RWTH Aachen · AVT Systemverfahrenstechnik · 52074 Aachen · Prof. Alexander Mitsos, Ph.D. Simulationstechnik Musterlösung zur 5. Frontalübung1 DA Systeme L1 R1 i1 i2 uL1 L2 i3 uR1 uin uL2 L3 uL3 Abbildung 1: Schaltkreis In Abb. 1 ist ein elektrischer Schaltkreis bestehend aus einem Widerstand R1 und drei Induktivitäten L1, L2 und L3 dargestellt, welcher mit einer sinusförmigen Spannung uin = 1V sin(ωt + φ) beaufschlagt wird. Der Schaltkreis lässt sich durch das folgende mathematische Modell beschreiben: di1 L1 = uL,1 , dt di2 L2 = uL,2 , dt di3 L3 = uL,3 , dt uR,1 = i3 R1 , 0 = i1 + i2 − i3 , 0 = uL,1 − uL,2 , 0 = −uin + uR,1 + uL,1 + uL,3 1© AVT.PT, Prof. Wolfgang Marquardt; AVT.SVT, Prof. Alexander Mitsos 1 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) Simulationstechnik: Lösung 5. Frontalübung 2 Aufgabe 1: Modellierung Anmerkung: In der Vorlesung haben wir immer differentielle Gleichungen der Form ẋi = f (x, z, u, p) betrachtet. In dieser Übung liegen die differentiellen Gleichungen in der Form ẋi · zj = f (x, z, u, p), bzw. ẋi · pj = f (x, z, u, p) vor. Durch Dividieren erhält man die explizite Form der Vorlesung. 1.1. Identifizieren Sie Knoten, Zweige und Maschen im Schaltkreis! Woher kommen die gegebenen Gleichungen? Lösung • Knoten sind Verzweigungen zwischen mehr als zwei Bauteilen. Es gibt zwei Knoten n = 2: zwischen dem Widerstand und den Induktivitäten L1 und L2 und zwischen den Induktivitäten L1 und L2 und der Induktivität L3. • Zweige sind Verbindungen zwischen Knoten. Es gibt drei Zweige z = 3 und wir führen für jeden einen Strom ein. • Maschen sind geschlossene Stromkreise die keinen weiteren geschlossenen Stromkreise enthalten. Es gibt drei Maschen, m = 3: Einen Stromkreis, der L1 und L2 enthält, einen Stromkreis, der R1, L1 und L3 enthält und einen Stromkreis, der R1, L2 und L3 enthält. Wir brauchen also n − 1 = 2 − 1 = 1 Knotengleichungen und z − (n − 1) = 3 − 1 = 2 Maschengleichungen. L1 R1 i1 i2 uL1 L2 i3 Knoten Zweig z1 Zweig z2 Zweig z3 Masche m1 Masche m2 Masche m3 uR1 uin uL2 L3 uL3 Abbildung 2: Schaltkreis Lösung Bei Gln. (1)–(3) handelt es sich um Bauteilgleichungen für die Induktivitäten. Bei Gln. (4) handelt es sich um die Bauteilgleichung für den Ohm’schen Widerstand R1 . Gln. (5)–(7) Simulationstechnik: Lösung 5. Frontalübung 3 entsprechen den Kirchhoff’schen Gesetzen (eine Knotengleichung und zwei Maschengleichungen). 1.2. Identifizieren Sie differentielle Gleichungen, algebraische Gleichungen, differentielle Variablen, algebraische Variablen, Eingänge und Parameter! Lösung Gln. (1)–(3) sind differentielle Gleichungen, Gln. (4)–(7) algebraische Gleichungen. Die Ströme i1 , i2 und i3 sind die differentiellen Größen, die Spannungen uR,1 , uL,1 , uL,2 und uL,3 die algebraischen Variablen. Die Spannung uin ist der Eingang. Die Bauteilkonstanten R1 , L1 , L2 und L3 sind die Parameter. Aufgabe 2: Index Wie kann man im Allgemeinen anhand der algebraischen Gleichungen eines gegebenen Systems erkennen, ob es sich um ein System mit einem Index größer eins handelt? Überprüfen Sie für das gegebene System, ob der differentielle Index größer eins ist! Lösung Bei semi-expliziten DA-Systemen müssen die algebraischen Gleichungen nach den algebraischen Variablen auflösbar sein. Wenn das nicht möglich ist, dann liegt ein System mit differentiellem Index größer 1 vor. Wenn die Inzidenzmatrix nicht vollen strukturellen Rang hat (die Inzidenzmatrix ist singulär), ist der differentielle Index des Systems größer eins. Man überprüft ob die algebraischen Gleichungen (4)–(7) nach den algebraischen Variablen z (hier uR,1 , uL,1 , uL,2 und uL,3 ) aufgelöst werden können. In der algebraischen Gleichung (5) kommt keine algebraische Variable vor. Also ist die Inzidenzmatrix singulär und der differentielle Index größer eins. Aufgabe 3: Indexreduktion Bestimmen Sie den differentiellen Index des Systems. Geben Sie gegebenenfalls auftretende zusätzliche algebraische Gleichungen explizit an. Hinweis: Es genügt, den Index solange zu reduzieren, bis Sie nachweisen können, dass es sich bei dem Index-reduzierten System um ein Index-1 System handelt. Lösung Wir leiten Gl. (5) nach der Zeit ab, und hoffen, eine weitere algebraische Gleichung für uL,1 , uL,2 und uL,3 zu erhalten: di1 di2 di3 + − 0= dt dt dt di1 di2 di3 Wir substituieren die Terme dt , dt und dt indem wir Gleichungen (1)–(3) einsetzen, und erhalten die zusätzliche algebraische Gleichung: 0= uL,1 uL,2 uL,3 + − . L1 L2 L3 (8) Die Inzidenzmatrix der algebraischen Gleichungen (hier haben wir die problematische Glei- Simulationstechnik: Lösung 5. Frontalübung 4 chung (5) durch (8) ersetzt) hat vollen strukturellen Rang: uR,1 uL,1 uL,2 uL,3 (4) ∗ 0 0 0 (6) 0 ∗ ∗ 0 (7) ∗ ∗ 0 ∗ (8) 0 ∗ ∗ ∗ Also ist die notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung für Lösbarkeit erfüllt. Die algebraischen Gleichungen sind linear, also könnte man Lösbarkeit durch den Rang der Matrix bestimmen. Alternativ kann man die Gleichungen (4), (6), (7) und (8) explizit nach den algebraischen Größen uR,1 , uL,1 , uL,2 und uL,3 auflösen uR,1 = R1 i3 uL,1 = uL,2 uL,3 = uin − R1 i3 − uL,2 und mit Einsetzen in (8) bekommt man eine explizite Gleichung für uL,2 , die dann wiederum eingesetzt werden kann. Der differentielle Index des DA-Systems ist also 2, da wir einmal ableiten mussten, um die algebraischen Gleichungen nach den algebraischen Variablen auflösen zu können, und ein weiteres mal um eine explizite Differentialgleichung für jede algebraische Variable zu bekommen. Wir können also bereits das Index-1 System für die Simulation aufstellen. Aufgabe 4: Simulation Geben Sie an, welche Gleichungen Sie für die Simulation des Schaltkreises verwenden würden! Begründen Sie ihre Antwort! Lösung Für die Simulation wählt man zwei der drei Differentialgleichungen (1)–(3) und zusätzlich alle algebraischen Gleichungen (4)–(7) und (8) aus, da dieses mathematische Modell auch numerisch stabil gelöst werden kann. Die ausgewählten Gleichungen ergeben zusammen das Index-1 System (man kann leicht erkennen, dass dieses ein Index-1 System ist). Daher kann man direkt konsistente Anfangswerte auswählen. Aufgabe 5: Freiheitsgrade Wie viele frei wählbare Anfangsbedingungen lassen sich spezifizieren? Geben Sie beispielhaft zwei Sätze konsistenter Anfangsbedingungen an! Lösung Es können zwei Anfangsbedingungen vorgegeben werden, da das Index-1 System zwei differentielle Variablen hat. Mögliche Kandidaten sind i1,0 und i2,0 , i1,0 und i3,0 oder i2,0 und i3,0 . Um sicher zu sein, wählt man die Variablen für die man differentielle Gleichungen gewählt hat. Simulationstechnik: Lösung 5. Frontalübung 5 Aufgabe 6: Induktivitäten (Zusatzaufgabe) N parallel geschaltete Induktivitäten lassen sich im Allgemeinen zu einer Gesamtinduktivität 1 Lges,N = PN 1 i=1 Li zusammenfassen. M in Reihe geschaltete Induktivitäten lassen sich analog über Lges,M = M X Li i=1 als eine zusammengesetzte Induktivität beschreiben. Welche Auswirkungen hat die Modellierung der Induktivitäten L1, L2 und L3 als eine zusammengesetzte Induktivität auf den differentiellen Index des resultierenden Systems? Nennen Sie einen Vorteil und einen Nachteil des Ansatzes, die drei Induktivitäten als eine zusammengesetzte Induktivität zu modellieren! Lösung Durch die Modellierung der Induktivitäten L1, L2 und L3 als Gesamtinduktivität erhalten wir 1 Lges = 1 1 + L3 + L1 L2 Wir haben jetzt nur einen Zweig und deshalb auch nur einen Strom i. Es werden Gl. (1)–(3) durch di Lges = uL,ges dt ersetzt. Zudem entfallen die algebraischen Gln. (5) und (6). Die neue Modellformulierung lautet: di Lges = uL,ges , dt (9) 1 + − L3 (10) uR,1 = iR1 0 = −uin + uR,1 + uL,ges . (11) (12) 0 = Lges − 1 L1 1 L2 Man kann jede algebraische Gleichung nach einer algebraischen Variable auflösen. Also ist der differentielle Index des resultierenden Systems eins. Zur Information: wir haben hier ein Beispiel gesehen, wie man Indexreduktion durch Projektion machen kann, in dem man Variablen zusammenführt. Indexreduktion wird genauer in der Vorlesung Modellierung technischer Systeme betrachtet. Vorteile: niedriger Index, Identifikation konsistenter Anfangsbedingungen trivial, einfachere numerische Lösung... Nachteile: Ströme i1 und i2 werden nicht aufgelöst, man muss die zusammengesetzte Induktivität erkennen.