteln. Kommunikationspolitik umfasst jene Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Informationen über das Unternehmen selbst und das Angebot zu vermitteln und potenzielle Kunden im Dienste des Marketing zu informieren. Grundlegendes Ziel ist die Positionierung des Angebots am Markt, die darauf abzielt, die Attraktivität des Angebotes zu erhöhen und die eigenen Produkte gegenüber der Konkurrenz abzugrenzen. Kroeber-Riel unterscheidet zwischen Instrumenten der Massenkommunikation (Werbung, Gestaltung der Produktverpackung und der Schaufenster, Sponsoring, PR-Aktivitäten) und Instrumenten der persönlichen Kommunikation (Verkaufsgespräche mit Kunden, individuelle Beratung). Das wichtigste Instrument der Kommunikationspolitik ist die Werbung. Werbung ist definiert als die beabsichtigte Beeinflussung von marktrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen ohne formellen Zwang unter Einsatz von Werbemitteln und bezahlten Medien (Schweiger & Schrattenecker, 2009). Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) bezeichnet das bewusste und legitime Bemühen um Verständnis sowie Aufbau und Pflege von Vertrauen in der Öffentlichkeit. Frey und von Rosenstiel (2003) heben für die Schaffung von Akzeptanz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen gegenüber des Unternehmens nicht nur Öffentlichkeitsarbeit hervor, sondern auch betriebsinterne Kommunikation in Form von Visionen und Strategien des Unternehmens, da Mitarbeiter die Vision verstehen und die Strategien mittragen sollen. Direktwerbung nach Pepels (2005) richtet sich an individuelle Adressaten und auf den Dialog mit diesen (Teleshopping, adressierte Werbesendungen, Werbebelangsendungen, etc.). Event-Marketing und Product Placement. Event-Marketing umfasst die Planung und Durchführung von eigeninszenierten Ereignissen, die durch erlebnisorientierte Unternehmens- und Produktveranstaltungen (Messen, Konferenzen, Kongresse, etc.) die Aktivierung und Emotionen bei der Zielgruppe auslösen und deren Einstellungen positiv beeinflussen sollen. Product Placement meint die Einbindung von Produkten/Werbemitteln in den Ablauf von Unterhaltungsprojekten (Filme, Sendungen, etc.). Russel (2003) untersuchte die Wirkung von auditiven und visuellen Product Placements im Rahmen einer Sitcom. Während auditive PP generell gut erinnert werden konnten, konnten visuelle PP besser erinnert werden, wenn sie Teil der Handlung waren. Sponsoring versteht man als die Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen zur Bereitstellung von Geld oder Sachmitteln durch Unternehmen für Personen oder Organisationen mit dem Ziel der Erreichung von Kommunikationszielen durch den Sponsor. Nach Vollert (2006) dient Sponsoring v.a. der Aktualisierung, Stabilisierung und der Verbesserung des Images. Nieschlag, Dichtl und Hörschgen (1972) und Six (1983) geben noch Promotionsmethoden zur Erhöhung des Umsatzes an. Siehe folgende Tabelle. weitere 75 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Promotionmethode Kennzeichen Umsatzwirkung Produktproben Probenverteilung Geschäften in wirkungsvoll bei Einführung neuer Produkte und bisherigen Nichtkäufern Sonderpreise Preisvorteile durch Großverpackungen, Sonderangebote, Wertgutscheine,... ab mind. 13% Preisermäßigung sind steile Umsatzanstiege zu erwarten, Umsatzanstieg hält aber nur kurz an Zugaben Vergabe von Waren/Gutscheinen bei Kauf des geförderten Produktes Durchschnittliche, kurzfristige Wirkung Gewinnspiele Produktkauf schließt Teilnahme an einem Gewinnspiel mit ein Schneller, kurzfristiger Umsatzanstieg (1. Woche bis zu 30%) Persönlicher Verkauf Demonstration und Verkauf des Produktes Kurzfristig möglich Merchandising Maßnahmen Besondere Platzierung Hervorhebung geförderten Produkts Verkaufsort (Display, Einsatz, ...) Umsatzsteigerungen bis zu 300% Publicity Maßnahmen Produkt wird der Öffentlichkeit durch Veranstaltungen, Auftritte von Idolen,... nahe gebracht z.B. und des am Dia- gute Indirekter Einfluss Verkaufserfolg Erfolge auf 6.5.1. Ausgangsbedingungen von Werbeaktivitäten (S. 407) Es gibt derzeit eine Flut von Werbeinformationen, von der nur etwa 1-2 % aufgenommen werden. Informationsüberlastung- bzw. Überschuss ist derjenige Anteil der gesamten verfügbaren Information, der nicht beachtet wird. Da immer mehr Geld in die Werbung gesteckt wird, sollen die Botschaften auch ankommen. Da Bilder schneller aufgenommen werden können, verdrängt mit zunehmender Informationsüberlastung Bildkommunikation die Kommunikation durch Texte und Sachinhalte. Diese Geschwindigkeit ist noch höher, wenn anstatt von Sachinhalten Emotionen kommuniziert werden. Bildinformation wird auch von wenig involvierten, passiven Empfängern wahrgenommen. Farben werden noch viel schneller aufgenommen. Bestimmte Marken werden überzufällig häufig mit einer bestimmten Farbe assoziiert (z.B. Milka lila). Zudem hat sich der Markt geändert, der inzwischen so unüberschaubar ist, dass kaum Qualitätsunterschiede ausgemacht werden können, die Angebote sind austauschbar. Die meisten Leute sind nicht an Werbung interessiert: sie sind gesättigt. Vermehrt werden Werbebotschaften auf verschiedene Zielgruppen zugeschnitten und Medien, die diese Zielgruppen erreichen, als Werbeträger genutzt. Die Werbung muss sich den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpassen. Die Öffentlichkeit wird kritischer gegenüber der Werbung und ihren Mitteln und ist interessiert an neuen Erlebnissen und dem Genuss des Lebens (erlebnisorientiert). Marktkommunikation muss sich den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen stellen: Manipulationstechniken werden durch Rechtsvorschriften eingeschränkt, 76 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Emanzipationsbewegung kritisiert die Verwendung von Frauen als „Emotionsauslöser“. Seit der verstärkten Verbreitung von PCs und Internet setzen immer mehr Werbestrategien auch auf neue Medien, deren besondere Stärke in der integrierten Erfolgskontrolle (Anzahl PageVisits, Ad-Clicks, etc.) und in der Möglichkeit der laufenden Optimierung liegt. 6.5.2. Ziele und Strategien der Werbung (S. 411) Werbung kann als Versuch definiert werden, das Verhalten von Personen mittels besonderer Kommunikationsmittel zu beeinflussen. Da Werbung viel Geld kostet, muss sie effizient sein und ihr Erfolg muss anhand konkreter Variablen gemessen werden können. Im Allgemeinen werden Aktualisierung, Emotionalisierung und Information als Werbeziele angeführt. Wichtigste Werbeziele sind aber Erhöhung des Umsatzes, positive Einstellung zum Produkt, Erhöhung der Kaufbereitschaft bzw. Verbesserung eines besonderen Images. Zunächst muss aber kontrolliert werden, ob die Werbung überhaupt wahrgenommen wird, denn eine Marke, die nicht wahrgenommen wird, kann nicht (mit Emotionen/Sachinhalten) „aufgeladen“ werden. Danach ist zu entscheiden, welche Gefühlsqualitäten oder Sachinformationen dazu assoziiert werden sollen. Wissen Konsumenten um ihre unbefriedigten Bedürfnisse, genügt es auf ein bestimmtes Angebot aufmerksam zu machen. Auf gesättigten Märkten muss Werbung oft erst Bedürfnisse wecken, Produkte und Dienstleistungen werden also mit emotionalen Konsumerlebnissen verknüpft. Information sowohl als auch Assoziation von Gefühlen dient der Positionierung von Produkten, die zunehmende Austauschbarkeit von Produkten am übersättigten Markt ist ein großes Problem für Werbestrategen. Zunehmend muss nach Marktnischen gesucht werden. 6.5.3. Techniken und Wirkung der Werbung (S. 413) Werbetechniken dienen dazu, Werbemittel zu gestalten. Jene Techniken, die aus der Anwendung sozialwissenschaftlicher Hypothesen, Modelle und Theorien resultieren, werden als Sozialtechniken bezeichnet. Unter Sozialtechniken wird die systematische Anwendung von Gesetzmäßigkeiten zur Gestaltung der sozialen Umwelt, insbesondere zur Beeinflussung von Menschen, zusammengefasst. Erfolgreiche Werbung resultiert aus dem Zusammenwirken von Kreativität und sozialtechnischen Überlegungen. Erfolgreich ist eine Werbekampagne dann, wenn es gelingt, Konsumenten auf ein Gut aufmerksam zu machen, sie sachlich darüber zu informieren, angenehme emotionale Erlebnisse zu vermitteln und/ oder zum Kauf anzuregen. Siehe Wirkungen der Sozialtechniken und Möglichkeiten der Messung. Die Wirkung von Werbeinformationen hängt v.a. vom Interesse der Konsumenten an einem Produkt ab. Interessierte sind involviert. Zumeist sind die Empfänger wenig involviert. Anzeigen in Spezialzeitschriften erreichen jedoch mit höherer Wahrscheinlichkeit hoch involvierte Empfänger als Anzeigen in einer Tageszeitung. Daher ist es hier sinnvoll, Sachinformationen zu bieten, anstatt erst emotional ein Kaufbedürfnis zu wecken. Gering involvierte Empfänger nehmen Informationen über periphere Informationsverarbeitungsprozesse wahr. Anstelle von sachlichen Argumenten dürften v.a. ganzheitlich-emotionale Eindrücke wirksam sein (visuelle oder akustische Gestaltung, emotionale Aufmachung der Werbung). Hoch involvierte nehmen Informationen über zentrale Prozesse wahr, d.h. der Inhalt der Botschaft zählt. Neben Involvement ist auch die Beeinflussungsmodalität von Bedeutung. Sachlichrationale Argumente werden eher über Text oder Sprache dargeboten, Gefühle über Bilder. Bilder werden schneller aufgenommen. Im Bild können sachfremde Einheiten simultan miteinander verknüpft werden (etwa Person und Auto, Zigarette und Weltall, ...), in der Sprache ist das nicht möglich, Bilder werden also spontan-ganzheitlich verarbeitet. Sie bleiben auch klarer und lebhafter in Erinnerung und lenken als innere Bilder das Verhalten. Bilder sind eine Art von „gespeicherten Gefühlen“. Sprachliche Informationen werden nacheinander aufgenommen und sequentiell-analytisch verarbeitet. 77 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Die Werbewirkung hängt aber auch von der Anzahl der Wiederholungen ab. Wiederholungen sind nötig um Lerneffekte zu erzielen. Die Zahl der erforderlichen Wiederholungen hängt aber auch von der Art der Werbung und von den Kommunikationsbedingungen ab. Dabei muss die mögliche Produktion von inneren Gegenargumenten auf Konsumentenseite im Hinterkopf behalten werden. Nach einer bestimmten Anzahl von Wiederholungen nehmen die negativen Reaktionen zu und die positiven ab (Wear-Out-Effekt). Analog zum Wear-Out-Effekt existiert in der Onlinewerbung der Banner-Burnout-Effekt: Ein Banner verliert seine Wirkung, wenn er öfter als 3 mal von einem Nutzer gesehen wird (Bachem, 2002). Cacioppo und Petty (1980) nehmen in ihrem Elaborations-Wahrscheinlichkeits-Modell an, dass die Entwicklung einer positiven Einstellung zunächst bei Wiederholung der Werbebotschaft gefördert, dann durch innere Gegenargumente beeinträchtigt wird (v.a. bei involvierten Empfängern und bei informativer Beeinflussung). Berlyne (1970) geht in seiner Zwei-Faktoren-Theorie davon aus, dass Wiederholungen zum einen günstig sind, weil Lernerfolge erzielt werden, zum anderen führt die steigende Zahl von Wiederholungen zu Langeweile und zu negativen Assoziationen. Abnutzungswirkungen von Werbebotschaften durch innere Gegenargumente 1. Informative Beeinflussung und geringes Involvement: Abnutzungserscheinungen sind möglich. Weil Info aber passiv aufgenommen wird, ist Wiederholung nötig. Es sollte Bewerbung durch variierende Slogans erfolgen. 2. Emotionale Beeinflussung und geringes Involvement: kaum Abnutzungserscheinungen, weil Konsumenten den emotionalen Botschaften entsprechend den Gesetzen der klassischen Konditionierung kaum ausweichen können. Üblicherweise sind 20 bis 30 Wiederholungen nötig, bis Produkt und Emotion zusammengeschweißt sind. 3. Informative und/oder emotionale Beeinflussung und hohes Involvement: Abnutzungserscheinungen bereits nach wenigen Wiederholungen. Kurze Werbebotschaften die häufig den Inhalt wechseln sind hier besser. Unterhaltsame Werbung führt seltener zu inneren Gegenargumenten als nicht unterhaltsame. 6.5.4 Überlegungen zu Sozialtechniken (S. 418) Seit den 1950-er Jahren geistert die geheimnisvolle Wirkung subliminaler oder unterschwelliger Werbung in Köpfen herum. Es schien ein gefährliches Manipulationswerkzeug gefunden worden zu sein. Die psychologische Relevanz scheint jedoch gering zu sein, man steht schon allein vor der Schwierigkeit, Wahrnehmungsschwellen zu definieren. Die übliche Definition, ein Reiz sei dann subliminal wahrgenommen, wenn er von 50% wahrgenommen wird, ist unzulänglich. Die Diskussion soll aber nicht ganz abgetan werden, es dürfte/ könnte so sein, dass zwar keine spezifischen Konsumbedürfnisse durch subliminale Werbung geweckt werden, doch aber allgemeine Konsumbedürfnisse. Dafür spricht eine Studie von Hawkins (1970), in der bei unterschwelliger Darbietung von entweder Nonsense- Silben oder des Wortes „Coke“, in der „Coke“-Gruppe höherer Durst berichtet wurde. Replikationsversuche dieser Studie scheiterten allerdings. Von größerer Bedeutung sind Elemente überschwelliger/ supraliminaler Werbung, die nicht ins Bewusstsein treten, wie etwa Düfte oder Farbgestaltungen. Eine gute Werbung muss sukzessive Folgendes wecken: 1. 2. 3. 4. 5. Beachtung Aufnahme der Botschaft Emotionsvermittlung Verständnis der Botschaft, d.h. Verknüpfung von Emotion mit Marke/ Produkt Verankerung der Botschaft im Gedächtnis 78 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Durch Aktivierung und Wiederholung wird versucht, die Kontaktbarrieren zu den Empfängern zu überwinden, also deren Beachtung zu bekommen. Die Aufnahme der Botschaft gestaltet sich schwierig, da Werbekontakte oft von Empfängern abgebrochen werden, in Zeitschriften etwa wird den einzelnen Anzeigen nicht genug Zeit gewidmet. Dabei muss überlegt werden, welche Informationen mit größerer Wahrscheinlichkeit beachtet werden. Janiszewski (1990) geht davon aus, dass bildhafte Informationen primär rechtshemisphärisch, und verbale Informationen eher linkshemisphärisch verarbeitet werden. Darauf beruht die Hypothese, dass ein Markenname dann besser verarbeitet wird, wenn er im Kontext bildhafter Informationen rechts steht und im Kontext verbaler Inhalte links steht. Zuerst werden Bilder und dann Textstellen beachtet. Die Beachtung von Werbeanzeigen hängt auch stark von ihrer Platzierung in Zeitschriften und von ihrer Größe ab. Anzeigen auf der rechten Seite und Anzeigen mit hohem Unterhaltungswert werden eher beachtet. Eine Werbebotschaft muss klar und verständlich sein. Die verschiedenen Informationselemente müssen klar abgegrenzt sein und ihrer Wichtigkeit nach dargeboten werden. Der Markenname muss etwa innerhalb von zwei Sekunden erkennbar sein. Die Erinnerung schließlich hängt vor allem von der Wiederholung und aktivierenden Gestaltung der Werbung ab. Aktivierende, unterhaltsame Werbung wird besser behalten als stereotype, langweilige. Die Erinnerung steigt auch dann, wenn sich die Werbung von ihrem Umfeld abhebt. Schwarz-weiße Werbung etwa im Kontext eines farbigen Umfelds. Je klarer ein inneres Gedächtnisbild aufgebaut werden kann, und je mehr Bilder an Schemavorstellungen appellieren, je weniger die Bilder austauschbar sind, je mehr sie unterscheidbare Details beinhalten und je lebendiger sie sind, desto besser ist die Erinnerung. 6.5.5 Generierung von Gefühlen in der Werbung (S. 424) Es geht zunehmend darum, anstelle von Gütern Konsumerlebnisse anzubieten. Die vermittelten Emotionen müssen auf eine Zielgruppe abgestimmt sein. Es können für die Zielgruppe bedeutsame Gefühlsqualitäten erzeugt werden, aber auch passende atmosphärische Stimmungen kreiert werden. Die Messung von Emotionen berücksichtigt vier Aspekte: 1. 2. 3. 4. Intensität der Erregung (Aktivierungsgrad) Richtung der Emotion (positiv oder negativ) Gefühlsqualität (Interesse, Freude, Überraschung, Kummer, ...) Bewusstseinsgrad oder Klarheit des Gefühls Durch Lernprozesse können Reize mit Gefühlen verbunden werden (etwa Volvo für Stabilität und Verlässlichkeit, FA für Frische, ...). Am häufigsten werden in der Werbung Erotik und Sex eingesetzt, in den letzten Jahren ist auch der Einsatz erotischer Männerdarstellungen gestiegen. Dies führt zu durchaus differentiellen Einstellungen zum Produkt, die Akzeptanz von erotischen und sexuellen Inhalten ist je nach Rezipient verschieden, Kritik kommt vor allem aus der feministischen Ecke. Voraussetzungen für effektive emotionale Konditionierung sind: 1. Gleichzeitige Darbietung von emotionalem Reiz und neutralem Markennamen. 2. Die dargebotenen Reize müssen intensiv sein. Biologisch vorprogrammierte Schlüsselreize wirken besonders gut (etwa Kindchenschema, erotische Reize), kulturell geprägte und zielgruppenspezifisch gelernte Reize (z.B. Idole wie Schauspieler, Sportler). 3. Zahlreiche Wiederholungen der Kombination des neutralen und emotionalen Reizes sind notwendig. 79 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 4. Gedankliche Passivität ist kein Konditionierungshindernis, dafür ist eine 5. Konsistente Reizdarbietung notwenig. Beispielhaft für emotionale klassische Konditionierung ist das Hoba-Experiment von Kroeber-Riel (1991b). Hoba-Seife stellt den neutralen Reiz dar. Reihe von Werbespots (darunter Hoba) vor Filmen im Kino. Versuchsdesign: Hoba-Anzeige als Kombination aus... Reizstarken Bildern (Erotik, soziales Glück, ...) ODER Reizschwachen Bildern mit informativem Text ODER ohne Text Nach 10 Tagen Darbietung und pro Gruppe 30 Hoba-Einblendungen hatte Hoba ein emotionales Erlebnisprofil. Die Teilnehmer schrieben der Seife emotionale Eigenschaften, wie etwa zärtlich, fröhlich und erregend zu, die vor der Konditionierung dem Seifenimage fehlten. Die Konditionierungswirkung wurde mittels psychobiologischer Verfahren erhoben, und die verbale Einstellungsmessung mittels semantischem Differential. Zusammenfassend: Emotionale Konditionierung erfordert bei gering involvierten Personen zahlreiche Wiederholungen und starke Reize. Die zusätzliche Schaltung von Text zu Emotionen ist nicht notwendig. Die Einstellung zu einer Marke lässt sich allein durch emotionale Werbung ohne jede Produktinformation verändern. Mit positiv stimmenden atmosphärischen Reizen werden positive Stimmungen geweckt und damit 1. eher positive als negative gespeicherte Wissenselemente ins Bewusstsein gerufen 2. dargebotene Infos positiver aufgenommen 3. gedankliche Beurteilungsvorgänge positiv beeinflusst Laut dem „Affect Infusion Modell“ von Forgas (1994) hängt der Einfluss von Emotionen auf Urteile, von der Art der Informationsverarbeitung ab. Arten des Informationsabrufs: 1. Direkter Zugriff auf gespeichertes Wissen. Hier bleibt wenig Platz für Emotionen (direct access strategy). 2. Selektive Informationsaufnahme, weil ein bestimmtes Urteilsergebnis gewünscht ist. Steuern Motive die Urteilsbildung, ist der Einfluss der Stimmung gering (motivated processing strategy). 3. Anwendung von Urteilsheuristiken, wenn keine direkt abrufbaren Urteile gespeichert, noch Wünsche vorhanden sind, zu wenig Zeit. Urteile werden auf der Basis leicht verfügbarer Infos gebildet. Stimmungen beeinflussen die Urteilsbildung, oft werden Gefühle selbst als Information über den Gegenstand betrachtet (heuristic processing). 4. Urteilsfällung nach extensiven kognitiven Prozessen, wenn die Situation nach einem Urteil drängt, genügend Zeit verfügbar ist und die kognitiven Verarbeitungskapazitäten hoch sind. Stimmungskongruente Informationen sind eher abrufbar als stimmungsdivergente, d.h. je nach Stimmung sind bestimmte Infos eher verfügbar als andere (substantive processing). Affect infusion model von Forgas: 80 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat „State dependency“ besagt, dass Stimmungskongruenz beim Lernen und Wiedergeben von Gedächtnisinhalten die Gedächtnisleistung fördert. „Mood congruency“ (Stimmungskongruenz-Effekt) bezeichnet die Tatsache, dass sich Personen, nachdem sie durch posthypnotische Befehle in eine glückliche oder traurige Stimmung versetzt worden waren, sich mit derjenigen Person einer Erzählung identifizierten, die in einer ähnlichen Stimmung war und konnten diese auch detaillierter wiedergeben. Es ist demnach nicht nur die Gedächtnisleistung bei Stimmungskongruenz besser, sondern Infos, die einer ähnlichen Stimmung entstammen, werden auch detaillierter verarbeitet und das hat Einfluss auf die Lernleistung. Studie von Kirchler & Hermann (1986). Mittels Kurzfilmen und Musikstücken wurde die Stimmung der Testpersonen variiert in positive, neutrale und negative Stimmung. Dann Vorführung von Werbespots unter anderem für das Mineralwasser “Maqua”. Im Werbefilm beendete eine Person ein Tennisspiel und sagte entweder: “Mit Maqua sind Sie der Gewinner” => positiv formuliert “Maqua - Jetzt neu bei ihrem Kaufmann” => neutral formuliert “Sie kennen Maqua nicht? Versager!!” => negativ formuliert Die Ergebnisse zeigen, dass stimmungskongruente Werbeinhalte besser erinnert werden können. Jene Personen, die während des Versuchs in positiver Stimmung waren, erinnerten sich vor allem an den positiv anmutenden Spot. In Printmedien allerdings scheinen stimmungsdivergente Anzeigen besser zu wirken. Möglicherweise wirken stimmungsdivergente Inhalte aktivierungsfördernd in Printmedien, was sich positiv auf die Lernleistung auswirkt. Audiovisuelle Medien können bereits optimal aktivieren, weil sie zwei Sinneskanäle ansprechen. 81 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 7 - ARBEITSMÄRKTE : ANGEBOT UND NACHFRAGE NACH A RBEIT (S.455) 7.1. Erwerbsarbeit (S. 457) Der Alltag vieler Menschen wird durch Erwerbsarbeit, die Arbeit zuhause sowie den Arbeitsrhytmus strukturiert. Im Kontrast zur bedeutsamen, aber mühevollen Arbeit wird die frei bestimmbare Zeit zur Freizeit. Arbeit Geschichtlich betrachtet war Arbeit ursprünglich in der Antike mit Mühsal, Plage, beinahe schmerzhafter Anstrengung assoziiert und wurde deswegen soweit möglich den Sklaven übertragen. Im antiken Griechenland war die Freiheit von Erwerbstätigkeit ein Privileg der Vollbürger, Adeligen und Reichen. Erst mit der christlichen Ideologie und der protestantischen Arbeitsethik erlangte die Arbeit einen bisher nicht gekannten Stellenwert. Mit dem Aufkommen des Bürgertums entstand die Forderung nach der Verpflichtung zur Arbeit. Sparsamkeit und Askese waren die neuen moralischen Gebote der Zeit. Nach der Analyse verschiedener philosophischer, psychologischer und soziologischer Definitionen und Interpretationen hebt Schmale (1983) folgende Charakteristika der Arbeit hervor: Arbeit ist eine bewusste und bewusstseinsschaffende Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur zum Zweck der optimalen Anpassung der Natur an den Menschen Der Prozess ist dialektisch. Jede Veränderung der Natur verändert auch den Menschen ökologische Verantwortung! Jeder Ressourceneinsatz (sei es menschliche Kräfte, Technologie, etc.) muss angesichts der knappen Ressourcen nach ökonomischen Gesichtspunkten erfolgen Die in den Arbeitsprozess einfließenden menschlichen Energien, werden aus der Verschiebung von Triebenergien gewonnen Arbeit erfolgt in einem gesellschaftlichen Rahmen und ist in einen geschichtlichen Ablauf eingebettet. In der Neuzeit scheinen protestantische Normen (Pflichterfüllung, Arbeitsethos, etc.) zunehmend zu verblassen. Arbeit und Sparsamkeit haben an Wert verloren, während Privatheit und Freizeit aufgewertet wurden. Der Grund hierfür liegt in der Selbstverständlichkeit materiellen Wohlstands, durch die Arbeit als Plage empfunden wird, während Freizeit, hedonistische Erlebnisse, etc. an Wert gewinnen. Allerdings meint Lewin (1920) in diesem Zusammenhang, dass Arbeit 2 Gesichter hat. Einerseits wird sie als Mühe und Last wahrgenommen, andererseits höhlt andauernder Müßiggang das Leben aus. Es kam in den letzten Jahrzehnten zu einer Verschiebung von postmaterialistischen zu materialistischen Wertvorstellungen. Folgende Veränderungen konnten dokumentiert werden: Kurzfristiges langfristiges Denken Zentrale Entscheidungswege Dezentrale Entscheidungswege 82 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Fremdbestimmung Selbstbestimmung Teilweise von Ökonomie Ökologie Werte wie Gehorsam, Unterordnung, Fügsamkeit und Anpassungsbereitschaft haben an Popularität verloren gesellschaftskritische, hedonistische und individualistische Werte gewannen an Bedeutung In der Erwerbsarbeit wurden interessante Tätigkeiten, die Kreativität erfordern und Kontakt zu anderen sowie Aufstiegsmöglichkeiten bieten verstärkt nachgefragt. Betriebe müssen die Arbeit daher so gestalten, dass intrinsische Bedürfnisse befriedigt werden. Die Bewertung und die Einstellung zur Arbeit sind aber individuell (Arbeitsorientierung) und auch kulturell unterschiedlich. Während auf individueller Ebene hoch in die Arbeit involvierte Personen scheinbar hohe Ansprüche an ihre Arbeitsplätze stellen und mit vielen Arbeitsplätzen nicht voll befriedigt werden können, werten Personen mit geringer Arbeitsorientierung die Bedeutung von Arbeit als dominanten Lebensbereich ab und suchen kompensatorisch im privaten Raum und der Freizeit nach Erfüllung (Opaschewski, 1982). Kulturelle Unterschiede zeigen sich in den vorherrschenden materialistischen vs. postmaterialistischen Strömungen. Während in AUT, NED, NOR, und GER postmaterialistische Werte dominieren, herrschen in Irland, USA und Großbrittanien materialistische Werte vor. In einer Untersuchung zeigten sich aber keine Unterschiede in Bezug auf die vorherrschenden Werte und die Zustimmung zu der Aussage, dass Arbeit die wichtigste Aktivität im Leben sei. Die Zufriedenheit mit der Arbeit hängt aber mit der Werthaltung ab: Arbeitnehmer mit postmaterialistischen Werten, die die Arbeit als Möglichkeit erleben intrinsische Bedürfnisse zu befriedigen, berichten eher mit der eigenen Arbeit zufrieden zu sein, als Personen, die materialistische Werthaltungen pflegen und die Arbeit als Möglichkeit betrachten extrinsische Bedürfnisse zu befriedigen. Motivationspotenzial, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsklima (S. 464) Arbeit soll motivierend gestaltet sein. Die theoretische Basis für intrinsisch motivierende Arbeit wurde von Hackman und Oldham (1976) entwickelt. Die Gestaltung der Arbeit muss 3 Grundbedingungen entsprechen: Wissen über aktuelle Tätigkeitsresultate (Feedback) Verantwortung für die Ergebnisse der Arbeitstätigkeit (Autonomie) Die Bedeutung der eigenen Arbeitstätigkeit muss erlebbar sein (Bedeutsamkeit der Aufgabe, Anforderungsvielfalt und Ganzheitlichkeit der Aufgabe) Das Motivationspotential errechnet sich nach folgender Formel: Motivationspotenzial = (Bedeutung + Ganzheitlichkeit + Vielseitigkeit)/3 * Feedback * Autonomie. Eine hohe Arbeitsmotivation steht in Zusammenhang mit hoher Arbeitszufriedenheit und höherer Leistung. Hauser und Kirsch (2009) konnten nachweisen, dass im Rahmen der „Great Place to Work“-Daten jene Unternehmen produktiver sind, deren Mitarbeiter den Arbeitgeber als großartigen Arbeitgeber empfinden. Zahlreiche weitere Studien belegen den Zusammenhang zwischen Lebensfreude und zufriedenstellender Arbeit. Auch Grote und Staffelbach (2008) berichten diesen Zusammenhang, weisen allerdings darauf hin, dass auch vorwiegend Faktoren außerhalb der Arbeit die Lebenszufriedenheit bestimmen. Work-Life-Balance und Freizeit (S. 467) 83 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Die Beziehung zwischen Arbeits- und Lebenszufriedenheit ist seit langem Thema der akademischen Forschung. Die Abgrenzung wurde aber seitdem neue Arbeitsformen um sich greifen zunehmend schwierig. Der Begriff Work-Life-Balance bezieht sich auf das Gleichgewicht zwischen der Verteilung der Zeit für Arbeit und Nicht-Arbeit und das subjektive Gefühl der Ausgewogenheit und Zufriedenheit damit. Für den Begriff selbst, gibt es aber keine klare Definition (Kalliath und Brough, 2008). Snir und Harpaz (2002) untersuchten die Beziehungen zwischen Arbeit und Freizeit bei arbeitsund freizeitorientierten Menschen. Personen, die Freizeit höher schätzen, legen mehr Wert auf Interaktionen mit Kollegen und fühlen sich in Positionen mit häufigem sozialen Kontakt wohler, arbeiten weniger Stunden pro Woche und fühlen sich nicht so sehr an ihre Arbeit gebunden wie arbeitsorientierte Personen. Was ist Arbeitszeit und Freizeit, wenn man Hausarbeit, etc. berücksichtigt? Opaschewski (1982) teilt die gesamte Lebenszeit in 3 Kategorien ein: 1) Determinationszeit: abhängige, fremdbestimmte Phasen und berufliche Arbeit 2) Obligationszeit: gebundene, zweckbestimmte Zeit, wie Essen, Schlafen, ... 3) Dispositionszeit: freie Zeit Grundannahmen über Beziehungen zwischen Arbeit und Freizeit: - - - Neutralitäts-, Autonomie- oder Segmentierungshypothese: Erlebens- und Verhaltensweisen in Arbeit und Freizeit hängen nicht miteinander zusammen. Menschen sind aber nicht aufspaltbar in einen Arbeits- und einen Freizeitmenschen. Generalisations- und Kompensationshypothese: Erleben und Verhalten in der Arbeit beeinflussen das Erleben und Verhalten in der Freizeit oder umgekehrt, je nachdem ob verstärkende oder ausgleichende Wirkungen angenommen werden. Interaktionshypothese: Arbeit und Freizeit wirken wechselseitig aufeinander ein. Kongruenzhypothese: Erlebens- und Verhaltensweisen am Arbeitsplatz und in der Freizeit hängen zusammen, aber über Drittvariablen. Hoff (1993) kommt zu dem Schluss, dass die empirischen Ergebnisse zu den 3 Hypothesen undifferenziert sind und nimmt an, dass die Erfahrungen am Arbeitsplatz auch in die Privatheit reichen, so wie umgekehrt Freizeiterlebnisse auf die Arbeit abfärben können. Manchmal ist es auch denkbar, dass der Arbeits- bzw. Freizeitbereich als alternative Zeit genutzt wird, um zu „vergessen“ oder „abzuschalten“. 7.2. Angebot und Nachfrage nach Arbeit (S. 471) Arbeitsmärkte entstehen dort, wo Arbeitskräfte auf freie Stellen vermittelt und Einstellungsentscheidungen getroffen werden und sind als Wechselspiel zwischen dem Verhalten von Unternehmen und Arbeitnehmern zu verstehen. In der Ökonomie wird angenommen, dass unter vollkommener Konkurrenz (keine staatlichen Regulierungen, Gewerkschaften oder Verbände greifen nicht in Lohnverhandlungen ein) das Marktgeschehen bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgt. Tatsächlich gibt es aber Märkte unter vollständiger Konkurrenz nicht. Nachdem Arbeitskräfte Kosten verursachen, ist nach der klassischen ökonomischen Theorie anzunehmen, dass hohe Löhne bei gleichbleibender Nachfrage nach Gütern zu einer Reduktion der Nachfrage nach Arbeitskräften führen. Steigt die Nachfrage nach Gütern, sodass die Produktion gesteigert werden kann, können trotz steigender Löhne die Arbeitnehmerzahlen steigen oder gleich bleiben. Nachdem mit steigenden Löhnen immer mehr Arbeitnehmer eine Arbeit annehmen, aber immer weniger Unternehmer eine weitere Arbeitskraft anzustellen bereit sind, entsteht ein Spannungsfeld. Der Schnittpunkt von Nachfrage- und Angebotskurve ergibt das Niveau, auf dem sich der aktuelle Lohn einpendeln wird (= Gleichgewichtslohn/markträumender Lohn, das Angebot entspricht der Nachfrage). Alle Unternehmen, die einen bestimmten Lohn zu bezahlen bereit sind, stellen 84 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat jene Arbeiter an, die bereit sind, zu diesem Lohn zu arbeiten. Wenn keine weiteren Arbeitsverträge abgeschlossen werden, dann ist das Marktgleichgewicht erreicht, es herrscht Vollbeschäftigung. Ein Lohnsatz, der den markträumenden Lohn übersteigt, führt zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, weil mehr Arbeitskräfte an den Markt drängen, als Unternehmen anstellen. Sollte der Lohnsatz unter den markträumenden Lohn sinken, würden die Unternehmen nach mehr Arbeitskräften nachfragen, als arbeitswillige am Markt sind. Nach dem Modell pendelt sich auf Märkten unter vollständiger Konkurrenz der Lohn auf dem markträumenden Lohnniveau ein. Aber nicht allein ein erhöhter Lohnsatz kann Arbeitslosigkeit erklären. Allerdings haben laut Ökonomie Arbeitskräfte immer die Möglichkeit zu wählen und können auch dann eine Arbeit annehmen, wenn die damit verbundenen Kosten den Lohn weit übersteigen. Wer unter derartigen Bedingungen eine Arbeit angeboten bekäme, sie aber ablehnt, ist freiwillig arbeitslos. In der Psychologie würde wohl kaum von Wahlfreiheit gesprochen werden. Die Markttheorie berücksichtigt nicht, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit auch unter vollständigen Konkurrenzbedingungen bestehen kann, z.B. setzen Firmen oft „freiwillig“ die Löhne ihrer Arbeiter über dem markträumenden Niveau fest, weil sie im Falle einer Lohnsenkung eine Leistungsreduktion seitens der Arbeitnehmer befürchten. Nach der „fair wage - fair effort“ Hypothese (Akerlof & Yellen, 1988) ist anzunehmen, dass sich Arbeitnehmer fair verhalten, höhere Löhne mit höherem Leistungseinsatz und niedrigere Löhne mit geringerem Einsatz beantworten. Die Firmen antizipieren, dass Arbeitnehmer der Norm der Reziprozität gehorchen. Fehr (2001) berichtet von einem Experiment, in welchem Arbeitnehmer, die anboten für ein Gehalt unter dem Mindestlohn zu arbeiten, aus diesem Grund nicht angestellt wurden. Die Effekte von Mindestlöhnen zeigten Falk, Fehr und Zehnder (2006): wird kein Mindestlohn eingeführt, so liegt das Lohnniveau deutlich unter jener Gruppe, in der ein Mindestlohn vorgegeben wurde. Von den Arbeitnehmern, die der Gruppe mit Mindestlohn angehörten, wurde der Mindestlohn als für die Arbeitgeber rechtlich verpflichtend wahrgenommen und als unfair betrachtet, wenn Arbeitgeber nur den Mindestlohn bezahlen. Wird der Mindestlohn wieder abgeschafft, bleibt das Lohnniveau allerdings auf dem gleichen Level wie mit Mindestlohn, da Gewöhnungseffekte eintreten. 7.2.1. Experimentelle Ökonomie: Beispiel eines Marktexperimentes (S. 476) Das Experiment gilt als besonders exakte wissenschaftliche Methode, da alle bedeutsamen Variablen kontrolliert und die Versuchsbedingung willkürlich manipuliert werden kann, um den Einfluss auf interessierende Variablen festzustellen und Kausaleffekte zu beschreiben. Weiter ist es wiederholbar und liefert statistisch analysierbare Daten. Um Kausalbeziehungen zu prüfen muss folgendes gegeben sein: Die UV „A“ muss zeitlich vor dem eintretenden Effekt in der AV „B“ variiert worden sein. Wenn eine Kausalbeziehung besteht, dann hat eine Änderung in „A“ eine in „B“ zur Folge Die Veränderung in „B“ muss auf die Änderung in „A“ und nicht auf eine kovariierende Variable C, D, E rückführbar sein. Arbeitsmärkte können ebenfalls experimentell geprüft werden. Eine Gruppe übernimmt die Rolle der Arbeitgeber, eine andere die der Arbeitnehmer. Zuvor werden allerdings noch Spiele, die im Rahmen der Spieltheorie entwickelt wurden, vorgestellt. Diktatorspiel: Spieler A erhält eine gewisse Summe Geld, die er zwischen sich und Spieler B aufteilen kann. Spieler B hat keine Möglichkeit auf das Angebot zu reagieren und muss die Summe annehmen, die Spieler A Spieler B anbietet. Ultimatumspiel: Spieler A erhält wiederum eine gewisse Summe Geld, die er zwischen sich und Spieler B aufteilen kann. Diesmal kann Spieler B das Angebot aber annehmen (wodurch das Geld zwischen A und B aufgeteilt wird) oder ablehnen (wodurch A und B leer ausgehen). Zu geringe Angebote werden in diesem Spiel aus Fairnessgründen abgelehnt. Dies widerspricht der ökonomischen Theorie, da auch bei einem Angebot von nur 1Cent (von 100€) Spieler B das Angebot annehmen sollte, da 1Cent mehr ist, als nichts. Vertrauensspiel: Spieler A entscheidet, ob er Spieler B einen Teil des Gutes anbietet oder nicht. Spieler B nimmt nun die gleiche Rolle wie in einem Diktatorspiel ein. Er hat die Möglichkeit Spieler A wieder etwas abzugeben oder nicht. Meist wird der Teil, den A an B gibt, nochmals vom Experimentleiter multipliziert, wodurch sich die Auszahlung erhöht. A kann also nur darauf hoffen, dass B sein Vertrauen erwidert. 85 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Centipede- oder Tausendfüßlerspiel: Spieler A erhält einen Geldbetrag, den er behalten oder an Spieler B weitergeben kann. Spieler B kann diesen wiederum an A weitergeben oder behalten, usw. Bei jeder Weitergabe wird der Betrag vom Experimentleiter multipliziert. D.h. die Teilnehmer stellen sich die Frage, wann sie das Spiel beenden und dem anderen nichts mehr abgeben. 7.2.3. Reziprozität am Arbeitsmarkt (S. 489) In einer bilateralen Interaktion zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Arbeitsmarktexperiment besteht nicht nur die Möglichkeit der Erwiderung einer Gefälligkeit in Form eines fairen Lohnangebots, sondern auch sozialer Druck zur Gleichverteilung der Ressourcen zwischen den einzelnen Arbeitnehmern (in etwa gleich hohe Löhne zahlen). Bietet ein Experiment die Möglichkeit zur bilateralen Interaktion, wird der Arbeitgeber bereit sein einen höheren Lohn zu bezahlen, als den Gleichgewichtslohn (Cochard et. al, 2004). Dies wird noch wahrscheinlicher der Fall sein, wenn die Interaktion wiederholt über mehrere Marktperioden stattfindet. Die Reputation von Arbeitgeber (zahlt schlecht) und Arbeitnehmer (arbeitet auch bei hohem Lohn nicht voll), kann das Geschehen am Arbeitsmarkt in den folgenden Runden beeinflussen. Interagieren Partner wiederholt miteinander, können sich Beziehungsstrukturen etablieren (Vertrauen bildet sich aus, was zur Akzeptanz von Risiko führt). Vertrauen und Kooperation (S. 491) Vertrauen nach Mayer et. al (1995) ist definiert als die Bereitschaft sich von den Handlungen einer anderen Person/Gruppe abhängig zu machen, aufgrund der Annahme, dass die andere Person/Gruppe so handelt, wie erwartet. Vertrauen führt ihnen zufolge auch zur Bereitschaft Risiken in einer Beziehung einzugehen. Diese Bereitschaft beeinflusst letztlich auch die Interaktion. Malhotra (2004) meint, dass auch das Vertrauen in wirtschaftlichen Situationen vom Risiko abhängt. Je niedriger das Risiko einen Schaden zu erleiden, desto eher wird vertraut. Schoorman et. al (2007) merken an, dass in kurzen experimentellen Spielen Langzeiteffekte des Vertrauens nicht untersucht werden (v.a. in Bezug auf Etablierung und Wiederaufbau von Vertrauen). Außerdem weisen sie auf unterschiedliche Arten von Vertrauen, abhängig von gleichberechtigten oder hierarchisch unterschiedlich gestellten Partnern, hin. Gefühle spielen im Ultimatumspiel eine bedeutende Rolle (Vieth, 2003). Er variierte das Ausmaß der Erkennbarkeit von Emotionen und berichtet, dass die Erkennbarkeit der Ablehnungs- und Angebotsneigung des Partners dem Anbieter Informationen über die Vertrauenswürdigkeit des Partners bietet. Zur Bedeutung von (Schuld)Gefühlen führte Ketelaar (2003) ein Experiment durch, in dem Partner, die sich schon vor dem Experiment kannten 19 Geldeinheiten zwischen sich aufteilen sollten. Nachdem nur ganze Einheiten verteilt werden konnten, wurden die Teilnehmer in egoistische Spieler (sie gaben sich selbst 10 Einheiten und mehr) und altruistische Spieler (gaben sich selbst 9 Einheiten und weniger) aufgeteilt. Nach einiger Zeit wurden beide Teilnehmer nochmals ins Labor gebeten, um erneut zu spielen. Es zeigte sich, dass die egoistischen Spieler des ersten Zeitpunkts nun signifikant häufiger dem Partner mehr Geldeinheiten gaben, als sich selbst. Wenn wiederholt interagiert wird, zahlt sich kooperatives Verhalten aus. Allerdings zeigte sich bei Cochard et. al (2004) zwar, dass bei wiederholten Spielen höhere Beiträge ausgetauscht wurden. In der letzten Runde waren keine Unterschiede in der Höhe der Beiträge zwischen Paaren mit wh. Interaktion und solchen, die nur eine Runde spielten, festzustellen. Ökonomen kommen zu anderen, als den psychologischen Annahmen: Theorie der vollkommen Konkurrenz markträumender Lohn nach wenigen Runden. Wenn Kooperation der Gewinnmaximierung des Arbeitgebers und Arbeitnehmers dient, verhalten sich beide kooperativ. Wenn beide aber wissen, dass 10 Runden gespielt werden, werden sich sowohl AG als auch AN in der letzten Runde sowohl mit Arbeitseinsatz und Lohnangebot zurückhalten, um ihren Nutzen zu maximieren. Der Rückwärtsinduktion folgend würde sich dieser Gedankengang bis zur ersten Runde rückverfolgen lassen, wodurch es ökonomisch gesehen Sinn macht von der ersten bis zur letzten Runde den Mindestlohn anzubieten, da auch die Arbeitnehmer ihre Leistung so gering wie möglich halten werden. 86 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat (1) Konkurrenzmarkt ohne Reziprozität (2) Konkurrenzmarkt mit Reziprozität Ökonomisch begründete Hypothese Realisierter Lohn =markträumender Lohn Realisierter Lohn =markträumender Lohn Psychologisch begründete Hypothese Realisierter Lohn =markträumender Lohn Realisierter Lohn > markträumender Lohn (3) Einmalige Interaktion bilaterale Leistung der Arbeitnehmer = Minimum Leistung der Arbeitnehmer korreliert positiv mit der Lohnhöhe (4) Wiederholte Interaktion bilaterale Die ökonomischen Annahmen mögen zwar nachvollziehbar sein, jedoch erfordern sie einen hohen kognitiven Aufwand / Motivation. Bornstein et. al (2004) konnten in Centipedespielen zeigen, dass Individuen entweder nicht motiviert sind oder nicht über die notwendigen kognitiven Kapazitäten verfügen, um den Austauschprozesse von der ersten bis zur letzten Runde durchzudenken. Zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Kooperation führten Fehr et. al (1998) ein Experiment durch. In Rahmen des Experiments wurden 10 Runden in 4 unterschiedlichen Bedingungen gespielt. Die jeweiligen Paare (a) interagierten über alle 10 Runden hinweg miteinander, (b) jeder der 10 Arbeitgeber interagierte mit jeden der 10 Arbeitnehmer 1x, in (c) und (d) stand die Gruppe der Arbeitgeber der zahlenmäßig größeren Gruppe der Arbeitnehmer gegenüber. In (c) war keine Reziprozitätsmöglichkeit gegeben, in (a), (b) und (d) wählten die Teilnehmer eine Leistungshöhe, die für sie einen Verlust bedeutete. Der vorhergesagte markträumende Lohn wurde in keiner Bedingung erreicht. Nur in der Bedingung (c) ohne Reziprozitätsmöglichkeit sank das Lohnangebot über die 10 Runden hinweg. In (a), (b) und (d) waren sowohl Lohnangebote, als auch die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer über die 10 Runden gleich hoch geblieben. In der einmaligen bilateralen Interaktion betrug die Korrelation zwischen Leistung und Lohn .25, während sie in wiederholt bilateralen Bedingungen .64 und .61 betrug. Arbeitnehmer honorieren also in wh. Interaktionen die Lohnangebote mit entsprechender Leistung. Jene, die in der letzten Runde nicht mehr kooperierten, nannten als zentrales Motiv Gewinnmaximierung, jene, die weiter kooperierten Reziprzität. Gneezy et. al (2003) versuchte die Lohnverhandlungen mittels eines Ultimatumspieles realitätsnäher zu gestalten. Die Paare blieben über 25 Runden bestehen. Neben der einfachen KG, gab es noch zwei weitere Bedingungen mit Zeitkomponenten (die Handelsperiode war 1 Min. bzw. 3 Min. lang, während dieser konnten Verhandlungen geführt werden). Die Arbeitgeber nutzten die Fristen aktiv, indem sie meist kurz vor Ablauf der Frist ein Angebot abgaben, über das der Arbeitnehmer nicht genug Zeit hatten nachzudenken. Auf diese Weise erzielten die Arbeitgeber ein signifikant besseres Ergebnis. Dieser Effekt verstärkte sich noch, wenn 2 Arbeitnehmer in Konkurrenz zueinander standen. Fairness (S. 501) Die Bedeutung von Fairness wurde u.a. in der Studie von Gehrig et. al (2007) bestätigt. Das klassische Ultimatumspiel wurde leicht zu einem Ja-Nein-Spiel abgewandelt. Die Teilnehmer des Ja-Nein-Spiels kannten die ihnen angeboten Beträge nicht und hatten nur die Möglichkeit das Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Im Vergleich zu einem klassischen Ultimatumspiel, in dem zu niedrige Beträge aus Fairnessgründen abgelehnt wurden (und die Anbieter dies auch antizipieren), und dem wurden im Ja-Nein-Spiel und im Diktatorspiel signifikant niedrigere Beträge angeboten (Man kaufte also die Katze im Sack). Fehr und Gächter (2002) berichten, dass Menschen auf unfaires Verhalten verärgert reagieren und Bereitschaft zeigen unfair handelnde Personen zu bestrafen – selbst wenn sie die Kosten für die Bestrafung selbst tragen müssen („altruistische Bestrafung“). Diese Form der Bestrafung sichert ihnen zu folge die Kooperation in einer Gemeinschaft und zeigte sich auch in ihrem Experiment. Die Kooperation in Runden mit Bestrafungsmöglichkeit lag über jenen Runden, in denen die Spieler nicht bestraft werden konnten. 7.3. Unternehmer (S. 504) 87 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Landläufig als sensibel für wirtschaftliche und gesellschaftliche Phänomene, als weitsichtig und risikofreudig beschrieben, prägen Unternehmer durch ihre Aktivitäten wesentlich das Wirtschaftsleben. Die Abgrenzung eines Unternehmers von Firmen- und Abteilungsleitern sowie Managern, die nicht die Leitung des Unternehmens übernehmen ist vor allem hinsichtlich der Eigenschaften schwierig, da sie sich hinsichtlich dieser stark ähneln. Ein Unternehmer ist eine Person, die selbstständig und eigenverantwortlich ein Unternehmen leitet und zu umfassenden Entscheidungen befugt ist. Der selbstständige Unternehmer ist Inhaber des Unternehmens und hat Verfügungsgewalt über den Gewinn, trägt aber auch das Risiko, während Manager meist keinen rechtlichen Anteil am Unternehmenskapital besitzen. Brandstätter (1988) bezeichnet folgende Personen als Unternehmer: sie leiten den Betrieb, verfügen als Eigentümer über den erwirtschafteten Gewinn und tragen das Kapitalrisiko. 7.3.1. Persönlichkeitsmerkmale von Unternehmern (S. 506) Brandstätter (1988) untersuchte Betriebsgründer, Betriebserben und Personen mit Gründungsinteresse hinsichtlich ihrer Persönlichkeitseigenschaften (mittels 16-PA-Test). Es konnte bestätigt werden, dass Betriebsgründer und solche mit Gründungsinteresse höhere Werte in den Dimensionen Unabhängigkeit und emotionale Stabilität aufwiesen als Betriebserben. Jene Personen, die in den beiden Dimensionen hohe Werte aufwiesen, waren mit ihrer Funktion als Unternehmer auch glücklicher, mit dem vergangenen Erfolg zufriedener, attribuierten Erfolg eher sich selbst und dachten eher über eine Expansion des Unternehmens nach. Stewart und Roth (2001) stellten in ihrer Metaanylse fest, dass Unternehmer eine höhere Risikoneigung aufwiesen als Manager. In der Studie von Zhao und Seibert (2006) wurden ebenfalls Manager (Linienführungskräfte) und Unternehmer anhand der Big-5 unterschieden. Es zeigten sich folgende Unterschiede: im Vergleich zu Managern weisen Unternehmer höhere Werte in den Skalen Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrung sowie niedrigere Werte in den Skalen Neurotizismus und Verträglichkeit auf. Auf der Dimension Extraversion konnten keine Unterschiede festgestellt werden. In Zusammenhang mit der Bestehensdauer der Unternehmung untersuchten Ciavarella et. al (2004) ebenfalls die Big-5. Während Gewissenhaftigkeit positiv mit der Dauer des Bestehens korreliert ist, scheint Offenheit für Erfahrungen (Extraversion) sich langfristig negativ auf das Unternehmen auszuwirken. Jedoch geht aus den Arbeiten von Müller et. al (2002) hervor, dass ich Manager und Unternehmer hinsichtlich ihrer Eigenschaften kaum voneinander unterscheiden. Sie untersuchten Intrapreneurs (Führungskräfte mit unternehmerischer Verantwortung) und Unternehmer. Intrapreneure und Entrepreneure unterschieden sich aber deutlich von führungsgeeigneten Angestellten. Intra- und Entrepreneure wiesen deutlich höhere Werte in der Leistungsmotivation, internalen Kontrollüberzeugung, Durchsetzungsbereitschaft und Ungewissheitstoleranz auf. Lagan-Fox und Roth (1995) identifizierten 3 Cluster von Unternehmertypen. Führungspersonen (managerial entrepreneurs): Bestrebungen zur Ausübung von Macht und Einfluss, internale Kontrollüberzeugungen, geringes soziales Vertrauen Leistungsorientierte Unternehmer (need achiever entrepreneurs): hohe Leistungsmotivation, Vertrauen, geringe Einfluss- und Machtbestrebungen Pragmatische Unternehmer (pragmatist entrepreneurs): mittlere Ausprägungen in fast allen untersuchten Persönlichkeitseigenschaften Eine Reihe von Untersuchungen belegt die Hypothese, wonach hohe Macht- und Leistungsmotivation und geringe Affiliationsbedürfnisse mit unternehmerischem Erfolg korrelieren (Heckhausen, 1989, S. 379ff). Zusammenfassend lassen verschiedene Studien den Schluss zu, erfolgreiche Unternehmer seien stärker internal kontrolliert (d.h. sie sind häufiger davon überzeugt, dass sie selbst das Leistungsergebnis kontrollieren können) (Brockhaus, 1982). 88 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Bezüglich der Risikoorientierung liegen unterschiedliche Ergebnisse vor (Wärneryd, 1988). Hohe Risikofreude kann zur vorschnellen Realisierung von Ideen antreiben. Der Unternehmer als Initiator ist gezwungen Information einzuholen und zwischen, häufig komplexen (weil Risiken nicht bekannt sind) Alternativen abzuwägen. Nur für jene Handlungen, deren Erfolgswahrscheinlichkeit zufriedenstellend hoch ist, lohnt es sich Risiken einzugehen. Wärneryd (1988) siedelt erfolgreiche Unternehmer in einem dreidimensionalen Faktorensystem mit den Achsen Innovationsstreben, überlegte Zielstrebigkeit und Risikofreude, an. Lee und Tsang (2001) zufolge seien Persönlichkeitseigenschaften weniger bedeutsam. In ihrer Studie hing die Wachstumsrate kaum mit der Persönlichkeit der Unternehmer, sondern mit der Erfahrung (Führung, in der Branche, Anzahl Partner und gesch. Aktivitäten) dieser zusammen. Ob Ausprägungen in den Persönlichkeitseigenschaften tatsächlich eine Rolle spielen bleibt Spekulation, obwohl Brandstätter (2011) aus fünf Metaanalysen den Schluss zieht, dass sie zumindest eine moderate Rolle spielen. 7.3.2 Unternehmensgründer (S. 512) Korunka, Frank und Becker (1993) und Frese (1993) betonen für die erfolgreiche Gründung eines Unternehmens v.a. ein hohes Autonomiestreben der Unternehmensgründer. Rauch und Frese (2007) kommen zu dem Schluss, dass Leistungs- und Innovationsstreben sowie Stresstoleranz, Bedürfnis nach Autonomie und Eigeninitiative relevant sind und Personen mit diesen Eigenschaften eher Gründungsabsichten haben und Unternehmen gründen. Die Studie von Frank und Korunka (1996) setzte Erfolg (Unternehmensgröße und Umsatzzahlen) mit Handlungskontrolle in Beziehung. Handlungskontrolle meint die Tendenz einer Person, Absichten in Handlungen umzusetzen. Lageorientierung wird mit perseverierenden Kognitionen, die sich auf die gegenwärtige, eine vergangene oder zukünftige Lage beziehen und die konsequente Umsetzung einer Handlung verhindern, verbunden. In Misserfolgssituationen, zeichnen sich lageorientierte Personen durch ein übermäßiges Vertiefen in die Problemstellung (preoccupation) aus, während handlungsorientierte Personen sich rasch davon lösen können (disengagement). In Entscheidungssituationen, ist der Entscheidungsprozess bei lageorientierten Personen übermäßig verlängert (hesitation), während handlungsorientierte Personen den Entscheidungsprozess aktiv und rasch durchlaufen. Es konnte nachgewiesen werden, dass erfolgreiche Unternehmensgründer ein höheres Maß an Handlungsorientierung aufweisen als wenig erfolgreiche. Wenn die Bereitschaft zu riskanten Entscheidungen in Verbindung mit der Handlungskontrolle eines Unternehmers gesehen wird, dann erscheint es notwendig nicht die generelle individuelle Risikobereitschaft, sondern die situationsspezifische zu untersuchen. Tang, Tang und Lohrke (2008) unterschieden in ihrer Studie zur Unternehmensgründung zwischen hoher/niedriger unternehmerischer Wachheit (Entdecken unternehmerischer und wirtschaftlicher Möglichkeiten) und internalem vs. externalem Attributionsstil. Durch diese 4 Kombinationen versuchen die Autoren zu erklären, warum Personen Unternehmen gründen. Überzeugte Personen (internal/hohe Wachheit): o Stellen den typischen Unternehmer dar o Sie möchten Veränderungen herbeiführen und glauben die Fähigkeiten dafür zu besitzen o Sie haben hohes Potenzial und Engagement für die Gründung Ratlose Personen (internal/geringe Wachheit): o Nehmen Anreize für die Unternehmensgründung seltener wahr o Besitzen geringe Marktkenntnis o Wenn sie unternehmerisch tätig werden, dann deshalb weil sie der Ansicht sind Schwierigkeiten durch harte Arbeit auszugleichen. 89 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Als praktisch beschreibbare Personen (external/hohe Wachheit): o Sie bemerken neue Möglichkeiten, nehmen sie jedoch nicht wahr (Skeptisch) o Sie handeln, wenn sie besonders dazu ermutigt werden Zögerliche Personen (external/geringe Wachheit): o Sind meist aufgrund besonderer Gründe unternehmerisch tätig (Verlust der Beschäftigung) o Geringe Motivation neue Marktinformationen einzuholen Sie untersuchten die 4 Gruppen hinsichtlich der Persönlichkeitscharakteristika Leistungsstreben, Risikoneigung und Bindung an das Unternehmen: Überzeugte wiesen in allen 3 Bereichen die höchsten Werte auf; gefolgt von den ratlosen, den Praktikern und den zögerlichen. Korunka et. al (2003) berücksichtigen zusätzlich zu den Persönlichkeitsmerkmalen auch Kontextfaktoren. Die befragten Jungunternehmer konnten anhand der berücksichtigten Dimensionen in 3 Cluster eingeteilt werden: Werdende Unternehmer entgegen ihres Willens: niedrige Leistungsmotivation, internale Kontrollüberzeugung und geringe Eigeninitiative sowie geringe soziale Unterstützung und kleine soziale Netzwerke. „Push-Faktoren“ (Arbeitslosigkeit z.B.), die zur Unternehmensgründung drängen waren oft vertreten. Werdende Unternehmer aufgrund ihres Willens: hoher Drang zur Selbstverwirklichung, internale Kontrollüberzeugung aus und haben positive Rollenvorbilder Unternehmensgründer mit geringer Risikoneigung: sozial gut vernetzt, geringe Risikoneigung bei guter sozialer Vernetzung und wenig Druck von außen. Diese 3 Gruppen wurden auch noch mit erfolgreichen Unternehmern verglichen, wobei sich zeigte, dass sich die Gruppe der Unternehmer gegen ihren Willen am meisten von den erfolgreichen unterschied. Korunka et. al (2004, 2007) weisen besonders auf die Gründungsphase hin und dass Persönlichkeitsmerkmale und Kontextfaktoren in unterschiedlichen Phasen unterschiedlich bedeutsam werden. Die Ergebnisse ihrer Studien legt nahe, dass Persönlichkeit nur in der Phase der Gründungsintention eine Rolle spielt. In einer 60 Jahre dauernden Längsschnittstudie zeigte sich, dass Persönlichkeit und ein förderlicher Erziehungsstil, als auch frühe Interessen und Fähigkeiten Prädiktoren für unternehmerische Tätigkeiten im Erwachsenenalter sind. Schröder und Schmitt-Rodermund (2006) konzipierten aufgrund dessen ein Trainingsprogramm für Schüler. Durch diese Studien wurde deutlich, dass die Intention zur Selbstständigkeit trainiert werden kann. 7.3.3. Unternehmerinnen und Unternehmer: geschlechtsspezifische Unterschiede (S. 518) Landläufige Beschreibungen von Unternehmern werden eher durch typisch maskuline Eigenschaften vorgenommen. Allerdings bricht das „Diversity“-Konzept die rigide Haltung bestimmter Eigenschaften von Unternehmern auf. Niederle und Versterlund (2007) kamen zu dem Schluss, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf Wettbewerb reagieren – Männer stellen sich dem Wettbewerb, obwohl die Leistung bei beiden Geschlechtern gleich war, lieber. Frauen scheinen eher selbstkritischer zu sein. Der Einfluss von Geschlechtsstereotypen (S. 519) Passauer (1992) zeigte, dass unabhängig vom Geschlecht der befragten Unternehmer bzw. Unternehmerinnen, Unternehmenspersönlichkeiten als emotional belastbar und unabhängig beschrieben wurden. Passauer (1992) forderte aber auch dazu auf erfolgreiche Unternehmer und erfolgreiche Unternehmerinnen zu beschreiben. Jede Person musste beide Idealtypen beschreiben; die Reihenfolge wurde jedoch variiert. Es zeigte sich folgendes: musste zuerst der männliche Unternehmer beschrieben werden und dann die Unternehmerin, so meinten 30.6% die Unternehmerin hätte die gleichen Eigenschaften, während es in der Gruppe, die zuerst die weibliche Unternehmerin und dann den Unternehmer beschreiben sollte, nur in 12% 90 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat der Fälle so war. Die Asymmetrie war in der Gruppe der befragten Männer noch deutlicher: 73% sagten die Unternehmerin sei so wie der Unternehmer, aber nur 15% sagten, dass er wie sie wäre. In der Gruppe der Frauen war die Asymmetrie gering (46% vs. 37%). Dieses Ergebnis kann mit der Theorie von Tversky (1977) über die Asymmetrie von Ähnlichkeiten erklärt werden. Prototypen sind ihren Abkömmlingen wesentlich weniger ähnlich, als die Abkömmlinge den Prototypen. Männer werden als prototypische Unternehmer gesehen, was sich auch in weiteren Analysen zeigte (Kirchler, 1996, 1997). Die Ergebnisse von Passauer könnten allerdings durch soziale Erwünschtheit verfälscht sein, weshalb Kirchler (2001) Stereotype von männlichen und weiblichen Führungskräften anhand von Todesanzeigen untersuchte. Hinsichtlich der Beschreibung zeigten sich v.a. von 1974-1986 deutliche Geschlechtereffekte, denen allerdings in den Jahren 1992-1998 eine deutliche Annäherung folgte. Während sich bei den Männern von 1974 bis 1998 eine deutliche Zunahme personenorientierter Attribute zeigte, kam es bei Frauen zu einem Anstieg aufgabenorientierter Attribute. Die Rolle von Geschlechtsstereotypen und ihr Einfluss auf Gründungsintentionen (S. 524) In der Studie von Gupta et. al (2009) zeigte sich, dass Geschlechtsrollenstereotype und die Identifikation mit dem Geschlecht die mit der Wahrnehmung von Unternehmern und der Intention Unternehmer zu werden signifikant zusammenhängen. Sowohl junge Frauen als auch Männer verbanden in der Studie stereotyp männliche Eigenschaften. Es ist jedoch nicht das biologische Geschlecht für die Gründungsintention verantwortlich, sondern die Identifikation der Person mit männlichen Eigenschaften. Personen (sowohl Männer als auch Frauen), die sich stärker mit Männern identifizierten, zeigten höhere Gründungsabsichten. Müller (2008) untersuchte Geschlechtsstereotypen und unternehmerische Selbstwirksamkeit. Frauen und Männer unterschieden sich hinsichtlich der Selbstwirksamkeit nicht. Der Zusammenhang zwischen Geschlechtsrollen, unternehmerischer Tätigkeit und Selbstwirksamkeit erwies sich aber als komplex. Während im Gründungsprozess sowohl maskuline als auch feminine und androgyne Eigenschaften relevant zu sein scheinen, dürfte im weiteren Verlauf der Unternehmung eine maskuline Orientierung (sowohl bei Frauen als auch Männern) wichtig sein. Runyan et. al (2006) untersuchte geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl in den Persönlichkeitsmerkmalen, als auch im Sozialkapital (hilfreiche Beziehungen, Reziprozität, gemeinsame Visionen). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen in Bezug auf Innovation, Eigeninitiative und Risikobereitschaft den Männern ebenbürtig sind und auch soziales Kapital über die Geschlechter gleich verteilt ist. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Frauen oft in finanziellen Belangen benachteiligt werden, die persönlichen Ressourcen aber gleichermaßen vorhanden sind. Weibliche Führungskräfte (S. 527) Wunderer und Dick (2002) befragten männliche und weibliche Führungskräfte und stellten fest, dass sich die Situation weiblicher Führungskräfte positiver darstellt, als aus verschiedenen Studien erwartet werden könnte. Sie unterschieden sich nur wenig in Disposition und Verhalten, wie in berufsbezogenen Werthaltungen, Führungsformen und Aufstiegsambitionen. Dennoch haben ambitionierte Frauen mit einigen Problemen zu kämpfen: Verbindung von Familie und Karriere (Mutterschaften als zentraler Grund der männlichen Dominanz im Führungskräftebereich) Weibliche FK fühlen sich anerkannt, müssen sich aber häufiger fachlich beweisen Sie finden auch schwerer Zugang zu Info-, Beziehungs- und Fördersystemen Wunderer und Dick (2002) fassen auch einige Fördermaßnahmen für Frauen zusammen: Kinderbetreuung (wenn möglich im Betrieb) Trainings (Selbstbewusstsein, Durchsetzung), Ermutigung zur Weiterbildung Job Sharing, Teilzeitstellen Kontakt halten während Familienpause Verankerung der Chancengleichheit in Unternehmensgrundsätzen 7.4. Lohn und Lohngerechtigkeit (S. 527) Das Gehalt ist ein monatlich gleichbleibendes Arbeitsentgelt, während der Lohn als Stundenlohn definiert wird und täglich, wöchentlich oder monatlich ausbezahlt wird und 91 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat monatlich variieren kann. Vergleichen unselbstständig Tätige ihr Gehalt vergleichen sie Nominallöhne. Der Nominallohn entspricht dem, in einer bestimmten Währungseinheit ausgedrückten, als Arbeitsvergütung bezahlten Geldbetrag, während der Reallohn die Relation zwischen Nominallohn und einem aktuellen Preisindex verstanden wird. Warum ist den meisten Personen das Einkommen so wichtig? Thierry (1992) führt folgenden Gründe für die Bedeutung des Arbeitsentgeltes für Arbeitnehmer an: 1) Bedürfnisbefriedigung: Geld bietet die Möglichkeit eine Reihe von Bedürfnissen zu befriedigen; v.a. Sicherheitsbedürfnisse, persönliche Kompetenzgefühle, Bedürfnisse zur Selbstverwirklichung 2) Relativer Status: der Lohn informiert über die Quantität und Qualität der erbrachten Leistung. Lohnempfänger können über ihren Lohn ihre Leistung mit der Leistung anderer Personen vergleichen und damit ihren Stellenwert am Arbeitsplatz definieren. 3) Kontrollmöglichkeiten: Gehaltsverhandlungen erfordern Geschick und Überzeugungskraft. Die Lohnhöhe kann als Ausdruck der Einflussmöglichkeit auf andere Personen gesehen werden. 4) Konsummöglichkeiten: individueller Wohlstand Hohe Löhne werden von Unternehmen auch instrumentell eingesetzt, um qualifizierte Arbeitskräfte zu behalten oder anzuwerben und um Qualitätsarbeit anzuspornen (Lohnzulage für Mehrarbeit, etc.). Lohn ist ein Motivationsfaktor (Geld als sekundärer Verstärker; Geld wird aber auch als Stressor erlebt, siehe Ariely: http://www.youtube.com/watch?v=yQqIfWHqyto). Die Wirkung von Lohn als Anreiz wird in der prädecisionalen Phase (Rubikon-Modell, Heckhausen), in der Phase des Wählens, bedeutsam. Das Rubikon-Modell der Motivation teilt Motivationsprozesse in 4 Phasen ein: Prädezisionale Phase: ein Ziel wird aus einem Set mehrere Alternativen ausgewählt. In dieser Phase geht es um die Frage warum Menschen bestimmte Ziele gegenüber anderen präferieren. Präaktionale Phase: Standards bezüglich des gewählten Zieles werden gesetzt. Je nach Aufgabenkomplexität, Rückmeldung über die Handlungsausführung und subjektiver Überzeugung, wirksame Änderungen herbeiführen zu können, wird die „Arbeit“ angegangen. Aktionale Phase: die Handlungsausführung wird durch Volition kontrolliert Postaktionale Phase: Ergebnisse werden beurteilt und Ursachen für Erfolg und Misserfolg gesucht Der Lohn als Anreiz für die Wahl, eine bestimmte Arbeitsleistung zu erbringen, wird in der Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs-Theorie von Vroom (1964) beschrieben. 1) Valenz: subjektiver intrinsischer Wert oder Anziehungskraft von einer bestimmten Handlung oder bestimmten Handlungsergebnissen 2) Instrumentalität: Verknüpfungsart der Handlungsfolgenergebnisse; -1 bedeutet, dass eine Handlung oder ein Mittel mit Sicherheit die Zielerreichung verhindert, +1 gibt zwangsläufige Zielerreichung an 3) Erwartung: Unausführbare Leistungen werden mit 0 bewertet, bis +1, d.h. die Leistung ist realisierbar Setzt man Lohn als Motivator ein, muss zuerst sichergestellt werden, dass Arbeitskräfte die monetäre Entlohnung besonders hoch schätzen (Valenz). Je wahrscheinlicher Leistung zu einer Lohnerhöhung führt (Instrumentalität) und je wertvoller ein hoher Lohn ist (Valenz), umso wertvoller erscheint eine hohe Leistung. Die Motivation, eine hohe Leistung zu erbringen, ist umso höher, je wertvoller das Handlungsergebnis erscheint, und je größer die subjektive Erwartung ist (Erwartung), die Leistung auch erbringen zu können. 92 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Heckhausen (1989) entwickelt das Modell weiter, indem er auch die Situation berücksichtigt. Ein Ergebnis kann durch die Situation bereits festgelegt sein. Nein: Kann das angepeilte Ergebnis selbst herbeigeführt werden? Ja: Sind die möglichen Folgen des Ergebnisses wichtig genug? Ja: Führt eine Handlung auch zu den gewünschten Ergebnisfolgen? Porter und Lawler’s Motivations-Zufriedenheitsmodell (1968): Der Lohn wirkt als extrinsische Belohnung auf die Leistungsanstrengung. Je nach subjektivem Wert eines Ergebnisses (z.B. Lohnerhöhung), und je nach vermuteter Wahrscheinlichkeit und Erfahrung, dass eine bestimmte Anstrengungsintensität zu den gewünschten Ergebnissen führt, ist die tatsächliche Anstrengung hoch oder niedrig. Je nach subjektiv wahrgenommener fairer Belohnung wird die Zufriedenheit mit der Leistung, und letztlich die Arbeitszufriedenheit, hoch oder niedrig sein. Wiswede (1991) integrierte soziale Normen und Gruppendruck in das Modell. Das Arbeitsverhalten ist außer von der Valenz des Ergebnisses von internen EffizienzErwartungen, von Konsequenz-Erwartungen, den Normen und Rollenzwängen und der Neigung, diesen sozialen Erwartungen zu entsprechen abhängig. Der Arbeitslohn wird als gerecht erlebt, wenn er der Arbeitsleistung entspricht. Theoretische Erklärung für das subjektive Erleben von Lohngerechtigkeit bietet die Equity-Theorie von Adams (1965). Vergleich zwischen der eigenen Leistung (Input; II) und dem Lohn (Output; OI) und der Leistung anderer (IA) und deren Lohn (OA); Personen erleben Gerechtigkeit, wenn das Verhältnis zwischen der eigenen Leistung und dem eigenen Lohn dem Verhältnis der Leistung anderer und deren Lohn entspricht, ansonsten wird Diskordanz oder Ungerechtigkeit erlebt. Überbezahlung führt zu Schuldgefühlen, Unterbezahlung zu Ärgerund Frustrationsgefühlen. Robbins (1993) führt 4 mögliche Vergleichspunkte an: 1) 2) 3) 4) Vergleich mit einer Person in einer anderen Position im selben Betrieb Bzw. in einem anderem Betrieb Vergleich mit einer Person innerhalb des Betriebes Bzw. außerhalb des Betriebes Shore und Tashchian (2006) untersuchten interne Lohnvergleiche mit Personen in der gleichen Organisation und externe Lohnvergleiche mit Personen in einem anderen Unternehmen. Je höher der Lohn eines Arbeitnehmers, desto zufriedener und motivierter ist er. Die Lohngerechtigkeit ist am höchsten bei gleicher Bezahlung. Sofern eine Person im Unternehmen weniger verdient als eine vergleichbare Person in einem anderen, wird aber Überbezahlung in der eigenen Org. als fair empfunden. Gruppenvergleiche wiegen auch schwerer als Einzelvergleiche: verdienen viele Personen mehr als der einzelne Arbeitnehmer ist die Unzufriedenheit größer. Wenn ein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Lohn wahrgenommen wird, dann kann eine Person ihren Input (z.B. Leistung) senken oder verbessern ihren Output versuchen zu ändern (z.B. bei Akkordlohn, Stückzahlen erhöhen) ihre Leistung auf- oder abwerten die Leistung anderer Personen auf- oder abwerten einen anderen Vergleichsanker benutzen kündigen oder durch Fehlzeiten, Krankenstand aus dem „Feld gehen“ Nicht nur in derselben Position ist das wahrgenommene Gleichgewicht relevant, auch zwischen unterschiedlichen Positionen. Die teilweise eklatanten Lohnunterschiede können durch die Turniertheorie der Ökonomie erklärt werden sollen zu Höchstleistungen 93 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat anspornen. Allerdings gibt es nicht nur Einkommens-Sieger, sondern auch EinkommensVerlierer, die zu große Lohndifferenzen als ungerecht wahrnehmen. Weibel und Bernard (2006) relativieren die psychologischen Effekte der großen Lohnschere und meinen, dass diese aus 2 Gründen motivierend wirke: Die Aussicht auf einen Karrieresprung übt dann einen großen Reiz aus, wenn der Einkommenszuwachs groß ist. Der Anreiz ist dann besonders groß, wenn Beförderungen auf tiefen Gehaltsstufen anstehen und mit einer Beförderung weitere Beförderungen möglich sind. Weil auf tiefen Gehaltsstufen mehr Beförderungen möglich sind, muss der Gehaltssprung am Ende der Karriereleiter überproportional sein (weil nicht mehr soviele Sprünge möglich sind). Im Einzelsport konnte die Turniertheorie bestätigt werden (je höher das Preisgeld, desto besser die Leistungen). Im Mannschaftssport aber nicht! Es steht daher zu befürchten, dass die Turniertheorie auch zu unfairen Konkurrenzhandlungen führen kann. Lohngerechtigkeit führt auch immer zur Geschlechterfrage: trotz politischer Bemühungen verdienen Frauen weniger und erklimmen nur niedrigere Positionen als Männer. Zur Akzeptanz der Unterschiede im Einkommen führte Jan (2008) eine interessante Studie durch, in der er 8 Vignetten konstruierte (Männlich/weiblich; hohe/geringe Arbeitsleistung; bedürftig/nicht bedürftig). Unabhängig vom Alter, Familienstand und Beruf beurteilten die Befragten das Einkommen als zu niedrig, wenn die Vignette von einem Mann sprach, dessen Bedürftigkeit sowie Arbeitsleistung hoch war. Selbst Frauen empfanden das Gehalt, wenn in der Vignette von einer Frau die Rede war, als zu hoch. Mit höherer Bildung nahm die Diskriminierung aber ab. Schönheit beeinflusst das Lohnniveau. Hamermesh und Biddle (1994) wiesen nach, dass attraktivere Personen 10% mehr Gehalt bekamen. Auch in dem Public-Good-Game von Andreoni und Petrie (2008) waren Teilnehmer gegenüber attraktiven Mitspielern kooperativer. Wenn allerdings bekannt war wie viel die Teilnehmer zu dem öffentlichen Gut beitrugen verschwand der Bonus und führte sogar zu negativer Kooperation, weil von attraktiven Menschen kooperatives Verhalten erwartet wurde. Arbeitserfahrungen werden aber nicht nur durch die Leistung und den Lohn bewertet. Faktoren, wie das Image der Organisation, das Betriebsklima, Statusmerkmale, Büroeinrichtungen, Unterstützung durch Mitarbeiter sind auch zu berücksichtigen. 7.5. Arbeitslosigkeit (S. 542) Eine der größten Sorgen der Bevölkerung betrifft den Verlust des Arbeitsplatzes. Arbeitslosigkeit ist damit nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches und politisches. Die Arbeitslosenquote bezeichnet den Anteil der Arbeitslosen an den unselbstständigen Arbeitskräften. 7.5.1. Psychosoziale Folgen der Arbeitslosigkeit (S. 543) Arbeitslosigkeit bedeutet den Verlust von - der Tagesstruktur von ökonomischer Sicherheit der Karriereperspektive von sozialer Anerkennung von Sozialkontakten mit Arbeitskollegen des Gefühls der eigenen Wichtigkeit in der Gesellschaft von Anregungen durch die soziale Umwelt der Ernährerrolle in der Familie (v.a. für Männer) Arbeitslosigkeit ist ein schockierendes Lebensereignis, dass aufgrund der sozialen Netze nicht mehr vorwiegend die Gefährdung materieller Reproduktion bedeutet. Dennoch stellen Waters und Moor (2001, 2002) fest, dass die ökonomischen Nachteile, die Arbeitslose erfahren diese zur Einschränkung von Ausgaben und Veränderung von Freizeitaktivitäten zwingt. Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 94 Arbeitslosigkeit bedeutet auch einen Verlust sozialer Kontakte. In kollektivistischen Gesellschaften, wie z.B. in Süditalien waren Arbeitslose aber mit dem Leben weniger unzufrieden, als in individualistischen Gesellschaften (z.B. Norditalien). In kollektivistischen Gesellschaften können Arbeitslose mit der Unterstützung von Familie und Freunde rechnen (Martella und Maass (2000). Arbeitslosigkeit kann sich auch auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken. Vor allem die physische Gesundheit der Kinder wurde in einigen Studien als verheerend dokumentiert. Über Erwachsene liegen nur wenige Studien vor. In der Studie von Jahoda (1983) fielen die gesundheitsschädlichen Belastungen der Fabrikarbeit weg, wodurch die Gesundheit kurzfristig anstieg. Brenner (1979) bestätigte die positive Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Aufenthalten in psychiatrischen KH, sowie Herzkrankheiten. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und der Suizidrate bei Männern wurde in zahlreichen Studien über den gesamten Globus bestätigt. Noh (2009) fügte hinzu, dass höhere Suizidraten in wirtschaftlich reicheren Ländern und höheren Einkommensschichten zu beobachten seien. . Jahoda et al. (1983) führten eine Studie über die Arbeitslosen in Mariental durch. Die finanziellen Einbußen bedrückten die Dorfbewohner schwer und äußerten sich in 4 unterschiedlichen Typen. Je nach verfügbarem Geldmitteln/Kopf reichte die Lage von erträglich bis aussichtslos. Nimmt man den Geldwert von 100 für die Ungebrochenen an, dann liegen die Resignierten bei 88, die Verzweifelten bei 74 und die Apathischen bei 56 Geldeinheiten/Kopf. 1) die Ungebrochenen: recht gutes Befinden, Zukunftspläne, aufrechter Haushalt, gepflegte Kinder, wiederholte Versuche Arbeit zu finden 2) die Apathischen: energielos, Gleichgültigkeit, Trägheit, verkommener Haushalt, verwahrloste Kinder, häufige Familienkonflikte, Alkoholismus; die Wirtschaftsführung des Haushaltes richtete sich nicht nach den wichtigsten Bedürfnissen, sondern war spürbar irrationaler als in allen 3 anderen Gruppen. 3) die Resignierten: kaum Zukunftspläne, ohne Hoffnung, aber aufrechter Haushalt, gepflegte Kinder, gutes Befinden 4) die Verzweifelten: aufrechter Haushalt, gepflegte Kinder, aber auch Verzweiflung, Depression, Hoffnungslosigkeit In der Studie von Jahoda (1983) zeigte sich der allmähliche Zerfallsprozess von ungebrochen über resigniert bis verzweifelt und schließlich apathisch nach dem Arbeitsverlust auch in der Veränderung der Zeitwahrnehmung und –erfahrung. In ihrer Studie trugen die Teilnehmer auch ihre Tagesabläufe ein, wodurch klar wurde, dass die Frauen ihren Tagesablauf in Form der Kinder- und Haushaltsbetreuung aufrechterhielten, während jener der Männer zusammenbrach. Zur Auflösung der Zeitstruktur kam das deprimierende Gefühl hinzu, nicht mehr gebraucht zu werden, was in Resignation mündete. Rogge, Kuhnert und Kastner (2007) untersuchten ebenfalls die Zeitstrukturen bei Arbeitslosen und konnten mittels eines problemzentrierten Interviews 3 Typen von Zeitstrukturen herausarbeiten: Rigidität, Rahmenstruktur und Strukturlosigkeit. Während sich also bei einigen Arbeitslosen die Zeitstruktur auflöst, nimmt sie bei anderen rigidere Formen an. Aus diesem Grund dürfte das Prozessmodell von Jahoda (1983) auch nicht korrekt sein. Außerdem merkt auch Cole (2007) an, dass die heutigen sozialen Absicherungen damals nicht vorhanden waren, weshalb andere Ergebnisse zu erwarten seien. Aber trotz der finanziell besseren Lage sind die psychologischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit noch vergleichbar. Auswirkungen von Arbeitslosigkeit in der Gesellschaft: 95 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat - Verstärkung der Kriminalität, v.a. Jugendlicher Zunahme von Drogenabhängigkeit, Selbstmordversuchen, Symptomen Zunahme von Einlieferungen in psychiatrische Kliniken Zunahme psychosomatischer Erkrankungen depressiven Auswirkungen auf den Einzelnen: - Abnahme des Selbstwertgefühles als auch des Vertrauens gegenüber Mitmenschen Depression, Apathie, Gefühl des Unwertseins und der Hoffnungslosigkeit Zunahme der sozialen Isolation Entwicklung von Schuldgefühlen und Vorwürfen hinsichtlich der eigenen Familie Auswirkungen auf die Angehörigen: - Zunahme familiärer Konflikte Bei Kindern Zunahme von Entwicklungsstörungen, Beziehungsprobleme in der Familie Schulleistungsschwächen, Auswirkungen auf Beschäftigte angesichts von Massenarbeitslosigkeit: - Verschärfung des Leistungsdrucks Erhöhung des Konkurrenzdrucks Unterlassung berechtigter Krankmeldungen oder Kuranträge Dragano (2007) führte eine Studie betreffend der Auswirkungen auf die Gesundheit von Beschäftigten in Unternehmen, in welchen Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, durch. Er konnte bestätigten, dass sowohl Personen, die direkt von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen waren, als auch jene, deren Arbeitssituation in dem Unternehmen nicht verändert wurde, eine schlechtere Gesundheit aufwiesen als Vergleichspersonen aus Betrieben, in denen nicht rationalisiert wurde. Betroffen berichteten zudem nicht nur die höchsten Symptomwerte, sondern auch öfter Unzufriedenheit mit dem Vorgesetzten und eine höhere Arbeitsplatzunsicherheit. Arbeitslosigkeit verändert auch politische Überzeugungen und hat Einfluss auf politische und gesellschaftliche Aktivitäten der Betroffenen. Es kommt zu einem abflauenden Interesse an Politik (weniger Arbeiterzeitungsabos, Austritt aus Gewerkschaft, etc.), bei einer gleichzeitigen gefühlsmäßigen Auflehnung gegen das bestehende Gesellschaftssystem. Arbeitslosigkeit ist zwar ein erster Schritt in Richtung einer revolutionären Stimmung, führt aber von sich aus nicht zu einer Bereitschaft für Massenaktionen (Zawadski und Lazarsfeld, 1935). Die Annahme zunehmender Gewaltbereitschaft in ökonomischen Krisenzeiten v.a. in sozial schwachen Gruppen scheint nicht haltbar zu sein (Wacker, 1983). Allerdings konnte Frey (1999) zeigen, dass der Anteil der Arbeitslosen mit den Wahlergebnissen der NSDAP korreliert war. Falk und Zweimüller (2005) belegten, dass Arbeitslosigkeit mit rechtsextremistischen Verbrechen korreliert war. Siedler (2006) fand einen positiven Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeitserfahrungen der Eltern und rechtsextremistischer Einstellung Jugendlicher. 7.5.2. Differenzielle Wirkung der Arbeitslosigkeit (S. 552) Bisher wurden die allgemeinen Wirkungen der Arbeitslosigkeit vorgestellt, ohne auf die differenziellen Wirkungen einzugehen. Daher werden im Folgenden Variablen diskutiert, die die Erfahrung der Arbeitslosigkeit auf individueller Ebene beeinflussen. Dauer der Arbeitslosigkeit (S. 552) Eisenberg und Lazarsfeld- 4-Phasen Modell (1938), das den Anpassungsverlauf beschreibt: Verlust der Arbeit vorerst als Schock, der zu einem Gefühl der Verzweiflung, Apathie und 96 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Resignation führt. Dann erholen sich die Betroffenen und sind sehr bemüht, wieder Arbeit zu bekommen. Nach erfolglosen Bewerbungen versinken sie wieder in einem Gefühl der Angst und Resignation, was schließlich zu Fatalismus führt, das unveränderbare Schicksal der Arbeitslosigkeit wird angenommen. In der Tagebuchstudie von Kirchler (1984) konnte dies auch belegt werden. Der Prozess der „Anpassung“ lässt sich durch die Theorie der gelernten Hilflosigkeit von Seligman (1979) erklären, wonach Menschen dann Hilflosigkeit erlernen, wenn sie aversive Bedingungen nicht kontrollieren können, worauf sie mit passiven, resignativen Verhaltensweisen reagieren, begleitet von misserfolgsorientierten Einstellungen. In der Studie von Frese (1977) zeigte sich, dass die Erwartung von Nichtkontrolle mit Depressivität einhergeht. Die Kontrollhoffnung wurde anfangs trotz fehlender Kontrollmöglichkeiten aufrechterhalten, ging jedoch mit anhaltender Arbeitslosigkeit zurück. Langzeitarbeitslose deren Kontrollhoffnung zu Beginn hoch war, zeigten später höhere Depressivitätswerte, als jene mit „realistischer Hoffnungslosigkeit“. Lucas (2007) beschäftigte sich mit der Frage, ob sich kritische Lebensereignisse längerfristig auf das subjektive Wohlbefinden auswirken. Die Set-Point-Theorie, die meint, dass man sich die Lebenszufriedenheit nach einschneidenden Erlebnissen wieder auf das vorherige „normale“ Niveau adaptiert, konnte aber in der Studie von Paul und Moser (2009) nicht bestätigt werden. Auch nach 29 Monaten verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Arbeitslosen. Menschen „gewöhnen“ sich nicht an Arbeitslosigkeit. Wagner (1999) begleitete 350 Menschen, die in einem Betrieb arbeiteten, der Rationalisierungsmaßnahmen durchführen wollte. Der Depressivitätsscore vor Ankündigung der Rationalisierung war auf einem geringen Niveau. Die Depressivitätswerte stiegen signifikant an, als bekanntgegeben wurde, dass rationalisiert würde, aber noch nicht in welcher Abteilung. Nach der Entlassung sanken sie bei den Arbeitslosen wieder signifikant ab, stiegen im Verlauf der Arbeitslosigkeit jedoch wieder stark an. Jene Mitarbeiter, die nie arbeitslos waren und solche, die nach kurzer Zeit wieder Arbeit fanden, berichteten keine gesundheitlichen Beschwerden und auch nur geringe Depressivitätswerte. Subjektive Bedeutung der Arbeit (S. 557) Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit steigt die depressive Verstimmung und die Suche nach Arbeit erlahmt. Allerdings könnte es auch sein, dass eben jene, die verbissen nach Arbeit suchen und ständig Misserfolge einfahren, besonders depressiv verstimmt sind. Es würde bedeuten, dass nicht Erlahmen und Depression korrelieren, sondern die erfolglose Suche und Depression (widerspricht der Theorie der gelernten Hilflosigkeit). Das kognitivmotivationale Modell von Feather und Davenport (1981) untersuchte diese Hypothese. Depressive Affekte sind besonders hoch bei jenen Arbeitslosen, deren Motivation, Arbeit zu finden, hoch ist und denen eine Beschäftigung besonders wichtig ist. Bei geringer Motivation sind die Folgen gering. Die aktive Arbeitssuche lässt sich anhand der Reaktanztheorie erklären. Solange man erwartet, Kontrolle ausüben zu können, führt Unkontrollierbarkeit zu Reaktanz (Arbeitssuche). Nach einer langfristigen Erfahrung von Unkontrollierbarkeit wird man jedoch davon überzeugt sein, dass Kontrollierbarkeit nicht mehr gegeben ist. Die Folge ist Hilflosigkeit. Die Depressivität steigt entweder weiter an oder die Arbeitslosigkeit wird weniger bedrückend erlebt, weil die subjektive Bedeutung der Arbeit herabgesetzt wird. Subjektive Ursachen der Arbeitslosigkeit (S. 558) „Verinnerlichte Sozialnormen“ machen Betroffene für ihre Situation mitverantwortlich und stempeln sie als „Versager“ ab. Die Übernahme dieser gesellschaftlichen Schuldzuweisungen erhöht die Belastungen bei den Betroffenen. Furnham (1982) unterscheidet zwischen individualistischen, gesellschaftlichen und fatalistischen Ursachenzuschreibungen und meint, dass Beschäftigte eher dazu neigen, die Gründe bei den Arbeitslosen zu suchen, während die Betroffenen die Gründe in den wirtschaftlichen Änderungen, gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Handlungen vermuten. Grau und Thomsen (1985) befragten Arbeitslose nach den Gründen für ihre Situation und 97 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat nur 23.1% sahen die Schuld bei sich. Pelzmann (1985) untersuchte über ein Jahr die Änderungen der Attributionsmuster bei Arbeitslosen und stellte ebenfalls fest, dass hauptsächlich externale Ursachen für die Arbeitslosigkeit angeführt wurden. Arbeitslose mit einem positiven Selbstkonzept (hohe Selbstwirksamkeit, hoher Selbstwert und internale Kontrollüberzeugung) fanden schneller wieder Arbeit (Wanberg et. al, 2005). Persönlichkeitsmerkmale: nur wenige Befunde hierzu. Selbstsichere, flexible, begeisterungsfähige Personen mit hohem Selbstvertrauen ertragen ihr Arbeitslosenschicksal eher als Personen, die emotional labil und besorgt sind. Widerstandsfähige, belastbare, extravertierte Personen scheinen schneller wieder eine Arbeit zu finden. Kokko und Pulkkinen (2000) meinen, dass die Aggressivität in der Kindheit als Persönlichkeitsmerkmal Einfluss auf die Langzeitarbeitslosigkeit hat. Aggressive Kinder neigen zu Fehlanpassung in der Schule und brechen die Schule öfter ab wodurch ihre Karrierechancen reduziert sind. Soziodemographische Merkmale (S. 561) Der Verlust der Arbeit wird je nach Alter unterschiedlich erlebt. 45-55- jährige dürften am stärksten belastet sein. Aber auch die 25-45jährigen erleben den Verlust der Arbeit aufgrund familiärer Verantwortung und finanzieller Verpflichtung als bedrohlich. Obwohl es eine kurvilineare Beziehung gibt, dürfte dem Alter als nicht direkt wirksame Moderatorvariable eine gewisse Bedeutung zukommen. Allerdings moderiert nicht das Alter an sich, sondern die mit dem jeweiligen Alter verknüpften Variablen. Geschlecht: Frauen und Männer erleben Arbeitslosigkeit je nach ihrem Rollenverständnis unterschiedlich. In der Metastudie (237 Studien) von Paul und Moser (2009) wurde bestätigt, dass arbeitslose Männer einen schlechteren Gesundheitszustand berichten, als Frauen. Die objektiven Wiedereinstiegsbedingungen, die für Frauen und Männer unterschiedlich sind, scheinen aber bedeutsamer zu sein. Soziale Schichtzugehörigkeit und finanzielle Lage: Der soziale Status einer Person wird oft auf der Basis des Einkommens, der Bildung und der Arbeitsposition definiert. Somit bedeutet Arbeitslosigkeit eine Einbuße des sozialen Prestiges, der Anerkennung und der materiellen Unabhängigkeit. Persönliche Aktivitäten (S. 564) Je sinnvoller die freie Zeit strukturiert und genutzt werden kann, desto Der Arbeitsverlust führt zu einer Auflösung der Zeitstruktur. Daher sind sinnhafte Tätigkeiten, etwa in Vereinen oder Clubs besonders wichtig, um eine hoffnungsvolle Lebensperspektive aufrechtzuerhalten. Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit (S. 564) Entwickeln Betroffene mit zunehmender Erfahrung effektivere Bewältigungsstrategien gegen die Effekt der Arbeitslosigkeit oder potenzieren sich die negativen Erfahrungen? Kirchler (1980) fand Hinweise, wonach sich Arbeitslose, die bereits früher arbeitslos waren, schwerer tun, wieder Arbeit zu finden, als jene Personen, die zum ersten Mal ohne Arbeit sind. Soziale, emotionale und informationelle Unterstützung (S. 565) Durch Freunde, Familie, Clubs, Vereine, Schwarzarbeit, Arbeitsamt haben Arbeitslose vermehrt Zugang zu Informationen über freie Arbeitsstellen. Arbeitslose, die von entsprechenden öffentlichen und privaten Institutionen unterstützt werden, erleben ihre Lage weniger negativ als andere. Während Institutionen vor allem Expertise anbieten, unterstützen Familienmitglieder, Freunde etc. auf emotionaler Ebene („Pufferfunktion“). 98 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Welche Faktoren sind dafür entscheidend, dass Arbeitslose wieder Arbeit finden? (S. 566) Zikic und Klehe (2006) betonen die Wichtigkeit, die Aufmerksamkeit Arbeitsloser auf ihre Stärken und Ressourcen zu lenken und nicht auf die negativen Aspekte der Arbeitslosigkeit. Arbeitslose sollen aktiv nach Arbeit suchen und die Beschäftigungslosigkeit als Chance wahrnehmen, um persönliche Lebensziele und Karrierepläne zu erforschen und anzupassen. Durch den Versuch, mit der eigenen Situation ohne Arbeit zurechtzukommen, werden Arbeitslose zu unabhängigen und selbstbestimmten Akteuren, der Selbstwirksamkeitserwartungen durch die Erkundung von Karrieremöglichkeiten positiv beeinflusst werden können. Dies konnte von Zikic und Klehe (2006) auch bestätigt werden. Auch in der Studie von Paul und Moser (2009) zeigte sich, dass die Verschlechterung nach Job-Verlust geringer ist, als die Verbesserung nach Wiederbeschäftigung. 99 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 8 - FINANZMÄRKTE Nachdem Finanzmärkte, v.a. die Börse, reine Märkte darstellen, kann vermutet werden, dass Entscheidungen auf aggregierter Ebene den Gesetzen des Homo Oeconomicus folgen. In der Verhaltensökonomie und Finanzpsychologie konnte allerdings festgestellt werden, dass auch Finanzmärkte psychologischen Einflüssen unterliegen und Entscheidungsanomalien auch auf aggregierter Ebene zu Ergebnissen führen, die vom Modell des Homo Oeconomicus abweichen. Beispielsweise ist die aktuelle Stimmung der handelnden Akteure relevant dafür, welche Erwartungen sie in Bezug auf Kursentwicklungen haben und umgekehrt spiegeln die Aktienkurse auch die Stimmung wider. 8.1. Die Börse Unter Börse ist ein Markt zu verstehen, auf welchem Güter von Maklern gehandelt werden. Die Preise oder Kurse werden unter geregelten Voraussetzungen und zu definierten Zeiten nach Angebot und Nachfrage gebildet. Es handelt sich um einen organisierten Markt für Wertpapiere (z.B. Aktien, Anleihen), Devisen, Waren (z.B. Rohstoffe, Metalle) oder davon abgeleitete Rechte. Die erste Börse wurde im Jahre 1531 in Antwerpen gegründet. Börse könnte eine Abänderung des Namens der Stadt Brügge sein oder eine Verschmelzung des Namens der Patrizierfamilie van der Beurse und dem lateinischen Begriff „bursa“ für Ledersack. Es werden folgende Börsenarten (Wikipedia, 2010) unterschieden: - Die ersten Börsenarten waren Warenbörsen zum Handel von Waren, vor allem importierten und heimischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Später entstanden Produkt- und Spezialbörsen, die sich auf bestimmte Welthandelsgüter, wie Edelmetalle oder Kaffee spezialisierten. - An Terminbörsen oder Warenterminbörsen werden Warentermingeschäfte abgewickelt sowie Derivate gehandelt. - Auf Wertpapierbörsen oder Aktienbörsen werden Aktien und festverzinsliche Wertpapiere gehandelt. - Auf Devisenbörsen werden Fremdwährungen gehandelt. - Es gibt auch Dienstleistungsbörsen für Geschäfte im Verkehrsund Versicherungsbereich (z.B. Schifffahrtsbörsen). Der Begriff Börse wird synonym mit Wertpapier- und Devisenbörse verwendet. Als reine Finanzmärkte sollten Börsen „effizient“ sein, d. h. alle zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Informationen sollten in den Kursen der gehandelten Werte abgebildet sein. Entsprechend der Markteffizienzhypothese (Fama, 1965, 1970) entsprechen Kapitalmärkte dem Idealbild effizienter Märkte: Viele Marktteilnehmer kennen sofort alle, kostenlos verfügbaren, relevanten Informationen, verarbeiten diese vollständig und schnell und verhalten sich rational und zielorientiert, indem sie je nach Kurs kaufen und verkaufen. Wenngleich klar ist, dass Menschen auf Finanzmärkten weder alle verfügbaren Informationen sofort korrekt verarbeiten noch in kürzester Zeit ihre Geschäfte nach den aktuellen Informationen ausrichten können, so dass die Preise und Kurse entsprechend angepasst werden, wird dennoch angenommen, dass sich individuelle Fehler ausgleichen, Abweichungen vom Rationalmodell unsystematisch variieren und sich auf aggregierter Ebene nicht weiter auswirken. Entsprechend der „Random-walk“ Hypothese repräsentieren auf aggregierten Niveau die Kurse von Wertpapieren Fundamentalwerte. Aufgrund der Selbstregulierungsfähigkeit des Marktes variieren Kurse unsystematisch, d. h. rein zufällig. Die 100 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat täglichen Preisschwankungen von Aktien machen es schwierig, den wahren Wert zu errechnen. Relevant ist, dass immer zukunftsgerichtet auf Gewinne, ausgehend vom aktuellen Kursniveau, spekuliert wird. Preisänderungen können nur aufgrund neuer Informationen entstehen, welche aber nicht vorhersehbar sind – sonst wären sie bereits im Kaufpreis berücksichtigt. Aktuelle Kurse verhalten sich jedoch nicht nach der Markteffizienzhypothese bzw. „Random-walk“ Hypothese und variieren nicht zufällig. Tatsächlich lassen sich viele Akteure am Aktienmarkt davon leiten, wie hoch der Preis der Wertpapiere zum Zeitpunkt des Kaufes war. Vergangene Informationen beeinflussen deren Entscheidungen zu verkaufen oder die Papiere zu halten. Man unterscheidet sog. „noisetraders“, die Informationen nicht berücksichtigen, manche Gerüchte überbewerten und im Gegensatz zu rationalen Händlern zu viel handeln. Andere Investoren -„passive investors“kaufen und handeln dann für lange Zeit nicht mehr. Der Grund für die systematischen Abweichungen vom Rationalmodell könnte daran liegen, dass sich Händler und Investoren nicht rein rational verhalten. Akteure am Finanzmarkt sind oft nicht in der Lage und oft nicht motiviert, komplexe Informationen entsprechend detailliert zu verarbeiten. Sie benutzen Heuristiken, unterliegen Urteilsfehlern und neigen je nach Darstellung eines Sachverhalts zu riskanten Entscheidungen oder reagieren besonders vorsichtig. B ETEILIGUNGSPAPIERE UND F ORDERUNGSPAPIERE Gegenstand des Handels am Kassamarkt (auch Spotmarkt oder Effizienzmarkt genannt, an dem ein vereinbartes Geschäft-bestehend aus Lieferant, Abnahme und Bezahlung – unmittelbar abgewickelt wird) sind Beteiligungspapiere, wie Aktien, Investment- und Indexzertifikate, Partizipationsscheine, sowie Forderungspapiere (z.B. Anleihen, Pfand- und Kommunalbriefe). Durch den Erwerb eines Beteiligungspapiers wird der Käufer zum Miteigentümer eines Unternehmens. Mit dem Erwerb eines Forderungspapiers überlässt der Gläubiger dem Schuldner einen bestimmten Geldbetrag auf bestimmte Zeit. Mit dem Erwerb eines Forderungspapiers ist das Recht auf Kapitalrückzahlung und Verzinsung verbrieft. Aktien verbriefen Anteilsrechte am Grundkapital einer Aktiengesellschaft. Aktionäre sind somit am Vermögen und am Ertrag einer Aktiengesellschaft beteiligt und haben Recht auf eine Dividende. Die Dividende ist jener Gewinnanteil, den die Aktiengesellschaft an seine Aktionäre ausschüttet. Neben dem Recht auf Liquidationserlös bei Auflösung einer Aktiengesellschaft stehen dem Aktionären Vermögensanteile zu. Ein Unternehmen kann Anteile vergeben, um durch den Verkauf der Aktien Eigenkapital zu lukrieren. Das Kapital durch Aktienverkauf ist für Unternehmen sicherer als Fremdkapital, wie etwa Kredite, da mehrere Personen das Risiko der Investition tragen und nicht das Unternehmen alleine (Wiener Börse AG, 2006a, b). Im Unterschied zur Inhaberaktie, welche Aktieninhaber zu den Vorteilen der Aktie berechtigt, ist die Namensaktie auf einen bestimmten Namen ausgestellt und die Vorteile der Aktie stehen nur dem Namensträger zu. Die wohl bekanntesten Forderungspapiere sind Anleihen. Unter einer Anleihe ist ein Vertrag zu verstehen, in welchem geregelt ist, dass mehrere Zeichner (Anleger) den Emittenten (Ausgeber) für eine vereinbarte Laufzeit und Verzinsung ein bestimmtes Kapital zur Verfügung stellen. Der Gläubiger hat das Recht auf Verzinsung sowie auf Rückzahlung des eingesetzten Kapitals. Zeichner von Anleihen können ihre Anleihen entweder bis zur Rückzahlung (Tilgung) behalten oder sie vorher verkaufen. Die Entscheidung zum Verkauf hängt von der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus ab. Steigt dieses, so fällt der Preis von Anleihen und umgekehrt. 101 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat S POTMÄRKTE UND T ERMINMÄRKTE Basiswerte (z.B. Aktien, Anleihen, Metalle, Rohstoffe) werden an Spotmärkten gehandelt. Spotmärkte sind dadurch gekennzeichnet, dass Geschäftsabschlüsse und Geschäftserfüllung gleichzeitig stattfinden. Optionen und Terminkontrakte (Futures) werden an Terminmärkten gehandelt. Im Gegensatz zum Spotmarkt erfolgt die Geschäftserfüllung zu einem späteren Zeitpunkt. Die Geschäftsmodalitäten wie Preis, Menge und Liefertermine werden von den Vertragspartnern bereits bei Geschäftsabschluss vereinbart. Bei einem Termingeschäft kann sich bsp. ein Ergaslieferant gegen einen zukünftigen Preisanstieg eines Basiswerts (z. B. Erdgas) absichern, da der Preis lange vor dem Tausch vereinbart wurden (Wiener Börse AG, 2006a, b). D ERIVATE (O PTIONEN UND F UTURES ) Derivate Finanzgeschäfte sind Geschäfte, bei denen ein Abschluss und die Ausführung der Transaktion zeitlich voneinander getrennt liegen. Lieferung und Zahlung erfolgen zu einem festgelegten Preis und zu einem vereinbarten in der Zukunft liegenden Zeitpunkt. Zu den bekanntesten Derivaten zählen Optionen, welche dem Käufer berechtigt, gegen die Bezahlung einer Prämie (Optionsprämie) eine bestimmte Menge eines Basiswertes (z.B. einer Aktie) zu einem festgelegten Zeitpunkt (europäische Option) oder innerhalb einer bestimmten Periode (amerikanische Option) und zu einem im Vorhinein festgelegten Preis (Basispreis) zu kaufen (Call-Option) oder zu verkaufen (Put-Option). I NVESTMENTFONDS Investmentfonds stellen das gemeinsame Vermögen von vielen Anlegern dar. Jeder Anleger erwirbt entsprechende Anteile am Gesamtvermögen des Fonds. Das Fondskapital wird durch eine Kapitalgesellschaft veranlagt, die meist Tochterunternehmen von Banken oder Versicherungen sind. Es werden offene und geschlossene Fonds unterschieden. Bei offenen Fonds können jederzeit neue Anteile an Investoren ausgegeben werden; bei geschlossenen Fonds gibt es eine festgelegte Anzahl an Anteilen. Die Vorteile von Investmentfonds für Privatanleger liegen in der breiten Risikostreuung und dass das investierte Kapital von professionellen Fondsmanagern verwaltet wird, welche sich täglich mit Markt- und Börseentwicklungen auseinander setzen und wenn es die Marktlage erfordert, Umschichtungen in der Fondszusammenstellung vornehmen (Wiener Börse AG, 2006a, b). Man unterscheidet verschiedene Investmentfonds: - Aktienfonds (Wert des Investmentfonds hängt von den Kursen dieser Aktie ab) - Rentenfonds (besteht nur aus Anleihen) - Mischfonds (besteht aus Aktien und aus Anleihen) - Länder- oder Branchenfonds (haben Veranlagungen aus best. Ländern oder Branchen) - Dachfonds (ein aus vielen verschiedenen Fondgesellschaften zusammengestellter Fond) DEVISENMARKT Am Devisenmarkt (auch Foreign Exchange Market oder FX Market genannt) werden Währungen (bzw. auf Währungen lautende Forderungen, sog. Devisen) gehandelt. Er repräsentiert den grössten Finanzmarkt der Welt. Im Folgenden werden einige Begriffe aus dem Börsenalltag definiert (Wiener Börse AG, 2006a, b): 102 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Außerbörslicher Handel (OTC-Markt): bezeichnet Handel, außerhalb der Börse, findet direkt zwischen den Handelsteilnehmern statt. Blue Chips: Als Blue Chips werden jene Aktien bezeichnet, die an der Börse eine hohe Marktkapitalisierung und Liquidität aufweisen. Briefkurs (Ask) und Geldkurs (Bid): Der Briefkurs ist jener Kurs, zu dem Wertpapiere, Devisen, Rohstoffe zum Verkauf angeboten werden. Der Geldkurs, ist jener Kurs, zu dem Wertpapiere zum Ankauf nachgefragt werden. Die Differenz beider Kurse wird „Spread“ genannt. Broker vs. Trader: Als Broker wird ein Wertpapierhändler bezeichnet, der im Auftrag eines Kunden Börsengeschäfte durchführt. Trader führen hingegen eigene Börsengeschäfte durch. Bullish vs. Bearish: Als Bullenmärkte werden jene bezeichnet, die sich im Aufwärtstrend befinden; Bärenmärkte weisen auf einen Abwärtstrend hin. Chart: ist eine grafische Darstellung der Kursentwicklung von einzelnen Aktien, Aktienindices, Währungen, Rohstoffe, etc. Chartanalyse: Die Chartanalyse ist ein Versuch, Kursentwicklungen zu prognostizieren. Es wird davon ausgegangen, dass Kursentwicklungen best., sich wiederholenden Trends folgen. Fundamentalanalyse: Sie zielt darauf ab, die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens und wirtschaftliche Aspekte des Umfelds zu bewerten. Index: Ein Index ist eine statistische Kennzahl, mit der Wertänderungen gegenüber einen früheren Zeitpunkt dargestellt werden können. Das Kursniveau an einem best. Tag stellt den Ausgangspunkt dar und Entwicklungen von Werten werden ausgehend von dem festgelegten Ausgangstag festgehalten. Junk Bond: Junk Bonds sind hoch riskante Anleihen, meist von Schuldnern schlechter Bonität mit dem Vorteil hoher Verzinsung Kurs-Gewinn-Verhältnis: Der momentane Wert von Aktien relativ zum erwarteten Gewinn wird im Kurs-Gewinn-Verhältnis ausgedrückt. 103 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Marktkapitalisierung: Sie entspricht dem börsenmäßigen Wert einer Aktiengesellschaft (Produkt aus der Gesamtzahl der Aktien und dem aktuellen Börsenkurs). Market Maker: Ein Börsenmakler, der die Aufgabe hat, die Handelbarkeit oder Marktliquidität von Wertpapieren zu sichern. Portfolio: Unter Portfolio ist die Gesamtheit der Veranlagungen in Wertpapieren, die ein Kunde besitzt, zu verstehen. Warenbörse: An Warenbörse können Rohstoffe, landwirtschaftliche Produkte oder Nahrungsmittel gehandelt werden. Zyklische Werte: Aktien, die in Zeiten eines Wirtschaftsaufschwungs steigen und in Zeiten einer Rezession fallen, werden als zyklische Werte im Gegensatz zu antizyklischen Werten bezeichnet. 8.2. PSYCHOLOGIE AN DER BÖRSE Die Finanzkrise 2007/08 hat klar gemacht, dass am Finanzmarkt ein gehöriges Maß an Psychologie im Spiel ist. Die Verhaltensökonomen greifen mit dem Verweis auf den Einfluss der Psychologie die Effizienzmarkthypothese direkt an. Kursbewegungen am internationalen Finanzmärkten können nicht ausschließlich anhand des Rationalmodells erklärt werden. Der „faire“ Wert eines Wertpapiers wird zumindest kurz- und mittelfristig durch die Verarbeitung der zur Verfügung stehenden Informationen durch die Marktteilnehmer gebildet. Relevante Informationen werden ignoriert, während irrelevante Informationen zu viel Beachtung geschenkt wird. Im Folgenden werden psychologische Phänomene beschrieben, die am Finanzmarkt zu suboptimalen Entscheidungen führen. Durch dieses Verhalten werden Kursschwankungen ausgelöst, welche nicht die Fundamentalwerte der gehandelten Papiere widerspiegeln. Die Phänomene sich als kognitive Fehler bekannt. Übersteigerte Gewissheit (Überkonfidenz), übersteigerter Optimismus, asymmetrisches Risikoverhalten, Verlustaversion und Heuristiken, die schnelle Entscheidungen ermöglichen, aber auch in die Irre führen, sind einige dieser Fehler. Weiters spielen Emotionen in Entscheidungen eine wichtige Rolle und oft richtet sich der Einzelne sein Verhalten an dem aus, was die „Herde“ der anderen Händler macht. 104 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Abbildung: Fehlerquellen in Finanzentscheidungen (nach Montier, 2010, S.57) Aus einer Studie von Diacon und Hasseldine (2007) ging hervor, dass Studienteilnehmer sich in ihrer Auswahl von der vergangenen Entwicklung der Wertpapiere beeinflussen ließen, obwohl die vergangene Entwicklung keine Aussagekraft auf die zukünftige Entwicklung eines Wertpapiers haben dürfte (Mussweiler & Schneller, 2003). 8.2.1 Ü BER - UND U NTERREAKTIONEN Neue Informationen am Finanzmarkt führen zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren sowie zu Kursänderungen. Schlechte Neuigkeiten bedingen fallende Kurse: Berichte über Schwierigkeiten von Unternehmen, Verluste oder geringere Gewinne als erwartet, bedeuten, dass sich die Fundamentalwerte eines Unternehmens ändern und deshalb die Aktien dieses Unternehmens einen geringeren Wert haben als bisher. Informationen über politische Wahlergebnisse, politische Krisen, Krieg oder Naturkatastrophen wirken ebenfalls auf die Kursentwicklung auf der Börse ein. Schachter, Hood, Gerin, Andreassen und Rennert (1985) liefern einige Beispiele dazu. Je unsicherer eine Person bezüglich der Glaubwürdigkeit der verfügbaren Informationen und je turbulenter die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situationen ist, umso eher orientieren sich Börsenmakler in ihren Geschäften an 105 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat externen Ereignissen. Wenn in der New York Times ein Mord berichtet wurde, fiel im Durchschnitt der Umsatz um 6%. Gefühle statt kühle Überlegungen, die Illusion, Mechanismen der Kursänderungen verstanden zu haben und Entwicklungen kontrollieren zu können, stereotype Interpretationskonzepte und Entscheidungsheuristiken statt extensiver Datenanalyse, soziale Verhaltensnormen und Gruppeneinflüsse, wechselnde Stimmungen und persönliche Motive bestimmen den Gang der Börse mit. Investoren am Markt lernen auf dem Aktienmarkt aus vergangenen Entwicklungen: Wenn über Jahre hinweg auf Aktienmärkten ein stabiler Aufwärtstrend herrscht, dann dürften Investoren auf weitere positive Geschäfte vertrauen und unabhängig von Tagesereignissen handeln. Wenn die Geschäfte labil sind, dürften hingegen externe Faktoren handlungsrelevant werden. Auch ökonomische Variablen sind für die Volatilität verantwortlich. Diese Extrapolation stellt meist eine Überreaktion dar, weil Kursentwicklungen häufig eine Tendenz zur Mitte aufweisen. Wie lange ein Trend anhält, ist schwer zu prognostizieren. Der Glaube, dass negative Ereignisse andere Personen eher treffen als einen selbst (Überoptimismus), Kontrollillusionen, also die Meinung, zufallsabhängige Ereignisse beeinflussen zu können sowie die überhöhte subjektive Sicherheit über die Richtigkeit eigener Urteile (Überkonfidenz) sind Ursachen der Selbstüberschätzung und zu optimistischer Prognosen der Kursentwicklung von eigenen Wertpapieren (Moore, Kurtzberg, Fox & Bazerman, 1999). 8.2.2 D ISPOSITIONSEFFEKT Stellen Sie sich vor, sie haben zwei Aktienpakete. Paket A wurde zum Wert von € 500 gekauft, hat aktuell gewonnen und nun einen Wert von € 1.000. Paket B wurde für € 1.500 erstanden, hat aktuell verloren und nun ebenfalls einen Wert von € 1.000. Wenn sie nun ein Aktienpaket verkaufen müssen, welches Paket verkaufen sie? Meist verkaufen Anleger das Gewinnerpaket und weigern sich, durch den Verkauf der Verliereraktien einen Verlust von € 500 zu realisieren. Auch an der Börse halten Anleger Verliereraktien zu lange und verkaufen Gewinneraktien zu schnell. Dieser Effekt wird Dispositionseffekt genannt (Shefrin & Statman, 1985). Häufig wird die Prospect-Theorie von Kahneman und Tversky (1979) zur Erklärung des Dispositionseffekts zitiert. Nachdem Verluste psychologisch mehr wiegen als Gewinne, werden vor allem Verluste zu vermeiden versucht. Durchschnittlich wird ein Verlust etwa als zweimal so groß empfunden wie ein Gewinn. Deshalb werden riskante Handlungen gesetzt, wenn die Aussicht besteht, einen Verlust wettzumachen. Wenn der Kaufpreis von Aktien als Referenzpunkt für die Feststellung dafür, ob der Wert gestiegen oder gesunken ist, gesehen wird, dann sind jene Aktien, die teurer verkauft werden können als sie erstanden wurden, Gewinneraktien. Umgekehrt sind Verliereraktien jene, die zu einem Wert unter dem Einkaufswert veräußert werden müssen. Verliereraktien werden gehalten, weil die Möglichkeit besteht, dass der Kurs wieder steigt, auch dann, wenn weitere Verluste drohen. Umgekehrt werden Gewinneraktien verkauft, weil die Möglichkeit besteht, dass der Preis wieder sinkt und der Gewinn verpufft, auch dann, wenn weitere Kurssteigerungen möglich sind. Dass vorangegangene Gewinne zu einer höheren Risikobereitschaft führen können, beschreibt der „house-money-effect“ (Thaler & Johnson, 1990). Auch Aktienhändler nehmen kürzlich erzielte Gewinne aus dem Verkauf von Aktien noch nicht als ihr eigenes Geld wahr. Aus diesem Grund fällt es ihnen leichter höhere Risiken einzugehen und ev. auftretenden Verlusten nicht zu viel Bedeutung beizumessen.Warum Investoren den Verkauf von Verlustaktien vermeiden, obwohl sie die steuerlichen Vorteile eines „tax swap“ nutzen könnten, könnte durch den Verweis auf mentale Buchführung erklärt werden (Thaler, 1985). Beim Verkauf der Verliereraktien wird das entsprechende Konto für die gekauften Aktien eröffnet. Beim Schließen des alten Kontos wird ein Verlust wahrgenommen, worauf Investoren empfindlich reagieren. Durch gezielte Selbststeuerung könnte dem Dispositionseffekt entgegengewirkt 106 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat werden (Thaler & Shefrin, 1981). Auch die Erfahrung über die Ergebnisse anderer Personen kann den Dispositionseffekt reduzieren. Eine weitere Einschränkung ließ sich bei Personen beobachten, denen eine positive Stimmung induziert wurde (Pinon & Gärling, 2004). Schwarz (2000) erklärt dieses Verhalten damit, dass Menschen in positiver Stimmung Informationen weniger genau verarbeiten als jene in einer neutralen oder negativen Stimmung. 8.2.3 R ISIKOSTREUUNG Möchte ein Investor sein Vermögen in Aktien anlegen, so wird er vermutlich verschiedene Alternativen von Aktien und anderen Wertpapieren wählen. Im Sinne der Risikoreduktion scheint Diversifikation eine gute Strategie zu sein. Wenn der Wert einer Aktie sinkt, ist nur ein Teil des veranlagten Geldes verloren. Wenn die Volatilität von Aktien hoch ist, besteht hohe Gewinnmöglichkeit; allerdings auch hohe Gefahr, zu verlieren. Ein optimales Portfolio sollte hohe Rendite bei einem festgesetzten Risikoniveau versprechen (Markowitz, 1959). Benartzi und Thaler (2001) konnte gleichmäßige Verteilung auf mehrere Optionen bei Lien nachweisen. Wer die Möglichkeit erhält, sein Vermögen in relativ risikolose Anleihen und in riskantere Aktien zu investieren, kauft oft für die Hälfte des Vermögens die einen und für die andere Hälfte des Vermögens die anderen Papiere. Dieses Vorgehen wird als 1/n Heuristik bezeichnet. „Naive“ Anleger glauben dadurch ihr Risiko minimieren zu können, achten dabei aber häufig nicht auf das Risiko der einzelnen Wertpapiere und der Korrelationen zwischen den Kursänderungen der Wertpapiere. Zu geringe Diversifikation besteht auch bezüglich der Aktien von heimischen Unternehmen und internationalen Firmen. French und Poterba (1991) konnten den sog. „Home-Bias“ bei Investoren nachweisen. Anleger wählen größtenteils Wertpapiere aus dem eigenen Land. Hierbei ignorieren sie, dass deren Werte untereinander mehr korrelieren als die Werte von Papieren aus verschiedenen Ländern. 8.2.4 R ÜCKSCHAUFEHLER In der Rückschau werden häufig Ereignisse verzerrt wahrgenommen und bei vergangenen Ereignissen besteht oft die Illusion, man hätte ihren Ausgang schon immer entsprechend geahnt. Die Tendenz, sich im Nachhinein nicht korrekt an frühere Vorhersagen zu erinnern und zu meinen, Schätzungen in Richtung der tatsächlichen Entwicklungen abgegeben zu haben, wird als Rückschaufehler oder Hindsight Bias bezeichnet. 3 Ursachen können für den Hindsight Bias verantwortlich sein: Zum einen, schlichte Erinnerungsfehler, zum anderen der Glaube „es schon immer gewusst zu haben“ (Hölzl, Kirchler & Rodler, 2002), und zum Dritten, die auch als „creeping determinism“ bekannte Annahme „dass es ja so kommen musste“ (Nestler, Blank & Collani, 2008). Am Finanzmarkt besteht die Gefahr der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, mit der Annahme, zukünftige Entwicklungen seien voraussagbarer als sie tatsächlich sind. Die Tendenz zu Rückschaufehlern hindert Menschen daran, ihre Prognoseüberlegungen zu hinterfragen und etwaige Korrekturen durchzuführen, eben zu lernen. 8.2.5 R EPRÄSENTATIVITÄTSHEURISTIK Stehen Menschen in Entscheidungssituationen unter zeitlichen Druck, sind die Informationen hoch komplex oder ist die Motivation, alle relevanten Informationen zu berücksichtigen, gering, so entscheiden Laien und Experten häufig auf Basis von Heuristiken. Es gibt kaum eine Branche, in welcher die Komplexität der Informationen und der Zeitdruck bei Entscheidungen grösser sind als am Finanzmarkt. Die Repräsentativitsätsheuristik bezieht sich neben dem „Baseline-Fehler“ auch auf den „Konjunktionsfehler“. 107 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Beispiel: Konjunktionsfehler Oberlechner (2004) führte eine Untersuchung durch, in der sowohl Devisenhändler als auch Finanzjournalisten folgende Aussagen bezüglich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit sortieren sollten: a) Der US Dollar wird gegenüber der Deutschen Mark steigen b) Der Schweizer Franken wird im Dezember stärker sein als im Juli c) Der US Dollar wird gegenüber der Deutschen Mark steigen und der Schweizer Franken wird im Dezember stärker sein als im Juli d) Der US Dollar wird gegenüber der Deutschen Mark steigen oder der Schweizer Franken wird im Dezember stärker sein als im Juli Insgesamt 75% der befragten Devisenhändler hielten die detaillierte Aussage (c) für besonders wahrscheinlich. Derselbe Fehler konnte auch bei 74% der Finanzjournalisten ermittelt werden. 8.2.6 A NKERHEURISIK Wenn Menschen numerische Urteile abgeben sollen, neigen sie zur Assimilation der numerischen Schätzung oder Prognose an einen anderen Wert, auch unabhängig von dessen inhaltlicher Relevanz. Wenn wir einen Wert errechnen oder vorgegeben bekommen, dann richten wir anschließende Urteile und Schätzungen an diesem Wert aus. Dieser Wert dient als Anker (siehe auch Montier, 2003). Benartzi und Thaler (1995) postulieren, dass die Auswahl des Referenzpunktes in den meisten Fällen unbewusst geschieht und maßgeblich dafür verantwortlich ist, ob ein Investor einen Verlust oder Gewinn wahrnimmt. Wenn der Kauf von Aktien nicht zu lange zurückliegt, stellen die Basiswerte der Aktien einen wichtigen Referenzpunkt dar. Ein weiterer Referenzpunkt ist der höchste Preis, den ein Investor für die jeweiligen Aktien in der Vergangenheit erzielen konnte. Ku, Galinsky und Murnighan (2006) berichten von einem gegenteiligen Effekt als dem Ankereffekt, den sie „Starting Low but Ending High“-Effekt nennen. Auf Auktionen können niedrige Einstiegspreise zu hohen Endpreisen führen. Der Grund dafür könnte sein, dass Aktien, die zu einem niedrigen Wert emittiert werden, zumeist am ersten Tag ihrer Emission hohe Tagesendpreise erzielen. Zum einen regen niedrige Einstiegspreise zu einer Teilnahme an Auktionen bzw. am Kauf von Aktien an. Je mehr Personen an Auktionen oder am Markt teilnehmen, desto eher steigen die Preisen. Zum anderen führen niedrige Einstiegspreise die Bieter dazu, Zeit und Energie in das Auktions- und Marktgeschehen zu investieren und diese Investitionen bedeuten versunkene Kosten, welche einen Ausstieg aus dem Geschehen erschweren. Bieter könnte aus der regen Teilnahme daraus schließen, dass es sich um besonders wertvolle Güter handelt und deshalb die Bereitschaft da ist, einen höheren Preis zu zahlen. 8.2.7 R EKOGNITIONSHEURISTIK Um die Rekognitionsheuristik anwenden zu können, ist partielle Ignoranz nötig. Das bedeutet, dass sich Personen in Entscheidungssituationen auf die ihnen bekannte Alternative beschränken, während sie die unbekannte Alternative unberücksichtigt lassen. Die Rekognitionsheuristik kann von Laien angewandt werden, welche partielles aber nicht vollständiges Wissen haben und auch nicht völlig unwissend über Aktiengesellschaften sind. 8.2.8 E MOTIONEN Wenn von der „Psychologie der Börse“ die Rede ist, sind häufig Emotionen gemeint, die das Geschehen prägen. Das momentane Befinden, Stimmungen und Gefühle sowie antizipierte Emotionen wirken sich auf Entscheidungen und Urteile aus. Peters, Västfjäll, Gärling und Slovic (2006) unterscheiden zwischen Emotionen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung erlebt werden, aber nicht mit der Aufgabe selbst in Zusammenhang stehen sowie Emotionen, die antizipiert werden, wie Bedrohung, Optimismus und Pessimismus, und Emotionen, die direkt mit einer Auswahl in Verbindung stehen, wie Freude über die Konsequenzen der Auswahl, 108 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Bedauern und Enttäuschung. In guter Stimmung und bei geringer Aktivierung treffen Menschen häufig wenig intensiv überlegte Entscheidungen, als in einer negativen, intensiven Stimmungslage. In einigen Studien wurde auch der Einfluss von stimmungsauslösenden Variablen, wie Temperatur, Sonnenschein oder Regen nachgewiesen (Dowling & Lucey, 2005; Nofsinger, 2005). Bei schlechtem Wetter dürfen die Aktienkurse eher fallen als bei Sonnenschein. Antizipierte Gefühle aufgrund der Konsequenzen einer Entscheidung reicht das Spektrum von Freude und Stolz bis zu Enttäuschung und Bedauern. Während ein negatives Ergebnis Enttäuschung evoziert, dürfte eine positive Konsequenz Bedauern auslösen, wenn die entsprechende Alternative nicht gewählt wurde (Zeelenberg, 1999). 8.2.9 S OZIALE E INFLÜSSE Wenn Investoren vermehrt Aktien eines bestimmten Unternehmens oder einer bestimmten Branche kaufen, können andere Investoren deren Verhalten beobachten, sich darüber austauschen und zum Schluß kommen, dass diese Aktie im Wert steigen wird. Wenn Investoren bestimmte Aktien kaufen und andere ihnen folgen, wird von Herdenverhalten am Finanzmarkt gesprochen. Sias (2004) definiert Herdenverhalten als Tendenz von Investoren, dem Verhalten anderer Investoren (blindlings) zu folgen und ebenfalls zu kaufen oder zu verkaufen. Herdenverhalten ist eine gleichförmige Verhaltenstendenz definiert, wobei die Gleichförmigkeit auch zustande kommen kann, wenn der Kauf oder Verkauf von Aktien nicht der sachlich gegebenen Informationslage entspricht. Schulz-Hardt, Vogelgesang und Mojzisch (2007) sprechen von drei Arten von sozialem Einfluss: Einfluss über interpersonelle Kommunikation und Gruppenprozesse, Einfluss über Medieninformationen und Einfluss durch die Beobachtung des Verhaltens anderer Investoren. In Gesprächen über die Finanzlage können Gerüchte gebildet werden, sich ausbreiten und einige Anleger handeln entsprechend den Gerüchten. Auch wenn Kursänderungen zufällig sind, werden häufig Muster und Tendenzen erkannt und beschrieben. Wenn Anleger über Medien Gründe für Preisänderungen erfahren, können Sie daraus schließen, dass ein Trend zumindest für einige Zeit anhält. „Gegen den Strom schwimmen“ kostet Überwindung und falls es sich herausstellen sollte, dass eigenwilliges Handeln zu Verlusten führte, ist die Enttäuschung groß und ebenfalls das Bedauern, Gewinne nicht eingefahren zu haben (Loomes & Sugden, 1982). Keynes (1936/1997) merkte an, dass es für die eigene Reputation weniger schädlich ist, konventionell Fehler zu begehen, also Fehler zu machen, die viele machen, als unkonventionell gegen den Strom zu schwimmen und vielleicht Recht zu behalten oder auch nicht. Prozesse der Informationsweitergabe und Akzeptanz dieser Information werden als Informationskaskaden bezeichnet. Eine spekulative Blase stellt definitionsgemäß die Differenz zwischen dem Marktpreis und den Fundamentalwert einer Anlage dar. Das bedeutet, dass der Buchwert der Vermögensgegenstände stark von langfristigem Preistrend abweicht (Cornicello, 2003). Dieser langfristige Trend bestimmt sich durch die abgezinsten erwarteten Gewinne und erwarteten Dividenden der Anlage. Begriffserklärung: Spekulative Blase Eine spekulative Blase stellt die Differenz zwischen dem Marktpreis und dem Fundamentalwert einer Anlage dar. Das bedeutet, dass der Buchwert der Vermögensgegenstände stark vom langfristigen Preistrend abweicht (Cornicello, 2003). Dieser langfristige Trend bestimmt sich durch die abgezinsten zukünftig erwarteten Gewinne und erwarteten Dividenden der Anlage. Eine spekulative Blase entsteht dann, wenn der tatsächliche Kurs stark von den Fundamentalwerten einer Anlage abweicht und wesentlich höher ist, als er sein sollte. Da das betreffende Wertpapier zukünftig weiter im Wert steigt, können die Preise von Vermögensgegenständen immens in die Höhe schießen und sich aufblähen. Da die 109 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Wertsteigerung nicht endlos weitergehen kann, platzt diese Blase irgendwann. Wenn erkannt wird, dass die Kurse überhöht sind, kann es zu massiven und panikartigen Verkäufen von Anlagen kommen, so dass extreme Preisstürze ausgelöst werden (Genze, 2006). Für die Entwicklung von Spekulationsblasen werden verschiedene Mechanismen verantwortlich gemacht (Fenzl, 2009, Shiller, 2000, Wärneryd, 2001): Finanzielle Ansteckung, gegenseitige psychologische Ansteckung und psychologische Aufschaukelung. Bei der finanziellen Ansteckung handelt es sich um die Ausbreitung von Spekulationsblasen über physische Geldflüsse im internationalen und globalen Handel mit Gütern. Über direkte Kommunikation anderer Händler entwickeln Investoren Hoffnungen bezüglich einer Aktie, eines Unternehmens oder einer Unternehmensbranche. Manche lassen sich von Informationen anstecken und fragen entsprechend vermehrt nach gewinnversprechenden Papieren, andere sind resistent und ändern ihr Kauf- und Verkaufsverhalten nicht. Wenn die Kurse gestiegen (oder gefallen) sind, die Massenmedien immer noch über die enormen Kursgewinne berichten, aber die Nachrichten, die zum Kursanstieg führten, keine Neuigkeiten mehr darstellen, ist der Zeitpunkt nahe, an dem der Verkauf der Aktien ratsam ist. 8.2.10 E RFOLGSEIGENSCHAFTEN : Ü BER DIE „S ÜNDEN “ AM F INANZMARKT 8.2.10.1 FEHLER VON INVESTOREN Die wichtigste Eigenschaft eines erfolgreichen Devisenhändlers war laut einer Studie von Oberlechner (2004) die Fähigkeit, schnell auf Neuigkeiten zu reagieren. Des Weiteren wurden Disziplin, Erfahrung, Konzentrationsfähigkeit und Stressresistenz entdeckt. Das Schlusslicht bildeten soziale Fertigkeiten. Montier (2005) bietet eine Zusammenstellung von Fehlern an den Finanzmärkten an und nennt sie die „Sieben Todsünden des Fondsmanagement“: Sieben Todsünden des Fondsmanagement: 1) Hochmut: Die Sünde der übertriebenen Prognosesicherheit 2) Völlerei: Die Sünde der Informationsanhäufung und Illusion von Wissen (Ab einer bestimmten Information sind wir überfordert und unsere Entscheidungen werden nicht besser) 3) Wolllust: die Sünde des Glaubens an Managerinformationen 4) Missgunst: Die Sünde übermäßigen Selbstvertrauens (wenn bestimmte Information auf steigende Aktienkurse hinweist, sind viele Händler der Überzeugung diese Information am schnellsten verarbeiten und umsetzen zu können) 5) Habsucht: Die Sünde der Hyperaktivität (Fondsmanager setzen immer mehr auf kurzfristige Handelserfolge) 6) Trägheit: Die Sünde der Leichtgläubigkeit (Aktienhändler nehmen Gerüchte oft unreflektiert als harte Tatsachen auf, weil sie den verlockenden Gewinnaussichten schwer widerstehen können) 7) Zorn: Die Sünde der Gruppenentscheidung (Die Dynamik einer Gruppe kann zur Verstärkung von Fehlannahmen führen; Vielfalt von Meinungen wird meist nicht geäußert oder schnell als unrichtig abgetan) 110 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 8.2.10.2 VERTRAUEN IN FINANZINSTITUTE Das Vertrauen der Sparer und Investoren in Banken und Institute, die am Finanzmarkt aktiv sind, sind von essenzieller Relevanz. Gärling, Kirchler, Lewis und van Raaij (2010) nennen sieben Kriterien, welche dem Vertrauen zugrunde liegen: 1. Die Kompetenz der Akteure ist relevant. Repräsentanten am Finanzmarkt, von Geldinstituten und Banken müssen sachlich fundiertes Wissen über Finanzprodukte haben und in der Lage sein, den Kunden dieses Wissen korrekt zu übermitteln. 2. Integrität bedeutet, dass alle Kunden ehrlich und sorgfältig beraten werden und sich die Akteure authentisch verhalten. Integrität kann durch die Verordnung und Kontrolle des Ehrenkodex sichergestellt werden oder durch politische Autoritäten. 3. Transparenz bedeutet Offenheit sowie die Benutzung einer für Kunden verständlichen Sprache, dass Regeln und Verfahren kommuniziert werden und dass Kunden mitgeteilt werden, welche Verzinsung und Preise für die Dienstleistungen des Geldinstituts anfallen und in welcher Weise Veränderungen des Geldinstituts anfallen und in welcher Weise Veränderungen der ökonomischen Lage die Kosten für Kunden beeinflussen. 4. Wohlwollen seitens der Geldinstitute bedeutet, dass die Vertreter der Institute im Kundenkontakt die Perspektive der Kunden einnehmen können, deren Interessen berücksichtigen und nicht nur die eigenen Interessen verfolgen. 5. Wertkongruenz bezieht sich auf Werthaltungen der Geldinstitute und der Kunden. Normen und Werte der interagierenden Parteien sollen kongruent sein. Kongruenz ist eine Voraussetzung für die Identifikation der Kunden mit ihren Finanzinstituten sowie für Kundenbindung. 6. Stabilität der Geldinstitute bedeutet, dass diese eine kontinuierliche und langfristig ertragssichernde Arbeit machen. Ein Geschäftsmodell sieht vor, dass die Interessen der „Stakeholders“ vor den Interessen der „shareholders“ stehen, und nicht nur kurzfristig Gewinne für die Aktionäre maximiert werden. Viele Investitionen sind langfristig geplant, deshalb muss sichergestellt werden, dass die Institutionen, denen vertraut wird, durch sachlich-kompetente Arbeit ihre Versprechen auch einhalten können und dies durch sachlich korrekte Arbeit auch tun. 7. Reputation ist schließlich das positive Image der Geldinstitute, welches für Vertrauen ausschlaggebend ist. Leistungen in der Vergangenheit und die Kommunikation über diese Leistungen sowie die Werthaltungen eines Geldinstitutes bilden die Basis für dessen Reputation. Positive Assoziationen schließen den „Katalog“ an Voraussetzungen für Vertrauen in die Finanzinstitutionen. 111 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 9 - GELD, INFLATION UND WÄHRUNGSUMSTELLUNG 9.1 G ELD Geld unterscheidet sich von anderen Tauschmitteln dadurch, dass es nicht unmittelbar den Bedarf eines Tauschpartners befriedigt, sondern aufgrund allgemeiner Anerkennung zum weiteren Tausch von Gütern eingesetzt werden kann. Mit der Differenzierung des Warenangebotes würde der Tauschhandel ohne Geld komplex und schwierig sein, da ein Naturalientausch, welcher als Barter-Geschäft bezeichnet wird nur dann gelingen kann, wenn sich zwei Marktteilnehmer finden, welche die getauschte Ware zum aktuellen Zeitpunkt benötigen. Die Entwicklung eines Mediums, das allgemein anerkannt, substituierbar, teilbar, unverderblich und in der Herstellung billig ist (Puhani, 2003) erleichtert den Handel. Marktteilnehmer können Geld für ihre Leistungen nehmen und darauf vertrauen, dass der Wert des Geldes durch eine dritte Partei mit hoher Reputation garantiert ist, von anderen Handelspartnern akzeptiert wird und das Geld gegen Waren und Dienstleistungen anderer Handelspartner eingetauscht werden kann (el Sehity & Kirchler, 2008). Die Geschichte des Geldes beginnt mit dem Geltungsstreben von Menschen und dem Bedürfnis nach Schmuck, welcher Würde, Rang und Status symbolisiert. Geschätzte und wertbeständige Güter, wie Muscheln, Silber und Gold, wurden als Tauschmedium eingesetzt. Im Mittelalter dienten häufig Silberbarren und Münzen als Zahlungsmittel, wobei der Wert durch das Gewicht der Barren und Münzen bestimmt war. In Europa wurde im 15. Jahrhundert Papiergeld ausgegeben, welches in Form eines Kreditgeldes funktioniert. Dies stellt eine offene Forderung gegenüber einem Schuldner dar, welcher zur Zeit der ersten Banknoten nicht die Bank als allgemein anerkannte und vertrauenswürde, weil zahlungsfähige Institution war, sondern Personen, deren Schuldscheine zur Zahlung verwendet wurden. Durch die Einführung von Banken, die Schuldscheine jederzeit in Gold tauschten, konnte die Effizienz der Zahlungsvorgänge gesteigert werden. Während das Vertrauen in Banken zu Beginn der Entwicklung des Papiergeldes darauf beruhte, dass Schuldscheine durch Gold gedeckt waren, ist dies heute nicht mehr der Fall, weil die Reserven nicht der gesamten im Umlauf befindlichen Geldmenge entsprechen. Die Marktgüter werden dadurch bezahlt, dass eine offene Forderung (das Papiergeld) an einen Dritten (den Verkäufer) abgetreten wird. Die Reputation des Schuldners (die Bank) und das Vertrauen darauf, dass dieser zahlen wird, stellen die entscheidende Basis für das Funktionieren des Geldes in Form von Banknoten dar. Dieses Kreditgeld stellt eine Forderung an die Zentralbank dar. Ursprünglich beruhte das Vertrauen in Papiergeld darauf, dass es jederzeit bei der Bank in Goldmünzen umgetauscht werden konnte und dieses Vertrauen war durch den Glauben an das Bestehen von ausreichenden Reservebeständen an Kurantmünzen bzw. Gold begründet. Über Geld werden sämtliche Tauschvorgänge in einer Wirtschaft organisiert und gesteuert. Geld wird als Zahlungsmittel anerkannt und fungiert als Recheneinheit, indem eine Geldeinheit das gemeinsame Maß für die Bewertung verschiedener Güter ist. Geld ist ein Wertspeicherungsmittel. Während viele Güter schwer oder gar nicht gehortet werden können, kann Geld optimal aufbewahrt und jederzeit gegen ein Gut eingetauscht werden (Burghardt, 1977). 112 Ökonomisch Funktionen des Geldes: Kirchler, E. (2011)bedeutsame - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 1. Transaktionsmotive: Geld ist universelles Tauschmedium und erleichtert Transaktionen, weil für ein bestimmtes Gut kein im Wert vergleichbares und vom Tauschpartner gewünschtes Gegengut gesucht werden muss. 2. Vorsichtsmotive: Geld eignet sich als Sparmittel und ermöglicht die Aufnahme von Krediten. Geld kann gehortet und angespart werden, sodass zu einem späteren Zeitpunkt ein entsprechendes Gut gekauft werden kann. 3. Spekulationsmotive: Geld ist ein Gut zur Spekulation, weil beispielsweise in Erwartung hoher Zinsen Wertpapiere gekauft oder Spareinlagen getätigt werden können. Geld erfüllt seine Funktionen, wenn Wirtschaftsakteure, Unternehmer, Investoren, Verbraucher und staatliche Einrichtungen einander vertrauen und wenn sie Vertrauen in die Institutionen haben, welche den Wert des Geldes garantieren. Vertrauen wird unterschiedlich definiert: Wer sich einer Sache, einer Person oder Institution sicher sein kann, muss nicht vertrauen. Wer hingegen nicht sicher ist, wie ein Partner reagieren wird, muss hoffen, dass dieser nicht selbstsüchtig und zum Schaden des Vertrauensgebers handelt. Die Ungewissheit impliziert, dass ein Risiko besteh, einen Schaden zu erleiden und dass aufgrund des Verzichtes auf Kontrolle, das eigene Schicksal vom Verhalten des Vertrauensnehmers abhängt. Vertrauens wird als besonderes Gefühl, als Ergebnis von sozialen Interaktionsprozessen oder als Resultat eines rationalen Entscheidungsprozesses unter Risiko verstanden. Vertrauen ist die Etablierung von sozialem Kapital, welches durch die Bereitschaft der Mitglieder eines sozialen Netzes entsteht, miteinander zu kooperieren. Dazu ist soziales Vertrauen notwendig, auf dem sich Kooperation und gegenseitige Unterstützung entwickeln können. In wirtschaftlich instabilen Zeiten entwickeln sich oft Komplementärgeldsysteme, welche als Ergänzung zur offiziellen Währung innerhalb eines definierten, engen Netzes von Wirtschaftstreibenden als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Nach Silvio Gesell (1862-1930) sind Ungerechtigkeiten, die durch leistungsloses Einkommen (das sind Zinsen durch gehortetes Vermögen und Grundbesitz) entstehen, die Hauptursache wirtschaftlicher Krisen. Es müsse gesichert sein, dass das Geld im Umlauf bleibe und nicht einige weniger, vermögenden Personen durch Zinserträge das Einkommen sichere. Im Rahmen der Einführung einer komplementären Währung sind Bedingungen, wie das neue Geld verwendet werden soll und wie sich die Teilnehmer im „Währungsnetz“ verhalten sollen, von besonderer Bedeutung. Laut Gelleri (2005) bietet der spieltheoretische Ansatz Antworten. Durch den Einsatz elektronischer Verfahren können regional überschaubare ökonomische Modelle gebildet werden. Anhand dieser Modelle ist es möglich, verschiedene Faktoren wie regionale Wertschöpfung, umlaufende Geldmenge, Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, Arbeitslosenrate, etc. zu untersuchen. Die Maxime der Spieltheorie lautet, dass alle beteiligten Personen eines „Spieles“ Erwartungen über das Ergebnis und das Verhalten der Mitspieler bilden und daraus eine ideale, weil vorteilhafte Strategie entwickeln. Im Rahmen vieler regional gebundener Währungen wird, um sicherzustellen, dass das Geld im Umlauf bleibt, eine niedrige Inflation eingeführt. Dies hat zur Folge, dass es vorteilhafter ist, Geld schnell wieder auszugeben, anstatt es zu sparen und damit der Wirtschaft zu entziehen. Folgt man dem spieltheoretischen Modell, zeigt sich folgende Entwicklung: Ein Betreiber beschließt in Regionalgeld zu investieren netzwerkstarke Vereine beteiligen sich als Zugpferde am Regionalgeld-System Unternehmen versuchen Kaufkraft an sich zu binden, indem sie die neue Währung als Zahlungsmittel akzeptieren, das Regionalgeld gewinnt an Breitenwirkung und immer mehr Vereine schließen sich an, 113 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Unternehmen erzielen höhere Umsätze, was dazu führt, dass Zulieferer und Erzeuger von den Unternehmen selbst „ins Boot geholt werden“, durch Umlaufsicherung wird bevorzugt Regionalgeld anstatt der amtlichen Währung eingesetzt. Lohnzusatzleistungen sowie neue Arbeitsplätze werden in Regionalgeld bezahlt, regionale Wirtschaftskreisläufe werden gestärkt, was zu mehr Optimismus und Offenheit für Innovationen sowie stärkerer sozialer Stabilität führt. Kritiker vermuten, dass die amtliche Währung gänzliche aus dem Zahlungsverkehr verschwinden würde und ausschließlich als Kapitalanlage genutzt werden würde. Wiederholt wurden die hohen Kosten und der große organisatorische Aufwand bei der Einführung eines solchen Systems genannt. Wenn der Wechselkurs nicht 1:1 mit der regulären Währung gestaltet ist, müssen Preise doppelt angeschrieben werden (Creutz, 2005). Rösl (2008) kritisiert die künstliche Einschränkung der regionalen Währungen auf eine bestimmte Region. Dies führe zu keiner nachhaltigen Regionalförderung, da dieses System einer Abschottung gleichkomme und überregionalen Handel verhindere, welcher zur Weiterentwicklung einer Region notwendig ist. 9.2 S UBJEKTIVE V ORSTELLUNG UND B EDEUTUNG VON G ELD „Geld“ ist ein polymorphes Konzept, also ein Konzept, das nicht klar definiert und abgrenzbar ist. In einer Studie von Rumiati und Lotto (1996) mussten Teilnehmer typische Beispiele für Geld angeben. Banknoten, Schecks, Münzen und Kreditkarten werden als typisch für Geld angeführt. Telefonwertkarten, Vouchers, Wechsel etc. gelten als weniger typisch. Die Autoren schließen daraus, dass sofort nutzbare Zahlungsmittel „ready money“ für Geld prototypisch sind. „Bankgeld“ („bank money“) sind Geldformen, bei denen im Zahlungsprozess auch die Bank involviert ist, steht an nächster Stelle. Geldersatzmittel („money substitutes“), wie Telefonwertkarten, Vouchers etc. liegen an letzter Stelle der Prototypikalität. Eine neue Erscheinungsform des Geldes ist das elektronische Geld, wo der monetäre Wert in Form einer Forderung gegen die ausgebende Stelle auf einem Datenträger gespeichert wird. Die Maestro-Karte ist eine Debitkarte, welche von Banken und Sparkassen ausgegeben wird und die Möglichkeit bietet, auf die Bankkarte Buchgeld (auch Grialgeld) aufzuladen und damit im Handel zu bezahlen. Die Gewöhnung an die elektronische Geldbörse wird durch den hohen Abstraktheitsgrad und die geringe praktische Nutzungsmöglichkeit erschwert und weitgehend abgelehnt, weil die Kontrolle über das verfügbare Geld nur bedingt möglich ist. Aus Sicht der Psychologie kommen dem Geld zentrale Funktionen zu. Die verfügbare Geldsumme als Ausdruck der Kaufkraft des Einzelnen, symbolisiert auch dessen Erfolg, Macht und Unabhängigkeit, bringt soziale Anerkennung und Ansehen. Nachdem die Identität einer Person an dem gemessen wird, was sie tut und was sie hat, wird das Selbst auch über das verfügbare Geld definiert. Belk (1988) und Dittmar (1992) sehen Geld und materiellen Besitz als eine Verlängerung des Selbst oder als Mittel, Dinge zu erwerben oder zu tun, die wiederum Ausdruck des Selbst sind. Yamauchi und Templer (1982) unterscheiden drei Dimensionen, welche die subjektive Bedeutung und den Umgang mit Geld beschreiben: 1. Sicherheit vs. Pessimismus bezieht sich auf die Meinung, mit Geld gut umgehen zu können oder die Angst, über zu wenig Geld zu verfügen, um sich in seinem Leben gegen Bedürftigkeit absichern zu können 2. Zurückhaltung vs. Besessenheit geben die Leichtigkeit an, mit der Geld ausgegeben wird. 114 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 3. Besessenheit vs. Macht beschreibt Assoziationen von Macht, Einfluss und Prestige mit Geld. Frauen sehen Geld weniger funktional und weniger mit dem eigenen Selbst assoziiert als Männer. Für Frauen scheint Geld der Erfüllung hedonistischer Bedürfnisse und pragmatischer Notwendigkeiten zu dienen und Ursache von Neidgefühlen zu sein, wenn relevante Personen vergleichsweise über mehr finanzielle Ressourcen verfügen als sie selbst (Dittmar, 1992; Meier-Pesti & Kamleitner, 2005, Prince, 1993). Tang Tang und Luna-Arocas (2005) ermitteln vier Geld-Typen anhand der „Love of Money Scale“, welche Studierenden vorgelegt wurde: a. Negativ eingestellte Personen: Die intrinsischen und extrinsische Zufriedenheit mit dem Beruf ist gering, der aus dem Beruf resultierende Selbstwert ist niedrig und physiologische Bedürfnisse, sowie Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung sind niedrig. b. Die zeigte Gruppe ist Geld gegenüber indifferent. Sie glauben nicht, dass Geld ihren Erfolg und ihre Selbstachtung adäquat repräsentieren kann. Sie sind darum bemüht, ihr durchschnittlich geringes Einkommen vernünftig zu managen, finden, dass sie ein angemessenes Leben führen können, sind hinsichtlich ihrer Bedürfnisse befriedigt und beschreiben sich als glücklich. c. Die dritte Gruppe bewundert Geld, sind bestrebt, viel Geld zu verdienen, gehen aber mit ihrem Geld ziemlich sorglos um. Die Zufriedenheit ist mittelmäßig. d. In der vierten Gruppe finden sich Personen, die Geld wertschätzen und sehr positive Einstellungen zu Geld ausweisen. Sie bemühen sich viel zu verdienen und verwalten Geld sorgsam. Die Zufriedenheitswerte, der berufsbezogene Selbstwert sind hoch. In der Sprache der Psychoanalyse wird die Bedeutung von Geld als symbolische Verlagerung der Bedeutung von Exkrementen erklärt. Sigmund Freud versuchte die Erfahrungen während der analen Phase auf den späteren Umgang einer Person mit Geld zu beziehen. Weil der Kot als erstes Geschenk des Kindes betrachtet wird, beginnt in diesem Alter die Entwicklung des persönlichen Stils im späteren Umgang mit materiellen Dingen, vor allem mit Geld. Je nachdem ob die Abgabe des Kotes als lustvoll und belohnend erlebt wird oder nicht, entwickelt nach tiefenpsychologischer Ansicht ein Mensch einen Stil im Umgang mit materiellen Gütern, der als geizig, freigiebig, neidvoll oder großzügig beschrieben werden kann. Die Lerntheorien bieten einen wichtigen theoretischen Ansatz zur Erklärung der Bedeutung des Geldes. Geld ist entsprechend der operanten Konditionierung ein generalisierter Sekundärverstärker. Als Verstärker werden Reize verstanden, die dazu führen, dass ein bestimmtes, ihnen vorausgehendes Verhalten, mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit wiederholt wird. Verstärker beeinflussen demnach Verhaltenswahrscheinlichkeiten, wenn sie unmittelbar nach dem entsprechenden Verhalten auftreten. Manche Reize eignen sich unmittelbar zur Befriedigung von Bedürfnissen und werden als Primärverstärker bezeichnet. Diese werden spontan als angenehm erlebt. Andere Reize werden neutral erlegt, können aber über Lernprozesse Verstärkerqualität erlangen und somit zu Sekundärverstärkern werden. Geld ist ein bedeutender generalisierter Sekundärverstärker, weil damit verschiedene Bedürfnisse befriedigt werden können. Oft sind Expansionseffekte feststellbar: Das Geld kann seine Funktion als Mittel zum Zweck verlieren und jenseits seiner Instrumentalität zu einem eigenständigen intrinsisch wirksamen Motiv werden, wobei mehr nach noch mehr drängt (Wiswede, 1991). 115 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 9.3 G ELDWERT : I NFLATION UND D EFLATION Der Wert des Geldes basiert auf dem Vertrauen der Menschen in dessen Kaufkraft. Die Kaufkraft des Geldes entspricht der Gütermenge, die für eine Währungseinheit erworben werden kann. Je mehr Geld in einer Volkswirtschaft zirkuliert, umso mehr Güter werden nachgefragt und als Folge davon werden Güter umso teurer angeboten. Wenn Güter zu höheren Preisen verkauft werden als in der Vergangenheit, dann sinkt die Kaufkraft des Geldes. Wert des Geldes: Der Wert des Geldes und die Zirkulationsgeschwindigkeit des Geldes stehen in Beziehung zur Gütermenge: Je mehr Geld vorhanden ist (M) und je schneller es zirkuliert (V), umso höher sind die Preise der Güter (P) und umso häufiger finden Transaktionen von Gütern gegen Geld statt (T): MV=PT Auf der Angebotsseite werden Preise ansteigen, wenn Produktionskosten steigen, in dem Fall spricht man von einer Kosteninflation. Preise können auch steigen, wenn Unternehmen mit Monopolstellung ihre Marktmacht nutzen und die Preise ihrer Güter heben, um ihren Gewinn zu erhöhen. In diesem Fall wird von Gewinninflation gesprochen. Auf der Nachfrageseite ist mit Preiserhöhungen zu rechnen, wenn die Nachfrage steigt und das Güterangebot gleich bleibt oder sogar sinkt. In der Ökonomie werden diese Arten als Konsum- bzw. als Investitionsinflation bezeichnet. Wenn der Preisanstieg zwischen 2 und 5 Prozent beträgt – was in den westlichen Industrieländern als üblich betrachtet wird – wird von schleichender Inflation gesprochen. Liegt die Inflation bei Werten über 50 Prozent im Monat oder auf ein Jahr gerechnet, über 13.000 Prozent, so wird die Inflation als galoppierend bezeichnet. In der europäischen Währungsunion soll der Stabilitäts- und Wachstumspaket ein stabiles Preisniveau garantieren. Die Europäische Zentralbank (EZB) greift durch die Korrektur der Leitzinssätze oder Senkung der Papiergeldmenge regulierend in den Markt ein. Unter Deflation wird verstanden, dass der Geldwert steigt und das Preisniveau sinkt. Wenn sich in eine Volkswirtschaft in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs befindet, wenn Menschen um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen und ihr Einkommen zukünftig nicht garantiert ist, ist es naheliegend, dass sie sparsam mit ihren finanziellen Mitteln umgehen und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen sinkt. Der Preisverfall führt zu Konsumzurückhaltung, führt zu geringerer Produktion und verminderten Investitionen. Neben Inflation und Deflation, interessiert in der Wirtschaftspsychologie vor allem der subjektive Wert des Geldes. Das Sättigungsgesetz in der Ökonomie geht davon aus, dass der subjektive Wert des Geldes abnimmt, je mehr eine Person davon besitzt. Entsprechend den psychophysischen Gesetzen von Weber und Fechner benötigen wohlhabende Personen wahrscheinlich einen absolut größeren Geldbetrag, um einen eben merklichen Unterschied zu ihrem vorherigen finanziellen Status wahrzunehmen, als Personen mit geringen finanziellen Mitteln. Loewenstein und Issacharoff (1994) zeigten, dass Belohnungen subjektiv höher bewertet werden, wenn sie internen Ursachen, wie der eigenen Leistung, zugeschrieben wurden. Wenn hingegen externe Ursachen, wie Glück oder Zufall, dafür verantwortlich sind, werden Belohnungen geringer bewertet. Unerwartete Gewinne, Geld welches im Glücksspiel gewonnen wurde, wird leichtfertiger ausgegeben und riskanter investiert als Geld, welches durch Arbeit verdient wurde (Arkes, Joyner, Pezzo, Nash, Siegel-Jacobs & Stone, 1994). Wenn der subjektive Wert des Geldes hoch ist, ist der Prospect-Theorie (Kahneman & Tversky, 1979) entsprechend anzunehmen, dass in Situationen mit drohenden Verlusten die 116 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Risikobereitschaft, das Geld zu halten oder zurückzugewinnen, steigt. Ein hoher Aufwand hebt den Wert des Geldes und in Verlustsituationen wird riskiert, um den Verlust zu minimieren. Im Falle leicht verdienten Geldes kann riskiert werden: Sofern die riskante Option gut ausgeht, ist mit hohem Gewinn zu rechnen; geht sie schlecht aus, ist die Enttäuschung gering, nachdem kaum Anspruch auf eine Kompensation der geringen Leistung bestand. Konsumenten scheinen durch hohe Inflationsraten irritiert zu sein, die Wirtschaft als besonders problematisch zu erleben, ihre Ausgaben einzuschränken und bereit zu sein, für noch schlechtere Zeiten zu sparen. In Zeiten hoher Inflation kennen Konsumenten den exakten Preis von Lebensmitteln nicht. Preise, die sich schnell ändern, dürften Konsumenten verunsichern, weil ihre Preiskenntnis sinkt und Prognosen über Preisentwicklungen schwierig sind. Vergangene Preisänderungen werden überschätzt. Im Gegensatz zu linear wachsenden Größen, bereitet die Schätzung exponentiell wachsender Größen den Konsumenten Schwierigkeiten. Kemp (1987) fragte Konsumenten, wie viel sie vor einem Jahr und vor zehn Jahren für ein Gut bezahlt hätten. Die Preise des vergangenen Jahres würden bei weitem unterschätzt, was eine deutliche Überschätzung der Inflationsrate bedeutet. Die Preise vor zehn Jahren wurden hingegen überschätzt. Lässt man Laien frei zu Inflation assoziieren, werden unterschiedliche Zusammenhänge sichtbar (Drori, 2005). In allen Gruppen wurde Inflation mit höheren Preisen, höheren Lebenshaltungskosten und Wertverlust des Geldes assoziiert. Überraschend selten wurden Einkommen, Wirtschaft, Arbeitslosigkeit oder Regierung genannt. 9.4 WÄHRUNGSREFORM UND WÄHRUNGSUMSTELLUNG Begriffserklärung: Währung Unter Währung wird das Geld verstanden, das während einer bestimmten Zeit in einem räumlich begrenzten Gebiet als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Der Verlust des Vertrauens in die Währung wird mit der Einführung einer neuen Währung und flankierenden Maßnahmen zur Festigung der Glaubwürdigkeit zu stoppen versucht. Die Erfahrungen, die zu Währungsreformen führten, sind weitgehend negativ und die Konsequenzen auch: Ersparnisse verloren rasant an Wert, Preise erschienen intransparent und die Gewöhnung an eine neue Preis- und Werteskala war notwendig. Mit der Reform der Währung wird die Gültigkeit des Zahlungsmittels aufgehoben und ein neues, in der Regel auch neu benanntes, wird eingeführt. Meist werden alte Zahlungsmittel gegen neue nach einem bestimmten, gesetzlich festgelegten Umrechnungsschlüssel umgerechnet. Wenn die Währungsreform in der einfachen Umrechnung aller Preise und Werte zu einem einheitlichen Kurs besteht, wird von Währungsumstellung gesprochen. Wirtschaftspolitische Überlegungen führten eine Vielzahl der europäischen Staaten dazu, eine einheitliche Währung einzuführen und die nationalen Währungen aufzugeben. 9.4.1 VORSTELLUNGEN ÜBER DIE WÄHRUNGSUMSTELLUNG: VON DER LANDESWÄHRUNG ZUM EURO Lange bevor der Euro als Bargeld in den Händen der Bürger war, befassten sich politische uns wirtschaftliche Institutionen bereits mit Umstellungsszenarien. Fokusgruppen wurden instruiert, über die Umstellung zu diskutieren und die Ergebnisse der Diskussion wurden genutzt, um einen Fragebogen zu verschiedenen Umstellungsaspekten zu erstellen. 1998 war das Misstrauen in der Bevölkerung und die Furcht beim Einkauf in Geschäften, aus Unkenntnis der neuen Währung „über den Tisch gezogen zu werden“, war groß. Viele Befragte waren 117 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat „innerlich gerüstet“, die Umrechnung vom Schilling zum Euro mit Taschenrechnern genau zu kontrollieren. Händler werden zu ihren Gunsten Preisrundungen vornehmen, das Geld wird an Wert verlieren, das Leben wird teurer werden – so die Befürchtungen, vor allem von EuroGegnern, Frauen und bildungs- und einkommensschwachen Schichten geäußert wurden. Den Medien und Institutionen für Konsumenteninformation wurden die zentralen Kontrollfunktionen zugeschrieben. Aber erst dann, wenn auch der Staat und die Europäische Union (EU) über der Währungsumstellung und Preisgestaltung kontrollierend wachen, könnten sich Konsumenten sicher wähnen. Auf die Frage nach der Verantwortung für die Umstellung und Kompetenz im eigenen Land wurde die Nationalbank an erster Stelle genannt, weil sie als kompetent und einsatzbereit gesehen wurde und für die Umstellungskosten aufkommen kann. An zweiter Stelle wurden Kommerzbanken genannt, auch die Regierung und die EU. Kaum relevant erscheinen Betriebsräte, Arbeiter- und Angestelltenkammer, oder auch der Konsument. Abbildung 9.7. stellt die Kooperationsnetze dar. Die Nationalbank spielt eine wichtige Rolle in Bezug auf die Währungsumstellung. Von der Regierung wird eine zentrale Kontrollfunktion erwartet. 9.4.2 SOZIALE VORSTELLUNGEN UND EINSTELLUNGEN ZUM EURO Die Währungsumstellung war für viele ein neues, unbekanntes, aber relevantes Ereignis das erst kognitiv erfasst werden musste. Im sozialen Diskurs wurde Wissen ausgetauscht, Erwartungen gebildet und bewertet: Soziale Vorstellungen über den Euro und Einstellungen zu Euro wurden gebildet. Soziale Vorstellungen (Repräsentationen) sind als Gesamtheit des Wissens, der Mythen und Legenden über ein sozial relevantes „Objekt“ definiert (Moscovici, 1981). Im sozialen Austausch entwickelt, stellen soziale Vorstellungen über den Euro die von einer Gemeinschaft von Menschen geteilten Meinungen und Gefühle zum Euro dar und ermöglichen der Gesellschaft die Kommunikation darüber. Das Forschungsinteresse am Entstehungsprozess sozialer Vorstellungen über den Euro und am Verblassen der sozialen Vorstellungen über die Landeswährungen, nachdem diese an Bedeutung verloren hatte, war dementsprechend groß. Vor der Einführung des Euro als Bargeld wurde etwa die Deutsche Mark als wesentliches Symbol der nationalen Identifikation Deutschlands angesehen. Mit Einführung des Euro veränderte sich die Vorstellung über die Länder der Währungsunion; der 118 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Euro wurde für die Gemeinschaft als Verbindungssymbol interpretiert. Die Ergebnisse einer Studie von Meier und Kirchler (1998) zeigten, dass Befürworter der Währungsunion und des Euro Vorteile in den Handels- und Mobilitätserleichterungen, den Möglichkeiten und Effekten internationaler Preisvergleiche und in der Währungsstabilität sehen. Auch die Sanierungsbestreben der Staatshaushalte auf dem Weg zur Währungsunion wurden positiv angeführt. Die Ablehnung des Euro resultierte vor allem aus negativen Gefühlen und Befürchtungen staatlichen Autoritätsverlustes. Steigende Arbeitslosigkeit, unfaire Verteilung von Ressourcen innerhalb Europas, Ängste vor privaten finanziellen Verlusten und Währungsturbulenzen wurden häufig von Ablehnern genannt. Während der Euro vor der Währungsumstellung einen diffusen Begriff darstellte, wurde dieses unbekannte Objekt im Laufe der Zeit, im sozialen Diskurs und durch die konkrete Auseinandersetzung im Alltag familiärer und in die Begriffswelt der Bürger der europäischen Staatengemeinschaft integriert. Außer der Erforschung von sozialen Vorstellungen wurden auch Einstellungen zum Euro gemessen. Einstellungen werden als die subjektiven Bewertungen eines Einstellungsobjektes und als das Wissen darüber definiert. Fishbein und Ajzen (1975) beschreiben in ihrer „Theorie des vernünftigen Handelns“ einen engen Zusammenhang zwischen den Einstellungen von Personen und deren Handlungsabsichten. Viele Untersuchungen befassten sich mit der Einstellung zum Euro, um das Verhalten, den Umgang mit der neuen Währung zu verstehen. Während 1998 in allen Ländern die Einstellung zum Euro besser wurde, fiel sie 2000 wieder ab, blieb bis 2003 konstant bzw. leicht steigend, und war 2004 wieder fallend. Jene EU-Bürger, die der EU negativ gegenüber standen, hatten auch negative Einstellungen zum Euro. Die Befürworter des europäischen Integrationsgedankens und der EU waren für die Währungsumstellung. Personen, die sich für die Währungsumstellung interessierten, hoch involviert und über die Umstellung gut informiert waren und sich auch subjektiv gut informiert glaubten, waren dem Euro gegenüber positiv eingestellt. Interessant mag sein, dass mehr das subjektive Gefühl, Wissen zu besitzen, als das objektiv festgestellte Wissen, mit den Einstellungen zu Euro hoch positiv korrelierte. Dies lässt die Interpretation zu, dass der subjektive Eindruck nicht genügend informiert zu sein und nicht genau zu wissen, was passieren wird zu Befürchtungen und Ablehnung führt – Nicht-Wissen macht Misstrauisch. Es hätte auch vermutet werden können, dass mit zunehmenden Wissen über geplante Änderungen und mögliche Konsequenzen die Einstellungen zu Euro extrem positiv oder extrem negativ ausfallen, weil mit zunehmenden Wissen entweder die eine oder die andere Haltung argumentiert werden kann. Mit dem Glauben an prozedurale Gerechtigkeit, als Mitspracherecht der Bürger und mit der Meinung, im eigenen Staat müssten die bestehenden Wohlfahrtsprogramme nicht merkbar eingeschränkt werden und die Beiträge an die EU seien im Vergleich zu den Beiträgen anderer Länder fair, verbesserte sich auch die Einstellung zur Währungsunion und zum Euro. Als relevante Determinante der Einstellung zum Euro erwies sich die Identifikation mit dem eigenen Land und mit der EU. Die erstrebenswerte positive nationale Identifikation gelang entweder durch Stolz auf wirtschaftliche und politische Stabilität des Landes oder durch Stolz auf Kultur und Geschichte. Meier-Pesti und Kirchler (2003a) zeigten in Österreich, dass nationalistisch gefärbte Identifikation mit dem eigenen Land negativ mit der Identifikation mit der EU korreliert, während patriotisch gefärbte Identifikation positiv korreliert. Um eine positive Einstellung zur EU und zum Euro zu entwickeln, ist die duale Identifikation wesentlich. Wer sich mit dem eigenen Land stark identifizierte und der Meinung war, das eigene Land hätte denselben Status wie andere Länder, war dem Euro gegenüber positiv eingestellt, als Personen die dachten, dass das eigene Land einen geringeren Status als andere habe. Wer dem eigenen Land wenig politische Durchsetzungskraft zutraute und die wirtschaftliche Stabilität bezweifelt, musste tatsächlich befürchten, dass andere Länder die Kontrolle übernehmen würden und sich deshalb 119 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat schützen, indem jene abgelehnt wurden und der Euro als Symbol europäischer Einheit zurückgewiesen wurde. 9.4.3 NEUES GELD UND NEUE PREISE: DER WERT DES EURO Mit der Währungsumstellung war es nicht nur notwendig, den Umgang mit vorerst unbekannten Münzen und Geldscheinen, sondern auch eine völlig neue Preisskalierung zu erlernen und ein Gefühl für den Wert von Preisen zu entwickeln. Problematisch waren die Münzen deshalb, weil im Gegensatz zu den meisten Münzen in den Landeswährungen, die relativ geringen nominellen Wert hatten, während Geldscheine höheren Nominalwert hatten, die Euro-Münzen wesentlich höhere Werte darstellen. Aufgrund der geringen Nominalbeträge wurde vermutet, dass es zum Phänomen der Geldillusion (Fisher, 1928; Shafir, Diamond & Tversky, 1997; Patinkin, 1965) kommt. Phänomen der Geldillusion: Das Phänomen der Geldillusion ist dann gegeben, wenn der ökonomische Wert von Geldbeträgen, in denen sie repräsentiert werden, beurteilt wird. In der Regel kommt es dabei zu einer Verzerrung in Richtung nomineller Werte. So wird tendenziell ein höheres Einkommen trotz steigender Inflation bevorzugt; auch wenn die Kaufkraft gleicht bleibt. Die Euroillusion wurde dafür verantwortlich gesehen, dass Konsumenten zu leichtfertig Geld ausgaben, eben weil niedrige Beträge dazu verführen, niedrige Preise zu vermuten. MeierPesti (2002) stellte fest, dass vielen Österreichern Euro-Preis und Euro-Löhne kurz nach der Euroeinführung „zu klein“ erschienen und sie deshalb klagten, kein Gefühl für entsprechende Beträge zu haben. Bei Gütern des täglichen Bedarfs war die Euroillusion geringer ausgeprägt, als bei selten gekauften Gütern und Euro-Gegner waren seltener der Meinung, Preise in Euro seien günstig als Euro-Befürworter (Gamble, Gärling, Charlton & Raynard, 2002). Personen mit eingeschränkter mentaler Verarbeitungskapazität aufgrund guter Stimmung und niedriger Aktivierung unterlagen der Illusion öfter als andere (Gamble, Gärling, Västfjall &Marell, 2003). Die Einführung des Euro hatte in vielen Ländern der EU zur Erwartung und Wahrnehmung steigender Lebenshaltungskosten (Mandl, 2000; European Opinion Research Group, 2001, 2003) geführt. Die Medienberichterstattung vor und zu Beginn der Währungsumstellung trug zur Schaffung und Aufrechterhaltung der Teuerungsangst bei. 2003 nahmen 90 Prozent der österreichischen Bevölkerung eine Preissteigerung wahr und schrieben sie dem Euro zu (Spectra, 2003). Dies scheint im Widerspruch zur Euroillusion zu stehen. Die Wahrnehmung niedrigerer Euro-Preise kann zu einer Verminderung der Kontrolle des eigenen Einkaufsverhaltens und somit zu insgesamt höheren Ausgaben führen. Tatsächlich gestiegene Ausgaben trotz kleiner erscheinender Preis, aber auch kleiner erscheinender Löhne und Gehälter, können die Wahrnehmung von Teuerungen fördern. Dass Konsumenten die ungewollten Mehrausgaben nicht ihren Irrtümern zuschreiben, sondern den Euro als Auslöser für Teuerungen bezichtigen, ist aus psychologischer Sicht nicht verwunderlich. Es konnte ein enger Zusammenhang zwischen erwarteter Preissteigerung und wahrgenommener Preisänderung bestätigt werden: „Je höhere Preissteigerungen ursprünglich erwartet wurden, desto stärker gestiegene Preise wurden wahrgenommen“ (Greitemeyer, Schulz-Hardt, TrautMattausch & Frey, 2002, S. 22). Der Teuro-Effekt verunsichert nicht nur Konsumenten, sondern auch Investoren. Personen, die davon ausgingen, dass der Euro die Börsen riskanter machen würde, suchten vermehrt nach Informationen über die vermeintlichen Vorteile der Investition. Jonas und Frey (2003) erklären diese verstärkte Suche nach Pro-Argumenten anhand der 120 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957). Die Suche nach Investitionsvorteilen kann die Befürchtung des erwarteten Euro-Risikos nivellieren. Neben nominellen Werten können auch Preisendungen, sog. „psychologische Preise“, die Wahrnehmung des Geldwertes beeinflussen. Abbildung 9.16 Prozess der selektiven Fehlerkorrektur (Traut-Mattausch, Greitemeyer, Frey & Schulz-Hardt, 2007, S. 427) Endeten Preisauszeichnungen vor der Einführung des Euro häufig auf „9“ oder glatte Preise („0“ oder „5“), so wurden diese Schwellenwerte zu Beginn der Euroeinführung durch die exakte Umrechnung im Rahmen der dualen Preisauszeichnung verdrängt (Deutsche Bundesbank). Van Raaij und van Rijen (2003) stellten jedoch fest, dass vor allem auf „9“ endende Preise das Konsumentenverhalten kaum beeinflussten, solange kein ausreichende Gefühl für den Wert von Preisen in Euro entwickelt war. Der subjektive Eindruck, mit der Währungsumstellung seien die Preise für Güter gestiegen, stehen im Widerspruch zur objektiv festgestellten Inflation. Der Güterbündel zur Messung der Inflation wird als Warenkorb bezeichnet. Der Index der wahrgenommenen Inflation bezieht sich auf ausgewählte Güter, den amtlichen Warenkorb und auf die Kaufhäufigkeit von Gütern sowie auf Verlustparameter. Die Kaufhäufigkeit der einzelnen Güter des Warenkorbes wird in den regelmäßigen Befragungen zum Verbraucherpreisindex festgestellt. Der Verlustparameter basiert auf dem Konzept der Verlustaversion der Prospect-Theorie (Kahneman & Tversky, 1979): Verluste werden intensiver wahrgenommen als Gewinne. Demnach ist die Wahrnehmung von Teuerungen intensiver als und asymmetrisch zur Wahrnehmung der Verbilligung von Gütern (Brachinger, 2005a). Laut Hardie, Johnson und Fader (1993) wiegen Verluste, je nachdem welcher Art sie sind, etwa 1.5-bis 2.5-mal so viel wie Gewinne. Vogel, Menz und Fritsche (2009) untersuchten die Wahrnehmung der Inflationsrate in zwölf EUStaaten und fanden, dass zur Zeit der Währungsumstellung tatsächlich jene Produkte, die teurer wurden, subjektiv wesentlich intensiver gewichtet wurden als jene, deren Preis gleich blieb oder sank und weiter, dass entsprechend der Verfügbarkeitsheuristik häufig gekaufte 121 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Produkte auch mehr Beachtung fanden als selten gekaufte. Die Frage, ob der Euro zu Preissteigerungen geführt hat, kann im Sinne des amtlichen Verbraucherpreisindexes verneint werden. Wird hingegen berücksichtigt, dass im Zuge der Einführung des Eurobargeldes gerade jene Güter teurer geworden waren, die häufig gekauft wurden und dass Konsumenten Teuerungen deutlich höher bewerten als Preissenkungen, so ist verständlich, dass die gefühlte Inflation hoch war (Brachinger, 2005a). 9.4.4 NEUES GELD UND NEUE PREIS : ANPASSUNGSSTRATEGIEN Die Einführung des Euro stellte Konsumenten vor große Herausforderungen. Die neue Preisskala war unbekannt und unmittelbar abrufbare Standards für den Wert von Preisen fehlten. Meier-Pesti und Kirchler (2001) identifizierten folgende Anpassungsstrategien: a) Exakte Umrechnung b) Verzicht auf Umrechnung c) Lernen einzelner Preise (sog. Ankerpreise oder Referenzbeträge), an denen andere Preise gemessen werden d) Lernen einzelner Euro-Eckbeträge (z. B. 100 Schilling= € 7), die als Schätzhilfe für andere Beträge dienen Die Strategie des exakten Umrechnens ist zwar im Vergleich zu den anderen Strategien die genaueste, die Gewöhnung an den Euro wird aber verzögert. Die Häufigkeit genauen Umrechnens, auch beim täglichen Einkauf, stieg mit zunehmenden Alter und war in unteren Einkommens- und Bildungsschichten besonders ausgeprägt (Meier-Pesti & Kirchler, 2003c). Marques und Dehaene (2004) untersuchten die Gewöhnung an den Euro und die Entwicklung der Preisintuition, indem sie prüften, ob (a) Preise vollkommen neu erlernt werden, oder ob (b) es zu einer Anpassung der mentalen Währungsskalierung kommt und dadurch ein Gefühl für Europreise entwickelt wird. In Österreich kam es vorwiegend zu Lernprozessen im täglichen Umgang mit neuen Preisen. Für häufig gekaufte Güter wurde daher schneller ein Preisgefühl entwickelt. Die anfänglichen Schwierigkeiten mit der neuen Währung wurden im Laufe der Zeit geringer. Die EU-Bürger gewöhnten sich an den Euro und entwickelten zunehmend ein „Gefühl“ für die Preise. Dass manche Personen nach wie vor über Gewöhnungsschwierigkeiten klagen, ist aus psychologischer Sicht nicht verwunderlich, wo doch anzunehmen ist, dass Euro-Gegner „immer schon wussten“, dass es Probleme geben würde und selektiv die Probleme wahrnahmen und damit ihre Erwartungen bestätigen. 122 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 10 - IM SCHATTEN DER OFFIZIELLEN WIRTSCHAFT Leistungen in der offiziellen Wirtschaft werden in rahmen geltender Gesetze erbracht, Erträge versteuert und das Wachstum der offiziellen Wirtschaft in den Statistiken der Länder in den Statistiken der Länder zu dokumentieren versucht. Die Schattenwirtschaft umfasst erwerbswirtschaftliche Aktivitäten und schließt legale und illegale Tätigkeiten ein. 1. Einkommen, die aus legalen Quellen kommen, aber offiziell nicht deklariert werden. 2. Einkommenssummen aus illegalen Geschäften. 3. Arbeitsbereiche, die aus der offiziellen Wirtschaft ausgeschlossen sind wie Hausarbeit und Selbstversorgung. 4. Wirtschaft der „Freunde der Freunde“ (Freunderlwirtschaft), die auf Basis wechselseitigen Gebens und Nehmens beruht, wo Menschen mit Problemen mit Menschen mit Lösungen zusammengebracht werden. Amüsantes Beispiel über Studenten aus Sizilien, der bei Professor dissertieren will und über den Freundeskreis eines Anwalts, der ihm noch einen Gefallen schuldet, via an den Professor herankommt. Manche Geschäfte aber bleiben dabei nicht im Legalen. 10.1 L EGALE W IRTSCHAFT UND ILLEGALE W IRTSCHAFT IM S CHATTEN DER OFFIZIELLEN Schattenwirtschaft umfasst alle legalen oder illegalen Einkommensquellen, die offiziell nicht aufscheinen, daher im „Schatten“ bleiben und auch nicht versteuert werden. In den vergangenen Jahren hat die Schattenwirtschaft zugenommen. Einige der vielen Bereiche der Schattenwirtschaft sind die Schwarzarbeit, das sind erlaubte Tätigkeiten, aber nicht deklarierte Eingänge, kriminelle Aktivitäten, Alternativökonomien, die Nachbarschaftshilfe und Selbstversorgung. Zumindest vier Kategorien von nicht offiziell erfassten Wirtschaftsbereichen können angeführt werden: 1) Einkommen, die aus legalen Quellen kommen, aber offiziell nicht deklariert werden, nur geschätzt und über ihre Bedeutung im Wirtschaftsleben nur Vermutungen angestellt werden. 2) Zum anderen wachsen die Einkommenssummen aus illegalen Geschäften, wie Drogenhandel, Prostitution, Hehlerei mit Diebesgut drastisch an, ohne dass sie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufscheinen. Henry (1978) macht darauf aufmerksam, dass Geschäfte mit gestohlenen Gütern nicht wirklich dazu dienen, Geld zu verdienen, sondern dazu, ein soziales Netz zu erhalten. 3) Weite Arbeitsbereiche aus der offiziellen Wirtschaft werden ausgeschlossen, wie beispielsweise Hausarbeit und Selbstversorgung. 4) Letztendlich gibt es einen „Dienstleistungssektor“, der ziemlich unbeachtet neben den verschiedenen Wirtschaftsbereichen blüht: Wirtschaft der „Freunde der Freunde“, soziale Netzwerke, die auf der Basis des wechselseitigen Gebens und Nehmens aufrechterhalten werden. 10.2 H AUSARBEIT Der Ökonom Tschammer-Osten unterscheidet 4 faktorenorientierte Funktionsbereiche, die gleichzeitig als Zielvorgaben zu verstehen sind: 123 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 1) Personalwirtschaft: Nachwuchssicherung, Erziehung der Kinder, Selbstverwirklichung der Familienmitglieder und emotional-affektive Bedürfnisbefriedigung. 2) Kapitalwirtschaft: Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben, wobei möglichst rationale Entscheidungen über die verfügbaren Geldmittel zu treffen sind. 3) Informationswirtschaft: Um optimale Entscheidungen treffen zu können, ist eine Basis gesicherten Wissens über das Marktgeschehen notwendig. Deswegen müssen Haushaltsmitglieder Infos beschaffen, verarbeiten, speichern und entsprechend handeln. 4) Materialwirtschaft: Bereitstellung, Erhaltung, Verwaltung und Verwendung von Nutzungsgütern (= dauerhafte Güter wie Haus), Gebrauchsgütern (= lang- und kurzlebige Güter wie Auto) und Verbrauchsgütern (z.B. Lebensmittel, Kleidung). Die Haushaltsmitglieder sind bestrebt Kapital, Informationen und Material zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse bereitzustellen und die Beziehungen miteinander so zu gestalten, dass auch sozial-emotionale Bedürfnisse optimal befriedigt werden können. Um diese Ziele zu erreichen, sind Aktivitäten notwendig, die Tschammer-Osten (1979) in vier prozessorientierte Funktionsbereiche einteilt: 1) Erwerbswirtschaft: Aneignung des Universaltauschmittels Geld. Aufgaben der Familie sind demnach Vorbereitung des Erwerbs durch die Berufswahl und –ausbildung der Mitglieder, der Abschluss eines Arbeitsvertrages und die Ausführung der Arbeit. 2) Beschaffungswirtschaft: Aneignung von Gütern: Waren (z.B. Lebensmittel, Kleidung), Dienstleistungen (z.B. Rechtsanwalt) und Chancen (z.B. Eintrittskarten). Aufgaben der Beschaffungsvorbereitung, Erstellung eines Vertrages und der Durchführung. 3) Produktionswirtschaft: Hausarbeit (Essenszubereitung, Reinigung), Reparaturen, Erziehung der Kinder, Krankenpflege und Versorgung der Alten. 4) Reproduktionswirtschaft: Einerseits werden Güter und Dienstleistungen ge- bzw. verbraucht, andererseits wird dadurch wieder Arbeitskraft gewährleistet, welche die Erzeugung weiterer Güter und Dienstleistungen garantiert. Damit wird der Ablauf des Wirtschaftsprozesses gewährleistet. Die Hausarbeit stellt nicht nur eine bedeutende vernachlässigte Wirtschaftsgröße dar, die damit verbundene Rollenteilung hat wesentlich zur Entwicklung der Wirtschaft beigetragen. Wenn manche Personen die repetitive Arbeit im Haushalt verrichten, dann können sich andere komplexeren Aufgaben widmen und Arbeiten verrichten, die in der Gesellschaft einen höheren Stellenwert einnehmen. Seit den 1950er Jahren ist eine Zunahme der Do-ityourself-Tätigkeiten zu verzeichnen; gleichzeitig suchen Frauen vermehrt nach bezahlter Arbeit außerhalb des Haushaltes (Galler & Ott, 1993). Zahlreiche empirische Studien bestätigen, dass die Doppelbelastung durch Beruf und Hausarbeit vor allem Frauen betrifft und Männer trotz Berufstätigkeit der Partnerin unwesentlich mehr Zeit in den Haushalt investieren als Partner von Hausfrauen. Es scheint, dass Frauen nur dann mit der Verteilung der Hausarbeit so zufrieden sind, wie die Männer, wenn sie die Verteilung als adäquat empfinden und dies ist wahrscheinlich nur dann der Fall, wenn der Partner relativ zu anderen Männern mehr Zeit in den Haushalt investiert. Der Wunsch und die Bereitschaft der Frauen, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, ändert sich schneller als die Bereitschaft der Männer im Haushalt mitzuarbeiten, und als der Zeitaufwand, den Männer für den gemeinsamen Haushalt zu erbringen bereit sein. Frauen verrichten wesentlich mehr Hausarbeit als Männer. Die ungleiche Verteilung der Hausarbeit scheint häufig als gerecht empfunden zu werden und Frauen und Männer scheinen etwas gleich zufrieden mit der Verteilung der Hausarbeit zu sein. Großen Einfluss auf den Zeitaufwand für Hausarbeit hat auch das Rollenverständnis der Frau. Je konservativer das Rollenverständnis, umso mehr Zeit wird in den Haushalt investiert. 10.3 W IRTSCHAFTSKRIMINALITÄT 124 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Sutherland (1949) ordnet diesem Begriff kriminelle Aktivitäten von Personen mit hohem sozialen Status zu, die ihre Position missbrauchen, indem sie Gesetze zu ihrem eigenen Vorteil missachten. Braithwaite (2008) beschreibt Wirtschaftskriminalität als das Verhalten von Organisationen oder von deren Mitgliedern, das gesetzlich geächtet und strafbar ist. Die vorteile illegaler Handlungen dient dabei nicht dem individuellen Profit, sondern Organisationszielen. Aus Profitgier, zur Kostensenkung, zur Unterhaltung eines Schwarzmarkts oder um einen Rivalen außer Gefecht zu setzen, nehmen Unternehmen Umweltverschmutzungen, finanzielle Bestechung, zweifelhafte Arbeitsverhältnisse und den Vertrieb unsicherer Produkte im Kauf. Begriffserklärung: Wirtschaftskriminalität Die Wirtschaftskriminalität werden strafrechtlich Delikte zugeordnet, die im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigungen begangen werden oder über die Schädigung des Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit Die individuellen Ursachen die kriminellen Handlungen werden von Nestler & Salvenmoser schädigen (z. B. fürProduktpiraterie, Bestechung, Geldwäsche, Insiderhandel, (2005) in drei Faktoren gesehen: Steuerhinterziehung, Buchführungsdelikte, Computerkriminalität). 1. Faktor Anreiz (zu aufwendiger Lebensstil, Unzufriedenheit) 2. Faktor Gelegenheit (unzureichende interne Kontrollen, Zusammenarbeit von Unternehmensmitgliedern) 3. Faktor Rechtfertigung (mangelndes Werte- und Unrechtsbewusstsein, Leugnung der finanziellen Konsequenzen für das Unternehmen) Simpson (2002) beschreibt Möglichkeiten gegen Wirtschaftskriminalität anzukämpfen: In einer umfangreichen Analyse schlägt sie als Alternative zu der wenig wirkungsvollen Strategie „Verfolgung und Bestrafung! Methoden vor, die auf soziale Kontrolle abzielen und die Beschämung der Kriminellen durch die Bekanntmachung der Unternehmen und der Akteure in der Öffentlichkeit propagieren. Wirtschaftsdelikte werden zwar durchaus als kriminelle Handlungen angesehen, häufig gelten aber Vergehen in der Wirtschaft als Kavaliersdelikte. In einer Studie von Orviska und Hudson (2002) wurde die Inanspruchnahme ungerechtfertigten Profits wesentlich negativer bewertet, als die Hinterziehung von Steuern im gleichen Ausmaß. Korruption als „Missbrauch von anvertrauter Macht“ zu persönlichen Nutzen (Eigen, 2007, S. 104f.) gibt es in verschiedenen Formen, die von Bankskandalen über Kartellabsprachen gegen den freien Wettbewerb bis zu Interessenskonflikten von Politikern und Managern und Parteispenden mit dem Ziel, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, reichen. Das größte Problem der Korruptionsbekämpfung – Peter Eigen (2007, S. 113) – ist der Verlust an Vertrauen in den Staat und die Anwendung wirksamer Möglichkeiten, gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität allgemein vorzugehen. 10.4 S CHATTENWIRTSCHAFT Begriffserklärung: Schattenwirtschaft Jene Wirtschaftsbereiche, die in offiziellen Statistiken nicht aufscheinen, werden häufig als Schattenwirtschaft, irreguläre Ökonomie, parallele oder sekundäre Ökonomie, illegale, verborgene oder heimliche Wirtschaft oder auch Schwarzarbeit bezeichnet. Nach Schmölders (1980, S. 372 f.) umfasst Schattenwirtschaft, neben den Finanztransaktionen der Untergrundszene eine Grauzone die nicht steuer- und anmeldepflichtigen Nebeneinnahmen und Veräußerungserlöse, der Steuerersparnisse aus anerkannten Verlustzuweisungen und Bewertungsdifferenzen sowie die „schwarzen“ Gelder aus Gelegenheitsgeschäften, Privatspekulationen, Gefälligkeitsprovision und Bestechung, Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug,…; dazu kommen noch die „Strumpfhorte“ der misstrauischen Sparer, die Gold- und Wertpapierbestände in privaten Tresoren und Verstecken, die der Erbschafts- und Vermögenssteuer vorenthalten bleiben, die anonymen 125 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Nummernkonten…sowie die privaten Darlehen und die wahrhaft „stillen“ Beteiligungen in Freundes- und Verwandtenkreisen.“ Schattenwirtschaft führt nicht nur dazu, dass offizielle Statistiken verzerrt werden, sondern auch zu Steuereinbußen, die alle Staatsbürger tragen und damit möglicherweise zu Staatsverdrossenheit. Es scheint sinnvoll, zwischen verschiedenen Bereichen der Schattenwirtschaft zu unterscheiden, denn nur manche sind kriminell, andere dagegen betreffen karitative Einrichtungen. Wie soll das Ausmaß der Schattenwirtschaft gemessen werden, wenn die Beteiligten ihr Handeln zu verheimlichen versuchen? Weck, Pommerehne & Frey (1984) unterscheiden direkte und indirekte Schätzmethoden: 1. Direkte Methoden: Kontrollen der Steuerbehörden und andere Institutionen mit Sanktionsbefugnissen. Zu den direkten Messtechniken zählen Interviews und schriftliche Umfragen. 2. Indirekte Schätzmethoden, die davon ausgehen, dass die Schattenwirtschaft „Spuren“ in offiziellen Wirtschaftsbereichen hinterlässt. Differenzen zwischen Einnahmen der Haushalte und ihren Ausgaben können als Schätzgröße für die Schwarzarbeit dienen. Wenn zudem offizielle Beschäftigungszahlen zurückgehen, aber trotzdem die tatsächliche Arbeitszeit in der Bevölkerung gleich bleibt, kann auf verdeckte Einkommen geschlossen werden. Da in der Schattenwirtschaft meist bar gezahlt wird, könnte eine Zunahme des Bargeldumlaufs auf vermehrte zusätzliche Einkommensquellen schließen lassen. Aber auch die Ursachen der Schattenwirtschaft sind schwierig auszumachen. Von Ökonomen werden auf Basis des Menschenbilds des homo oeconomicus oft hohe steuerliche Belastungen, hohe Sozialversicherungsabgaben und staatliche Einschränkungen der Unternehmerfreiheit verantwortlich gemacht. Umgekehrt können Befürchtungen einer hohen strafe, moralische Bedenken, mangelnde Zeit und strukturelle Veränderungen, die etwa durch die Migration von Personen entstehen, Betätigungen in der Schattenwirtschaft verhindern (Pelzmann, 1988). Hypothesen über Determinanten der Schattenwirtschaft (Weck, Pommerehne & Frey, 1984, S. 26 f.): Die Schattenwirtschaft ist umso größer, je höher ... - die Belastung mit Steuern und Sozialabgaben die Wahrnehmung der Abgabenbelastung die Belastung aufgrund staatlicher Auflagen und Vorschriften und der Anteil der ausländischen Arbeitnehmern an den Erwerbspersonen ist. Die Schattenwirtschaft ist umso geringer, je höher ... - der Erwartungswert der Aufdeckung und der Strafe einer illegalen Aktivität die Erwerbsquote und die Arbeitszeit, die moralischen Hemmnisse gegenüber einer Tätigkeit in der Schattenwirtschaft und das (real) verfügbare Pro-Kopf-Einkommen Weck, Pommerehne & Frey (1984) untersuchten die Bedeutung verschiedener Determinanten in 17 OECD Ländern. Es zeigte sich, dass sich v. a. der Anteil direkter Steuern, die subjektiv wahrgenommene Abgabenbelastung und die Steuerunmoral mit verdeckten Wirtschaftsaktivitäten zusammenhängen. Je höher die Steuermoral in einem Land ausgeprägt ist, umso weniger wird auch schwarzgearbeitet (Alm & Torgler, 2006) und mit dem Staat bzw. den Behörden kooperiert (Frey & Torgler, 2007). 126 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 10.5 A BGABEN UND S TEUERN Weil Fragen der Steuergerechtigkeit, der Steuerbelastung, der Kontrollen und Strafen bei Steuervergehen, etc. wirtschaftspolitische und ideologische Werthaltungen berühren, sind Probleme der Besteuerung auch aus Sicht der Sozialpsychologie relevant. Mit zunehmender internationaler, wirtschaftlicher Verflechtung gewinnt das Problem der Wettbewerbswirkung verschiedener nationaler Steuersysteme an Bedeutung. In der europäischen Union, wird versucht, steuerliche Wettbewerbsverzerrungen durch Harmonisierung der Abgaben zu eliminieren, etwa indem die Bemessungsgrundlagen- und sätze des Einkommensteuerrechts in den verschiedenen Ländern angeglichen und die Netto-Umsatzsteuer in allen Mitgliedstaaten eingeführt wird. Der Staat kann seinen Aufgaben und Diensten nur nachkommen, wenn er über wirtschaftliche Mittel, Arbeitsleistungen und Sachgüter verfügt. Steuern sind Abgaben, die natürlichen und juristischen Personen seitens des öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens auferlegt werden. In den Finanzwissenschaften wir gelehrt, dass Steuern gerechtfertigt sind, weil a) Private Steuern staatlichen Leistungen äquivalent sind (Äquivalenz- oder Interessenstheorie). b) Die private Steuerleistung ein Beitrag für den öffentlichen Schutz der Person und des Eigentums ist (Assekuranz- oder Versicherungstheorie) und c) Sich jeder Bürger durch persönliche Opfer entsprechend seiner Leistungsfähigkeit an der Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben beteiligt und die Existenz und Entwicklung des Staates sichert (Opfertheorie). Steuern sind notwendig, a) weil durch die Besteuerung von gewissen Wirtschaftssektoren Mängel des freien Marktsystems, das sich durch die Preise selbst reguliert, behoben werden können; b) weil die ungerechte Ressourcenverteilung zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft korrigiert werden können und c) weil Prozesse des Wirtschaftstreibens im Ganzen zentral zumindest etwas gesteuert werden können (Lea, Tarpy & Webley, 1987). 10.5.1 WIRKUNG VON STEUERN Wirken sich Steuern motivationsfördernd aus, sodass der Einkommensentgang durch intensivere und mehr Arbeit kompensiert wird, oder führen Steuern zu Resignation und Frustration? Es gibt zu beiden Hypothesen Studien, allerdings ist insgesamt nicht belegt, dass Steuern überhaupt das Arbeitsverhalten gravierend beeinflussen. Wie gerecht Steuern verteilt sind, lässt sich auch schwierig sagen. Die meisten Leute sind wohl der Meinung, dass es gerechter ist, von den Reichen zu nehmen als von den Armen. Differenzierte Einkommenskategorien könnten sich auf die Leistungsmotivation positiv auswirken und Leistung und erhöhte Produktivität führen zu höherem Wohlstand für alle 127 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Eine Möglichkeit zur Bestimmung der Einkommensverteilung über die Gesellschaftsschichten als Grundlage wirtschaftspolitische Maßnahmen wurde vom Statistiker Lorenz entwickelt und als Lorenz Kurve bekannt (Woll, 1981). Einkommen sind über eine Population nicht gleich verteilt. Wären sie gleich verteilt, würde die Lorenz-Kurve eine Diagonale bilden, je ungleicher aber die Verteilung, desto mehr weicht die Kurve von der Diagonale ab. Die Fläche zwischen Diagonale und Kurve zeigt das Maß ungleicher Verteilung, genannt Gini-Koeffizient, zeigt an, wie effektiv eine Steuernovellierung bezüglich der Gleichverteilung des Nettoeinkommens ist. Die hypothetische Kurve unten zeigt den Fall, in dem 15 % der Bevölkerung über 50 % des gesamten Einkommens verfügen. 10.5.2 ABLEHNUNG VON STEUERN Im Altertum wurden Abgaben zur Deckung des Finanzbedarfs des Staates als außerordentliche Leistungen in Notzeiten von sozial minder privilegierten Gruppen getragen. Seit etwa dem 17. Jahrhundert entwickelt sich eine komplexe Geldwirtschaft, wie in etwa wir sie heute kennen mit direkter und indirekter Besteuerung. Direkte und indirekte Steuern: Typische direkte Steuern sind Lohn- und Einkommenssteuer, Körperschafts- und Vermögenssteuer. Im Gegensatz dazu sind die Mehrwertsteuer, Kraftfahrzeugsteuer oder Getränkesteuer indirekte Steuern. Im ersten Fall führen jene Personen die anfallenden Steuerbeträge ab, im zweiten Fall werden die Steuern von Personen erhoben, die sie nicht selbst tragen müssen, Bsp. führen Unternehmen die Steuern an das Finanzamt ab, wälzen sie aber an Endverbraucher um (Henrichsmeyer, Gans & Evers, 1982). Mit der Übernahme von einer Vielzahl von Aufgaben seitens des Staats ist die Steuerlast enorm gestiegen. Nachdem Steuern als Belastung empfunden werden und eine unmittelbare Rückzahlung in Form von öffentlichen Gütern oft nicht klar ist, vielmehr in Medien von Verschwendung öffentlicher Gelder, unüberlegten Investitionen und Ankäufen die Rede ist, verwundert es nicht, wenn der Unwille Steuern zu zahlen, groß ist. Für den Großteil der steuerpflichtigen Bürger ist es außerordentlich schwierig, die Steuergesetzgebung zu verstehen. Die meisten Leute sind Umfragen zufolge konsequenterweise für die Reduktion der Steuern, inkonsequenter Weise aber gleichzeitig für eine Erhöhung der Staatsausgaben für öffentliche Güter. 128 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat In einer Studie von Kirchler (1998) sollten verschiedene Berufsgruppen freie Assoziationen zum Thema Steuern angeben. Freiberuflich Tätige und Unternehmer sahen Steuern demnach als gesetzlich erzwingbare Abgabe und empfanden Steuern als Demotivation und Freiheitsreduktion. Angestellte und Beamte assoziierten häufiger Begriffe, die sich mit sozialer Gerechtigkeit und Wohlfahrt decken. Arbeiter personifizierten die Abgaben anhand von Politikern, die eher jenen zur persönlichen Bereicherung dienen sollten. Studenten, die als einzige befragte Gruppe nicht direkt von Steuerabgaben selbst betroffen sind, distanzierten sich gefühlsmäßig vom Stimuluswort. Es wurden außerdem Urteile über typische und ehrliche Steuerzahler sowie über Steuersünder erhoben. Die Steuermoral dürfte nicht sehr hoch sein: Steuersünder wurden als clever, typische Steuerzahler dagegen als faul und dumm beschrieben. Ehrliche Steuerzahler stiegen am besten aus. Schmölders (1966) argumentiert, dass die Steuermoral weniger mit rationalen Argumenten zu tun hat, als eher mit persönlichen Einstellungen. Erfolgsmotivierte Gutverdiener, die beruflichen Erfolg über andere Charakteristiken des Berufs stellen, sowie religiös wenig engagierte Menschen verfügen oft über eine niedrige Steuermoral. Strümper (1969) fügt dem hinzu, dass auch die wahrgenommene Rigidität des Staates ein entscheidendes Kriterium ist. Wenn die Bürger so lax sind ihren Pflichten gegenüber, ist es dann nicht naheliegend, dass sie ihren Staat als Gegner betrachten? In vielen Ländern ist Steuerhinterziehung zu einem groben Problem geworden. Reaktanz Phänomene gegen Steuern dürften vor allem bei Selbständigen hoch sein, da sie Geld, das sie schon einmal in der Tasche hatten, wieder abgeben sollen und daher ihre persönliche Handlungsfreiheit noch viel mehr eingeschränkt sehen als Angestellte, die ihr Gehalt gleich unter Abzug der Steuern ausbezahlt bekommen. Während Steuerhinterziehung eine Fluchtmöglichkeit bedeutet, ist Schattenwirtschaft eine weitere. Bezugnehmend auf die Prospect-Theorie ist zu erwarten, dass Personen, die, nachdem sie monatlich Steuerabgaben im Voraus entrichtet haben, am Ende eines Wirtschaftsjahres einen weiteren Betrag nachzahlen müssen, die Zahlung als Verlust erleben und versuchen, Widerstand zu leisten. Wenn Belastungen und Sparmaßnahmen seitens des Staates unverständlich sind, als unabänderlich und dauerhaft wahrgenommen werden, dann sind Frustrationen möglich. Erwartungen werden modifiziert und die Leistungsmotivation sinkt aufgrund von Pessimismus und Hilflosigkeitsgefühlen. Als anwendungsorientierte Konsequenz könnte dem Finanzminister, auch in Bezugnahme auf die Spitzen-Ende-Regel von Kahnemann der Vorschlag unterbreitet werden, hohe Steuervorschreibungen zu Jahresanfang zu machen, damit dann ein Guthaben entsteht, dass zu Jahresende zurückgezahlt werden kann. Die Steuerzahler würden dann vor allem den positiven Effekt in Erinnerung behalten. Eine weitere Möglichkeit Reaktanz zu vermeiden besteht darin, akzeptable Erklärungen für Veränderungen anzubieten oder bestimmte Steuern oder Steuererhöhungen zeitlich zu begrenzen. 10.5.3 STEUERN UND SOZIALE DILEMMAS Ein Paradigma, das im Studium des Steuerverhaltens besonders brauchbar scheint, ist das des sozialen Dilemmas. Begriffserklärung: Soziales Dilemma Als soziales Dilemmas werden all jene Situationen bezeichnet, in welchen die individuellen Interessen in Konflikt mit den kollektiven stehen (z. B. Dawes, 1980, Kollock, 1998) Beispiel: Wenn Freunde zusammen im Restaurant essen und es üblich ist, die Rechnung gemeinsam zu bezahlen, dann werden häufig teurere Speisen bestellt als in jenen Fällen, bei denen jeder seine Bestellung selbst bezahlt. Ökonomisch wäre es vernünftig, eine teure Alternative zu wählen. Wenn aber alle egoistisch handeln, kommen letztendlich alle schlechter davon, denn die Gesamtrechnung wird übermäßig hoch. 129 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Wohl jeder Steuerzahler ist bestrebt, so viele Ausgaben geltend zu machen wie möglich, um Steuern zu sparen. Wenn aber alle die Bezahlung von Steuern vermeiden oder Steuern hinterziehen, dann steht die Gemeinschaft und letztlich wieder der Einzelne schlechter da, als in jenen Fall, in dem alle vorschriftsmäßig ihre Beiträge zum staatlichen Haushalt leisten. Soziale Dilemmas sind durch zwei Besonderheiten charakterisierbar: a) Jedes Individuum ist gut beraten egoistisch zu handeln und seinen eigenen Gewinn zu maximieren, unabhängig davon, was die anderen in der jeweiligen Situation tun. Defektion ist die vernünftigste Strategie; Kooperation ist nicht ratsam b) Die Gesamtheit aller Individuen kommt dann besser davon, wenn alle einander vertrauen und kooperieren. Soziale Dilemmas, auch soziale Fallen genannt, bestehen darin, dass a) Entweder ein gemeinsames Gut von Einzelnen benutzt werden kann und die Gefahr der Ausbeutung besteht (z. B. Schwarzfahren), oder dass b) Von einzelnen Beiträge zu leisten sind, etwa Steuern, mit welchen insgesamt, wenn eine entsprechende Summe zustande kommt, die Schaffung von gemeinschaftlichen Einrichtungen möglich ist. In der Psychologie werden vor allem experimentelle Spiele konzipiert, die als Dilemmas interpretiert werden können und dazu dienen, die wechselseitige Abhängigkeit von Personen zu studieren. Ein von mehr als zwei Personen gespieltes Gefangenen-Dilemma etwa ist ein Beispiel für ein soziales Dilemma. Die Ökonomie geht davon aus, dass Menschen nutzenmaximierend handeln und daher eher egoistisch sind. Tatsächlich kann beobachtet werden, dass Menschen selbstbezogen handeln, oft aber auch altruistisch. Personen kooperieren dann eher, wenn sie miteinander kommunizieren können und annehmen, dass andere ebenfalls kooperieren oder kooperieren würden. Zwischen sozialen Dilemmas und Steuerhinterziehungen ergaben sich auch in empirischen Studien Parallelen. Wenn sich eine Person hohen moralischen Prinzipien verpflichtet sieht und die Meinung teilt, andere Personen würden ihre Steuern korrekt bezahlen, sinkt die Hinterziehungstendenz. Hohe Kosten für Defektion, soziale Normen und Vertrauen auf die Kooperation der anderen führen zu kooperativem Verhalten der Einzelnen. Eine konkrete Untersuchung des Steuerverhaltens anhand des Paradigmas des Sozialen Dilemmas könnte etwa die Simulation eines Betriebes im Labor sein. Wenn die Simulation über mehrere Etappen geht und die Gewinne auf ein gemeinsames Konto verbucht werden, könnte das Verhalten der Einzelnen in Bezug darauf studiert werden. Um das Beispiel abstrakter zu gestalten, sodass die Generalisierung von experimentellen Befunden auf ähnlich strukturierte, inhaltlich, aber verschiedenartige Probleme (etwa auf Umweltverhalten, Schwarzfahren, ...), möglich ist, genügt es, den Teilnehmern zu erklären, dass sie sich vorstellen sollten, einen bestimmten Gewinn oder ein bestimmtes Einkommen erlangt zu haben, das versteuert werden muss. Zusammenfassend liegen die Ökonomen falsch, wenn sie glauben, Personen würden sich immer nur egoistisch verhalten. Psychologen beschreiben das soziale Dilemma als komplexe soziale Konfliktsituation und vermuten, dass die Auswahl einer Strategie eines Teilnehmers von der Möglichkeit, mit den anderen zu sprechen, das Experiment wiederholt zu spielen, der Wahrscheinlichkeit, dass der eigene Beitrag aufgedeckt wird, den subjektiven Vermutungen über das Verhalten der anderen, dem wechselseitigen Vertrauen und von Persönlichkeitseigenschaften der Teilnehmer abhängt. 10.5.4 DETERMINANTEN DER STEUERHINTERZIEHUNG 130 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Steuerhinterziehung als Optimierungsmöglichkeit des eigenen Gewinnes macht sich dann bezahlt, wenn die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung gering ist ((Allinghman & Sandmo, 1972; Srinivasan, 1973)). Das ökonomische Standardmodell zur Steuerentscheidung unter Unsicherheit fokussiert auf individuelle monetäre Konsequenzen als Verhaltensdeterminante. Dementsprechend wird erwartet, dass sowohl ein Anstieg der Kontrollwahrscheinlichkeit als auch ein Anstieg der Strafhöhe zu einer Verringerung der Steuerhinterziehung führen. Tatsächlich scheint es, dass Personen, die Steuern hinterziehen, die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden geringer einschätzen als solche, die ihre Steuern vorschriftsmäßig abführen. Steuern können vermieden werden, indem nicht konsumiert wird und damit die auf Konsumgütern aufgeschlagenen Steuern nicht bezahlt werden. Dies ist z.B. eine legale Art Steuern zu vermeiden. Steuerhinterziehung aber ist illegal. Die Tendenz der Hinterziehung setzt sich für Ökonomen zusammen aus: 1. Der Höhe der Steuern 2. Der Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung 3. Der Höhe der Sanktionen In einem Experiment von Alm, Cronshaw und McKee (1993) wurden vier verschiedene Kontrollmechanismen untersucht und in ihrer Wirkungsweise auf die Deklarationshöhe verglichen. Ein Kontrollmechanismus bestand in der Möglichkeit der Finanzbehörden all jene Steuerpflichtigen mit Gewissheit zu prüfen, deren deklariertes Einkommen unterhalb eines bestimmten Mindestsatzes gelegen war. Ein weiterer Kontrollmechanismus bestand darin, überführte Steuerhinterzieher nicht nur für die aktuelle Steuerperiode sondern rückwirkend für eine bestimmte Anzahl an vergangenen Perioden zu überprüfen, während der letzte Kontrollmechanismus darin bestanden hat, dass überführte Steuerhinterzieher mit einer höheren zukünftigen Überprüfungswahrscheinlichkeit rechne mussten als ehrliche Steuerzahler. Die Ergebnisse zeigen, dass die Deklarationshöhe in den experimentellen Bedingungen mit alternativen Kontrollmechanismen höher war als in jenen mit konventionellem zufallsbedingten Kontrollsystem und dies obwohl in den experimentellen Bedingungen eine signifikant geringere Anzahl an Steuerüberprüfungen durchgeführt wurde als im zufallsbedingten Kontrollsystem. Alm, McClelland und Schulze (1999) untersuchten das Steuerverhalten in einem Experiment, wobei die Teilnehmer das Steuersystem aktiv per Mehrheitswahl mitgestalten konnten. Abgeführte Steuern wurden in ein öffentliches Gut investiert, das allen Steuerpflichtigen – auch Steuerhinterziehern – zugänglich war. Die Ergebnisse zeigen, dass mehrheitlich gegen eine Verschärfung des Steuersystems gestimmt wurde, insbesondere gegen eine Anhebung von Überprüfungswahrscheinlichkeit und Steuerstrafe. Die Autoren erklären ihre Ergebnisse im Sinne der „Crowding-out“-Hypothese, wonach soziale Normen und das Abführen von Steuern durch exogene Straf- und Kontrollmechanismen negativ beeinflusst werden. Gerade Wirtschafts- und speziell Steuervergehen ist oft durch Geldstrafen wenig effizient zu begegnen. Häufig werden Sühne und Beschämung als wesentlich wirksamere Strafen angesehen (Braithwaite & Wenzel, 2008; Coricelli, Joffily, Montmarquette & Villeval, 2007). Eine Vielzahl empirischer Untersuchungen zeigt, dass formale ökonomische Modelle, die lediglich monetäre Konsequenzen individuellen Verhaltens berücksichtigen und intrinsische Motive außer Acht lassen, nicht ausreichen, um Steuerhinterziehung adäquat zu beschreiben. Tatsächlich muss zwischen Steuerzahlern mit unterschiedlichen motivationalen Tendenzen unterschieden werden. Im Modell zur Steuerehrlichkeit der australischen Steuerbehörde (Braithwaite, 2003, a, 2009; James, Hasseldine, Hite & Toumi, 2003) wird zwischen dem großen Prozentsatz der Steuerzahler, die ihre Aufgaben ehrlich leisten („commitment“) und solchen, die ihre Steuern zahlen, weil sie den Gesetzen nicht entkommen können („capitulation“) unterschieden. Relativ wenige Steuerzahler leisten Widerstand („resistance“) gegen die Steuergesetzte oder ignorieren den Staat und seine Regelungen völlig („disengagement“). 131 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Ein weiterer geringer Teil der Bürger versucht durch List den Verpflichtungen zu entkommen („game playing“). Ausgehend von der Theorie des vernünftigen Handelns von Fishbein & Ajzen (1975) ist anzunehmen, dass das Verhalten, im aktuellen Fall die Steuerhinterziehung- von den Intentionen einer Person abhängt, die wiederum eine Funktion der Einstellung sowie der wahrgenommenen und als verpflichtend wahrgenommenen Normen ist. Die Intention, Steuern nicht zu bezahlen und die tatsächliche Steuerhinterziehung dürften also von der Steuermoral, die weitgehend die Einstellung einer Person abbildet, abhängen. Dabei dürfte die wahrgenommene eigene Finanzlage sowie Persönlichkeitsfaktoren eine wichtige Rolle spielen. Im Hinblick auf Fishbein & Ajzen ist vor allem der erlebte soziale Druck wichtig. Wenn eine Person nach besonders strengen moralischen Prinzipien lebt und die Gesellschaft als Kontrollinstanz wahrnimmt, die kriminelles Verhalten nicht duldet, dann dürfte die Tendenz zu Steuerhinterziehung gering sein. Selbstständige, welche die Möglichkeit haben, Kosten abzusetzen, verschiedene Einnahmen zu deklarieren oder nicht, hinterziehen eher Steuern. Schließlich macht auch die Gelegenheit den Dieb. Normabhängigkeit, ideologisch-religiöse und moralische Orientierungen dürften als Persönlichkeitseigenschaften genauso wichtig sein, wie die subjektive Einschätzung der Gerechtigkeit der Ressourcenverteilung in der Gesellschaft, die wahrgenommene horizontale Gerechtigkeit (resultierend aus dem Vergleich zwischen eigenen Abgaben und den Abgaben anderer Steuerzahler), die vertikale Gerechtigkeit (resultierend aus dem Vergleich zwischen eigenen Abgaben, und den Angaben von Steuerzahlern anderer Einkommenskategorien) und der Austauschgerechtigkeit (resultierend aus eigenen Abgaben und Vorteilen durch staatliche Gegenleistung) sowie die Einstellung zum Staat und zu behördlichen Autoritäten. Verboon und van Dijke (2007) weisen auf die Bedeutung der Wahrnehmung der distributiven Gerechtigkeit hin, aber auch auf die Bedeutung der eigenen Vorteile durch die Teilnahme an öffentlichen Gütern. Neben der distributiven Gerechtigkeit ist die prozedurale oder Verfahrensgerechtigkeit von besonderer Relevanz. Nach Tyler (2006) ist die Legitimierung einer politischen Institution hauptsächlich durch Verfahrensgerechtigkeit gegeben. Er betont vor allem Beziehungsmerkmale, wie Wohlwollen seitens der Autorität, Neutralität und Respekt als wesentliche Merkmale eines fairen Verfahrens. Kompetitive Personen, die Geld und Gewinn als Ausdruck von Erfolg erleben, dürften eher Steuern zurückbehalten als andere. Es scheint, das im Vergleich mit Angestellten und Arbeitern, deren Gehalt in vielen Ländern netto ausbezahlt wird, vor allem Selbstständige, die von ihrem Bruttoeinkommen Steuern „aus der eigenen Tasche“ („out-of-pocket“) zahlen, Steuern als Verlust erleben und die Möglichkeit nutzen, Steuern legal oder illegal zu „kürzen“. Die in verschiedenen Studien untersuchten Determinanten der Hinterziehung wurden von Weigel, Hessing & Elfers (1987) in einem Modell der Steuerhinterziehung zusammengefasst. Die Autoren betonen, dass das Verhalten ein Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Situationsund Persönlichkeitsvariablen ist und entdeckten fünf kontextbezogene, in der sozialen Situation lokalisierte Variablen, die jenen fünf Variablen auf der Seite der Persönlichkeit entsprechen. Sozialpsychologisches Modell der Steuerhinterziehung von Weigel, Hessing & Elffers (1987, S. 229) 132 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat 10.5.5 MACHT UND VERTRAUEN : ERZWUNGENE VERSUS FREIWILLIGE KOOPERATION Steuerpflichtige sind nicht notwendigerweise, egoistisch in ihren Nutzen zu maximieren, sondern sind häufig bereit zu kooperieren. Wesentlichen Einfluss dürfte das Interaktionsklima zwischen Steuerbehörde und Steuerpflichtigen haben. Wird die Interaktion als fair wahrgenommen und genießt der Staat das Vertrauen der Bürger, werden die politischen Programme der Regierung akzeptiert. In einem Klima des Vertrauens unterminieren Kontrollen und Strafen das Vertrauen, so dass der erwartete Effekt auf das Steuerverhalten ausbleibt, oder sogar das Gegenteil eintreten kann. Wenn Steuerbehörden davon ausgehen, dass Steuerzahler nicht willig sind, ihre Abgaben korrekt zu entrichten und versuchen, diese zur Kooperation zu zwingen, dann werden diese wiederum versuchen, ihre Steuererklärungen so raffiniert zu „gestalten“, dass sich ihre Steuerschuld legal oder illegal vermindert. In einem Klima wechselseitigen Vertrauens sind Kontrollen und Strafen nur wenig wirksam und können sogar die freiwillige Kooperation unterminieren. Die Forderung nach einer „Service-KundenOrientierung“ anstatt einer „Kontroll-Strafe-Orientierung“ bedeutet nicht, dass eine „GlacéHandschuh-Politik“ betrieben werden soll. Ayres und Braithwaite (1992) schlagen vor, bei 133 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat wiederholt unehrlichen Handlungen harte Strafen – bis zum Entzug der Gewerbeberechtigung – anzuwenden. Zusätzlichen Maßnahmen wie Information, Aufklärung und Schulungen, sollten den gesellschaftlichen Wert kooperativen Verhaltens verdeutlichen. Anhand eines dreidimensionalen Modells – des „Slippery Slope-Modells“ – stellen Kirchler (2007) und Kirchler, Hoelzl und Wahl (2008) grafisch die beiden Möglichkeiten, wie Steuerbehörden agieren können und die daraus resultierende erzwungene bzw. freiwillige Kooperationsbereitschaft dar (vgl. Abb. 10.15). Folgt man dem „Slippery Slope-Modell“, so hängt Steuerehrlichkeit zum einen von der Macht des Staates ab, die Steuerzahler zur Kooperation zu zwingen. Zum anderen hängt Steuerehrlichkeit von, durch Vertrauen in die staatlichen Institutionen motivierter, freiwilliger Kooperation der Bürger ab. Geringe Steuerehrlichkeit ist dann zu erwarten, wenn den Behörden die Mittel fehlen, Steuerzahler zur Ehrlichkeit zu zwingen und wenn Ihnen gleichzeitig misstraut wird. Steuerehrlichkeit wird dann erzwungen, wenn die Macht des Staates, effiziente Kontrollen durchzuführen und wirksame Strafen zu verhängen, hoch und gleichzeitig das Vertrauensklima ungünstig ist, also Misstrauen vorherrscht. Nur in einem vertrauensvollen Klima kann es zu freiwilliger Steuerehrlichkeit kommen. Je nach Form von Macht kann es zu Interaktionsprozessen zwischen einem vertrauensvollen Klima und einem Klima des Misstrauens kommen. Steuerzahler, die von den Steuerbehörden mit Respekt behandelt werden, könnten durch die Macht des Staates dahingehend gestärkt werden, dass sie unehrliche Steuerzahler bei den Behörden melden und gleichzeitig die Macht des Staates als Garant für das „öffentliche Gut Kooperation“ ansehen. Andererseits könnte Macht, die auf Zwang und Druck basiert, zu vielen Kontrollen und harten Strafen führen, was das Vertrauen von freiwillig ehrlichem Steuerzahler schwächt. Abbildung 10.15 „Slippery Slope-Modell“: Kooperation in Abhängigkeit von der Macht des Staates und dem Vertrauen in den Staat (nach Kirchler, Hoelzl & Wahl, 2008) Der starke Abfall der Steuerehrlichkeit in der Mitte des Modells zeigt an, dass ein leichter Abfall in einer der beiden Dimensionen zu einem starken Abfall der Steuerehrlichkeit führen kann. 10.5.6 METHODEN ZUM STUDIUM DER STEUERHINTERZIEHUNG Auch wenn die Hinterziehung von Steuern als Kavaliersdelikt angesehen wird, ist doch anzunehmen, dass nur widerwillig über Steuerverhalten Auskunft gegeben wird und Fragebögen selten unverfälscht beantworten. Die meist benutzte Datenquelle zum Studium der Steuerhinterziehung sind verbale Statements von Personen über ihr vergangenes 134 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Verhalten. Hessing, Ellfers & Weigel (1988) hatten die Gelegenheit, von offiziellen niederländischen Stellen Informationen über Steuersünder zu bekommen und konnten deren beobachtetes Verhalten mit Selbstberichten vergleichen. Nur 31 % der Steuersünder gaben zu, Steuern hinterzogen zu haben. Dagegen gab aber ein Viertel der „sauberen“ Steuerzahler an, Steuern nicht abgeführt zu haben. Die registrierten Verhaltensdaten und die Höhe der hinterzogenen Steuern korrelieren im Gegensatz zu Fishbein & Ajzen (1975) Modell mit Einstellungen und subjektiven Normendruck nicht, wohl aber mit persönlichkeitsspezifischen Charakteristika, wie Konkurrenzorientierung, Egoismus, Toleranz gegenüber illegalem Handeln und Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben. Auch in Laborexperimenten wurden Studien durchgeführt, es werden dabei etwa Betriebssituationen simuliert. Die Höhe der Sanktionen hatte dabei keinen Einfluss auf das Verhalten, wohl aber die Wahrscheinlichkeit einer Steuerprüfung: Je höher die Wahrscheinlichkeit einer Steuerprüfung, umso eher werden die Einnahmen ordnungsgemäß deklariert. 10.5.7 BENFORDS GESETZ UND DIE ENTDECKUNG VON STEUERHINTERZIEHUNG Eine interessante Technik zur Feststellung von Steuersünden kommt aus den Finanzwissenschaften und wird von Nigrini (1992) beschrieben. Er geht davon aus, dass aus den angegebenen Beträgen in Steuererklärungen abgelesen werden kann, ob eine Person die wahren Einkommen und Ausgaben deklariert oder bewusst gefälscht hat. Dabei geht er von Benfords Gesetz aus. Benford berechnete die Auftrittswahrscheinlichkeit von Ziffern in Zahlentafeln, wobei die Zahlen statistische Werte darstellen, die bei einer beliebigen Aufgabe gesammelt wurden. Er berechnete die Auftrittswahrscheinlichkeit von Ziffern an unterschiedlichen Stellen in mehrstelligen Zahlen. Diese Wahrscheinlichkeiten sind als Benfords Gesetz bekannt. Bei klassischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen (etwa beim Roulette) erscheint jede Zahl mit derselben Wahrscheinlichkeit. Nicht so aber bei „natürlichen“ Phänomenen, die beobachtet werden oder wenn statistische Werte im Rahmen einer bestimmten Aufgabe gesammelt werden. In absichtlich modifizierten Bilanzen müssten also laut Nigrini die Ziffern vom Erwartungswert abweichen. In Gewinnbeträgen wird öfters die Ziffer null stehen und die erste Ziffer wird häufiger als erwartet eine kleine Ziffer sein; in Verlustbeträgen wird die Ziffer null seltener, aber hohe Ziffern werden an erster Stelle öfters zu finden sein. Nun nimmt Nigrini an, dass Manager, die darauf erpicht sind, ihr Unternehmen positiv zu beschreiben, dazu tendieren, die Bilanz positiver darzustellen, als sie tatsächlich ist. Ein Gewinn von 9.987 Geldeinheit schaut wesentlich geringer aus, als ein Gewinn von 10.002 Einheiten. Die Differenz von 15 Einheiten ist aber gering, so dass die „leichte Korrektur“ objektiv betrachtet kaum ins Gewicht fällt, auf den ersten Blick aber Daten liefert, die imponieren. Lochbuy & O’Rourke beschäftigen sich ebenfalls mit der Entdeckung von Steuersündern. Sie griffen dabei auf den Inhalt des Spruches „nomen est omen“ zurück. Die Autoren verglichen die Häufigkeit von Anfangsbuchstaben der Familiennahmen von entdeckten Steuersündern. Dabei fanden sie, dass Personen, deren Familiennamen mit B oder W beginnt, signifikant häufiger in der Liste der Steuersünder aufschienen. Ob sich wohl mit der Heirat und Namensänderung einer Person auch die scheinbare Tendenz zur Steuerhinterziehung ändert? 135 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat KAPITEL 11 - WOHLSTAND UND WOHLBEFINDEN 11.1 L EBENSZUFRIEDENHEIT Menschen streben nach Wohlbefinden, Glück und Zufriedenheit. Frey (2008) beschreibt das Streben nach Glück als ultimatives menschliches Ziel. Glück, Zufriedenheit und eine hohe Lebensqualität in Lande sind in Bezug auf sozialpolitische Maßnahmen relevant. Zunächst werden soziale und ökonomische Indikatoren der Lebensqualität, wie beispielsweise die Höhe des Einkommens, materielle Sicherheit, gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung, politische Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, erfasst. Lebensqualität wird als subjektive Bewertung von Lebensbedingungen aufgefasst und wurde im Kontext der Sozialwissenschaften und Medizin entwickelt. Die empirische Forschung über Glück und Zufriedenheit wurde in den letzten Jahren intensiviert. „Positive Psychologie“ ist zu einem Forschungstrend geworden. Seit Kurzem befasst sich auch die Ökonomie nicht nur mit der traditionellen Nutzentheorie bzw. Wohlfahrt, sondern auch explizit mit der subjektiven Zufriedenheit und mit der Zufriedenheit von Nationen sowie deren sozioökonomischen Determinanten. Nach Fred van Raaijs (1981) Modell ökonomisch-psychologischer Fragestellungen bewirkt das Verhalten der Konsumenten ökonomische Veränderungen und diese wirken auf das subjektive Wohlbefinden und die nationale Zufriedenheit. Subjektives Wohlbefinden steht in engem Zusammenhang mit der Zufriedenheit oder der Frustration nach dem Kauf eines Gutes, mit den Erfahrungen mit Produkten, Dienstleistungen und Reklamationen, mit den Arbeitsmöglichkeiten, der Arbeitsplatzsicherheit und mit der allgemeinen wirtschaftspolitischen Lage. Zu Beginn der Ökonomie wurde davon ausgegangen, dass Menschen ihr Handeln nach dem maximalen Nutzen ausrichten und sich infolgedessen in ihrem Handeln auch zeigt, was für sie den größten Nutzen hat. Falls Menschen tatsächlich nur begrenzt rational handeln können, wenn sie ihren Nutzen maximieren wollen, dann spiegeln die gewählten Alternativen nicht notwendigerweise ihre tatsächlichen Präferenzen wider und die Schlussfolgerung, das gewählte Produkt sei einer Person das Liebste, ist falsch (Kahneman & Krueger, 2006). Hohe Produktivität und Konsummöglichkeiten durch hohes Einkommen wurden mit Glück und Zufriedenheit gleichgesetzt. Die vermutete hohe Korrelation zwischen Einkommen und Zufriedenheit wurde erst in den 1970er Jahren angezweifelt, als Easterlin (1974) die Veränderungen der nationalen Zufriedenheit der Amerikaner mit den Wirtschaftsdaten über die Jahre verglich und feststellte, dass zwar bis zu einem bestimmten Einkommen die Zufriedenheit ansteigt, aber dann mit weiterem materiellem Zugewinn stagniert. 11.2 D EFINITION L EBENSQUALITÄT VON WOHLBEFINDEN , G LÜCK, Z UFRIEDENHEIT UND Mit diesen Begriffen ist jeweils eine gute, angenehme, kurz oder lang anhaltende und mehr oder minder intensiv erlebte Gefühlslage gemeint. Veenhoven (2000) unterscheidet vier Lebensqualitäten: 136 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Möglichkeiten („life chances“) Ergebnisse („life results“) Äußere Bedingungen („outer qualities“) Innere Bedingungen („inner qualities“) Konditionen für ein gutes Leben („livability of environment“; Lebensqualität einer Region oder eines Landes, z.B. Friedenssicherung, ökologische Standards) Nützlichkeit („utility of life“; Handlungen und Ergebnisse von Menschen für gute und sinnvolle Zwecke; z.B Kindererziehung, moralisch korrekte Lebensführung) Fähigkeit für ein gutes Leben; („life-ability of the person“; subjektive, persönliche Qualitäten für erfolgreiche Bewältigung von Aufgaben) Zufriedenheit; („appreciation of life“; subjektive Wahrnehmung der Lebensqualität, Wohlbefinden oder Glück, z. B. Lebenszufriedenheit) Die Zufriedenheit, die im vierten Quadranten lokalisiert ist, kann sich auf Teilbereiche des Lebens beziehen und vorübergehend sein oder andauern. Während Genuss ein vorübergehendes, auf einen Teilaspekt bezogenes Gefühl darstellt, können religiöse, sinnstiftende Erfahrungen tiefgreifend, das Leben insgesamt umfassend, aber nicht beständig sein. Mayring (1991) unterscheidet zwischen aktuellem Glückserleben und biografisch entwickeltem Lebensglück. Während der aktuelle Gefühlszustand situativ bedingt, zeitlich vorübergehend und deshalb von kurzer Dauer ist, währt das Lebensglück länger, ist in der Person selbst begründet und von der jeweiligen Situation kaum betroffen. Aktuelles Glücksempfinden entspringt positiven Emotionen, Freude und Begeisterung, wird intensiv erlebt, führt zu gesteigertem Selbstwertgefühl und einem positiven Selbstkonzept und fördert das soziale Interesse sowie die soziale Zugänglichkeit der Person. Vier Formen des Wohlbefindens werden nach Schumacher, Klaiberg und Brähler unterschieden: a) Das aktuelle psychische Wohlbefinden (z. b. Freude, Glücksgefühl) b) Das habituelle physische Wohlbefinden, charakterisiert durch andauernden Optimismus. c) Das aktuelle physische Wohlbefinden, welches durch Gefühle der Stärke und Vitalität gekennzeichnet ist und d) Das habituelle physische Wohlbefinden, das auf andauernder Freiheit von körperlichen Beschwerden beruht. Die subjektive Bewertung des habituellen psychischen und physischen Wohlbefindens ergibt schließlich die allgemeine Lebenszufriedenheit. Frey (2008) unterscheidet mit Nettle (2005) drei Konzepte oder Ebenen des Glücks: a) Die aktuelle Stimmung oder positive und negative Affekte, die Freude, Dankbarkeit, Vergnügen aber auch Ärger, Angst oder Unlust bedeuten können b) Zufriedenheit mit dem Leben allgemein oder Lebenszufriedenheit und c) Qualität des Lebens, welche durch die Erfüllung der eigenen Möglichkeiten gegeben ist. 11.3 MESSUNG VON Z UFRIEDENHEIT 137 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Neben uni- und multidimensionalen Instrumentarien, die häufig darauf abzielen, die subjektive Sicht der Befragten zu erheben, werden in der Gesundheitsforschung auch Fremdbeurteilungsinstrumente angewandt, welche den Anspruch erheben, die Lebensqualität einer Person, vor allem jene, welche auf dem Gesundheitszustand basiert, sei durch Außenstehende feststellbar und damit normativ festlegbar. In Untersuchungen über finanzielle Entscheidungen in Partnerschaften konnte festgestellt werden, dass es Ehepartnern nicht gelingt, die Befindenslage des Anderen sowie deren Ursachen präzise einzuschätzen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn in der gängigen Forschung Betroffene meist befragt oder Fragebögen und Adjektivlisten beantworten, die unterschiedlich komplex sind. Nicht nur die Erinnerung an vergangene Entscheidungssituationen und die Aggregation zu einem Befindens- oder Zufriedenheitsindex ist problematisch, sondern auch mögliche Verzerrungen aufgrund sozial erwünschter Antworttendenzen sind zu berücksichtigen. So wird in Befragungen über die Beziehungsqualität häufig eine massive Überschätzung der eignen Zufriedenheit festgestellt. Der Durchschnittswert der Zufriedenheitsurteile auf siebenstufigen Bewertungsskalen liegt nicht selten bei einem Wert von sechs, der hohe Zufriedenheit bedeutet und deutlich von dem Erwartungswert der hypothetisch normalverteilten Eigenschaft auf einer siebenstufigen Skala abweicht. Wenn komplexe Information zu verarbeiten sind, wenn wenig Zeit zur Verfügung steht und wenn Ereignisse unaufmerksam wahrgenommen werden und deshalb schlecht erinnert werden können, dann greifen Befragte häufig auf Stereotype und Vorurteile zurück und berichten diese. Oft gehen leicht verfügbare Erinnerungen mit wesentlich größerem Gewicht in Zufriedenheitsbeurteilungen ein als häufige, aber weniger saliente Erfahrungen. Erklärungen bieten die Untersuchungen über Urteilsheuristiken (Tversky & Kahnemann, 1974). Kahnemann (1994) zeigte, dass Erfahrungen anhand der „Spitzen-Ende“-Regel beurteilt werden und nicht die gesamte Erfahrung in ihrer zeitlichen Dauer vom Beginn bis zum Ende in das Urteil einfließt. Gordon Bower (1981) nimmt an, dass stimmungskongruente Erfahrungen besser erinnert werden, als stimmungsinkongruente. Wenn sich Befragte während der Befragung in positiver Stimmung befinden, erinnern sie sich eher an angenehme Ereignisse als an unangenehme und verschätzen sich dementsprechend in ihren Angaben über Auftrittswahrscheinlichkeiten und in der Bewertung von Erfahrungen. In einem ästhetisch ansprechenden Raum ist das allgemeine Befinden besser als in einem ungemütlichen, und die generelle Lebenszufriedenheit wird höher eingestuft (Schwarz, Strack, Kommer & Wagner, 1987). Bohner, Bless, Schwarz und Strack (1988) wiesen nach, dass Personen geneigt sind, nach negativen Ereignissen intensiver nach Ursachen zu suchen als nach positiven oder emotional indifferenten Ereignissen. Wenn intensiv nach Ursachen gesucht wird, ist anzunehmen, dass Ereignisse auch mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt und Informationen gründlicher verarbeitet werden, so dass negative Ereignisse, wenn die Emotionen nicht allzu intensiv waren, akkurater erinnert werden als neutrale oder positive. Gegen Fragebögen sprechen nicht nur Erinnerungsfehler. Im Fragebogen ist es schwer möglich, die Dynamik des Alltagsgeschehens abzubilden. Die unübersehbaren Mängel an ökologischer Validität, Probleme der stimmungsabhängigen Erinnerung an banale Ereignisse und Urteilsfehler aufgrund der aktuellen Stimmung und Fragenbogenkonzeption können im Tagebuchverfahren reduziert werden. Tagebücher, welche die Eintragung von Erfahrungen dann verlangen, wenn die Erfahrungen gerade erlebt werden, bieten zudem die Möglichkeit Prozesse zu studieren und nicht nur Daten komprimierter Erfahrungen zu erfassen. Jedoch kann auch mittels Fragebogen eine zuverlässige und valide Messung gemacht werden. Personen, die sich im Fragebogen als glücklicher einschätzen, lächeln häufiger, initiieren eher Sozialkontakte als andere, sind hilfsbereiter und fehlen seltener am Arbeitsplatz. Brandstätter (1977) konstruierte ein Zeitstichprobentagebuch, das erlaubt, das Befinden im Alltag zu analysieren und in modifizierter Form geeignet erscheint, auch den Familienalltag zu 138 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat untersuchen. Die Studienteilnehmer protokollieren fortlaufend ihre augenblickliche Stimmung, geben Ursachen des Befindens an und beschreiben kurz die objektiven Situationsmerkmale, wie Aufenthaltsort, ausgeführte Tätigkeit und anwesende Personen. Um den erheblichen Aufwand, den Tagebücher für die Teilnehmer darstellen – da sie mehrmals täglich ihr Befinden angeben müssen – zu reduzieren, entwickelten Kahneman, Krueger, Schkade, Schwarz & Stone (2004) eine ökonomischere Methode: Die Tages-Rekonstruktions-Methode: Die Befragten müssen dabei zeitnah einen Tag Revue passieren lassen und im Tagebuch Erfahrungen und Gefühle notieren. 11.4 N ATIONALE UND SUBJEKTIVE L EBENSZUFRIEDENHEIT Veenhoven hat die durchschnittliche Zufriedenheit in 148 Nationen von 1995 bis 2009 untersucht. Den Erhebungen zufolge sind die Dänen, Schweizer, Österreicher, Isländer und Finnen die glücklichsten Nationen. Da die höchsten Werte in der westlichen industrialisierten Welt vorliegen und die geringsten in der Dritten und Vierten Welt, ist anzunehmen, dass die Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Prosperität korreliert. Merke: Die reichen Länder sind zwar im Schnitt zufriedener als sie Armen und die Reichen in den Industriestaaten sind glücklicher als die Armen, aber die wesentlichen Determinanten der Zufriedenheit sind nicht materielle Werte, sondern eine gut funktionierende Partnerschaft, ein enger Freundeskreis, Aktivitäten in Clubs und Vereinen, Arbeit anstelle von Arbeitslosigkeit und zuletzt eine persönliche Disposition zu Optimismus und Zufriedenheit (z. B. Frey, 2008; Stutzer, 2003). Frey (2008) und Stutzer (2003) unterscheiden zwischen verschiedenen Determinanten von Wohlbefinden und Zufriedenheit: a) Persönlichkeitsfaktoren Persönlichkeitsfaktoren wie Selbstwertgefühl, Wahrnehmung von Kontrolle, Optimismus, Extraversion und stabile emotionale Grundstimmung sind mit dem Wohlbefinden korreliert. Menschen, die einen „Sinn“ in ihrem Leben sehen, sind insgesamt zufriedener mit sich selbst und der Welt als andere, die das für sich selbst nicht empfinden. Ob der Sinn des Lebens religiösen Werten oder karitativen Aktivitäten entspringt oder sich in einem für Außenstehende skurrilen Hobby ausdrückt, ist dabei nicht weiter wichtig. b) Soziodemografische Faktoren Soziodemografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Familienstand korrelieren eher gering mit dem Wohlbefinden, „daily hassles“ sind ein wichtiger Einflussfaktor. Tendenziell geben ältere Personen und Frauen höhere Werte an als jüngere Männer. Hohe Zufriedenheit ergab sich in verschiedenen Studien bei Paaren, die verheiratet und deren Kinder bereits erwachsen und außer Haus waren. Sowohl verheiratete Frauen als auch Männer sind glücklicher als geschiedene, verwitwete oder unverheiratete. c) Ökonomische Faktoren Ökonomische Faktoren, wie z. B. Einkommen und materieller Besitz, Arbeitslosigkeit sowie die Höhe der Inflation stehen mit Zufriedenheit in Zusammenhang. Vor allem das Einkommen sollte mit Zufriedenheit hoch korrelieren, da ein hohes Einkommen viele Konsummöglichkeiten bietet und damit zumindest die Befriedigung von materiellen Bedürfnissen. Die Höhe des Einkommen, Lotteriegewinne oder materieller Besetz werden vielfach nicht als Garanten für Glück gesehen. Geld beruhigt zwar, macht aber nicht 139 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat wirklich längerfristig glücklich. Nach einer Weile des Hochgefühls gewöhnen sich Menschen an den neuen Lebensstandard, das Anspruchsniveau passt sich an die wahrgenommene Umwelt an. Veenhoven folgert, dass Zufriedenheit nicht nur auf Vergleichsprozessen basiert und sich das Anspruchsniveau nicht ausnahmslos an die gegebenen Umstände anpasst. Vielmehr passiert das Glücksgefühl auf der Befriedigung von bio-psychologischen Bedürfnissen, die sich nicht nach der gegebenen Situation kalibrieren und dadurch die Grenzen der menschlichen Anpassungsfähigkeit aufzeigen: Von chronischen Hunger, Gefahr und Isolation betroffene Menschen können nicht glücklich sein und daher ist Glück in jenem Maß nicht relativ, als es auf der Befriedigung der genannten bio-psychologischen Bedürfnisse basiert. Über einen bestimmten Punkt hinausgehend führt das Streben nach sozialem ansehen nicht mehr zu einer Steigerung der Zufriedenheit, sondern wird vielleicht zu einem eigenständigen und mit dem Bedürfnis nach Zufriedenheit konkurrierenden motivationalen System. d) Situative Faktoren Situative Faktoren wie Arbeit- und Lebensbeziehung, soziale Beziehungen zu Mitarbeitern, Verwandten und Freunden sind für das Wohlbefinden von Bedeutung. Viel Arbeit im Gegensatz zu Freizeit macht tendenziell unglücklich, es sei denn, es handle sich um eine anspruchsvolle Aufgabe, die eine Person völlig absorbiert, auf welche sie sich konzentriert und mit welcher sie sich erfolgreich beschäftigt, sich in der Tätigkeit vertieft und die Welt um sich herum vergisst. Die Bedeutung der Zufriedenheit ist auch aus humanistischen Forderung nach Möglichkeiten zur Selbstentfaltung der Person verständlich und vor allem auch aus der Perspektive gesundheitserhaltender und –fördernder Verpflichtungen relevant. „Der Erhalt der Gesundheit und das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden des arbeitstätigen Menschen sind unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsund Gesundheitsschutzes, der persönlichkeitsförderlichen Gestaltung des Arbeitslebens, ein zentrales Anliegen“ (Frieling & Sonntag, 1999, S. 193). Berufsarbeit ist für viele Arbeitstätige bedeutsam und Quelle von Sinn und persönlichen Wert in der Gesellschaft. Die Mehrzahl der Mitarbeiter sucht am Arbeitsplatz Verantwortung und Selbstbestimmung, so dass Talente und Fähigkeiten angewandt und verbesswert werden können. Wer ein besseres Vertrauensverhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen hat, gewinnt im Durchschnitt so viel an Zufriedenheit, wie ihm nur ein massiver Einkommensanstieg bringen würde. Frey (2008) und Stutzer (2003) stellten fest, dass längere Anfahrtswege zum Arbeitsplatz die Zufriedenheit reduzieren können. Je länger die Befragten täglich pendeln, desto weniger zufrieden sind sie mit ihrem Leben. Wer weniger als zehn Minuten pro Tag zur Arbeit unterwegs ist, beschreibt sich im Schnitt als zufriedener als jemand, der täglich mehr als 30 Minuten aufbringen muss. Als negative Effekte der Arbeit beschreibt er zu viele Arbeitsstunden für Arbeiter und stressvolles Pendeln zur Arbeit. Besonders relevant sind gute Sozialkontakte. Die arbeitsbedingte Notwendigkeit hoher Mobilität und Flexibilität, zu hoher TV-Konsum, etc. verhindern Sozialkontakte. Sozialkontakte sind stete Quellen von neuem, was Aufmerksamkeit, Neugier und Auseinandersetzung fördert. Da alle materiellen Dinge, mit denen sich Konsumenten umgeben können, schnell ihren Neuigkeitscharakter verlieren und somit als Glücksquelle versiegen, lohnt es sich nicht, nach ihnen zu streben, sondern nach Sozialkontakten. e) Institutionelle Faktoren Institutionelle Faktoren wie politische Mitbestimmung, politische Dezentralisierung, ökonomische und persönliche Freiheit haben einen positiven Effekt auf die 140 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Lebenszufriedenheit. Dabei ist die politische Freiheit vor allem in wohlhabenden Ländern wichtig, die ökonomische Freiheit hingegen in ärmeren Staaten. Eine Regierungsführung, die Freiheiten einräumt, effizient arbeitet und den Bürgern das Recht der Mitbeteiligung einräumt, hat einen positiven Effekt auf die Lebenszufriedenheit. Nach Helliwell und Huang (2008) dürfte die Qualität der Regierungsführung besonders relevant für die Erklärung nationaler Unterschiede in der Lebensqualität sein. Stabilität und Sicherheit, vor allem distributive und prozedurale Gerechtigkeit seitens der staatlichen Autoritäten sind mit Zufriedenheit positiv korreliert, während politische und wirtschaftliche Deregulierung und Liberalisierung verunsichern und das Vertrauen in Autoritäten und Mitmenschen untergraben. FÜR DAS WOHLBEFINDEN RELEVANTE PSYCHOLOGISCHE PROZESSE Außer den Bestimmungsgründen sind psychologische Prozesse für das Verständnis von Wohlbefinden und Zufriedenheit relevant: a) Adaptionsprozesse sind wichtig, weil sich Menschen an veränderte Umstände gewöhnen und weil sich entsprechend der hedonistischen Adaption ihr Wohlbefinden nach einiger Zeit an die Veränderungen anpasst. b) Weiterhin ist das Anspruchsniveau relevant. Die Beurteilung der eigenen Situation geschieht in Bezug auf Ansprüche und Erwartungen. Wenn die eigenen Ansprüche realisiert werden, erhöht sich die Zufriedenheit. Allerdings bleiben Ansprüche nicht stabil, sondern ändern sich. Die Bedeutung des Anspruchsniveaus für die Zufriedenheit ist im Zufriedenheitsmodell von Bruggemann, Großkurth und Ulich (1975) reflektiert: Die Autoren postulieren verschiedene Formen der Arbeitszufriedenheit als Ergebnis einer Motivationsdynamik. Der Vergleich zwischen gegebenen Vor- und Nachteilen (Ist-Zustand) mit den Erwartungen einer Person (SollZustand) kann einerseits geringe Divergenzen ergeben und zu stabilisierter Zufriedenheit führen, wenn das Anspruchsniveau einer Person stabil bleibt. Steigen die Ansprüche, resultiert progressive Zufriedenheit. Ist-Soll-Divergenz führen zu einer diffusen Unzufriedenheit, die eine Senkung des Anspruchsniveaus auslösen kann und damit zu resignativer Zufriedenheit führt. Wird das Anspruchsniveau beibehalten, könnte eine Person ihre Wahrnehmung „korrigieren“ und die tatsächlich erhaltenen Belohnungen aufwerten. Das Ergebnis wäre trotz Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand Zufriedenheit, allerdings Pseudozufriedenheit. Unzufriedenheit resultiert bei Ist-.Soll-Diskrepanz nur dann, wenn das Anspruchsniveau konstant bleibt, keine Wahrnehmungsverzerrung geschehen und entweder keine Problemlösungsversuche unternommen werden oder eine Person nach konstruktiver Verbesserung sucht. c) Schließlich sind auch soziale Vergleiche wichtig. Nachdem es für Glück keinen absoluten Maßstab gibt, vergleichen Menschen ihre Lage mit jener von anderen Personen. Ob das eigene Einkommen als hoch oder niedrig erlebt wird, hängt davon ab, wie hoch das Einkommen vergleichbarer anderer ist. 141 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Zehn Determinanten von Glück: 1. Intelligenz und Bildung (Gewicht=0): Ein hoher Intelligenzquotient bedeutet nicht höhere Zufriedenheit. Wahrscheinlich entwickeln höher gebildete Personen höhere Ansprüche und sind deshalb nicht glücklicher als Personen mit niedriger Bildung. 2. Einkommen (Gewicht=0.5): Mehr Geld macht ab einer bestimmten Höhe nicht glücklich! Materieller Wohlstand ist kein Garant für subjektives Wohlbefinden. 3. Alter (Gewicht=0.5): Wenn einer Person gesund ist, ein gutes finanzielles Auskommen hat und sich sinnvoll zu beschäftigen weiß, so steigt mit zunehmendem Alter die Lebenszufriedenheit an. 4. Schönheit (Gewicht=1): Gut aussehende Menschen scheinen glücklicher zu sein als andere, aber Schönheit ist relativ! Manches im Leben der Schönen dürfte einfacher sein als für durchschnittlich aussehende Menschen. Um Neidgefühle zu vermeiden, ist es ratsam, sich erst gar nicht mit anderen zu vergleichen. 5. Religion und Sinn im Leben (Gewicht=1.5): Wer einer Religionsgemeinschaft angehört und seinen starken Glauben an Gott hat, findet Sinn im Leben und erträgt auch eher Schicksalsschläge als Menschen, die weder an ein Leben nach dem Tod noch an Gott glauben. 6. Hilfsbereitschaft (Gewicht=1.5): Hilfsbereitschaft, gemeinnützige Arbeit, Arbeit in karitativen Vereinen und Altruismus sind Quellen von Zufriedenheit. Generöse Menschen sind glücklicher als neidvolle Egoisten. 7. Maßvolle Wünsche (Gewicht=2): Bedürfnisse müssen gemäßigt werden! Wer seine Ansprüche und Erwartungen allzu hoch setzt, wird leicht enttäuscht. 8. Freundschaften (Gewicht=2.5): Wer ein gut funktionierendes Netz an Freunden hat und Freundschaften pflegt, ist glücklicher als Menschen, die ihre Zeit dem materiellen Besitz widmen. 9. Partnerschaft (Gewicht=3): Verheiratete sind glücklicher als Menschen, die alleine leben, geschieden oder verwitwet sind oder auch jene, die eine eheähnliche Beziehung ohne Trauschein führen. Im Wesentlichen zeigte sich bei einer Studie von Blanchflower und Oswald (2004), dass die Häufigkeit von Sex signifikant positiv mit Glück korreliert, unabhängig von Geschlecht und dem Alter der Befragten. 10. Schließlich zählen auch die Gene (Gewicht=5): Persönlichkeitsmerkmale und der eigene Lebensstil sind die bedeutendsten Determinanten von Lebenszufriedenheit. Sonnige Gemüter genießen einen erheblichen Zufriedenheitsvorteil, manche Forscher taxieren den Anteil der Gene an der Zufriedenheit auf 40 oder mehr Prozent. Extravertierte und emotional stabile, selbstbewusste Menschen sind generell glücklicher als introvertierte und Menschen. 11.5 Lneurotische EBENSZUFRIEDENHEIT UND B RUTTOINLANDSPRODUKT Wer zu materiellen Wohlstand kommt, ist zwar kurzfristig zufriedener, aber bald ist die verbesserte Lage selbstverständlich geworden und neutraler Referenzpunkt in der Beurteilung der eigenen Lebenslage. Stellen wir uns vor, dass es völlig gleichgültig ist, ob wir uns bemühen, Lebensumstände so zu gestalten, dass wir zufrieden sind oder nicht; langfristig ist kein Effekt auf die subjektive Lebenszufriedenheit nachweisbar. Das klingt unplausibel! Tatsächlich sind diese Visionen aber nicht völlig absurd; sie basieren auf einem vielfach akzeptierten Modell subjektiven Wohlbefindens. Das Modell wurde von Brickman und Campbell (1971) Modell der „hedonistischen Tretmühle“ bezeichnet. Die Annahme ist, dass emotionale Reaktionen mit sensorischer Adaptation vergleich sind: So wie wir nach einiger Zeit Gerüche oder Dürfte nicht mehr bewusst wahrnehmen, nehmen wir auch positive oder negative Veränderungen nach einiger Zeit nicht mehr wahr, gewöhnen uns an die veränderten Zustände und sind so glücklich wie zuvor. Diener, Lucas und Scollon (2006) meinen, dass Anpassungs- und Gewöhnungseffekte stark sind, aber die triste absolute Aussage des Modells relativieren sie erheblich: Tatsächlich sind Interventionsprogramme auf individueller, organisationaler oder gesellschaftlicher Ebene langfristig effektive. Aus der Organisationspsychologie ist bekannt, dass mit der Gestaltung von Arbeit auch die Zufriedenheit nachhaltig verändert werden kann und auf gesellschaftlicher Ebene liegen 142 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Studien vor, die nicht nur belegen, dass die Zufriedenheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und zwischen Ländern variiert, sondern dass auch bestimmte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen nachhaltig die Zufriedenheit beeinflussen. Nach Maslow (1954) können nur Defizitmotive, wie physiologische Bedürfnisse, Sicherheits-, Affiliationsund Machtbedürfnisse, gestillt werden: Wachstumsbedürfnisse, wie Bedürfnisse nach Selbstentfaltung und –Verwirklichung, jedoch nicht. Ryan und Deci (2000) definieren in der Selbstbestimmungstheorie die Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialen Beziehungen als fundamentale psychologische Bedürfnisse, deren Befriedigung Wohlbefinden und mentale Gesundheit bedeutet. Der Fortschritt der Technik und die Entwicklung der Wirtschaft erlauben immer mehr Menschen ihre Arbeitszeiten zu reduzieren und die verfügbare Zeit frei zu nutzen. Nicht nur der Anteil der Freizeit stieg in der Vergangenheit ständig, auch das Einkommen sowie die Kaufkraft nahmen zu und die damit verbundenen Möglichkeiten, Güter anzuschaffen und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Wenn Güter, so wie es in den Wirtschaftswissenschaften angenommen wird, der Befriedigung von Bedürfnissen dienen, dann müssten Menschen heute generell glücklich sein als vor Jahrzehnten. Easterlin (1974) verglich Berichte, die Menschen im Laufe der Jahre in Umfragen über ihre Lebenszufriedenheit gegeben hatten, mit „nackten“ Wirtschaftsdaten und fand, dass das Glück in den Industrieländern stagnierte, während der Wohlstand gewachsen war. Scitovsky (1977, S. 118) fasst zusammen: Das Sonderbare ist, dass ein Aufsteigen in der Einkommensskala zwar die Chancen der eigenen Zufriedenheit zu verbessern scheint, dass dies aber nicht gilt, wenn alle Einkommen gleichmäßig steigen. Eine mögliche Erklärung ist, dass die eigene Zufriedenheit nicht so sehr mit dem absoluten Niveau des Lebensstandards zu tun hat, als vielmehr von unserer Situation im Vergleich zu der der Meiers von nebenan abhängt. Wenn im Vergleich zu anderen Personen das eigene Einkommen gleich hoch oder niedriger ist, dürfte die Zufriedenheit auch bei generell steigender Kaufkraft gleichbleiben oder sogar sinken. Easterlin (1974) untersuchte die Beziehung zwischen Bruttonationalprodukt und persönlichem Wohlbefinden im interkulturellen vergleich. Wirtschaftliche Veränderungen führen nach Easterlin nicht zu Befindensänderungen. Trotz Wachstum des materiellen Wohlstandes in einem Land bleibt das Lebensglück konstant. Dieses Phänomen wird als Easterlin-Paradoxon bezeichnet. Personen vergleichen ihre materiellen Möglichkeiten untereinander, und wenn sich ihre Möglichkeiten im Kontrast zu denen von Referenzgruppen verbessern, steigt auch das Wohlbefinden. Eine absolute Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen aller tangiert das subjektive Lebensglück anscheinend kaum. Auch ein Anstieg der Löhne in einem Land wirkt sich laut Easterlin nicht signifikant auf die Lebenszufriedenheit aus. Besserverdienende sind glücklicher als schlecht verdienende Arbeitsnehmer, auch wenn die Löhne insgesamt angehoben werden, bleibt die Zufriedenheit unverändert (Easterlin, 1995). Durch Easterlin angeregt, beschäftigt sich auch Rojas (2007) mit der Frage, ob Geld glücklicher macht oder nicht. In seiner „conceptual-referent theory of hapiness“ hat jeder Mensch eine unterschiedliche Vorstellung davon, was für ihn subjektives Wohlbefinden bedeutet. Menschen legen entweder Wert auf innere oder äußere Faktoren. Je nachdem, welche der beiden Einstellungen ein Mensch hat, spielt Geld eine wichtigere oder weniger wichtige Rolle, um glücklich zu sein. Rojas Studie in Mexiko ergab, dass 61,4 Prozent der Befragten durch externe Faktoren (materielle Dinge, Reichtum, Besitz, Ruhm) ausdrücken. 143 Kirchler, E. (2011) - Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat Merke: Es erhärtet sich die Vermutung, dass hohe Lebensqualität, materieller Wohlstand, Sicherheit und Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung insgesamt zum Wohlbefinden im Staat führen. Weiteres ist anzunehmen, dass die Korrelation zwischen Lebenszufriedenheit und wirtschaftlicher Prosperität unterschätz werden könnte, da das übliche Maß zur Feststellung der Höhe wirtschaftlicher Prosperität, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), fehlerbehaftet ist. Das BIP steigt, wenn viel gearbeitet wird. Arbeit hängt aber nur dann mit Zufriedenheit stark zusammen, wenn sie sinnstiftend und persönlichkeitsförderlich ist. Manche Faktoren, welche mit einer hohen Lebensqualität und Zufriedenheit verbunden sind, werden im BIP nicht berücksichtigt: Ökologische Werte, Arbeitsplatzsicherheit oder der Wert der Freizeit werden im BIP nicht abgebildet. Hingegen fließen viele Faktoren in das BIP ein, die sicher nicht glücklich machen, wie Zerstörung und Kriminalität. Das BIP steigt nach Naturkatastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen, weil Zerstörung und Wiederaufbau die Produktion fördern. Wenn die Kriminalität im Lande ansteigt, werden meist die Ausgaben für Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung angehoben, auch diese fließen in das BIP ein. Vermutungen über den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Entwicklungen und Zufriedenheit haben bedeutende sozialpolitische Auswirkungen. Wenn einerseits angenommen wird, dass durch die ständige Anpassung des Anspruchsniveaus das Befinden im Staate von der materiellen Lage unbeeinflusst bleibt, dann verliert das Streben nach Wachstum und wirtschaftlichem Reichtum seinen Sinn; gleichzeitig aber auch das Bestreben, die Ressourcen zwischen erster und „letzter“ Welt umzuverteilen. Wenn andererseits materiellem Besitz Bedeutung für das Glück der Menschen zuerkannt wird, dann werden sowohl einzelne Individuen als auch ganze Volkswirtschaften in eine “Tretmühle des Produzierens und Konsumierens“ gedrängt, in der es um die Schaffung von Reichtum auch auf Kosten anderer geht.