1 Heinz Czechowski

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1
Heinz Czechowski, Hinter der Stadt.
Eine Interpretation
von Saskia Bendrich
Inhalt
Einleitung .................................................................................................................. ............... 1
1 Heinz Czechowski
1.1 Biographie .............................................................................................................. ........ 2
1.2 Literarisches Schaffen .................................................................................................... 3
2 Analyse und Interpretation des Gedichts „Hinter der Stadt“
2.1 Raum und Zeit des Gedichts ........................................................................................ 10
2.2 Die Veränderung der Landschaft ................................................................................. 12
2.3 Die Veränderung der Menschen und ihre Suche nach Identität ................................... 14
2.4 Die zeitlichen und sprachlichen Verbindungen ............................................................ 17
2.5 Sprachliche und stilistische Anmerkungen .................................................................. 20
Fazit ........................................................................................................ ................................ 23
Literatur ................................................................................................................... .............. 24
2
Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit entstand aus dem im Sommersemester 2003 während des
Erasmus-Aufenthaltes an der Universitá degli Studi di Torino, Italien bei Professorin
Anna Chiarloni besuchten Seminar „Letteratura tedesca: Wolfgang Hilbig e Heinz
Czechowski“. Diese Hausarbeit mit dem Titel „Heinz Czechowski, Hinter der Stadt.
Eine Interpretation“ befasst sich mit dem im Seminar thematisierten Dichter.
Das erste Kapitel behandelt in je einem Unterkapitel die Biographie des Dichters und
eine umfangreiche Darstellung seines lyrischen Schaffens und seiner literarischen
Entwicklung. Nach dieser Einführung in das Werk Czechowskis folgt in dem zweiten Kapitel die Analyse und Interpretation des 1993 geschriebenen Gedichts „Hinter
der Stadt“. Dieses Gedicht bietet sich aufgrund seiner Beschreibung der ostdeutschen
Situation nach der Wende zur Interpretation eines typischen Nachwende-Gedichts
Czechowskis an. Diese Analyse wird durch Verweise auf im ersten Kapitel dargestellte charakteristische Merkmale des lyrischen Schaffens Czechowskis Bezug nehmen und einige am vorliegenden Gedicht darstellen. Selbstverständlich konnten nicht
alle Einzelaspekte des Gedichts einer genauen Analyse unterzogen und dargestellt
werden. Somit wurden einige Aspekte ausführlich behandelt, während beispielsweise
eine Analyse der Metaphorik des Gedichts oder seiner Klanglichkeit nicht berücksichtigt wurde. Die Arbeit soll herausarbeiten, ob auch dieses Gedicht charakteristische lyrische oder biographische Merkmale Czechowskis als beispielsweise Landschaftsdichter oder Melancholiker erkennen lässt. Das im dritten Kapitel abschließende Fazit fasst die Analyseergebnisse zusammen und stellt sich aus der vorliegenden Arbeit ergebende mögliche weitere Themen vor.
Zur Darstellung der Biographie Heinz Czechowskis und seines literarischen Schaffens wurden als maßgebliche Literaturgrundlage Artikel verschiedener literaturwissenschaftlicher Lexika herangezogen. Auch Rezensionen, Zeitungsartikel und Aufsätze zu Heinz Czechowski dienten dem ersten Kapitel als Grundlage. Die Analyse
des Gedichts basiert aufgrund fehlender Sekundärliteratur vornehmlich auf der eigenen Analyse der Verfasserin und wird gelegentlich durch die Interpretation Susanna
Böhme-Kubys oder eigene Äußerungen des Dichters zu dem Gedicht erweitert.
3
1 Heinz Czechowski
1.1 Biographie
Der Schriftsteller Heinz Czechowski wurde am 7. Februar 1935 als Sohn eines Finanzbeamten in Dresden geboren.1 1945 erlebte er als Kind die Bombardierung und
Zerstörung Dresdens. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs absolvierte er von
1949-1952 eine Ausbildung als grafischer Zeichner und Werbemaler. Bis 1958 war
er als Vermessungsgehilfe und Bauzeichner in einem Architekturbüro tätig. 1958
veröffentlichte er erste Gedichte in der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur, bevor er
von 1958-1961 am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig bei dem Dichter
Georg Maurer studierte. Das Studium schloss er mit einer Diplomarbeit über Heiner
Müllers Stück „Der Lohndrücker“ ab2. Von 1961 bis 1965 arbeitete Heinz
Czechowski als Lektor beim Mitteldeutschen Verlag in Halle an der Saale. 19711973 war er Dramaturg an den Bühnen der Stadt Magdeburg, bevor er von 1975 bis
1977 als Lektor im Verlag Reclam in Leipzig arbeitete. 1976 unterzeichnete Heinz
Czechowski die so genannte „Biermann-Resolution“ mit.3 Im Januar 1977 reiste er
nach Paris, 1978 in die Bundesrepublik.4 Nach seiner Rückkehr aus Paris lebte er
zunächst in Wuischke am Czorneboh (Oberlausitz), ab 1978 als freiberuflicher
Schriftsteller in Leipzig. In demselben Jahr trat er aus der SED aus. Nach der Wende
unternahm er literarische Reisen im Herbst 1991 nach Litauen und im Juni 1992 nach
Rumänien, im Herbst 1995 reiste er nach Washington5. 1992 begründete er die Freie
Akademie der Künste in Leipzig mit und war deren Vizepräsident. Seit 1993 hielt er
sich mehrmals in Italien auf.6 Dazu veranlasste ihn die Trennung und spätere Scheidung von seiner Frau: „In einer Art Trotzreaktion hatte ich, nachdem mir ihr Scheidungsbegehren auf den Tisch geflattert war, das Land in Richtung Italien fluchtartig
verlassen und später den östlichen Teil der vereinigten Republik tunlichst gemie-
1
Dorothea von Törne, Czechowski, Heinz, in: Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
seit 1945, begr. von Hermann Kunisch, fortgeführt von Herbert Wiesner, Sibylle Cramer und DietzRüdiger Moser, neu hrsg. von Thomas Kraft, Band 1: A-J, München 2003, S. 216-219, hier S. 216.
2
Biographie Heinz Czechowski, in: Schreiben Lesen Hören, 6. Autoren-Reader, hrsg. vom Kultursekretariat Nordrhein-Westfalen, Essen 1997, S. 34-35, hier S. 34.
3
Georg H. Schlatter Binswanger, Czechowski, in: Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert.
Biographisches-Bibliographisches Handbuch, begr. von Wilhelm Kosch, fortgeführt von Carl Ludwig
Lang, hrsg. von Konrad Feilchenfeldt, Band 5: Butenschön-Dedo, München 2003, Spalte 444-450,
hier Sp. 444. - Biermann-Resolution: Eine kritische Erklärung von zunächst 12, später 150 Autoren
und Künstlern zu der Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976. Aus: Wolfgang Emmerich,
Kleine Literaturgeschichte der DDR, erw. Neuausgabe, Berlin 2000, S. 546.
4
von Törne, Czechowski, Heinz, S. 216.
5
Ian Hilton, Heinz Czechowski: Die überstandene Wende?, in: German Life and Letters, Volume 50,
No. 2, 1997, S. 214-226, hier S. 219 und S. 224.
6
Schlatter Binswanger, Czechowski, S. 444.
4
den.“7. Dennoch half er 1994 in Dresden die neue Zeitschrift „Ostragehege“ aufzubauen, von der er sich nach der dritten Ausgabe aufgrund von Meinungsverschiedenheiten wieder distanzierte.8 1994 zog er nach Limburg an der Lahn, im Jahr 1995 im
Anschluss an ein Stipendium nach Schöppingen in Westfalen. Seit dem Jahr 2000
lebt er in Frankfurt am Main.
Heinz Czechowski gehörte seit 1963 dem Schriftstellerverband der DDR an, aus dem
er im Januar 1990 aufgrund politischer Zerwürfnisse mit dessen Leitung austrat9,
anschließend von 1990 bis 1996 dem Schriftstellerverband P.E.N.10. Er wurde mit
zahlreichen Preisen für sein dichterisches Schaffen geehrt. So erhielt er 1964 den
Kunstpreis der Stadt Halle, 1970 den Goethe-Preis der Hauptstadt der DDR, 1977
den Heinrich-Heine-Preis der DDR, 1984 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie
der Künste der DDR, 1996 den Hans-Erich-Nossack-Preis, 1999 die Ehrengabe der
Deutschen Schillerstiftung und zuletzt im Jahr 2001 den Brüder-Grimm-Preis der
Stadt Hanau. Zudem wurden ihm mehrere Stipendien verliehen und im Jahr 1990/91
amtierte er als Stadtschreiber von Frankfurt in Bergen-Enkheim und von April bis
September 1998 als Stadtschreiber seiner Geburtsstadt Dresden.11
1.2 Literarisches Schaffen
Heinz Czechowski verfasst neben Gedichten auch Schauspiele, Reiseerzählungen,
literaturkritische Essays, Feuilletons und autobiographische Skizzen.12 Auch Nachdichtungen anderer Schriftsteller und Werke in Prosa veröffentlicht er.13
Seine schriftstellerische Karriere beginnt mit ersten Veröffentlichungen in der Anthologie „Bekanntschaft mit uns selbst“ (1961). Seine Gedichte thematisieren die
Konflikte zwischen Individuum und sozialistischer Gesellschaft, doch stellen sie den
Sozialismus nicht infrage. Czechowski war vielmehr der Ansicht, in dem besseren
Teil Deutschlands zu leben. Eine Zeile seines Gedichts „Brief“ gab so einer Lyriksammlung von 1966 ihren Titel: „In diesem besseren Land“. 14 Ein Herausgeber der
Sammlung war Adolf Endler, Mentor der unter der Bezeichnung ‚Sächsische Dich-
7
Heinz Czechowski, Das Jahr Zweitausend, Gottsched und ich. Autobiographie als Lebenshilfe?, in:
Akzente. Zeitschrift für Literatur, 47. Jahrgang, Heft 4, 2000, S. 303-323, hier S. 317.
8
Hilton, Heinz Czechowski: Die überstandene Wende?, S. 223.
9
Ebd., S. 215.
10
Lemma „Czechowski“, in: Kürschners deutscher Literatur-Kalender, 63. Jahrgang, Band 1, München 2003, S. 193-194, hier S. 193.
11
Schlatter Binswanger, Czechowski, S. 444.
12
Ebd.
13
Lemma „Czechowski“, S. 193.
5
terschule‘ zusammengefassten Dichter. Heinz Czechowski zählte zu dieser Gruppe,
da er wie die übrigen Mitglieder um das Jahr 1935 geboren worden war und aus
Dresden bzw. dem sächsischen Raum stammte. Diese Schriftsteller waren locker
freundschaftlich verbunden, kritisierten auf gemeinsamen Lesungen ihre Gedichte, in
denen sie sich oft namentlich aneinander wandten.15 Heinz Czechowski beschreibt
die Begründung der Sächsischen Dichterschule:
„Man muß hinzufügen, daß die Sächsische Dichterschule mehr oder weniger eine Fiktion ist. […] Ende der sechziger Jahre sang Wolf Biermann im Atelier
von Willi Sitte in der Frohen Zukunft in Halle. Die Gesellschaft begann sich
schon zu verlaufen, als ich Georg Maurer in den Mantel helfen wollte. Er bedankte sich mit den Worten: ‚Welche Höflichkeit der Sächsischen Dichterschule!‘ […] Irgendwann erzählte ich die Begebenheit Adolf Endler, der den Begriff
dann in Berlin ausposaunte. Damit war die Sächsische Dichterschule geboren.“16
Heinz Czechowskis erster eigenständiger Gedichtband „Nachmittag eines Liebespaares“ erscheint 1962. Nach Wolfgang Emmerich lehnten diese Gedichte sich noch
sehr an die Vorbilder Bert Brecht und Peter Huchel an. Entsprechend seiner eindimensionalen Weltanschauung, in diesem besseren Land zu leben, sei sein literarischer Ausdruck schlicht. Bemerkenswert seien die Gedichte mit geschichtlichem
Hintergrund, die an die Vergangenheit erinnerten und vor ihr warnten. Czechowskis
Themen seien der DDR-Alltag, Reisen, die Liebe, die Dresdner Kindheit, der vergangene Krieg und die Gefahr eines neuen Kriegs.17 Dorothea von Törne erkennt
ebenfalls die Bedeutung der Erlebnisse Czechowskis während des Krieges für sein
literarisches Schaffen. In einigen Gedichten formuliere er bereits das Kindheitstrauma der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945. Dies sei für sein weiteres lyrisches Schaffen grundlegend und werde in allen Schaffensperioden thematisiert.18 Die
Bedeutung der Bombardierung Dresdens für sein lyrisches Wirken bezeichnet auch
Czechowski: „Aber mit Sicherheit kann ich sagen: Ohne das Erlebnis des 13. Februar
und der zerstörten Stadt wäre ich niemals zum Schreiben gekommen.“19.
1967 veröffentlicht Heinz Czechowski den Gedichtband „Wasserfahrt“. Sein poetischer Ausdruck ist souveräner geworden, der Glaube an den Fortschritt und den Sozialismus weichen einem beginnenden Skeptizismus. Sein Wirkungsfeld erkennt
14
von Törne, Heinz Czechowski, S. 217.
Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 225f.
16
Renatus Deckert, Gespräch mit Heinz Czechowski, in: Sinn und Form, 54. Jahrgang, Heft 5, 2002,
S. 647-659, hier S. 657.
17
Emmerich, Wolfgang: Heinz Czechowski (Stand 1989), in: KLG – Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, Band 2, München 1978, S. 1- 10,
hier S. 3f.
18
von Törne, Heinz Czechowski, S. 217.
15
6
Czechowski aufgrund seiner Biographie weiterhin darin, mit Hilfe der Landschaft an
die Geschichte zu erinnern, doch beginnt er nun auch die gegenwärtige Situation in
der DDR zu kritisieren.20 Die Darstellung der Prägung der Landschaft durch die Geschichte und seine Skepsis werden zunehmend charakteristisch für seine Gedichte. In
dieser Sammlung wechselt sich Erlebnislyrik in Liebes- und Reisegedichten mit philosophischen Betrachtungen in ‚Weltanschauungsgedichten‘ ab.21
In seinem dritten Gedichtband „Schafe und Sterne“ (1974) wird Heinz Czechowskis
Richtung als Landschafts- und Naturlyriker noch deutlicher. Er stellt jedoch nicht die
Schönheit der Natur dar, sondern zeigt anhand der landschaftlichen Veränderung
durch die industrielle Entwicklung das Ungleichgewicht zwischen Mensch und Natur
auf.22 Czechowski zeichnet sich somit als Dichter der in der DDR zu Beginn der 70er
Jahre verbreiteten ökologischen Naturlyrik aus. Die Aufbruchsenergie und Hoffnung
junger Dichter der 60er Jahre wurden nun durch Skepsis und Trauer abgelöst. Die
veränderte Situation führte zu einem Wandel der lyrischen Themen: Die Landschafts- und Naturlyrik beschrieb nicht mehr die Schönheit und Unversehrtheit der
Natur, sondern deren Zerstörung durch Industrie und Geschichte.23 Ian Hilton erkennt in Czechowski ebenfalls einen Heimatdichter, dessen Interesse an der Natur
einem Interesse für in der Landschaft erkennbare geschichtliche Prozesse entsprungen sei. Aufgrund seiner Kriegserfahrungen habe er daher seine sächsische Heimat
bereits in frühen Gedichten als durch Krieg und Tod ‚unheile Welt‘ dargestellt 24.
Bereits ab 1961 habe er in Gedichten zudem die Entfremdung des Menschen von der
Natur aufgrund des industriellen Fortschritts dargestellt. Mit dem Gedichtband
„Schafe und Sterne“ habe er begonnen, die Aufmerksamkeit der Leser auf die Bedrohung durch Wasser-, Luft- und Erdverschmutzung zu lenken.25
Sprachlich folgt in den 70er Jahren bei Heinz Czechowski eine Entwicklung zum
monologischen und statischen Gedicht.26 In den ernüchternden 70er Jahren beginnt
Czechowski an der Sprache zu zweifeln und sich einer an Paul Celan erinnernden
19
Deckert, Gespräch mit Heinz Czechowski, S. 658.
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 4f.
21
von Törne, Heinz Czechowski, S. 217.
22
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 6f.
23
Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 370-375.
24
Ian Hilton, Heinz Czechowski: The darkened face of nature, in: German Literature at a Time of
Change 1989-1990. German Unity and German Identity in Literary Perspective, ed. by Arthur Williams, Stuart Parkes and Roland Smith, Bern 1991, S. 401-412, hier S. 401-403.
25
Ian Hilton, Heinz Czechowski. A paradise lost, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik,
hrsg. von Gerd Labroisse, Band 43, 1998, Literatur und Ökologie, hrsg. von Axel Goodbody, Amsterdam 1998, S. 101-122, hier S. 101-105.
26
Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 376f.
20
7
Position der Sprachskepsis anzunähern.27 Sein bitterer Skeptizismus äußert sich nun
in freien Strophen und freien Rhythmen an der Stelle von Reim und Metrum, Stimmungen und Eindrücke werden bewusst fragmentarisch gelassen.28
Seit Ende der sechziger Jahre veröffentlicht Heinz Czechowski auch Prosawerke wie
literaturkritische Essays zu verschiedenen Schriftstellern und den 1981 erscheinenden poetischen Bericht seiner Paris-Reise im Jahr 1977 unter dem Titel „Von Paris
nach Montmatre. Erlebnis einer Stadt“. Zwei Jahre später erscheint „Herr Neithardt
geht durch die Stadt. Landschaften und Porträts“, eine Sammlung autobiographischer
Skizzen, Reiseerzählungen, biographischer Miniaturen und Feuilletons aus den Jahren 1965 bis 1982. Seine Prosa basiert auf teilnehmender Beobachtung der ihn umgebenden Welt.29 Das lyrische Schaffen entspricht dem: Seine Gedichte sind ‚Gelegenheitsgedichte‘, die sich aus dem unmittelbar alltäglich Erfahrenen, Erlebten und
Wahrgenommenen ergeben und daher eine sich am Alltäglichen orientierende Sprache verlangen. So hält Czechowski trotz seiner Anlehnung an die Inversionstechnik
Klopstocks und Hölderlins und seiner Beschäftigung mit der lyrischen Moderne
Erich Arendts stets daran fest, verständlich zu schreiben und die absolute Metapher
zu vermeiden.30 Die Äußerung Czechowskis, er schreibe Gelegenheitsgedichte, die
aus dem Moment heraus als Reaktionen auf bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen
entstünden und nicht formal angestrengt seien, dürfe nach Meinung Jürgen P. Wallmanns nicht über seine intensive Beschäftigung mit literarischen Traditionen und
Formen hinwegtäuschen.31 Ian Hilton meint, Czechowskis Gelegenheitsgedichte
würden entsprechend seiner Auffassung, an die Geschichte zu erinnern, letztendlich
zu Warngedichten, in denen er gegen das Vergessen anschriebe.32
1981 erscheint Czechowskis Gedichtband „Was mich betrifft“, in dessen Gedichten
er nun konkret und bissig die gesellschaftlichen Zustände kritisiert und Fortschrittsund Utopieglauben verloren hat. Zentrale Thematik ist weiterhin die Landschaft seiner näheren Umgebung und auch seiner Reiseziele Tschechoslowakei, Polen und
Paris.33 Mit dem lyrischen Querschnitt „An Freund und Feind“ wird Heinz
27
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 6.
von Törne, Heinz Czechowski, S. 217f.
29
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 7f.
30
Ebd., S. 3.
31
Jürgen P. Wallmann, Heinz Czechowski. Gesehen von Jürgen P. Wallmann, in: Schreiben Lesen
Hören, 6. Autoren-Reader, hrsg. vom Kultursekretariat Nordrhein-Westfalen, Essen 1997, S. 36-37,
hier S. 37.
32
Ian Hilton, Heinz Czechowski: ‚Streit mit dem weißen Papier‘, in: Retrospect and Review. Aspects
of the Literature of the GDR 1976-1990, ed. by Robert Atkins and Martin Kane, German Monitor No.
40, General Editor: Ian Wallace, Amsterdam 1997, S. 209-225, hier S. 220.
33
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 8f.
28
8
Czechowski 1983 auch einem westdeutschen Publikum bekannt, größere Aufmerksamkeit erreicht er 1987 durch die Auswahl „Ich und die Folgen“, die Gedichte aus
dem Lyrikband „Kein näheres Zeichen“ (1987) enthält. Den Wandel in seiner Lyrik
zeigt das nun vollkommen zerstörte Verhältnis des Menschen zur Natur. Resignation,
Bitterkeit und Verzweiflung herrschen angesichts der Wirkungslosigkeit der Dichtung und der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber der Geschichte vor. Positive Begriffe wie Wahrheit, Heimat, Glück und Zukunft werden durch Hoffnungslosigkeit
verdrängt. Czechowski zieht eine rigorose Bilanz seines eigenen Schaffens und erkennt als neuen Gegenstand seiner Dichtung die Schicksale der Einzelnen. Sein neuer Sprachstil weist fließende, lakonische Verse und epische Tendenzen auf.34 Wolfgang Emmerich erkennt einerseits die Leistung Czechowskis, sich dichterisch mit
Themen wie der Umweltzerstörung oder dem Sozialismus auseinanderzusetzen, andererseits jedoch einen Verlust an Spannung und Widerständigkeit. Zudem vermisst
er einen radikaleren sprachlichen Ausdruck, der seine elegische Unangepasstheit
angemessen ausdrückt.35 In den 80er Jahren zeigt sich verstärkt eine Trauer und Bitterkeit Czechowskis. Seine Verse entfernen sich immer mehr von Glätte und Gefälligkeit, werden stattdessen verknappt und lakonisch, oft sarkastisch.36 Aus
Czechowskis Resignation und Desillusionierung in den 80er Jahren angesichts der
sozialistischen Wirklichkeit der DDR ergibt sich nach Ian Hilton die in verschiedenen Gedichten geäußerte Überlegung, die DDR zu verlassen. Czechowski habe sich
jedoch nicht entschließen können und sei 1989 von den politischen Ereignissen eingeholt worden. Die sich aus dem Zwiespalt, in der DDR zu bleiben oder aber ins Exil
zu gehen, ergebende innere Krise führte zu gesundheitlichen Problemen
Czechowskis. So bezeichnet er in Texten neben Reisen ins Ausland die Flucht in die
psychische und physische Krankheit als alternative Möglichkeiten für eine tatsächliche Flucht.37 Seinen Protest an der politischen Situation in der DDR äußert Heinz
Czechowski in Gedichten der Bände „Kein näheres Zeichen“ und „Mein Venedig“
durch Hinweise auf die Zerstörung der Umwelt und der Stadtlandschaften als Wiederspiegelung der poli-
34
von Törne, Heinz Czechowski, S. 218.
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 9f.
36
Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 385.
37
Hilton, Heinz Czechowski: Streit mit dem weißen Papier, S. 217f. und S. 222.
35
9
tischen Situation. Er zieht in seinen Gedichten eine Verbindung zwischen Ökologie,
Kultur und nationaler Politik und beschreibt in dem Band „Mein Venedig“ nur selten
direkt Natur und Ökologie.38
Mit dieser Veröffentlichung „Mein Venedig“ (1989) und der ersten nach der Wende
erscheinenden Sammlung „Nachtspur“ (1993) führt Heinz Czechowski die Veröffentlichung von Prosaliteratur fort. In kurzer Prosa und Gedichten zieht er in „Nachtspur“ eine Bilanz der Begebenheiten und Situationen vor und nach der Wende. 2000
veröffentlicht er mit „Einmischungen. Schriften 1“ und 2003 mit „Der Garten meines
Vaters. Landschaften und Orte. Schriften 2“ weitere Prosatexte mit nun offen streitbarem Charakter.39
1990 publiziert Heinz Czechowski den seiner Heimatstadt Dresden gewidmeten Gedichtband „Auf eine im Feuer versunkene Stadt“. Mit dieser Sammlung von Erinnerungen an seine Kindheitsjahre in Dresden will er nach einem Besuch in dieser ihm
fremd gewordenen Stadt einen Schlussstrich ziehen. Mit dem Band „Nachtspur“
kehrt er jedoch in die Kindheit und zur Beschreibung der sächsischen Landschaft
nach der Wende zurück. Dieser Band ist ein Tagebuch sowohl der politischen als
auch persönlichen Veränderungen der Jahre 1987 bis 1992. Er soll seinerseits ein
Abschluss mit der DDR sein. Wie viele DDR-Schriftsteller thematisiert Czechowski
in den 90er Jahren in seinen Gedichten die Problematik einer ungewissen Zukunft
und Wurzellosigkeit. Bemerkenswert sei nach Ian Hilton die in dieser Zeit genaue
Datierung seiner Gedichte, als wolle er sich somit eine Existenzberechtigung verschaffen. Czechowski zeichne sich Mitte der 90er Jahre durch einen tiefen Kulturpessimismus, hervorgerufen durch einen die Resignation der Vorwende-Jahre ablösenden Skeptizismus, und durch die Suche nach einer eigenen Identität aus. Denn der
Dichter fühle sich als Außenseiter und isoliert und heimatlos.40
Heinz Czechowskis Sammlung „Nachtspur“ zeigt seine zwiespältigen Gefühle: einerseits wird in den Texten das Ende der DDR als Befreiung gesehen, andererseits
als Verlust des vertrauten Alten.41 Diese Zerrissenheit erkennt auch Michael Braun in
dieser durchaus wichtigen Sammlung: Czechowski sei ein Skeptiker und Geschichtspessimist, den Selbstzweifel und schwere Melancholie quälten und der den
SED-Staat verfluche, um zugleich die Heimat zu vermissen. Daher enthielten die
literarisch unfertigen Gedichte Czechowskis - oftmals kaum stilisierte Tagebuchnota38
Hilton, Heinz Czechowski. A paradise lost, S. 112-115 und S.118.
von Törne, Heinz Czechowski, S. 218f.
40
Hilton, Heinz Czechowski: Die überstandene Wende? S. 216. und S. 220-226.
41
Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 512f.
39
10
te - weinerliche Selbstanklagen und prophezeiten dem vereinigten Deutschland Chaos und Zerfall.42
In dem Gedichtband „Wüste Mark Kolmen“ (1997) werden der fortschreitende Kulturzerfall und die einander zuwiderlaufenden Prozesse des Festhaltens, Erinnerns und
Vergessens in der Computergesellschaft thematisiert. Die Melancholie wird durch
den Witz des Dichters ausgeglichen.43 Alexander von Bormann bezeichnet „Wüste
Mark Kolmen“ als einen der bedeutendsten Bände seiner Zeit. Die elegischen Gedichte zeugten von Trauer, Entwurzelung und Bitternis des in Schöppingen lebenden
Dichters.44 In dem Band „Mein Westfälischer Frieden“ (1998) herrschen Dunkelheit
und Finsternis vor. Themen dieser Gedichte sind die Selbstzweifel des Dichters sowie seine Heimatlosigkeit in Deutschland.45 Diese bittere lyrische Bilanz des Ich in
seinem desolaten Zustand von Einsamkeit, Krankheit und Heimatlosigkeit schließt
auch Selbstmord nicht aus.46 Die zwischen 1996 und 1998 geschriebenen Gedichte
sind daher eine Art lyrisches Tagebuch, das in einfachen, reimlosen prosanahen Gedichten zwischen traurigem Selbstmitleid und Zynismus Autobiographisches verarbeitet.47 Harald Hartung erkennt dagegen auch in diesen tagebuchhaften Notizen über
Kindheit und Jugend, Freunde und sich als Stasispitzel entpuppende Exfreunde eine
Selbstironie, die Larmoyanz und Sentimentalität verhindern.48
1999 erscheint der Gedichtband „Das offene Geheimnis“, eine Sammlung von Liebesgedichten. Diese thematisieren ohne Larmoyanz den Schmerz und die Mühe, die
mit der Liebe verbunden sind. Czechowski lehnt sich in seiner Verstechnik des Enjambements an den Stil Rilkes an und bezieht sich zudem auf weitere europäische
Dichter wie Celan, Puschkin oder Baudelaire.49 Günter Kunert erkennt in
Czechowskis Liebesgedichten „nicht bloss Signale eines durch die Zeitläufte verstörten Menschen, sie bieten uns zugleich einen Spiegel an, in dem wir unsere eigene
emotionale Unfähigkeit […] erkennen können“.50 Der Band „Die Zeit steht still“
42
Michael Braun, Die zusammengebrochene Generation. Die Lyriker Reiner Kunze und Heinz
Czechowski besichtigen das neue Deutschland, in: Die Weltwoche Nr. 21 vom 27. Mai 1993, S. 56.
43
von Törne, Heinz Czechowski, S. 219.
44
Alexander von Bormann, Unter den Füßen der schwankende Boden. Deutschlandbilder. Neue Gedichte von Heinz Czechowski, in: Freitag Nr. 38 vom 12. September 1997, S. 16.
45
von Törne, Heinz Czechowski, S. 219.
46
Dorothea von Törne, Verlorene Heimat, erfundene Heimat. Lyrische Bilanzen von Heinz
Czechowski und Harald Gerlach, in: Neue Deutsche Literatur, 47. Jahrgang, Heft 2, 1999, S. 176-179,
hier S. 176-178.
47
Jürgen P. Wallmann, Czechowskis westfälischer Friede, in: Am Erker. Zeitschrift für Literatur,
Nr. 36, 1998, S. 148-149, hier S. 148.
48
Harald Hartung, Schrittmachers Ich. Heinz Czechowski schließt seinen Westfälischen Frieden, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 37 vom 13. Februar 1999, S. 42.
49
Andreas Öhler, Dilemma und Diotima, in: Rheinischer Merkur Nr. 6 vom 11. Februar 2000, S. 21.
50
Günter Kunert zu ‚Das offene Geheimnis‘, in: Die Welt Nr. 270 vom 18 November 2000, S. 4.
11
erscheint zum 65. Geburtstag des Dichters 2000, umfasst Gedichte der Jahre 1958 bis
1999 und zeigt die Themen seiner Gedichte auf: Ausgeliefertsein, Einsamkeit, das
Menschsein als das Fragwürdige schlechthin, Krieg und Tod. Die Gedichte zeigen
zudem zunehmende Heimatlosigkeit und Vereinsamung, sowie Czechowskis Einsicht über die Ziellosigkeit seines Schreibens.51 Gregor Ziolkowski erkennt in diesem
Band beinahe das Alterswerk Czechowskis, das von Melancholie, Depression, Desillusionierung, aber dennoch Kraft und Beseeltheit sowie Sarkasmus gekennzeichnet
sei. Der spröde Charme der Gedichte Czechowskis ergebe sich aus dem Wechsel von
Individualität und konkreter Weltwahrnehmung.52 Der zuletzt im Jahr 2002 erschienene Gedichtband „Seumes Brille“ thematisiert den Sinn des eigenen Lebens, den
Tod, die Wirkungslosigkeit des Schreibens und die unerbittliche Alltagsrealität. Die
elegische und lakonische Sprache ist ironisch oder sarkastisch gefärbt und zeugt von
ausgefeilter Spracharbeit.53
2 Analyse und Interpretation des Gedichts „Hinter der Stadt“
2.1 Raum und Zeit des Gedichts
Das Gedicht „Hinter der Stadt“ wurde erstmals 1995 in der Zeitschrift NDL veröffentlicht. Gemeinsam mit weiteren Gedichten der Jahre 1990, 1992, 1993 und 1995
wurde es abgedruckt. Als Entstehungsdatum ist unter dem Gedicht das Jahr 1993
angegeben.54
Das Gedicht gibt keine Handlung, sondern vielmehr die in der Umgebung hinter einer Stadt gemachten Beobachtungen wieder. Es wird eine außerstädtische Landschaft
beschrieben, verbunden mit Gedanken zur allgemeinen Situation. Welche Landschaft
in diesem Gedicht dargestellt ist, wird durch Verweise im Text selber deutlich. Ausdrücke wie „Ehemaliger LPGen“, „Volkseigener Schrott“ und „das Soll/ ersetzt
durch die Milchquote“55 lassen als Raum dieses Gedichts die ehemalige Deutsche
Demokratische Republik (DDR) erkennen. Der dargestellte Zeitraum wird durch den
51
Günter Kunert, Wo wir nicht sind, ist Leere. Neue Gedichte von Heinz Czechowski, in: Die Welt
Nr. 84 vom 08. April 2000, S. 6.
52
Gregor Ziolkowski, Chiffren des Ostens. „Die Zeit steht still“ – Ausgewählte Gedichte von Heinz
Czechowski, in: Berliner Zeitung Nr. 86 vom13./14. April 2002, S. 6.
53
von Törne, Czechowski, Heinz, S. 219.
54
Heinz Czechowski, Hinter der Stadt aus: Riesa, Umgebung, in: NDL – Neue Deutsche Literatur,
43. Jahrgang, 500. Heft, Nr. 2, 1995, S. 32-38, hier S. 34.
55
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 4, Zeile 19 und Zeile 21f.
12
Vermerk zur Entstehung des Gedichts im Jahr 1993 näher definiert. Eine ungefähre
Datierung ist auch dem Adjektiv ‚ehemalig‘ zu entnehmen. Dieses verweist auf die
Zeit nach der deutschen Wende im Herbst 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990, da ab diesem Ereignis die ostdeutschen LPGs aufhörten zu existieren.
Zudem entstand das Gedicht in demselben Jahr der Veröffentlichung des Bandes
„Nachtspur“ mit Werken der Jahre 1987-1992, in denen Czechowski die landschaftlichen Veränderungen in der DDR und seiner sächsischen Heimat vor und nach der
Wende thematisiert.56 Die zeitliche Nähe zu diesen Werken deutet womöglich bereits
darauf hin, das vorliegende Gedicht thematisiere ebenfalls diese Veränderung und
beschreibe dieselbe Landschaft. Die neben diesem Gedicht in der Zeitschrift NDL
veröffentlichten Gedichte mit dem Entstehungsdatum 1993 beschreiben ebenfalls die
sächsische Landschaft oder sächsische Städte57. Das Gedicht „Hinter der Stadt“ kann
somit in Zusammenhang mit diesen gesehen und räumlich eingeordnet werden.
Dresden als möglicher Handlungsraum des Gedichts erscheint eher unwahrscheinlich, da Czechowski aufgrund seiner Biographie Dresden meist in Zusammenhang
mit dessen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg thematisiert58. Auch in Gedichten zur
neueren deutschen Geschichte werden Bezüge zur Geschichte Dresdens im Krieg
geschaffen59. In „Hinter der Stadt“ werden jedoch nicht die Zerstörung einer Stadt
oder Landschaft durch den Krieg thematisiert, so dass Dresden und Umgebung als
Raum des Gedichts vernachlässigt werden können. Eine Lokalisation der beschriebenen Gegend ermöglicht dagegen der Text selbst. Die Begriffe „Kollm“, „Schlachtberg“ und „Apelstein Nr. 13“60 weisen auf die Gegend um Leipzig hin, in der im
Oktober 1813 die Völkerschlacht zwischen Preußen, Russland und Österreich stattfand. Heinz Czechowski erklärt in einem 1994 verfassten Text zu diesem Gedicht,
der Kollm werde im Volksmund auch als Schlachtberg bezeichnet und der Apelstein
Nr. 13 sei ein nach der Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts von dem Leipziger
Lehrer Apel gestifteter Erinnerungsstein an die Leipziger Völkerschlacht von 1813.
Den Ort des Schlachtbergs und den Standort des Apelsteins definiert Czechowski
zusätzlich: Von seiner Wohnung am Leipziger Stadtrand aus unternahm er Ausflüge
in die nähere Umgebung und in das Dorf Probstheida. In dessen Umgebung befand
sich das Schlachtfeld der Leipziger Völkerschlacht und auf dem Dorfplatz dieses
56
Vgl. Kapitel 1.2, S. 8.
Vgl. Heinz Czechowski, Riesa, Umgebung, S. 35-37.
58
Vgl. Kapitel 1.2, S. 4.
59
Vgl. z.B. Heinz Czechowski, Historische Reminiszenz, in: Nachtspur. Gedichte und Prosa 19871992, Zürich 1993, S.151-152, hier S. 151, besonders Zeile 11f. und Zeile 28f.
60
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 11 und Zeile 12.
57
13
Dorfes steht der im Gedicht erwähnte Apelstein Nr.13.61 Der Raum dieses Gedichts
ist somit die Landschaft und Umgebung Leipzigs.
2.2 Die Veränderung der Landschaft
Heinz Czechowski erwähnt in demselben Text seine Vergangenheit als Landschaftsund Naturlyriker der Sächsischen Dichterschule, wobei er nicht die Schönheit der
Natur, sondern deren Veränderung und Zerstörung durch die industrielle Entwicklung beschrieb62. Eine Landschaft und ihre Veränderung zu beschreiben, ist auch in
diesem Gedicht zu erkennen, das nicht die Stadt Leipzig, sondern deren landschaftliche Umgebung thematisiert. Diese wird als unheile Welt dargestellt, in der Schönheit
und idyllische Natur nicht existieren. Die Felder sind verkrautet, der Schafstall ist
verwaist, der Boden wird versiegelt, die Dörfer sind viehlos63. Czechowskis anfänglicher Glaube an Industrie und technischen Fortschritt wurde zunehmend von Skepsis
und Kritik an Industrie und Sozialismus abgelöst 64. Diese Einstellung ist womöglich
auch an diesem Gedicht abzulesen und die zerstörte Natur ist somit Folge des industriellen und technischen Fortschritts. Die Wortwahl des Gedichts weist auf dieses
gestörte Verhältnis von Natur und Industrie hin. Die Untersuchung der Substantive
des Gedichts ergibt eine hohe Anzahl von Nomen mit landschaftlichem bzw. landwirtschaftlichem Bezug und zugleich eine ebenso hohe Zahl Substantive mit technischem oder industriellem Bezug. Begriffen wie „Flurstücke“, „Feldwege“, „Rapsund Gerstenschläge“, „Felder“, „Land“ und „Dörfer“ werden Worte wie „Gleisen“,
„Grubenbahn“, „Baggerloch“, „Automobilbesitzern“, „Gewerbegebiete“, „Schrott“
und „Schreibmaschine“ an die Seite gestellt, die auf industrielle Nutzung oder Technik hinweisen65. Die Worte mit Naturbezug weisen ihrerseits ebenfalls nicht auf eine
unberührte Natur hin, da Flurstücke, Raps- und Gerstenschläge und Felder nur durch
den Eingriff des Menschen in die Natur entstehen können. Die durch den Menschen
entwickelte Industrie fügt der Landschaft jedoch größeren Schaden zu, worauf die
Häufung der Substantive beider Begriffsgruppen Umwelt und Industrie womöglich
hindeutet. So werden die Felder von der Grubenbahn gequert, durch diese somit zerschnitten und zerstört. Die Überreste der industriellen Nutzung, die Baggerlöcher,
61
Heinz Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea. Interpretazioni, a cura di
Anna Chiarloni e Riccardo Morello, Alessandria 1996, S. 115-117, hier S. 115f.
62
Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea, S. 116f. und Vgl. Kapitel 1.2, S. 4
und S. 5.
63
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeilen 8-21.
64
Vgl. Kapitel 1.2, S. 4f.
65
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34.
14
versanden, der Sand zieht in Staubfahnen über die Felder und deckt diese Natur zu.
Gewerbegebiete versiegeln den Boden, machen diesen somit unnutzbar; diese industrielle Nutzung des Bodens beraubt die Natur und verhindert ihre Ausbreitung. Der
Schrott türmt sich um Dörfer und lenkt den Blick von der Schönheit und Natürlichkeit der Dörfer auf die Industrie und ihren Müll. Unbrauchbar gewordene technische
Gegenstände werden in der Natur entledigt, wodurch diese verdreckt wird.66 Diese
Verbindung zwischen den Substantiven der Bereiche Natur und Industrie zeigt womöglich Czechowskis Anliegen, die Zerstörung der Natur durch die Industrie und die
Entfremdung des Menschen von der Natur zu zeigen67. Auch Susanna Böhme-Kuby
verweist in ihrer Interpretation darauf, Czechowski stelle die Zerstörung der Umwelt
durch einen übertriebenen Industrialisierungsprozess dar und beklage sie68.
Zugleich ist ein Merkmal der Lyrik Czechowskis nach der Wende die Beschreibung
der Veränderung der Landschaft durch diese69. So kann die in dem Gedicht aufgezeigte Zerstörung und Vernachlässigung der Natur nicht nur als Folge der Industrie
gedeutet werden, sondern auch als Auswirkung der politischen Wende. Auch Susanna Böhme-Kuby interpretiert: „Czechowskis heutige Landschaft stellt hingegen den
politischen, existenziellen und bereits historischen Umbruch nach der Wiedervereinigung dar“70. Ian Hilton bemerkt ebenfalls: „Czechowski makes, then, his environmental point, but incorporates it into the wider compass-sweep of the historical/political/economic horizon.“71. Die Natur hat somit aufgrund der Veränderungen
in der Landwirtschaft durch die Wiedervereinigung Veränderungen erfahren. Aus der
Beschreibung der Landschaft kann dieser Bezug zwischen politischer Situation und
Natur ebenfalls hergestellt werden. Die LPGs sind ehemalige LPGs, sie liegen brach,
seit die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik die Planwirtschaft der DDR
abgelöst hat und sind somit unbrauchbar geworden. Die Höfe sind verlassen, so dass
die Felder verkrauten. Zugleich ist deren neue Bestimmung bereits zu erkennen, zukünftig mit neuen Wohnungen bebaut zu werden. Die Schafställe sind nutzlos geworden, da die Dörfer viehlos geworden sind. Gewerbegebiete als sichtbares Zeichen
marktwirtschaftlicher Nutzung werden errichtet und verändern das Landschaftsgefü-
66
Alle Beispiele aus: Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34.
Vgl. Kapitel 1.2, S. 5 und S. 7.
68
Böhme-Kuby, Susanna: Heinz Czechowski: „Historische Reminiszenz“, „Notiz“, „Hinter der Stadt“
in: Nuovi poeti tedeschi, a cura di A. Ciarloni, Torino 1994, in: Poesia tedesca contemporanea.
Interpretazioni, a cura di Anna Chiarloni e Riccardo Morello, Alessandria 1996, S. 119-125, hier S.
119.
69
Vgl. Kapitel 1.2, S. 8.
70
Vgl. Böhme-Kuby, Heinz Czechowski, S. 119.
71
Hilton, Heinz Czechowski. A paradise lost, S. 121.
67
15
ge nachhaltig. Landwirtschaftliche Gerätschaften und andere technische Geräte haben ausgedient und werden nun als Schrott auf dem Land entsorgt.72 Heinz
Czechowski beschreibt diese durch den politischen Wandel hervorgerufenen Veränderungen als das eigentliche Thema des Gedichts:
„Die Verwandlung der Landschaft nach dem 3. Oktober 1990 hinterläßt allerorten ihre
Spuren. Meinen Fahrradtouren liegt jetzt der Impetus zugrunde, die Veränderungen
aufzuspüren, die sich vollziehen. Das Kapital verwandelt ganze Landstriche im Handumdrehen. Neue Straßen und Autobahnen entstehen, an den Stadträndern schießen
Gewerbegebiete aus dem Boden, ihre riesigen Parkplätze versiegeln ehemalige Äcker
mit Beton und Bitumen. […] Die ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) verwandeln sich in GmbHs. Unbrauchbar gewordenes Gerät türmt
sich in den Gehöften zu riesigen Schrotthalden. Arbeitslos Gewordene sitzen am Straßenrand, sprachlos. Die Rinder- und Schweineställe, von denen sie lebten, sind geräumt. Die Verordnungen der EG setzen neue Maßstäbe. Äcker werden brach gelegt.“73
2.3 Die Veränderung der Menschen und ihre Suche nach Identität
Veränderungen zeigt jedoch nicht nur die Landschaft, auch die Menschen der ehemaligen DDR haben die Ereignisse der Wende verändert: „Eine neue Zeit verändert
nicht nur die Landschaft, sondern vor allem, wenn auch weniger auffällig, die Menschen.“74. Wie oben zitiert, seien viele Menschen durch die Wende arbeitslos geworden und ihrer Existenz beraubt worden. Im Gedicht werden diese Veränderungen
durch die Wende für die Menschen ebenfalls deutlich. So heißt es: „Sprachlos/ Gewordne durchstreifen das Land/ Auf der Suche nach/ Verlorenen Gegenständen.“75.
Die Menschen sind demnach nicht immer sprachlos gewesen, sondern es erst geworden. Da das Gedicht landschaftliche Veränderungen aufgrund der Wiedervereinigung
thematisiert, mag man diese neue Sprachlosigkeit der Menschen ebenfalls auf die
Wende und die damit verbundenen Veränderungen zurückführen. Die Menschen sind
demnach sprachlos geworden, weil sie sich in dieser neuen wirtschaftlich und politisch veränderten Umgebung nicht mehr zurechtfinden. Sie sind ihrer Bedeutung
beraubt worden und somit ihrer Stimme, so dass sie sprachlos wurden. Sie können
sich nicht mehr ausdrücken und bemerkbar machen, da auch keiner ihnen mehr zuhört.
Zwischen den Ausdrücken ‚sprachlos Gewordene‘ und ‚verlorene Gegenstände‘ besteht durch die Suche nach diesen sowie durch das eine Einheit bezeichnende Satzgefüge eine Verbindung. Diese Einheit mag zu der Deutung führen, nicht allein die Ge-
72
Alle Beispiele aus: Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34.
Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea, S. 116.
74
Ebd., S. 116.
73
16
genstände seien verloren, sondern auch die Menschen. Sie seien durch die Wende
verloren gegangen, was ihre Sprachlosigkeit ebenfalls ausdrücke. Das Adjektiv ‚verloren‘ bezieht sich daher womöglich sowohl auf die Gegenstände als auch auf die
sprachlos Gewordenen. Zudem weist auch die im selben Satz erwähnte ‚Suche‘ dieser auf einen Verlust hin. Die ‚verlorenen Gegenstände‘ werden nicht näher definiert,
so dass der einzelne Mensch als ein solcher gesehen werden kann. Die Suche nach
verlorenen Gegenständen mag daher vielmehr eine Suche nach sich selbst bedeuten.
Die verlorenen Gegenstände bezeichnen womöglich die eigenen Lebensläufe, welche
die Menschen durch die Veränderungen der Wende verloren haben, da sie in der
neuen Gesellschaft unbedeutend geworden sind. Es sind womöglich die Menschen
gemeint, die durch die Wende und nach der Wende sich selber, ihre Existenz und
ihre Daseinsberechtigung verloren haben.
Das Verb ‚durchstreifen‘ unterstützt den Gestus des Suchens, da es ein ‚Ausschau
halten nach etwas‘ impliziert, in diesem Fall nach den verlorenen Gegenständen. Die
Bedeutung des Themas Suche für Heinz Czechowski mag auch der Ausspruch „Auf
der Suche nach“ zeigen, der als einzige Sentenz innerhalb des ganzen Gedichts eine
Wiederholung erfährt76. Die Wichtigkeit des Themas Suche verdeutlicht zudem die
Hervorhebung dieser Worte durch ihre Isolierung in jeweils einer Verszeile. Die
Aufmerksamkeit des Lesers wird durch keine weiteren Worte von dieser Suche abgelenkt und deren Bedeutung für das Gedicht und den Dichter wird somit sehr deutlich.
Der erste Teil arbeitet auf diese im letzten Teil des Gedichts dargestellte Suche hin,
da bereits die vorhergehenden Gedichtzeilen womöglich ein inneres, noch nicht offen
zutage tretendes, Gefühl der Suche ausdrücken. Der Blick des hinter seinen Beobachtungen und Beschreibungen zurücktretenden lyrischen Ichs streift ebenso über das
Land hinter der Stadt Leipzig77 wie die sprachlos Gewordenen das Land auf ihrer
Suche durchstreifen. In diesem ersten Teil des Gedichts tritt das lyrische Ich hinter
seiner Betrachtung des Zustands der Landschaft zurück und ist somit kaum sichtund fassbar78. Das lyrische Ich wird somit erst ab Zeile 15 bemerkbar. Der Ausdruck
‚sprachlos Gewordene‘ bezeichnet womöglich nicht allein die anderen Menschen der
ehemaligen DDR, sondern ebenfalls den Dichter und seine eigene Situation. Die Su-
75
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeilen 16-19.
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 18 und Zeile 23.
77
Ebd., Zeilen 1-15.
78
Vgl. dazu ebenso Böhme-Kuby, Heinz Czechowski, S. 119.
76
17
che nach seiner eigenen Identität zeichnet die Lyrik Czechowskis nach der Wende
aus79 und ist auch bis in das Jahr 2000 ein literarisches Thema des Schriftstellers:
„War ich, so frage ich mich, überhaupt jemals mit mir identisch? Oder habe ich die
Identität eines DDR-Bürgers inzwischen mit der eines Bürgers der Bundesrepublik
Deutschland vertauscht? Nicht einmal mein in absehbarer Zeit ins neue Jahrtausend
hinüberwechselndes Ich ist mit sich identisch.“80.
Auch Susanna Böhme-Kuby erkennt in dem Gedicht eine Reflexion der gegenwärtigen Situation Czechowskis:
„Eine ganze Menschengruppe, zu der er selbst gehört, ist nach dem Umbruch unbrauchbar geworden und damit ihres Selbstgefühls beraubt. Das Unbrauchbar-Sein ist
offenbar ein Zustand, der nicht etwa Kritik an den gesellschaftlichen Ursachen desselben hervorruft, wie sich in der Realität erwiesen hat, sondern Ohnmachtsgefühle,
Sprachlosigkeit. Von diesen sprachlos Gewordenen zeugt des Autors Stimme.“81.
Im Gedicht zeigen besonders die letzten Zeilen die Reduzierung auf das lyrische Ich
und seine eigene Suche auf. Es heißt dort: „Auf der Suche/ Nach Rast und Ruh/ Findest du eine/ Weggeworfene Schreibmaschine, Marke Filia,/ Unbrauchbar/ Der computergestützten Gesellschaft.“82. Während die erste Ansprache an ein ‚du‘ noch zweifeln lässt, ob das lyrische Ich jemanden anderes oder sich selbst anspricht83, deutet
die zweite Erwähnung des ‚du‘ im Kontext der Identitätssuche auf das lyrische Ich
selbst hin. Das findende ‚du‘ erweist sich hier als dasjenige lyrische Ich, das bei seinen Wanderungen – Czechowski berichtet von Fahrradtouren84 - durch die Landschaft hinter Leipzig neben den Beobachtungen ihrer Veränderung eine Schreibmaschine entdeckt. Während seines Besuchs an der Universität Turin erwähnte der
Dichter zudem, er besitze tatsächlich eine am Straßenrand gefundene Schreibmaschine der tschechischen Marke Filia85. Das ‚du‘ erweist sich daher als das lyrische
Ich, das starke autobiographische Züge trägt. Czechowski selber sagt: „Meine innere
Biographie habe ich in meinen Gedichten niedergelegt.“86. ‚Du‘ ist demnach keine
Ansprache an den Leser oder an eine Person, der dieses Gedicht womöglich gewidmet sein könnte. Es ist vielmehr eine Ansprache an sich selbst, eine Selbstbefragung.
79
Vgl. Kapitel 1.2, S. 8.
Czechowski, Das Jahr Zweitausend, Gottsched und ich, S. 304f.
81
Böhme-Kuby, Heinz Czechowski, S. 124.
82
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeilen 23-28. – Der Beginn des Zitats erinnert an Johann
Wolfgang von Goethes Gedicht Wandrers Nachtlied: ‚Über allen Gipfeln/ Ist Ruh,/ In allen Wipfeln/
Spürest du/ Kaum einen Hauch;/ Die Vögelein schweigen im Walde./ Warte nur, balde/ Ruhest du
auch.‘ zit. nach: Der neue Conrady: Das große deutsche Gedichtbuch von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von Karl Otto Conrady., erw. und aktualisierte Neuausgabe, Düsseldorf 2000, S. 278.
83
Ebd., Zeile 2.
84
Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea, S. 115.
85
Gespräch mit Heinz Czechowski über das Gedicht „Hinter der Stadt“ bei seinem Besuch an der
Universität Turin vom 13. bis 15. Mai 2003.
80
18
Die Ansprache ‚du‘ in der zweiten Zeile erscheint auf dem Hintergrund dieser Betrachtungen nun ebenfalls als Ausdruck des lyrischen Ich, das an eigene Äußerungen
über die Landschaft Leipzigs erinnert. Dieses ‚du‘ spricht von den Flurstücken und
Feldwegen im Imperfekt87, so dass daraus geschlossen werden kann, das lyrische Ich
habe bereits früher Gedanken zu dieser Landschaft geäußert. Womöglich erinnert das
lyrische Ich sich an frühere Wanderungen in der Gegend und der Dichter
Czechowski an frühere Gedichte mit ähnlicher Thematik.
Während die sprachlos Gewordenen auch andere Menschen einschließen88, ist der
Suchende zu Ende des Gedichts allein das lyrische Ich. Dieses lyrische Ich findet auf
seiner Suche nach Ruhe die Schreibmaschine, ein Relikt längst vergangener Tage,
das nach der Wende nicht mehr gebraucht wird. Die Schreibmaschine mag somit
symbolisch für die Menschen der DDR und das lyrische Ich stehen, die nach der
Wende ebenfalls verloren sind, weil sie unbrauchbar geworden sind. Das in einer
einzelnen Verszeile als bedeutsam hervorgehobene Wort ‚unbrauchbar‘ bezeichnet
somit nicht allein die Schreibmaschine. Es stellt wie das Wort ‚verlorene‘ vielmehr
ebenfalls einen zweiten Bezug zu den Menschen her. Die mechanische Schreibmaschine mag in der neuen computergestützten Welt als derjenige Ruhepol erkannt
werden, den das lyrische Ich sucht in einer Zeit, in der sich nun „Alles im Umbruch“89 befindet.
2.4 Die zeitlichen und sprachlichen Verbindungen
Das lyrische Ich befindet sich in einer Zeit des Aufbruchs, auf der Schwelle zwischen Vergangenheit, Gegenwart und sogar Zukunft. Diesen Umbruch drücken auch
Wortwahl und Konstruktion des Gedichts aus. Die Vergangenheit wird durch das
einzige im Imperfekt verwandte Verb „du sprachst“ eingeführt90. Auch die Beschreibung der betrachteten Landschaft weist durch die DDR kennzeichnende Einrichtungen und Gegenstände in die Vergangenheit: durch die LPGs, die Grubenbahnen, das
in der Wirtschaft zu erarbeitende Plansoll, die tschechische Schreibmaschine91. Auf
die Vergangenheit in der DDR mag auch die Bezeichnung „Volkseigener Schrott“92
verweisen, welche durch die Beifügung des Adjektivs andeutet, dieser Schrott stam-
86
Czechowski, Das Jahr Zweitausend, Gottsched und ich, S. 322.
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 2.
88
Vgl. dazu ebenfalls Böhme-Kuby, Heinz Czechowski, S. 124.
89
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 10.
90
Ebd., Zeile 2.
91
Ebd., Zeile 4, Zeile 5, Zeile 21 und Zeile 26.
92
Ebd., Zeile 19.
87
19
me womöglich aus den Volkseigenen Betrieben (VEB) der DDR. Noch weiter in die
Vergangenheit reicht die Beschreibung des Schlachtbergs von 181393. Neben diesen
Bezügen zur Vergangenheit wird zugleich auf die Zukunft verwiesen, auf „Parzellen
künftigen Wohneigentums“94. Die Gegenwart verdeutlichen der Hinweis auf die nun
ehemaligen LPGs, die Darstellung des gegenwärtigen Zustands der Landschaft vor
Leipzig, die Verweise auf Marktwirtschaft, Gewerbegebiete und Milchquote und die
Verben im Präsens wie „Ziehn“, „durchstreifen“, „türmt sich“ und „Findest du“95.
Der Zeitenwandel wird somit durch die Verknüpfung verschiedener Zeitebenen deutlich. Das lyrische Ich findet sich inmitten dieses Wandels, den der Satz „Alles im
Umbruch.“96 zusammenfasst. Heinz Czechowski bezeichnet diesen Moment des Gedichts als „Melange der Geschichte“, als deren Fixpunkt das geschichtlich Vergangene in Form des Schlachtbergs und des Erinnerungssteins erscheine97. Den Umbruch zeigt zudem womöglich die Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart oftmals im gleichen Satz. Die vergangene Mangelgesellschaft wird von der
gegenwärtigen Marktwirtschaft abgelöst, die Schreibmaschine steht im Kontrast zu
den Computern der Gegenwart, der Schafstall und das Schlachtfeld der Vergangenheit werden in der Gegenwart von liebesnestsuchenden Automobilbesitzern genutzt98. Verbindungen zwischen den Zeiten und auch zwischen einzelnen Beobachtungen schafft der Dichter somit durch die Einheit des Satzgefüges. Die Sätze erstrecken sich in Enjambements oft über mehrere Zeilen hinweg und formen somit einen
flüssigen, zusammenhängenden Text99. Das Gedicht erscheint daher stark an die Prosa angelehnt, zumal es auch nicht in Strophen gegliedert ist. Auch finden sich keine
Reime, lediglich in den Zeilenenden „Feldwege“ – „Gerstenschläge“ und „Grubenbahn“ – „Staubfahnen“100 könnten Ansätze für Reime gesehen werden. Die Aufgliederung in Verszeilen lässt auch keine Regelmäßigkeit erkennen, weist „Hinter der
Stadt“ jedoch als Lyrik aus. Dieses Gedicht zeigt somit die Merkmale des lyrischen
Schaffens Czechowskis, das sich durch prosanahe, freirhythmische und freistrophige
Lyrik auszeichnet101.
93
Ebd., Zeilen 11 und Zeile 12.
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 9. –Hervorhebung durch Verfasserin.
95
Ebd., Zeilen 1-10, Zeile 15 und Zeile 22; Verben in Zeile 3, Zeile 17, Zeile 20 und Zeile 25.
96
Ebd., Zeile 10.
97
Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea, S. 116.
98
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 14f., Zeilen 26-28 und Zeilen 11-14.
99
z.B. ebd., Zeilen 10-14.
100
Ebd., Zeilen 1 und 3 und Zeilen 5 und 6.
101
Vgl. Kapitel 1.2, S. 6 und S. 10 und Emmerich, Heinz Czechowski, S. 3.
94
20
Vor allem in der Mitte des Gedichts werden auch über das Satzzeichen hinaus inhaltliche Verbindungen zwischen Beobachtungen geschaffen, die durch die Einheit der
Verszeile begrenzt werden. So entstehen inhaltliche Einheiten trotz formaler Trennung durch ein Satzzeichen. Die Verszeile „Alles im Umbruch. Verwaist“102 zeigt
diese Verbindung. Der Begriff ‚verwaist‘ ist durch die Einheit des Satzgefüges mit
den folgenden Worten verbunden und bezeichnet den Schafstall 103. Doch könnte in
der formalen Bindung der Verszeile 10 zugleich eine inhaltliche Verbindung zwischen den Begriffen ‚Umbruch‘ und ‚verwaist‘ gesehen werden: Die Verwaisung
kann womöglich als Folge des Umbruchs gedeutet werden. Eine inhaltliche Verbindung zwischen den Begriffen ergibt demnach womöglich die Einheit der Verszeile
entgegen der Zäsur durch das Satzzeichen zwischen den zwei Sätzen. Ein weiteres
Beispiel für eine derartige inhaltliche Verbindung von Begriffen sowohl über das
Satzzeichen als auch über die Verszeile hinaus sind folgende Zeilen: „Die Mangelgesellschaft/ Abgelöst von der Marktwirtschaft. Gewerbegebiete/ Versiegeln den Boden. Sprachlos/ Gewordne durchstreifen das Land/ Auf der Suche nach/ Verlorenen
Gegenständen. Volkseigener Schrott,/ Herrenlos, […]“104. Die ‚Gewerbegebiete‘ sind
Teil eines anderen Satzgefüges, sind trotz des Satzzeichens durch die Einheit der
Verszeile jedoch mit dem Begriff ‚Marktwirtschaft‘ verbunden. Die Gewerbegebiete
können somit als Ausdruck dieser Marktwirtschaft gedeutet werden. Sie versiegeln
den Boden in der folgenden Verszeile, die mit dem Wort ‚sprachlos‘ endet, das seinerseits wiederum durch das folgende Satzgefüge gebunden ist. Eine Deutung mag
daher sein, sowohl der Boden sei aufgrund der Versiegelung durch die Gewerbegebiete sprachlos geworden als auch die Menschen, die das Land suchend durchstreifen. Das Wort ‚sprachlos‘ bezeichnet somit durch seine doppelte Bindung einerseits
aufgrund der Verszeile und andererseits aufgrund des Satzgefüges sowohl die Natur
als auch die Menschen. In diesem Sinne ist ‚volkseigener Schrott‘ durch die Verszeile mit den ‚verlorenen Gegenständen‘ verbunden, was gedeutet werden mag, die verlorenen Gegenstände seien der Schrott jedes Menschen, somit des Volkes. Zugleich
ist der Ausspruch ‚volkseigener Schrott‘ über das Satzgefüge auch mit ‚herrenlos‘
verbunden, woraus gefolgert werden mag, der Schrott entstamme den nach der Wende zugrunde gegangenen und somit herrenlos gewordenen Volkseigenen Betrieben.
Die Herren des Sozialismus und der VEBs sind nicht mehr da und die ehemals
volkseigenen Gerätschaften sind nun zu volkseigenem Schrott geworden. Dieser Ge-
102
103
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 10. – Vgl. zu diesem Thema auch Kapitel 2.3, S. 14f.
Vgl. ebd., Zeile 10f.
21
gensatz zwischen DDR und heutigem Staat wird auch in dem folgenden Kontrast
zwischen Mangelgesellschaft und Marktwirtschaft gefestigt. Der Begriff ‚Marktwirtschaft‘ ist zugleich zudem über den Begriff der ‚Mangelgesellschaft‘ mit den ‚Automobilbesitzern‘ als Ausdruck der neuen wirtschaftlichen Situation verbunden.
2.5 Sprachliche und stilistische Anmerkungen
Durch diese inhaltlichen Verbindungen über die Konstruktion von Zeilen und Sätzen
erscheint das Gedicht kunstvoll und durchdacht, was Czechowskis eigener Bemerkung widerspricht, er mache keine perfekte schreibtisch-gemachte Lyrik, sondern
sich aus persönlich erfahrenen Ereignissen ergebende Gelegenheitsgedichte105. Dieses Gedicht ist ebenfalls ein Gelegenheitsgedicht, das aus den Beobachtungen der
Fahrradtouren entstanden ist, die Czechowski mit dem Impetus unternommen hat,
die Veränderungen in der Landschaft aufzuzeigen106. Das Gedicht basiert somit auf
seinen eigenen Erfahrungen und ist kein Weltanschauungsgedicht seiner frühen Jahre107. Darauf verweist auch der Stil des Gedichts, der notizähnlich Eindrücke wiedergibt. Dieses Gedicht zeigt einen an die Erzähltechnik des Stream of consciousness
erinnernden Stil durch oft unvollständige, fragmentarisch wirkende Sätze wie „Alles
im Umbruch.“, „Verwaist/ Der Schafstall am Kollm, der Schlachtberg,/ Markiert mit
dem Apelstein Nr. 13,/ Befahren von liebesnestsuchenden/ Automobilbesitzern.“
oder „Die Mangelgesellschaft/ Abgelöst von der Marktwirtschaft.“108. Diese Sätze
vermitteln einen eiligen Eindruck, als wollte der Dichter die ihm durch den Kopf
gehenden Gedanken stichwortartig notieren, um sie nicht zu verlieren. Der hier auftretende verknappende, elliptische Stil ist seit den 80er Jahren ein Merkmal der Lyrik
Czechowskis109.
Zudem ist die zahlreiche Verwendung von Partizipien anzumerken. Die Partizipien
fallen auch durch ihre Länge auf, da sie meist auf dreisilbigen Verben wie „markieren“, „ablösen“ oder „ersetzen“ basieren110. Umständlich mag das Gedicht durch die
Verwendung besonders langer, meist zusammengesetzter und ungebräuchlicher, auch
regionalsprachlicher Substantive erscheinen. Worte wie „Raps- und Gerstenschläge“,
„Automobilbesitzern“ und „Mangelgesellschaft“ sind Beispiele verwendeter Nomi-
104
Ebd., Zeilen 14-20.
Zit. nach Jürgen P. Wallmann, Heinz Czechowski, S. 37. - Vgl. dazu Kapitel 1.2, S.7.
106
Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea, S. 115 und 116.
107
Vgl. Kapitel 1.2, S. 5f.
108
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeilen 10-15.
109
Vgl. Kapitel 1.2, S. 7.
110
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 12, Zeile 15 und Zeile 22.
105
22
na111. Begriffe wie „Flurstücke“, „LPGen“ und „Aufgelassenen Lehms“ können zu
Verständnisschwierigkeiten führen; „Kollm“ und „Apelstein Nr. 13“ sind regional,
jedoch sicher nicht der Mehrheit der Leser, bekannte Ausdrücke; „liebesnestsuchenden“ ist eine sprachliche Erfindung des Dichters112. Einige Worte bedürfen einer
Erklärung, was somit nicht dem von Wolfgang Emmerich bei Czechowski entdeckten „Anspruch der Verstehbarkeit seiner Verse“113 entspricht. Doch ist auch in diesem Gedicht an alltags- und umgangssprachlichen Worten wie „Baggerloch“, „türmt
sich“ oder „Weggeworfene“ seine sprachliche Orientierung am Alltäglichen zu erkennen114.
Die langen, zusammengesetzten Nomina beherrschen das Gedicht. Der Vergleich der
Zahl der Substantive mit derjenigen der Verben, die weitaus geringer ist, zeigt diesen
Nominalstil auf. Viele Verben erscheinen zudem nur in der Form von Partizipien, die
den Nominalstil eher noch verstärken. Die Nomina entstammen dem Bereich der
konkreten Substantive, nur vereinzelt gibt es abstrakte Nomina wie „Suche“ oder
„Ruh“115. Auch dies zeigt Czechowskis Merkmal, Gelegenheitsgedichte zu schreiben, da diese sich aus dem unmittelbar Erlebten ergeben und sich daher an konkreten
Begriffen orientieren müssen. Der im Augenblick der Betrachtung gegenwärtige Zustand der Landschaft wird durch Verwendung konkreter Nomina in seiner Betonung
des Seienden zusätzlich unterstützt.
Die Wortwahl Czechowskis vermittelt zudem eine melancholische Stimmung. Bereits das Thema des Gedichts zeigt diese Stimmung, die sich beim Dichter angesichts
der Veränderungen durch die Wende ergibt. Er zeigt die Veränderungen von blühenden Landschaften in zerstörte Einöden und von ehemals tätigen und glücklichen in
nun sprachlose, unbrauchbare Menschen. Die Wortwahl unterstützt die melancholische Stimmung durch negative Verben und Adjektive. Das Adjektiv „Ehemaliger“
zeugt von vergangenen, womöglich schöneren Zeiten, „verkrautete“, „Verwaist“,
„Sprachlos“, „viehlos“, „Herrenlos“ zeugen von wüsten Gegenden und von Verlusten116. Auch Susanna Böhme-Kuby erkennt vor allem in den Adverbien und Adjektiven den Ausdruck von Zerfall und Auflösung. Czechowskis Versen liege ein elegischer Ton zugrunde, der sich jedoch nicht in Klagen oder Anklagen ergehe. Es
komme seine Ernüchterung und sein Gefühl des Ausgeliefertseins zum Ausdruck,
111
Ebd., Zeile 3 und Zeile 14.
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 1, Zeile 4, Zeile 6, Zeile 11, Zeile 12 und Zeile 13.
113
Emmerich, Heinz Czechowski, S. 3.
114
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 7, Zeile 20 und Zeile 26. – Vgl. Kapitel 1.2, S. 6.
115
Ebd., Zeile 23 und Zeile 24.
116
Ebd., Zeile 4, Zeile 8, Zeile 10, Zeile 16, Zeile 20 und Zeile 21.
112
23
und die Ungewissheit der Zukunft lasse jeden Hoffnungsschimmer verblassen.117
Diese Melancholie und eine skeptische Haltung sind Merkmale der Gedichte
Czechowskis und besonders seiner Gedichte der Nachwende-Zeit.118 Czechowski
bemerkt zu diesem Gedicht: „Die Melancholie der ‚Evokation der Provinz‘ (Günter
Kunert) habe ich als Grundierung beibehalten. Auch meine Skepsis ist nach wie vor
unüberhörbar.“119. Hörbar wird diese Skepsis beispielsweise in der Formulierung
„[…] das Soll/ Ersetzt durch die Milchquote.“120. Das Alte endet, das Neue beginnt,
so dass ein Kreislauf entsteht, dem man nicht entkommen kann, der darum aber auch
keine wirkliche Neuerung bedeutet. Es verändert sich Vieles, wie in der Betrachtung
der Landschaft erkennbar wird. Vieles wird jedoch nur umbenannt und existiert lediglich in anderer Form weiter. Es endet und beginnt somit nichts wirklich. Die
Milchquote ersetzt lediglich das Soll, somit besteht dieses in abgeänderter Form fort
und bedeutet keinen Neuanfang. Susanna Böhme-Kuby erkennt darin Czechowskis
vernichtendes Resultat, die alte Fremdbestimmung werde durch die neue Fremdbestimmung der Marktquoten abgelöst121. In diesem Sinne wird die „Mangelgesellschaft“ auch durch die „Marktwirtschaft“ „abgelöst“122. Doch bedeutet dies somit in
den Augen des Skeptikers Czechowski eine Verbesserung der Situation?
117
Böhme-Kuby, Heinz Czechowski, S. 122-125.
Vgl. Kapitel 1.2, S. 5 und S. 8.
119
Czechowski, Hinter der Stadt, in: Poesia tedesca contemporanea, S. 116.
120
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 21 und Zeile 22.
121
Böhme-Kuby, Heinz Czechowski, S. 124.
122
Czechowski, Hinter der Stadt, S. 34, Zeile 14 und Zeile 15.
118
24
Fazit
Die Analyse des Gedichts „Hinter der Stadt“ zeigt die intensive Beschäftigung Heinz
Czechowskis mit der deutschen Wiedervereinigung. Er beschreibt anhand des Wandels der Landschaft die Veränderungen, die sich durch die Wende auch für die Menschen ergeben. Die Wiedervereinigung fordert demnach Opfer von der Natur, die
nun verwaist und verödet und nach der Zerstörung durch die Industrie nun eine weitere durch die Marktwirtschaft erfährt. Opfer der Wende sind ebenso die Menschen,
die der neuen Gesellschaft unbrauchbar geworden sind. Sie sind sprachlos geworden
und müssen sich auf die Suche nach einer neuen Identität begeben. Der Dichter
selbst ist ein Opfer: auch er wird sprachlos und sucht seine Identität. Diese Identitätssuche ist ein Merkmal der Nachwende-Lyrik Czechowskis, wie das Gedicht auch
weitere charakteristische Merkmale seines literarischen Schaffens aufweist. So zeigt
die Beschreibung der landschaftlichen Umgebung einer Stadt Czechowski als kritischen Landschaftsdichter, der nicht die Schönheit der Natur beschreibt. Dieses Gedicht entstand zudem als Gelegenheitsgedicht aus unmittelbaren Beobachtungen
Czechowskis in der Umgebung Leipzigs. Seinen prosanahen, reimlosen, freirhythmischen und freistrophigen Dichtstil weist das Gedicht ebenso auf wie beispielsweise
zahlreiche Enjambements. Die Wortwahl und Thematik seines Gedichts lassen zudem die für ihn typische Melancholie und Skepsis gegenüber der Gegenwart und
Zukunft erkennen. Viele der im ersten Kapitel ausführlich dargestellten Charakteristika des dichterischen Schaffens Czechowskis zeigt somit auch das Gedicht „Hinter
der Stadt“ auf.
In der Einleitung wurde bereits darauf hingewiesen, dass nicht alle Merkmale des
Gedichts analysiert werden konnten. Einige Erkenntnisse konnten nicht berücksichtigt werden, obwohl auch sie womöglich auf Heinz Czechowskis Biographie oder
sein Schaffen hingewiesen hätten. Daher könnte eine fortführende Bearbeitung in
einer weiteren Arbeit beispielsweise erkennbare intertextuelle Bezüge zu anderen
Gedichten oder Dichtern aufzeigen und interpretieren. Ebenso könnten weitere
Strukturelemente wie die Metrik thematisiert werden oder die Analyse des Satzbaus
noch ausgebaut werden. Auch wäre sicher ein Vergleich dieses Gedichts auf Unterschiede oder Ähnlichkeiten mit anderen Nachwende-Gedichten Czechowskis ein
interessantes Thema für eine weitere Arbeit.
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