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Die Macht des Mitmachen-Wollens - Über das Böse

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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Ethisch-Philosophisches-Grundstudium
Blockseminar: Über das Böse
Leitung: Roswitha Dörendahl
Wintersemester 2014/15
„Wieso hast Du Unterstützung geleistet?“
DIE MACHT DES MITMACHEN-WOLLENS
Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer am Hitlerregime
und der neue Verbrechertypus ‚Eichmann’
Vorgelegt von:
Franziska Kuhn
Friedrichring 33
79098 Freiburg
[email protected]
Matr.-Nr. 3710461
LA Germanistik, 3. Semester
LA Philosophie, 3. Semester
Staatsexamen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ........................................................................................................................... 3
2. Die Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer am Hitlerregime, sowie ein
Charakterisierungsversuch Eichmanns .........................Fehler! Textmarke nicht definiert.
2.1
2.2
2.3
2.4
Die Nicht-Teilnehmer und die Teilnehmer ................................................................... 3
Die Argumente der Teilnehmer..................................................................................... 5
Durch Mitmachen entsteht Macht ................................................................................. 8
Eichmann, ein neuer Verbrechertyp ............................................................................ 10
3. Fazit .................................................................................................................................. 11
4. Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 13
5. Verpflichtungserklärung ................................................................................................ 14
2 1. Einleitung
„Ich weiß heute noch, dass ich keine weiteren Fragen stellte, sondern froh und stolz war, nun
[...] zu den Leuten der SS zu gehören.“1
Dieses Zitat Eichmanns ist bezeichnend für die Kräfte, welchen er rückblickend erlag.
Er versuchte mit aller Kraft Teil einer Bewegung zu sein. Er wollte dazugehören und mitmachen, auf keinen Fall zu einem Außenseiter werden. Diese Angst ausgestoßen zu werden, war
so groß, dass er weder die ihm befohlenen Aufgaben hinterfragte, noch in der Lage war, eigenständig über seine Taten zu denken und zu urteilen.
Eichmann, der in der Abteilung für Juden- und Räumungsangelegenheiten mit der Deportation der Juden beauftragt war, gehört nicht zu den Persönlichkeiten, welche während den
zwölf Jahren des Dritten Reichs besonders auffällig in Erscheinung getreten waren. Erst als
der Krieg bereits verloren war und die Aufarbeitung der schrecklichen Geschehnisse begann,
wurde Eichmann zu einer überaus bekannten und wichtigen Person.2 Am 11. April 1961 wurde er vor das Bezirksgericht von Jerusalem gestellt. Die Anklage lautete: Verbrechen gegen
das jüdische Volk, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen.3
Ziel dieser Hausarbeit ist es, die Gründe und Motive Eichmanns herauszuarbeiten. Wie rechtfertig er und die anderen Teilnehmer ihre Beteiligung am Hitlerregime? Was trieb speziell
Eichmann dazu jeglichem Befehl von oben sofort Folge zu leisten? Und wie konnte es passieren, dass er in der Lage war, grausamste Taten auszuführen, ohne diese zu hinterfragen?
Schließlich soll am Ende dieser Arbeit die Aussage Kurt Sontheimers4, Adolf Eichmann sei
ein willenloses Werkzeug, auf ihre Richtigkeit geprüft und bei Bedarf angepasst werden.
2. Die Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer am Hitlerregime, sowie ein Charakterisierungsversuch Eichmanns
2.1 Die Nicht-Teilnehmer und die Teilnehmer
In ihrem Aufsatz Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur? unterscheidet
Arendt zwei Gruppen von Menschen zur Zeit des Hitlerregimes: Eine Masse-Gruppe der
Teilnehmer und einer sehr viel kleinere Gruppe der Nicht-Teilnehmer. Es stellt sich daher
1
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. In: Aschenauer, Rudolf (Hg.): Ein historischer Zeugenbericht. DruffelVerlag. Augsburg 1980, S. 68.
2
Vgl. ebd. S. 13.
3
Vgl. Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem. erw. u. bearb. Aufl. Piper Verlag. München 2011, S. 93.
4
Sontheimer, Karl: Hannah Arendt- Der Weg einer großen Denkerin. Piper Verlag, München 2005, S. 196f.
3 unvermeidlich die Frage, wieso die zweite Gruppe so klein und demnach nur so wenige bereit
waren, nicht-teilzunehmen.
Hierauf lässt sich nach Arendt eine einfache und schnelle Antwort finden: Es gelang
nur wenigen, selbst zu urteilen.5 Dieses Kriterium des selbständigen Denkens und Urteilens
kann als das maßgebende Unterscheidungsmerkmal gesehen werden. Durch das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein dieser Fähigkeit, lassen sich die Menschen in Teilnehmer und
Nicht-Teilnehmer einordnen.
Die Gruppe der Nicht-Teilnehmer, welche ein funktionierendes Denk- und Urteilsvermögen
besitzen, ist eine sehr kleine Gruppe. Dies ist zunächst nicht erklärbar, da die Menschen dieser Gruppe nicht von hervorstechender Intelligenz oder übersteigertem Moralverhalten sind.
Auch sind Faktoren wie sozialer Stand, Bildung oder Vermögen von keinerlei Bedeutung für
eine Identifikation mit dieser Gruppe. Was sie auszeichnet, ist ihr funktionierendes Gewissen:
„Sie stellten sich die Frage, inwiefern sie mit sich selbst in Frieden leben könnten, wenn sie
bestimmte Taten [begehen würden].“6 Sie führen gewissermaßen ein stilles Zwiegespräch mit
sich selbst, in welchem, wie bereits bei Sokrates und Plato nachweisbar, die Tatsache, dass
jeder Mensch mit sich selbst und seinem Selbst zusammenlebt, in den Vordergrund gestellt
wird. Ein interessanter Aspekt ist ebenfalls, dass diese Menschen laut Arendt nicht den größten Nutzen für ihre Umwelt im Sinn haben und auch nicht aufgrund ihrer religiösen Einstellung und der damit einhergehenden Verpflichtung gegenüber den Geboten7 so handeln, sondern schlicht mit dem Gedanken, den Rest ihres Lebens mit einem Mörder, nämlich eben genau sie selbst, verbringen zu müssen, nicht konform gehen können und wollen. Arendt beschreibt weiter, dass die Nicht-Teilnehmer, welche bei ihren Zeitgenossen als unverantwortlich galten, durch ihren Nicht-Gehorsam in dem Sinne verantwortungsbewusst gehandelt haben, als dass sie keine Verantwortung annahmen.8
Es kann also behauptet werden, dass diese Gruppe vor allem sich selbst und das eigene Gewissen in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungsfindung stellt. Werden sie dennoch gezwungen
teilzunehmen, so erscheint diesen wenigen der eigene Tod als die geeignetere Alternative.
Im Gegensatz zu dieser kleinen Oppositionsgruppe erfährt die Gruppe der Teilnehmer
sehr großen Zulauf. Hier findet sich ebenfalls eine heterogene Mischung aus Menschen der
verschiedensten Sozialmilieus. Neben dem ungebildeten Arbeiter sind in diese Gruppe ebenso
5
Vgl. Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur? In: Bittmann, Klaus und
Geisel, Elke (Hg.): Nach Auschwitz. Essays & Kommentare 1. Tiamat Verlag. Berlin 1989, S. 93
6
Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 93.
7
beispielsweise Gebot 5 der zehn Gebote: Du sollst nicht töten
8
Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 95-97.
4 Politiker oder Unternehmern mit hohem Bildungsabschluss zu zählen. Es zeigt sich also sehr
deutlich, dass die Trennungslinie zwischen Teilnehmer- und Nicht-Teilnehmergruppe quer zu
allen sozialen Unterschieden verläuft.9
Es klingt absurd, doch scheint die strikte Fokussierung auf sich selbst, (kein Komma oder?)
beinahe schon ein egoistisches Verhalten der Nicht-Teilnehmer, diese Menschen vor einer
Teilnahme und hierdurch einer Mitschuld bewahrt zu haben. Nun stellt sich notgedrungen
eine weitere Frage: Wenn eine positive Form des Egoismus die Menschen an dieser Stelle zu
Nicht-Teilnehmern machte, was trieb dann die Teilnehmer voran? Oder, um es gravierender
auszudrücken: Wenn die Nicht-Teilnehmer an sich selbst dachten, dachten dann die Teilnehmer etwa an die Anderen?
Diese Aussage wirkt bereits auf den ersten Blick bizarr. Es kann nicht davon ausgegangen
werden, dass ein Mensch wie Eichmann, während er grausamste Taten ausführte, tatsächlich
altruistische Gedanken hatte. Aber was war es dann, was Teilnehmer wie ihn antrieb?
2.2 Die Argumente der Teilnehmer
Die Mitglieder der Teilnehmer-Gruppe begründen ihre Teilnahme - und diese war in mancher
Hinsicht geradezu euphorisch - auf Nachfrage vorrangig mit drei Argumenten, welche im
Folgenden auf ihre Überzeugungskraft hin geprüft werden sollen:
Ein Argument der Teilnehmer ist ihr Verweis auf die bürokratischen Begebenheiten zu dieser
Zeit. Durch die strikte Hierarchisierung und Aufgabenteilung der verschiedenen Arbeitsschritte entstand eine geradezu schützende Anonymität. Eichmann hebt in diesem Zusammenhang
gerne die strikten Grenzen seiner Arbeit hervor: „Wiederholt betone ich, daß meine Aufgabe
nur darin bestand [...].“(Hervorh. d. Verf.)10 Ein jeder kann, wenn er so wollte, einzig und
alleine seine Aufgabe betrachten, die für sich selbst gesehen noch nichts Verwerfliches an
sich hatte. Arendt schreibt passend hierzu, dass sich menschliches Verhalten zu einfach beeinflussen und konditionieren lasse.11 In Folge dieser Begebenheit akzeptiert auch der Verstand
der Teilnehmer die Kategorisierung und strengen Formen der Arbeit sehr gerne, da er hierdurch auch von der Aufgabe losgesprochen wird, selbständig denken zu müssen, was eine
gewisse Leichtigkeit im Ausführen der Arbeit erzeugt. Durch die Kleinschrittigkeit der Arbeitsprozesse fällt es darüberhinaus sehr schwer, einen wirklichen Verantwortlichen zu be 9
Vgl. Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 94.
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. S. 109.
11
Vgl. Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 86.
10
5 stimmen. Denn die Befehle kommen jeweils von der nächst höheren Instanz und jeder gibt
diese weiter. Somit ist gleichzeitig auch jeder in diesem Modell austauschbar. Eichmann beschreibt diesen Zustand mit den folgenden Worten: „Damit war meine Aufgabe erfüllt [...]
und der weitere Verlauf der Dinge gehörte nicht zu meinem Ressort.“12 Er gibt an, nur ein
winzig kleines Rädchen in diesem großen Getriebe gewesen zu sein, was bei seiner Weigerung sofort hätte ersetzt werden können. Und so wäre eben ein anderer für genau diesen Arbeitsschritt verantwortlich gewesen. Das Ergebnis aber, so verteidigt sich Eichmann, wäre
früher oder später immer das Selbe gewesen.
Die Aussage der Teilnehmer, dass sie in diesem Modell nur ein austauschbares Rädchen sind, ist wohl der Knackpunkt der Widerlegung dieses Arguments. Hätten sich schlichtweg alle gegen diese Arbeit ausgesprochen, so hätte dieses Rädchen nicht besetzt werden
können. Die Folgen für das ganze Getriebe wären fatal, denn wenn auch nur ein Rädchen
nicht ordentlich funktioniert, legt es den ganzen Betrieb lahm. Auf die realen Zeitumstände
bezogen beutetet dies, dass wenn sich jeder geweigert hätte eine verbrecherische Arbeit anzunehmen, die ganze Idee der Judenvernichtung nicht hätte in die Tat umgesetzt werden können. Denn gerade weil sie ein kleines Rädchen und demnach ein wichtiger Teil des großen
Getriebes waren, hatten sie eine große Macht. Ob Eichmann sich dieser Macht zumindest
annähernd bewusst war, bleibt sehr fraglich.
Neben dem oben genannten Argument des Rädchen im Getriebes wird auch das Argument
des geringeren Übels sehr häufig von den Teilnehmern angeführt. Hiermit rechtfertigen Sie
ihre Teilnahme mit heldenmütigen Gedanken und der Idee, helfend eingreifen zu können:
„Wir, die wir heute schuldig erscheinen, sind in Wirklichkeit diejenigen, welche ausgehalten haben, um Schlimmeres zu verhindern; nur diejenigen, die dabeigeblieben
sind, hatten die Möglichkeit, mäßigend einzuwirken und zumindest einigen Menschen
zu helfen [...].“13
Durch ihre aktive Teilnahme, so argumentiert auch Eichmann, können sie noch Schlimmeres
abwenden und ihre Mitmenschen somit vor noch viel größerem Schaden und Leid bewahren.
Sie entscheiden sich also bewusst, an diesem Übel teilzunehmen, haben hierbei aber ihrer
Ansicht nach tatsächlich selbstlose Gründe. Durch ihr aktives Eingreifen und Mitmachen versprechen sie sich mehr Macht und erhoffen sich hierdurch auch mehr Entscheidungsgewalt.
Doch auch als Eichmann diese Mitbestimmungsmacht in gewisser Weise innehat, verwendet
er sie nicht gegen die menschenunwürdigen Ideen Hitlers.
12
13
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. S. 101.
Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 84.
6 Das Argument des kleineren Übels lässt sich aus der heutigen Perspektive sehr schnell
entkräften. Zum einen ist auch kleines Übel noch immer ein Übel. Zum anderen inkludiert die
Entscheidung für das kleine Übel eine Entscheidung für ein Übel. Darüber hinaus kann es nur
einem äußerst starken Euphemismus geschuldet sein, den Mord an sechs Millionen Juden als
kleines Übel zu bezeichnen.14 Möglicherweise aber wäre dieser Rechtfertigungsversuch der
Teilnehmer doch ein sehr heldenhafter und akzeptabler Grund gewesen. Dies jedoch hätte in
einem frühen Versuch, das Hitlerregime zu stürzen, zum Ausdruck kommen müssen. Oder im
Falle Eichmanns mit einer Änderung seiner Vorgehensweise belegt werden müssen. Das geschah aber nicht. Die Idee, durch ihre Teilnahme noch in gewisser Weise eingreifen zu können, ist dennoch nicht falsch. Durch ihr Fachwissen und ihre Arbeitskraft greifen sie tatsächlich in die Vorgänge ein, allerdings als wichtige und das Regime vorantreibende Unterstützer.15
Das am häufigsten vorgebrachte Argument ist das Gehorsamkeits-Argument. Die Befehle
Hitlers besitzen zur Zeit des Dritten Reiches Gesetzeskraft. Das bedeutet, „[...] daß der Führerbefehl das Kernstück der geltenden Rechtsordnung darstellte.“16 Die Teilnehmer heben
also neben dem Tugend- auch den Verbindlichkeitsstatus des Gehorsams hervor und verweisen darauf, dass jede Organisation Gehorsam verlange, denn ohne wäre kein politisches Gemeinwesen möglich.17 Auch Eichmann betont während der Verhandlung immer wieder, dass
er stets nur seine Pflichten ausgeführt habe. Er selbst habe das Gesetz immer befolgt und sieht
sich als zuverlässigen Befehlsempfänger. Diese Art des blinden Gehorsams bezeichnet Eichmann aufgrund seiner passiven Ausübung selbst als einen Kadavergehorsam.18 Seine Gesetztestreue verlangt von ihm, die erhaltenen Befehle nach bestem Wissen und Vermögen eifrig
auszuführen. Dabei verschwendet er keine Zeit damit, diese zu hinterfragen: „Wo wären wir
denn auch hingekommen, wenn jeder Befehlsempfänger sich gefragt hätte, ob der erhaltene
Befehl einen Sinn hat?“19 Diese Einstellung des übersteigerten Gehorsamkeits-Gedanken,
lässt sich bei allen Teilnehmern finden. Bei Eichmann jedoch kulminiert diese Auffassung,
denn selbst die genaue Kenntnis über die Dramatik seiner Aufgabe kann sein Verlangen, gehorchen zu dürfen, in keinster Weise schmälern. Dass Gehorsamkeit und Pflichtgefühl für
Eichmann nicht mehr nur erstrebenswerte Tugenden, sondern zu einem inneren und überaus
14
Vgl. Podhoretz, Norbert: Hannah Arendt über Eichmann – Eine Studie über die Perversität der Brillianz. In:
Moses, Siegried (Hg.): Nach dem Eichmannprozess. Cuncil of Jews from Germany. Jerusalem 1963, S. 119.
15
Vgl. Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 85.
16
Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem. S. 97.
17
Vgl. Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 95.
18
Vgl. Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem, S. 231.
19
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. S. 161.
7 starken Zwang geworden sind, zeigt sich in seiner Verteidigungsrede aus Jerusalem: „[...] ich
weiß, ich hatte eine schwere und grausame Aufgabe, die ich nicht gewählt habe, zu deren Erfüllung mich jedoch Gehorsam und Pflichtbewusstsein kategorisch zwangen.“20
Das Problem mit diesem Argument ist, dass es nicht so einfach zu entkräften ist wie
die beiden erstgenannten. Besonders wenn man sich die politische Situation der Zeit bewusstmacht, erscheint es beinahe logisch, dem zu einem legalen Gesetz gewordenen Wort
Hitlers Folge zu leisten. Dennoch lässt sich bei Eichmann erkennen, dass er aus puren Gehorsamkeitswillen seine Aufgaben ausführt und nicht weil er persönlich hinter dieser Tätigkeit
steht. Er hat sogar private Gründe gehabt, gar keine Juden zu deportieren.21 Dass er dennoch
so fleißig seiner Arbeit nachgeht, hängt mit seiner verrückten Idealisierung des Gehorsams
zusammen. Dies belegt seine Antwort auf die Frage, ob er denn kein schlechtes Gewissen in
Anbetracht der verbrecherischen Natur seiner Taten habe. Eichmann führt sehr sicher und
überzeugt aus,
„[...] daß ihm nur eins ein schlechtes Gewissen bereitet hätte; wenn er den Befehlen
nicht nachgekommen wäre und Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht mit
unermüdlichem Eifer und peinlicher Sorgfalt in den Tod transportiert hätte.“22
Soweit erscheint seine Begründung zwar erschreckend empfindungslos, wenn doch auch zeitgeschichtlich logisch. Arendt jedoch schreibt, dass hier ein Fehlschluss vorliegt. Nur Kinder
und Sklaven dürfen gehorchen. Sie begründet dies mit der Tatsache, dass diese beiden Gruppen ohne den Gehorsam hilflos wären. Bei Erwachsenen hingegen hat das Gehorchen viel
weitgreifendere Auswirkungen. Denn sobald diese gehorchen, beginnen sie die Organisation
oder die Führungsperson zu unterstützen.23
2.3 Durch Mitmachen entsteht Macht
Eine einzelne Person hat zunächst, ganz gleich wie edel oder verachtend ihre Ziele und Ideen
sind, keinerlei Macht. Sobald diese Person aber Menschen findet, welche ihr gehorchen, beginnt sich eine Macht zu entwickeln. Am Argument des geringeren Übels wurde deutlich,
dass die Teilnehmer mithilfe ihrer eigenen Kapazitäten in Form von Wissen und Arbeitskraft
die Macht Hitlers, wenn auch zunächst unwissend, stetig steigern. Durch ihren Gehorsam
bringen sie sich und ihre Fähigkeiten automatisch in die Sache mit ein, was diese stark macht.
Sie machen also mit. Sie unterstützen durch ihr Mitmachen eine Person, deren Auffassung sie
20
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. S. 58.
Sein Job bei der Vacuum Oil Company wurde ihm vom Juden Weiss vermittelt, außerdem gibt es den Verdacht, dass er eine jüdische Geliebte hatte. Siehe hierzu: Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem. S. 103ff.
22
Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem. S. 98.
23
Vgl. Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 95.
21
8 womöglich gar nicht teilen, wenn nicht sogar verurteilen. Dies ist in diesem Fall aber unerheblich, denn die Gleichung ist festgelegt: Aus Gehorchen entsteht ein Mitmachen und dieses
Mitmachen erhöht die Macht der Person, welche den Gehorsam fordert.
Hätte schlichtweg niemand gehorcht, so wäre Hitler mit seinen abstrusen Zielen
machtlos geblieben. Denn wenn es keine Person wie Eichmann gegeben hätte, welche aus
Pflichtbewusstsein und Gehorsam die Deportationen organisiert hätte, dann hätten sie auch
nicht durchgeführt werden können und die Pläne Hitlers wären nie in die Tat umgesetzt worden. Hanna Arendt drückt diesen Sachverhalt simpel, aber sehr präzise aus: „Die Hitlers sind
doch nun wirklich nicht diejenigen, die eigentlich typisch für diese Dinge sind; denn die wären doch ohnmächtig ohne die Unterstützung der anderen.“24
Hier lässt sich die klare Umkehr zwischen der Hilflosigkeit der Kinder und Sklaven
bei Nicht-Gehorchen und der Hilflosigkeit, welche die Führungsperson erfährt, wenn keiner
ihre Ziele unterstützt, erkennen. Letztere möchte ich gerne positive Hilflosigkeit nennen, da
die Verhinderung der Verwirklichung von grausamen und menschenverachtenden Ideen und
Pläne durch fehlende Macht der Führungsperson ein wünschenswerter Zustand ist. Diese
Hilflosigkeit hätte auch Hitler erfahren können, wenn keiner seinen Befehlen blind gehorcht
und ihm demnach nicht bereitwillig unterstützt hätte. Arendt formuliert daher abschließend
auch die Forderung, diejenigen, welche mitmachten nicht danach zu fragen, wieso sie gehorcht hatten. Stattdessen muss gefragt werden: „Wieso hast Du Unterstützung geleistet?“25
Dies soll ihnen das große Ausmaß ihres Gehorchens verdeutlichen.
Eichmann wurde diese Frage in dem Wortlaut nie gestellt. Er wird aber stets nach seinen
Handlungsmotiven gefragt. Seine Antwort hierauf kann aus der hier vorliegenden Arbeit abgeleitet werden: Er will um jeden Preis seine aufgetragenen Befehle ausführen und gehorchen. Ein vermutlich noch wichtigerer, da diesem Gehorsamswillen vorangestellter Grund, ist
der andauernde Versuch Eichmanns, sich in eine Gruppe zu integrieren und dazuzugehören.
Er will mitmachen und voll anerkanntes Mitglied einer Gruppe sein. Die Möglichkeit, einer
Gruppierung ausgeschlossen zu sein, ist für ihn eine stressende Vorstellung von Einsamkeit
und Wertlosigkeit. Dies zeigt sich in seiner andauernden Mitgliedschaft in diversen Bünden
und Verbänden lange Zeit vor seinem Eintritt in die NSDAP und SS.26 Zu diesem Zwang des
Mitmachen-Wollens kommt noch der hinzu, dass Eichmann sich unter einer strengen und
24
Arendt, Hannah und Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. In: Ludz, Ursula und Wild,
Thomas (Hg.): Eichmann war von empörender Dummheit- Gespräche und Briefe. Piper Verlag. München
2011. S. 38.
25
Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Diktatur?, S. 97.
26
Vgl. Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem, S. 106.
9 strikten Führung am besten aufgehoben fühlt. Er benötigt das Wissen einer über ihm stehenden Autoritätsperson. Über seine Zeit in amerikanischer Gefangenschaft schreibt er bezeichnenderweise: „Nun war ja wieder alles in Ordnung, mein Wesen konnte sich wieder beruhigenden, denn ich war ja nicht mehr bar jeglicher Führung, sondern ich wurde ja wie eh und je
weitergeführt.“27
2.4 Eichmann, ein neuer Verbrechertyp
Eichmanns unbedingter Gehorsam macht ihn zu einem enorm starken Unterstützer des Regimes. Darüber hinaus ist er nicht fähig mit sich selbst in ein Zwiegespräch zu treten, geschweige denn selbständig zu denken und zu urteilen. Er befindet sich, wie Arendt schreibt,
im „reinen Leerlauf“28. Die Lust am Funktionieren ist ein starker Charakterzug Eichmanns.
Sein energischer Wille, anerkannt zu werden und Mitmachen-zu-Können, in Kombination mit
seinem Gehorsam und dem bedenkenlosen Funktionieren machen Eichmann geradezu zu dem
perfekten Teilnehmer und Unterstützer.
Die Tatsache, dass Eichmann nicht nur einer der vielen passiven Teilnehmer, sondern
fleißiger Unterstützer ist, wirft ganz neue Fragen auf. Joachim Fest erkundigt sich in einer
Rundfunksendung vom 9. November 1964 bei Arendt, ob sie einen neuen Verbrechertyp in
Eichmann erkennt. Diese stimmt unter Vorbehalt zu. Am Beispiel Eichmann erkenne man,
dass die gewöhnliche Beschreibung eines Verbrechers hier nicht angewendet werden kann. Es
ließen sich keine verbrecherischen Motive, wie Leidenschaft und eigenes Interesse, finden.29
Es muss sich also abschließend auch die Frage gestellt werden, inwieweit Eichmann
dem typischen Mörderbegriff entspricht. Bereits im Jerusalemer Gerichtssaal wird von seinem
ungefährlichen, normalen, fast schon unauffälligen Auftreten gesprochen. Auschlaggebender
jedoch ist die oben geschriebene Tatsache der fehlenden verbrecherischen Motive. Darüber
hinaus hat er niemals - und dies betont er vehement - den Tötungsakt vollzogen:
„Als Mörder, ja als Massenmörder schildert mich die einschlägige Nachkriegsliteratur,
und zum wiederholten Male stelle ich fest, dass weder ich, noch jemand aus meinem
Dezernat einen einzigen Juden getötet hat, überhaupt jemanden getötet hat [...].“30
Dies jedoch macht ihn für Hanna Arendt - und hierbei stimme ich ihr voll und ganz zu - zu
einem weitaus schlimmeren und furchtbareren Typus Mensch als nur einen Mörder.31 Denn
Eichmann mordet ohne persönlichen Bezug zu seinen Opfern vom Schreibtisch aus. Er über 27
Ebd. S. 101.
Arendt, Hannah und Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. S. 39.
29
Vgl. ebd. S. 38.
30
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. S. 157.
31
Vgl. Arendt, Hannah und Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. S. 55.
28
10 nimmt keinerlei Verantwortung für die Konsequenzen seiner Handlungen und ist schlichtweg
unfähig, sich vorzustellen, was mit anderen passiert. Dieser Unwille zum selbstständigen Urteilen und Denken bleibt auch nach seiner Verhaftung und bis zu seinem Tod bestehen. Kurz
vor seiner Hinrichtung in Tel Aviv lässt Eichmann verlauten, dass er keine einzige seiner Taten bereue.32
3. Fazit
In dieser Arbeit wurden die Nicht-Teilnehmer und die Teilnehmer am Hitlerregime gegenübergestellt. Hierbei wurde deutlich, dass vor allem die Fähigkeit, selbstständig zu denken
und zu urteilen als Unterscheidungsmerkmal fungiert. Die provokante These, dass die Teilnehmer von altruistischen Gedanken gelenkt wurden, konnte gänzlich verworfen werden.
Zwar zeigte sich im Argument des geringeren Übels eine Idee des Edelmuts, doch wurde mit
dem Gehorsamkeit-Argument und schlussendlich dem Argument des Rädchens im Getriebe
die Schein-Verantwortung der Teilnehmer deutlich.
Darüber hinaus konnte die Macht des Mitmachens näher analysiert werden. Es zeigte
sich, dass sie von der Angst einer Isolation und einem sozialen Ausschluss genährt wird. Im
Wir-sagen-Können erkennen die Teilnehmer eine Möglichkeit, sich einer Führungsperson
unterzuordnen und hierdurch ein wichtiger Teil einer größeren Bewegung zu sein. Welche
enormen Kräfte durch dieses Mitmachen-Wollen ausgelöst werden, wurde am Beispiel der
Unterstützer Hitlers deutlich. Schlussendlich gaben sie ihr selbstständiges Denken und Urteilen auf und mordeten um des Integrationswillens.
Dass diese Gefahr auch heute noch ernstzunehmend ist, zeigen die Meldungen über
die großen Zuspruch findende PEGIDA-Bewegung. Patriotische Europäer versammeln sich
hierbei um gemeinsam gegen die - in ihren Augen stattfindende und gefährliche - Islamisierung des Abendlandes zu protestieren. Zuletzt folgten in Dresden 15.000 Menschen dem Aufruf auf die Straße zu gehen.33 Es ist anzunehmen, dass nicht bei allen Demonstranten die
Ideologie von PEGIDA ausschlaggebend ist. Vielmehr erkennen sie in den bezeichnenderweise regelmäßig montags stattfindenden Märschen eine Gruppe, welcher sie sich anschließen können. Auch sie wollen Mitmachen und Wir-sagen-Können.
32
Vgl. Hull, William: Kampf um eine Seele- Gespräche mit Eichmann in der Todeszelle. Verlag Sonne und
Schild. Wuppertal 1963, S. 134.
33
Vgl. http://www.mdr.de/sachsen/dresden/pegida-proteste-dresden100.html, aufgerufen am 10.3.15
11 Resümierend lässt sich über Eichmann sagen, dass dieser nicht aufgrund von Mordgelüsten oder verbrecherischen Motiven gehandelt hat. Man kann ihm ebenso wenig vorwerfen,
einen tiefsitzenden Juden- oder Welthass zu hegen. Dies unterstreicht die Behauptung
Arendts, dass es sich bei Eichmann um keinen typischen Verbrecher handelt. Er war - und das
ist so erschreckend wie logisch - schlicht getrieben von diesem unbedingten Willen des Mitmachens. Podhoretz charakterisiert Eichmann daher treffenderweise als „[...] eine banale Persönlichkeit, ein Nichts, dessen Übeltaten nicht auf seinen Charakter zurückzuführen sind,
sondern eher auf seine Stellung im NS-System.“34
Sein übersteigerter Pflichtbegriff und die Idealisierung des Gehorsams machten ihn
blind für die Konsequenzen seines Handels. „Er wollte Mitmachen. Er wollte Wir sagen, und
dies Mitmachen und dies Wir-sagen-Wollen war ja ganz genug um die allergrößten Verbrechen möglich zu machen.“35
Dieses Funktionieren macht aus Eichmann definitiv ein Werkzeug. Zweifelsohne trieben ihn
seine zwanghafte Auffassung von Gehorsamkeit und Pflicht, sowie seine Angst vor einem
Ausschluss in gewissen Teilen zur Ausübung seiner Aufgaben. Gleichzeitig ist allerdings zu
erkennen, dass er sich der Tragweite seiner Taten durchaus bewusst war und er seine Arbeit
dennoch sogar mit einem gewissen Stolz ausübte. Da er sich im Besitz seiner vollen geistigen
Fähigkeiten36 bewusst dafür entschloss, über die Grausamkeit hinweg zusehen, kann Eichmann nicht als willenlos bezeichnet werden. Adolf Eichmann, das ist für mich viel eher ein
sehr williges Werkzeug.
Podhoretz, Norbert: Hannah Arendt über Eichmann – Eine Studie über die Perversität der Brillianz. S. 122. Arendt, Hannah und Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. S. 38. 36
Dies attestierten ihm verschiedenen Gutachter in Jerusalem
34
35
12 4. Literaturverzeichnis
Arendt, Hannah. Eichmann in Jerusalem. erw. u. bearb. Aufl. Piper Verlag. München 2011.
Arendt, Hannah: Was heißt persönliche Verantwortung unter einer Dikataur? In: Bittmann,
Klaus und Geisel, Elke (Hg.): Nach Auschwitz. Essays & Kommentare 1. Tiamat Verlag. Berlin 1989.
Arendt, Hannah und Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. In: Ludz, Ursula und Wild, Thomas (Hg.): Eichmann war von empörender Dummheit- Gespräche
und Briefe. Piper Verlag. München 2011.
Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann. In: Dr. Aschenauer, Rudolf (Hg.): Ein historischer
Zeugenbericht. Druffel-Verlag. Augsburg 1980.
Hull, William: Kampf um eine Seele- Gespräche mit Eichmann in der Todeszelle. Verlag
Sonne und Schild. Wuppertal 1963.
Podhoretz, Norbert: Hannah Arendt über Eichmann – Eine Studie über die Perversität der
Brillanz. In: Amery, Carl (Hg.): Die Kontroverse Hannah Arendt, Eichmann und die
Juden. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung. München 1964.
Sontheimer, Kurt: Hannah Arendt – der Weg einer großen Denkerin. Piper Verlag. München
2005.
13 5. Verpflichtungserklärung
Hiermit versichere ich,
Vorname, Name: Franziska Kuhn
Matrikel-Nr.: 3710461
dass ich die vorliegende Hausarbeit selbständig angefertigt habe und keine anderen als die im
Literaturverzeichnis angegebenen gedruckten und elektronischen Quellen benutzt habe. Alle
Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach diesen Quellen entnommen sind, habe ich in
jedem einzelnen Falle unter genauer Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich
gemacht.
Freiburg, 15.3.2015 _________________
Franziska Kuhn _______________
Ort, Datum
Unterschrift
14 
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